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Es war ein Morgen wie am siebenten Schöpfungstage. Ameys Augen suchten Don Lund am Frühstückstisch.
»Er kann es nicht länger ertragen«, sagte leise lachend die Bronklava, während Amey wieder diesen herrlich gestickten Kimono aus violetter Seide an ihr bewunderte. Eigentlich war er viel zu kostbar für die Gelegenheit und ein wenig phantastisch. Aber er war das einzige Stück, mit dem die kleine Malerin Staat machen konnte. Sie trug ihn dauernd, zu Ehren der Burg und Ameys. Die Bronklava deutete auf Marsyas, der nachlässig eine Mappe auf einem kleinen Nebentisch deponierte.
Als Amey seine Not erkannte, legte sie sich sogleich aufs Bitten. Sie hatte ihre Gäste zu einem Wettbewerb aufgefordert. Auf einem Vorwerk sollte ein neues Inspektorhaus gebaut werden.
»Oh, Marsyas!« sagte Amey, während der lange Mensch, entirdischt vor Erwartung, anfing, die kleinen braunen Perlhuhneier auf dem Tisch zu rollen. »O Marsyas! –Ja, wenn ich mir einmal ein Mausoleum bauen lasse!« –
Amey hielt den Bogen mit dem mathematisch kühlen und kristallinisch zusammengeschossenen Tempelgebäude auf Armeslänge von sich entfernt!
Der Professor riß an seiner meeresblauen Krawatte. Er war zu schüchtern, ohne Aufforderung sofort nach seinen Skizzen zu stürzen. Wenigstens zehn Hausmodelle hatte er fertig. Manche sahen aus wie Pilze und andre wie Drachen. Sie hätten jedes Märchenbuch zum Siegeszug geführt.
»Wir brauchen rundum einen Zypressenhain.« Amey reichte das Blatt der Bronklava. Die schönen und schlimmen Hexen wurden lebendig in den dunkeln Wäldern ihrer Augen. »Aber bedachten Sie gar nicht die arme kleine Frau Inspektorin?« Sie fragte streng. »Wenn Sie nun einmal ihrem Mann einen Knopf annähen müßte! Oder sie hat Kaffeekränzchen mit Frau Kantor? – Ja, und wo soll sie wohl Grützwürste stopfen in so ungeheurer Feierlichkeit?«
Marsyas sah erschreckt auf seinen Grabtempel. Seine Fingergelenke mußten alles entgelten. Aber er mußte mitlachen, als die andern lachten.
»Jetzt sieht man, wie nötig es war, daß sich die Frauen endlich des Baufaches erbarmten!« Der kleine Hans Feldmann, der Dichter und Königssohn durch Ameys Veilchenstrauß hörte Hymnen, sobald Amey ihn nur ansah.
»Ja, ihr denkt immer an die Feste und Weihestunden und an die Affekte«, sagte Amey. »Wie sich das übrige macht, das überlaßt ihr uns gern!« Zugleich suchten ihre Augen fortwährend. Don Lund – wo blieb Don Lund? Und sie dachte: »Das Leben! Ist es nicht Fest und Weihe von Sonnenaufgang bis Niedergang? –
»Wir einigen uns noch, Marsyas!« Sie nahm ihn sanft und lachend bei der ungebärdigen Künstlerlocke. Nur müssen Sie nicht vorher Ihren letzten Finger geopfert haben! Lassen Sie uns arme Frauen ein wenig mit kalkulieren. Bei Inspektors gibt es nämlich leider Plüschmöbel in der besten Stube. Aber mein Patchen ist so süß! Und dann – wir sind nun doch in Niedersachsen, wo Widukind so zäh an den alten Göttern hing. Ohne Wotans Pferdeköpfe auf der Dachhaube kommt hierzulande wirklich kein Glück ins Haus!«
Gerade in diesem Augenblick hörte man in der Ferne des Parks eine starke jubelnde Stimme: »Wie herrlich leuchtet mir die Natur . . .«
Es war die d'Albertsche Vertonung, die von Leidenschaft schwingt.
Amey strich Elisabeth Ewald übers Haar, wie sie ihr den Honig hinreichte. Die Tränen traten ihr in die Augen vor Glück. Nicht lange danach stand Don Lund am Fuß der Terrasse. »Es gibt viele Mäuse und viele Haselnüsse heuer«, rief Don Lund. »Das bedeutet harten Winter. Meine Freundin, die alte Ariane, versichert mir eben, es käme Krieg. Das Gejaid hat in den zwölf Nächten arg unter den Baumwipfeln gehaust.«
Er schwieg sekundenlang. Sein Gesicht, das eben ganz hell und gelöst erschien, spannte und erhärtete sich. »Der Wald und die alte Ariane werden recht behalten zuletzt«, sagte er langsam. »Auf den Halligen geht eine Rede von alters her. Ole Aye, der Schäfer, hatte es von seinem Vater, und der wieder von seinem: In hundert Jahren sollte ein Krieg über die Welt kommen. Dann würden die Menschen auf der Erde, in der Luft, auf dem Wasser und unterm Wasser einander erschlagen. Und viel Land wird zur Wüste werden. Der Krieg wird beginnen, wenn die Sonne am schärfsten brennt. Und Städte und Dörfer werden untergehen. Und werden viele Orte sein, wo die Mädchen ohne Freier bleiben.«
Es war, als habe Dornröschen zum zweitenmal sich an der goldnen Spindel gestochen. Marsyas ließ einen schönen Schinkenbissen auf der Gabel schweben, und die Teetasse in der Hand der Bronklava zitterte im Morgenlicht.
Don Lunds Augen gingen von einem Gesicht zum andern. Sie prüften. Sie forderten. Dann hafteten sie an Amey. Er sah die fremde, tiefe Blässe ihrer Haut und zugleich den kühnen Glanz ihrer Augen.
»O loderndes Herz!« sagte etwas in Don Lund. »O Herz aus Kristall mit der Flamme!« Er preßte sekundenlang die Hand auf die Brust. Er schlug die Lider über seine Augen, ehe sie ihn ganz verrieten. Dann kam er die Terrasse herauf. »Herrin, seid gegrüßt!«
»Seine Nacht?!« dachte Amey. »Oh, unser gestriger Abend!« Aber zugleich mußte sie denken: Krieg! Und dann wieder schien dieses ungeheure, zerstörerische Wort noch eine andre Bedeutung zu bekommen. Irgendeine fremde, harte und zuletzt heiligende Schöpferkraft schien sich darin zu verbergen. Amey grübelte, während sie Don Lund mit Tee versorgte. »Wann werden die hundert Jahre um sein?« fragte sie plötzlich.
»Mit kommendem Sommer!«
Sie schwiegen alle. Sie sahen sich an. Das Ungeheure schien unter ihnen zu stehen.
»Wir haben mancherlei Wissen auf den Inseln.« Don Lund hatte sich an den Frühstückstisch gesetzt. »Aber am liebsten nehme ich von meinem alten Freunde, dem Heideschullehrer. Er hat es aus Büchern und Sternen. Und von Tieren und Pflanzen. Erde und Sonne haben augenblicklich das weiteste Maß der Entfernung voneinander erreicht. Weltwinter steht vor der Tür. Das große Muspili. All dies – »wie wir's so herrlich weit gebracht« – es ist schon die große Entartung. Der Anfang vom Ende.«
Don Lunds Augen stürmten. Sie hielten Gericht. Plötzlich rief er sich zurück. »Aber im Winter ist Weihnachten«, sagte er.
Amey faltete ihre Hände im Schoß. Sie hatte die Empfindung, jemand – ein Teuerster – stürmte von ihr fort in Rauch und Blut und riß sein Pferd zurück – und war wieder bei ihr und sagte: Auf Wiedersehen! – Sie sah Christrosen blühen unterm Schnee.
»Aber wenn der Fenriswolf die alte Erde verschlingt – wenn der Gott am Windbaum sich opfert« – rief Don Lund – »wir werden wieder vor die großen Entscheidungen gestellt werden. Es wird wieder Gut und Böse geben in der Welt. Wer nicht für mich ist – der ist wider mich. Wir müssen der neue Anfang sein. Helf uns Gott!«
Es war Klirren in seiner Stimme. Alle Bereitschaft zum Letzten, damit ein Erstes leben könne. Der Professor sprang plötzlich von seinem Stuhl auf. Er verschüttete ein wenig Tee auf das blendende Tischtuch. – Aber es schadete nichts in diesem Augenblick. Seine kurzsichtigen Kinderaugen bohrten in die Zukunft. »Die neue Erde« –, stammelte er. »Gott helfe uns!« »Die Zukunft,« sagte Marsyas, wie er sich zu einem Horn zerbog, und seine sämtlichen Extremitäten um die Lehne und die Beine seines Gartenstuhls wickelte.
»Die neue Liebe«, sagte Don Lund. – Er sah Amey an. »Aller Haß ist nur für die neue Liebe. Das Böse muß sein um des tausendfältigen Guten willen. Die neue Menschheit und der neue Gott!«
Er dachte nicht geringschätzig von dem Zeitalter der Auflösung, der großen Fieber, der großen Schreie und der leidenschaftlichen Zerstörungen. – Er wußte, daß zwischen dem Jetzt und dem Aufstieg das Chaos brodelte. Und er empfand sie, die fahlen, nüchternen Übergangsstunden vor Sonnenaufgang. Aber Schöpferwille erkeuchte bereits im Glauben den Gipfel. Er vernichtete nicht mehr. – Er gründete bereits. Er sah sie schon ragen, die Tempel in die reine Herbheit des neuen Morgen. – Don Lund hob die Arme zu Amey hin. Leicht wie zum Spiel. Aber jeden Muskel gespannt. Er ließ sie wieder fallen. Sekundenschnell war die Gebärde. Aber Amey hatte die Empfindung, als hätte er sie über eine brennende Welt hinweggetragen.
»Und nun«, wie ein Ferienjunge sah Don Lund aus. Seine Stimme schwang im Übermut. Etwas war zu entspannen. »Nun aber,« rief er, »meine Halligleute wissen viel und meine Heideleute wissen noch mehr, und die alte Ariane weiß am allermeistem Jetzt aber soll mir das Schloßfräulein sagen, was keiner von allen weiß: was bedeutet es, daß ich immer wieder neue Züge von Staren fliegen sehe über dieses gesegnete Land?« –
»Es bedeutet, daß die Kirschen reif sind«, rief beseligt Amey. »Gar nichts anderes kann es bedeuten. Heute nachmittag setzen wir Nelli und Elisabeth in den kleinen Jagdwagen, und wir haben Pferde und Räder und den Landauer. Für jede Individualität sind Möglichkeiten zum Ausleben vorhanden. Am Söderhang wollen wir das Kirschfest feiern wie die Naumburger mit dem bösen Ziska. Oder war es Prokop? Ach, wahrscheinlich war es Prokop? Nur daß alles herrlich ausging, habe ich behalten!« – – – – – – –
»Ich muß übrigens Ihre Augen wieder besehen, Professor«, sagte Don Lund, wie sie am Nachmittag mit ihren Tellern um die Gebirge von Schwarzkirschen und Herzkirschen und Ammern und Knorpelkirschen auf dem warmen Grase des Söderhanges lagen. Nelli allein weich gestützt und gebettet zwischen Don Lund und Amey.
»Meine Augen, wieso?« Der Professor riß die Lider voneinander, daß man es mit der Angst bekommen konnte.
»Sie haben wieder eine gewisse Art, das Leben von der Seite zu nehmen.«
»Daran ist der dicke Ede schuld.« Der Professor machte zwei tief resignierte Wangenfalten. Aber er nahm zugleich eine neue Handvoll von den kleinen Schwarzkirschen mit der süßen, klebrigen Seele. »Ich saß in der Quinta als Letzter auf einer Bank von zwölfen. Der Nutzen war gering, wenn man in meine Extemporale Einsicht nahm. – Ich verschimpfierte im allgemeinen bloß die Löschblätter mit Sezession. Aber der linksseitige Nachbar vom Ede, der schrieb die guten Diktate. So hatte ich beim Schreiben immer eine gepolsterte spanische Wand vor der Nase.« Der Professor lachte gutmütig. »Überhaupt!«
»Ja, überhaupt«, sagte der kleine Feldmann. Wenn er Amey ansah, hörte er sogleich das himmlische Konzert mit großem Orchester. Aber wenn er heute nicht der Königssohn war, der auf bäumendem Roß die Prinzessin in sein Reich entführte . . . Hing es am Ende mit jenen Jahren zusammen, für die sein guter Vater sich so abgequält hatte? Schließlich mußte er ihm doch den Schmerz bereiten, daß er mit eingezogenem Schwänzchen neben der stattlichen Pforte des Abitur durch das niedrige Seitentürchen des Einjährigen herausschlich. Was aber galt in einer Familie, wo seit zweihundert Jahren Examina über allen Menschenwert entschieden hatten, jemand ohne Maturum?
»Es gab allerlei Unglück. Allerdings.« – Don Lunds Gedanken waren eigene Wege gegangen indessen. Überwundene Wege. Die dennoch ihre Spuren der Seele eingekerbt hatten. Wie kam er doch plötzlich in den Teufelswald. Tief drin, bei der schwarzen Kuhle? Man nahm den Weg dorthin nicht gern. Aber er war mit dem Spürsinn des Jagdhundes gegangen. Organe, von der Zivilisation seit Jahrtausenden außer Übung gesetzt, funktionierten in ihm noch wie in unsern Urvätern. – Und dann sah er ihn vor sich stehen, abgemagert, die Spuren im Freien verbrachter Nächte und jammervoll geächteter Tage in den wilden Augen, den Strick in der Hand. Zum Tesching hatte es nicht gereicht. – Don Lund lächelte gütig. Aber in der Art, wie er seine Hand schloß, lag Unerbittlichkeit. Wenn der Name Mathes Elert auf dem Gebiete des Kunstgewerblichen heute einen bedeutsamen Klang hatte . . . Nun, mußte es erst dazu kommen, daß er aus dem Irrgarten von Wollen und Drang und Unvermögen keinen anderen Ausweg gesehen hatte als den Strick im Teufelswald?
»Darum wurden Sie Erzieher?« fragte Amey sanft in sein Schweigen. – »Er wollte der Jugend zu Hilfe kommen«, dachte sie. – »Wie wenig weiß ich von all dem!«
»Erzieher? Mein Gott, was bedeutet das nun wieder?« Die Bronklava schlug die langen, ein wenig kirschfleckigen Hände ineinander. »Der Heidjer spielt Geige, und wir haben voriges Jahr ein entzückendes Lustspiel von ihm aufführen sehen. Es hatte gerade so viel Satire, wie man Soya nimmt, um ein ganzes Reisgericht bedeutsam zu machen. – Die Rettungshäuser und die Gefängnisse kennen ihn. Und die Nervenärzte haben ihn, glaub' ich, etwas auf dem Strich. Es heißt, er pfuscht ihnen ins Handwerk, was gewiß nicht fair ist, für jemanden, der auf Augenarzt studiert hat. Aber Erzieher . . .« Sie schüttelte unglücklich und heftig die blassen Pagenlocken um das hagere Gesicht mit der starken Nase.
»Aber ich verstehe nicht.« Don Lund lachte. »Ich weiß nicht, auf was für ein Monstrum von vollkommenster Langeweile Sie abzielen können, Fräulein Bronklava. Ich bin unschuldig wie ein neugeborenes Kind. Aber wenn Sie es mir nicht verübeln wollen, ich bin wirklich von Haus aus Philologe.«
»Ja, aber Sie haben doch nicht richtig unterrichtet?« rief Marsyas, gnadenlos gegen alle zehn Finger.
»Ich bin der Herr, dein Arzt«, sagte fern wie im Traum die kleine Nelli. Ihre Augen gingen zu Don Lund. Sie brachte sich ihm dar mit diesem Blick ohne Verhüllung. Wie eine jenseitige Seele.
Don Lund strich ihr die Haare aus der durchsichtigen Stirn. Sein Blick ruhte warm und innig auf ihrem gezeichneten Gesicht. Wer einmal in seinem Leben sich unterfangen hatte zu richten nach dem alten Gesetz, konnte er je vergessen nach dem neuen zu lieben? – »Müßten wir unsre Kleine auch jetzt nach Hause fahren?«
Aber Nelli wehrte ab. Ihr Kopf, wie ein müder Vogel, schwankte auf seinem Stänglein. Als Don Lunds Arm ihn stützen wollte, begegnete ihm auf dem Wege ein anderer Arm. Amey zögerte.
»Beide«, rief Nelli, die das Zögern empfand. Ihre früher unentfaltete Stimme hatte die zärtlichen Biegungen und den anmutsvollen kleinen Eigensinn vom Glück verwöhnter Kinder. Sie erinnerte an die Stimme Ameys.
Amey und Don Lund gehorsamten lachend. Als sich ihre Arme in Nellis Nacken verschlangen – »wie er sie ansah, die Kleine!« mußte Amey plötzlich denken. Der Boden unter ihren Füßen schien zu schwanken. Ein leichter Nebel entformte ihre Umgebung. –
Aber diese Empfindung währte kaum sekundenlang. »Ich sollte sie nicht führen zu ihrem Glück?« dachte Amey in Schmerzen. »Diese armen, ermüdeten Füße!« Sie bückte sich schnell über Nellis Stirn und küßte sie. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie Don Lund an. Alle Fruchtgärten der Erde gehörten ihr zum Verschwenden. –
Die Augen der anderen hafteten an der Gruppe dieser drei, die in eins verwachsen erschienen. Hafteten scheu. Etwas schmerzte und griff hinweg. Aber ein anderes wollte tiefer greifen und höher heben. Ein Namenloses, über allem Wandel und Tagspiel.
»Ja – aber Augenarzt!« Der Professor atmete mit einem tiefen Ruck. »Zunächst einmal doch Augenarzt!« – Er nahm die Brille ab und starrte Don Lund an. Lächerlich ungläubig und ein wenig seitlich, wie er zur Zeit das Leben nahm.
»Erzählte ich Ihnen nie davon?« Don Lund antwortete dem Professor. Aber er meinte Amey. »Mein alter Herr war die Ursache. Etwas für einen Halliger ganz Unerhörtes kam über ihn: Der graue Star. Das erschien mir unmöglich, daß mein Vater einmal nicht mehr sehen sollte.«
»Ich habe schon von manchen Leuten gehört,« Ameys Stimme staunte und frohlockte, »die um das Augenlicht ihrer liebsten Menschen zitterten. Die gingen dann zu einem Spezialisten. Daß aber einer gleich selber die schwierige Wissenschaft erlernt hätte?«
Don Lund lachte. »Deren bester Freund war eben nicht der Heideschäfer. Und auf der Hallig. Man ist wahrhaftig daran gewöhnt, eine Sache selber in die Hand zu nehmen. Wenn es nicht gleich etwas ganz Unmögliches ist!«
»Oh, oh!« Amey lachte. Ihre kleine homöopatische Apotheke fiel ihr ein. Freilich, wenn nun der blanke Hans sich noch gegen den Doktor verschwor!
»Ich hatte an einer uralten Näherin beobachtet, daß der graue Star wieder zurückging. Der Gedanke, daß man durch Kunst etwas bessern könnte, was die Natur von selber wieder gut macht, liegt schließlich nicht sehr fern. Nun, und dann macht man eben seine Versuche.«
»Wie war das? Bitte!«
»Ich weiß nicht.« Don Lund zögerte. Er sah Amey an. »Nein, ich darf doch«, sagte er schnell. »Sie gehören nicht zu den Menschen, die das Resultat wollen, aber den Weg dazu fürchten. Es ließ sich in diesem Fall ohne die Hilfe des lebenden Tieres nichts machen.«
Ameys Augen weiteten sich sekundenlang. Sie legte ihre freie Hand wie zum Schutz auf den Kopf von Blanchefloor, der schmal und silbergrau und hingegeben auf ihren Knien lag. Ja, dies war es: der Mut zu der letzten Entscheidung war dieser Zeit abhanden gekommen. Sie wollten das eine und konnten das andere nicht auf sich nehmen. Als ihr Ahn den Halbmond von Aleppo herunterriß, konnte er nicht rechts sehen und nicht links, ob der Huf seines roten flammenden Rosses ein verzuckendes Glied schlug. Aber alle diese Hingemähten waren zuvor dem einen Fanal gefolgt, dem lodernden Kreuz.
Amey wußte nicht, warum ihre Gedanken plötzlich so fern und hoch reisten. Hatte Thomas recht? Waren die Zeiten wirklich ganz und gar gestorben, wo die Menschen einen wahrhaftigen Haß kannten und eine wahrhaftige Liebe? Und wo sie bereit waren zu sterben für eine solche Liebe und einen solchen Haß? Sie sah in ihren Schoß. Etwas in ihr klagte. Aber plötzlich kehrten ihre Augen zurück zu Don Lund.
»Gott verhüte,« dachte Amey, »Gott verhüte in Gnaden brennende Städte und Dörfer und Blut. Aber es gibt noch Helden in der Welt! Es gibt noch Führer, es gibt Ganzheit und Gläubigkeit und den Sprung zum Ziel über die müden, verbrauchten Zeiten.«
Es war Jubel in ihr.
Ihr Gesicht drückte sich leicht in den Nacken. Durchglüht wie vom Schein einer Flamme. »Antrieb Ihr,« dachte sie, »und Auftrieb für Eure Scharen!« Ja, wenn die höhere Daseinsebne aller erreicht war, würden nicht von ihr aus neue Gebirgsstöcke und neue Dome der Sonne näher türmen als die zerbrochenen? . . . Ihre Hand bewegte sich wie zu einer Liebkosung.
Die Augen der andern hingen an dieser Hand. Die so schmal und unwirklich aus einer verflossenen Epoche herüberreichte und mit diesem seltsamen Mal gezeichnet war zu einer Verheißung hin. Wollten sie nicht alle den Gipfelweg erstürmen und am Ziel ihre gebrochenen Herzen ihr darbringen, wenn sie nur ihrem Aufstrom voranzog und ihren letzten Blick und Seufzer empfing in die Grenzenlosigkeit ihrer Frauenmilde?
»Und nun«, sagte Amey. »Bitte, wie war es, was mußten Ihre Hände auf sich nehmen um des Großen und Letzten willen?«
»Als es mir klar war,« Don Lund sah Amey an wie einen jungen Bruder, der ihn begleiten will zum ersten Waffengang, »als ich es erlebte, daß Trübungen im Glaskörper und in der Linse auf natürliche Weise wieder vergehen können, dachte ich, man müsse der Natur nachhelfen können. – Durch Naphthalineinspritzungen habe ich damals grauen Star bei Kaninchen hervorgebracht. Der war nicht wieder zu heilen. Aber aufgeben konnte ich die Sache nicht.« Dann lebten sie sie mit, die ungeheure Spannung der Wartezeit: Don Lund hatte durch Eindrücken der Linse am Kaninchen eine dem Altersstar vollkommen gleichende Umbildung erzeugt. Ja, und dann war es entschieden: sein alter Herr, der am lichten Mittag die fast zentimetergroßen Buchstaben seiner uralten Lutherbibel nicht mehr entziffern konnte, war imstande, sein neues griechisches Testament in kleinem Druck zu lesen. Er sah wieder die Lummen und Möwen in weiter Ferne den Sturm ankündigen, wenn Stadtleute, die ihn besuchten, keine kleinsten Punkte im Wolkengeschiebe des Horizonts erblickten. Tierischer Glaskörper in Salzlösung zerteilte Trübungen des Glaskörpers, und Linsensubstanz, in derselben Weise angewandt, beseitigte die Trübungen der Linse. –
Don Lunds Ausdruck war seltsam erhöht. Daran, wie die medizinische Fachwissenschaft sich zu dieser Entdeckung gestellt hatte, dachte er entschieden nicht. Kein gutes Haar hatte man an dieser Kur gelassen, wiewohl die Heilerfolge auf der Hand lagen und sich mehrten von Tag zu Tag. Nein, für all dieses hatte Don Lund schon längst ein leichtes, verstehendes Lächeln. War es nicht allen so gegangen, die auf eigne Hand den Sprung wagten und das durch Jahrhunderte erprobte Geländer der Methode und der Tradition losließen? Nietzsche und die Philologen zum Beispiel, usw. usw. Nein, daran dachte Don Lund in diesem Augenblick wohl nicht. »Es ist noch ein Geheimnis mit alledem verbunden, eine tiefste Beziehung«, sagte der starke Glanz seiner Augen zu Amey. »Nicht jetzt; nicht hier. Wenn dieses einmal Worte findet von mir zu dir . . .« Er atmete tief. – – –
Später brachen sie auf. Nelli, Elisabeth Ewald, die Bronklava und das Käthchen fuhren im Landauer, sanft wie ein Bett. Fallada, die Isabellenstute, brauchte nicht, wie im Frühjahr Torturen der Eifersucht durchzumachen. Sie ging im Schritt neben Grane und trug die Herrin. Don Lund ritt den Goldfuchs Onkel Rhabans, den noch niemand seither geritten hatte, außer Amey in jenen erregten Tagen. Er saß wie auf diesem Pferde geboren. Marsyas, dessen Ehrgeiz nach Reiterherrlichkeit zu hoch gegriffen hatte, war von dem Temperament seines rumänischen Wallach so kühn vorausgejagt worden, daß die übrige Kavalkade, widerwillig befeuert, auf Rössern und Rädern ihm lachend hinterdrein mußte. Aber Grane und Fallada begriffen in ihren schmalen, edeln und klugen Köpfen, daß dieses Rennen für sie wohl nicht in Betracht kam. Sie hoben lässig die feinen Fesseln, wie sie die Schneise entlang, vom blauen Abenddunst umwallt, kaum hörbar über den weichen Waldboden schritten.
Amey und Don Lund wußten nicht, wie das Gespräch von dieser gestillten Landschaft mit ihren Weiten und Versunkenheiten zu Schrebergärten hinübergeschweift war. Don Lund hatte einmal in der Tegler Gegend gewohnt. Jeden Abend waren die Leute an ihm vorübergegangen, ein wenig Ofenruß in den Eimern, ein wenig Seifenwasser von der Wäsche, nur damit diese kleinen Laubengärten eine Güte hätten. – Amey sah sie graben und pflanzen und ernten! Beruhigt, gelöst von den harten und heißen Fragen des Tages, entbunden von Partei und Programm, von Haß und Begehrlichkeit. Ganz hingegeben an das braune, spendende Herz der Erde, die ihren selbst zur Maschine entwürdigten Körpern und Seelen wieder die großen Zusammenhänge vermittelte, das Geheimnis von Gesundung und Glück und Kraft. Gewiß, dies alles konnte nicht von heute auf morgen geschehen. Zu viel war zu ändern, abzutragen und aufzubauen. Aber solange man noch nicht imstande war, in der Arbeit selbst den Urgedanken wieder auszudrücken: den Kult der Tat, den Gottesdienst im Werk-Schaffen, mußte man nicht vor allem dem Arbeitenden außerhalb seiner Arbeit seinen Anteil am Erbe der Erde vermitteln?
Und wenn es schon so sein mußte, wenn man die Zeit nicht zurückschrauben konnte und ein Land, das nur von seiner Industrie leben konnte, zum Agrarstaat zurückwandeln – ja, mußte nicht diesem knirschenden, unablässig rotierenden Zeitalter der Stachel ausgebrochen werden, indem man das Werk erlöste zur Feier? Und den Menschen erlöste, wenn man ihn eingliederte in die Kette des großen Schaffenswillens? Wenn man ihn erlösen konnte zum Stolz seines zeugerischen Menschentums und zur Berührung mit der Erde und zum Glauben an das Unerforschliche.
Die Dämmerung strich alle Konturen sanft. Was am Wege duckte, man wußte nicht, war es ein letztes Braun oder Grün oder Ultraviolett? Man wußte nicht, hockten dort Weidenstümpfe oder die unerlösten Geister dieser heimlich brodelnden Ödländer. Und in diesem zarten, fließenden Gewebe schien es Amey, als erragten Opferbecken auf hohen Pilastern. Sie hoben Glut und Seelen hinüber in die große Einheit, und der Mensch war wieder jung und stark und voll Würde und zukunftsgläubig.
»Nicht heut,« sagte Amey leise, »nicht morgen, aber einmal!«
»Ich habe es schon immer gewollt«, fuhr sie fort. »Ich wußte nur nicht wie!« Sie schmiegte ihr Lächeln in die Nacht. Ja, nun gab es wohl kein Ausbiegen mehr! Wann hatte ihr Damaskus begonnen? Wann stürzte es zum erstenmal über sie her? Sie nahm Fallada zurück. Auch Grane stand. »Ich weiß es nicht«, sagte Amey, als habe Don Lund alle ihre Gedanken gehört. »Oder weiß ich es doch? Nein, es überfiel mich nicht. Langsam nahm es mich, Schritt für Schritt. So gütig wurde ich geführt. Aber immer mußte ich noch warten. – Das Wunder!!« . . . Sie schwieg plötzlich.
»Ich hatte auch meine Höllenfahrt«, sagte sie dann still.
»Als Thomas ging, als ich wußte, ich konnte ihn nicht erlösen.« Sie schwieg wieder. Ein Zittern durchflog ihren Körper. Es teilte sich dem schlanken Pferdeleib mit. Es griff hinüber. Die unerlöste Kreatur und die Erde wurden Mittler. Don Lund sah nicht das leise Beben Ameys, aber es war in ihm. Es war in seinem Blut und in jeder kleinsten Faser seines Leibes. Sein Traum stand vor ihm: Das lodernde Herz! Das lodernde Herz! – Er saß wie aus Stein gehauen. Aber ihm war, als ob er auf sein Angesicht stürzte in der Demut der letzten Gnade. »Amey«, sagte Don Lund. Seine Stimme hielt sich fest. Noch zuckte eine liebende Seele in seinen Händen. Wenn sie aufschwebte, sollten ihre Flügel aus reinem Golde sein. Aber das durfte er: er streckte den Arm hinüber zu Amey und legte ihn um ihren bebenden Körper. »Es gibt nur eine Erlösung zwischen den Geschlechtern. Sie ist ein Hin und Wider. Und keiner weiß vom andern, wo er nimmt, und wo er empfängt. Aber ihr Ziel ist Entfaltung und das ewige Weiter zur Vollendung des Selbst.« Amey schwieg. Auch sie sah ein kleines, blasses Mädchengesicht. Es hing an Don Lund, wie eine befreite Seele an ihrem Heiland hängt. – Aber wenn Amey Psalter hörte und hohe Lieder, waren es ihre eignen Psalter und hohen Lieder. Und der aufgetane Himmel war ihr Himmel und ihre Herrlichkeit.
»Ja«, sagte Amey leise. »Ja, ja!« Sie sprachen kein Wort mehr. Sie ritten im Schweigen durch das verblauende Land, Seite an Seite im gleichen Rhythmus. Wie eine ewige Strophe steigt und fällt. – – – – – – –
Der Vogt stand unschlüssig und drehte die Mütze zwischen den Händen. Wenn Herr Doktor Lund noch dagewesen wäre! Er hätte das am ehesten abwickeln und dem gnädigen Fräulein beibringen können, was nottat. Aber er hatte ja so plötzlich zu einem Kranken gemußt. Nun war es nicht zu umgehn. Und dann fing er an und schnürte an einem Päckchen.
»Was gibt's?« sagte Amey. »Was ist das, Vollertsen? Ein Muff? Gott!« Eine Erinnerung fiel vor ihr nieder. Hatte sie nicht einmal so einen Bibermuff besessen?
»Wir haben ihn schon ein paar Tage unter den Augen gehabt, Baronesse«, sagte der Alte. »Da stimmt was nicht«, sagte ich zu Tedenbringk. Wie der die Glasfenster auf die Melonen gedeckt hat, vorgestern Abend. ›Mit dem da ist das nicht richtig, und überhaupt so ein Rotkopp, die bringen allemal Unglück. Wie Butendieck seiner, der ist auch daneben geraten.‹ Und wie er sich da immer hinten am grünen Staket rummachte, wo der hohe blaue Rittersporn steht. Gnädige Baronesse haben gerade gestern noch selber davon geschnitten. Vollertsen, sagt Tedenbringk, das hat nicht seine Richtigkeit. Und mit solchen krallen Augen nach unsrer gnädigen Baronesse hin geschielt. Man hätte ihm ja am liebsten gleich . . .« – – Vollertsen machte eine nicht zu mißdeutende Handbewegung. Er stellte sich noch strammer als vorher, und das richterliche Vogtsgesicht rückte drohend über die freundlichen strohgelben Bartstoppeln bis in die Stirn hinauf.
»Was denn nur? Wer denn?« Amey hatte die Empfindung, als ob sie im Kreise gewirbelt würde. Der Muff – es mußte ihr Muff sein. – Aber wie sonderbar, sie sah nicht das armselige Mädchengesicht mit den flirrenden Augen und die Hände, die frierend und verdammt aus den kurzen Jackenärmeln heraushingen, – ein Gesicht mit einem empörten roten Haarschopf stand vor ihr. Sie wurde überschwemmt von Worten, deren Sinn sie kaum begriff. Sie sah eine dunkle Straße und hörte schwerbeschuhte Füße auf eiliger Flucht.
»Man hätte ja gleich zugegriffen ohne viel Federlesens«– sagte Vollertsen. »So ein Bürschlein.« Und der Hüne in der Bewußtheit seines riesenhaften Körpers stellte, ohne daß er es wußte, die Beine breit, wie wenn die Leibgardisten vor 200 Jahren vor dem Herrn, dem Soldatenkönig, stramm standen. Dieser Fall wirkte auf ihn wie der erste Krug Most. Vor Jahren, als er seine Tochter, die ins Kurhessische geheiratet hatte, einmal besuchte. »Er hat's schon in sich gehabt. Das Fieber. Wie dem die Hände geflogen sind, wenn er ein Streichholz anfaßte! Gerade wie der Schmied, der schmeißt auch alles hin, wenn's nicht daumendick ist.« Er hob seinen wohlgenährten und herrschgewohnten Daumen mit dem harten breiten Nagel als Illustration in die Höhe. »Und von was der gelebt hat? – Man müßte denken, Runkeln hat er sich welche ausgekratzt. Wie's liebe Vieh. Betteln hat ihn niemand gesehn. Und immer hierherum, ums Herrschaftliche. – Meine Mutter, die hat noch Swartenbeck gekannt. Da oben, die drei Windmühlen, gnädige Baronesse wissen doch, überm Schwedenberg. Und kein Mensch wußte, wer die drei Mühlen angezündet hat, wo damals die junge Frau mit dem Kindchen verbrannt ist. Aber dann fing das an mit Swartenbecken. Jeden Abend mußte er dahin. Und immer wieder dahin bei die Pappel, wo das ganze, brandige Fleck zu übersehen war. Und hat nicht können von lassen, bis der Schandarm kam. Und war denn auch so. Alles hat Swartenbeck bekannt. Aus Eifersucht hat er die Mühlen angezündet. Und mußte immer wieder dahin und von der Müllerin anfangen und von das kleine Kind.«
»Ja, mein Gott«, Amey fühlte eine fremde Schwere in den Gliedern. »Jetzt ist doch aber nichts abgebrannt, hier, bei uns, und . . . wo ist er denn nur eigentlich?« Sie gab sich einen harten Ruck.
»Eigentlich ist er im Loch, gnädigste Baronesse.« In die breitspurige Strammheit des Vogts kam irgendeine leichte Betretenheit. »Das heißt, eigentlich liegt er jetzt wieder in Großmutters Bett. – Großmutter ist doch all dod. Die Frau wollt's nicht anders haben. Heut früh, hinter der großen Kornmiete, wo der Weizen die Ecke zum Park hin macht, gleich wo die steinerne Bank unter der Linde steht, wo gnädigste Baronesse gestern noch gesessen haben und gelesen, da lag er doch. – Das Herumvagabundieren konnt doch nicht länger angehn. Und schon bloß aus Unvorsicht. Mit die Schwefelsticken. Geraucht hat er wie'n Schornstein. Und gerade jetzt, wo's Getreide so weit ist. – Na ja – und da hat's die Frau gesehn, wie ich ihn gebracht hab. Man kann da auch nicht so sanft bei bleiben, wie einer möchte, und wenn einer faucht wie 'ne wilde Katze. Und die Frau, – gnädige Baronesse wissen ja.« Amey nickte. Ja, ja, der Erbfolger wurde erwartet. Nach fünf Mädchen mußte doch endlich der Junge einziehn auf dem Vogtshof. Einer solchen Mutter gab man wohl etwas nach. Aber daß es nur daran gelegen hatte! Nur daran . . .
»War der Doktor da?« fragte Amey. »Ich muß hin«, dachte sie immerfort. »Was reden wir noch?«
»Nein, der Doktor war noch nicht dagewesen. Einen Wagen in die Stadt schicken für einen Landstreicher! . . . Aber die Schulzenfrau hatte geschrien wie gestochen. Dieser elende rothaarige Kerl, ihr Mann zerrte ihn über den Hof, der – wenn der vor Gericht kommt – der Junge, den sie zur Welt bringen soll – der wird auch rothaarig werden und ein Mordbrenner!! – Na also.
So war ein zu Tode Erschöpfter nicht ins Kafittchen gekommen. Unter buntgewürfelten Federtürmen lag er. Und als man ihm den elenden Rock herunterzog – ja – das ergab gerade die größte Schwierigkeit. Denn wenn einer kein Dieb war, wie kam er denn zu dem Muff von der gnädigen Baronesse? – Die schwarze Marie und die alte Ariane waren sich mit der Vogtsfrau vollkommen einig über die Herkunft des Muffs. Aber damit war das Rätsel noch nicht gelöst. –
»Ich komme«, murmelte Amey. »Gehen Sie voraus, Vollertsen. Ich will meine Apotheke nur mitnehmen.«
Aber der Grund war, daß sie allein kommen wollte. Sie mußte ein paar Augenblicke des Schweigens und Alleinseins vor dieses Wiedersehn rücken.
Während Amey ihre kleine Apotheke aus dem Schrank nahm, bemerkte sie, daß sie noch immer ihren Muff an sich gedrückt hielt. Er sah nicht viel anders aus wie an jenem Tage . . . Das weiße Seidenpapier, das ihn einhüllte, war zerknittert und vielleicht nicht ganz sauber. Aber der Muff schien behütet und gehegt. Wie Amey auf ihn heruntersah, kam noch ein verschwindender Hauch jenes Lavendelduftes, der allen ihren Dingen eine feine und geheimnisvolle Note gab, zu ihr herauf. Aber dieser Hauch eines Duftes hatte sich mit andern vermengt: Mit dem Geruch von Nachttau und sonnendurchbrannter Heuhocken und noch ein Letztes war dazwischen. Amey wußte nicht, was es war. Es war ihr fern, wie die Erde der Sonne ist, wenn sie im Frühling vor ihr kniet und nach ihrer Gnade schreit: Es war der Geruch eines jungen, wilden und noch unerlösten Knabenleibes.
Amey hatte ihre Homöopathie zusammengefunden. Als sie die Terrasse hinunterging, pflückte sie wie im Traum ein paar von den jungen, feuchten Rosen, die zu Tausenden die Spaliere überwucherten.
Ja, und dann? Tropfte die Zeit rückwärts? Amey war wieder das kleine Mädchen, das am Frohnleichnamstage mit der alten Ariane in die Stadt gefahren war. Aus dem überschwänglichen Blühen von draußen trat sie mit ihrem Körbchen in die sonderbare Stube. Auf der großgewürfelten Bettdecke fuhren abgezehrte Jungensfinger hin und wieder und spannten sich um ihr Handgelenk, daß ein roter Reif davon zurückblieb. Zwei Augen, von denen man nicht wußte, brannten sie oder standen sie in Tränen, sahen zu ihr auf. »Königin«, stammelten fieberzersprungene Lippen, und, kaum wissend, was sie tat, zerpflückte Amey die Rosen, bis die Blätter wie eine kühle, seidne Decke die fiebernden Augen verbargen. Der abgezehrte Körper des roten Peter hörte auf zu zucken, und das Gebet eines Namens, der aus diesem Munde dem Vogt zu Kopf gestiegen war wie junger Most, war erfüllt und schwieg. – »Ich hab's nicht verdient«, stammelte der rote Peter, »nein, das nicht. Manchmal dachte ich, bloß auf der untersten Leitersprosse sitzen und hoch oben, wo die Wolken die goldnen Ränder haben, da war eine Hand. Als kleiner Junge hat mir der Lehrer einmal ein Märchenbuch geborgt, da war ein Bild von der Prinzessin, die war krank. Aber der Doktor durfte sie nicht sehn. Sie war viel zu schön und zu vornehm. Durch einen Spalt im Vorhang kam die Hand. Ja, so hab ich immer gedacht: Ich hingekniet auf der untersten Sprosse, und ganz hoch oben aus den Wolken mit den goldnen Rändern die kleine weiße Hand mit dem blauen Zeichen. Viele Meilen hoch war sie weg. Aber ich hab sie doch auf der Stirn gespürt wie Schnee, und alles war gut, und alles war vergeben, und ich war kein Mörder. – Aber daß die Hand die goldne Tür sollt' aufschließen, und daß sie sollt' winken« – er warf den glühenden Kopf zurück in die zerwühlten Kissen. Sein Mund brach auf, durstig und demutsvoll wie für den heiligen Wein. Amey strich leise über die heiße Stirn. Das Gesicht unter ihrer Hand wurde sanft und knabenjung. Der rote Peter, Schuhe in der Hand, ging mit vorsichtigen Schritten über Wege mit Rosenquarz gepflastert. Die Milchstraße schäumte um ihn her. Auf hohen Stengeln aus grünem Glas schaukelten Blumen mit frommen Gesichtern, die Luft war voll Ambra, und am Ende des Weges, direkt aus dem Zelt, hinter dem die heilige Dreieinigkeit wohnte, kam die Mutter Maria geschritten, die trug über dem Haar, bauschig und von der Farbe der schimmernden Waldwege ein Krönlein von Perlen und wärmte die Hände in einem Muff aus Biberfell, mit lavendelfarbner Seide gefüttert.
»Ach«, seufzte der rote Peter. »Ach! schönste Himmelsfrau, Königin, seligste Jungfrau!« Er streckte seine langen, abgezehrten Glieder und faltete die Hände auf der Brust wie ein kleiner Junge zum Beten. Er trug den goldgestickten Mantel seliger Büßer und war daheim in Abgründen von Gnade und Licht. –
Amey hatte den Kranken auf die Burg schaffen lassen. Der Doktor mußte doch kommen. Diese Verantwortung durfte man der kleinen homöopathischen Apotheke nicht aufbürden. Das Fieber hatte es vielleicht nicht tödlich im Sinn; aber für Amey war es nicht leicht hinzunehmen, wenn der Kranke plötzlich ein junges, rothaariges Ding von Mädchen mit flirrenden Augen neben seinem Bett stehn sah. In den Händen, die aus den zu kurzen Jackenärmeln hingen, hielt sie einen Muff, der roch wie sommerliche Gärten. Sie mußte dem roten Peter Rede stehn, und er schwor, heimlich oder mit Gewalt, dieser Muff, wie seine Schwester auch zu ihm gekommen war, er gehörte sein, der Muff.
Zu andern Zeiten sah der rote Peter Blut. Er schrie den Namen Thomas Vernow heraus und schrie nach Amey und kannte sie nicht, wie sie neben seinem Bett saß und stürmte auf schweren Schuhen durch nächtliche Straßen. Oder er bäumte plötzlich auf und versicherte lächelnd: von der Höhe dieser Linde seien es kaum drei Schritte bis in die Ewigkeit, und er kenne doch wirklich ganz andere Höhenverhältnisse. Ja, und dann dampften sie auf vor Amey: wie aus den Eingeweiden der Erde herausgequält: Großstadthäuser, eingebohrt in stickige, kahle Gevierte. Gezeichnete Menschen mit erloschnen Augen, grau und entstellt. Amey hörte das Klirren zerworfner Flaschen, und die Gottlosigkeit von Flüchen. Sie sah Frauen, die Mütter werden sollten, dumpf, mit gesenktem Scheitel ihres Lebens Zukunft mühselig tragend. Sie sah Kinder mit alten, verhärmten Gesichtern auf dem Grunde dieser Schächte in einem winzigen Lichtfleck zu einem Leierkasten gedunsene kleine Leiber drehn. Ja, all dies lebte Amey, wenn das Fieber den roten Peter in die schmale heiße Hölle seiner Kindheit verbannte! Und zuletzt eines schwersten Tages kam Don Lund.
»Soviel fremde Schicksale sind in mich hinübergewachsen«, sagte Amey. »Oh, wieviel trostlos arme Leben habe ich mitgelebt in diesen Nächten.« Ihre Augenbrauen rückten aneinander. Eine Falte, fein und gerade wie ein Sommerfaden, spannte sich senkrecht ihre Stirn hinauf. »Ich ängstige mich etwas, wenn er wieder zum Bewußtsein kommt. Bis jetzt«, sie lachte in sanftem Erröten. – »Oh, viel schöne Namen hat er für mich erfunden. Aber wenn er Mutter sagt . . .« sie verwirrte sich. Sie brach plötzlich ab.
Don Lund sah weit. Wölbten sich nicht Brücken? Was bedeuteten Jahrmillionen? Vor der Urmutter der Menschheit kniete er. Sein Haupt an ihrem gesegneten Schoß. Er legte seinen Arm um die Schultern Ameys. Sie bog ihren Kopf zurück. Sie lachte und weinte. Aber dies währte kaum sekundenlang. Wie Don Lund und Amey am Bett des roten Peter standen, ganz ineinandergefaltet und doch irgendwie zu ihm hinüberreichend, öffnete der Kranke die Augen. Sie gingen von Amey zu Don Lund und wieder zurück. Sie umwölkten sich und grübelten, während sich der Mund zu einem Lächeln mühte.
»Peter«, rief Amey. »Peter! Jetzt wird alles gut!« Sie strich den ungebärdigen Haarschopf aus der ganz weißen, sommersprossigen Stirn.
»Gleich werd' ich gehn!« Der rote Peter riß an sich grimmig und verzweifelt. Aber er war weich wie ein Blatt, das sich eben aus der braunen Knospe schält.
»Gehen?« Amey stand entgeistert.
Don Lund lachte. Sein gutes, ansteckendes Lachen. »Aber gewiß gehen wir. Nur nicht gerade heut. Mit so einem Bizeps,« – er faßte den schlaffen Arm des Kranken, »auf so einen elenden Gesellen ist nicht groß viel Verlaß in bezug auf Pinsel. Und Herrgott, Peter, Mensch, – wer helfen will seine Zeit einer Idee zugänglich zu machen . . .« Er legte ihm die Hand auf die Stirn. Sie rötete sich jäh. Wie unter der Gewalt quälender Vorstellungen. Was kümmerte den roten Peter eine Idee! Oder seine Pinsel! Oder die Zeit! Hatte er nicht die goldne Tür aufmachen dürfen? – Und jetzt . . . Er machte eine Bewegung, als wolle er sich aus dem Bett stürzen. Aber Don Lund hatte schon zugegriffen. »Na – also!« Die zwei nebensächlichen Worte hatten im Ton etwas Bedeutsames. Der rote Peter stöhnte auf und warf seinen Oberkörper an die Bettwand, daß es krachte.
»Peter«, flehte Amey. »Lieber Junge!« Die Tränen saßen ihr im Halse. Sie nahm dieses Gesicht, das wild herumfuhr und seinen Schmerz und seine Scham in einem Winkel verbergen wollte, in die Hände. »Peter, was fällt Ihnen doch nur ein? – Sie haben doch Mutter gesagt, Peterlein!« – Sie lachte leise, in großer Angst. »Weiß Gott – ich bin Ihnen gut wie einem rechten Schmerzenskind!«
Der rote Peter gab einen sehr sonderbaren Laut von sich. Er ballte die Hände und ruckte sich zusammen. In seinen Augen waren Feuer, wie er von Amey zu Don Lund sah: Beide, in eines gefaltet und doch irgendwie hinübergreifend zu ihm, ihn hinreißend, aufreißend in ihre Gemeinschaft, ihren Zielen zu.
»Einmal hab ich Blut vergossen«, sagte Peter Schindler. – »Einmal!« – Er atmete tief. – »Ihm hatt' ich's nicht gegönnt?« Er knirschte. »Das Schönste, das Höchste. – Die Hände, die sich dazu erheben . . .« – Er streckte seine abgemagerten, gespreizten Hände von sich. Er schüttelte sie, als wäre jeder dieser matten weißen Finger befleckt. –
»Peter«, Amey bat wieder. »Mein kleiner, armer Junge!« – »Kommen Sie, Peter,« – sagte Don Lund – »Sie sind ein Mann. Es gibt viel in der Welt zu tun. Heut mehr als je. Sie wissen es so gut wie ich. Wir stehn vor dem Absturz. Wer hinüber kommt, der hat alles gewonnen. Erst sind's ein paar, die mittun. Dann ziehn sie Tausende hinter sich her. Wir« – er deutete auf Amey – »wir zwei sind ganz entschlossen zu dem Sprung. – Wollen Sie nicht mit, Peter Schindler?«
Etwas in Amey sang hoch auf. – Nicht die goldne Insel, so sehr arm und verlassen in ihrer Aussonderung! Sondern Tausende, die hinterher ziehen würden! Die neue Erde! Und der neue Gott!« – »Auf Freundschaft! – Zum Ziel!« Don Lund streckte dem roten Peter die Hand hin.
Peter Schindler sah die beiden an. Er war ganz ruhig geworden. Hinter seiner Stirn ging etwas vor. »Ich bin noch nicht so weit«, sagte er. »Wenn das in Ordnung ist . . .« – Er zerrte grimmig an seiner schlaffen Haut – »dann fort – ich kann's noch nicht so mit ansehn – wie ich das muß. – – Aber – wenn alles vernarbt ist – einmal – ich schaff's schon – jetzt schaff ich's schon«, er ballte die Hände. – »Wenn ich dann wiederkommen darf. Wenn ich das dann wert bin . . .« – sein Kopf fiel herunter. Er schlug die Hände vor die Augen.
Don Lund ging hinaus. Sein Blick grüßte Amey. Amey nahm den Kopf des roten Peter in die Arme. Er weinte seine alte Seele aus in ihren Armen. – – –
Als Amey eine Stunde später umflorten Auges und dennoch verklärt und erhöht die Terrasse herunter schritt, wartete unten Don Lund.
»Diesem durfte ich helfen,« sagte Amey, »und jenem und noch etlichen vielleicht, aber – die andern – alle die andern?« – Sie hob die Arme. Ihre Ärmel fielen zurück bei dieser Bewegung und entblößten den Schimmer der Haut.
»Kwanon«, dachte Don Lund. »O Frau! O süße Leidenschaft des Sich-Verschwendens!« Sie standen still. Sein Blick umfaßte Amey. »Zwei Arme?« sagte Don Lund. »Was sind zween Fischlein unter so viele? Aber alle wurden selig und satt!« –
Ameys Augen wurden klar. Wollte Gott einen neuen Bund machen?
»Ich komme mir aber doch recht ärmlich vor.« Es wurzelte zu tief in ihr. »Ich habe vielerlei gelesen in diesem letzten Jahr. ›Die Welt der Sachlichkeiten‹ bleibt meiner Art irgendwie verschlossen. Ich habe keine Fähigkeit, objektiv zu wirken. Ins allgemein Menschliche. Immer muß es ein großer Schmerz sein oder ein kleiner, oder irgendeine Liebe, die mir ans Herz greift. Von dem einen Fünkchen aus, ja, vielleicht kann davon ein kleines Feuerchen aufbrennen, das wärmt . . . Aber wenn ich mir all die klugen, tapfern Frauen von heut vorstelle! Ohne ein Lächeln, das ihnen dankt, ohne Augen, die ihnen aufleuchten, ganz überpersönlich geben sie ihr Leben hin im Dienst einer Idee! – Und ich dagegen« Ameys Stimme flatterte.
»Ich muß ihr meinen Traum erzählen«, dachte Don Lund.
In diesem Augenblick erscholl ein Jubelschrei. Die Käthchen im Gärtnergarten hatte Ameys weißes Kleid erspäht. Warm und braun wie ein kleines weiches Tier warf sie sich Amey in die Arme. »Du kommst aus den Himbeeren, mein Schatz!« Amen herzte das Kind. »Du riechst süß wie ein junges Kälbchen, das getrunken hat!« Sie knüpfte die Haarschleife, von den Zweigen angegriffen, aufs neue zu stolzer Pracht. Dann ließen sie sich das Igelnest zeigen unterm Fliederbusch mit den quäkenden Jungen, ergreifend in der unschuldigen Weichheit ihrer Speere. Sie hörten die heroische Ballade vom Igelpapa, der, mit Frühpflaumen bespickt wie mit den Köpfen seiner Feinde, heimtrottete. –
»Und jetzt bekomme ich einen frischen Schreibtischstrauß«, bat Amey. »In die hohe Vase. Das Kind darf schneiden! Mit Vater Thedenbrinks Schere! Und auf die Knospen achten.«
Die Käthchen enteilte mit einem neuen Jubelschrei. »Man braucht ihr eigentlich gar nichts sagen.« Amey sah den straff gewordenen behenden Beinchen zärtlich hinterdrein. »Dieses winzige Persönchen ist der geborne Gärtner. Sie handhabt die Schere wie ein Alter. Sie wählt fast so lange wie ich. Und sie weinte herzbrechend, als neulich der Hagel anfing!« Man brauchte kaum Pläne zu machen mit Gartenbauschulen und einer Zukunft voll Sonne. Alles lag hier ganz klar auf der Hand.
»Dies könnte ich vielleicht«, sagte Amey. »Früher waren es hauptsächlich die alten Mütterchen im Dorf, die so sehr gern erzählen, und die Kinder und die Kranken, und die jungen Mädchen, wenn sie sich verliebten und wußten es selber noch nicht, – ja – und jetzt ist's das Käthchen und der rote Peter!« – – –
»Und Elisabeth Ewald,« sagte Don Lund und lächelte, – »und Nelli und die Künstler und Fräulein Bronklava, und . . .«
»Ach«, Amey erglühte, wie sie lachte. – »Was sagen Sie nur. Überhaupt – man ist doch immer selber der Beschenkte! – Aber die Menschheit das ist ein sehr hoher und ferner Begriff.«
Sie waren in die Lindenallee eingebogen. Vom Bruch her waren zwei Schillebolden herübergereist. Wie zarte Kunstwerke aus Stahl und Saphiren und schwarzem Flor standen sie mitten in die Luft genäht. Ein Rotkehlchen umhüpfte die Schritte von Don Lund und Amey. Mit der vertrauenden Sorglosigkeit jener Jahre, da es dem roten Gott Ziu geheiligt war.
Ameys und Don Lunds Schritte verlangsamten sich. Der Tag war ganz voll Stille. Nur in den Baumkronen harfte der Wind im Vorübergehen. Auf den fernen Äckern stand noch das Korn auf dem Halm. Auf den nächsten war es bereits geschnitten. Diese braungoldnen Kornhocken mußte Amey fortwährend ansehen. Sie knieten. Ganz ineinandergerafft und in ihr Geheimnis. Wie Maria kniet auf alten Verkündigungsbildern.
»Vielleicht gilt gar nicht so sehr, was wir tun« – Don Lunds Stimme schwang dunkel – »das Wie – die Leidenschaft des Herzens, die wie eine Flamme lodert. Das ist vielleicht das einzige, worauf es ankommt!« Er erzählte Amey seinen Traum. Amey preßte die Hand auf die Brust: »Yolanthe Hellberg«, dachte sie. »Wenn ich ihn zu Yolanthe Hellberg führen werde!« Zugleich aber fühlte sie diesen feinen brennenden Punkt. Wie er wuchs und wuchs. Wenn sie die Hand fortnahm – würde sie nicht ganz in Flammen stehn!
Da dachte sie an den Morgen, als der Frühling unter dem blühenden Kirschbaum stand. Der Frühling mit dem kühnen Gesicht. »Leben,« dachte Amey, »Leben!« Ihr Schritt fing an zu federn. Sie hätte laufen wollen. Sie lief schon. Immer die Hand auf ihr Herz gepreßt.
»Amey!« Don Lund lief hinter ihr drein. Die Allee herunter. Während Blanchefloor berauscht und hingegeben, den langen schmalen Körper zur Linie gestreckt, vor ihnen herjagte und wieder zurückkehrte, an ihnen in die Höhe sprang mit jenen herz- und nervenzerreißenden Tönen der Inbrunst, und wieder dahinflog zwischen der weißen Frau und dem dunklen Mann das leuchtend grausilberne Band.
Und dann hatte Don Lund Amey eingefangen. Seine Hände spannten sich um ihre schmale Mitte. Er hob Amey von den Füßen, daß sie schwebte. Er trug sie vor sich her wie ein Fanal. Sie merkte es kaum. »Leben – Leben!« – sang es immerfort!
»Und nun – das Nächste«, sagte Amey, als sie den Boden wieder unter den Füßen fühlte und staunend Atem schöpfte. Ihre berauschten Augen wurden plötzlich sanft und groß. »Nelli«, sagte sie. »Daß wir nur ja niemals Nelli vergessen!« Sie gingen still und Hand in Hand. – – – –