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6. Der Hauszettel

Also scherzend bei sich selbst über seinen Glücksstern mit Papierstreifen, eilte Gottfried nach der bezeichneten Gasse, Obschon nicht poetischen Geistes, gaukelte ihm seine Phantasie doch ein junges, hübsches Mädchen vor, das wohl auch Vermögen haben müsse, weil ja doch seines Dafürhaltens unbemittelte Leute nicht in Lotterien zu setzen pflegten. Aber ehe der Knoten des kleinen Romans in seinem Geiste gelöst war, stand er bereits an der Thüre, wo auf einem schmalen Streifen Papier mit weiblicher, aber fester Schrift zu lesen war: »Jungfer Elisabeth C... eine Stiege hoch, vorne heraus.« Freundlich nickte das Pastörchen diesem stummen Wegweiser seinen Dank zu, klimmte vorsichtig eine finstere Treppe hinan, und stand etwas verblüfft vor der Thür, als er in dem Zimmer eine altfränkische Melodie mit wackelnder Stimme singen hörte. Indessen er pocht an, einmal, zweimal, – dann stärker zum dritten Male. Umsonst! der Sirenengesang tönt fort. – Endlich kommt eine Pause, eine alte Stimme ruft herein, fängt jedoch wieder zu singen an, ehe nur unser Freund die Thüre eröffnet hatte. Er trat ein. Hatten aber seine Ohren ihm schon wenig Tröstliches versprochen, so gaben ihm nunmehr seine Augen nichts Besseres zu schauen. Betroffen erblickte er in sehr altfränkischen Umgebungen ein altes dürres Mütterchen mit bedenklich zugespitzter, stark gegen das emporstrebende Kinn divergirender Nase. Ohne sich durch seinen Eintritt stören zu lassen, vollendete die fromme Matrone ihren Gesang aus dem Mirantischen Flötlein, zu dem ein dickgemästeter Kater auf dem Schooße seinen leisen Baß schnurrte. Erst mit dem Ende des Liedes hob die Dame die Brille von der Nase und fragte nach seinem Anbringen. Etwas kleinlaut eröffnete Gottfried die Ursache seiner Erscheinung, und hatte sich nun eines gar freundlichen Blickes der holden Sängerin zu erfreuen, die mit vielen und breiten Worten ihm dankte, mit frommen Sprüchen ihn begabte und ihn endlich, mit dem Segen entließ: »Der Herr vergelte dir nach deinen Werken!«

So sehr nun der junge Mann auch in seinen Erwartungen betrogen war, so konnte er doch des Lächelns über sich selbst sich nicht enthalten. Er schnitt freilich dem trüglichen Zettel an der Hausthür jetzt ein ganz anderes Gesicht, als vor wenigen Augenblicken. Aber hatte dieser nicht dennoch seine Pflicht gethan? War es nicht vielmehr seine eigene Phantasie, die ihn hintergangen hatte? Er war billig genug, das einzusehn, und söhnte sonach sich auch mit diesem Papierstreifen aus.

Allein in einer Stadt, die nicht größer als A.... ist, kann eine an sich unbedeutende Geschichte schon Aufsehen erregen. Gottfried ward aller Orten darüber ausgefragt, und mußte immer wieder erzählen, welchergestalt er das Loos gefunden und es wieder abgegeben habe. Wie stutzte er aber, als er von ein paar muthwilligen Mädchen bedauert wurde, daß er nur die alte Tante und den alten Kater angetroffen; die hübsche junge Nichte hingegen, der das Loos eigentlich gehöre, verfehlt habe. Man neckte ihn mit seinem Unstern und er spaßte gutmüthig mit. Ganz aber konnte er einen geheimen Unmuth doch nicht unterdrücken, daß er von seinem Funde dießmal nicht mehr gewinnen sollte, als den Gesang der alten Tante und ihre gar zu bekannten Sprüchlein, Indessen, wer wenig begehrt, ist leicht befriedigt; und der genügsame Pastor tröstete sich bald, Etwas nicht erlangt zu haben, an das vier und zwanzig Stunden früher sein Herz ja nicht einmal gedacht hatte.


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