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11. Das Papier im Fadenknäuel

Ein Schritt war also gethan. Aber was war dem guten Pastor gewonnen? »Welche Antwort wird wohl das liebe Kind mir ertheilen? Auf welchem Wege werd' ich sie erhalten? Wie soll ich vernehmen, mit was für Augen sie mein rasches Thun betrachtet?« Diese und ähnliche Fragen quälten ihn nicht wenig. Umsonst suchte er auf einem einsamen Spaziergange seine gestörte Gemüthsruhe wieder zu finden. Umsonst überlas er alle seine mit Sprüchen alter Weisen beschriebenen Zettel, die er, als geistliche Hausapotheke überall mit sich trug. Alle Weisheit ward für diesen Augenblick zu Schanden. Das aufgeregte Herz behauptete nun einmal seine Rechte; und Alles, was das arme Männchen über sich vermochte, war das Geständniß, daß er lieber an den blauen Himmel als in Lischens blaue Augen hätte gucken sollen; – daß er besser gethan hätte, den ganzen Handel gar nicht anzufangen; – daß er .... Aber hier stand schon wieder das freundliche Wesen vor seinem Blicke, und mit vor die Brust geballten Händen seufzte, er: »Ach, Himmel, ich konnte ja nicht anders!«

Unruhig erschien er an der Mittagstafel seines Gönners. Das muntere Tischgespräch des alten Herrn, die mancherlei Jugendstreiche in der Gesellschaft von Krause dem Vater einst verübt, und dem Sohne mit jovialischem Muthwillen erzählt, der kräftige, nicht sparsam gespendete Wein, und die dabei von Seite des ehrenfesten Rathsherrn so herzlich angebrachte Gesundheit: »Auf stete gute Freundschaft zwischen uns beiden!« das Alles erheiterte doch endlich den liebekranken Pastor; ja er faßte die Hoffnung, im Nothfalle an dem wackern Vormunde wohl gar einen kräftigen Alliirten für die wichtigste Angelegenheit seines Lebens zu gewinnen.

Im Gange seiner Geschäfte gerieth er Nachmittags in die Gesellschaft zweier alten Jungfern, bei denen er neben andern Bedürfnissen auch Faden zum Heften seiner Schreibereien einkaufte. Freundlich ward er ins Zimmer genöthigt und sogar eine Tasse Kaffee ihm angeboten. Aber wie stutzte er, als drinnen seine Huldin auf dem Ruhebette saß, emsig strickend, doch freundlich ihn begrüßend. Ohne die lauschenden Späherblicke der beiden alten Jungfern, ohne das sichtbare Erröthen des überraschten Mädchens hätte wahrscheinlich Krause sich vergessen und wäre – mit der Thür ins Haus gefallen. Jetzt hielt er an sich, gewann Kraft zu einem gleichgültigen Gespräche und bat im Verfolge desselben das freundliche Mädchen, den eben gekauften Faden ihm in einen Knäuel zu winden, damit er weniger sich verliere. Er suchte in seinen Taschen nach einem schicklichen Stückchen Papier zur Unterlage. Aber während die gefälligen Jungfern eben draußen mit ihrem Handel beschäftigt waren, ergriff Lischen mit sichtlich zitternder Hand und neuem Erröthen ein zusammengelegtes Papier aus ihrem Strickbeutel und wickelte in sorglicher Hast den Faden darüber. Hoch pochte Krausen das Herz. Wie gerne hätte er gefragt! doch wie durfte er? Aber fest hielten seine Blicke auf sie, die, im Purpur der Verlegenheit glühend, schöner war als sonst. Er wollte in ihrem Blicke lesen, ob eine Antwort für ihn darin, und ob Ariadnes rettender Faden ihm geboten sei. Aber sie blickte nicht auf. Sie bot – die Lauscherinnen waren eben wieder eingetreten – freundlich den Knäuel ihm dar und nahm von einer schlagenden Wanduhr, wie sie sagte, gemahnt, ihren Abschied. Auch Krause entfernte sich, und rannte lange nach einem heimlichen Winkel umher, wo er unbemerkt den Knäuel abwinden und das Innere desselben erforschen könnte. Die hoch gelegene Kirche bot ihm in ihrer Vorhalle eine Zuflucht. Mit zappelnder Hast wickelte er den Faden ab, faltete das Papierchen aus einander und las: »Dankbarkeit und Pflicht binden mich an meine Tante. So lange diese lebt, kann und will ich Niemanden auf solche Fragen antworten.«

Kalt und warm krabbelte es um das Herz des ehrlichen Krause herum. Ich würde umsonst versuchen, das Gewirr der sauern und süßen Empfindungen hier zu malen, deren wogender Kampf ihn bis zum Einbruche der Dunkelheit auf seiner einsamen Stelle festhielt. Genug, er hielt sich an das reine Resultat, daß für ihn zwar in diesem Augenblicke nichts zu hoffen sei: aber doch, auch von keinem Andern etwas zu fürchten. Oder warum hatte sie sonst das: Niemanden unterstrichen? Heilig bewahrte er also dieß Billet und legte es, zu Hause angelangt, in das geheimste Schubfach seines Schreibpultes.


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