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Es war auch zu Pfingsten bei den heimathlichen Saturnalien, wo ich Weisflog zum ersten Male sah. Zeitgenossen werden sich erinnern, daß in den ersten zwanziger Jahren dieser Schriftsteller das Gespräch des Tages war. Houwald und Weisflog erfüllten die schlesischen Leser; wir Gymnasiasten, die wir neben dem Julius Cäsar auch die deutschen Journale lasen, waren sehr stolz auf unsern Landsmann Weisflog, und wir Sprottauer erst recht, denn Weisflog war aus Sagan, und das ist bloß zwei Meilen von uns entfernt, und gilt für noch näher. Es war mir also ein sehr großer Moment, als es hieß, der Phantasie-Weisflog sitze in 181 einer Bude und würfle mit unsern Honoratioren – als Gymnasiast hatte ich ein bestrittenes Recht, mich an die Queue unsrer Noblesse schüchtern anzuschließen, ich wagte mich also zagenden Schrittes in jene Bude. Da saß er leibhaftig, der Mann der Historien und Phantasiestücke, jener Schöpfer »der treuen Seele von Zwickau.« Er war nicht groß, aber lang, so lang wie ein warnender Gedanke. Der Kopf vielfach spitz und klug, alle Linien drängten sich vornhin nach einem Winkel zu. Das dünne Haar lag ruhig und still, und störte die lange Stirn nicht, welche zuweilen zuckte, als führe ein Gedankenlüftchen über sie hin. Spitz und scharf sahen die verlebten Augen auf die Würfel. Es war eine müde Lebhaftigkeit in diesem Auge, es hatte genug gesehen in dieser Welt, nur eine schöne Blume, eine Schüssel Austern, ein Haufe Goldes und ein niederländisch Bild konnten es auffrischen, und wenn er Musik hörte, da sprang er aus den Federn. Als Patrunke, der Stadtmusikus, in der Nähe dieser Bude plötzlich das vaterländische 182 »Radabum« entfesselte, da ward Weisflog's Auge über die Maaßen lebendig, und es erschien ein Zug um seinen Mund, welcher sicherst bezeugte, es sei noch ein reicher Fond ächt humoristischer Laune im Verfasser des »Zwiebelkönigs Eps.« Er fragte leutselig, wie der Stadtpfeifer hieße – Stadtpfeifer, piferari, wurden schnöderweise damals die Kapellmeister der Städte genannt – und der Herr Registrator hielt ein mit dem Wurfe, neigte sich in verbindlicher Weise ein Wenig schief, und ließ sich vernehmen: Die Leute nennen ihn Patrunke, er schreibt sich aber Patrunki, und führt die Klarinette, verehrter Herr Prokonsul – Schnöde Welt, sagte lächelnd Weisflog, und der Herr Registrator lächelte gefälligst mit, obwohl er den Ausdruck nicht verstand – »schnöde« war Weisflog's Lieblingswort, überhaupt ein Lieblingswort des damaligen Humors.
Auch in den Momenten, wo er schnupfte, war immer Laune in Weisflogs Gesicht und Augen; er führte eine lange, spitze Nase, die wie ein alter Malkontenter aussah, welcher Viel erlebt hat; er 183 beruhigte ihn je zuweilen mit Schnupftabak, diesem Sinnbilde pikanter Versprechungen.
Wurde plötzlich eine große Summe im Spiele feil, da fuhren wie Raubvögel die langen magern Finger auf das Geld los, und beschatteten es wie Geier die Beute mit ihren Flügeln: »Das ist mein jeu, werfen Sie zu, Werthgeschätzter, ich halte, ich halte es drei Mal hintereinander.« Ehern, leblos, furchtlos, hoffnungslos ist das Gesicht, wenn der Wurf fällt, keine Freude, kein Leid äußert es, wenn gewonnen oder verloren wird. Die dürren Finger streichen ein, oder zahlen aus, wie Commis, die nichts ahnen von den höheren Eindrücken des Geschäfts. – So saß er da, stets hinter dem Tische an der Wand, ein blauer, langer Rock verhüllte die magere, weitläufige Figur; eine altmodische Busenkrause, die aus einer zufälligen Lücke kuckt – denn er hielt sich immer zugeknöpft – erinnerte an Vergangenheit, Wechsel und Tod.
Der Gymnasiast merkte natürlich damals nichts als Scheu und Respekt, aber die Bilder blieben 184 unangetastet im Gedächtnisse, und wenn wir sie in späterem Alter hervorholen, so sprechen sie plötzlich Alles aus, was früher nur als unsichtbare Gebankenembryonen in ihnen geschlummert hat: es war Alles verlebt an Weisflog, der Geist, das Herz, die Kunst, das Leben; seine Schriften waren nur Gras von seinen Gräbern. Er schrieb erst in den letzten Jahren seines Lebens für die Oeffentlichkeit, da er schon ruinirt war – wie viele Dinge sind erst als Ruinen interessant, Mond und Sonne finden ungehindert Zugang, Musik klingt geweiht und schallend, die Geschichte redet mit.
Seine unheimliche Erscheinung hatte aber etwas dämonisch Anziehendes, wie diese ganze Hoffmannssche Clique von Roués; ich suchte ihn in Sagan auf, als die Leute sagten, er sei mit dem Sterben beschäftigt. Was zischelte und raunte man sich damals alles zu: er könne nicht leben und nicht sterben, die juristischen Streiche eines harten Herzens, die Gewissenlosigkeit eines dissoluten Lebens zerrten ihn umher auf dem Lager. Ich mochte nie dran glauben: 185 einzelne Blicke in ein tief empfindendes Herz überschatteten mir all' das Gerede; aber als er gestorben sein sollte, da war's Spiegelfechterei, da existirte er noch, sein Haus war verschlossen, und Nachts ging ich mit ihm in seinen Garten spaziren, wo er mit den Blumen die wunderlichste Conversation führte. Wenn ihm einmal ein Ausdruck fehlte, so wendete er sich an Eps den Zwiebelkönig, der neben uns hertrippelte. Ich bin zwar überzeugt, daß Eps leichtsinnig war und sehr frei übersetzte, und daß sich daher manche grobe poetische Irrthümer in Weisflog's Sachen schreiben, denn Eps sprach nur einen sehr unkultivirten Dialekt der Blumen, die Sprache der Knollengewächse. Man erkennt diesen Materialismus leicht in Weisflog's Schriften.
Wenn Eps schlafen gegangen war, so begleitete mich Weisflog noch ein Stück auf meinem Heimwege nach Sprottau, und daher kam das Gerücht, der Prokonsul ginge um. Unsere Unterhaltung war vernünftig und bürgerlich; wurde er dabei bürgerlich-tragisch, wenn er seiner Schulden gedachte, so wies 186 ich ihm das im Mondschein schlummernde Städtchen: dieß Sagan ist durch van der Velde und Wallenstein bekannt geworden, hat ein Schloß und eine Fürstin, d. h. eine mediatisirte, die sehr schön gewesen sein, und viel Geist und Geschmack haben soll – man erzählt, sie habe im Freiheitskriege eine Rolle gespielt, und Metternich lebhaft und erfolgreich zugeredet, sich von Napoleon entschieden abzuwenden. Was erzählt man nicht Alles, um einen geschichtlichen Moment zu erklären! Wir haben eine eigene kindische Sucht, alle bedeutenden Dinge auf Intriguen und persönliche Zufälligkeiten herabzubringen, weil diese unsern geselligen Zuständen analog immer eine Rolle dabei spielen.
Uebrigens ist dieß Sagan die Grenzstadt zwischen Schlesien und dem alten Sachsen, der Lausitz, und hatte insofern früher eine Schmuggelbedeutung: die schönsten Westen zur Tanzstunde und zum Pfingstschießen kamen uns von Sagan, der Name des Städtchens war uns bedeutungsvoll. Es liegt da wie ein indianischer Flecken, der Anblick seiner wenig 187 vorragenden Thürmchen ist stumpf und anfänglich, man sieht ihm keine Kultur an, und Weisflog mußte immer lachen, wenn ich's ihm zeigte.
Von Sagan nach Sprottau sind, wie gesagt, nur zwei kleine Meilen, er begleitete mich eine Meile und dann ging ich eben so weit mit ihm, so kam ich oft wieder nach Sagan, und wir hatten Zeit über seine Gläubiger und zukünftigen Pläne zu sprechen. Sterben mußte er in Kurzem, dieß stellte sich fest: seine Schulden wuchsen viel höher als seine Schriften, seine Justizgeschäfte hatten auch die unbequemsten Ranken getrieben, der Körper war ausgehöhlt, es ging nicht so weiter. Er hatte auch gar zu viele poetische Gelüste: heute verschrieb er sich eine Straßburger Gänseleberpastete, morgen die theuersten Blumen aus Harlem oder Brüssel, übermorgen die ersten Austern und zu gleicher Zeit die neueste Partitur aus Mailand. Und was schlimmer als Alles: diese Weinschmecker, Weinsäufer, diese aller molukkischen Erregung Bedürftigen hatten alles Gleichgewicht mit dem sonstigen Leben aufgelös't, 188 sie waren wirklich dissolute Gestalten, der Ueberreiz, der Ekel, und daraus die Langeweile sind von ihnen verbreitet worden, der Genuß in Stößen und einzelnen Rückbewegungen, Verlust aller behaglichen Harmonie, wie sie Göthe zu schaffen wußte, ist von ihnen ausgegangen, so weit dieß von Einzelnen ausgehen konnte.
Wenn ich dieß Weisflog sagte, so begriff er mich nicht, und fand die Jugend mit ihren rigoristischen Anforderungen kindisch, welche das Genie in Alltagsgrenzen schmieden wolle, aber seine Entgegnungen wurden doch kleinlaut, und er meinte am Ende auch, das Beste sei, zu sterben.
Nach seinem Tode reis'ten wir ab, und überließen Eps das Uebrige. Der hat auch Alles ganz charmant gemacht, und die gewöhnliche Leichnamskoketterie, das Begräbniß, auf's Beste gesorgt: unermüdlich ist der Zwiebelkönig den Leuten unter der Nase umhergelaufen, und es ist viel geweint worden von Gläubigern und Gläubigen, wie ausdrücklich im Wochenblättchen stand.
189 Wir reis'ten in's Gebirge. Am letzten Hause von Hermsdorf hielten wir still; dort wohnt Weisflog bei einem böhmischen Musikanten, der jetzt ein schlesischer ist, und kurirt sich durch einfache Lebensart: er trinkt Molken und iß't Brunnenkreße, lies't den Gebirgsboten und die Abendzeitung und läßt sich von seinem Wirthe einfache, alte Volkslieder vorspielen, besonders:
Drei Lilien, drei Lilien,
Die pflanzt' er auf mein Grab,
Da kam ein kühner Reiter
Und riß sie ab. –
Weisflog kam anfänglich sehr herunter, und klagte bitterlich: Es ist gegen meine Natur, äußerte er zu wiederholten Malen, gegen alle Weisflog'sche Natur – ich hab's einmal mit Hoffmann in Warmbrunn versucht. Wir hatten uns einen Diätzettel aufgesetzt, und kasteiten uns den Tag über, wir gingen schmalleibig in der Gallerie auf und ab, und vereinigten uns über ein Trauerspiel mit Musik, das wir komponiren wollten. Das Stück sollte 190 heißen: »Feiner Geschmack und kein Appetit,« die Tendenz war die Unzulänglichkeit des menschlichen Magens bei so großer Verführung einer reichen Natur – ja, das ging den Tag über recht gut, und des Abends noch besser, Abends entschädigten wir uns. Wie gesagt, Brunnenkreße und Molken sind gegen meine Natur. –
Die Zeit überfuhr mein Weisflog'sches Interesse, ich habe mich nicht mehr um ihn kümmern können, von vornherein läßt sich annehmen, daß er doch noch an Brunnenkreße und Lilien gestorben ist. 191