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Auf dem alten Judenfriedhof in Paderborn.
Frau Schüler; Arthur Aronymus; zwei Gärtner, ein jüdischer und ein christlicher.
Arthur Aronymus kommt an der Hand der Mutter an die kleine Pforte des Friedhofs; es schneit; es ist Anfang Januar.
Mutter: Nun sei recht brav, mein Kind (sie zeigt zum Himmel), damit sich dein liebes Großväterlein freut über dich.
Arthur Aronymus: Ist er denn da oben im Himmel?
Mutter: Das will ich meinen; ein Engel hat ihm Geleit gegeben.
Arthur Aronymus: Ach, Großväterlein lachte so, als ich und Lenchen auf seinem Perser Purzelbäume schlugen. Der Ephraim kämmte morgens seine Fransen. (Er sieht, wie seine Mutter weint. Ein Kuckuck schlägt.) Hör mal, Mutter! (Er zählt): Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben! (Im Ton der westfälischen Bauern): Genau so alt wie eck wurd der Groatvatter, schönet Alter! Wat, Modder!?
Mutter (sie muß lachen): Strick! Manchmal glaubte man wirklich, dein liebes Großväterlein war so alt wie der Strick da. (Ermahnend) Aber dann dünkte es mich, er sei gottalt.
Arthur Aronymus: Weil er soviel vom lieben Gott erzählte?
Mutter: Auch darum, mein Kind, aber auch, weil er leuchtete und ewigen Frieden verbreitete – und – wer ihn anblickte, ward getröstet.
Arthur Aronymus (im selben traurigen Ton): Allerwegen.
Mutter (biegt in eine Reihe der Grabsteine ein; sie lächelt): Und du mußt ein guter Mensch bleiben, mein Kind, schon Großväterlein zur Ehre.
Arthur Aronymus macht auf einmal einige Sprünge.
Mutter (erschreckt): Aber Junge, du wolltest doch brav sein?
Arthur Aronymus: Weil du ömmer so hülst, Modder.
Mutter (bleibt stehen vor einem Grab, auf dessen Stein senkrecht zwei betende Hände graviert sind und die Inschrift ihres Vaters): Dort liegt unser geliebtes, unvergeßliches Großväterlein, (betont) der berühmte Rabbuni von Rheinland und Westfalen, mein Kind. (Sie sinnt vertieft, hebt dann Arthur Aronymus etwas höher.) Nun hol deine Steinchen aus deinem Perlentäschchen und lege sie kunstgerecht, wie du deine Bauklötze legst, eines neben dem andern und über dem andern auf die große Steintafel.
Arthur Aronymus: Und diesen Stein mit Erz in die Mitte. (Er macht das ganz kunstgerecht.) Mutter, warum sollte ich die Steine auf die Gedenktafel legen? Caspar bringt immer seinem Vatter eenen ollen Kranz aus Strohblumen am Sonntag.
Mutter: Das will ich dir erklären, wenn du einmal älter bist, mein Kind, dann wollen wir Großväterlein (sie legt ebenfalls Steine, und zwar über Arthur Aronymus' Steine, viel ungeschickter wie er, auf den Denkstein. Arthur Aronymus sinnt kopfschüttelnd, wie untalentiert die Mutter das macht) – bis in den Himmel hoch eine Wohnung bauen. Jedenfalls, mein kleiner Arthur Aronymus, dieses war dein erster ernster Bau, mein Junge.
Arthur Aronymus: Du sprichst jetzt verdeck, Mutter, wie Großpapalein Rabbi.
Mutter: Nun falte deine Hände und bete. (Er legt die Hände, wie sie auf den Grabstein eingemeißelt sind, und will sein Abendgebet sprechen. Aber er fängt auf einmal an zu weinen, so daß die Mutter beginnt zu beten. Man hört sie nicht. Ihren Arm legt sie um Arthur Aronymus. Sie stehen beide sehr bewegt und still vor dem Grabe. Von einem Seitenweg tönen Stimmen herüber. Die Mutter trocknet Arthur Aronymus' nasses Gesichtchen.) Nun, mein Liebling, wollen wir wieder zum Ephraim gehen, in Großpapaleins kleines Haus. In seiner Stube zündet bald der gute Ephraim die Sabbathkerzen an.
Sie schreiten den stillen Weg entlang, vernehmend die Stimmen der beiden Männer, die dabei sind, die Stämme der Bäume vor dem Winterfrost zu verbinden.
Jüdischer Gärtner: Sagen Sie's noch einmal, wenn Sie Mut haben. – Nun, wird 's bald!
Christlicher Gärtner: Ich meinte man doch bloß so – aber wenn Se's durchaus nochmal hören wollen, so wiederhole ich 's haarklein. Ich habe gesagt: So kommt man herunter, daß man schließlich die Hälse der Judenbäume hinter den Judengräbern einwickelt.
Jüdischer Gärtner: So, ich wollte es nur nochmal hören.
Christlicher Gärtner: Klagen Se mer dreist an, bei Ihrer semitischen Kanzlei, schad nur, (lauernd) daß nicht auch die jüdischen Brüders von die Hexen verbrannt werden.
Jüdischer Gärtner: Meine Mutter, hochselig, liegt hier begraben – aber bald kann ich mich nicht mehr beherrschen.
Christlicher Gärtner: Komm' Se doch mal an mich heran, Sie feiger Jud!
Jüdischer Gärtner ist im Begriff, sich auf ihn zu stürzen.
Mutter (zu Arthur Aronymus): Rühr dich nicht vom Fleck. (Zu den Männern gewandt) Aber Männer, hier im heiligen Garten –
Christlicher Gärtner: Er fängt immer an, mir zu kuinieren.
Jüdischer Gärtner (keucht): Er hat gesagt –
Mutter: Ja, ja, ich habe es gehört, was er gesagt hat. (Zu dem christlichen Gärtner gewandt) Arbeite er doch fürder auf einem seiner Kirchhöfe, wenn er sogar nach dem Tode des Menschen nicht die Liebe hochhält.
Christlicher Gärtner: Auf unserem Kirchhof? Das lohnt sich nicht, Madame. Die Juden zahlen weit besser.
Jüdischer Gärtner: Dafür sin wir gut.
Mutter: Aber wissen Sie denn nicht, Mann, daß über uns ein und derselbe Herrgott wohnt?
Arthur Aronymus (will seine Mutter, für sie beängstigt, von den Männern fortziehen): Mutter, die Lichter werden angezündet, gewiß schon.
Jüdischer Gärtner: Ist doch noch hell, Junge.
Arthur Aronymus: Präzise – –
Christlicher Gärtner (wieder zuvorkommend): Erst etwa vier Uhr, junges Herrchen.
Arthur Aronymus: Mutter, gleich haut er dich.
Mutter (zum jüdischen Gärtner): Wie lange arbeitet Ihr Kollege schon auf unserem Friedhof?
Jüdischer Gärtner: Seit dem auferstandenen Aberglauben. Aus Zuvorkommenheit stellt man jetzt auch Christen auf diesem heiligen Posten an.
Christlicher Gärtner: Eck kann doch verdeck nicht dafür, daß se wiederum Jagd auf eure Hexen machen. Meine Großmutter, die Mutter von meinem Vater, war doch selber Kantor gewesen.
Mutter: Soo? Sie sind vom Vater her ein Jude? Und schämen sich nicht, Mann? So auf eigenes Blut loszugehen?
Jüdischer Gärtner: Du heilige Drehorgel!
Christlicher Gärtner: Na siehste, da wären wir wieder ins Reine. Wenn man christlich ist, auch nur zur Hälfte, denkt man sich garnichts dabei.
Mutter: Nun versöhnt euch wieder, denn wir sind doch alle Gottes Kinder.
Christlicher Gärtner (reicht dem jüdischen Gärtner die Hand): Schlag ein. (Der jüdische Gärtner zögert.) Seh'n Se, Madame, er weiß nix von de Nächstenliebe.
Mutter (ermuntert den jüdischen Gärtner, einzuschlagen. Sie nimmt aus dem kleinen Perlentäschchen, das Arthur Aronymus an der Seite trägt, einen Dukaten und sagt): Erfrischt euch gemeinsam im Angedenken des heiligen Rabbuni Uriel, dessen Leib hier in der geweihten Erde ruht.
Jüdischer Gärtner: Excüs, excüs, Madame Schüler. Nun erkenn ich Madame, das Fräulein Rabbuni, wieder, des hochwürdigen Rabbi Uriels Henriettchen. Er küßt die Volants des Überwurfes der Frau Schüler. In der Zeit bricht der christliche Gärtner ein kleines Zweiglein vom Lebensbäumchen ab und heftet es dem kleinen Arthur Aronymus an die Mütze.
Jüdischer Gärtner (murmelt vor sich hin): Sein Herz war ein Krug aus Erz. Darein goß der Allmächtige seinen Willen.
Es beginnt zu dämmern, die Männer stellen ihre Spaten an die Stämme der Bäume und wandern hinter Frau Schüler und Arthur Aronymus aus dem frommen Garten. Man hört hinter ihnen nur mit einem dunklen Schall das Tor ins Schloß fallen. Ein Stern geht auf und leuchtet gerade über des Rabbunis Hügel.