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Ich glaube, es heißt ein Roman so, den ich nicht kenne, aber ich glaube auch versichern zu dürfen, daß es sehr unbequem sein mag, einen Romanhelden vorzustellen, wenn er durch's Gebirge fliehen muß. Die Wege sind schlecht, an Poststationen fehlt's auch, und wenn Einer ordentlich fliehen will, so muß er alle Taschen voll Geld haben. Freilich die Romantik gewinnt, was die Bequemlichkeit verliert – und in diesen Worten koncentrirt sich nebenher die poetische Frage unsrer Kultur – die Polizei ist im Gebirge niemals so gut als in der Ebene, Telegraphen gibt's da auch nicht, und ungewöhnliche Wege fallen nicht auf. Das war Alles recht gut, über die Invaliden in Patschkau war 266 ich auch hinaus, aber der Gräfenberger Wagen stieß mir die Milz bis in's Herze, das Sattelpferd konnte das fremde Wasser nicht vertragen, und stürzte von Kolik betroffen darnieder, den Weg nach Frankenstein wußten wir auch nicht, und es ward dunkel – Volksmenge sammelte sich, und ich wäre so gern ohne Aufsehn durch die Welt geschlüpft, wir waren erst eine kleine Strecke über das Grenzthor hinaus, die Invaliden konnten durch den Auflauf herbeigezogen werden, und einen Passagier finden, welcher zur unrechten Zeit Feldspath gesucht hatte. Die Situation war einem Romane ganz angemessen, aber nicht meinen Wünschen. Ich sprang vom Wagen, versicherte meinem Gräfenberger, der, so weit von der Heimath, sich gottverlassen vorkam, ich würde das Pferd besprechen, er sollte mit einem tüchtigen Peitschenhiebe zu Hilfe eilen, wenn ich das Zeichen gäbe.
Während ich das Abraxas-Zeichen über den Unterleib des Pferdes machte, flüsterte ein Junge aus dem Haufen »die Invaliden kommen« – dies 267 kürzte meine Ceremonie ab, beschleunigte den Peitschenhieb, dieser fruchtete, ich sprang zum Kutscher hinauf, im Galopp ging's von dannen. Und Bewegung hilft solchem Thiere am Sichersten; als der Mond heraufkam, trabten wir lustig fürbaß. Es war eine der schönsten Nächte, die über Schlesien geleuchtet haben mögen, der Weg, welchem wir wie alte Ritter auf gut Glück folgten, ging unter schlanken grünen Bäumen an einer Berglehne hin, Johanniswürmchen flogen wie kleine Sternenkinder in dem grünen Dunkel umher, wohin die Lichtstreifen des Mondes nicht drangen, und als wir an eine Blöße kamen, sahen wir dicht unter uns ein schlohweißes Kloster liegen, schön wie eine junge, blasse Nonne. Kloster Kamenz wird es genannt. Dahinter stieg schwarz das Hochgebirge auf, von weichen, fließenden Mondwölkchen umsäumt, und als sich wieder eine dünne Laubholzung dazwischen drängte, da erhielt das Ganze einen blaugrünen Schimmer wie aus dem schönsten Geisterreiche einer Kindesphantasie.
268 Kein Mensch genießt aber solch eine Nacht aus Gottes Schooße besser als ein Flüchtling, welcher fortwährend auf dem Fuße langen Abschiednehmens von der Natur steht.
In diesem süßen Dämmer kam ich an's Thor von Frankenstein. Knarrend öffnete sich; der Gräfenberger ward hier entlassen mit neuen Aufträgen für Andres und Margareth; diese Armen schienen mir jetzt die nächsten in der Welt. Auf neuem Wagen ging es weiter; glatte Chaussée führt über Reichenbach nach Schweidnitz. Dieser Frankensteiner Bezirk ist die üppige Waizenkammer Schlesiens. Das Getraide wogte auf den Feldern in strotzender Gesundheit, offen ist hier das Land, und das »hohe Mensen- und Eulengebirge« schaut schweigsam wie ein wohlwollender Großvater hernieder.
Hier sieht man das schöne Widerspiel des Oderstrichs – in derselben Richtung wie jener Strom geht, ziehen sich weiter westlich die reizenden Gebirge von der ungarisch-mährischen Grenze bis an die sächsische hinab, und an der letzten Abdachung 269 dieser Kette führte mein Weg hin während jener Nacht. Man kann hier auf den Gebirgskämmen über die mährischen Berge, den Jablunkapaß, die Karpathen hinabsteigen bis in die Ebenen der Moldau, wo die Schweine gedeihen, und auf der andern Seite über das Riesengebirge, den Iserkamm, die sächsischen Berge nach Thüringen hinein bis in die äußersten Höhenpunkte des Harzes und der Weserberge, von wo ein ungewöhnlich gutes Auge die nordischen Meere und die Möven sieht. Wenigstens von Ungarn aus bis tief nach Sachsen hinein hängen die Gebirge hier zusammen wie eines Gottes spaltlose eherne Rüstung.
Süß meiner unsichern Freiheit genießend schaukelte ich im weichen Wagen Angesichts dieses langen, undurchdringlichen Leibes dahin – im Mondschein sah ich die langen, Meilen langen Dörfer am Fuß der Eule liegen, welche einst die Füße des Gymnasiasten ermüdet hatten. Da träumte jetzt mein Medardus von bescheidenen Erfüllungen – der Gute ahnte nicht, wie ich Sturmvogel mit meiner 270 weiten Welt jetzt gefährdet an ihm vorübergerissen wurde, während er unbedroht schlummern konnte. Die Verhältnisse gleichen sich aus mit ihrem Reize. Die Kapitale dieser ungeheuren Dörfer ist Langenbielau, ein Ort so groß, daß verschiedene Dialekte darin gesprochen werden: diesseits des Baches, welcher es durchschneidet, sagt man, wenn die Fenster des Himmels geöffnet sind »'s rehnt,« jenseits aber »'s rahnt« Vielleicht gibt es überhaupt kein Ländchen in Deutschland, wo der Dialekt so tausendfach modificirt ist, und wo man so viel Abwechslung, Dreistigkeit im Erfinden antrifft als Schlesien. Dabei ist doch die Sprachatmosphäre so gemeinschaftlich, daß sich Alles versteht, ja daß man den Sinn solcher Worte, die im Augenblicke erfunden werden, alsbald begreift. Die neueste, unerwartetste, nie dagewesene Wendung eines Zustandes macht den Schlesier keinen Moment lang um den Ausdruck dafür verlegen, er improvisirt eiligst aus dem Kessel seiner Formationen eine ganz frische Gestalt, ein Wort, was Niemand 271 je vernommen, aber der andre Schlesier weiß auf der Stelle, was jener meint.
Die Gebirgsdialekte sind wie überall in den Bergen, wo Wasser und Boden hart sind, weich und vokalvoll, ja reichlich; aber in jedem Thale anders. Je näher dem eigentlichen Gebirge zu, desto tiefer ziehn sie die Vokale, so bezeichnet man den Dialekt von dieser Gegend mit folgendem Verse, in welchem man sich förmlich ausstreckt auf u, a und i:
Ich bin do uba har
Vo de langa Biele,
Wu die grußa Reska wachse
Mit de langa Stiele –
Reska sind nach einem vornehmeren Silesiasmus Reisken, eine wohlschmeckende Art Pilze, die geröstet oder aus denen Suppen gekocht werden. »Wir suppen Reisken« sagen sie, denn sie erfreuen sich dieses bequemen Verbums, was vielleicht zu empfehlen wäre, wenn es melodischer klänge.
A und la ist aber die herrschende Endung im Gebirge, die fast allen Substantiven und Adjektiven 272 angehängt wird, und im Grunde jene alle zu Deminutiven macht – a Tippla und a Löffla (ein Töpfchen und ein Löffelchen) Die Rede klingt wie das Läuten der Kühe. Im übrigen Schlesien herrscht lediglich das Deminutiv auf el, das auf chen gilt für hochdeutsche Ziererei. Man sagt nicht ein Kännchen, sondern ein Kännel, nicht Hölzchen, sondern Hölzel, nicht Mädchen, sondern Mädel, und jeder Schlesier, er sei noch so weit und lang von der Heimath, ruft in der Eile mal: Wart a Bissel!
Als ich hinter Schweidnitz war, ging die Sonne tönend auf, die Felder glitzerten im Morgenthau, wie ein wohlthuender Athemzug hob sich der Frühnebel von den Bergen, Lerchen stiegen in die Luft, Bauersleute zogen aus den Dörfern an die Arbeit, ach, die Welt ist mir niemals reicher und schöner entgegengetreten als auf dieser flüchtigen Reise. Freiburg lag vor mir, der letzte Grenzort der Ebene, von dort aus ging es tiefer in die Berge hinein. Ich nahm Abschied von der schlesischen Ebene, die 273 man übersieht bis nach Breslau hin, in deren Mitte wie ein dunkles Schloß der Zobten liegt; die kleinen Hügel von Stiegau, in deren Nähe Friedrich der Große die Schlacht von Hohenfriedberg geschlagen, brachten mir den letzten Gedanken aus diesem Strich Landes. Bald war der steile Berg überwunden, und ich fuhr dahin durch den klingenden Wald von Fürstenstein. Dieser Ort wird für einen der schönsten Punkte Schlesiens gehalten. Man begreift darunter eine alte Burg, eine tiefe Bergschlucht und ein neues Schloß. Und wahrlich, an einem sonnigen Junimorgen mag nicht leicht ein schönerer Platz gefunden werden. Das neue Schloß liegt auf den ersten Höhen, die an der Ebene aufsteigen, auf der einen Seite sieht man durch einen lichten Wald hinab in das blaue Land, die Aussicht ist erst da zu Ende, wo der Himmel auf die Erde fällt, um und neben uns prangt das stattliche weiße Schloß, vor uns öffnet sich der dunkelgrüne mit wildem Bach und rauschenden Bäumen sprechende Grund; zwischen Felsen und dichtbelaubten Bergen geht er tief, tief 274 unten eine halbe Stunde weit bis zur alten Burg, deren braungelbe Mauern herüberblicken wie stiller Friede, süße Abgeschlossenheit eines alten Ehepaars. Die Bäume um die Burg sind niedriger, lichter grün gefärbt, ein einfaches Gebirgsthal mit den Häusern von Salzbrunn öffnet sich dahinter, und wird weit oben vom dunklen »Hochwalde« geschlossen. So gewinnt das Bild die wohlthuende Einheit eines ganzen Lebens: Hinter uns in's duftige unbestimmte Land hinab die Mährchenphantasien der Jugend, um uns die stattliche Zuversicht des prangenden Jünglings, da unten im dichten Grün das abschüssige, gefährliche Leben des Mannes mit verschwiegenem Einsamkeitsreiz häuslicher Freude, mühsames Emporarbeiten bis zum bescheidenen Alter der stillen Burg, und zum Schluß des Lebens beschränkte aber wohlthuende idyllische Aussicht auf ein Thal mit Dorf und Acker. Und der Hochwald schließt, eine große, unbewegliche Mauer, welche die Fragen der Ewigkeit verbirgt. Alle Nebel und Wetter lagern sich in Wahrheit um diesen Hochwald, und 275 wenn der Bauer am frühen Tage vor das Haus tritt, so geht sein Auge nach dem Hochwalde, um Wetter und Zukunft zu erforschen.
Ach, es war an jenem Morgen des goldnen Juni, wo auch ich Abschied nahm von den Träumen schlesischer Jugend, von der Aussicht in schimmerndes, weites Land, ich genoß ein stärkendes Frühstück auf jenem Schloßplatze, wo ich so oft die schönen Kinder des Landes an Sonn- und Festtagen gesehen, und mir das Herz hatte bewegen lassen von Ahnung unendlichen Glückes, das Gedächtniß Goethes ging vor mir her mit der ernsten Mahnung, Wunsch und Streben zu beschränken, zu gestalten, sei's auch in die kleinsten Formen, und ich stieg hinab in den dunklen Grund. Durch dunkle Tannengassen führt der Weg, ein Stück über grüne, sammtne Wiesen, über schmale Brücken, an Felsenstiegen, man kann fehl gehen und in schlimme Lage gerathen. Freilich wer einen Führer hat, für den ist der Weg nur romantisch und angenehm zwischen den starrenden oder rauschenden Bergwänden hin. 276 Aber Jugend ist ungestüm und fragt und sucht nicht nach Führern.
Jeder Schlesier und Reisende, der irgend einen Vers machen kann, hat Fürstenstein besungen, ich bin einiger Ballen von dieser Poesie habhaft geworden, und will sie hier mittheilen – warum nicht? Jedes Herz hat seine Reize. Zuerst singt ein Schulmeister – nun wohl, ich will die Mittheilung bis zum Schlusse aufschieben, aber die Angst kann ich meinen Lesern nicht ersparen.
Es macht kein Volk so viel Gedichte als wir, das ist recht schön; aber der Italiener, der auch viel unnütz reimt, hat doch die melodische Sprache für sich und für die Zuhörer.
Nichts soll schöner sein im Fürstensteiner Grunde als ein Gewitter; ein neugieriger Engländer hat das durchaus sehen und hören wollen, und ist vom Blitz erschlagen worden. Gedichte und neugierige Engländer gibt jede romantische Partie in den Kauf wie der Fleischer ein Paar Knochen.
277 Die alte Burg ist ganz erhalten, man kann dort Ritters spielen. Der Turnierplatz ist auch wirklich bei Lebzeiten der Königin Luise an einem schönen Sommertage zum Turnier gebraucht worden. Die alten Herren der Umgegend erzählen noch mit Entzücken davon, wie die Herren turnirt hätten, wie die schöne Königin vom Balkon zugesehen und Preise vertheilt habe. Das Andenken dieser poetischen Frau lebt noch mannigfach im Gebirge; auch hier trägt noch ein reizender Punkt, von wo man eine überraschende Aussicht auf die Gegend hat, den Namen Luisenplatz.
Bei jenem Turniere oder bei einem ähnlichen in Potsdam hat auch der Fürst Pückler einen Preis errungen. Er war ein Mann des Glücks von Jugend auf, wenn ich mich auch in diesem Faktum irren sollte.
Von der alten Burg ist's nur ein Büchsenschuß bis zum Anfange Salzbrunns, wo die Kirche steht und der neugebaute Thurm – dort besuchte ich meinen alten, wackern Pastor, bei dem ich so manche 278 ländlich theologische Wochen verlebt und über Supranaturalismus und Liturgie versprochen hatte. Er brachte noch wie damals seine Argumente gegen Wegscheider und Paulus zur Hand, und war noch rüstig in seiner Terminologie wie ehedem, und wie ich ihm sagte, daß mich so und so viel andere Interessen bewegt hätten und bewegten, da drohte er mir lächelnd mit dem Finger und sagte: Er war von je ein Weltkind, unser alter Freund. –
Wir gingen in's Feld hinaus, um unsre alten idyllischen Freuden wieder zu suchen; dies Pfarrhaus mit der rührigen Hausfrau und den aufblühenden Töchtern, mit dem Gemüsegarten und den nahen Bergen, manchen Sommer und Winter war es mir Vossens Grünau gewesen, oder Goethens Sesenheim. Ach, wie öde war es geworden! Die rührige, freundliche Hausfrau war in die Hütten der Seligen gegangen, der rasche Sohn in ungewisse Weite, die Mädchen der Umgegend waren gestorben, oder weit in's Land, oder an gleichgültige Leute verheurathet, sogar von Thurm und Kirche 279 hatten sich Putz und einzelne Ziegel gelös't, nur der Pastor und die Berge waren die alten.
Ich nahm weinend Abschied, auch ich habe nirgends ein bleibend Quartier, und konnte den weinenden Alten, der seine Gefährtin und seine Hoffnung verloren, nicht trösten. Als der Wagen mich schon ein Stück fortgeführt hatte, sah ich noch einmal zurück – der alte Herr stand an einem grünen Felde, winkte mir noch einmal, nahm sein schwarzes Sammtkäppchen ab, und deutete mit der Hand zum Himmel – der leichte Sommerwind kräuselte sein dünnes, weißes Haar.
Und doch glücklicher Alter in Deinem patriarchalischen Glauben! – Wie gebrechlich erscheint man sich neben der festen Oertlichkeit dieser Erde; die Menschen waren gestorben; aber Bäume und Berge waren dieselben.
Der Wagen rasselte das endlose Dorf aufwärts am Brunnen und den Brunnengästen vorüber. Schlesien ist reich an solchen Brunnenorten, die eine ländliche einfache Saison bieten, Heirathsinstitute, 280 Erholungsorte von den Alten mit dem Anfluge von Badeleben, der seit dem Untergange Polens sehr verloren hat. Die Dukaten der wilden Edelleute von dort, ihre breiten Viergespanne waren ein wichtiger Bestandtheil schlesischer Saisons.
Vorüber, vorüber! Wie das Haus einer unglücklichen Liebschaft winkte die Apotheke vom Berge herunter, in welcher ich anno 31 mit einem polnischen Offizier auf einem Zimmer gewohnt hatte, der verwundet von Warschau kam, und mir den Krieg erzählte, dessen inneres Getriebe damals noch aller Welt unbekannt war. Nie werde ich jenen eintönigen Schmerz vergessen, der für das Vaterland beim Erwachen betete, den kein Sommerglanz der Erde einen Augenblick ablenken konnte von dem Gedächtnisse seiner Heimath, der für dasselbe betend zur Ruhe ging. Es war das langweilige Einerlei des Klostergeistlichen, aber so stark und so gewaltig, daß man das Wort Langeweile nicht zu denken wagte. – Armer Pole, hier an diesem Hügel hörtest Du die 281 Schlacht von Ostrolenka erzählen, in kühler Erde der Warschauer Schanzen modert jetzt Dein Leib.
Vorüber.
Es war ein heißer Mittag, als ich in den Bergkessel von Landshut hinabfuhr – ein langgestreckter kleiner Gebirgsort schlummert das Städtchen oben in den Bergen. Es ist ein wichtiger Paß durch's Hochgebirge in der Nähe, des großen Friedrichs Freund, General Fouqué hat hier stationirt und gefochten, und zwischen Säbeln und Bärenmützen mit dem Könige über Humaniora korrespondirt.
Der Landshuter Berg, eine lange, gewaltige Anhöhe, über welche die Chaussée hinüber nach Schmiedeberg und in's Hirschberger Thal führt, in dieß eigentlich allerheiligste Thal des Riesengebirges, war zu passiren. Ein schwarzes Gewitter lag über ihm und seinen dunklen Fichtenwäldern, der Einspänner keuchte, mein Kutscher, ein Landshuter Bürger und ich stiegen langsam neben her – wie viel Melancholisches hat ein solch einsamer Gebirgsweg, 282 er weckt dem Gedankenlosesten die Andacht. Könnt' ich's erzählen, was jenseits der Höhe, unter der berühmten großen Linde, die hier im Hochgebirge sich wie ein Edelmann Gottes ausnimmt, durch mein Herz strich von Gedanken und Weh über Gottes Ewigkeit und der Menschen kurzes – Hassen und Gebaren! Das kleine, klägliche Fuhrwerk, der erschöpfte, magere Ackerbürger, das ernste, schweigende Hochland, ich unter der Linde sitzender Flüchtling, der leise grollende Donner in der finstern Wolke, welche dicht neben mir am Berge hing – wie viel Gedanken könnte ein Maler mit solchem Bilde anregen. Und ist nicht Anregung das Liebesgeheimniß aller Kunst?
Bei Schmiedeberg, hinter welchem sich die Schneekoppe mit ihrem kahlen Scheitel aufrichtet, kommt man in das Hirschberger Thal, ein mit Hügeln besäter Strich Landes von 5–6 Meilen, von der böhmischen Seite geschlossen durch das nackte Riesengebirge, von der andern begrenzt durch die Vorberge, welche es vom übrigen Schlesien trennen. 283 An den Bleichplätzen, Fabrikhäusern und der langen Häuserreihe Schmiedeberg's vorüber, das mit lockenden Landhäusern und bescheidenen Ackerbürgerhäuschen abwechselt, und an die Station zwischen Padua und Venedig gemahnt, fliegt der Wagen auf festem, glattem Boden durch eine Landschaft, die einem Park gleicht, dahin. Nur die ewige Mauer des Kamm's, wie man das Hochgebirge nennt, steht dunkel und unverrückt, die andern, kleineren Berge wechseln wie in der magischen Leuchte, bald erscheinen sie hier, bald dort – die Sonne war untergegangen, schnell wird es Nacht in dieser Bergumschlossenheit, und von allen Bergen nah und fern flammten Feuer auf, es war Johannisabend, aus allen Orten scholl Jauchzen, ein leichter, weißer Nebel, wie ein Feenschleier, fiel von den Sternen auf das Hochgebirge, ich fuhr dahin wie in einem Mährchen aus Tausend und einer Nacht, Breslau bei Josef Max und Compagnie.
Bis zum andern Morgen war es neblig geworden, die Gegend sah reich geheimnißvoll aus, als 284 ich von Hirschberg die Meile hinaus nach Warmbrunn fuhr, bald trat ein dunkler Berg aus der Ferne vor, bald schlug er wieder den grauen Mantel um sich; die Vögel sangen, der Weg war belebt – ein Bischof in blitzendem Ornate braus'te mit vier Pferden vorüber, es war die Zeit der Firmelung, ein junger Graf Schafgotsch, dessen Familie dieses zauberhafte Thal gehört, folgte in leichtem Kabriolet. Es war eine melancholische Andacht, in welcher ich bald darauf vor jenem Kaffeehause Warmbrunn's saß, welches im Angesichte der Hochgebirge liegt; es wurden mir Waffeln gebacken, und ich starrte nach den fliegenden Nebeln, welche um die hohen Berge flatterten. Das Gebirg kokettirte wie eine Schöne mit ihrem Schleier – nur der Vorgrund mit dem grün und weißen Kynast und der Annakapelle lockte ohne Verhüllung – ach ich durfte nicht bleiben! Zwei lederne Badegäste hatten sich in meiner Nähe niedergelassen und sprachen über die deutsche Literatur. Seit Theodor Körner, meinten sie, sei es vorbei damit, und nun kamen sie auf 285 die Politik der jetzigen Literatur, und berührten schwierige Saiten – »ich kenne ihn,« sagte der Eine, dessen gelbgeblümte Weste mir unvergeßlich ist, »und ich werde das Meinige thun, wenn er mir vorkömmt; er soll in Schlesien sein.« –
Ach, es war mir recht, daß es von Herzen regnete, als ich in die Berge des Iserkamm's hineinfuhr, wir hielten zu Mittage an einer einsamen Haideschenke, die war so abgelegen und verborgen, daß ich wohl hätte dableiben mögen. Ich suchte mir die Eier auf dem Heuboden, und fabricirte mir selbst einen Kuchen – die Leute waren im Holze, nur ein schneeweißer Großvater und ein kleiner Bube, der noch nicht mitlaufen konnte, waren daheim.
Durch triefende Tannenwälder, bergab ging es mit dem rüstigen Regen weiter – ich kam nach Böhmen, und in stockfinsterer Nacht hielt der Wagen erst. –
Wo sind wir?
Das ist Schloß Friedland. 286
Unglücklicher Wallenstein, Dein Gedächtniß war nicht aufmunternd. Es war gegen alles Erwarten ein trefflicher Gasthof da, und die Stille des Berges und der Nacht that mir wohl – das Städtchen liegt unten am Fusse.
Der andere Morgen war trüb, aber es regnete nicht mehr; die Natur hatte jene Stimmung des Menschen, welcher alle Thränen verweint hat, und dumpf hinwartet, was aus seinem Schmerze sich gestalten werde.
So ging ich auch in des Friedländers Schlosse umher und blieb in dem Eckzimmer sitzen, was sein Lieblingsaufenthalt gewesen ist, sah hinaus auf die Berghaide und versetzte mich in seine Gedanken. – Er soll unschuldig ermordet sein, hat man neuerdings bewiesen – gleichviel; Gallas, ein General des Hofes, war am Förderlichsten zu seinem Sturze, und hat dafür einen großen Theil der Friedländischen Besitzungen erhalten, unter andern auch dieß stattliche, feste Schloß; der Himmel ist aber mit 287 seiner männlichen Nachkommenschaft nicht freigebig gewesen, sie ist eingegangen, die letzte Gallas hat einen Clam geheirathet, und so gehören die Güter jetzt der reichen böhmischen Familie Clam-Gallas.
Es existirt auf Schloß Friedland ein modernes Bild der Thekla, was den Freunden der Schillerschen Tragödie zu lieb gemacht ist, und was sich sehr kurios neben den andern würdigen Familienbildern ausnimmt.
Waldstein – so ist der eigentliche Name – kann für all' die Dinge nicht.
Mein Klepper zog mich weiter durch grünen, nassen Wald, und so passirte ich endlich die grün und weiße Säule Sachsens, und sah Zittau vor mir liegen. Die Sonne brach durch die Wolken, und es ward mir der behaglichste Eindruck, als ich in dieß reinliche, freundliche und hübsche Städtchen einfuhr. Hier willst Du Hütten bauen, dacht' ich, die Berge, welche das Städtchen umlagern, schützen Dich vor der Welt, Herr Schöps, mit Erlaubniß 288 zu sagen, der Buchhändler hat Bücher, die Sachsen sind höflich – das Glück ist aufgegeben, vielleicht findest Du aber Ruhe hier; es lebe Zittau, das Asyl!