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Herr Rudolf Hans Bartsch, der Liebling, dessen Romanfortsetzungen zu lesen mir dringend empfohlen wird – ich tu's aber nicht –, hat kürzlich ein Buch »Der letzte Student« bei Aschinger oder Ullstein in Berlin erscheinen lassen. Durch Zusendung und liebenswürdigen Brief des Verlegers sollte ich, der wahrlich schon bessere Autoren als Herrn Bartsch nicht gelesen hat, für das Büchlein interessiert werden. Ich ließ es wieder zurückgehen, finde aber mein nun einmal angeregtes Interesse durch eine andere Zusendung, die mir der Herausgeber der Zeitschrift ›Über den Wassern‹, Herr Dr. Johannes Eckardt macht, vollauf befriedigt. Der Artikel heißt: »Die Wandlungen des Herrn Rudolf Hans Bartsch, 1905–1913« und die wesentlichen Stellen lauten:
Vor wenigen Tagen erschien ein billiges Bändchen: Rudolf Hans Bartschs Roman » Der letzte Student«. Der Dichter ... erzählt selbst, daß »Der letzte Student« als sein erster Roman anonym im Jahre 1905 mit dem Titel » Als Österreich zerfiel ... 1848« (bei C. W. Stern) erschienen war ... Der Autor deutet in seinem Vorworte eine Veränderung an; er schreibt: »In dem Buche habe ich nur die allzu redseligen und die ungerechten, gehässigen Meinungsäußerungen meiner jüngeren Tage getilgt.« Wir werden erweisen, daß dieser Satz irreführt ... Gewiß, R. H. Bartsch bemüht sich, Typen dieser 1848-Bewegung festzuhalten; er hat mit richtiger historischer Einsicht die nötige Auslese getroffen. Interessant ist nun, daß »Der letzte Student« einen Typus dieser Bewegung nicht mehr kennt, den der Roman »Als Österreich zerfiel« sehr eingehend schilderte und den auch eine Stelle des »Vorwortes« als für die Bewegung von charakteristischer Bedeutung darstellt – den Typus des Redakteurs, des jüdischen Redakteurs. Dieser Typus des jüdischen Redakteurs spielt in der 1848-Bewegung eine hervorragende Rolle. Die Juden haben diese Revolution stark begünstigt; sie standen in den ersten Reihen der kämpfenden akademischen Jugend. Sie haben andererseits damals, als die Presse frei wurde, diese Waffe sofort für sich in Beschlag genommen ... Und diesen »Zeitungshirschele« hat R. H. Bartsch radikal aus seinem ersten Romane »Als Österreich zerfiel ... 1848« gestrichen ...In dem Romane tritt als charakterisierende Episodenfigur auch ein Buchbindergeselle auf, der heimlich seinen Groll in Versen austollt und seine Ideale in Poesien verlebendigt. Im »letzten Studenten« ist das Bild dieses sympathischen Idealisten um wesentliche Züge geändert worden. Der Judenhaß des begeisterten Gesellen, dessen Eltern durch jüdischen Wucher ruiniert worden waren, wurde beseitigt, die bezüglichen Stellen wurden gestrichen ... Um nur ja an ein gewisses Judentum nicht anzustoßen, wird » das Schachertalent«, von dem einmal die Rede ist, in » das Kriechertum« geändert, wird die » damals hierin unglaublich freche Presse« von ihren schändenden Beiwörtern befreit und zur » Presse« schlechtweg gemacht; es ist nicht mehr von » feigen Journalisten«, sondern nur mehr allgemein von » feigen Patronen« die Rede usw. Die Gesinnung aus dem Jahre 1905 tritt am klarsten aus den scharfen Debatteworten hervor, die in der ersten Fassung der Hauptmann dem »Zeitungshirschele« zuschleudert. Wir haben allen Grund, gerade in diesem Hauptmann den Dichter selbst zu sehen, seine Worte für die Überzeugungen R. H. Bartsch's anzusprechen.
»– – –Ihre Gier nach den Rost- und Mottengütern, ihre Geschäfte und Profite und vor allem ihre Lüsternheit auf unsern herben Boden pflanzen und fortwährend dabei rufen: Wir sind die Euren! Was, Herr Hirsch? Und haltet dabei eure Brandfackeln in den Krügen versteckt wie eure Vorväter, als sie Schlafende überfielen! All denen, die eure perfiden Heuchelblätter lesen, werdet ihr in fünfzig Jahren die Meinung eingespritzt haben, das Thermometer menschlichen Glückes steige und falle mit dem Kurszettel ... Mir brennen die Schläfen, wenn ich daran denke! Ihr seid die Schmarotzermistel an der deutschen Eiche ... Erst schmückt ihr sie beinahe, dann bedeckt ihr sie und sie trägt zuletzt Mistellaub anstatt ihres eigenen und stirbt ab ... Ein großer Gott helfe uns von euch! ...« Man wird ohne weiters zugeben, daß mit diesen Sätzen ein Judentypus, eine Judenpresse, eine Judenliteratur gekennzeichnet wurde, die wie schlechte Pilze im gesunden Boden wuchern und jenes Judentum in Mißachtung mitreißen, vor dem man Achtung zu haben verpflichtet wäre. Man bedauert, daß dieser Judentyp die Macht der Öffentlichkeit durch die Macht seiner Presse eroberte; und man versteht, daß ein Erfolg oft nur von diesen Tyrannen abhängt ... Man darf mit Recht bedauern, daß sich die von jenem Judentyp freie Öffentlichkeit des Romanes nicht annahm. Aber noch schmerzlicher muß man feststellen, daß ein begabter Dichter mit jenem Judentyp Kompromisse schloß, daß ein R. H. Bartsch sich nicht scheute, aus seinem Romane »Als Österreich zerfiel« das Buch »Der letzte Student« zu machen ... Für die starke deutsche Literatur aber bedeutet dieses Sichausliefern an jene Machthaber ein trauriges Kapitel. Man versteht jetzt einen tieferen Sinn aus dem Zitate der »Neuen Freien Presse« (Wien): »Der Dichter Bartsch und der unbestrittene Publikumsgünstling waren aber keineswegs zur selben Stunde geboren« – und schämt sich, die Anzeige einer solchen Geburt melden zu müssen.
Warum sollte man sich schämen, da sich Herr Bartsch nicht geschämt hat? Die Enttäuschung ist kaum verständlich. Schwammerl drüber! Ich habe immer gesagt, daß Zwölf aus der Steiermark auf ein Dutzend gehen, und ich weiß, daß der arische Typus sich vom semitischen nur durch die Fähigkeit unterscheidet, sich zu assimilieren. Ehe ich einen Heimatkünstler anerkenne, warte ich immer, bis er jourfähig ist, um ihn zu mißachten. Späterhin bleibt nur noch die Frage offen, ob die ihm zugewachsene Kultusgemeinde die Bekehrung auch dann verträgt, wenn ihr das geistige Vorleben des Herrn in vollem Umfang bekannt wird. Zum Glück können Tatsachen, die für sich selbst sprechen, einem Autor nicht schaden, wenn sie auch durch die Fackel sprechen. Und überhaupt: Gesinnung nennt das Gesindel nur jene, zu der Herr Bartsch sich bekehrt hat; es merkt nicht, daß sie fehlt, aber es sieht, daß sie nicht mehr fehlt. Einer hat sich geläutert, und dieselbe schmalzpolitische Überzeugung, die jetzt für den armen Gerhart Hauptmann brodelt, wird Lippen fett machen, die von einem guten gediegenen Bartschroman zu erzählen wissen.
Inzwischen haben auch die ›Süddeutschen Monatshefte‹ in einem Protest des Hirsch unter dem Titel »Meine Ermordung durch Rudolf Hans Bartsch« den prächtigen Fall behandelt. Freilich erfährt man nicht, wer für den rekurrierenden Hirsch, der sich über den anonymen Mut des Bartsch von 1905 lustig macht, das Wort führt. Auch werden die kräftigsten Stellen, deren Unterschlagung dem Bartsch von 1913 zur Last fällt, vom unbekannten Ankläger so gut vermieden wie vom bekannten Bartsch. Gleichwohl ist die Anklage wirksam genug formuliert und durch neues Material unterstützt. Hirsch ruft:
... ich hab es ausgerechnet: es fehlen rund fünfundsiebzig Seiten Ullsteintype. Es ist wie ein Carlos ohne Posa, wie der Kaufmann von Venedig ohne Shylock, wie Faust ohne Mephistopheles! Ich sehe ab von allem Persönlichen. Aber ich finde kein Wort, züchtigend genug, für den, der so mit seinem eigenen Werk umspringt: aus einem Buch eine Hauptperson, den Gegenspieler, ohne jede Rücksicht auf Stimmung, Zeitfarbe, Zusammenhang, Aufbau einfach herauszubrechen unter dem heuchlerischen Vorwand »in dem Buche habe ich nur die allzu redseligen und die ungerechten, gehässigen Meinungsäußerungen meiner jüngeren Tage getilgt«. Bin ich vielleicht eine Meinungsäußerung? .. Natürlich bin ich zu tief mit der Grundanlage verflochten, als daß ich nicht fast auf jeder dritten Seite auftauchte: alles kann er nicht streichen! Wissen Sie, wie er sich hilft? Oh, es ist heiter: er teilt mich auf wie die Türkei! er verteilt meine Repliken gemütlich an die anderen Personen, unbekümmert, ob sie in ihrem Munde denselben Sinn, dieselbe Farbe, dieselbe treibende Kraft haben .. ich bin »ein Student«, »einer«, »ein anderer«, »ein Mann«, »eine Stimme« ... Aber es ist Bartsch gleichgültig, ob sein Erstlingswerk himmelschreiend verstümmelt ist, ob Szenen fallen, die er heute nie mehr schreiben könnte, und wenn er die Götter auf den Knien darum bäte, ob ganze Szenen ihre Beleuchtung, ihren dramatischen Sinn verlieren: es gibt kein Glied, das er seinen Kindern nicht abhackte, nur um sie im Krüppelhaus Ullstein unterzubringen ... Er streicht die Biographie des antisemitischen Buchbinders, – die Geschichte eines jungen Menschenlebens auf eine halbe Seite zusammengepreßt ... In der Urfassung sind die Wiener »Unfähige«; in der neuen »ewig Unmündige«; vielleicht werden sie in der nächsten »ein unsäglich begabtes Volk mit einem gewissen Mangel an Selbständigkeit«. Nun fehlt dem Wiener nicht mehr »die feine Grazie des Umgangs« und die »geistvolle Anmut« ... und gefallen ist der Satz: »Die Kunst duldet er: aus einer Art Scham. Sollte sie aber von ihm leben, sie müßte verschmachten«. Man nähert sich an, man ist nicht mehr so unzufrieden miteinander; man schont Wien, um nicht in den Verdacht zu kommen, ein Leser der ›Fackel‹ zu sein ... Gottschalk sagt auch nicht mehr zu seinem besoffenen Vater »Pfui Teufel«, sondern ganz höflich »Laß mich«! Ich aber sage nicht »Laß mich«, sondern grob und deutlich »Pfui Teufel«, und ich glaube, ich bin nicht der einzige, der so sagt.
Ich aber glaube, daß die Mehrzahl sagt: »Warum nicht, recht hat er«.
Herr Rudolf Hans Bartsch selbst sagt es. Und so hat man den Eindruck, daß die Ankläger des Herrn Bartsch hinter der Vehemenz, mit der er gegen sich vorgeht, weit zurückbleiben. Es sollte bewiesen werden, daß jener Bartsch, der ehedem die Presse verachtet hat, sie jetzt schont. Und er geht her und verehrt sie! Schreibt der Neuen Freien einen Brief als »in Dankbarkeit und Verehrung Ihr ergebener«. Der Entschluß, die Karikatur des jüdischen Journalisten zu beseitigen, sei ihm »aus dem Herzen gekommen«. Das steht zwar nur in dem Begleitbrief, den Herr Bartsch der Neuen Freien Presse mit seiner Erwiderung geschickt hat, aber sie tut ihm den Tort an und druckt auch den Begleitbrief. Herr Bartsch, der jetzt reinen Herzens das verworfenste Exemplar der Hirsch-Presse verehrt, scheint nicht so sehr die Verpflichtung zu fühlen, sich gegen die Angreifer wegen der Streichung zu verteidigen, als sich vor der Hirsch-Presse wegen der Erschaffung des Hirsch zu entschuldigen. Er habe die Figur gestrichen,
weil ich sie für eine gehässige Karikatur ohne künstlerischen Wert halte, die ihre Entstehung dem theoretischen Antisemitismus eines jungen Menschen verdankt, der noch keinen Juden persönlich kannte. (Die Figur entstand in dem politisch bewegten Jahre 1897 nach der Lektüre des großen Werkes von Chamberlain.)
Wie das politisch bewegte Jahr 1897, in dem Deutsche und Tschechen um die Sprachenverordnungen rauften, den Antisemitismus des Herrn Bartsch befruchten konnte, bleibt ein psychologisches Rätsel. Dagegen ist der Hinweis auf die Verführung durch die Lektüre Chamberlains so rührend, daß man solche Schwäche getrost als eine der Grundlagen des 20. Jahrhunderts auffassen kann. Umso rührender, als Chamberlains Werk 1899 erschien, also seine Schatten auf Bartsch vorauswarf, der ihm verfallen war, bevor noch die Möglichkeit bestand, es kennen zu lernen. Hier wirkte in positiver Richtung ein so starkes Vorurteil wie gegen die Juden. Was die Erklärung anlangt, daß er damals noch ein junger Mensch war, der noch keinen Juden persönlich kannte, so verdient sie, wiewohl man doch schon als ganz junger Mensch Juden persönlich kennen lernen kann, darum besonders hervorgehoben zu werden, weil sie dartut, mit welcher Phantasie die Natur diesen Romanschriftsteller begabt hat. Man kann ihm aufs Wort glauben, daß er bis zur Niederschrift seines Buches im Jahre 1897, ja bis 1905, als er mit seinem Verleger in Verbindung trat, keinen Juden persönlich kannte, und daß er, als er dann nach und nach auch die Rezensenten kennen lernte, einsah, daß die Juden zu jenen Persönlichkeiten gehören, die bei näherer Bekanntschaft gewinnen. Endlich, als er erkannte, daß man bei ihrer näheren Bekanntschaft auch gewinnt, mag er sich entschlossen haben, die »feigen Journalisten« nur mehr »feige Patrone« zu nennen. Diesen schreibt er nun:
Weiteres betone ich, daß keiner der Ehrabschneider, welche mir feiges Handeln zum Vorwurf machen, mich persönlich kennt; ich hoffe, daß er dann solche Vorwürfe nie erhoben hätte.
Wie kann aber Herr Bartsch von jenen, die ihn nicht persönlich kennen, mehr Gerechtigkeit verlangen, als er in der Zeit von 1897 bis 1905 für die Juden übrig hatte? Und wer hat ihm denn persönliche Feigheit vorgeworfen? Herr Bartsch irrt. Es ist selbst von der ihm feindlichsten Seite nicht behauptet worden, daß er sich nicht traut, nachts allein durch einen Wald voller Wölfe zu gehen. Es ist nur behauptet worden, daß er sich mit den Hirschen nichts anfangen will. Es ist nicht behauptet worden, daß er sich nicht traut, jeden seiner Angreifer zum Duell herauszufordern und mit der Waffe in der Hand etc. Es ist nur behauptet worden, daß er lieber den Journalisten eine Ehrenerklärung gibt und daß ihm die Romane, die sie ihm abnehmen, und die Feuilletons, die sie über ihn schreiben, und die Auflagen, zu denen ihr Publikum ihm verhilft, viel Spaß machen. Man kann im bürgerlichen Leben der mutigste Mann sein und dennoch in der Literatur Wert auf gute Verbindungen legen. Herr Bartsch verrät, daß er jetzt »an zwei Werken arbeite«, die »an Mächten Kritik üben«, deren jede sein »Lebensschicksal zerstören kann, was das Judentum nie vermöchte«. Herr Bartsch überschätzt den Einfluß jener zwei Mächte auf den Büchermarkt. Die zwei Werke, an denen er arbeitet, wird die dritte Macht überschätzen, und das ist die Hauptsache. Herr Bartsch, dem es gewiß nicht schaden wird, wenn er sich für ein Opfer der »Klerikalen« hält, verwickelt sich aber in einen Widerspruch, wenn er einerseits von der Macht dieses Feindes schwärmt und anderseits behauptet, die Angriffe seien »in einer Reihe von Zeitschriften – zumeist in kleineren Parteiblättern – erfolgt«. Die Angriffe sind außer in einer konservativen Revue und in den größten Parteiblättern auch in den ›Süddeutschen Monatsheften‹ erfolgt. Herr Bartsch hat die Anklage in dieser Zeitschrift gelesen, ihr, nur ihr gilt seine Erwiderung, die den Titel führt: » Mein Mord an Herrn Hirsch«, aber er verzichtet, stillschweigend, auf jeden Versuch, hier einen klerikalen Ursprung nachzuweisen. Er verteidigt sich gegen den einen, indem er vorgibt, ein anderer habe ihn angegriffen, und beruft sich auf das Urteil »aller anständigen Deutschen«. Er teilt sich selbst auf wie den Hirsch. Er ist in hohem Grade opferfähig. Er arbeitet jetzt gegen zwei Mächte. Er wird vermutlich am Militarismus und am Klerikalismus Kritik üben. Er wird aber nie sagen können, daß er bis dahin keinen Offizier persönlich gekannt habe. Denn er war selbst einer. Er war zuerst Hauptmann und schreibt erst später gegen den Militarismus. So gehört sich's. Nicht aber so, daß man zuerst gegen den Journalismus schreibt und dann Journalist wird.
September 1913