Paul Langenscheidt
Blondes Gift
Paul Langenscheidt

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Von diesem Tage an verschwand Rolf so gut wie ganz; er hauste in seiner Kammer neben der Küche, in engem Zusammensein mit Frau Roller, die noch immer unermüdlich geheimnisvolle Pläne gegen Mandi, ihren gemeinsamen Feind, schmiedete. Sie war jetzt nicht mehr so dafür, wie an jenem ersten Abend bei Rolfs Rückkehr, Gewalt gegen Mandi zu brauchen; die stumme Teilnahme, die Rolf anscheinend ihrem magischen Wissen zollte, hatte ihr eigenes Vertrauen zu der schwarzen Kunst ungemein gesteigert, und jeden Abend schlug sie von neuem das »Orientalische Zauberbuch« auf, auf dessen Titelblatt die Verheißung stand: In welchem Hause solch Büchlein liegt, mag kein Wetter schlagen, auch kein unrecht Feuer auskommen; wer solches bei sich hat, der ist behüt' vor Mäusen, Würmern und Vergiftung, kann in keinem Wasser ertrinken, in keinem Feuer verderben; wer es nur ansieht, dem kann an diesem Tage kein Leid widerfahren.«

Dieses Buch, das bereits bei Lonis Entbindung seine Wirkung bewiesen hatte, war schon so gründlich zerlesen, daß kaum noch die einzelnen Blätter zusammenhielten; aber allabendlich wandte Frau Roller Seite für Seite vorsichtig mit der Stricknadel um, immer wieder erwägend, welches Mittel wohl das unfehlbarste sei, um den Liebeszauber, dem Loni sichtlich verfallen war, zu brechen und diesem Schurken von Mandi alle nur denkbaren Plagen an den Hals zu hexen.

»Der Mensch hat zusammengewachsene Augenbrauen«, murmelte sie, »das deutet auf bösen Blick. Da muß man ausspucken, so oft man ihn sieht. Ich hab' dem Kerl schon Wasser mit abgeschabten Fingernägeln in die Karaffe getan; aber der Schuft trinkt ja nur Wein . . .«

Rolf war mit seinen Gedanken weit ab von dem Geschwätz der Frau; denn stärker und stärker wirkte in seiner Einsamkeit der Zauber Lonis auf ihn ein, und in seiner wachsenden Auflehnung gegen das unerträgliche Gefühl, von ihr getäuscht zu sein, belog er sich selbst. Mit immer neuen Gründen suchte er Mutter Rollers Bericht in sich zu erschüttern, bis er der Frau kein einziges Wort mehr glaubte. Warum hatte sie ihm, dem kaum in die Freiheit Zurückgekehrten, dem seelisch noch schwer Erschütterten in unglaublicher Roheit die Keulenschläge ihrer Schauermären versetzt? Ihm hatte sie damit keinen Dienst getan und Loni noch viel weniger. Nur ihrem eigenen Interesse hatte sie dienen wollen. Wer diese schwatzhafte, vom Aberglauben beherrschte, auf ihren Vorteil bedachte Frau kannte, der mußte ihr doch mit größter Vorsicht begegnen; und die sichtliche Undankbarkeit, die sie mit ihren Verdächtigungen gegen Loni bewiesen, zeigte sie schon im richtigen Lichte. Nichts als rächen wollte sie sich; rächen an Mandi, der ihr den Stuhl vor die Tür gesetzt, rächen an Loni, die nicht den Mut gehabt, für ihre Pflegemutter einzutreten. Und dazu war ihr jedes Mittel recht. Ein Werkzeug ihrer eigenen, selbstsüchtigen Pläne hatte sie in ihm gesucht! Er, Rolf, war ja ihre letzte Hoffnung; und je mehr sie ihm in den Ohren lag, je geschickter sie ihn aufzuhetzen verstand, desto reicher blühte ihr eigener Weizen. Wie sich das abspielte, wie das endete, ob Rolf in diesem Kampfe erlag, das konnte ihr gleich sein, wenn nur der andere mit auf der Strecke blieb. Und allmählich verblaßten die Eindrücke jenes schrecklichen Abends, scheuchte Rolf die Erinnerung an Mutter Rollers Räubergeschichten, dieses Gewebe von Entstellungen und Lügen weit von sich fort. Es war ihm selbst jetzt recht, daß die Frau gehn mußte, sie war ihm verleidet. Je höher aber die heimliche Abneigung gegen sie in ihm wuchs, desto reiner und fleckenloser trat Lonis Gestalt wieder vor sein Auge, desto inniger umkleidete er sie mit all dem Liebreiz, der ihm von jeher das Herz umstrickt, wie gläubige Hände das Bild der Heiligen Jungfrau umkränzen. Und immer lauter sang und klang in ihm das Wort, das sie ihm gegeben, die Hoffnung auf die langentbehrte, heißersehnte Stunde des Glücks. Wie Jakob um Rahel sieben Jahre geworben, so wollte auch er geduldig der Stunde harren, die sein Vertrauen mit unsäglichen Wonnen lohnte!

Aber leichter ist es, unbekannten, nur geahnten Freuden entgegenzusehn, als im Verschmachten nach dem Trunk zu lechzen, der einst, in frohen Tagen, unsere Lippen oft gekühlt. Gerade die Hoffnung schuf ihm unerträgliche Qual, die stete und doch unerreichbare Nähe Lonis wurde ihm zur Folter. Seine Phantasie zauberte ihm alte, fast vergessene Bilder vor, die nach und nach ihn nicht mehr losließen, die ganz von ihm Besitz nahmen; wie ein schleichendes Fieber durchglühten sie ihn, zogen sie in ununterbrochener Kette, mit erbarmungsloser Schärfe an ihm vorüber. Er wehrte sich gegen das Gift in seinen Adern, – umsonst! Wieder lag Loni nackt auf ihrem Lager, in Selbstbewunderung versunken, saß sie am Rande des Bettes und zog den langen, seidenen Strumpf über den zierlichen Fuß; im duftenden Bade ließ sie die starren Brüste vom Wasser umschmeicheln, schritt sie hochgereckt, gertenschlank, in unbewußter Schamlosigkeit durch den Garten. Von Tag zu Tag wurde Rolf blasser, elender; und mit der Qual des Wartens, des Entsagens erwachte von neuem der Haß gegen den Mann, der dort neben ihr lebte, vor dessen Blick sie bebte, der sie zu allem zu zwingen vermochte.

Zu allem? Trotz ihres feierlichen Schwurs zu allem?

Allmählich begann er zu horchen, zu spionieren. Sobald sie abends ausgegangen waren – und sie taten es täglich –, lag er schlaflos, bis der Morgen graute und der Schlüssel in der Korridortür knirschte. Dann kroch er wie ein Jäger, der das Wild beschleicht, bis an seine Kammertür und lauschte, was sie sagten und taten; schloß sich das Wohnzimmer hinter ihnen, so eilte er zurück, fuhr notdürftig in die Kleider und drückte das Ohr an das Schlüsselloch, um zu horchen, was dort drinnen geschah. Hörte er Mandi kurz, befehlend reden, so blieb ihm fast das Herz stehn; antwortete sie mit dem schmeichelnden Klang ihrer Stimme, so stieg es wie ein Krampf in ihm auf. Und in dieser beständigen, nervenaufpeitschenden Marter begann er fast zu ersehnen, wovor er doch zitterte, woran zu denken ihm schon den kalten Schweiß auf die Stirn trieb, nur um ein Ende des unaufhörlichen Schreckens zu erleben.

In der achten Nacht nach seiner Heimkehr hörte er sie später als sonst zurückkehren; dann drang aus dem Wohnzimmer ein perlendes, übermütiges Lachen, das er nur allzu gut kannte, hin und wieder durch ein halb abwehrendes, halb zärtliches: »Georges!« unterbrochen. Sie hatte offenbar mehr getrunken als sonst. Dann schien in immer leiserem Hin und Her ein Streit zwischen ihnen zu entstehn, bis sie in Lonis Schlafzimmer gingen und Mandi sich ohne Gutenacht in das seine begab.

Regungslos kauerte Rolf hinter der Schwelle des Wohnzimmers auf den harten Dielen. Und mit einmal, ohne entscheidenden Grund, legte es sich ihm wie Eisenklammern um die Brust, wußte er, was ihm bevorstand. Lautlos erhob er sich, schlich er in das Zimmer hinein, an die Tür, die in Lonis Schlafgemach führte. Noch niemals hatte er sich so weit vorgewagt. Die Knie zitterten ihm. Wohl eine Viertelstunde lang horchte er angestrengt, an den Pfosten geklammert. Er hörte, wie Loni sich drinnen auszog, wie sie Mandis Lieblings-Chanson trällerte:

Mariette,
Ma p'tit Mariette,
J't'offre mon cœur et ma galette . . .

Vergebens suchte er durch das Schlüsselloch zu spähen, es war schon von innen verdeckt; nur der Schein der elektrischen Bettlampe lag wie ein Sonnenstrahl auf der Schwelle. Und nun . . . Eisig lief es ihm den Rücken entlang: Ein kurzes Knarren dort drüben an der Mitteltür . . . Dann ihre zagende Stimme, flüsternd, bittend, kosend, ein herrisches »Go on!«, Sekunden, die wie geschmolzenes Blei in das Herz des Lauschers tropften . . . Jetzt . . . Wie von der Kugel getroffen, schnellte Rolf zurück, griff er umsonst nach einem Halt, brach er lautlos zusammen.

Als er zur Besinnung kam, war alles still. Er fühlte sich zu schwach, um sich aufzurichten; auf Händen und Füßen kroch er in seine Kammer zurück. Und dort warf er sich auf sein Lager, stopfte er sich das Kissen in den Mund, um sein verzweifeltes Schreien zu unterdrücken.

Stundenlang lag er so, bald vor Kälte zitternd, bald in Schweiß gebadet. Unablässig, wie ein glühender Nagel, bohrte sich seine Schande ihm in das Hirn; er mußte diesem Höllenschmerz ein Ende machen, oder er wurde wahnsinnig.

Und sprunghaft, eisern stand plötzlich der Entschluß in ihm fest: Er wollte sie töten!

Sie, nicht ihn! O nein, des Hochgefühls wollte er sich nicht berauben, dem anderen gegenüber, der ihm die Beute schon aus den Händen gerissen zu haben glaubte, der Stärkere zu bleiben. Frohlockend wollte er ihm nach vollbrachter Tat in seine Fratze lachen, der Sieger dem Besiegten!

Sein Weib wollte er töten! Ein Entschluß, geboren aus der niederschmetternden Erkenntnis dieser Nacht, daß er sein ganzes Leben, Namen und Ehre einem Trugbild geopfert. Taub gegen jede Warnung, mit blinden Augen hatte er sich an ein Idol geklammert, das nur in seinem törichten Herzen gelebt. Jetzt endlich wußte er, wie recht Frau Roller, wie recht Mandi gehabt, wußte er, daß Loni ihn nie geliebt. Ein kurzes Wort, wie ein Pfiff, und sie hatte sich jenem hingeworfen, im brünstigen Schauer des Ehebruchs. Warum hatte sie nicht geschrien, sich bis zur Erschöpfung gewehrt, wie sie es kürzlich erst ihm, dem Gatten, angetan? Wenn Sehnsucht nach Liebe sie quälte, weshalb hat sie nicht ihm die Wonnen ihres Leibes geschenkt, sobald der andere fern war, nicht ihm in stiller Nacht das Märchenglück gebracht, das sie im Schwure verheißen? Nicht Mandi war seines Lebens Fluch, – sein Weib allein war's; ob Mandi, ob andere, – sie würde den Gatten immer wieder belügen und betrügen, die Ehe brechen mit jedem, ihr Leben lang!

Und darum sollte sie sterben. Und dann wollte er vor seine Richter treten, offen, furchtlos sein Leben aufrollen und sagen: »Richtet mich, wenn ihr könnt! Richtet mich, ihr Herren, wenn ihr nicht glaubt, daß ich schon längst gerichtet bin!«

Langsam und bedächtig traf er seine Maßregeln. Als die Uhr sieben schlug, erhob er sich, ging an den Schrank auf der Diele, der seine Kleidung aus guten Tagen barg, nahm wahllos einige Stücke heraus und machte ein Bündel daraus. Trotz der frühen Stunde hörte er Mandi bereits in seinem Zimmer auf und ab gehn; er kümmerte sich nicht darum.

Mit dem Bündel schlich er hinaus, die Treppen hinab, die Straße entlang: wohl eine Stunde wanderte er, durch den Tiergarten, die Linden hinunter zum Rathaus. In einer Querstraße der Königstraße, wo enggedrängt der Altkleiderhandel haust, wo typische Gestalten wie im Judenviertel Prags vor ihren Türen stehn, trat er in einen Laden. Ohne zu handeln, verkaufte er alles, was er mit sich gebracht, für wenige Mark. Dann suchte er ein Waffengeschäft auf und fragte nach einem Messer, einer Reisewaffe. Er wählte eine breite, schwedische Klinge in rotgefütterter, durchbrochener Messinghülse, nachdem der Händler den Stahl durch eine starke, brettartige Pappe getrieben, um ihm die Stoßkraft zu beweisen.

Dann ging er heim.

Seine Stimmung war völlig ruhig; sein Herz tat nicht einen Schlag mehr als in glücklichen Tagen. Die ungeheure Überreizung hielt ihn aufrecht.

Ihm war, als stände er bereits vor einer Tatsache, als sei das alles, was er jetzt plante, vor langer Zeit schon einmal geschehen.

Und während er nach dem Messer fühlte, beschleunigte er seine Schritte.

Eine Strecke fuhr er mit der Elektrischen, dann stieg er wieder ab. Er brauchte Bewegung, die Ruhe war ihm unerträglich.

Von neuem hastete er vorwärts, denselben Weg, den er gekommen.

Er sah nicht, wie ihm ein Mann begegnete, plötzlich stutzte, ihn fest ins Auge faßte und kehrtmachte: Salomon Loob, »Grundstücke, Hypotheken, Lombard«, der eben ein zur Subhasta stehendes Haus in der Tauentzienstraße besichtigt hatte. Salomon Loob, der ihm bis in die Spichernstraße folgte, einige Zeit wartete, ob er aus dem Hause wieder herauskam, und dann quer über die Straße nach dem Revier stürmte.

Rolf fand bei der Heimkehr die Wohnung offen; Frau Roller war mit dem Aufwischen der Diele beschäftigt gewesen. Nun aber stand sie untätig, mit schreckensbleichem Gesicht, und lauschte auf eine heftige Stimme, die aus Lonis Schlafzimmer schallte, – Mandi!

Als Rolf zu ihr herantrat, wandte sie sich entsetzt und faßte ihn fest um den Arm. Suchte sie Schutz bei ihm, oder wollte sie ihn jetzt doch vor Torheiten behüten?

Beide horchten stumm.

*

Mandi hatte sich kurz vor sieben erhoben. Er brauchte eine Stunde, bis er angezogen war; dann trat er durch die Mitteltür bei der noch schlummernden Loni ein und schüttelte sie.

»Steh auf, Kleine! Um eins geht's nach Paris.«

Sie öffnete erstaunt die Augen, sah ihn verständnislos an. Dann aber wurde sie mit einem Schlage wach. Sie war gewohnt, in seinen undurchdringlichen Zügen zu lesen, und sie wußte, heut scherzte er nicht.

Während sie hastig einen Unterrock überwarf und mit bloßen Füßen in die Pantoffeln fuhr, riegelte er alle drei Türen ab, setzte sich auf den kleinen, koketten Diwan und steckte sich eine Zigarette an. »Komm her zu mir,« sagte er, »ich hab' mit dir zu sprechen. Mein Geld ist bis auf zehntausend Mark zu Ende, und die brauch' ich, um mir neues zu verdienen.«

Er war auffällig ernst. Dachte er an die Fahrt, die wieder ins Dunkle führte, an deren Ende das Gold oder das Zuchthaus winkte?

Es war ein wundervoller Morgen, einer jener unerwarteten Vorboten des Hochsommers, die dieser dem Lenz in seinem letzten Kampfe mit dem Winter zu Hilfe sendet. Die Flügel zu dem kleinen, schmalen Balkon mit seinem zierlichen Gitter waren über Nacht weit offen geblieben, der Morgenwind blähte den gelbseidenen, zugezogenen Vorhang wie ein Segel in das Zimmer hinein.

Loni näherte sich Mandi. Im kurzen, leichten Röckchen, den Schlaf noch in den Augen, das blonde Haar zu starkem, langem Zopf gewunden, blickte sie ihn ängstlich an. Was würde wohl kommen? Wovon sollte sie leben, wenn er sie verließ?

»Du kennst ja meinen alten Trick, Kind«, sagte er, etwas mehr auftauend. »In dem einen Hotel abgestiegen, im andern gearbeitet. Aber diese Halunken von Reisenden werden neuerdings höllisch vorsichtig. Um so mehr will ich diesmal sicher gehen. Noch diese eine Reise, und ich hör' auf.«

Sie ließ die Augen nicht von ihm, im dumpfen Gefühl einer Gefahr.

»Ich nehme dich mit«, fuhr er in noch leichterem Tone fort, als schlage er eine amüsante Badereise vor; aber zugleich sah er sie mit seinen schwarzen Augen durchbohrend an. »Zunächst Paris. Wir gehen ins Bristol und promenieren jeden Tag in einem anderen Hotelfoyer, im Athénée, Meurice, Regina, Chatam, überall, wo die Engländer, Amerikaner und sonstige Nabobs absteigen. Hab' ich dann meine Wahl getroffen, so bändelst du mit diesem Burschen an; tu ganteras le vieux, tu lèveras l'homme au souper.« In seinem Eifer vergaß er ganz, daß Loni gar kein Französisch verstand, am allerwenigsten aber dieses Argot der Boulevards und der Gauner. »Fährt er mit dir soupieren, so höre ich, wohin er das Auto dirigiert, und sehe, auf welche Nummer er seinen Schlüssel abgibt; sobald die Bedienung am Brett wechselt, fordere ich ihn mir. Hat der Mann seine Brieftasche im Zimmer gelassen, so ist sie mein, trägt er sie bei sich, so ist sie dein. Tu lui fais boire la goutte; das Pulver für seinen Wein bekommst du von mir. Dann treffen wir uns vor dem Restaurant, holen unsere Koffer, und fort, über die Grenze. Fertig!«

Sie war blaß geworden. »Stehlen soll ich?« fragte sie mit entsetzten Augen.

Er zuckte die Achseln. »Nenn's, wie du willst,« sagte er gleichmütig, »du wirst es tun.«

Sie war durch Gutes und Böses gegangen, in zwingender Not, aus eigenem Trieb; sie hatte unzählige Male ihren jungen Leib verkauft, verschenkt, leichtherzig, skrupellos. Aber sie war ehrlich geblieben. Ohne Besinnen hätte sie jeden Tag von neuem sich hingegeben, um einer Laune willen, aber niemals hätte sie die Grenze überschritten, die vom Verbrechen sie schied, – in der Moral des Volkes, das die Dirne schützt, den Dieb aber lyncht. Die herzbeklemmende Angst vor dem Gericht, die sie in Mandi, diesem Verächter des Gesetzes, den Heros hatte erblicken lassen, gab jetzt, wo es ihr eigen Schicksal galt, ihr Kraft, zum erstenmal sich gegen seinen Willen aufzulehnen. Im selben Augenblick, in dem er ihr seinen Plan verriet, hatte sie das Gefühl: Und wenn er sie totschlug, sie würde ihm nie und nimmer gehorchen. Sie liebte ihn abgöttisch; noch diese Nacht hatte sie ihm zuliebe ja ihren Schwur gebrochen, im überströmenden Glück, von ihm begehrt zu sein. Er wußte, sie war ein Spielball in seinen Händen; aber er hatte eins vergessen, daß es für jeden Zwang eine Grenze gibt, wie auch der treueste Hund unter dem Übermaß der Schläge sich gegen den Herrn wendet. Und diese Grenze war das für sie, was sie als ihre Ehre empfand.

Wie in einem offenen Buche, las er den Widerstand in ihren Zügen. Und schon hob sie die schreckerfüllten Augen zu ihm auf. »Ich kann nicht, Georges,« stammelte sie, »alles, was du willst, nur das nicht!«

Noch immer blieb er ruhig. »Ich glaube, Kind,« sagte er nachlässig, »du hast die recht naive Vorstellung, als ob wir eine Art Wanderzirkus auftun, in dem du Abend für Abend die Circe spielst, damit wir den nächsten Tag zehn Franken zum Leben haben. Du lieber Gott, da würden sie uns bald das Handwerk legen. Nein, mon amour, mit Lappalien gibt sich Georges Mandi nicht ab. Ein, zwei große Schläge, und wir sind diesmal für alle Zeit versorgt. Du ahnst auch nicht, wie amüsant das ist. Sobald wir unseren Mann gefunden haben, heften wir uns an ihn; geht er nach Ägypten, – auf zu den Pyramiden, fährt er nach Bombay, – vivent les Indes! Und dann, nach Wochen, nach Monaten vielleicht greifen wir zu; und ich wette mit dir, wenn du erst einmal Blut geleckt hast, so werd' ich Not und Mühe haben, daß deine Passion für diesen Sport nicht mit dir durchgeht.«

Er trat an den Tisch und steckte sich eine neue Zigarette an. Als Loni noch immer nicht antwortete, drehte er sich ungeduldig zu ihr um. »Nun?« fragte er, etwas schärfer.

Sie kroch förmlich in sich zusammen. Aber sie schüttelte doch den Kopf.

Noch einmal beherrschte er sich. »Tausende von Weibern würden mit beiden Händen danach greifen«, sagte er überredend. »Immer in den ersten Hotels der Welt, immer à gogo, im Rausch der Freude. Du weißt, ich reise als serbischer Graf; du giltst als meine Frau. Und die Aristokratie aller Länder, toute la haute gomme, wird Gräfin Loni huldigen.«

Er musterte sie, seines Eindrucks gewiß. Und seine Faust ballte sich, als er sah, wie zwei große Tränen ihr die Wangen entlang rannen.

»Hör' mal, bambine«, sagte er in grollendem Tone, und sein Auge bohrte sich fester, drohender in ihr blasses Gesicht. »Jetzt ist's genug! Ah, ma fille, – du mußt nicht glauben, daß ich solch Trottel bin, wie der Herr Gemahl, der sich einredet, dich noch als Jungfer ins Bett bekommen zu haben; ich weiß, wie oft du das horizontale Gewerbe betrieben. Mir ist das an sich ganz egal, montre à nu ton étalage, amüsier' dich, so oft du willst. Aber die Unschuld vom Lande jetzt spielen, das verbitt' ich mir. Und lange genug hast du auf meine Kosten schmarotzt; jetzt heißt es wieder was tun, und zwar genau auf die Art, die du so gern hast. Also, en avant, – zieh dich an, pack' die Koffer!«

Sie schwieg noch immer.

»Die Koffer sollst du packen«, wiederholte er, nun wirklich erregt, die Zigarette im Aschbecher zerdrückend. »Willst du jetzt oder nicht?«

»Nein!« Sie schrie es laut, wie in Todesangst heraus.

Er trat langsam auf sie zu. Sein Unterkiefer schob sich vor, eine tiefe, senkrechte Falte spaltete seine Stirn. Wie ein Raubtier sah er plötzlich aus. Und immer näher kommend, lächelte er, kalt, überlegen, grausam.

Ein Faustschlag ließ sie wanken, ein zweiter warf sie nieder. Mühsam suchte sie sich aufzurichten; ängstlich flehten ihre Augen zu dem regungslos vor ihr Stehenden empor.

»Packst du?« fragte er noch einmal.

Sie lag auf den Knien, halb auf der Seite, den rechten Arm aufgestützt. Das Hemd war im Sturz von der Achsel geglitten. Ihr Blick blieb in den seinen gekettet, aber sie antwortete nicht.

Er griff hinter sich, faßte ein Handtuch, das am Waschtisch hing, und drehte es schweigend fest um sich selbst zusammen. Seine Augen röteten sich.

»Hierher!« herrschte er heiser, dicht vor seine Füße weisend, »Petite canaille, je te crève la gueule!«

Sie warf sich zurück, hielt schützend die Hände vor den Kopf. Er faßte sie an ihrem Zopf, schlang ihn sich um die linke Hand, riß sie zu Boden. Und ohne ein Wort schlug er mit dem zusammengedrehten Handtuch zu, rücksichtslos, ohne Aufhören, wohin er traf.

Ein Schrei schrillte auf, ein Schrei so verzweifelter Angst, so hilflosen Schmerzes, daß Frau Roller das Blut in den Adern erstarrte.

Im selben Augenblick bricht die Tür auseinander. In dem Zimmer steht Rolf, elend, verkommen, aber mit sengenden Augen, sprungbereit nach dem Messer tastend. Und wie er das Weib dort wimmernd auf dem Teppich liegen sieht, ihr blondes Haar um die Faust des Peinigers gewunden, das Weib, das er geliebt, das er trotz allem noch immer liebt, springt er Mandi mit einem Röcheln der Wut an die Kehle, drängt er ihn mit aller Kraft durch das Zimmer, auf den Balkon hinaus. Kein Wort, kein Schrei, nur ab und zu ein grollendes, verbissenes Stöhnen. Der gelbseidene Vorhang reißt herab, schlingt sich um Mandis Füße, nimmt ihm den Halt. Aber während er gleitet, rückwärts taumelt, während sein Kreuz schon unter dem Druck der niedrigen Brüstung kracht, klammert er sich mit dumpfem, halbersticktem Fluch um seinen Feind. Und jetzt, – ein unentwirrbarer Knäuel über dem Geländer . . . Einen Moment scheint er frei in der Luft zu schweben, dann überschlägt er sich, verschwindet er pfeilschnell in der Tiefe.

Über die Straße kommt Salomon Loob, vorsichtig hinter zwei Schutzleuten verschanzt.

Dicht vor ihnen sausen die beiden Menschenleiber in den Vorgarten hinab.

Das Gesicht in den Rasen gebohrt, neben sich das blinkende Monokel, das er im Aufschlagen erst verloren, liegt Mandi quer über den Gegner gestreckt. Unter ihm Rolf von Roem. Die tiefdunklen, gebrochenen Augen starren noch immer zu dem Balkon mit seinem vergoldeten Gitter empor; auf seinen Lippen liegt es wie seliges Lächeln, als wollte er sagen: Durch Not und Fehle bin ich gegangen, ein schwaches, sündiges Menschenkind. Aber wie ein Panier hab' ich meines Lebens Traum vor mir hergetragen, im Sterben noch die Treue gewahrt. Durch Not und Fehle bin ich gegangen, doch mir zur Seite schritt die Liebe . . .

Während der eine Schutzmann über die Straße zur Wache zurückgestürmt ist, um seinem Leutnant Meldung zu erstatten, hält der andere die sich wild herandrängende Menge im Zaum. Gelassen wirft er ab und zu einen Blick auf die beiden Toten, streicht sich den struppigen Schnauzbart und murmelt ein böses, häßliches Wort.

Oben im Schlafzimmer steht Loni vor dem feschen Polizeileutnant, der sie so oft schon verhört, blaß, aber ruhig. Mit einem Schlage ist sie von den beiden Männern zugleich befreit, die ihres Lebens Verhängnis zu werden drohten. Und blitzartig denkt sie an Mandis zehntausend Mark, die nebenan in seiner Kassette liegen.

»Was ist hier geschehen?«

Gewaltsam reißt sich der stattliche Offizier vor der jungen, halbnackten Frau zu dienstlicher Haltung zusammen; und dennoch sieht sie in seinem Blick den Blitz aufflammen, der sie so oft aus Männeraugen gegrüßt. Noch halb betäubt vom eben durchlebten Schrecken, wittert sie schon die neue Beute; und ganz Schüchternheit, mit ihrem betörenden Lächeln, erwidert sie:

»Herr Leutnant . . . Gott, ich weiß es nicht, – die Männer sind nun einmal doch so komisch . . .«

 


 


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