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I

In dem halbdunkeln Schlafzimmer stand Ernst Hartwig in seinem grünseidenen Schlafrock und beugte sich über das Bett seiner Frau.

»Na, adieu einstweilen, Kleine,« sagte er und strich ihr zärtlich übers Haar, »du kommst bald nach, nicht wahr?«

»Ja,« klang es ihm kurz entgegen; die junge Frau lag unbeweglich da, ihr abgewandtes Gesicht in den Kissen vergraben.

Hartwig richtete sich auf, trat ans Fenster und zog den Vorhang zurück.

»Ja, ich dachte es mir wohl,« sagte er vergnügt, »wir bekommen heute herrliches Wetter. Die Sonne strahlt schon hell über dem Meere.«

Aber von dem Bett drang kein Laut, nur die Decke bewegte sich heftig.

Hartwig sah unverwandt hinaus. »Das herrliche Meer!« rief er. »O wie ich mich danach gesehnt habe, während ich fort war! So schön wie hier haben wir sicher noch in keinem Sommer gewohnt.«

»Na,« fuhr er fort und wendete sich der Tür zu, »sollen wir sehen, wer zuerst angezogen ist, Ingeborg?«

»Ja,« erklang es fast unhörbar vom Bett her.

Er lächelte und schüttelte leicht den Kopf. Dann ging er hinaus und machte die Tür leise und behutsam hinter sich zu.

Noch einen Augenblick lag Ingeborg unbeweglich; dann lief plötzlich ein heftiges Zittern durch ihren Körper – er spannte sich krampfhaft, schnellte etwas in die Höhe wie ein Bogen und fiel wieder schlaff zurück.

Nun lag sie, das Gesicht nach oben gerichtet, mit geschlossenen Augen, hastig atmend, da.

Wie erhitzt sie war! Wie erregt und wie schnell ihr das Herz klopfte! In ihrem ganzen Körper pochte ihr Blut mit heftigen Schlägen ... im Hals, in den festgeballten Händen, in den Lenden, in den Füßen.

Ach, diese Sehnsucht!

Plötzlich verzerrte sich ihr Gesicht – ihre Mundwinkel begannen zu zittern, und unter den geschlossenen Augenlidern drangen große Tränen hervor. Rasch wendete sie sich auf die Seite und preßte das Gesicht in die Kissen hinein. Erst weinte sie leise, aber nach einer kleinen Weile schluchzte sie zum Herzbrechen, daß ihr zarter, schlanker Körper unter der Decke zitterte und bebte.

Immer und immer war es so, wenn er gegangen war – jedes-, jedesmal ohne Ausnahme, sie konnte nichts dafür ... Und nun heute, nachdem er länger abwesend gewesen war, eine ganze Woche ungefähr, hatte sie so sicher gehofft, daß es anders sein würde! Aber nein, es war genau so, wie es immer gewesen war!

Ach, was sollte sie tun? Was sollte sie nur tun?

Und in das feuchte Kopfkissen hinein klagte sie ihre bittere Not: diese Sehnsucht, diese Sehnsucht, die immer in ihr erweckt, aber niemals befriedigt wurde; sie zehrte an ihr, rieb sie auf, sie machte sie so müde und elend! Und häßlich überdies auch! Schließlich mußte es ja damit enden, daß er sich nichts mehr aus ihr machte!

Sie legte ihren Kopf auf eine andere Stelle des Kopfkissens, die nicht von ihren Tränen feucht war, und lag eine Weile ganz still.

»Gott mag wissen, ob es den andern auch so geht!« dachte sie wieder, wie schon so unzählige Male. Sie hatte es nie über sich vermocht, mit ihren verheirateten Freundinnen darüber zu sprechen, und wenn diese davon anfingen, wurde sie so scheu, daß sie das Thema schnell wieder fallen ließen ...

Nun, eigentlich waren es nur zwei, alle die andern kannte sie fast gar nicht; aber wenn sie nun an Ellen Nygaard, Helga Tofte dachte – ja, da mußte sie sich sagen, daß die beiden eigentlich immer ganz ruhig und vergnügt zu sein schienen; sie hatten immer klare Augen, und man konnte sich über alles mögliche vernünftig mit ihnen unterhalten – und zwar trotzdem Helga so einen stumpfsinnigen, dicken Mann hatte!

Die junge Frau zupfte gedankenverloren an ihrer Bettdecke und schluchzte ganz leise.

Ach nein, sie selbst war sinnlicher veranlagt als die andern, daher kam es, jawohl, Ernst mochte sagen, was er wollte.

Wenn man der Sache auf den Grund ging, war sie einfach eine Messalina – sie selbst mußte es ja doch am besten wissen.

Das hatte sie übrigens, ehe sie geheiratet hatte, gar nicht gedacht, jetzt aber mußte sie es ja allmählich glauben – denn diese Sehnsucht wurde ja immer heftiger, so oft sie geweckt wurde.

Und sie war erst sechsundzwanzig Jahre alt – was sollte da erst werden, wenn sie dreißig und noch mehr war?

Während sie diese und ähnliche Gedanken an ihrer Seele vorüberziehen ließ, wurde sie allmählich ruhiger. Hin und wieder lief zwar noch ein krampfhaftes Zucken durch ihren Körper, und sie war noch ebenso erhitzt wie vorher; aber ihr Puls klopfte nicht mehr so heftig, und eine Art Benommenheit bekam Gewalt über sie – jene nervöse Mattigkeit, die sie nur allzugut kannte.

Ihr einer Arm hielt das Kopfkissen umschlungen, sie drückte ihre nasse Wange darauf und schloß die Augen. So lag sie da und dachte an Ellen – Ellen Nygaard, die vorgestern herausgekommen war und sie in ihrer Einsamkeit besucht hatte. Ellen hatte sie um den schönen Aufenthalt hier, von der großen Landstraße weit entfernt, beneidet – Ellen selbst kam im Sommer nie weiter von Kopenhagen weg als nach Vedbeck, wo man sich, wie sie sagte, vor lauter Menschen nicht retten könne.

Übrigens schienen ihr diese Menschen gar keine Plage zu sein, sie war ja so lieb und vergnügt gewesen ... und mit ihren beiden reizenden Kindern ganz ruhig und zufrieden.

Ja, mit diesen beiden Kindern – da konnte sie freilich leicht ruhig und zufrieden sein.

Ingeborg preßte plötzlich das Kissen heftig an sich.

Ach, das Kind – das kleine Kind, das nicht kommen wollte!

Ach du lieber Gott! Wie lange wartete sie nun schon darauf! Über vier Jahre – ja schon fast vier und ein halbes Jahr hatte sie jetzt schon gewartet – einen Monat um den andern – aber alles blieb, wie es immer gewesen war! Das Kind kam nicht.

Wie innig lieb wollte sie es doch haben, wenn es kam! Wie wollte sie es küssen und herzen! Die Ärmchen des Kindes um ihren Hals und das weiche, warme Körperchen an ihrem Herzen, welche Wonne! Ach, lieber Gott, wenn es doch nur käme!

Der Hals schnürte sich ihr wieder zusammen, und sie drückte ihre brennenden Lippen gegen das Kissen, das ihre Arme umschlungen hielten.

Aber plötzlich stieß sie das Kissen weg und ließ sich zurücksinken. Nun lag sie eine Weile ganz unbeweglich; ihre Augen starrten weit aufgerissen zur Zimmerdecke empor.

Nein, es kam nicht, das Kind ... es kam niemals ... es konnte nicht kommen!

Warum? ... Warum?

War sie denn nicht ebenso beschaffen wie andere Frauen? Sie hatte doch ein Herz, das klopfte, hatte Blut in den Adern – hatte eine Brust, die sich danach sehnte, voll und schwellend zu werden!

Warum kam dann aber das kleine Kind nicht?

Ach, wie oft und mit welcher Bitterkeit hatte sie darüber nachgegrübelt! Was half es denn?

Sie richtete sich auf den Ellenbogen auf, riß die Decke zur Seite und betrachtete ihren zarten, weißen Körper mit einem düsteren, verzweiflungsvollen Blick.

Was hatte sie nur für einen Körper – einen so heißen, begehrlichen ... und doch zugleich so unfruchtbaren und so armen! Arm ja, arm war er – bettelarm!

Bettelarm!

Einmal ums andere wiederholte sie das Wort mit einer flüchtigen Verwunderung, wie gut es paßte:

Bettelarm! ... Bettelarm!

»Wo ich gehe und stehe muß ich ihn als einen armen Bettler mitschleifen.«

»Inga!« tönte es plötzlich langgezogen und dringend von unten zu ihr herauf.

»Ja!« rief sie erschrocken, während sie beide Hände vors Gesicht schlug.

»Bist du auf?«

»Ja, gleich!« erwiderte sie.

»Wir trinken den Tee drunten im Pavillon. Es ist wunderschönes Wetter!« erklang es fröhlich.

»Ja!«

»Beeile dich, Kleine!«

Drunten fiel eine Tür ins Schloß.

Heiß und verwirrt stand sie auf, und mit einer sonderbar fieberhaften Eile, wie blindlings, griff sie nach ihren Kleidern.

In der letzten Zeit war es ihr vollständig gleichgültig gewesen, was für ein Kleid sie anhatte. Was konnte es nützen, wenn sie sich putzte und doch mit jedem Tag häßlicher wurde? Und auch jetzt tat sie nichts, um hübsch auszusehen. Ihr schönes, blondes Haar raffte sie auf dem Scheitel zusammen, wie es gerade kam, und steckte aufs Geratewohl Haarnadeln und Kämme hinein – mochte es sitzen, wie es wollte! Und dann warf sie eine lose Morgenjacke über, weil diese am bequemsten anzuziehen war.

Sie betrachtete sich im Spiegel: Ja, ja, gerade so erregt und erhitzt, so müde und angegriffen wollte sie aussehen – auch mit so verschwollenen Augen, wenn sie jetzt zu ihm hinunterkam – denn geradeso war sie ja auch, so hoffnungslos sah es in ihrem Innern aus. Nicht einmal pudern wollte sie sich, was sie doch sonst immer tat – in ihrem ganzen Elend wollte sie sich ihm zeigen. Sie wußte wohl, daß sie sich dumm benahm, denn sie hatte ja keinen heißeren Wunsch, als daß er sie hübsch finde und ihrem Geschmack und ihrem Auftreten seinen Beifall zuteil werden lasse – aber jetzt sollte er doch einmal zu sehen bekommen, wie es ihr eigentlich zumute war, wie sie sich selbst beurteilte.

Das behagliche Schlafzimmer mit seinen gelbgebeizten Möbeln, den mit einfarbigem, hellbraunem Stoff bezogenen Stühlen, Ruhebetten und Wänden, war in wilder Unordnung, als sie es verließ. Auf dem Toilettentisch lag eine umgestürzte hohe Blumenvase, und in einer Wasserlache daneben schwammen ein paar gelbe Rosen, die ihr Hartwig gestern beim Nachhausekommen mitgebracht hatte.

Von Ingeborgs Zimmer führte ein Flur nach der andern Seite des Hauses, wo Hartwigs Schlafgemach und die Fremdenstube lagen, und in der Mitte dieses Flurs war eine Treppe, auf der man in den Vorplatz des Erdgeschosses gelangte.

Als Ingeborg hinunterkam und da erst recht sah, wie hell die Sonne draußen schien, setzte sie einen großen, breitrandigen Gartenhut auf. Diese abscheuliche Sonne!

Dann trat sie in den Garten.

Den mächtigen Wasserspiegel des Kattegats tief unter sich, lag die Villa hoch und einsam auf den gelblichgrünen mit Riedgras bedeckten Dünen. Ein kleiner Vorgarten, der sanft gegen das Ufer abfiel, war mit jungen Fichtenbäumen bepflanzt, und etwas weiter drunten ragte auf einem kleinen Absatz an der Berglehne zwischen den Fichten und dem Riedgras ein brauner Holzpavillon hervor, der weit über das Meer hinaushing.

Hier hinunter ging Ingeborg, halb stolpernd und blindlings; der helle Sonnenschein blendete ihr die schmerzenden Augen, daß sie sie zusammenpressen mußte.

Auf dem Wege begegnete sie dem Stubenmädchen, der langen, rothaarigen Laura. Diese trug in der einen Hand ein Servierbrett, mit der andern hielt sie ihr weißes Häubchen fest, das ihr der Wind zu entreißen drohte.

»Guten Morgen, gnädige Frau!« sagte sie und machte vor der jungen Frau Halt. »Wünschen Sie, daß ich heute auch den Honig herunterbringe?«

»Nein, ich danke,« murmelte Ingeborg, ohne anzuhalten.

Als sie die kleine Veranda des Lusthäuschens erreicht hatte, sah sie ihren Mann an dem einen Ende des langen, gedeckten Teetisches sitzen. Er aß mit großem Appetit.

»Na, bist du endlich da, du kleiner Siebenschläfer!« sagte er behaglich und vergnügt. »Nun, wer ist denn zuerst gekommen?«

Ingeborg setzte sich schweigend an das entgegengesetzte Ende des Tisches.

»Ei, dich hat ja die Sonne in den acht Tagen meiner Abwesenheit ordentlich verbrannt!« rief er, als er ihr ins Gesicht sah. »Du siehst ja aus wie ein kleiner gekochter Krebs.«

Unwillkürlich zog Ingeborg den Hut übers Gesicht herein, schob ihn aber sogleich wieder zurück und sah ihren Mann gerade an. Aber er hatte sie schon wieder vergessen.

»Ja die Sonne, die Sonne!« rief er.

Er kaute den Bissen, den er im Munde hatte, fertig, stand dann auf, trat ans Geländer der Veranda und schaute einen Augenblick über das Meer hin. Tief unter ihm, so weit das Auge reichte, dehnte es sich wie eine glänzende, in dunkelblauer und dunkelgrüner Färbung leuchtende Metallplatte, durch die sich blasse, flimmernde Linien hinzogen.

»Ach, wie wunderschön ist es hier!« rief er leise. »Ich glaube, es gibt keine schönere Küste auf der weiten Welt! Nicht einmal in Italien ...«

»Inga!« fuhr er fort und streckte die Arme rückwärts nach ihr aus. »Komm ein wenig hierher und sieh!«

Sie stand auf und trat zu ihm. Er legte ihr den Arm um die Schultern und drückte sie an sich.

»Weißt du noch das letztemal in Neapel?« begann er leise. »Weißt du noch, dort rechts von der Stadt nach Pozzuoli hin, liegt ein großer, langgestreckter Bergkamm ... wie heißt er nur gleich? Man gelangt mit einem Aufzug hinauf, der mitten aus dem Tunnel darunter hinaufführt – na, aber es war herrlich dort oben! Man sieht beide Buchten zugleich, links den Golf von Neapel, rechts die Bucht von Bajä ... Weißt du noch, dort wollten wir uns eine Villa kaufen – Il piccolo Paradiso hieß eine davon – und dort wollten wir den Rest unseres Lebens verbringen ...

Aber wenn ich jetzt das Meer hier sehe, dann weiß ich wahrhaftig nicht, ob ich mich nicht ebenso gerne auf der Küste von Nordseeland niederlassen möchte.«

Ingeborg schwieg und schaute nur hinaus auf das weite, dunkelglänzende, sonnenfunkelnde Meer.

So stand sie unbeweglich, dicht an ihn angeschmiegt. Sie hörte nichts von dem, was er sagte, sah weder das Meer noch die Sonne, sie überließ sich ganz dem Gefühl beruhigender Sicherheit, die von ihm, den sie so innig liebte, zu ihr herüberströmte. Hier allein fand sie Ruhe; Stunde um Stunde konnte sie so bei ihm ausruhen, ohne eine Sehnsucht irgendwelcher Art, ganz zur Ruhe gewiegt von dem tiefen Zauber, der sie bei der Berührung mit seinem Körper umfing. O, warum konnte ihr dieser dann nicht auch das geben, was sie so bitter vermißte?

»Du kommst mir so stumm vor, kleine Inga?« sagte er plötzlich; und er schob ihr den großen Strohhut etwas aus dem Gesicht. »Ist dir etwas?«

Sie aber schüttelte nur den Kopf gegen seine Schulter und drückte sich fester an ihn an, aus Angst, er könnte jetzt von ihr gehen.

Da richtete er ihr Gesicht auf und sah sie fragend an.

»Hast du wieder geweint?« sagte er ein wenig ungeduldig. »Gleich am ersten Tage, wo ich wieder hier bin!«

»Ich bin nur ein wenig nervös,« flüsterte sie und wendete heftig das Gesicht ab.

Er ließ sie los. »Ach – nervös!« rief er. »Wie kann man hier nervös sein! Bei dieser Sonne und dieser Luft! Bei jedem Atemzug saugst du ja lauter Gesundheit ein!«

Sie gab keine Antwort, sondern trat langsam an den Tisch, setzte sich da nieder und stützte den Kopf in die Hände.

Er seufzte, zuckte bedauernd die Schultern und ließ sich auf seinem früheren Platz, ihr gerade gegenüber nieder.

»Willst du denn gar nichts essen?« fragte er ärgerlich und nachdrücklich, während er sich zugleich gegen sie vorbeugte.

»Ich bin nicht hungrig,« murmelte sie, ohne die Augen aufzuschlagen.

»Na, dann laß es eben!«

Er nahm sein weichgekochtes Ei wieder vor und aß eine Weile schweigend mit gutem Appetit, ohne sie anzusehen.

Sie aber beobachtete ihn. Wenn sie ihn, wie eben jetzt, in einer gewissen Entfernung vor sich hatte, konnte sie ihn manchmal wie einen Fremden betrachten; und jetzt war er ärgerlich und fern.

Er war in den letzten Jahren beleibter geworden, das sah sie wohl. Das offene, schöne Gesicht mit den großen Zügen hatte vollere Wangen bekommen, der braune, kräftige Hals war dicker als früher, die ganze Gestalt machte einen breiten, bequemen Eindruck, der früher nicht dagewesen war, und die kräftigen Hände waren auch fleischiger geworden.

»Es geht ihm zu gut, daran liegt es,« dachte sie betrübt, wobei sie unwillkürlich an sich selbst denken mußte. »Er tut, was er will, und er weiß, daß er das tun kann ... Für ihn ist ja bei allem ein Genuß dabei ... Er genießt sich selbst ... und er genießt das Leben, und er genießt mich ...

Aber ich? ...«

»Ich weiß nicht, ob ich dir gestern abend erzählt habe ...« begann Hartwig plötzlich. Er sah sie dabei an, um sie dazu zu bringen, dieses ununterbrochene Vorsichhinstarren aufzugeben. »Ich war doch drüben bei Mama in Hovgaarden, und da fing sie eines Tages von meiner Zukunft an. Sie sagte, sie möchte mich vor ihrem Tode noch in irgendeiner Stellung sehen, und sie werde wohl nicht mehr allzuviele Jahre vor sich haben.«

Er hielt inne und sah seine Frau an.

»Ja – und was erwidertest du darauf?« fragte Inga hastig und wie aus dem Schlaf erwachend.

»Nun,« versetzte er, ganz erfreut, ein Wort von ihr zu hören, »ich stimmte ihr vollkommen bei. An und für sich ist mir zwar auf der weiten Welt nichts gleichgültiger als meine Zukunft; aber wenn ich Mama auf ihre alten Tage eine Freude damit machen kann, dann sehe ich nicht ein, warum ich es nicht tun sollte. Sie bot mir überdies noch an, Hovgaarden zu verkaufen, damit ich bei irgendeiner Gesandtschaft standesgemäß leben könne. Ich sagte natürlich, dieser Verkauf sei nicht nötig – was er ja übrigens auch nicht ist – aber wenn sie das Gut doch verkauft, dann haben wir von dem Tag an eine feste jährliche Einnahme von 60 000, anstatt der bisherigen 24 000, die ich seither von ihr bekomme.«

»Ja, was sagst du dazu?« fragte er, als Inga fortgesetzt schwieg.

Sie zog mit dem Finger Linien in das Tischtuch.

»Ich weiß es nicht,« murmelte sie.

»Ja, ich weiß es auch nicht,« fuhr er fort. »Aber als ich dann in Kopenhagen war, ging ich zu einem Bekannten, der Assistent im Ministerium des Äußeren ist, und fragte ihn für alle Fälle nach den Chancen eines Attachépostens bei einer Gesandtschaft in irgendeiner Stadt, wo es sich leben läßt. Und von ihm erwarte ich nun in den nächsten Tagen Bescheid.«

Er schwieg und betrachtete Ingeborg, während er mit den Augen zwinkerte. »Nanu!« rief er dann plötzlich und stand heftig auf. Er ging zu ihr hinüber, stützte die Hände flach auf den Tisch und beugte sich zu ihr hinunter.

»Was würdest du sagen, wenn wir etwa zur Gesandtschaft nach Wien kämen, oder vielleicht nach Paris?«

Sie warf ihm einen raschen Blick zu. »Ja,« flüsterte sie mit einem erschrockenen Seufzer.

»Das ist doch eine Stellung,« fuhr er fort und richtete sich auf. »Und das Geld ist da, und das bißchen Examen, das ich dazu brauche, habe ich auch. Es ist doch eine Zukunft!«

Mit unruhigen Schritten wanderte er ein paarmal auf der Veranda hin und her. Der weiße Flanellanzug warf, so oft er in die Sonne trat, einen hellen Schein in den Pavillon herein.

»Eine Zukunft?« schien eine leise Stimme in Ingeborgs Herz zu flüstern, und in demselben Augenblick mußte sie an das Kind denken. Für sie war die ganze Zukunft dieses Kind, auf das sie vergeblich wartete; und so war es in diesen letzten Jahren immer gewesen, so oft sie auch nur ein wenig vorwärts geschaut und nach den Zeichen dafür an ihrem Körper gespäht hatte. Wenn eine Reise beschlossen werden sollte: Ja aber das Kind! Wenn es sich um eine Wohnung handelte: Das Kind, das Kind! Wenn ein Kleid gekauft werden sollte: Das Kind!

Sie sah zu ihrem Mann hinüber, der da mit so unruhigen Schritten auf und ab ging, wobei der helle Anzug in der Sonne aufleuchtete, und an alles andere dachte, an lauter gleichgültige fremde Pläne ...

Da blieb er plötzlich vor ihr stehen und stemmte die Hände in die Seiten.

»Nun?« sagte er.

Und sie antwortete das einzige, was ihr möglich war: »Ja, aber das Kind?«

Er sah seine Frau einen Augenblick starr an, dann schlug er entsetzt die Hände zusammen und beugte sich in die Kniee zu ihr herunter.

»Das Kind, sagtest du! Sagtest du, das Kind?« rief er mit einer Stimme, die halb lachend, halb jämmerlich klang. »Ja, wo ist es denn, das Kind? Komm doch mit ihm – präsentiere es mir doch!« Er richtete sich wieder auf und erhob warnend den Zeigefinger: »Inga, Inga – das wird ja zur fixen Idee bei dir, zu einer wahren Manie!«

Ihr traten plötzlich die Tränen in die Augen, während sie ihn starr ansah.

Er sah es und wurde etwas gerührt. Rasch strich er ihr über die Wange und stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch.

»Du mußt wirklich sehen, daß du in diesem Punkt etwas vernünftiger wirst, liebe Inga,« sagte er. »Immer und ewig denkst du an das Kind ... Lieber Gott, so schlag dir doch diese Grille aus dem Kopf! ... Und gerade hier!« fuhr er mit einem munteren Klang in der Stimme und sich wieder aufrichtend fort. »Ja, ich kann ja wohl verstehen, daß ein Kind, das man erwartet, bei manchen Plänen im Wege sein kann. Aber ein Kind, das nicht kommt! – Da muß man doch allmählich etwas Erfahrung darin haben, daß das einem unmöglich hindernd in den Weg treten kann.«

Und lachend fuhr er fort: »Hast du Angst, es könnte in Paris auf schlechte Wege geraten, was? Oder meinst du, es könnte in die Themse fallen und ertrinken?«

Sie erwiderte nichts und kauerte sich nur mit einem leisen Schauder zusammen. Wie diese Stimme ihr in den Ohren weh tat ... bis ins Herz hinein tat es ihr weh!

»Nein, Kleine,« sagte er lustig, »wenn es nun wirklich so weit kommt, daß ich irgendwo auf der weiten Welt etwas mitzusprechen hätte, dann werde ich meinen unsichtbaren Erben sogleich zum Kammerjunker ernennen und ihn mit all der Achtung behandeln, die seinem Rang und seiner Würde gebührt – aber mehr kann ich nicht für ihn tun.«

Er schüttelte lächelnd den Kopf und machte ein paar Schritte.

Aber Ingeborg sah ihn plötzlich mit einem Funkeln in ihren Augen an; sie atmete heftig und begann zu zittern.

»Nein, du kannst ... Du ...« rief sie laut und abgerissen mit unnatürlich scharfer Stimme. »Du kannst nicht mehr tun ... aber ist es meine Schuld?«

»Hallo, Hallo!« rief er und wendete sich ihr überrascht zu.

Sie wurde blutrot. »Ist es meine Schuld?« rief sie noch einmal.

»Aber Ingeborg!« sagte er leise. »Was hast du nur, warum regst du dich denn so auf?«

»Es ist nicht meine Schuld!« rief sie jetzt.

Er betrachtete sie einen Augenblick mit einem ernsten und bekümmerten Blick und ließ sich dann ihr gegenüber auf einem Stuhl nieder.

»Ich glaubte, wir hätten diese Sache so gründlich besprochen, wie sie überhaupt besprochen werden kann,« sagte er ruhig. »Ich kann nichts dafür, daß du mir nicht aufs Wort glauben willst. Und wenn du dich so hartnäckig sträubst, dir die Ursache davon wissenschaftlich konstatieren zu lassen, dann ist ja ...«

»Warum soll ich?« rief sie.

Er sah sie starr an. »Was soll das heißen?« fragte er hart.

»Du kannst ja ebensogut!« rief sie außer sich.

Eine heiße Röte verbreitete sich über sein Gesicht, während er sie noch immer anstarrte.

»Da hört aber doch alles auf ...« murmelte er.

Aber dann stand er rasch auf und schleuderte den Stuhl heftig von sich.

»Ha, ha!« lachte er laut. »Ich sollte es nötig haben, mir meine ... meine Mannbarkeit feststellen zu lassen – ich!« rief er, während er die eine Hand auf seine Brust drückte. Er trat zu ihr und legte die geballte Faust fest auf den Tisch.

»Du bist verrückt,« sagte er drohend. »Du weißt selbst nicht, was du sagst. Aber ich möchte dir doch raten ...«

Sie sprang auf. Ihr heißes, verstörtes Gesicht wendete sich ihm zu, ihre Augen glühten ihm funkelnd entgegen, und sie sagte:

»Was raten?«

Er wich einen Schritt zurück. »Was?« wiederholte er.

»Deine Schuld ist es! Ich bin ganz sicher, daß es deine Schuld ist!« rief sie mit einem lauten Aufschluchzen – und ehe er sich's versah, war sie an ihm vorbeigeschlüpft und verschwand auf der Veranda.

Er wollte ihr nach, hörte aber nur noch ihr Weinen und ihre eiligen Schritte, die in der Richtung des Hauses hin verklangen.

Einen Skandal in Gegenwart der Dienstboten – nein, dazu war er sich denn doch zu gut.

Voller Zorn stand er da. Es lief ihm feucht über den ganzen Körper; er zog sein Taschentuch heraus und wischte sich Gesicht und Hals ab.

»Das hysterische Frauenzimmer!« murmelte er. »Es wird ja von Tag zu Tag schlimmer! ...«

Mit schweren, zornigen Schritten ging er eine Weile hin und her.

»Meine Schuld – ha!« rief er laut lachend mit einer Art grimmigen Humors. »So, es ist meine Schuld? Ich hätte fast Lust ...«

Er verstummte, trat ans Geländer der Veranda und starrte eine Weile schweigend aufs Meer hinaus. Dann zündete er sich eine Zigarre an und wanderte lange rauchend und grübelnd auf der Veranda hin und her.

Allmählich klärte sich sein Gesicht auf; und als das Stubenmädchen kam, den Tisch abzuräumen, schlug er schallend die Hände zusammen und befahl ihr lustig, dem Diener Eriksen zu sagen, er solle ihm sofort sein Pferd satteln.

Er machte dann einen langen Ritt landeinwärts, kreuz und quer durch die Felder, auf denen der Roggen in der Sonne goldig reifte; und als er zur Frühstückszeit zurückkehrte, sah er so ruhig und sicher und vergnügt aus, wie es seine Gewohnheit war.

Das Frühstück mußte er indessen allein einnehmen. Die gnädige Frau befinde sich nicht wohl, lautete der Bescheid. Aber er nickte bloß dazu und vollendete sein Frühstück, wobei er dazwischen leise vor sich hinsummte.

Und nachdem er den Kaffee getrunken hatte, ging er zu Ingeborg hinauf.

Sie lag auf ihrer Chaiselongue ganz in Decken eingehüllt, wie wenn sie fröre. Aus den Decken tauchte ein kleines blasses, vergrämtes Gesicht auf, dessen Augen ihm durch das lose, verwirrte Stirnhaar schüchtern entgegenblickten.

Er trat zu ihr und setzte sich neben sie.

»Du siehst jetzt eigentlich nicht mehr besonders sonnverbrannt aus,« sagte er, während er ihr lächelnd die Hand streichelte. »Geht es dir nicht gut?«

»Nein,« flüsterte sie und preßte die Zähne aufeinander, damit er nicht merken sollte, daß sie bei seiner Berührung zu zittern begann.

»Ei, ei, diese Grillen werden dich doch hoffentlich nicht so angreifen, die ...«

»Es sind keine Grillen!« flüsterte sie.

»Na ja,« sagte er gutmütig. »Dann nennen wir es Gedanken oder Sorgen, oder wie du willst. Aber auf alle Fälle müssen wir ein Ende damit machen.«

Er stand auf.

Sie seufzte und wendete den Kopf weg.

»Wie du seufzst, Inga!« rief er und schlug leise die Hände zusammen. »Und wie du wimmerst und stöhnst und dich aufreibst – ich kenne dich ja gar nicht mehr. Wo ist denn das Plaudertäschchen geblieben, Kleine? Lieber Gott, wie reizend hast du früher plaudern können, du kleines Tierchen, und die Augen aufreißen, und über alles, auch das kleinste, die komischsten Aussprüche tun. Aber jetzt ...«

»Na,« fuhr er fort, während er im Zimmer hin und her ging, »meiner Ansicht nach sind wir eigentlich ganz prachtvoll miteinander ausgekommen in allen den Jahren, viel besser als ich eigentlich im Anfang erwartet hatte. Ich, mit meinem alten schweren Bauernblut in den Adern, du, mit deiner zusammengesetzten städtischen Natur, die dir angeboren ist ... wer hätte denken können, daß diese beiden sich auf die Dauer so gut miteinander zusammen vertrügen! Aber es ging. Wir verwuchsen allmählich miteinander; wir konnten uns über alles aussprechen, wenn irgend etwas zwischen uns war – wir hatten einander lieb.«

Er hielt inne, trat näher und setzte sich wieder zu ihr.

»Siehst du, Ingeborg,« sagte er, wobei er eine ihrer Hände ergriff, »hier stehst du nun zum erstenmal in deinem Leben vor etwas, das du nicht begreifen kannst – vor einem Zufall ... einer sinnlosen Laune der Natur, über die man schimpfen oder weinen mag, soviel man will – es nützt alles nichts. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als diese Laune unschädlich zu machen, sie sozusagen zu umgehen, und deshalb möchte ich dir nun einen Vorschlag machen, der dir vielleicht helfen kann.«

Rasch wendete Ingeborg den Kopf und sah ihn an.

Er ergriff behutsam ihre beiden Arme und drückte ihre Hände an seine Brust.

»Wir wollen ein Kind annehmen, Ingeborg,« sagte er leise, mit einem Anflug von Feierlichkeit in der Stimme.

Sie zwinkerte heftig mit den Augenlidern – sah ihn mit einem raschen flehenden Blick an und flüsterte: »Ach nein!«

»Doch, doch,« erwiderte er und strich ihr langsam und zärtlich über die nackten Arme. »Das wird dir helfen, du wirst es schon sehen. Ein kleines Kind, mit dem du spielen kannst, das du liebkosen und dein eigen nennen darfst. So ein kleines, süßes Pusselchen, das die Ärmchen um deinen Hals schlingt und dich küßt, und für das du eine richtige Mutter sein wirst.«

»Ja, aber wenn es nun nicht dein Kind ist!« rief Ingeborg und faßte nach seiner Hand.

Er lachte ein wenig und strich ihr fürsorglich das verwirrte Haar aus der Stirne.

»Süßes Herzenskind!« sagte er lächelnd. »Es ist überaus nett von dir, daß du sofort an mich denkst – aber erinnere dich doch ...« und wieder lachte er etwas verlegen ... »daß du mich selbst vorhin anklagtest ... aufs bestimmteste und aufs leidenschaftlichste behauptend, daß ich überhaupt nicht ...«

Mit einem Ruck richtete sie sich auf: »Das habe ich nicht gemeint!« rief sie.

»Na ja,« sagte er lustig, während er sie wieder streichelte. »Es hat jedenfalls gar keinen Wert, darüber zu streiten. Aber,« fuhr er ernst werdend fort, »hier ist jedenfalls die Möglichkeit eines Auswegs gegeben. Es ist ein Ausweg, ein Vorschlag, eine Probe, die schon viele andere in ähnlicher Lage versucht haben – und als mehr betrachte ich es nicht. Geht es nicht, dann geben wir es auf.«

»Es aufgeben?«

»Ja, ich meine, wir brauchen ja das Kind nicht sogleich zu adoptieren.«

»Kennst du es?« fragte sie.

»Ja,« antwortete er und stand rasch auf. »Ich habe es gesehen. Es ist ein süßes kleines Mädelchen von einem Jahr oder auch etwas mehr.«

Ingeborg saß aus dem Ruhebett und betrachtete ihren Mann plötzlich mit einem ganz hellen, gespannten Blick.

»Woher kennst du es?« fragte sie. »Und wie heißt es?«

»Es heißt Jonna. Gefällt dir der Name?« erwiderte er.

»Woher kennst du es?« wiederholte sie.

»Ja, das ist eine etwas heikle Geschichte, von der ich dir früher nicht gesprochen habe,« begann er. Er setzte sich auf einen Stuhl, etwas von ihr entfernt, und fuhr fort. »Ein alter Freund von mir, übrigens ein ganz tüchtiger und ehrenhafter Mensch – hat sich vor ein paar Jahren mit einem jungen Mädchen in Kopenhagen zu weit eingelassen, er mußte dann fort, als er sie gerade durchaus heiraten wollte. Sie ist unter seinem Stand, sonst aber von einfacher, guter Familie. Nun sitzt sie jedoch mit ihrem Kinde da – und der Vater schreibt manchmal an mich von Petersburg aus, wo er sich niedergelassen hat, daß er die ganze Sache je eher je lieber los sein möchte.«

»Warum?« fragte Ingeborg.

»Warum? Nun ich denke mir, weil er wohl Angst hat, die Mutter werde seiner Familie damit kommen und ihr Unannehmlichkeiten machen.«

»Das ist nicht gerade ehrenhaft von ihm,« sagte sie.

»Naa – vielleicht nicht; aber ich führe dies ja auch nur an, damit du siehst, daß man uns das Kind leicht überlassen wird. Er wird einfach entzückt sein, es in so guten Händen zu wissen.«

»Aber die Mutter?« fragte Ingeborg.

»Die Mutter?« wiederholte Hartwig und strich Ingeborg übers Gesicht, »die tut, was er sagt. Es bleibt ihr auch gar nichts anderes übrig.«

Ingeborg sah ihren Mann überrascht an. »Hängt sie denn nicht an ihrem Kinde?« fragte sie.

»Doch, natürlich,« antwortete er. »Das heißt,« fuhr er fort, »soweit ich es beurteilen kann, ist sie bereit, es um eine einmalige Abfindungssumme abzutreten ... Also ...«

»Es verkaufen!« rief Ingeborg.

»Na ja,« warf er mit leicht gerunzelter Stirne hin. »Solche Dinge sind ja heutzutage sehr gewöhnlich. Für uns ist also nicht die geringste Schwierigkeit dabei. In vierzehn Tagen schon kann alles nach unseren Wünschen geordnet sein.«

Er ging ein wenig auf und ab und schielte dabei zu Ingeborg hinüber; dann blieb er vor ihr stehen.

»Sollen wir es versuchen?« fragte er. »Wir nehmen die kleine Jonna wie irgend ein anderes Ferienkind auf vier Wochen zu uns heraus, und wenn sie uns dann gefällt, behalten wir sie.«

Ganz in sich zusammengesunken, die Hände im Schoß, das wirre Haar über die Stirne herein, saß Ingeborg eine Weile stumm da. Er sah, daß sie die Lippen bewegte, aber kein Ton drang heraus.

Dann strich sie sich langsam das Haar aus dem Gesicht, und nun sah sie ihn an.

»Ja,« sagte sie ganz leise.

Und als sie seine vergnügte Miene sah, zog eine heiße Röte über ihr Gesicht: sie konnte ihn also froh machen!

Sie stand auf, und ohne auf das zu hören, was er sagte, trat sie zu ihm, schlang ihre mageren Arme um seinen Hals und bot ihm ihren liebedürstenden Mund dar.

»Ich liebe dich,« flüsterte sie.

Er küßte sie, küßte die dünnen roten Lippen, die müden Augenlider, die Stirne mit den vielen kleinen Falten. Wenn er sie so still ergeben, so zärtlich und weich sah, wurde er immer gerührt.

»Meinst du nicht, die Kleine werde uns Freude machen?« fragte er dann.

Still lehnte sie eine Weile ihren Kopf an seine Schulter.

»Ich weiß es nicht,« sagte sie dann und richtete ihren Kopf auf. »Sie bleibt doch immer eine Fremde, die entweder ihrer Mutter oder ihrem Vater ähnlich werden wird, und schließlich entwächst sie uns.«

Er ließ sie los. »Na ja,« sagte er lächelnd, »das wird sich ja zeigen.«

» Aber jetzt solltest du dich anziehen, Ingeborg,« fuhr er mit einem Blick auf seine Uhr fort. »Dann machen wir vor dem Essen rasch eine Spazierfahrt. Wir haben ja viel zu besprechen, und du mußt frische Luft in die Lungen bekommen.«

»Gut,« sagte sie zustimmend.

»Nun, dann klingle ich jetzt gleich nach dem Kutscher,« sagte er und verließ das Zimmer.

Zögernd und langsam machte sich Ingeborg an ihre Toilette. Ohne Freude dachte sie an die Pläne ihres Mannes; sie glaubte nicht, daß sie ihr ernstlich helfen könnten. Aber ihn konnten sie vielleicht zerstreuen; jedenfalls war es etwas Neues.

Aber allmählich, als sie sich etwas mehr in das Neue, das sie erwartete, einlebte, wurde ihr leichter ums Herz.

Wer konnte wissen, wenn sie mit einem Brummkreisel, einem Ball oder einer Puppe so ein kleines Wesen glücklich machen könnte ... wenn sie ein kleines Kinderköpfchen hätte, über das ihre Hand zärtlich hinstreichen könnte ...

Vielleicht verschaffte ihr das Ruhe – selbst wenn das Herz für immer stumm blieb.


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