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Ihre Freundschaft mit Ibsen

Im geistigen Ghetto, das auf die umliegende Welt strenge Sperre gelegt hat, gab's neulich großen Lärm. Fräulein Emilie Bardach, die Maisonne, suchte noch einmal im Wege der Zeitung Anschluß an ein Septemberleben. Ohne Erfolg. So zuversichtlich der Titel »Meine Freundschaft mit Ibsen« klang, der Artikel, den die Neue Freie Presse gedruckt hat, dürfte vergebens geschrieben sein. Die Dame bleibt dabei, den Lebensabend Ibsens verschönert zu haben. Aber wenn nicht die grammatikalische Verwahrlosung, die ihr Artikel zeigt, für einen Rest von Weiblichkeit spräche, man würde ihr die Leistung, die sie vollbracht haben will, nicht glauben. Eine Maisonne, die auf ihrem Schein besteht: gegen solche Beharrlichkeit schirmt kein Unglaube. Es ist fatal, daß die Nachwelt Ibsens zugleich die Mitwelt des Fräuleins Bardach ist. Aber schließlich ist sie jene Welt, die für die falsche Erziehung ihrer jungen Mädchen selbst verantwortlich ist, und so muß sie auch für den literarhysterischen Ruhm sorgen, nach dem es die Frauen gelüstet, die mit ihren Trieben auf natürlichere Art nicht fertig werden durften. Da pocht eines Tages die Hilde Wangel an die Tür und präsentiert ihre Forderung. Scheußlich. Und man möchte brutal werden, wenn man sich nicht immer wieder sagte, daß man es mit einer Patientin zu tun hat. Nur die liberale Intelligenz spürt nicht, wie ärgerlich es ist, wenn die Muse krampfhaft darauf besteht, den Dichter angeregt zu haben; wenn sie ihre Dokumente ausbreitet, um nachzuweisen, daß sie Ibsen in Stimmung gebracht hat, – um also einen Vorwurf gegen einen Menschen zu erheben, der sich nicht mehr verteidigen kann. »Es konnte niemandem entgehen, daß er mich mit besonderem Interesse beobachtete.« Das ist eine jener tatsächlichen Feststellungen, durch die sich heutzutage eine höhere Tochter selbst für eine verminderte Heiratsfähigkeit schadlos hält. Aber wie wurde dieses Interesse geweckt? Fräulein Bardach entwickelt ihr Programm. »Ich lernte ihn am Schluß einer Ibsen-Feier kennen – ich glaube, sein Monument wurde eingeweiht. Dann war Konzert – dann drängte sich alles an ihn heran. Ich stand nicht weit ...« Und so hat es die Dame erreicht, daß sie heute auch bei der Enthüllung ihres eigenen Denkmals zugegen ist, und noch dazu eines Denkmals, das sie selbst geschaffen hat und dessen Hülle sie selbst fallen läßt. Sie darf sich darum nicht beklagen, daß man ihrer Offenheit mit Aufrichtigkeit begegnet und ein Privatleben, das in die Literatur eingegriffen hat, wieder auf sich selbst zurückführt. Von den Gesprächen mit Ibsen hat sie sich bloß das eine gemerkt, das er mit ihr über die »Eröffnung des Suez-Kanals« führte. Wäre dieses Gespräch ein Traum, wahrlich, der Professor Freud, der die Wünschelrute des Geschlechts an die verschütteten Quellen der Hysterie führt, wüßte ihn zu deuten. Und bei der bekannten Neigung des Traumes, schlechte Wortwitze zu machen, würde der Neurologe die Wiederholung eines bestimmten Wortes in den Bekenntnissen des Fräuleins Bardach: »ganz Anfang Mai« habe sie Herr Brandes besucht, im Sommer sei sie »in einem Schloß ganz im schottischen Hochland« gewesen, die sensationelle Wirkung der Publikation sei »ganz gegen ihr Gefühl« gegangen und Frau Ibsen sei ihr »mit ganz besonderer Liebenswürdigkeit entgegengekommen«, verdächtig finden. Und er käme vielleicht sogar hinter die wahre Stimmung Ibsens, der die Bekanntschaft mit dem Fräulein Bardach jenem Konzert verdankte, nachdem sich alles an ihn herangedrängt hat; er brauchte nur auch das schlechte Deutsch der Dame als eine jener versunkenen Glocken zu deuten, die aus dem Unterbewußtsein herauftönen, und auf den Satz zu verweisen: »Auf einem unserer Spaziergänge bückte er (Ibsen) sich plötzlich in seiner ganzen Schwerfälligkeit, und als ich ihn nach der Ursache fragte meinte er – er hätte nur einen Stein vom Boden entfernt, denn er könnte mich verletzen«. Er, nämlich der Stein, nicht Ibsen. Fräulein Bardach gibt aber auch mit vollem Bewußtsein zu, daß Ibsen sie später aus dem Auge verloren hat. Freilich war sie selbst daran schuld. »Er hatte keine Adresse und wußte nicht, was aus mir geworden.« Sie schrieb ihm nicht, um einem Mißbrauch ihrer Briefe vorzubeugen. Ibsen hätte sich vielleicht mit Herrn Brandes in Verbindung gesetzt, um vor der literarischen Welt mit dem Abenteuer von Gossensaß zu renommieren und am Ende gar seinen Anteil an der Gestalt der Hilde Wangel zu behaupten. Aber es wäre interessant, zu erfahren, ob Ibsen die Trostlosigkeit jenes Zustandes, in dem sich nach Nestroy ein »Liebhaber ohne Adress'« befindet, auch voll empfunden hat. Von der belebenden Wirkung, die die Briefe des Fräuleins Bardach auf ihn übten, können wir uns eine Vorstellung machen. Ein einziges Mal noch hatte sie ihm geschrieben. Und was war die Folge? Ein neues Drama. Es war das letzte, denn ihr Brief war der letzte Brief. Hören wir Fräulein Bardach: »Wie Baumeister Solneß manche zusammen verbrachte Stunden berührt – so blieb wohl auch mein Gratulationsbrief zu seinem siebzigsten Geburtstag nach so langer Trennung nicht ohne Einfluß auf ›Wenn wir Toten erwachen‹«. Wenngleich Fräulein Bardach in übertriebener Bescheidenheit hinzufügt: »Es war nicht meine Persönlichkeit, die es vollbracht – es war der Blick und Geist, mit denen Ibsen diese Persönlichkeit erfaßt«, so wissen wir, was wir davon zu halten haben. Es war doch ihre Persönlichkeit! Denn einer Persönlichkeit, die es vermocht hat, den Zweifeln an ihrer Mitwirkung beim Schaffen des »Baumeister Solneß« mit der Erklärung zu begegnen, sie habe auch »Wenn wir Toten erwachen« angeregt, ist alles mögliche zuzutrauen. Der Einfluß des Fräuleins Bardach auf Ibsen bleibt unbestreitbar. Was will es dagegen besagen, daß am andern Tag Herr von Hornstein die Dame, die sich auf seinen Rat in der Sache der Brief-Publikation beruft, Lügen straft und sich mit aller Entschiedenheit gegen den Verdacht wehrt, als ob er ihr je einen andern Rat erteilt hätte, als den, die Briefe Ibsens nicht zu publizieren! Kommt es denn überhaupt noch auf die Briefe Ibsens an? Längst überwiegt das Interesse an den Briefen des Fräuleins Bardach. Wir wollen sie kennen lernen. Wenn Ibsens Witwe vor der Literaturgeschichte die Quellen des dramatischen Schaffens ihres Gatten nicht verbergen will, winke sie eiligst den Brandes herbei!

 

Juli 1907


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