Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 4
Heinrich Laube

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Die deutsche Provence.

Man könnte mit demselben Rechte Schwaben so nennen, wenigstens hat es größere Dichter und bedeutendere Dichterschulen hervorgebracht als Schlesien, aber der Scherz dieses Namens für einen Theil meines Heimathländchens soll anders motivirt werden, als mit großen Namen und Richtungen.

Wenn man vom Oderstriche einige Meilen nach Westen fährt durch Haide und verstecktes Land, so gelangt man bei Liegnitz in den Vorhof des eigentlich schönen Schlesien. Sanft anstrebende, lange Hügelreihen wiegen sich im Sonnenscheine, dahinter winken die blauen Hochgebirge, die Kieferwälder sind in lockend grüne kleine Holzungen verwandelt, weiße Klöster und Schlösser blinken bei einzelnen 199 Wendungen des Weges, Liegnitz, ein freundlicher, heitrer Ort, in seiner Form dem lächelnden Leipzig äußerst ähnlich, empfängt uns, wie es mich stets bedünken wollte, mit offenen Armen. Es ist dies ein Ort heitrer Behaglichkeit, grüne Wiesenflächen, küchenfreundliches Gartenland, wohl grünende und duftende alte Schattenbäume umgeben den Ort, freundliche Gesichter, schöne Mädchen, lustige Bursche erfüllten ihn. Bei schönen Mondabenden hört man bald hier bald da Gesang und Saitenspiel, die hübschen, feisten Kräutermädchen sitzen vor den Thüren, und weisen den Scherz nicht ab, auch wenn sie aufstehn, Liebespaare streifen unter den Linden hin auf der Promenade, verlieren sich wohl auch weit hinaus in den mondflimmernden Hag, und die Nachtigallen singen besonders schön und zärtlich in Liegnitz.

Es ist ein zärtlich Volk das schlesische, es ist sein schönstes Genüge, und das, worauf es immer dringt beim Umgange: das Herz mit allen Kleinigkeiten gegenseitig auszuschütten, 200

Und wer's mit hübschen Worten kann,
Das ist ein äußerst hübscher Mann.

O, wie reich sind sie an solchen provençalischen Vireley's, wie propagiren sie zärtliche Verse, wie gerne hätten sie Minnehöfe und dergleichen, wenn's die Polizei und die Klassensteuer gestatteten. Auch ist es mir stets vorgekommen, als ob die Liebschaften hier niemals jenes dunkle, hypochondrische Kolorit annähmen, was mit düsterem Nahrungsjammer, pedantischer Eintönigkeit, egoistischer Klage solche Bilder abschreckend macht. Wem ist's nicht begegnet, daß ihn die liebelockende Mondnacht in Illusion versetzt, und der nächste bleiche Tag erschreckt hat, wenn ihm Räume und Personen der romantischen Nacht blaß, bedenklich, zukunftsorgend erschienen. Ganz anders, immer lächelnd, provençalisch ist die Physiognomie dieses schlesischen Städtchens.

Ich weiß es wohl, wie solche Ansicht eine zufällige sein, auf einigen Spezialitäten beruhen kann – ist's denn aber anders mit der ganzen Welt und Anschauung derselben! Und wie oft hab ich Liegnitz 201 gesehen, und welche zu passende Geschichten hab' ich dort erfahren! Hier nur folgende:

Auch die jungen Männer, welche sich dort zur Universität vorbereiten, zeichneten sich aus durch eine behagliche Fröhlichkeit, durch ein dralles, hübsches Aussehen: es war an einem warmen Herbstabende, als mir einer dieser Halbstudenten sagte: »Komm mit, wir wollen zu Hannchen gehen, und Du sollst auch einen Kuß von ihr haben.«

In den Vorstädten nämlich wohnen die sogenannten »Kräuter,« welche das schöne Gemüse bauen, womit Liegnitz und Breslau die ganze Provinz versorgt. Hannchen war ein solches Kräutermädchen – sie saß in einer kleinen Scheune auf der Tenne mitten unter Gurken, die sie sonderte und auslas. Es war ein rothbackiges, frisches Mädchen mit lebhaften, dunkelblauen Augen; das braune Haar trug sie unter der gebräuchlichen schwarzen Kappe, und es kam nur auf der braunen Stirn zum Vorschein, das leichte kurze Röckchen ließ ihre kräftigen, blanken Beine bis weit über den Knöchel unbedeckt, das 202 baumwollene rothe Busentüchlein aber schloß züchtig bis unter den Hals, und ließ nur wenig von der weißen Haut sehen, die nicht in der Sonne verbrannt war. Sie reichte ihrem Liebhaber die Hand, welche sie frei hatte, zog ihn, den willigen, zu sich nieder und gab ihm einen und noch einen Schmatz. Dann reichte sie mir auch die Hand und hieß mich willkommen, und erzählte vom Gemüse, und von Nachbars Lorchen, die nun auch einen Liebsten habe, und daß sie spät Feierabend machen könnte, wenn wir nicht klug sein und die Gurken unterscheiden lernen, und ihr auslesen helfen wollten. Wir ließen uns belehren und halfen, und nahmen ihre Verweise der Stadtkinder freundlich hin. So wurden wir dann fertig, und meinem Begleiter waren so und so viel Küsse zugesagt – ich hielt es für angemessen, mir den meinen auszahlen zu lassen, was sie denn auch harmlos auf ihres Liebsten Anweisung that, und mich fortzubegeben; sie wollten spaziren gehen –

203 – Nach mehreren Jahren kam ich wieder mal durch Liegnitz, und ging in die Kräutergasse hinaus, um Hannchen zu besuchen. Ich wußte es, daß der Liebste auf eine ferne Universität gegangen sei – Hannchen war im Garten und grub die Erde um. Sie war nicht viel älter geworden, und kannte mich gleich wieder. Mit einem freundlichen Lächeln, was sich in dem arbeitsrothen Gesichte gar anmuthig ausnahm, reichte sie mir die Hand, die warm und schwielicht war vom Grabscheit, und fragte, wie's Ihm ginge. Ich mußt' ihr erzählen, was ich konnte – er hatte ihr beim Abschied einen Kuß gegeben, und damit war's ausgewesen; 's ist mir recht nah gegangen, meinte sie, daß er fort mußte; na, wenn's ihm nur gut geht, hübsche Mädchen wird er schon finden, er sah gar »schmuck« aus, mein Liebster, nicht?

Das war Alles; und giebt es mehr? Wer liebt wohl besser: Hannchen oder die Eboli?

Es war just eine Mondnacht, als ich dießmal durch Liegnitz schritt, und ich fand Alles beim Alten. 204 Hochidealistisch sind die schlesischen Provençalen nicht, das mag wahr sein, aber was thut's? Idealistisch sein ist ja auch nur eine Eigenschaft, Petrarka, dieser natürliche Sohn der Provençalen, der das Kokettiren mit dem Ideale bis in's Unwahrscheinliche, und ganz und gar anders als seine Vorbilder trieb, ist bekanntlich ein ganz anderer Mensch gewesen zu Avignon und Padua als in seinen Sonetten, ein Mann sehr vergnüglicher Realität, der nur für seine Gedichte ein idealistisches Schema hatte. Warum soll ich es nicht erzählen, daß ich damals unter einer großen Linde einen jungen Fant, die Guitarre im Arme, stehen sah, welcher ungefähr mit folgenden Worten den Idealismus herausforderte:

Durch die Nebel scheint der Mond
In die nächtlich stillen Straßen –
Schien nicht damals auch der Mond,
Als wir nah beisammen saßen?

Sprechen die Leute nicht viel davon
Von des Geistes Kraft und Genüge,
Von des Herzens tiefinnerstem Ton,
Welcher die Lust durch die Lüfte trüge. – 205

Liebe gäb's nicht ohne ihn,
Aber ein einzig Blicken und Küssen,
Ein einziges An'sherzeziehn,
Lassen mich Mond und Nebel wissen.

Es war eine grüne, jugendliche Baßstimme – und soll ich's bekennen, sie zerstörte mir alle Illusion, ich eilte, den Wagen zu erreichen.

Ueberall und überall Dualismus, auch in der Liebe –

Nehmt uns das Herz mit seinen Träumen
Und die Geister in säuselnden Bäumen
Und des Nebels schimmernden Duft,
Alle die tausend Stimmen der Luft,
Was ist uns dann übrig blieben
Von der Gottheit und vom Lieben?

Die Verschiedenheiten, der Streit und Gegensatz, der Kampf und das Ringen nach Urtheil sind am Ende all' unser Reiz, vergeßt es nicht im Kampfe, damit Ihr über ihn treten und leben möget.

Damit erwacht' ich am Morgen, und tröstlich grüßte der dunkelblaue Zobtenberg, der mir zur Seite 206 lag. Mitten im Lande, ein Prophet des Wetters und blauer Ferne spricht er täglich zu seinen Landsleuten, dieser älteste Schlesier, und es ist sehr Unrecht, das ihn der Volksdialekt den »Zoten« nennt.

Auch er bringt meiner Erinnerung ein Stück provençalischen Lebens, Lieder und Turniere, Schwerter und Freudenhöfe, leider auch schwere Besoffenheit, den deutschen Zusatz.

Die Breslauer Studenten halten alljährlich einen Kommerce an seinem Fuße, in toller Maskerade, wie beim römischen Fasching, ziehen sie zu Roß und Wagen im duftenden Monat Juni aus, und Breslau staunt der unpolizeilichen Gestalten. Viel Witz und Abwechselung wird da entwickelt, Don Quixott und Sancho treten leibhaftig auf wie in der Mancha, und das Vergnügen an zweckloser Thorheit kommt vielleicht in unserm ganzen Vaterlande nicht so heiter zum Vorschein, als bei jenen Zobtenkommercen. Man muß die Chaussee nach Schweidnitz hin gesehen haben an solchem Tage: der magere Beutel oder Kredit der Musensöhne reicht 207 bei den Meisten für Pferd oder Wagen nicht weiter als bis zum nächsten Dorfe. Von da schleichen sich nun die heterogensten Masken auf endlose Bauerwagen: die Dirne sitzt auf dem Leiterbaume, ledig des Kopfputzes und das kecke, kurze Studentenhaar, der Schnurrbart und die Pfeife sehen wie ein anderes Geschlecht auf die kattunene Unterpartie, brennend rothe Doctoren aus Sevilla gehen jungen Schrittes auf dem Fußwege, tragen die Allongeperücke in der Hand, erquicken die Mähderinnen auf der Wiese mit kräftigem Ungar aus den Medizinflaschen, Mars hat sich einen Bauerklepper gemiethet, singt tyrolerisch, und bittet die zu Fuß gehende Minerva, unter deren Göttergewande bedenklich irdische Pantalons zum Vorschein kommen, um etwas Schwamm. Der Besitzer des Gauls, welcher der Sicherheit wegen nebenher geht, trägt den unsterblichen Helm und die rothe Tabaksblase. 208

 


 

    Klingt es auch nur wie Gedichte,
    Doch ist's wirkliche Geschichte –
Sind nicht alle Heldenthaten,
Wenn sie ganz und wohl gerathen,
Fabelhaft und wunderbar?
    Die Studenten mit ihren Scherzen
    Waren der Menschheit blanke Herzen,
    Thörichte, reizende, blank und baar.
       

So kamen wir Götter und Provençalen denn des Abends in einem Orte an, wo die Wege nach Breslau, Schweidnitz und Zobten zusammentreffen, auf diesem Kreuzwege steht ein Dorf, was in der Sprache vom Oc »Merschelwitz« heißt. Es ist zu erwähnen, daß der Schlesier das Wörtchen »ock« gebraucht, wo die andern Deutschen »nur« sagen. Also den ersten Tag geht's »ock« bis Merschelwitz, 209 der bunte Schwarm von Hunderten würde keinen Raum zum Nachtlager finden, er wählt also den sicheren Ausweg, kein's zu suchen. Die Nacht wird süß verschwärmt bei unsterblichen Spielen. Es sind hier weniger griechische, noch Saitenspiele, noch Pfänderspiele gemeint, sondern Lanzknecht, das reizende, und Pharao, der Träumer von sieben fetten und sieben magern Kühen. Lanzknecht ist ursprünglich ein Repetitorium mittelalterlicher Institutionen gewesen, man hat sich's vergegenwärtigt, wie die Fürsten und Herren mit ihren Lanzenknechten auf Krieg und Beute ausgezogen sind, man hat sich die Sitten dieser romantischen Ideale nachgebildet, und so ist mit einigen modernen Zusätzen von Silbergroschen und Aehnlichem das holde Spiel entstanden.

Es ist nicht zu sagen, in welch mannigfachem Derangement, in welch süßer Verwirrung die Kostüme und Gestalten jener Nacht gesehen werden. Mars ohne Mantel hat seinen letzten Silbergroschen verloren, und versucht seinen Kredit bei einigen 210 schüchternen Erdensöhnen, die seinen »Sturz« und seinen Arm scheuen, Minerva, tief im Negligé, macht gute Taillen und ist voll Würde; Gewinn befängt, die Lustigen der Gesellschaft haben Alles verloren, und verspotten das Glück, setzen sich zusammen, singen und scherzen, und fragen nebenher ganz in der Stille bei Diesem und Jenem an, ob er ihnen mit ein Paar Groschen helfen könne. Ist das geschehn und haben sie erst wieder ein kleines jeu für Anfänger zusammen, dann schweigt die Laune, die Begier ist stumm – im andern Winkel des Hauses beginnt der unterbrochne Jubel bei denen, die eben ausgebeutet sind. Um und um schwebt der blaue Qualm, die Effekten des Anzugs liegen in süßer Unbefangenheit durcheinander, Biertonnen sind Tische und Stühle, wo es an diesen fehlt, hier und da liegt unter der hölzernen Bank ein Mattgewordener, ein Abgefallener, wüster Schlaf lähmt Miene und Glieder – so findet die Morgensonne das Wirthshaus von Merschelwitz und ihre ersten Strahlen jagen Alles zum Aufbruch empor. 211 Uebernächtig, aber von jugendlicher Kraft getragen, zieht die Karavane von der Heerstraße ab direkt auf den Zobten zu, der majestätisch und immer größer aus dem Morgen hervortritt. Zwei kleinere Genossen, der Kelfchen- und Geiersberg, die man aus der Ferne gar nicht merkt, produciren sich neben dem Hauptberge – so geht's mit allen Berühmtheiten: sie erscheinen in der Weite so sehr als Ganzes und Eines, daß man nicht fragt nach Frau und Kindern, nach Nachbar und Freund, welche vielleicht ein gut Theil der Größe mitgeschaffen haben. Es ist auch nicht nöthig: das sind sehr kleine Historiker, welche einen großen Mann aus zufälligen Umgebungen, Hilfen und Werkzeugen erklären; der wahre Mittelpunkt der Größe findet andere, wenn er diese nicht hat, er schafft sie erst zu dem Vereine; Mittel sind für Alles da; aber jenes Ewige, was die Größe macht, ist so selten wie der Held mit Schwert oder Feder. Sie sagen, Mirabeau wäre nichts ohne seinen Sekretair gewesen, Napoleon nichts ohne seine Marschälle und Dies und Jenes, Goethe nichts ohne 212 Merck! Die hätten Andere gefunden und geschaffen. Genie ist Gottheit, die Menschen macht, auch wenn sie dieselben nur zu finden scheint.

Der Zobten ist doch die Hauptsache, schrie der Chor. Jetzt war ziemlich Alles zu Fuß, und ob das Eigenthum auch die Nacht hindurch grell gewechselt hat, der Sonne Gold tröstet Alle, sie jubeln mit den Lerchen um die Wette.

Sobald man des unscheinbaren Städtchens Zobten ansichtig wird, welches bescheiden am Fusse des Berges liegt, ordnet sich das Heer ein Wenig, die Präsides schieben ihre großen Stiefel an, schnallen die Stürmer auf, ziehen die Schläger aus der Scheide. Wenn der äußerste Zobtener Vorposten dies Flimmern im Sonnenstrahle sieht, setzt er die Lunte auf und brummige Böllerschläge begrüßen die neue Herrschaft, denn Zobten verfällt in voller Rechtswahrheit den neuen Eroberern. Am Thore harrt die Unschuld, die jedoch höchstens zehn Jahre alt seyn darf, in weiß gewaschnen Gewändern mit grünen Guirlanden und empfängt die Sieger – 213 alles übrige Frauenzimmer ist aus der Stadt geflüchtet. Ich muß zugestehn, daß dieser Zug nicht ganz provençalisch ist. Auf dem Markte begrüßt der Herr Bürgermeister die neuen Herren mit einer Rede, und übergiebt ihnen die Stadt, sie wird in einer feierlichen Gegenrede mit Haus und Hof, Familie und Nothdurft angenommen – das neue Regiment beginnt.

Ich brauchte nun Homerischen Schwung und Raum, um Euch Details zu singen von dem Lager bei Troja, und wie sich die Helden reckten und dehnten, wie sie ihre Fechterspiele trieben, wie Thersytes verhöhnt wurde, Ajax brüllte, Odysseus und Diomedes intriguirten bei den Lanzknechttischen, die an den Straßenecken standen, wie die Wechslerbänke im Vorhofe des Salomonischen Tempels. Begleitet mich in das Zelt Agamemnons, in's Hauptquartier der Präsides, welches einem Seifensieder gehörte, und wo die Führer ruhten, und Pläne wälzten in ihren Herzen. Man fühlt sich sicher: zwei trojanische Jünglinge, bartlose Kriegsgefangene, 214 halten Wacht an der Thür, sie sind die Blüthe zobten'scher Jugend, und man hat sie schwarz angestrichen von oben bis unten. Es ist nicht meine Schuld, wenn die Zeitalter ein Wenig durcheinander geworfen werden, Klassisches und Romantisches bunt durcheinander geht: es waren Philologen und Theologen und Neologen im Zelte des Atriden. »Lucifer« hieß der eine Jüngling, »Unsinn« leider der andere. Nach barbarischer alter Weise hatte man ihnen den Gebrauch der Sprache verboten bis auf zwei Redensarten: Unsinn mußte auf alle Anfragen erwidern »Warum denn dieses nicht!« Lucifer aber hatte zu antworten »Salomo sagt: das Weib ist bitter.«

Wenn also Lucifer gefragt wurde von einem vorübergehenden Argiver, ob der göttliche Peleide, der Baron von Achilles zu Hause sei, so mußte er sprechen: Salomo sagt: das Weib ist bitter – und wenn ein leichtsinniger Fant von der lokrischen Grenze zu »Unsinn« trat, und insinuirte ihm die Redensart: Ihr Trojaner aus Zobten seid Gesindel 215 und Euer Braunbier ist, wie man in Schlesien sagt, Jauche, so mußte dieser erwidern: Warum denn dieses nicht. Verfehlten es die Jungen, so wurden sie gestäubt; – ich sag' es ungern und verschweige die Ceremonie. Innen aber im Zelte Agamemnons beim Seifensieder Schmalz ging's lustig her; auf dem Hofe brannte ein großes Feuer, daran wurde ein ganzer Hammel gebraten – Homer würde sagen: ein Schöps – und es erhoben sich voreilig mancherlei Finger nach dem lecker bereiteten Thiere. Die Edlen, welche in gefälligem Negligé um das Feuer ruhten – Waffen und Rüstungen lagen beiseit – pflogen harmlose Reden über die Feier des Sieges, welche bald vor sich gehen sollte, und über die Schulden der Völker, welche noch von früheren Eroberungen in Zobten restirten. Auch tranken sie Gurkauer Lagerbier aus stattlichen Gläsern, und die Zeit verstrich ihnen lieblich; besonders Ajax aus der Gegend von Hundsfeld betheuerte öfter, er befände sich komfortabel. Kam denn auch Kunde von einzelnem Aufruhr und von Entzweiung der 216 Völker, man ließ sich nicht stören, Verklagte und Kläger blieben rasten im Zelt des Atriden, besonders als Madame Schmalz anhub den Schöps zu tranchiren.

Als Helios mit dem flammenhufigen Gespann tiefer hinab geeilt war gegen die sächsische Grenze, begann die eigentliche, solenne Siegesfeier auf offenem Markte, welche genannt wird der Zobtener Kommerce – erzählt es ihr Sterne, wie ihr die Helden noch trinken sahet und hörtet spät am Abende, es zitterten die kleinen Häuser, aber die Herzen der Argiver lachten, und Niemand erkältete sich.

Nacht war's geworden, bleierner Schlaf lag auf vieler Recken Glieder, die sorglos niedergesunken waren, wo ihnen die Mattigkeit das Herz berührt, hell schien der Mond, die Lüfte säuselten weich und lind aufwärts, um den unglücklichen Göttern, welche es gehalten hatten mit Priam's Burg, Kunde zu bringen vom tragischen Ende, nur des olympischen Zeus behagliches Lächeln bebte wollüstig durch die Schöpfung, da ging ich mit einigen Genossen durch 217 das skäische Thor hinaus, an der bekannten Esche vorüber, der Göttervater hatte uns Kraft erhalten, wir wollten den Berg noch besteigen.

Und als wir in den schwarzen Bergwald traten, da wechselten die Zeiten, wie meilenentfernte Vergangenheit lag das Homerische Epos schlafend hinter und unter uns, Landleute, welche sich zu uns gesellten, theilten uns mit, wir lebten in einer christlichen Epoche, und oben in der Kapelle des Berges beginne mit anbrechendem Morgen das Fest des Heiligen, welcher das Zobtener Gebiet beschütze. Wie Nebel fiel es von unsern Augen, wie ein Traum künstlicher Schulzeit – fern aus dem Walde drang das Jodeln einzelner Kameraden wie der unberufene Gesang einer Nachtigall, die sich auf dem Fliederbaume an der Kirche niedergelassen hat, und in die Orgelklänge singt; denn von der andern Seite des Berges trug der parteilose Schall den monotonen Gesang einer Prozession – weiß flog das neue Weltlicht über den Himmel, es ward Morgen. Mitten unter Landleuten befanden wir 218 uns auf der Spitze des Berges, das Riesengebirge in dunklen Massen stieg vor uns auf, und der Tag hob einen Schleier nach dem andern von der mannigfachen Gegend, der hohe Thurm von Schweidnitz enthüllte sich, über die weiten, bunten Felder nach Breslau zu schoß der erste Sonnenstrahl, die Welt dampfte in frischer Morgenfrühe, die Lerchen erhoben sich, und weicher, bittender Kirchengesang stieg neben uns auf. Die bleichen Gesichter, die abenteuerliche Tracht der Genossen gaben das Bild verschollener Barbaren – die Mannigfaltigkeit unsrer Zustände trat vor meine Blicke wie ein Arlequin mit tausend Farben, der beim Tagesschimmer vom Balle kehrt, seinen Mantel verloren hat, und nicht weiß, ob er sich schämen soll vor dem heimziehenden Nachtwächter.

Ich ging seitwärts in den Wald hinein, und kam zu einer grünen Holzblöße, von wo man hinabsehen konnte nach dem Städtchen. Hier saß ein Landmädchen im thauigen Grase, starr sah sie in's Land hinunter, sie wartete auf den Geliebten, welcher 219 sonst regelmäßig zum Kapellenfeste gekommen, aber das letzte Jahr ausgeblieben war. Er wohnte dort am Fusse des Berges, wo die Sonne aufging, sie aber an jener, wo sie unterging.

Wir warteten recht lange; ich sah unten auf der Straße die Studenten in kleinen Trupps langsam heimwärts ziehn, hier und da blieb einer ermattet sitzen – wilde Freude endet schlaff.

Er kommt nicht, sagte sie endlich, die arme Dirne, und ging in den Wald hinein –

Was Alles bewegt die Menschen! und du goldne Sonne, die immer heißer wurde, bist stets dieselbe, bist dieselbe gewesen auf dem Felde von Troja, auf den Schlössern der Provence, auf den Bergen und Feldern Schlesiens, tröste mich, Sonne! 220

 


 


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