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Es kam der frische, sonnenrothe Morgen, wo ich hinausfuhr über die Donau, und Wien verlassen mußte. Durch Mähren ging die Reise. Czechisch fremdartig sind diese Länder – Mähren und Böhmen sind nämlich im Ganzen ein und derselbe Begriff. Die Leiber der Mähren sind mir etwas fleischiger vorgekommen. Es ist ein fruchtbares, tüchtiges Land, was sich in der Sonne hinaufdehnt an die Sudeten – es hieß einstens »das große Reich« und rang mit den Ungarn; aber die czechischen Völkerschaften haben kein Glück in der Weltgeschichte, sie sind alle untergeordnet worden. So sind vor allen die lang aufgeschossenen Wenden verunglückt: in Illyrien finden sich Spuren von ihnen, 50 Namen wie Windischgrätz künden eine Schädelstätte derselben an, in Sachsen begegnet man noch wendischen Dörfern (dieß ganze Häuflein Namen: Wenden, Sorben, Obotriten, Wilsen, Lusaten, und so fünf Minuten lang), die Geschichte hat sie zerrieben, und die Polen, Mähren und Böhmen haben allein noch Provinzen gerettet. Man wird hierbei an die letzten Helden Coopers erinnert, welche die Delawaren, die Mohikans, die Sious untergehen sehen, – ja die Erde selbst ist ein Hazardspiel.
Es kann nicht leicht vermuthet werden, daß diese czechischen Völker je wieder aufkommen werden, so lebhaft auch Drang und Sehnsucht derselben ist. Bleiern ist die Geschichte ein für allemal auf die Häupter dieser Völkerschaften gefallen.
Der Dialekt dieser czechischen Länder steht bekanntlich dem polnischen äußerst nahe, und das Verständniß mit den Sarmaten ist sehr schnell hergestellt. Ein Anflug von Wildheit ist ihnen geblieben, obwohl sie eine Zeitlang die Avantgarde der Weltgeschichte waren: die Hussiten waren die 51 Jakobiner des 15ten Jahrhunderts, einsame Ruinen auf diesen Harlekinsfilzen sprechen mit zahnlosem Munde von Cziska, die böhmischen Wälder waren allen Romantikern der Sitz unbändiger Menschen, die ungeographischen Franzosen nennen heute noch Zigeuner, Zauberer, fabelhafte Wesen des Bohémiennes, eine gewisse Unsicherheit befängt Einen bei diesem Lande. Wenn wir als fahrende Schüler aus der eingeengten östlichsten Landzunge Deutschlands durch die Berge strichen und bald hier, bald dort stockfremder Sprache, düster blitzenden Augen begegneten, da haben wir uns oft gefürchtet, und dieser Eindruck des Unheimlichen läßt sich nicht mehr verwischen, wenn auch die Völkerschaften nicht dafür können, und ihn vielleicht nur dadurch erzeugten, daß sie uns fremd waren.
In mannichfachen Zweigen greifen sie in einander über, namentlich auf dem Wege durch Oberschlesien nach Polen hinein. Der Name Cziska lebt in den Gegenden von Ratibor und Leobschütz heute noch in mehreren Familien fort; ein wilder, 52 schwarzhaariger Sproß derselben studirte mit uns in Breslau, und sein sehniger Arm, seine schonungslose Klinge machte den blonden Deutschen viel zu schaffen.
Diese zurückgebliebenen, fremdartigen Völkerreste mitten unter breiten Nationalitäten erwecken doch überall ein befremdendes, tragisches Gefühl. Sie erscheinen uns wie vergessen von der ausgleichenden Liebe allgemeiner Weltgeschichte. Aber die Walliser in England, die Waldenser in Piemont scheinen weniger getrennt zu sein, als der Stockczeche in Deutschland. Die haben sich neuerdings in vielfachen Bestrebungen geregt, die specialen Nationalitäten durch Sprache und Literatur geltend zu machen, namentlich hat man in Prag manchen tüchtigen und lobenswerthen Eifer darauf verwendet. Dagegen ist die plumpe Frage aufgeworfen worden, was dieß nützen, wohin es führen solle, man hat die Phantasieen über ein slavisches Gesammtkhalifat dabei in Rede gebracht, man hat viel gefaselt. Leicht möglich, daß die Völker des Ostens noch 53 eine große Zukunft haben, leicht möglich, daß sie noch einmal in unsere blasirte Kultur und Gesundheit hineinreiten wie einst die Horden der Völkerwanderung in die römische – die Bestrebungen der Philoczechen und Grammatiker in Prag werden dazu kein Moment bilden, die lasse man doch im Sinne einer konservirenden Bildung ihre kleinen Denkmäler sammeln. Wozu die Fragen unnütz auf die Spitze stellen, ob eine solche halbtodte Nationalität völlig getödtet werden solle oder nicht, weil solche zukunftslose Bestrebungen nur Anderes hemmten, und die aufgeweckte Literatur dieser Sprache keine Ausbeute gewähren könnte! Jedes ernste Streben weckt in der Geschichte, wenn auch nicht immer das Beabsichtigte, in jeder Sprache liegen eigenthümliche Civilisationselemente, wie in jedem Individuum, nur der Vandalismus tödtet, um zu vereinfachen – folgt nicht vorschnell dem radikalen Glauben, die Sprachen müßten auf wenige allgemeine reduzirt werden. Taugt er etwas, so wird er sich nach erschöpfter Ausbeute ohne direktes 54 Zuthun erfüllen. Nationalitäten pronirt heutiges Tags nur die Beschränktheit; aber auch nur die Allgemeinheitshast übereilt die Abschaffung derselben.
Sollte man mich in Folge dieses Passus zum korrespondirenden Mitgliede solch einer czechischen Sprachgesellschaft erwählen, so könnte sich ein Unglück ereignen.
Prag ist ihr Stolz, ihr heiliges Mekka. Es war gegen Abend, als ich dort ankam, ein regnerischer Nebel hing über der Bergstadt, über den stolzen Schlössern, wo die prächtigen Ottokare, die nüchtern-wilden Hussiten gehaus't haben, und, da der Regen in Strömen herunterfiel, mußte ich eingesperrt im Zimmer bleiben.
Das ist ein passender Zeitpunkt, um über die närrische Gesellschaft und ihre Folgen aufzuklären. 55