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Es war eine Berghalde. Viel Wurzelstöcke dorrten darauf, und roter Fingerhut wuchs über Steingeröll, und die Sonne brannte um Mittag. Am Waldrand grünte die Buche mit breiten Ästen; nur wenige Strahlen drangen hindurch, die fielen auf den ausgespannten Schirm, der am Boden stand.
Auf dem untersten Ast lag die goldäugige Elfe, angeschmiegt mit weißen Armen, und ärgerte sich. Denn sie konnte nicht sehen, was unter dem Schirm war; es mußte aber jemand darunter sein, weil sie ein paar Stiefel erblickte, die hinter dem Schirm hervorragten, und Stiefel laufen nicht allein im Walde herum. Als nun alles ganz still blieb, da meinte sie, er schliefe. Und sie beugte sich weit herab und hob leise den Rand des Schirmes und schaute dahinter. Er schlief aber nicht, sondern sah gerade über sich mit großen Augen in seinen eigenen, weiten, blitzblauen Welthimmel, denn den führte er immer bei sich und konnte ihn aufspannen, wo er wollte; das war sein Schirm.
Es wunderte ihn gar nicht, daß er jetzt der Elfe in die Goldaugen blickte. Sie aber war ein wenig überrascht und sagte:
»Ich bitte um Entschuldigung, ich wollte nur sehen, ob es der Schatzgräber sei, der hier schlafe.«
»Ich glaube nicht«, antwortete er.
»Es ist mir auch lieber so«, sagte sie.
»Das ist sehr freundlich, schöne Elfe. Aber darf ich vielleicht fragen, warum du den Schatzgräber suchtest?«
»Ich suchte ihn eigentlich nicht, ich wollte nur sehen, ob er noch immer so dumm ist. Aber willst du den Schirm nicht fortnehmen?«
»Vorläufig noch nicht. Ich bin nämlich etwas empfindlich gegen goldne Augen, und wenn du erlaubst, lasse ich den Schirm noch gespannt, bis ich weiß, was es mit dem Schatzgräber auf sich hat.«
Die Elfe lachte und setzte sich auf den Ast.
»Das ist sehr einfach«, sprach sie, »du wirst gleich sehen, daß dir die Goldaugen nicht auf den Kopf fallen werden. Und wenn sie einer haben will, so mach' ich's wie mit dem Schatzgräber.«
»Und das wäre?«
»Ich will es doch lieber nicht sagen.«
»Das kannst du halten wie du willst, schöne Elfe, denn ich glaube dir doch kein Wort.«
»Warum nicht?«
»Weil ich nicht so dumm bin.«
»So nimm den Schirm fort.«
»Erst sprich!«
»Ehe er Schatzgräber wurde«, sagte die Elfe, »lag er hier unter dem Baum und bat mich herabzukommen, ich hatte aber keine Lust. Nun wollte er wissen, was er tun müsse, damit ich ihm folge. Da sagte ich: Jeden Abend, ehe ich schlafen gehe, lege ich meine Augen in den großen eisernen Kasten, der auf der Halde tief unter dem roten Fingerhut vergraben ist. Wenn er sie herausgrübe, bis die Sonne aufgeht, so würde er meine Augen haben, und dann müßte ich die Seine werden. Da kam er nun und grub und hackte die ganze Nacht, und mit unsäglicher Mühe hob er die Kiste herauf im Dämmerlicht und brach sie auf. Und als er sie aufgebrochen hatte, war sie – leer. Er wurde sehr bös und lief unter die Buche und schalt mich. Ich sagte aber, er müsse Geduld haben, er solle nur die Kiste am Tage wieder eingraben, dann werde es schon gelingen. Nun gräbt er im Sonnenbrand die leere Kiste wieder ein, und in der Nacht gräbt er sie wieder aus, und immer ist sie leer. Und das treibt er unermüdlich. Ist es nicht rührend, wie treu er mir dient?«
»Warum ist sie leer?« fragte der mit dem Schirme.
»Warum? Nun, weil ich die Augen gar nicht hineintue.«
»Ei, dann bist du ja aber eine ganz tückische Lügnerin.«
»O pfui«, sagte die Elfe, »wie kannst du so reden? Ich kann sie ja nicht hineintun, das müßte sich der Schatzgräber doch selbst denken. Ich habe ja gar keine goldnen Augen.«
Da nahm der Mann unter dem Baume den Schirm fort und blickte in die Höhe, und die Goldaugen der Elfe blitzen ihm entgegen, und ihre Arme streckten sich aus, und er wollte aufspringen. Aber zum Glück stieß er an den Schirm, und der Schirm schob sich wieder dazwischen. Da warf er sich gemächlich hin und sagte:
»Nun kenn' ich dich, schöne Elfe, und wenn du mich wieder ansehen willst, so mußt du unter meinen Schirm kommen.«
»Ich werde mich hüten«, rief die Elfe schmollend. »Warum willst du den dummen Schirm nicht fortnehmen? Die Sonne scheint ja gar nicht mehr.«
»Er ist auch gut gegen den Regen. Es ist ein Schirm für alle Fälle, und es ist ein großer, weiter, herrlicher Himmel darunter. Wenn du herabkommst, so darfst du ihn sehen.«
»Aber es regnet gar nicht. Sag' mir bloß, warum du den Schirm brauchst?«
»So lange ich den Schirm habe, hab' ich die Welt für mich, und alles gehört mir, und niemand kann mich stören. Aber wenn ich ihn nicht hätte – Doch höre, ich will dir eine Geschichte erzählen.
Es war einmal ein Mann, der hatte seinen Schirm stehen lassen. Und als er nun ausging, um nachzusehen, ob die Welt bald fertig wäre, da nahm er in der Zerstreutheit sein Herz in die Hand. Das schadete ihm nichts und tat ihm wohl, so lange die Sonne schien.
Es kam aber eine Wolke und dann noch eine, und da sie nichts Besseres zu tun wußten, so regneten sie eine Weile und gaben auch noch ein Stündchen zu. Da hielt der Mann sein Herz über den Kopf, und das Herz wurde weich, pflaumenweich.«
»Der Mann scheint mir noch dümmer als der Schatzgräber«, sagte die Elfe.
»Das war er, doch höre nur weiter.; –
Im Bache spielten die Goldfische, und als der Mann am Ufer hinwandelte, tat es ihm leid, daß die armen Goldfische so naß werden sollten vom Regen. Darum hielt er sein Herz über sie, damit ihnen nicht die Farbe abginge; denn er wußte nicht, ob sie echt sei.
So wurde das Herz noch weicher, windelweich, und man konnte es auswinden.
Das tat denn auch der Mann, und als der Regen aufgehört hatte, wollte er's zum Trocknen aufhängen. Schwierig war das nicht, weil das Herz ein Loch hatte; ohne dieses wäre es gar nicht so durchregnet. Dafür blieb es aber auch leicht hängen. Er mußte nur etwas haben, woran er sein Herz hängen konnte.
Während er so am Bache suchend hinschritt, sah er zwei Bäume stehen, die grünten und blühten, daß es eine Pracht war; das heißt, der eine grünte mehr und der andre blühte mehr, aber eine Pracht war es nun einmal, das meinte der Mann auch.
Und der eine Baum, an welchem die vielen grünen Blätter waren, winkte mit seinen Zweigen, er möge sein Herz daran hängen, damit es wieder fest und fröhlich werde. Dabei wuchsen die Zweige immer höher und ordneten sich oben zu schönen Kränzen. Goldne Schleifen flatterten daran, und die Sonne glänzte darauf mit ihren Strahlen, als wenn tausend selbstleuchtende Sterne auf dem Baume Verstecken spielten. In ihrem gegenseitigen Schimmer schienen sie heller und herrlicher, und lockender neigten sich die Kränze.
Die Vögel flogen herbei und sangen, daß dies der gepriesenste Baum der Welt sei; denn er stehe frei und groß im ewigen Äther, und keine Krone dauerte so lange wie seine Kränze. Und eine alte Eule schlug ein Rad mit den Augen und meinte, er sei allerdings ein großartiger Baum; selbst der Mond habe gesagt, daß nichts darüber ginge als die Purzelbäume, welche die Kometen um die Sonne schlagen.
Da hing der Mann sein Herz an den Baum.
Die Zweige bewegten sich und hoben es allmählich höher zwischen die Kränze und die goldenen Schleifen.
Klar funkelte das Herz in den Sonnenstrahlen, aber fest wollte es nicht werden. Wenn es an einen Kranz gekommen war und sich hineingesetzt hatte, da räusperte sich die Eule und sagte, von der Rückseite würde es sich noch schöner machen. Und wenn nun das Herz sich umdrehte, so schwankte der Kranz und es fiel wieder herab auf einen tieferen Zweig.
Das ging so eine Weile und das Herz begann schließlich zu trocknen.
Auf dem andern Baume aber, welcher eigentlich ein Strauch war, blühten rote, weiße und gelbe Rosen; sie blickten schmachtend und glühend mit süßen Frauenaugen hinauf in den Baum des Glanzes, und ihre Düfte zogen durch seine Zweige wie Frühlingsodem. Und eine junge Teerose enthüllte ihre feinen blaßgelben Blätter und sah tief hinein in das Herz des Mannes, gerade wo es die Lücke hatte. Da mußte auch das Herz hinabblicken in den Kelch der Rose, als es eben wieder eine Stufe emporsteigen sollte. Und weil es nicht aufpaßte, so verfehlte es den Zweig und fiel in den Bach.
Da war es nun gründlich naß geworden.
Der Mann zog die Stiefel aus, watete in den Bach und fischte sein Herz auf. Und nun hing er sein Herz an den Rosenstrauch.
Er hing es an die Teerose; aber ihre Blätter fielen ab, und die Rose welkte unter der Last.
Das Herz glitt vom kahlen Stengel in den offenen Kelch einer dunkelroten Blüte, und das rote Herz und die rote Rose glühten zusammen im Sonnenschein.
›Halte mich‹, sprach das Herz, ›daß ich mich wärmen kann im Glutstrom, der aus deinem purpurnen Kelche widerstrahlt.‹
Die Rose freute sich des Schmuckes und freute sich des goldenen Schimmers, der vom Baume des Glanzes herüberleuchtete auf das pochende Herz. Und sie meinte, daß ihr das Herz gut stehe; und um noch besser zu sehen, wie schön sie sei mit diesem neuen Schmucke, beugte sie tief sich hinab zum Wasser des Bachs, um sich und ihr Glück zu bespiegeln.
›Es paßt zu mir in der Farbe‹, sagte die Rose, ›und so etwas hat doch keine von den andern.‹ Und damit bückte sie sich so tief auf den Spiegel, daß das Herz wieder durch und durch naß wurde.
›Halte mich‹, rief das Herz, ›denn das Wasser kann ich nicht vertragen.«
Da hob sich die Rose in die Höhe und jubelte, daß das Herz noch fest hing. Wieder erglühte es in goldenem Lichte und klammerte sich an die Rose. Ein süßer Klang ertönte aus dem Herzen, daß die andern meinten, eine Nachtigall sänge unter ihnen ein frühes Lied, und alle wandten die schönen Blumenaugen nach der beneideten Nachbarin.
Die Rose aber dachte: Es ist doch etwas Prächtiges, ein Menschenherz zu besitzen, und besonders, weil Rot mich so gut kleidet. Es ist ja ein Unsinn, daß ihm das Wasser schaden soll; so ein Herz bildet sich immer etwas ein. Aber ich bin doch eben dazu da, daß Rot mir gut steht, und wenn nun einmal das Herz an mir hängt, warum soll mich nicht freuen, wie ich aussehe? Hab' ich ihm den Platz angeboten? Hab' ich Pflichten? Hab' ich Rücksichten zu nehmen? Es fällt mir gar nicht ein, mich tyrannisieren zu lassen! Wozu sind denn die Herzen, wenn nicht für die Rosen? Ich will mich noch einmal im Bache spiegeln.
Die Rose neigte sich wieder hinab zum Wasser, tiefer und tiefer, und deutlich zeigte ihr der Spiegel das leuchtende Herz, wie es sich angstvoll und bebend an sie klammerte. Denn es konnte nicht anders.
Und immer tiefer beugte sie sich abwärts, bis das Herz ganz in das Wasser tauchte.
Da rissen es die Wellen von der Rose, es trieb dahin im Bache – die Rose schnellte von der Last entledigt in die Höhe, die Tropfen spritzten um sie in bunten Lichtern. Die Sonne ging unter, und die Rose schlief ein und wußte nicht, daß sie die Nachtigall nimmer wieder hören würde.
Der Mann aber tappte im Dunkeln nach seinem Herzen, und als er es glücklich gefunden zwischen einem Krebs und einer Kröte, da wischte er es säuberlich ab, trat auf die Wiese, wo die Elfen im Mondschein zu tanzen begannen, und blickte hinauf zu den Sternen, die höher waren als alle Bäume.
Da nahm er sein Herz und warf es in die Luft.
Und das Herz bekam Flügel und flog empor, höher und höher.
Der Mann aber ging zurück zur Stadt und kaufte sich einen neuen Schirm; er tat ein Gelübde, diesen neuen, festen Schirm nie wieder zu vergessen. Und das wird er auch halten.«
Als der Mann unter dem Schirme schwieg, sagte die Elfe langsam: »Und das Herz, wo kam es hin?«
»Man weiß es nicht«, antwortete der Mann.
»Um so besser«, rief die Elfe und klatschte in die Hände. »Nun bist du mir recht; jetzt passen wir zusammen! Ich komme!«
Und sie sprang vom Baum, schlüpfte unter den Schirm und küßte ihn.