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Der von mir kastrierte Richard Moses Meyer, der aber auch bis dahin nicht sehr kräftig war, behandelt das Kapitel »Literarische Kunst« in dem Werke »Das Jahr 1913, ein Gesamtbild der Kulturentwicklung«, welches von führenden Geistern der Zeit geschrieben, jedem Gebildeten ein unentbehrlicher Führer in der verwirrenden Mannigfaltigkeit unserer Kultur – kusch. Unter den führenden Geistern also, die sich da zusammenfinden, um Marksteine zu beriechen, fällt außer den Herren Goldscheid (Soziologie), Ewald (Philosophie), Strzygowski (Kunstforschung) und Gregori (Theaterwesen) auch der Richard Moses M. auf. Er schreibt:
Im übrigen muß ich gerade für die Überproduktion an Essays und Aphorismenbüchern auf meine regelmäßigen Berichte im ›Literarischen Echo‹ verweisen, in denen ich neben der Besprechung des Inhalts, die natürlich den Hauptgesichtspunkt bilden mußte, doch immer auch auf die Entwicklung der Form eingegangen bin. Sie setzt ja glücklicherweise immer noch einige persönliche Geistesbetätigung voraus, während der Aphorismus bei Grossisten wie Karl Kraus rein manuelle Kurbelbewegung geworden ist: man nimmt einen vorhandenen Spruch und dreht ihn um, bis etwas herausfällt, was wie eine Paradoxie aussieht. So entsteht ein Buch, das nach der kritischen Einsicht eines Herrn Ehrenstein schlechtweg vollkommen ist. (Über K. Kraus: »Pro domo et mundo«: Alb. Ehrenstein, Zeitgeist, 18. Jan. 1912 »Dies Buch ist für mich die Vollkommenheit.«
Ich weiß nicht, ob der R. Moses M. in seinen regelmäßigen Berichten im ›Literarischen Echo‹ neben der Besprechung des Inhalts, die natürlich den Hauptgesichtspunkt bilden mußte, doch immer auch auf die Entwicklung der Form eingegangen ist. Bei meiner unregelmäßigen Lebensweise beobachte ich einzig die Einteilung, daß ich die regelmäßigen Berichte des R.M.M. im ›Literarischen Echo‹ und dieses als ganzes nicht lese. Wenn er auf den Inhalt von Aphorismen eingegangen ist und sich dabei auch die Form nicht entgehen ließ, so ist das sehr schön von ihm. Anstatt Gott auf den Knien zu danken, daß er ihn in einer Zeit leben läßt, die schamlose Klugschwätzer in Salon und Seminar duldet und nicht in den Abort verweist, wird er noch keck und verlangt Beachtung für seine früheren Besprechungen. Dieser M.M. wagt viel. Er scheint zu wissen, daß ich imstande bin, ihn durch Vorlesung meines Essays über ihn dem Gelächter von hundert deutschen Vortragssälen preiszugeben, und spielt ein Prävenire, von dem er sich ausrechnen kann, daß ich es einholen werde. Ich gebe dem M. einen Vorsprung der Intelligenz, indem ich ihm erlaube, sie in zwanzig Besprechungen an »Pro domo et mundo« auszulassen: ich wette, daß ich ihn fange. Aber dann will ich ihn ergänzen, damit er's mit mir aufnehmen könne. Es ist nicht zu überbieten. Man möchte glauben, daß selbst ein Unikum an Schalheit wie dieser Meyer, wenn er von mir spricht und von der Form des Aphorismus sagt: »Sie setzt ja glücklicherweise immer noch einige persönliche Geistesbetätigung voraus«, es zu meinen Gunsten wenden müsse. Denn so schamlos kann man sich heute doch nur noch die von mir verwirrte Hysterie, die zwischen Schwärmerei und hinfallender Krankheit torkelt, vorstellen, daß sie meine Arbeiten in Gegensatz zu »persönlicher Geistesbetätigung« bringen könnte. Man weiß ja, sie meint's nicht so und wird mich morgen wieder als einen Genius ansprechen. Aber daß ein Literaturprofessor, der in seinem Vollbart schon graue Fäden hat, so unter dem Druck seiner Ranküne handeln kann, daß er nicht totschweigt, sondern den Mund aufmacht, um meine Leistung als mechanischen Schwindel und mich als »Grossisten« zu entlarven, ist selbst mir zu bunt, an dessen Nerven sich doch die ganze Welt vergreift, aus Ohnmacht, sich an meinem Werk zu rächen. So desorientiert kann doch selbst dieser M. Meyer nicht sein, daß er unbeschadet des Wunsches, mich als Grossisten zu sehen, nicht längst vom Hörensagen wissen sollte, daß mein geringstes Detail seine ganze Manneskraft, ja die Lebensarbeit sämtlicher führenden Geister aufwiegt, die zum »Gesamtbild der Kulturentwicklung« schon durch ihr Dasein beitragen. Der R.M. Meyer soll doch nicht so tun, als ob nur eine vereinzelte Kritik meinen Aphorismen einen so hohen Rang zugewiesen hätte. Er weiß ganz genau, daß es die Ansicht sämtlicher Leute ist, die heute auch nur mit einem Schimmer von Urteil in literarischen Revuen auftauchen, und, was viel mehr ist, die Ansicht derjenigen, die sie nicht aussprechen dürfen. Die Kritik über »Pro domo et mundo« ist nicht das Beste, nicht das mir Angenehmste, was »ein Herr Ehrenstein« geschrieben hat. Aber dieser hat auch Gedichte geschrieben und der von einer kleinen Rache zermarterte Berliner Seminarkopf, sonst von nichts als vom Gefühl seines Nichts ausgefüllt, kann nichts als in einer äußerlich auf Fortdauer angelegten Drucksorte Autoren, die er für langlebiger hält als sich, beschmieren. Das wollen sie alle, die Journalisten, denen durch eine lächerliche Verteilung der kritischen Gewalt es ermöglicht ist, in Literaturgeschichten, Jahrbüchern und Lexicis den Dreck abzulagern, der den Zeitungen zuviel wird. Sie haben aber ihre Rechnung ohne mich gemacht, der jede dieser Unflätigkeiten gut aufhebt und die Razzia auf Literarhistoriker mit umso größerem Schwung fortsetzen wird, je länger die durch die Reizungen des Tages verschuldete Pause dauert. Ich will ihnen schon einen Geschmack für persönliche Geistesbetätigung beibringen, damit sie sie künftig doch lieber mir als dem Aphoristiker Blumenthal zusprechen! Ich möchte, um mir Arbeit zu ersparen – man glaube es endlich, daß ich glücklich wäre, wenn mir die Welt ein Jahr Schonzeit für sie gönnte –, ich möchte diesen Zeitgenossen den Rat geben, sich freiwillig aus dem Seminar in den Abort zurückzuziehen, wo sie unkontrolliert machen können, was sie wollen. Denn sie sollen sich nur ja nicht damit belügen, daß die Blamierungen ihres Treibens auf 1913 und auf Wien beschränkt bleiben. Ich kann die Verbreitung der Fackel in Deutschland und dort, wo Deutsche wohnen, nicht hindern. Was ich tue, muß ein Richard M. Meyer auf Schritt und Tritt spüren, während ich von seinem Benehmen nichts erführe, wenn nicht Briefe von deutschen Lesern mich über die Kulturentwicklung auf dem Laufenden hielten. Der Meyer – der ganz kleine, im Gegensatz zum großen Meyer, der aber auch nicht besser beraten ist – hält mich für einen Gauner. Ich erfuhr es erst aus der folgenden Anzeige, die aus »Oetzsch bei Leipzig, 6. November 1913«, an mich ergangen ist:
... Sie haben sich zwar Zuschriften in der Fackel verbeten, ich glaube es aber auch vor Ihnen verantworten zu können, daß ich Sie von der Be- bezw. Mißhandlung Ihres Künstlertums durch Richard M. Meyer in einem soeben erschienenen Werke, »Das Jahr 1913, ein Gesamtbild der Kulturentwicklung« betitelt, in Kenntnis setze. Zu diesem Sammelwerk hat R.M. Meyer das Kapitel »Literarische Kunst« geliefert, das ich um der darin enthaltenen »Beurteilung« Ihres Aphorismenbandes »Pro domo et mundo« willen Ihnen zuschicke. Ich sehe den Zerfallsprozeß noch nicht so weit vorgeschritten, daß man den Kampf gegen die Fäulnisbrut aufgeben müßte.
Gestatten Sie mir nur noch, Ihnen herzlichst zu danken für Ihre Hilfe im Kampfe um die geistige Selbstbehauptung. Kierkegaard, der letzte große religiöse Genius, und Sie halten mich wach in einer dumpfen Welt. In einer Stadt von über 1/2 Million Menschen sind nicht so viel Stimmen, laut genug, Sie hierher zu rufen. Leider bin ich zu arm, um nach Dresden zu Ihrer Vorlesung zu kommen. Doch bin ich voll Dankes, daß mir die ›Fackel‹ zugänglich ist. In Ehrerbietung ...
Ich habe mir Zuschriften verbeten, weil auf tausend Zumutungen des Irrsinns nur eine kommt, die beweist, daß Zeitgenossen auch Menschen sein können. Dieser da mag unbesorgt sein. Ich werde auch in Leipzig die Kastrierung des Richard Moses Meyer vornehmen.