Selma Lagerlöf
Legenden und Erzählungen
Selma Lagerlöf

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Die Rache bleibt nicht aus

Es war ein langes und recht breites Thal. An seiner einen Seite erhob sich eine Reihe zackiger Küstenberge, an der anderen ein gleichmäßig hoher First, den dichter Wald deckte. Unten im Thale stand eine Kirche und ringsum war eine weite offene Gegend, in der aller Wald ausgerodet war.

An einem Sonntagabend war es, und der Sonnenuntergang lag brennend hinter den Küstenbergen. Leute, die den ganzen Tag drinnen in den Hütten geschlafen hatten, traten vor die Schwelle, streckten sich und spitzten die Ohren, um zu erlauschen, ob von irgend einer der vier Ecken der Welt Tanzmusik erschalle. Wem es glückte, einen einzigen Geigenton aufzufangen, der machte sich davon über die schmalen, schneeigen Dorfwege, und kam dann wie von ungefähr dahergegangen, langsam und bedächtig, aber die »Tanzhütte« als sicheres Ziel im Sinn.

So kam Gruppe auf Gruppe durch die Thüre Arilds, des Köhlers am Waldessaum, hereingeglitten. Da fragte niemand darnach, wer kam; der neue Gast stand ein Weilchen unten an der Thüre, gewöhnte die Augen an den Rauch, der sich unter dem Rauchfange hervorwälzte und in das Zimmer qualmte, bis er den Weg zu dem Loch im Dache fand; und dann mischte sich der neue Ankömmling auch ins Spiel. Der Reihentanz ging über den Erdboden, das Stroh war weggetreten, die Ferkel hatte man von der Grube unter das Dachloch geschafft, wo sie sich am liebsten aufhielten; großer Schwingraum war nicht, aber Arild selbst spielte die Geige, und der Tanz verlief drinnen im Winterquartier ebenso gut, als er an einem Sommerabend über den Waldeshang gegangen wäre.

Arild hatte eine Frau, die Tora hieß; sie pflegte sich immer in eine dunkle Ecke zu verkriechen, wenn er zum Tanze lud. Sie war leutescheu und schreckhaft, war fast immer als Hirtin im Walde umhergezogen und stand im Rufe, mehr sehen zu können als andere.

An diesem Abend war sie ungewöhnlich vergnügt, sie versteckte sich nicht, sondern saß vorne beim Kamin, wo die Flamme dicht neben ihr brannte. Es war wenig Farbe in ihrem breiten, fetten Gesicht, die Augen, die hell wie Wasser waren, blickten lebendig, und sie bewegte die großen Hände, während sie sprach. Wenn die Leute sie bemerkten, traten sie aus den Reihen der Tanzenden und kamen heran, um sie zu begrüßen.

Wessen Hand sie dann ergriffen hatte, den hielt sie fest, bis sie das erzählt hatte, was ihr diesen Morgen geschehen war. Es bereitete ihr Verlegenheit, es herauszubringen, aber gleichzeitig war sie doch so stolz darauf, daß sie es nicht verschweigen konnte.

Den Leuten fiel es sonst schwer, das Lachen zu verbeißen, wenn sie erzählte, was sie gesehen und geträumt hatte. Nun sollte man sich aber überzeugen, daß ihre prophetische Gabe etwas wert war.

Als sie im Morgengrauen dalag, hatte sie geträumt, daß ihre drei Ziegen droben im dichten Wald in die Irre gingen. Sie hatte sie so jämmerlich meckern gehört, daß sie erwachte. Als sie nun nachsah, erblickte sie sofort alle Ziegen in ihrer Hürde unten an der Thüre, und sie hatte ja zuerst gedacht, dies sei nur ein gewöhnlicher Traum. Aber dann kam eine Unruhe über sie: »Nein, nein, das ist ein bedeutungsvoller Traum,« hatte sie zu sich selbst gesagt.

Damit war sie aufgestanden, hatte sich in Fellkleider gehüllt, das Nebelhorn über die Schulter geworfen und war in den Wald hinaus gewandert. Sie war vom Wege abgewichen, nach der Anweisung des Geistes gegangen und nahe daran gewesen, sich im Dickicht zu verstricken. Sie lachte leise, als sie das erzählte. Wußten sie, was das war, im dichten Walde vom Wege abzukommen? Grundloser Boden, der bei keiner Kälte zufror, Gestrüpp, das jeden leeren Raum zwischen den Stämmen ausfüllte, Schneehaufen und Wurzeln und stechende Dornen und umgestürzte Bäume, so war es oben im Wald.

»Aber dort oben fand ich drei wilde Böcke,« sagte sie. »Kommt und seht, was ich dort fand.« Sie führte ihren Gast die Reihen der Tanzenden entlang hin zu dem Bette, das mauerfest war und durch Thüren geschützt. Sie öffnete die Thüre, leuchtete mit einem Kienspan, und da sah man drinnen drei Männer liegen. Sie waren alle in zerrissenen Fetzen, abgemagert waren sie, so daß die Backenknochen schwarze Schatten auf die Wangen warfen, aber ihre Züge waren kühn und schön. Sie schliefen so, daß weder der Tanz, noch Toras Vorzeigen sie wecken konnte.

»Das sind meine drei wilden Böcke, die ich im Dickicht fand,« sagte sie. »Es sind drei arme Gesellen, die sich im tiefen Walde verirrt haben und dort acht Tage umhergewandert sind. Wäre ich nicht gekommen, würden sie jetzt tot sein. Den ganzen Tag habe ich Essen für sie gekocht, und jetzt schlafen sie. Seht, wie sie schlafen.«

»Es ist Gottes Gnade, die Dich sie retten ließ, Tora,« sagten ihre Gäste.

»Gott wollte, daß ich nicht allezeit zum Gespött sein sollte,« sagte das Weib.

So verstrich der Abend. Aber als die Schlafenszeit herankam, da ward die Freude unterbrochen. Die Thüre wurde mit Macht ausgestoßen, und ein langer, großer Mann kam herein. Er durchbrach den Ring der Tanzenden, stellte sich mitten in den Raum und erhob seine Hand.

Das war der Pfarrer, Herr Ane, und er kam, um den Tanz in der Sonntagsnacht zu verbieten. Er hatte an diesem Tage in der Kirche gestanden und leeren Wänden gepredigt. Er hatte geglaubt, Krieg und Pest müßten alle Menschen dahingerafft haben, aber nein, hier waren sie, hier in der Spielhütte waren sie zu finden. Und der Pfarrer verkündigte Buße und Kirchenstrafe über sie alle.

Nun, da er sie gefunden, sollten sie seine Predigt hören. Und er sprach und zertrümmerte ihre Freude und schreckte sie mit dem furchtbaren, künftigen Leben, so daß sie vermeinten, niemals mehr den Fuß zum Tanze heben zu können.

»Tanzet nun, wenn es Euch gelüstet,« sagte der Pfarrer, »tanzet nun, Ihr wisset jetzt, wohin Ihr tanzet.«

Einige schlichen sich stumm von dannen, Andere standen verlegen da und suchten sich tapfer zu halten, aber begannen bald leise zu schluchzen. Ein Dirnlein, das eben noch am wildesten getanzt hatte, fiel auf die Knie und küßte die Hand des Pfarrers.

Keiner wagte ihm zu widerreden, außer Tora. Sie, die sonst immer bange war, kam breit und ihrer Sache sicher heran. »Pfarrer,« sagte sie, »hier haben wir jeden Sonntagabend getanzt, all diese Jahre, und doch ist dies ein Haus Gottes. Du sollst hören, wie Gott heute seinen Segen über mich ergossen hat.«

»Trollweib,« sagte der Pfarrer, »willst Du schweigen! Was an Segen zu Dir kommt, das ist des Teufels Segen. Heute Abend rede ich zu Menschen, die sich bekehren und bessern können, mit Dir rechne ich ein andermal ab.«

Damit ging der Pfarrer, und in der Hütte herrschte große Betrübniß. Arild versuchte ein paar Striche auf der Geige, aber legte sie gleich wieder fort. Die meisten von denen, die getanzt hatten, gingen heim.

Tora saß wieder am Herde, sie warf neue Scheite in die Glut und schien ebenso froh, als zuvor. Einige, die sahen, daß sie den Mut nicht verloren hatte, gingen auf sie zu und begannen, übel vom Pfarrer zu sprechen.

»Luthers Lehre hat Herrn Ane wild und toll gemacht,« sagte ein Lauer. »Früher, als er noch dem Papste zugehörte, durfte man selbst im Pfarrhof tanzen.«

»Er ist nicht so gut, wie er sich stellt, Du, Tora,« sagte ein anderer.

»Thut er mir etwas, dann werde ich schon erzählen, wie er zu seinem Gelde gekommen ist,« sagte Tora.

Und da nun viele sie fragten, was sie meinte, erzählte sie: »Der Pfarrer, Herr Ane, war einmal sehr arm, aber er hatte einen Bruder, der ein Großbauer war und sehr reich.

Der Bauer starb und Herr Ane zog in seinen Hof, der näher zur Kirche lag, als sein eigener. Und sobald er in den Hof gekommen war, fing er an, nach dem Gelde des Bruders zu suchen, aber konnte es nicht finden. Er grub in der Erde und riß die Kellermauer und die Küchenwand ein, um das Geld zu finden, aber es wollte sich ihm nicht zeigen.

Das Geld kam nicht zu Herrn Ane, obgleich er in langen Gebeten zu Gott darum flehte. Und Herr Ane ward krank und verzweifelt vom Suchen und Nichtfinden.

Und in der ganzen Umgegend lachte man Herrn Ane aus, weil er seinen Kummer nicht verhehlte. »Hast Du meines Bruders Geld gesehen?« konnte er den ärmsten Bettler fragen.

Da kam meine Mutter, die nichts mehr war, als ein armes Bettelweib, das von Hof zu Hof zog, eines Abends in das Pfarrhaus und bat Herrn Ane um Herberge für die Nacht.

»Du sollst keine Herberge haben, wenn Du mir nicht sagen kannst, wo mein Bruder sein Geld verwahrt hat,« sagte Herr Ane zu ihr.

»Wenn ich das wüßte, Herr Ane,« sagte Mutter, »dann brauchte ich wohl nicht auf der Landstraße umherzuziehen und mein Brot zu erbetteln.«

Und sie bat ihn um Gottes Barmherzigkeit willen, er möge ihr Obdach gewähren, denn es war nicht gut für sie, in ihrem hohen Alter draußen unter freiem Himmel zu liegen.

Aber Herr Ane erwiderte, bei dem, was er gesagt, sollte es sein Bewenden haben, und sie konnte kein Obdach bekommen, wenn sie ihm nicht das Geld verschaffte.

»Aber wenn mir das gelingt, kann ich Obdach im Pfarrhof haben, bis zu meiner Todesstunde?« sagte Mutter. – »Das sollst Du,« sagte Herr Ane.

Da bat Mutter, der sehr bange wurde vor dem, was sie auf sich genommen, Herr Ane möge ihr große Linnenlaken geben, und die hüllte sie um sich, als wäre sie eine Leiche. Dann ging sie auf den Kirchhof und nahm Graberde und streute sie über sich, und dann ließ sie sich von Herrn Ane die Kirchenthür öffnen, und er folgte ihr in die Kirche und half ihr auf einen Dachbalken.

Und da lag nun Mutter auf dem Balken unter dem Dache. Aber sie ging durch alles mit fröhlichem Mute, in der Hoffnung, sich dadurch ein geschütztes Alter zu erringen.

Nun, es mochte gegen Mitternacht sein. Da wurde es hell in der Kirche und ein paar Steine im Boden erhoben sich, und einer der Toten kam hinauf in die Kirche. Es war ein großer, derber Mann, er ging mehrere Male um die Kirche herum, da erblickte er meine Mutter. »Bist Du tot?« sagte er zu ihr. Und sie wagte nicht zu antworten. Da hatte es den Anschein, als wollte er zu ihr hinaufklettern. Und Mutter sagte mit heiserer Stimme: »Ja, ich bin tot.« Und da ließ er sie sein.

Aber dieser Tote war des Pfarrers Bruder, und er ging nun wieder zu seinem Grabe. Er holte daraus eine Tonne hervor, die voll Silber und Gold war, und Mutter sagte, daß sie sah, wie er die Gold- und Silbermünzen nahm und mit ihnen spielte, er warf sie über sich, als säße er im Bade und bespritzte sich mit Wasser.

Aber als er sich müde gespielt hatte, schüttete er das Geld ins Grab hinab und stieg in seinen Sarg und die Steine legten sich von selbst auf ihren Platz zurecht.

Mutter blieb bis zum Morgen auf ihrem Balken hängen, und dann kam der Pfarrer, Herr Ane, und fragte, ob sie noch am Leben sei. Jawohl, Mutter war frisch und gesund. »Dann komm und iß einen Bissen,« sagte der Pfarrer. »Nein, zuerst will ich mir ein Obdach verdienen, für meine alten Tage,« sagte Mutter.

Sie bat den Pfarrer, Leute zu schicken, und dann ließ sie den Boden über seines Bruders Grab aufbrechen und den Sarg herausheben. Und als sie dies thaten, war nichts Wunderliches zu merken; aber als Mutter sagte: »Seht nun nach, was noch in dem Grabe liegt,« da begann der Tote sich in seinem Sarge hin- und herzuwälzen. Aber Mutter bedeutete den Burschen nur, sich mit der Arbeit zu sputen.

Mutter hielt ihre Hand auf dem Sargdeckel, denn sie hörte, wie der Tote dort drinnen arbeitete. So holten sie aus dem Grabe eine große Tonne voll Gold- und Silbergeld. Und Mutter war froh, als sie den Toten wieder unten im Grabe hatten und der Kirchenboden über ihm geschlossen war.

»Gieb mir zu essen,« sagte meine Mutter dann zum Pfarrer, »ich habe jetzt ein tüchtiges Stück Arbeit für Dich gethan.«

Und der Pfarrer gab ihr zu essen und behielt sie bei sich sieben Tage, dann hieß er sie wieder gehen.

Als Mutter so von neuem auf die Straße geworfen war, verfluchte sie ihn und sagte: »Das Geld, das ich Dir errungen habe, soll Dein Unglück werden.«

Und Mutter erzählte, daß der Pfarrer ihr sagte, er fürchte sich vor nichts, was ein Bettelweib ihm anhaben könne.

»Die Rache bleibt nicht aus,« sagte Mutter. Das war Mutters Sprichwort, daß die Rache nicht ausbleibe.

Aber ihre Rache an dem Pfarrer blieb aus, fuhr Tora fort, und nun heißt er ihre Tochter ein Trollweib.

»Er würde die große Kiste neben seinem Bett nicht so vollgepfropft mit Geld haben, wenn meine Mutter nicht gewesen wäre,« fuhr Tora fort und richtete sich auf. »Er würde nicht dasitzen können und Geld über sich werfen und wälzen, wie er es zu thun pflegt, er geradeso wie der Tote, wenn meine Mutter ihm nicht geholfen hätte.«

Wie Tora dies sagte, hörte man ein sachtes Scharren. Es war nicht ganz nahe, aber auch nicht weit weg. Niemand wußte, was es sein konnte. Es war, als versuchte jemand, ein Loch in die Hauswand zu feilen.

»Wer schleift Messer in meinem Haus?« rief Tora plötzlich.

Nun wurde es ganz stille. Aber als das Gespräch wieder in Fluß gekommen war, begann es aufs neue zu knirschen und zu scharren.

Tora nahm einen Kienspan, ging zum Bette hin und sah hinein. Da lagen die drei Wanderer ausgestreckt und schliefen, so wie sie den ganzen Abend geschlafen hatten.

Nun war es wieder eine Weile stille, dann begann das Unwesen abermals. Jeder hörte deutlich, wie Messer gegen Stein und Leder gerieben und geschliffen wurden. »Gott helfe uns, das ist ein Omen,« sagte Tora. »Möge uns nichts Böses widerfahren, weil wir Übles vom Pfarrer gesprochen haben!«

Aber am nächsten Morgen lag der Pfarrer, Herr Ane, ermordet in seinem Bett, und sein großer Geldschrein war verschwunden. Und es wurde allsogleich bekannt, daß die drei wandernden Gesellen, die bei Arild dem Köhler gelegen und ihre Müdigkeit ausgeschlafen hatten, die Urheber des Mordes waren.

Sie hatten Tora vom Gelde des Pfarrers erzählen hören, während sie dalagen und thaten, als schliefen sie. Und sie hatten sofort den Mord geplant und sich daran gemacht, ihre Messer zu schleifen.

Und seit diesem Tage gingen die Worte des alten Bettelweibes wie ein Wahrspruch durch die Umgegend. »Die Rache bleibt nicht aus,« sagt man. »Gott kann mit einer Sage fällen. Gott kann mit einem Traume schlagen. Die Rache bleibt nicht aus.«

 


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