Paul Langenscheidt
Blondes Gift
Paul Langenscheidt

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Sie alle, die Kavaliere, denen das nächtliche Berlin zwischen der Leipziger Straße und den Linden die geliebte, unersetzliche Heimat ist, denen in jeder Bar ohne weiteres der Mixer ihren gewohnten Drink vorsetzt, sie alle, die Helden der Foyers und Séparés, Schieber und Hochfinanz, Abenteurer und Garde in Zivil durcheinander, erinnern sich eines seltsamen Paares, das an den Brennpunkten des Genusses im vorletzten Sommer jedesmal wieder die gleiche Sensation erregte. Sie ein hübsches, hochgewachsenes junges Weib, immer neu, immer wundervoll angezogen, er kaum ihr bis zur Schulter reichend, fast neben ihr verschwindend. Mit großen, sehnsüchtigen Augen hing er wie ein Hund an ihr, schenkte er auf ihren Wink ihr so hastig ein, daß ihm der Sektschaum über die Hand lief. Er war jetzt stets nach letztem Schnitt gekleidet, sein Schneider Hoflieferant mehrerer regierenden Herren . . . »Sie brauchen unbedingt zwei Frackanzüge, Herr von Roem; ein Gent wie Sie geht jetzt nach sechs Uhr noch im Dreß. Im Herbst mach' ich Ihnen den dritten . . . Und – Schubert! – nehmen Sie Herrn von Roem noch Maß zu zwei Smokings, Gehrock, einem Cutaway und einem Pijack . . . Das sind Sie sich einfach schuldig, Herr von Roem. In den Fassons da, die Sie anhaben, wirken Sie, unter uns gesagt, unmöglich!« Der Brustton der Überzeugung, mit der dieser höfische Schneider seine Ansicht äußerte, entsprach der glänzenden Auskunft, die er über Rolf erhalten hatte.

Wenn das Paar dann aufbrach und Rolf mit hochgeworfenem Kopf ihr folgte, flammte sein Auge stolz über die anderen hin, deren Blicke ihnen neugierig, neidisch folgten.

Allerhand Gerüchte gingen über die beiden, die immer für sich allein blieben. Einer, ein internationaler Artist, behauptete, sie sei die Geliebte eines jungen Königs im Süden gewesen, eine Chansonette, die dieser sich als blutjunges Ding aus Paris mitgebracht und über ein Jahr in seinem Schloß verborgen gehalten habe; ein anderer wollte sie in Rio in einem öffentlichen Hause gesprochen, ein dritter sie mit fünfzehn Jahren als Hauptbelastungszeugin gegen einen Arzt vor dem Schwurgericht gesehen haben. Ihr Begleiter wurde fast noch mehr als sie in die Gloriole des Geheimnisvollen gehüllt; daß er, der knabenhafte, unsicher auftretende Mensch, der sich solch eine Perle von Weib zu sichern wußte, über ganz fabelhafte Reichtümer verfügen müsse, das galt als selbstverständlich. Im übrigen gingen die Meinungen weit auseinander. An einigen Orten galt er als ein junger, im letzten Jahr von beispiellosen Erfolgen überschütteter Geiger, andere zogen aus seiner frappierenden Ähnlichkeit mit einem hohen Herrn ihre Schlüsse; einer erklärte mit voller Bestimmtheit, einen berüchtigten Falschmünzer in ihm zu erkennen, bis ihm plötzlich nach langem Streiten einfiel, daß dieser laut Steckbrief einen Holzfuß hatte.

Und je häufiger man das Paar in allen Premieren, in Karlshorst und Grunewald, auf den Fünfuhrtees der Hotels und beim Souper sah, desto eifriger ergingen sich die Zungen in gewagten Kombinationen.

Manchmal schlug Loni vor, der Abwechslung wegen in ein weniger feudales Restaurant, ein Volks-Varieté zu gehen; es machte ihr sichtlich Freude, sich auch einmal an diesen Stätten in ihrem ganzen Glanz zu zeigen. Oft raunten ihr dann Herren im Vorbeistreifen, vertraulich an den Rand des Zylinders tippend, ein: »'n Tag, Loni!« zu, oder ein auffällig gekleidetes Mädchen grüßte mit einer Handbewegung, einem Zwinkern der Augen zu ihr hinüber. Fragte Rolf, so waren dies stets Kollegen und Kolleginnen, oder sie nannte klangvolle Namen vom hohen Adel, angeblich Freunde der jungen Schauspielerinnen und Sängerinnen vom Mascotte-Theater.

Und überall, wohin er kam, lernte der unerfahrene Rolf in wechselnden Bildern Berlin und seine Frauen kennen.

Berlin, wie es liebt und lacht, – Berlin, wie es heimlich weint . . .

Er sah das erste Samenkorn sich in die unschuldigen Kinderherzen senken, Wurzel fassen und keimen: sah die Kleinsten, noch im kniefreien, dürftigen Röckchen, die Schulmappe auf dem Rücken, den Straßendirnen mit brennenden Augen folgen: sah die Backfische des Berliner Westens, wie sie kichernd, mit erhitzten Wangen und flackernden Augen ihre Geheimnisse austauschten, wie sie den ihnen begegnenden Herren erschreckend wissende Blicke zuwarfen: sah die Sechzehnjährigen gebannt vor gleißenden Schaufenstern stehen, die die duftige Rüstung des Weibes wie eine Fata Morgana vor den jungen Proletarierinnen ausbreiten.

Er sah die endlose Flut der blassen, von harter Fronarbeit erschöpften Mädchen sich Abend für Abend aus den Fabriken, den Warenhäusern und Kontoren über die Straßen ergießen, sah sie verfolgt, eingeholt, an der Seite des Kecken beklommen, in tastenden Fragen und Antworten weitergehen; sah sie am nächsten Sonntagnachmittag in ihrem bescheidenen Putz an einer Straßenecke auf den ersten Freund ihres jungen Lebens warten, von dem sie nichts, kaum den Namen wissen, der aber den rasenden Hunger ihres freudearmen Herzens nach ein wenig Glück, fern vom Einerlei des entsetzlichen Alltags, fern von dem brummigen Vater, der keifenden Mutter zu stillen verspricht. Und wenn der Abend herabgesunken, dann sitzen die kleinen, süßen Dinger schüchtern, aber mit seligen Augen in ihrem zerknautschten Fähnchen im Bräu. Hand in Hand sind sie gewandert, an Spree und Havel entlang, durch Wald und Wiesen; noch brennt der erste Kuß auf ihren ungeschickten Lippen, versonnen lächeln sie dem neuen Leben entgegen, während ihr Schatz verstohlen die mageren Glieder unter der dünnen Bluse prüft und auf seine Stunde wartet.

Neben ihnen die kleinen, frechen Dächse, die schon den ersten Schritt getan, in einer Sommernacht die Grenze überschritten haben. Sie tragen nicht mehr die ewig eingelaufene, ewig klaffende Bluse, nicht mehr den schweren, schwarzen Einsegnungsrock, der nur noch widerwillig die Hüften umspannt; kecker ist schon der Schnitt, fröhlicher die Farben, leichter der Stoff. In ihrer Tasche bergen sie Hausschlüssel und Drücker; sie verdienen sich selbst ihr Brot, sie zahlen zu Hause für Wohnung und Kost, Mutter hat nichts mehr dreinzureden, der Vater, früh auf und früh zu Bett, sieht und hört nichts. Fast alle haben trotz ihres Schatzes schon Extratouren getanzt, im Séparé mit einem unbekannten, feinen Herrn hinter der Flasche Kupferberg; und wenn am nächsten Sonntag ihr Hans oder Franz ahnungslos den »spottbilligen« neuen Hut bewundert, den sie sich »selbst so schick garniert« haben, dann denken sie zum erstenmal darüber nach, daß immer noch die Welt betrogen sein will. So oft sie aber den Freund auch wechseln, – stets wieder gaukelt vor ihnen die Hoffnung auf Ehe, »in vier, fünf Jahren«. Hundertmal haben sie die Rechnung aufgestellt, Wohnung, Ausstattung, alles, nur nicht die Kinder; denn darüber sind sie sich einig, Kinder sind nur für reiche Leute.

Auch diese Mädel sind noch mit allem zufrieden, nur Musik muß dabei sein, Schlager, die jedes Kind auf der Straße pfeift, die ihnen das junge Blut zum Sieden bringen. Und wenn der Sonntag sie auch fast zerbricht, mit seiner Siesta im einsam verschwiegenen Forst, dem Abschied im dunklen Hausflur, oder in heißen Kissen Herz an Herz mit dem Schatz, – am Montagmorgen, Punkt sieben, da sind sie auf, blaß, verschlafen, aber zur Arbeit bereit.

In den Weinlokalen Berlins sah er korrekte, einfach, aber tadellos gekleidete Damen zwischen zwanzig und dreißig . . . Sie nehmen in ihrem Geschäft feste, gutbezahlte Stellungen ein, sind häufig in ihrem Rayon die rechte Hand des Chefs. Sie haben die Wanderjahre hinter sich, sind ihrem »Freunde«, dem Sohn aus wohlhabender Familie, absolut treu; beständig mahnen sie zur Sparsamkeit und schelten, wenn er über die Schnur haut. Auf seiner »sturmfreien« Bude halten sie Ordnung, kümmern sich um seine Wäsche, gemeinsam mit der Wirtin, die sie wie eine Tochter liebt und ihrerseits sie betreut. Aufrecht gehen sie durch die Welt, jenseits von Gut und Böse, erhaben über die Moral der Philister: Sonnenschein zu genießen, Sonnenschein zu geben, bis der kurze Tag der Jugend sich neigt, das ist ihnen Menschenrecht und Menschenpflicht. Resigniert sehen sie sich im Geiste in einigen Jahren mit einem ernsten, fleißigen Mann aus kleinem Stande die Vernunftehe schließen oder einsam in ihrer Stellung altern; aber sie fühlen es mit dem untrüglichen Instinkt des Weibes, daß ihr Schatz noch im grauen Haar, an der Seite der Gattin, unter Kindern und Enkeln mit Liebe und Achtung an sie zurückdenken wird, so oft die längst verschollenen Lieder der Jugend in ihm aufklingen.

Selten, daß eine von ihnen untergeht; sie haben gelernt, sich selbst das Leben aufzubauen, unter dem Schilde der Arbeit. Sie gehen tapfer ihre Straße, aber sie gehen nicht auf die Straße . . .

Auf die Straße . . . die Straßen Berlins . . .

Blasen, die der Strom der Großstadt allmählich aufwühlt, mit sich reißt, vernichtet! Schlanke Dinger, frisch wie Pfirsiche, fast Kinder: Frauen mit mütterlichen Hüften, die den Gedanken an rosige Babys in uns wecken: verblühte Weiber, in deren Antlitz das Leben seine unbarmherzigen Runen gegraben. Frauen und Mädchen, geliebt und getäuscht, verstoßen, verkommen, Verbrecherinnen an den Kindern ihrer Schmach . . . Und sie locken und betteln mit schwarz wie in Trauer umränderten Augen zur Sünde, – Augen, in deren Tiefe der Haß der Gefallenen gegen den Mann lodert, der ihnen alles gestohlen, Glaube und Unschuld und Stolz, der ihre Ehe zerbrochen, der ihnen nichts gelassen als den tiefen, unsäglichen Ekel gegen die Bestie in ihm . . . Stummes Locken der schwarzumränderten Augen, auf der Suche nach Brot, die dunkle Straße entlang. Und dann plötzlich, – gleißendes Licht, ein weites Portal, weiche, rote Teppiche, ein Rauschen von Seide und Samt . . .

Das Bacchanal der Weltstadt. Drückende Luft, von Schweiß und frechem Parfüm getränkt, darüber, wie Opferrauch, die Schwaden der Zigaretten. Schrillende Geigen. Millionäre und Verbrecher, Bankerotteure und Fürstensöhne durcheinander: Dirnen, die keinem verraten, wo ihre Wiege gestanden, im Hause der Exzellenz, unter dem Strohdach auf öder Heide, in blumenumrankter Villa des Bankiers, der eines Morgens erschossen vor seinem Pulte lag. Toiletten, die Hunderte gekostet, schleifen knisternd vorbei. Hin und her gehen die Grüße der Kavaliere zu den Mädchen, von denen sie jeden Zoll ihres Leibes kennen.

Drüben, ganz in die Ecke gedrückt, sitzt im schlichten Rock, mit Röllchen und Doppelsohlen ein biederer Ostpreuße; die Augen im braungebeizten Gesicht unter dem grauen, kurzgeschorenen Haar wandern in immer neuem Staunen umher. Morgen geht's wieder heim, in die Ostmark, zu Muttern. Es wird ihr nichts von dem heutigen Abend verraten; aber wenn draußen über das Schneefeld der Wind pfeift, die Kühe im Stall mit den Ketten klirren, wird wie ein ferner Märchentraum das Bild dieser Nacht vor seinen Augen stehen, die Flut der elektrischen Flammen, wie das Sonnenlicht auf dem Dorfsee funkelnd, nackte Brüste, weiß wie die Milch, zart wie die Mäulchen der Kälber . . . Und er denkt betrübt an Mutterns formlosen, im jährlichen Wochenbett erschlafften Körper, an die harten Hände mit den ausgearbeiteten Nägeln . . . Ein Pfropfen knallt, ein Lachen schreckt ihn auf, heischende Augen senken sich tastend in die seinen. Die Mädel wissen, der Bauer, der nach Berlin kommt, hat Geld im Beutel. Aber er duckt sich, ihm fehlt der Mut.

Ein Herr im Smoking, straff aufgereckt, mit schwarzem, aufgesetztem Schnurrbart tritt ein. Unter den vielen Offizieren in Zivil fällt er den Zufallsgästen nicht auf; einer mehr von der Garde . . . Und doch legt es sich plötzlich wie ein Alp über den Saal. Der »Kriminal« . . .

Der Herr setzt sich ruhig an ein am Eingang stehendes Tischchen und bestellt seinen Wein. Und nach und nach, unmerklich, schrauben sich seine grauen Augen durch die bunten Gruppen.

Einen Schritt von Rolf entfernt, am Nebentisch, sitzt mit zwei Mädchen ein junger Gent im Frack, ein hübscher, blasser Antinouskopf. Sie sind schon bei der fünften Flasche; trotzdem ist keine Spur von Farbe, kein Zeichen der Erregung in seinen Zügen zu sehen.

Jetzt kreuzen sich seine Blicke mit denen des Herrn im Smoking, verketten sich einen Moment . . . drüben ein messerscharfes Aufleuchten . . . und gleiten wieder auseinander. Langsam, nur noch um einen Schein blasser, erhebt sich der hübsche, blasse Gent, schlendert er zur Musik, die gerade schweigt, spricht einige Worte mit dem Kapellmeister und legt ein Geldstück auf sein Pult. Dann kehrt er ebenso gelassen auf seinen Platz zurück: mit freundlichem Lächeln quittiert er die ihn empfangenden Scherze der beiden Mädchen.

Und durch den heißen Saal ziehen wiegend die Töne des Walzers, um den er gebeten . . . Quand l'amour meurt . . .

Gleich Haschischrausch lullt die sehnsüchtige Melodie alle Herzen ein. Summende Lippen, verträumte Augen der Frauen . . . Sie alle wohl denken einer heimlichen Stunde, in der die lockende Weise ihnen die Glieder gelöst . . .

Noch immer duckt sich hinten im Winkel der Ostpreuße, die halbe Mosel fast unangerührt vor sich, und trinkt sich mit rastlosen Blicken satt für ein ganzes Menschenleben.

Im Vorsaal erschallen laute, erregte Worte, zwei Herren, die um ein Weib sich streiten: und während alles aufschreckt, macht der junge Gent im Frack eine kurze, unauffällige Bewegung. In diesem Bruchteil einer Sekunde durchlebt er noch einmal sein ganzes zerstörtes Leben, die helle Jugend im Patrizierhaus, sonnige Tage in Band und Mütze am Neckar, das süße, frische Mädel, um das er Heimat und Zukunft aufgab und das ihn nach kurzer, seliger Ehe verriet, – die jähe Entdeckung, die Kugel im Hirn des Schurken, das Messer in ihrer Brust, die Flucht . . .

Hart schlägt der blasse Antinouskopf auf den Tisch. Entsetzt kreischen die beiden Mädchen auf.

Der Chef stürzt hinzu. Mit schriller Stimme ruft er um Beistand. Auf seinen Wink setzt die abgebrochene Musik wieder ein. Und schon greifen kräftige Hände zu, den Regungslosen in einen Nebenraum zu bringen.

Ein starker Arm schiebt sie zur Seite. Hinter ihnen, wie hingezaubert, steht der Herr im Smoking, der »Kriminal«. Gelassen richtet er den anderen hoch, mit weiten Nüstern zieht er die Luft ein. Dann läßt er ihn wieder fallen . . . ein Achselzucken . . . »Zyankali!«

Und die Geigen singen und schluchzen . . . Quand l'amour meurt . . .

*

Rolf hatte in Lichterfelde gemietet. Maurer und Tischler, Maler und Dekorateure kamen. Loni hatte endlich seinen Bitten nachgegeben und das Mascotte-Theater verlassen: und in aller Frühe fuhr sie nun tagtäglich mit ihm in ihr werdendes Tuskulum hinaus.

Wie ein Rausch war es über sie gekommen. Nichts war ihr gut genug, so oft der Architekt in respektvoller Haltung, allen ihren Launen nachgebend und sie zugleich unmerklich steigernd, ihre sich überstürzenden Befehle entgegennahm. Auch er hatte ausführliche Auskunft eingeholt und wußte ganz genau, für welche Summe Rolf gut war.

Kaum, daß in dieser für ein Jahr gemieteten Villa die Wände stehenblieben. Die Fußböden erhielten Parkett, die Decken wurden modernisiert, Seidentapeten ausgewählt, elektrisch Licht gelegt, eine neue Diele und ein Wintergarten eingebaut, – alles im Eilzugstempo, mit Überstunden, unter Aufbietung aller Kräfte.

Dann ging es an die Einrichtung. Tagelang zog Loni in Berlin umher. Wagen auf Wagen rollte vor das kleine Haus und brachte Tisch und Schrank, Geschirr und Glas, Gardinen und Teppiche. Rolf fand manches nach seinem Geschmack zu grell und aufdringlich, aber er war doch glücklich, so oft er Lonis Freude sah, die sich vor Eifer nicht zu lassen wußte.

Ende Mai zogen sie ein, Loni als Rolfs »Hausdame«.

Und oben im ersten Stock, in dem lauschigen, rosaroten Schlafzimmer mit seinen blitzenden Messingbettstellen, ergab sie sich ihm zum erstenmal, nach langem Wehren, unter jungfräulichen Schauern.

*

Mutter Roller war mit ihnen gezogen.

Sie machte die grobe Arbeit. Alles das, was Loni betraf, nahm Rolf ihr ab; er brachte ihr den Kaffee an das Bett, räumte hinter ihr her, stürmte hundertmal tagsüber die Treppe hinauf und hinab, sobald sie nur irgendeinen Wunsch äußerte.

Sie stand erst auf, wenn der Zeiger der Uhr schon stark auf elf wies: bis dahin lag sie in ihren seidenen Kissen, wie eine Katze sich zusammenkauernd und streckend oder ihre weißen Füße, ihr rundes Knie mit hingebender Bewunderung betrachtend, wie einstmals schon als kleines Mädchen in den Schlehdornbüschen.

Sie konnte sich nicht genugtun in dem Stolz auf ihren Körper; die schüchterne Jungfrau, die sie solange gespielt hatte, war seit der ersten Liebesnacht verschwunden. Jetzt legte sie es im Gegenteil darauf an, ihn langsam an ihre wirkliche Art zu gewöhnen, zeigte sie ihm ihre Reize, jede Linie, jede Falte, die er bewundern sollte. Und er tat es nur zu gern; wie ein Mönch vor der Madonna, beugte er sich vor ihres Leibes Schöne, immer im Kampfe mit sich, voll Sehnsucht, sich über sie zu werfen, und doch in Angst, ihren Zorn zu erregen.

Denn sie war unglaublich empfindlich. Kaum, daß er sie berührte, so stieß sie ihn unwillig zurück, klagte, daß er ihr Schmerz bereite, allzu roh mit ihr umgehe. »Du sollst mich nicht anfassen . . . Aber ansehn darfst du mich schon! Hab' ich nicht schöne Arme? Die Kolleginnen im Mascotte, die waren ganz wild nach mir, – immerfort waren sie um mich herum, die Kleider haben sie mir fast abgerissen. Gott, wenn du so manche andere sehn könntest! An mir soll einer erst mal ein Titelchen finden. Voriges Jahr, da saß eine Baronin, eine alte Schraube mit eigener Equipage, Abend für Abend in der Fremdenloge und schickte mir Blumen und Briefchen. Aber so etwas gab es bei mir nicht . . .« Sie brach plötzlich unsicher ab. »Ja, ja,« setzte sie dann hinzu, »ein drolliges Ding, das Leben . . .«

Manchmal, wenn sie ihn so halb von Sinnen gebracht hatte und er sie wieder anflehte, ihm ihr Haar zu überlassen, so feilschte sie wie eine Hökerin um die Summe, die er ihr schenken sollte, wenn sie ihm seinen Willen tat. Und er gewöhnte sich daran, mit Gold für jede Gunst zu zahlen, wie bei der Dirne.

Dann wieder kamen Tage, wo sie ihm einfach sagte: »Ich mag nicht!« Fragte er sie bestürzt: »Warum?«, so antwortete sie heftig: »Ich will eben nicht, und damit basta! Wenn's dir nicht paßt, – bitte! Ich halt' es aus!«

Und in ihren Augen glimmte der Funke auf, der ihn an Mandi, seinen Todfeind erinnerte.

Hatte sie aber einen Wunsch, eine große, fast unerfüllbare Bitte, irgend etwas Unsinniges, was sie auf ihren Kreuz- und Querfahrten durch Berlin entdeckt hatte, dann gab sie sich ihm restlos, dann durfte er sie wie ein Sklave bedienen, ihr das Badetuch um die leuchtenden Schultern legen, sie anziehn, ihr Haar kämmen. Und während sie sich wohlig auf ihrem Lager dehnte und er mit fliegenden Händen, schwer atmend, sich um sie mühte, begann sie zu plaudern, wie ein Baby zu schwatzen: »Loni möchte so gern die venezianischen Spitzen haben, Loni will auch ganz süß sein . . .« Und jedesmal entriß sie ihm die Erfüllung ihres Wunsches.

Aber je heißer, lichtdurchtränkter die Sommertage wurden, desto mehr liebte sie es, sich in leichtester Kleidung im ganzen Hause zu bewegen. Oft auch stürmte sie so in den Garten hinaus, um sich mit glänzenden Augen im Sonnenschein zu baden. In ihrer naiven, unbewußten Schamlosigkeit lag sie gleich einer Elfe, von zitternden Strahlen umspielt, die goldene Funken aus ihrem aufgelösten Haar lockten, auf grünem Rasen, oder sie probte selbstgefällig alle die kecken Posen und Pas durch, die das Theater sie gelehrt.

Er litt entsetzlich unter dieser Passion; er zitterte davor, daß jemand sie so halbbekleidet sah; und er versuchte mit allen Mitteln ihr Schamgefühl zu wecken. Er erzählte ihr die Geschichte der Julia Gonzaga, der Gattin des Colonna, die Barbarossa Khaireddin in Fondi belagerte, um sie zu entführen. Möglichst anschaulich beschrieb er ihr, wie die Türken in nächtlichem Sturm die Stadt nahmen, ein treuer Ritter aber die Fürstin barfuß, im Hemd, wie sie von ihrem Lager aufgescheucht war, rettete, und wie sie ihm dann, in Sicherheit gebracht, den Dolch in die Brust stieß.

»Und warum das?« fragte Loni, völlig ahnungslos.

»Aus Sittsamkeit«, antwortete Rolf emphatisch.

Sie schüttelte den Kopf. »Blödsinn,« sagte sie, liebevoll ihre Beine betrachtend, »wahrscheinlich hatte sie häßliche Füße.«

»Sie war das schönste Weib des sechzehnten Jahrhunderts«, erwiderte Rolf, von dem Erfolge seiner Schilderung bitter enttäuscht.

»Dann«, antwortete Loni mit überlegener Sicherheit, als gäbe es keinen Widerspruch, »hat sie's ihm eben krumm genommen, daß er sie nicht ganz ausgezogen hat. Alles verzeiht eine Frau, nur nicht, wenn einer den keuschen Joseph mimt.«

Eines Abends klagte sie über Langeweile. Und von diesem Tage an nahm das Idyll ein Ende. Sie fuhren nach Berlin, – fuhren erst einmal die Woche, dann immer öfter, endlich täglich.

Und als sie eines Nachts – vielleicht nicht ohne Lonis Absicht – den letzten Zug verpaßt hatten, quälte sie ihn so lange, bis er den Stall der Villa als Garage umbauen ließ und ihr einen Mercedes schenkte.

Mit dem Auto übernahm er von der Fabrik einen Chauffeur, einen wortkargen, pockennarbigen, älteren Mann, den Loni, als nicht fesch genug, nach vierzehn Tagen fortjagte. Ein zweiter kam, bisher in Diensten eines lebenslustigen Prinzen, der schleunigst auf Höchsten Wunsch eine Weltreise hatte antreten müssen; dieser feudale Chauffeur hatte jedoch so ein infames Lächeln und ein so mokant zugekniffenes Auge im glattrasierten Gesicht, so oft er Loni nach Vorschrift mit »Gnädige Frau« anredete, daß auch er bald von der Bildfläche verschwand. Jetzt nahm Loni die Sache selbst in die Hand. Inserate wurden aufgegeben, Dutzende von Bewerbern um den Posten stellten sich vor. Das alles machte ihr einen Riesenspaß. Und endlich fand sich auch wirklich die Perle, nach der sie gesucht, ein Riese mit langem, schwarzem, im Winde wehenden Schnurrbart und stahlgrauen Augen, der sich kurzweg Karl nannte: schon während er draußen darauf wartete, vorgelassen zu werden, vertraute er Mutter Roller mit fröhlichem Gleichmut an, er sei aus seiner letzten Stellung geflogen, weil er die Tochter des Hauses auf ihren dringenden Wunsch den ahnungslosen Eltern auf eine Auto-Spritztour in den Schwarzwald entführt hatte.

Dieser offenherzige Chauffeur gefiel Loni so sehr, daß sie sich ohne langes Fragen und Erkundigen für ihn entschied.

Von da ab fuhr sie täglich vormittags nach Berlin: kam sie am Mittag heim, so hatte sie vor Paketen kaum Platz. Abends trug das Auto sie und Rolf zur Stadt, in das Theater, Restaurant oder Kabarett: die Heimkehr erfolgte jetzt meist so spät, daß Rolf vor Müdigkeit förmlich in das Bett fiel.

So kam es, daß er immer weniger von ihr hatte. Wohl machte er einen Versuch, auch morgens mit ihr zu fahren: er wollte in ihrer Nähe sein, er konnte die unbestimmte Unruhe, die ihn fern von ihr nicht losließ, nicht länger ertragen. Aber in einer leidenschaftlichen Szene, in der sie in eine geradezu unsinnige Wut geriet, die gar nicht im Verhältnis zur Sache stand, wies sie seine Begleitung zurück. Sie habe tausend Kleinigkeiten zu besorgen, wie sie der Haushalt verlange: wenn er dabeistehe, irritierte er sie, und wenn er draußen warte, nehme er ihr die Ruhe. Und als er dennoch eines Morgens mit ihr zu fahren suchte, weil er wirklich selbst zu seinem Schneider in die Stadt mußte, stieg sie kurz entschlossen wieder aus und blieb trotz aller Bitten daheim. Drei Tage sprach sie kein Wort mit ihm. Dann gab er nach und bat inständig wieder um gut Wetter.

Seitdem wurde jeder Vormittag ein Martyrium für ihn. Sah er es doch, wie sie ängstlich besorgt war, die Zeit nicht zu verschlafen, beim ersten Lärm der Weckuhr mit auffälliger Hast aus dem Bett fuhr, wie sie in unverkennbarer Erregung auf das Auto wartete, mit lächelnden Augen den riesigen Chauffeur musterte, der aufrecht, die tadellos behandschuhten Hände am Steuerrad, ohne eine Muskel in seinem frischen, schnauzbärtigen Gesicht zu verziehen, auf seinem Führersitz thronte. Und genau, wie das Gefährt in allen Fugen zu zittern begann, sobald der Motor angekurbelt wurde, so bebte Rolfs Herz Tag für Tag, wenn er seine Loni davonfahren sah, ins Ungewisse hinein. Und doch eilte er vorher geschäftig hin und her, packte sie sorgsam ein und grüßte mit leuchtendem Blick, wenn sie noch einmal flüchtig nach ihm zurückspähte.

Eines Morgens griff er in die Satteltasche des Autos im Schlag, um nach einem Handschuh, den sie vermißte, zu suchen. Seine Finger faßten Metall, an der Reifelung erkannte er einen Brennapparat für ihr Haar, von dem ihm jetzt auffiel, daß er seit einiger Zeit von ihrem Toilettetisch verschwunden war. Er stutzte, aber dann machte er sich selbst Vorwürfe über sein Mißtrauen.

Wenige Tage später erhielt er einen anonymen Brief, des Inhalts, daß Loni in Steglitz ein Zimmer gemietet habe und dort sich täglich mit dem Chauffeur eine Stunde lang amüsiere.

Er zerriß das Schreiben, ohne es Loni zu zeigen. Auch jetzt noch suchte er sich selbst zu suggerieren, daß kein vernünftiger Mensch auf solche hinterlistige Anzeige etwas gibt, die zweifellos von einem der entlassenen Chauffeure stammte. Wohl kämpfte er mit dem Gedanken, den Mann fortzuschicken, aber er fürchtete eine Szene mit Loni, und er hätte auch keinen Anlaß gefunden: denn Karl war nüchtern, korrekt und sicherer Fahrer, der jede Schraube des Motors kannte und den Mercedes in tadellosem Zustand hielt.

Und doch sah er Loni am nächsten Morgen mit doppelt schwerem Herzen fortfahren, wartete er noch ängstlicher als sonst auf sie und musterte sie bei ihrer Rückkehr mit spähenden Blicken. Und deutlich sah er: Ihre Taille war schlecht geschlossen, die Haken des Kragens saßen, statt in den Ösen, in der Stickerei der Bluse. Ihre Frisur war nicht mehr dieselbe: wirr, in feinen Fäden hing das Haar trotz des schützenden Schleiers auf den Nacken hinab. Ihre Augen hatten tiefe Schatten, ihre Lippen waren rot wie Blut.

In diesem Moment wußte er, daß der Brief die Wahrheit gesprochen, daß sie ihn betrog. Aber er schwieg. Und als sie dann angesichts seiner sichtlichen Bestürzung ihn vorsichtig von der Seite beobachtete, mit unsicheren Fragen, denen er scheu auswich, ihn sondierte, als sie dann plötzlich auffallend nachgiebig wurde, nach Tisch zum erstenmal ihn selbst dazu verlockte, sie zu herzen und zu küssen, da war er fast dem Manne dankbar, der dort draußen eifrig, ohne aufzusehn, seine Maschine putzte.

Denn sobald sie gegessen hatten, pflegte Loni es sich wieder ganz bequem zu machen, um dann auf ihrem Diwan, in einem Schmöker lesend, Konfekt zu knabbern oder eine Zigarette zu rauchen, bis ihr die Augen zufielen. Dann schlich sich Rolf leise hinaus, und Todesstille herrschte im Hause. Denn sie konnte maßlos werden, wenn ihr Schlaf gestört wurde; oft, wenn ein Bote bestimmt erwartet wurde oder der Briefträger auf seiner Tour kommen mußte, stand Rolf beharrlich am Gitter des Vorgartens, damit ja niemand läute und Loni wecke.

Doch während er dort auf und ab ging und nach jedem Passanten lugte oder regungslos auf der Gartenbank hockte, schlich leise über das dichtbewachsene Gitter, über blühende Pelargonien und rankende Glyzinen die graue Sorge zu ihm heran.

Wie lange noch . . .? Wie lange noch konnte er ihr, die jeder neue Tag fester an ihn knüpfte, die ihm das Glück schenkte, auch wenn sie ihn zurückstieß und betrog, – wie lange noch konnte er ihr dies Leben bieten?

Sie hatte es bald satt gehabt, immer von neuem Geld von ihm zu fordern, und ihm ein Scheckbuch abgeschmeichelt, das sich nur allzu rasch geleert hatte. Ein zweites, ein drittes folgte. Es gewährte ihr eine unsägliche Befriedigung, nach größeren Einkäufen diese von Rolf bereits unterschriebenen Schecks auszufüllen, während das Personal des Geschäfts ehrerbietig um sie herumstand. Vergebens hatte Rolf sie gebeten, wenigstens auf den im Buche verbleibenden Talons den Betrag ihrer Zahlungen zu notieren: so blieb er denn völlig im unklaren über ihre Ausgaben, und immer wieder gab er blindlings auf ein Schreiben der Bank, daß sein Bardepot erschöpft sei, neue Verkaufsorder für die Papiere, in denen sein Vermögen angelegt war.

Und obwohl er es vor sich selbst nicht wahrhaben wollte, empfand er es doch, daß diese schmalen, weißen Blätter, mit denen sein Hab und Gut fortflatterte, das einzige waren, das Loni an ihn kettete. Gar oft sah er im Geiste, dort in der Dachkammer der Genthiner Straße, ihre weit aufgerissenen, ungläubigen Augen, hörte er sie wie berauscht die Märchensumme wiederholen: Hundertzwanzigtausend . . . Und mit der Hartnäckigkeit und Verblendung des Menschen, der angesichts der unerbittlich herankommenden Not die letzten, karg bemessenen Tage des Glücks restlos, bis zur Neige auskosten will, scheuchte er alle Bedenken von sich, wiegte er sich stets von neuem in dem Glauben, daß sein Besitz für absehbare Zeit nicht zu erschöpfen war.

Bis Anfang Juli ihm die Bank ihren Auszug, den ersten seit dem Antritt seines Erbes sandte.

Er hatte zuerst nach der Endsumme gesehn und ungläubig den Kopf geschüttelt. Nur 37 000 Mark sollte er ausgegeben haben? Wo das Auto allein 18 000 M. kostete, die Einrichtung, Lonis Ausstattung und Schmuck viele, viele Tausende? Wo ihr Nachtleben die Goldstücke nur so rollen ließ?

Und mit einmal ging es ihm wie ein eisiger Schauer über den Rücken. Siebenunddreißigtausend, das waren ja gar nicht seine Ausgaben, – das war der Rest, war alles, was ihm geblieben. Dreiundachtzigtausend Mark hatte in wenigen Monaten sein Liebesglück verschlungen.

*


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