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März 1932
Csokor, der Ungestüme, leitet den von Herzmansky und »Pressestimmen« begleiteten Programmaufsatz für Burgtheaterbesucher, welcher den mit der Vorstellung unvorstellbaren »Timon« kommentiert, folgendermaßen ein:
Mit dem Timon Shakespeares hat der Ferdinand Brückners so wenig gemein, wie etwa seine »Elisabeth von England« mit der britischen Gegenspielerin der Stuart bei Schiller; nur die Wurzel ist hier die gleiche: der Dialog des Lukian und Plutarch.
Ich habe, da ich die »Elisabeth von England« nicht kenne und meinem Vorurteil, daß es ein analoger Mumpitz sei, zu opponieren bestrebt war, sofort Wurzelstudium getrieben, aber weder bei Lukian noch bei Plutarch auch nur den geringsten Hinweis auf die Gestalt der Elisabeth von England gefunden. Dagegen muß ich bekennen, daß ich erstarrt vor diesem Spiel verkleideter Bundesbeamten saß, in einem Publikum von ebensolchen in Zivil, die es ebenso träfen. Der neuen Zeit ward damit Rechnung getragen, daß das Wort »Arsch« vorkam, während die vielen psychoisraelitischen Wendungen der auftretenden Griechen und Götter um ihren Saft gebracht wurden. Das Problem, ob der Vorhang aufgehen solle, erfuhr seine Lösung durch Mangel an Applaus. Als er niederging, waren auf ihm die Gestalten der Wolter, Baumeisters und Hartmanns zu erkennen. Das Äußere hat sich seit vier Jahrzehnten wenig verändert, höchstens dadurch, daß im Foyer die Bilder der Großen einer versunkenen Theaterwelt von Anschütz bis Mitterwurzer vor denen der Reimers, Devrient und anderer dii minorum gentium verschwinden. Röbbeling dürfte durch die Berufung solcher, die jetzt den Spitznamen »Prominente« führen, Kasse in die Bude bringen. Zusperren wäre sicherer. Schon vor dreißig Jahren – ungefähr um die Zeit als Treßler dazukam – haben besorgte Fiaker jeden Abend »Aus is –!« gerufen. Hätte man ihnen gefolgt!
Daß ein ordentlicher Professor mehr sein soll als ein außerordentlicher, ist nur bei tieferer Erfassung des Wortes verständlich als der Bezeichnung von etwas »außer der Ordnung«. Wiewohl der Ausdruck also, im Gegensatz zu den meisten der deutschen Amts-, Verkehrs- und Zeitungssprache, in Ordnung ist, erfaßt einen doch eben vor dieser ein außerordentliches (ungewöhnliches) Gefühl der Öde, wenn man so etwas liest:
Der Bundespräsident hat den mit dem Titel eines ordentlichen Universitätsprofessors bekleideten außerordentlichen Professor der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Wien Dr. Karl Gottfried Hugelmann zum ordentlichen Professor der Rechts- und Staatswissenschaften und den mit dem Titel eines ordentlichen Universitätsprofessors bekleideten außerordentlichen Professor der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Wien Dr. Adolf Merkl zum ordentlichen Professor der Rechts- und Staatswissenschaften an der genannten Universität ernannt.
Man denkt sich, es könnte, da beide gleich bekleidet waren und nun gleichermaßen ernannt sind und auch sonst alles bis auf den Namen übereinstimmt, ferner wenn schon zwei dasselbe tun, was zwar nicht immer dasselbe ist, aber doch – also man denkt sich, es ließe sich in einem abmachen, nämlich: daß der Bundespräsident die mit dem Titel . . . bekleideten außerordentlichen . . . der . . . an . . . zu ordentlichen . . . der . . . an . . . ernannt habe. Sehr kompliziert wird ja die Sache dadurch, daß jeder der beiden Außerordentlichen, bevor er ein Ordentlicher wurde, schon so hieß. Das hat sich denn auch der praktische Setzer des ›Tag‹ gedacht und der Einfachheit halber es gleich so durchgeführt:
Der Bundespräsident hat die mit dem Titel eines ordentlichen Universitätsprofessors bekleideten ordentlichen Professoren der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Wien Dr. Karl Gottfried Hugelmann und Dr. Adolf Merkl zu ordentlichen Professoren der Rechts- und Staatswissenschaften an der genannten Universität ernannt.
wie die Telegrammadresse des Herrn Grafen Keyserling, Inhabers der »Schule der Weisheit«, lautet?
Weisheitling Darmstadt
Tatsache!
Oktober 1932
und zwar auf die erste und die letzte der Arbeiter-Zeitung vom 8. Mai 1932:
– – Kampf gegen die jüdischen Bankherren, die Rothschild und Sieghart, gegen die jüdischen Industriegewaltigen, die Trebitsch und Geiringer, gegen die jüdischen Großverdiener, die Gerngroß und Krupnik ganz ebenso wie gegen die christlichen Scharfmacher, die Apold und Busson, die Urban und Schoeller – das wollen wir! – – Den Kampf gegen das Kapital . . . – ihn hat die Sozialdemokratie auf ihre Fahnen geschrieben – –. |
Gerngroß |
Krupnik voran! |
Was soll man für ein Vaterland übrig haben, das, wie einst gegen sein Leben, noch heute gegen seine Sprache Krieg fuhrt und dem Unheil, das es bewirkt hat, so mit dem Wort gerecht wird:
Der Reinertrag soll zur Linderung der Not der im Weltkrieg vor dem Feinde im Felde gestandenen Kriegsteilnehmer und der Hinterbliebenen nach im Weltkrieg gefallenen oder ihren vor dem Feinde erlittenen Verwundungen erlegenen Kriegsteilnehmern verwendet werden.
Welch ein Ausdruck für den trostlosesten Inhalt! Welches Rangsklassendeutsch widerfährt da dem Tod! Und das alles, weil man dem guten Fremdwort das Kauderwelsch vorzieht; weil man zwar Invalide gemacht hat, aber sie nicht nennen darf. Welche Sprache der Ordnung ohne Syntax! Nein, keine könnte es geben, die wie die unsere so zum Kriegsopfer derer wurde, die sie sprechen; keine, vor deren Schamrot nicht das Gedenken des Bluts verblaßte, wollte sie ihm mit solchem Amtsumschweif gerecht werden. Mögen die Staatsbankrotteure weiter auf Mittel sinnen, die Not, die der Weltkrieg bewirkt hat, mit der Not, die sie nach ihm bewirkt haben, zu lindern und die ihnen hinterbliebene und ausgelieferte Bevölkerung nach ihrer Zugehörigkeit »zu im« Weltkriege gefallenen oder ihren vor dem Feinde erlittenen Verwundungen erlegenen Kriegsteilnehmern einteilen; mögen sie sie auch weiterhin hauptsächlich mit dem Mittel der Illusion entschädigen, es sei ein Feld der Ehre gewesen, auf dem sich dank einer entwickelten Chemie diese glorreichen Vorgänge abgespielt haben. Ein Feld der Schande ist jedes Gebiet, auf dem nicht mit Taten, sondern Worten gestanden wird, und die deutsche Sprache wird bald ihren vor dem bürokratischen und publizistischen Feinde erlittenen Verwundungen erlegen sein.
Hitler hat den Eid auf die Verfassung geschworen, das Berliner Tageblatt zitiert unter dem Titel »Hitlers Eid« dessen Wortlaut und bemerkt:
Mit Recht macht der »Vorwärts« darauf aufmerksam, daß niemand Hitler gezwungen hat, Beamter zu werden, daß er den Eid also freiwillig geleistet hat. Es gibt künftig keinerlei Ausflucht. Der neue Regierungsrat wird seinen Eid halten müssen wie jeder andere Beamte.
Jetzt hat man ihn! Bei Nestroy beruhigt sich ein verdachtschöpfender Bräutigam immer mit den Worten: »Sie hat mir ja ewige Liebe geschworen!«, und ohne Zweifel würde der Staatsanwalt an dem ersten Tag, den das dritte Reich besteht, dessen Gründer wegen Verfassungsbruchs hoppnehmen. Es ist aber ein alter Jammer, daß, wenn Juden blöd sind, es ausgibt.
Die Zeugin Marie L. aus Gleichenberg sagt: Das Ehepaar M . . . und der Vizekanzler Winkler waren gute Freunde.
Dr. S.: Wird nicht über die Freundschaft zwischen dem Ehepaar M. und Winkler etwas in der Gegend gesprochen?
Zeugin: Gesprochen wird viel. Man sagt allgemein, die Bahn wäre nie gebaut worden, wenn der Winkler mit der Frau M. nicht so gut wäre.
Dr. V.: Sind die Gnaser mit der Bahn zufrieden?
Zeugin: Nein. Sie müssen jetzt so große Umlagen zahlen, um die Unkosten der Bahn zu decken. Man redet von der Bahn überhaupt nicht gut. Man sagt immer: »Die Antschi-Bahn« oder die »Pupperlhutschen«. (Frau M. heißt mit dem Vornamen Anna.)
Der ehemalige Landtagsabgeordnete Dr. Alois Sernetz erklärt unter anderm als Zeuge: Ich habe in einer Landtagssitzung Stellung zu dem Bahnprojekt genommen. Ich war der Ansicht, daß sämtliche Regierungsparteien schuld an der Kostenüberschreitung sind, weil alle davon unterrichtet waren.
Ingenieur Pichler erklärt als Zeuge, daß die Bahnangelegenheit im Land sehr viel Staub aufgewirbelt habe. Es hätte sich vermeiden lassen, die Strecke über das Rutschterrain zu legen. Die Bahn bildet das Gespött des ganzen Landes und heißt im Volksmund nur »dem Winkler seine Pupperlbahn«.
Alles nicht wahr. Wahr jedoch die Möglichkeit, heutige Machthaber und Staatslenker von solchem Milieu umgeben, in solchem Dialekt beredet zu wissen. Das Grauslichste, was dem neuösterreichischen Volksmund entstammt, ist ja dieser Terminus »Pupperlhutschen«, die Bezeichnung für jenen Beisitz des Motorrades, den der Neudeutsche kaum minder schrecklich den »Soziussitz« nennt. Eine ordinär humorige Verachtung der Frau als eines Zubehörs liegt in der Wortbildung, in der das gebrauchsfertige »Pupperl« – an und für sich magenumdrehend – noch dem Zweck des »Hutschens« unterworfen wird. Unsereins verbindet damit die Vorstellung, daß ein Ungetüm, soweit in der Geschwindigkeit feststellbar einem apokalyptisch gewandeten Konzeptsbeamten gleichend, wie ein rasender Schönpflug durch die Landschaft jagt. Auf das Verhältnis einer motorischen Nibelungentreue bezogen, ist es das Schulter an Schulter des Tüchtigen, der viel Staub und Lärm macht, damit ihm die Welt gehöre, mit einer Austria, die, auf Gedeih und Verderb ihm anvertraut, mit dem Soziussitz vorlieb nahm, bis sie noch diesen verlor. Aber den Ausdruck »Pupperlhutschen« hat sie behalten. Und nun stelle man sich erst vor, daß er zur Metapher für eine »Pupperlbahn« wird! Wenn die Arbeiter-Zeitung den Bericht druckt, so hat sie es natürlich auf das Moment landbündlerischer Korruption abgesehen, welches im Prozeßergebnis keine Bestätigung fand. Aber es handelt sich um die Feststellung von Lebensformen, die den Machtbetrieb dieses neuen Österreich ohne parteipolitischen Unterschied mit der Region der antipathischesten Volkstümlichkeit verbinden. Welch eine Perversion aller weltgeschichtlichen Erfahrung bedeutet doch dieser Kriegsausgang! Ehedem hatten die Besiegten den Kulturprofit; heute nur die gigantische Entschädigung an Theatertratsch, nebst jener Genugtuung der Freigelassenen, in den Familienaffären der Herrschaft zu wühlen. Für die Herabsetzung einer erledigten Hausmacht auf eine gegenwärtige Hausmeistermacht könnte nichts bezeichnender sein als der Drang, dem »Geheimnis von Mayerling« auf die Spur zu kommen, für dessen Zugkraft das einstige Verbot andauernd zulangt. Überall ein Ausverkauf hinterlassener Hoftracht, den schwachsinnige Weilande im Dienste einer freiheitlichen Sensationspresse vermitteln. Aber die Senkung des Niveaus, wie sie in den geistigen und moralischen Belangen dieses Mitropa erlitten hat, ist wohl des Teufels Hohn auf eine schimmernde Wehr, in der, von ihm geritten, es ausgezogen war, eine Welt herauszufordern. Welch ein Ruin, wenn uns die Hölle, der er entsprang, heute als verlornes Paradies erscheint! Welche Heimsuchung einer Nostalgie nach Lebensformen, die damals unerträglich waren! Und welch ein Trost für Republiken, die es sind, weil ihnen die Monarchen fehlen: sie durch Parvenüs und Prominente ersetzen zu können. Die Reduzierung in allem Geistigen, Moralischen und Gesellschaftlichen ist umso furchtbarer, als die regierende Mittelmäßigkeit sich für das, was sie Innen- und Außenpolitik nennt, mit einem Apparat auftut, der gleichermaßen den intellektuellen wie den geographischen Maßen Hohn spricht: nichts wäre dem für Fressereien und Fahrereien hinausgeworfenen Vermögen gemäß als die Größe des Elends und die Zahl der Arbeitslosen in diesen Unglücksstaaten. Dabei wirft sich die subalterne Machthaberei in die Würdebrust (der nichts fehlt als die monarchischen Orden), wenn einmal die Behauptung, daß sie Provision genommen habe, eine Verleumdung war und wenn sich wider Erwarten herausstellt, daß es in Österreich richtig zugeht, während in Ungarn ein solches Durcheinander der Ressorts herrscht, daß statt des Justizministers der Kultusminister wegen Defraudation angeklagt wird. Und doch läßt sich nun einmal nicht leugnen, daß alles, was sich hierorts im Verkehrsleben begibt, an dem Knotenpunkt einer Vizinalbahn spielt, und man möchte davon träumen, daß alles nicht wahr sei, und man bloß Schwierigkeiten habe, an einem Bundesminister vorbei zu einem Amtsdiener der Neunzigerjahre vorzudringen.
Ich hüte mich seit langem, Wendungen, die von mir sind, wiederzugebrauchen, um nicht in den Ruf eines Plagiators zu kommen, der mir seit der Apokalypse ohnedies anhaftet. Immer wieder kann ich mich in der Presse lesen, aber da es keinen Autorschutz für Gedanken gibt, muß ich es hinnehmen, als Quelle, die sie nicht angeben, verunreinigt zu werden. Aus meinem Haus sind schon viele Diebe hervorgegangen, manche jedoch, verwarnt, können es nicht lassen und schleichen, von jener Nostalgie getrieben, immer wieder an meinen Herd, um ein bißchen Feuer zu fressen. Ich mag darum die eigenen Schriften nicht, die nicht mehr ganz die eigenen sind, und stehe auf dem Standpunkt des Konditors, der selber nicht nascht. Also:
Die deutsche Übersetzung von Creme der Gesellschaft ist offenbar »Abschaum«.
Seitdem ich sie besorgt habe. Hin und wieder begegnet man auch der Deutung der »Monogamie« als »Einheirat« oder der Definition eines Volkes, an das man sich anschließen soll, als der »elektrisch beleuchteten Barbaren«. Vielfach wird aber auch
das Gehirnweichbild Wiens
in meiner Perspektive von jenen betrachtet, die im Punkte der Konsistenz just nicht unbedenklich sind.
Mit ihr ist endlich wieder ein neues Talent da. Frisch, unverbraucht, ohne die lästigen Allüren des Ruhmes und ohne jede Gouvernantensäure, die Jugend im Burgtheater so rasch ansetzt.
Also wie ist das. Wenn Jugend, die schon im Engagement ist, ansetzt, so war doch jedesmal beim ersten Auftreten wahrzunehmen, daß sie noch nicht angesetzt habe; und wenn sie so rasch ansetzt, so besteht doch Gefahr, daß es der neuen Debütantin ebenso ergehen wird, worauf wieder der nächsten nachgerühmt werden kann – nicht auszuschöpfen!
– – es sei darauf zu achten, daß . . . künstlerische Ziele nicht auf Kosten der durch die öffentliche Sittlichkeit gebotenen Zurückhaltung bei der Entblößung menschlicher Körper verwirklicht werden.
Das muß Erfolg haben: schon die Sprache ist imstande, jede sinnliche Regung im Keim zu ersticken.
(Zwischenfall im Stehparterre des Burgtheaters.) Während der Aufführung von »Metternich« am Samstag drängte sich im Stehparterre des Burgtheaters während des letzten Aktes ein Besucher in unziemlicher Weise an eine vor ihm stehende Dame. Er wurde festgenommen, polizeilich bestraft und dem Bezirksgericht wegen Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit übergeben.
Unglaublich! Wenn so etwas bei Saßmanns »Schöner Helena« passiert, wo auf der Szene ähnliche Dinge vorkommen und wo die Handlung oft in den Zuschauerraum verlegt ist, kann man ein Auge zudrücken. Da waltet ein Fluidum. Aber bei einem historischen Werk, das tiefschürfende Vorstudien im Staatsarchiv erfordert hat? Die Wiedererweckung des österreichischen Gedankens hat man sich wahrlich anders vorgestellt!
Die Presse, mag sie auch auf Kongressen das Maul voll kultureller Mission nehmen, schätzt sich in Wahrheit so niedrig ein, daß sie nicht nur meine Überschätzung ihres Berufs komisch findet, sondern in keinem Fall daran denken würde, auch nur die gröbsten Greuel des Druckes, solche, an denen nicht die journalistische Unbildung, sondern nur die Hudelei des Mechanismus Schuld trägt, durch Berichtigungen aus der Welt zu schaffen. Was in die Setzmaschine gespien wird, bleibt bestehen, weil der Journalist davon überzeugt ist, daß es mit dem Tag vergeht, und eben diese Selbstunterschätzung bedeutet das wirkende Übel der Welt. Es gibt Ausnahmen. Ältere Journalisten haben noch den Ehrgeiz, die Maschine nicht als Herrin ihres wenngleich noch so bescheidenen geistigen Willens anzuerkennen, und bringen regelmäßig ihre Richtigstellung vor. Zum Beispiel Vater Korngold, der sich viele nachträgliche Sorgfalt ersparen würde, wenn er sie schon an die Korrektur der Fahne, zu der er schwört, wenden wollte. Geradezu rührend ist aber die Gewissenhaftigkeit, mit der ein anderer älterer Herr auf Wiederherstellung seines geistigen Eigentums, nämlich eines Eingriffs in das Privatleben zwischen Goethe und der Frau v. Stein, den ihm der Setzer verpatzt hat, besteht. Er hatte in der letzten Saison wiederholt die Aufmerksamkeit jener Leser, die nicht dabei sein konnten, auf die mehr ästhetischen Reize der La Jana gelenkt, und nie wurden sie durch den Druck entstellt. Wie wichtig aber das Tüpferl auf dem i sein kann, das angeblich von mir überschätzt wird, zeigt der folgende Fall:
(Richtigstellung.) Unser Berliner Korrespondent schreibt uns: Ich bin genötigt, eine kleine Richtigstellung zu erbitten, da in dem Feuilleton über das Gastspiel des Burgtheaters in Weimar (Morgenblatt von Mittwoch, 6. April) ein weggefallenes Fragezeichen mich das Gegenteil von dem sagen läßt, was ich sagen wollte. Unter Hinweis auf die bekannte Tatsache, daß Goethe der Prinzessin im »Tasso« Züge der Frau v. Stein gegeben hat, hatte ich geschrieben: »Aber in welcher Idealisierung läßt Goethe im »Tasso« die so heiß und vergeblich (wirklich vergeblich?) Begehrte erscheinen!« In der Klammer ist das Fragezeichen weggeblieben, so daß das Nichtbestehen erotischer Beziehungen zwischen Goethe und Frau v. Stein bekräftigt wird, statt in Zweifel gezogen zu werden.
Paul Goldmann.
Der Lose! Nein, der Korrekte! Gewiß, er mischt sich da in eine Sache, die ihn nichts angeht; aber wenn schon, so hat er natürlich ganz recht, auf der Restituierung eines Zweifels zu bestehen, der durch die Auslassung des Fragezeichens zur Behauptung des Angezweifelten wurde. Freilich, ausgelassen war das Fragezeichen schon, als er es geschrieben hatte, und das eben scheint dem Druckfehlerteufel, der keine so zügellose Phantasie hat, widerstrebt zu haben. Ich gehe im Blätterwald wirklich bloß so für mich hin mit dem ausgesprochenen Sinn, um nichts zu suchen, und man tut unrecht, zu meinen, daß ich immer nur die Fehler bemerke. Ich bemerke auch die Richtigstellungen.
Der Verleger der »Josefine Mutzenbacher« (nicht Urfassung, sondern Leitfaden für den Schulgebrauch) schreibt mir – mit dem diskreten Aufdruck einer Importfirma und dem Vermerk »Chef privat«, aber vier Postscheckkonti –:
Sehr geehrter Herr!
Ich habe in Erfahrung gebracht, daß Sie selbst schriftstellerisch tätig sind und erlaube mir daher die höfliche Anfrage, ob Sie an interessanten Neuerscheinungen in sexualwissenschaftlichen Büchern, Sittengeschichte und Privatphotos als Sammler Interesse haben.
Falls Sie sich für dieses Gebiet interessieren, gehen Ihnen auf Wunsch meine neuesten, ausführlichen Spezial-Angebote zu.
Beiderseitige Diskretion ist selbstverständlich.
Da diese Art von Werken immer bald vergriffen, sehe ich Ihren eventuellen Wünschen baldigst entgegen und zeichne
mit vorzüglicher Hochachtung
– –
Ich bin wunschlos. Da aber selbst schriftstellerisch tätig, verstehe ich zwar, daß diese Art von Werken immer bald vergriffen, muß jedoch beanstanden, daß die Diskretion so weit geht, hier das Wörtchen »ist« zu unterdrücken, mag es auch an das hinweisende Fürwort Goethes anklingen, jenen Iste, der aber doch wieder nichts im Vergleich zu dem, was dem Ehrenpräsidenten des Penklubs in jungen Tagen aus der Feder geflossen.
hätte ich dagegen bei der folgenden Chance, die sich mir aber leider nicht geboten hat, weil ich nicht Abonnent der ›literarischen Welt‹ bin, und von der ich nur aus zweiter Hand weiß:
Betr.: Sonderangebot für Abonnenten.
Sehr geehrte gnädige Frau!
Sehr geehrter Herr!
Um Ihnen als unserem Abonnenten Gelegenheit zu geben, das kürzlich erschienene Buch unseres Herausgebers:
Willy Haas, Gestalten der Zeit
zu besitzen, haben wir eine ganz beschränkte Anzahl dieses Buches vom Verlag erworben und geben es zu unserem Selbstkostenpreis
in Leinen gebunden Mark 1,50 statt Mark 6,50
nur an unsere Abonnenten ab.
Herr Haas ist außerdem auf Wunsch bereit, seinen Namen in das Buch einzuzeichnen.
Da es sich nur um wenige Exemplare handelt, bitten wir Sie, uns Ihre Bestellung umgehend zu übermitteln. Die Bestellungen werden in der Reihenfolge des Einganges erledigt. Wir hoffen, Ihnen mit diesem Angebot gedient zu haben, und zeichnen
hochachtungsvoll
Die literarische Welt
So entgegenkommend! Zum Selbstkostenpreis erwirbt er sein Buch, damit andere es besitzen. Etwas von der großen Resignation jenes Kant'schen Wortes zum ewigen Frieden ist darin. Selbst wohnt man in einer freudlosen Gasse, aber die Nachwelt soll etwas davon haben: die »Gestalten der Zeit«, deren schwankendste sich mir wieder naht. Und ich der Landgraf komm zu so was nicht, denn ich bin nicht Abonnent und 6 Mark 50 geb ich nicht. Schade, ich hätte noch meine Photographie eingeklebt und dann wär's ein Unikum gewesen.
schreibt ein Splitterrichter, dem die pornographische Literatur unzulänglich scheint,
eine kluge Freundin sagte einmal, »wen ein Takt Musik, von Piccaver gesungen, nicht ganz anders anrührt, als die ›Mutzenbacher‹, dem ist nicht zu helfen«.
Die möchte ich kennen lernen und fragen, wie das zu dem kommt. Gewiß ist die Wirkung von Tenoren und Naturburschen auf kluge Freundinnen nicht zu unterschätzen, doch was bekanntlich dem einen sin Uhl', ist dem andern sin Nachtigall, der eine zieht beim Baden Reaumur, der andere Celsius vor, und die Männer, die sich nicht helfen können, müssen eben vorlieb nehmen. Aber Piccaver? Wäre da überhaupt ein Vergleich möglich, so möchte ich sagen, daß einen heute selbst ein Gedicht von Wengraf ganz anders anrührt und daß man in der Realität schon Albers heranziehen müßte, um der Wirkung, die von der Mutzenbacher ausgeht, auch nur nahezukommen. Die Freundin scheint bloß die Ausgabe für Töchterschulen zu kennen, aus der man nicht klug wird. Da freilich hat der Lohengrin leichtes Spiel!
befinden wir uns ebenda. Nachdem wir seit dem Zusammenbruch ebenso oft versichert haben: »Geht in Ordnung«. Namentlich die noch häufigeren Prominenten lassen sich in diesem Punkt nicht lumpen. In einem Interview mit Herrn Werner Krauß (der mit etwas mehr Recht als die anderen überschätzt wird) habe ich nicht weniger als vier Letztender erbeutet:
Letzten Endes spielt man ja immer nur sich selber.
Er zieht ja letzten Endes nur die Summe seiner eigenen Existenz, wenn er spielt.
Einmal fängt auch der Interviewer an:
Letzten Endes ist aber ein Spiel ohne oder gegen das Publikum unlogisch.
Der Inspizient rief bereits, so daß Herr Werner Krauß letzten Endes nur noch Gelegenheit hatte, zu versichern, der Schauspieler habe das wirkliche Leben glaubhaft zu machen, alles andere aber sei fiktiv und
letzten Endes unkünstlerisch.
Nun aber müsse er zum Schlußakt –
der Hilfsregisseur wird sonst ungeduldig. Und das könnte gefährlich werden . . .
Die drei Punkte, die unwiderruflich letzten Endes stehen, sollten dieses wohl ersetzen. (Anschütz, hör ich, hat vor dem Auftreten keinem Reporter Aufschlüsse über das Wesen der Schauspielkunst erteilt; doch man hat eben von jenem »Lebt wohl!« bis »Letzten Endes« eine Entwicklung durchgemacht.) Vermutlich geschah es während einer Aufführung von Hauptmanns »Vor Sonnenuntergang«, wo »Letzten Endes« faktisch im Dialog vorkommt und mit vollem Recht, sowohl was den Dichter wie was den regieführenden Zauberer und Theaterunternehmer anlangt. Es bezeichnet jenen Zustand, den man etwas schlichter auch Pleite nennt. Man lebt nun einmal in dem Vorstellungskreise, und dem Wort zu entrinnen ist unmöglich. Keine Kolumne, in der es nicht auftaucht, Politiker führen es im unsaubern Munde, längst hat es Odol verdrängt, in einem Nachruf war erzählt, wie der Tote letzten Endes gestorben sei, von einem Selbstmörder hieß es, er habe letzten Endes es seinem Leben gemacht, weil dieses offenbar nichts mehr als dieses bot, aber dann kommen die Optimisten und versichern, wenn der Winter noch so sehr dräue, es müsse letzten Endes doch Frühling werden.
muß man nicht immer letzten Endes sagen, sondern man kann letzten Endes auch schließlich sagen. Beer, von dem ganz bestimmt in einem der Monate, die er auf Reinhardts Unterschrift warten mußte, mehr die Rede war als von Laube in dessen ganzem Leben,
ist demgemäß blendend gelaunt und begrüßt
demgemäß
die ihn erwartenden Journalisten in heiterster Laune.
Ich bin ja schließlich erst von dem Augenblick an Direktor, da der Deutsche-Volkstheater-Verein mich freigibt.
Wenn er aber nur bis 1. Juli in Wien bleiben und gleich anschließend seine Tätigkeit in Berlin aufnehmen wollte, so wäre es doch ganz falsch, daraus zu schließen, daß er von Wien gern weggehe, konträr,
schließlich bin ich elf Jahre lang hier und in einer so langen Zeit
muß man diese Stadt im allgemeinen wie im besonderen liebgewinnen, aber schließlich kennt man sie doch schon zu genau, darum entschließt man sich sie zu verlassen, trotzdem verläßt man sie schweren Herzens und ausschließlich nur wegen der Chance, die Berlin bietet, denn
schließlich ist das Deutsche Theater gegenwärtig die führende Bühne des deutschen Theaterwesens überhaupt.
Aber schließlich müssen wir, wenn uns die Geschäfte der Theaterdirektoren schließlich zum Hals herauswachsen, nicht verzweifeln, denn mitten drin steht doch die Verheißung:
Morgen spricht an dieser Stelle der Modechef der Tiller A.-G., Mariahilf über: »Unsere Konfektion ist Kunst«.
Und der spricht knapp, jeder Satz sitzt wie angegossen, ein Labsal neben dem umlagernden täglichen Geschmuse über unsere Kunst, die Konfektion ist.
Wien, 6. Juli 1932.
Verehrliche Verwaltung!
Wir sind nunmehr wieder mit der Revision unserer Kartei zwecks Zusammenstellung der Daten für den großen Ala Zeitungskatalog 1933 beschäftigt. Wir bitten Sie aus diesem Grunde höflichst in Ihrem eigensten Interesse den mitfolgenden Fragebogen genauest auszufüllen und mit einem evtl. gedruckten Inseratentarif und 3 Probenummern mit dem Vermerk »Für Kartei«, raschmöglichst an uns zurückzusenden. Wir bitten Sie speziell darauf zu achten, daß bei den einzelnen Preiskategorien (Inseratenteil, Textteil, Notizen), die für jede Gruppe giltige Grundschrift, d. i. die kleinste mit oder ohne Preisaufschlag zur Verwendung gelangende Schrifttype (eventuellen Aufschlag nennen!!), das zulässige Höchstformat für Beilagenprospekte, die Falzgebühr, sowie der effektive Erscheinungstag und die Vordatierung bekanntgegeben wird.
Alle diese Fragen sind in unserem Fragebogen enthalten. Auch die Angabe, ob Sie mit Matern oder Klischee (aufgeholzt?) arbeiten können, ist uns sehr wichtig. Falls Sie für das Deutsche Reich andere Preise haben, wollen Sie auch diese bekanntgeben. Da die Aufnahme im offiziellen Teil des Ala Zeitungskataloges für Sie kostenlos erfolgt und dieses Buch von vielen Inserenten als Nachschlagewerk benützt wird, glauben wir, daß auch Sie darin nicht fehlen wollen und bitten um umgehende Erledigung, bezw. Retoursendung des ausgefüllten Fragebogens.
Hochachtungsvoll
Österreichische
Anzeigen-Gesellschaft A. G.
Sehr geehrte Herren!
Ihre freundliche Anfrage können wir leider nur teilweise beantworten, da unser Fall einen Sonderfall vorstellt. Während nämlich die Aufnahme von Inseraten bei uns kostenlos erfolgt, gelangen in unserem Textteil tatsächlich häufig Firmenannoncen zum Abdruck. Eine strenge Trennung zwischen dem Inseratenteil und dem Textteil, wie sie eben in anderen Zeitungen eingehalten wird, besteht bei uns nicht. Es ist uns nicht ganz verständlich, warum Sie sie besonders hervorheben, da ja der Textteil der Zeitungen unbezahlt ist und die Inserate, die ihn bilden, eben zum Inseratenteil gehören. Insbesondere ist uns unklar, welchen Unterschied Sie zwischen den Preiskategorien »Textteil« und »Notizen« machen, die doch gewiß zum Textteil und infolgedessen zum Inseratenteil gehören. Offenbar bezieht sich diese Einteilung auf solche Notizen, die nicht als »entgeltlich« erkennbar gemacht werden und infolgedessen den eventuellen Aufschlag haben, von dem Sie sprechen. Unsere Notizen gehören gleichfalls zum Textteil und enthalten vielfach Firmenreklamen, für die wir aber keinen Aufschlag einheben. Beilagenprospekte erscheinen nur selten und wenn dies der Fall ist, so sind sie bereits einer anderen Zeitung honoriert worden, wie zum Beispiel Diebolds Italienkarte der Frankfurter Zeitung. Es ist bei uns Usus, daß wir in allen jenen Fällen, wo die Reklame auch schon in anderen Zeitungen erschienen ist, weder eine Grundgebühr noch einen Aufschlag in Rechnung stellen, weil wir der Meinung sind, daß man in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise die Unternehmungen nicht zu stark belasten soll. Was den effektiven Erscheinungstag anlangt, so ist er uns selbst unbekannt, da unsere Zeitung nur unregelmäßig und dazwischen gar nicht erscheint. Mit Klischees arbeiten wir vielfach, und tatsächlich sind sie aufgeholzt. Ihre Frage, ob wir für das Deutsche Reich andere Preise haben, müssen wir verneinen. Wir würden Sie aber mit Rücksicht auf die ungeklärten Verhältnisse, die bei uns in administrativer Beziehung herrschen, ersuchen, von der Aufnahme unserer Zeitung in den offiziellen Teil des großen Ala Zeitungskatalogs, wo wir unter anderen Umständen gewiß nicht fehlen wollten, Abstand zu nehmen, obzwar sie kostenlos erfolgt und in unserem eigensten Interesse wäre. Aber so sind wir nun einmal.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Der Verlag der Fackel.
daß Olly Gebauer regelrecht vermählt ist, und zwar mit dem Filmregisseur Nossek . . .
daß Mitzi Günther mit Fred Hennings, ohne daß man davon etwas erfahren hätte, einen Sohn hat, der jetzt schon über ein Jahr zählt . . .
an dem Wunder des technischen Fortschritts ist nicht der Umstand, daß es zu spät eintrat; daß Stimme und Schritt der Wolter auf keiner Schallplatte, keiner Leinwand überliefert, daß Mitterwurzer in keinem Tonfilm zu hören und zu schauen ist. Sondern: daß es noch nach tausend Jahren möglich sein wird, der Menschheit eine deutliche Vorstellung zu vermitteln, wie Verebes gewesen.
Ärztliche Ratschläge
Erröten. Das unbegründete oder fast unbegründete Erröten beim geringsten Anlaß ist eine nervöse Störung in den Blutgefäßen der Haut. Das Leiden ist unangenehm, besonders noch durch die Angst und das fast unerträgliche Gefühl, daß man die fremde Aufmerksamkeit erregt und fremden Leuten vielleicht Anlaß zu verschiedenen nicht immer schmeichelhaften Gedanken gibt. Behandeln läßt sich das Leiden schwer. Durch ärztlichen Zuspruch und durch Autosuggestion, auch durch ärztliche Suggestion und durch Hypnose kann man Einsicht in das Unberechtigte der Erscheinung und der Angst davor gewinnen. Innerliche Medikamente und Elektrisieren des Gesichtes können manchmal Erfolg haben, wahrscheinlich aber nur auf dem Umwege der suggestiven Beeinflussung. In der jüngsten Zeit beschäftigt sich auch die Psychoanalyse mit dem zwar ungefährlichen, aber doch recht unangenehmen Leiden.
Die wird es zwar nicht heilen, aber auch zu allerletzt herauskriegen, daß es auf Schamgefühl zurückzuführen sein könnte, oder auf das tiefer sitzende Übel, daß nämlich einer Ehre im Leib hat. Aber welch ein Apparat von Medizin wegen der paar Leute, die noch an so was leiden!
daß die auf dem Tatort gefundenen Hakenkreuzbinden nicht den Parteistempel tragen.
Nur die von uns gelieferten Überfälle sind die echten, das Publikum soll nicht auf jeden Schwindel hineinfallen.
Unser Sonderberichterstatter beginnt:
Der Hunger hetzt sie in ihren Haß.
Und schließt:
Gerade hier, wo zahllose Millionen an Lohnsummen zu jedem Wochenende umgesetzt werden, ist der Geldmangel besonders würgend. Nahezu ausnahmslos stehen die Städte und Gemeinden vor dem Zusammenbruch. Muß Dortmund, Deutschlands jüngste Industriemetropole, in Konkurs gehen? Es ist eine verzweifelte Frage, hinter der die Bedeutung alles parteipolitischen Zwistes weit zurücktritt. Vielleicht hat hier die Not ihr Gutes: sie scheidet mit grausamer Deutlichkeit das Notwendige vom Überflüssigen. Und die tragische Überflüssigkeit des täglichen Giftkampfes wird nur so lange dauern, als es am Notwendigen mangelt. Zwischen Rhein und Ruhr rauchen heute die Revolver. Der Spuk wird verfliegen, wenn morgen wieder die Schlote rauchen.
Man achte auf diesen Sonderberichterstatter, in dessen Kopf anders als sonst in Menschenköpfen sich die Welt malt. Der Hunger hetzt sie in ihren Haß, also sollte man glauben, daß, wenn der Hunger aufhört, der Haß aufhört. Aber es war nur die notwendige Pointe für den Anfang. Für das Ende ist wieder eine Pointe notwendig, mehr optimistisch. Wenn zwischen Rhein und Ruhr die Revolver rauchen, ist man zwar an der Donau fern vom Schuß, aber zum Frühstück ist es immer gut, etwas Zukunftsfrohes, womöglich »geprägt«, zu bekommen. Stellen wir selbst die verzweifelte Frage, ob Dortmund in Konkurs gehen muß, ein Ausweg läßt sich immer finden. Es ist notwendig, daß der Haß aufhört, der überflüssig ist, damit die Not aufhört, die nur so lange notwendig ist, als sie dauert. Sie hat schließlich ihr Gutes. Wieso? Sehr einfach, sie läßt deutlich erkennen, daß sie nur so lange dauern kann, als es am Notwendigen mangelt, was sich aber mit einem Schlage ändert, wenn die Not aufhört, und dies tritt automatisch ein, wenn wieder die Schlote statt der Revolver rauchen, was morgen der Fall sein wird, selbst wenn Dortmund in Konkurs geht, weil doch alles auf der Welt und vor allem der Artikel des Sonderberichterstatters letzten Endes ein solches haben muß. Das ist notwendig, sich aber den Kopf zu zerbrechen wegen Sorgen, die andere haben, überflüssig. Ich freilich bilde mir die Kausalität ein, daß es jene Sorgen gibt, weil es diese Zerstreuung gibt.
Die französische Akademie berät jahre- und jahrzehntelang, ob eine sprachliche Neubildung in dem Diktionär aufzunehmen würdig befunden werden soll. In Frankreich wird die Sprache wie ein Heiligtum behandelt.
Schiller hat in seinen »Räubern« von dem tintenklexenden Säkulum gesprochen . . . Noch niemals hat man das Wort so sehr geschändet durch Mißbrauch wie in dieser Epoche, noch niemals ist es so sehr seines metallischen Wertes entkleidet worden, des Edelgewichtes, das dem Symbol erst Inhalt gibt.
Das steht in der – nein, ich sag's nicht, man würde es ja doch nicht glauben.
Mai 1935
Seite 1, Außen:
– – Laval habe sich in Moskau als Mann aus dem Volke eingeführt, der sein Auvergner Hochlandtum nicht verleugne und von den Ansichten und Wünschen des Durchschnittsfranzosen mehr verstehe als ein anderes Mitglied des französischen Kabinetts. Man erzählt in diesem Zusammenhang, Stalin habe bei seiner ersten Begegnung mit Laval im Kreml zum französischen Außenminister gesagt: »Wir wollen aufrichtig mit einander sprechen, denn ich bin kein Diplomat«. Darauf soll Laval erwidert haben: »Das gefällt mir, ich bin auch keiner«.
Seite 2, Innen:
Wie die »Nár. Pol.« erzählt, hat sich im Wahlkampf in Karpathorußland eine heitere Episode abgespielt. In Tačevo hatte der Kandidat der Gewerbepartei Dr. Spiegel eine Versammlung einberufen. Einer seiner politischen Gegner wollte ihm einen Streich spielen, fing in Massen Maikäfer und steckte sie in einen großen Sack. Diesen brachte er unbemerkt in das Versammlungslokal, knüpfte dort in einer Ecke den Sack auf und verschwand. Die Folge war, daß die Versammlung nicht abgehalten werden konnte.
Daß wir endlich keine Diplomaten mehr sind und daß Versammlungen nicht abgehalten werden können, ist eine schöne Neuerung. Leider nur dürften auch die heiteren Episoden, die sich da abspielen, zu Tragödien werden, die vielen Männern des Volkes das Leben kosten.
16. Mai:
– – Es ist eine bekannte Tatsache: Es gibt keine Staatsform und keine politische Gestaltung irgend eines Staates, sei er wo immer, wo nicht letzten Endes das Schicksal von einigen wenigen Wissenden wirklich bestimmt wird . . .
17. Mai:
– – Hier liegen Gegensätze vor, die letzten Endes ihre Begründung nur in der künstlichen Absperrung des Bedarfes vom Angebot haben. Hier müssen letzten Endes Brücken gefunden werden, um diese Unmöglichkeiten zu beseitigen . . .
– – Diese Gedankengänge schließen die Notwendigkeit in sich, daß darüber hinausgehend immer und immer wiederholt und immer deutlicher betont werde, daß es vielfach unausdenkbar bleibt, daß . . . neuerdings einer Entwicklung unaufhaltsam entgegengegangen werden sollte, die letzten Endes nur mit einer Vernichtung ungeheurer kultureller Werte endigen kann . . . Es scheint mir, daß aus diesem Wissen und Wollen zwangsläufig der Glaube . . . herauswächst, und zwar über das System von Pakten und Verträgen . . . hinaus.
– – Wir müssen die Auffassung vertreten, daß . . . der Stolz einer Nation, der Stolz eines Volkstums letzten Endes nicht die Faust, sondern immer das Gewissen und der Kopf bleiben müssen.
– – Da kommt es darauf an, ob . . . all dieses letzten Endes einmal zur Zerstörung und Vernichtung oder zum Aufbau und zum Fortschritt bestimmt ist . . . Wir glauben daran, daß letzten Endes die Vernunft Siegerin bleibt . . .
Die ›Reichspost‹ ist in der Lage, das Folgende zu verraten:
– – Die Künstlerschaft, vereinigt in der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens, hat ihrer Phantasie keine Zügel angelegt und Wunderdinge für das traditionelle Gschnasfest geschaffen – – die »Vereinigten Staaten von Gschnasurien«, »A-zien« . . . »Papagonien«, die »Ravagei«, »Mondafonien«, belebt von Mondafonier Rindern, einer Abart der Mondkälber, und andere Phantasiestaaten – – der Spanische Saal nimmt »Gorgonopolis, die Hauptstadt von Zerritschhagien« auf, eine gruselige Angelegenheit, von Professor Gorgon, Franz Windhager und Professor Zerritsch ausgedacht. »Hooruckasien« – Entwurf Prof. Sturm-Skrla – zaubert den Erdbewohnern ein Land der erfüllten Wünsche vor. – – Maler Strohofer wartet mit Blumen auf, wie sie noch keine Schau zeigte – – nicht zuletzt auch das launig ausgestattete »Verkehrts-Bureau«, verraten eine Fülle köstlicher Einfälle. – –
Weltkrieg, Revolution, Bolschewismus, Drittes Reich, Abessinien – nichts, nichts hat daran etwas ändern können; und am wenigsten sechsunddreißig Jahre ›Fackel‹.
Gleich neben einem der allwöchentlichen Artikel, in denen jene Rassenschande angeprangert erscheint, die den Begriff ausheckte und bis zur Tollwut verfolgt, wird Geschrei gemacht über die allerdings verblüffende Anomalie, daß der Werfel »nicht gedreht« wird. Zuerst Geschäker:
Schon vor Monaten kabelte man ihm ein Honorar von 20.000 Dollar. Eine Kleinigkeit, für die Greta Garbo nicht einmal von der Couch aufstehen würde.
Couche! (sprich: Kusch!)
Alles, was Werfels Anwesenheit in Hollywood an besonderem Reklamewert noch abgeworfen hätte, wäre ihm natürlich extra bezahlt worden. Aber jetzt ist Schluß damit!
Leider doch nicht. Mitleid und Empörung der Welt werden aufgerufen, weil er jetzt dasteht oder vielmehr
einstweilen noch in New-York sitzt bei den Proben seiner Bibeltragödie »Der Weg der Verheißung«.
Und deren Land, Hollywood, nicht erblicken wird. Die Metro-Filmgesellschaft läßt, weil die Türkei protestiert hat,
den ganzen armenischen Freiheitskampf nicht einmal vor die Kamera: Schluß!
Leider nicht.
Es ist das Erlebnis eines Freiheitsdichters, der von aller Metierpolitik jederzeit himmelweit entfernt war.
Sein Erlebnis ist der armenische Freiheitskampf? Nein, der Vertragsbruch der Metro-Filmgesellschaft. Mit starker Ironie wird dieser Gesellschaft (in der Branche kurz »die Metro«), welcher doch Freiheitskämpfe stagelgrün aufliegen und die bloß nach dem bunten Stoff geschnappt hatte, der Rat erteilt:
man soll sich mit Dichtern nicht abgeben.
Ohne daß aber auch den Dichtern der Rat erteilt wird, sich mit der Metro nicht abzugeben. Im Gegenteil wird der Märtyrer der armenischen Freiheit, himmelweit entfernt von aller Metierpolitik, für fähig gehalten, mit einem gleichfalls goldenen Mittelweg einverstanden zu sein, um der völligen Unterdrückung durch eine tyrannische Metro zu entgehen:
Es wäre zweifellos leicht gewesen, das Milieu dieser Filmaufnahmen zu verlegen, Zeit und Ort zu wechseln, äußerlich und formal also jenem offiziellen Protest die Spitze zu nehmen.
Wie einfach für beide Vertragsteile: man verlegt und wechselt, und warum soll der Dichter nicht einverstanden sein, der, trotz deutscher Verhinderung, schon am Roman dick verdient hat?
Aber diese Hollywooder Filmdollarkönige wissen und verstehen sehr gut, daß es sich gar nicht um die Armenier handelt, sondern um die Seele ihres Geschäftes. Um die Internationalität des Kitsches, nicht der Wahrheit.
Und offenbar auch des Blödsinns. Denn wenn sie jenes wissen, warum hat so ein Dollarkönig nicht dem Dollarhöfling empfohlen, die Wahrheit nebst Männerstolz zu verkaufen, das Armenische zu entfernen und den Kitsch internationaler zu halten? Ihm selbst wird doch die Einsicht zugetraut, »daß es sich gar nicht um die Armenier handelt«. Es handelt sich auch nicht um die Juden, über deren Schicksal hinweg die Durchsetzung des Romans im Dritten Reich versucht wurde, die ja gelungen wäre, hätte sich nicht schon damals die Türkei eingemischt. Welche Gestalt von einem Freiheitsdichter, der im heutigen Deutschland bloß der türkischen Zensur ausgesetzt ist! Der als Paulus die Gunst genießt, nicht unter den Juden der Züricher Filiale erscheinen zu müssen, sondern im Hauptverlag Zsolnay zu verbleiben, der sich den Weg deutscher Verheißung geebnet hat, wie in der andern Musenbranche die Universal-Edition (die heute, sagen wir: heil-froh ist, daß ihr der ohnedies gebrochene Offenbach-Kontrakt entwunden wurde). Was aber dürfte nun geschehen?
Die Freiheitsstatue im New-Yorker Hafen sieht jetzt vermutlich mit einem ironischen Lächeln auf Franz Werfel herab.
Das wäre unter allen Umständen möglich. Doch warum speziell?
Die ausbezahlten oder vertraglich zugesagten Riesenhonorare werden auf Verlustkonto gebucht. Die Überzeugung eines Dichters und die Achtung einer Kulturwelt dazu.
Nun, falls diese noch ein unzertrümmertes Atom von Ehre hat, wird sie doch vorziehen, wenn schon nichts anderes »gedreht« wird, es wenigstens ihrem Magen zu gönnen, bei dem Gedanken, daß solche Beschwerde in Tagen laut wird, wo »zum Schutze der deutschen Ehre und des deutschen Blutes« 35.000 Hausgehilfinnen die jüdischen Haushaltungen verlassen müssen und zum Schutz vor dem Verhungern in »Auffanglager« geschleppt werden. Sie wird, ohne tieferes Interesse für Hollywooder Wechselfälle, daran denken, daß wenige Kilometer von Leopoldskron die Vorstände jener Haushaltungen, die Rassengenossen von Freiheitskämpfern verhungern müssen, dieweil die Kulturschande beschrien wird, daß nunmehr – denn die »Metro« wird zu den gekabelten 20.000 noch was zulegen – auf jeden der »Vierzig Tage des Musa Dagh« bloß 1000 Dollar kommen.
Vor einigen Wochen stand der 15jährige Hilfsarbeiter Karl auf der Quellenstraße und las einigen Freunden aus Goethe vor. Zufällig kam ein Wachmann vorbei, hörte zu und fragte dann, woher er das Buch habe. Er wurde verlegen und gestand schließlich, daß er es aus einer offenstehenden Schrebergartenhütte entwendet habe. Bald hatte man den Eigentümer – einen Sandgrubenbesitzer – festgestellt, der das Buch seiner Tochter gekauft hatte. Richter: »Du siehst ja so brav und nett aus und auch dein Zeugnis ist tadellos, wie kommst du denn auf so eine Idee?« Karl: »Ich hab mir nicht anders helfen können, wie ich das Buch gesehen hab; ich interessier' mich so für Klassiker und wie soll ich zu einem anständigen Buch kommen, die Eltern und ich haben doch nichts.« Richter: »Wie bist du grad auf dieses Buch verfallen?« Karl: »Ich schwärm' so für Goethe, besonders für den ›Zauberlehrling‹ und für einzelne Teile von ›Faust‹. Aber auch Schiller und Raimund hab ich sehr gern, nur krieg ich fast nie ein anständiges Buch.« Karl, der gut beschrieben wird und dessen Bildungseifer vom Gericht geglaubt wurde, erhielt nur einen bedingten Schuldspruch.
Das tut ordentlich wohl nach den Salzburger Festspielen! Die Adresse des Knaben konnte beim Jugendgerichtshof erfragt werden, der eine Unterstützung durch Lektüre wärmstens empfahl. Für die Handschrift des Magiers hat sich bisher kein Lord gefunden, und – Mißerfolg oder Erfolg? – Autographenfachleute erklären, daß der Wert weit hinter dem Weltruhm des Urhebers zurückbleibe und bloß im Abdruck durch die Fackel bestehe (während die sensationelle Enthüllung der Kommisnatur ja schon um den Preis des Heftes zu haben ist, das sie enthält). Gleichwohl hat die Buchhandlung R. Lanyi – der die Adresse des echteren Faust-Schwärmers bekannt ist – für die Handschrift einstweilen den Betrag von 25 Schilling bezahlt, welcher gerade die Selbstkosten einer Goethe-Ausgabe erreicht, die dem Knaben zugewendet wurde. (Wie von anderer Seite einige Raimund-Bände.) Ein etwaiger Mehrerlös aus dem Verkauf des Autographs wird gemäß der ursprünglichen Ankündigung Schauspielern überwiesen werden, denen es bisher nicht gelungen ist, durch die Ahnungslosigkeit von Geldgebern zu reüssieren. Der Löwenanteil gebührt dem Knaben, der – solche Kontraste gibt's nur an meiner Front – Altersgenossen auf staubiger Straße mit eben den Mysterien beschenkt, mit denen gleichzeitig ein tüchtiger Magier Snobs und Schmöcke im Grünen ködert. Wollte aber der Weltfreund Werfel, einst Gastfreund Rintelens, sich weiterhin erlauben, in seine Enthusiasmen für den Geschäftsfreund Häkeleien (deren Wettbewerb das ›Prager Tagblatt‹ ausschreibt) gegen einen vormals Angebeteten zu flechten, so wäre die einschüchternde Wirkung (mit Hilfe des Neuen Wiener Journals) nur gering. »Betretungssüchtige Schulmeisterei« bleibt unbelehrbar. Es könnte ihr die kultursatirische Lust nicht hemmen, religiöse Inbrunst dabei zu betreten, wie sie in einer Konferenz »auf Leopoldskron«, vor sprachlosen Zeugen, ihre finanzielle Sicherstellung begehrt, und den Weg der Verheißung als die Karriere zu beschreiben: vom Sturm auf die Bastille des Bankvereins bis zu lukullischen Mahlen, von der Anrede an die Schweizer Arbeiterschaft bis zu der an einen Kardinal; kurzum: diese Penetranz ins Bodenständige – nach mißglückten Bestrebungen, Blut und Boden zu gewinnen – aus der Sphäre der ›Reichspost‹ in die des ›Prager Tagblatt‹ zurückzugeleiten. Oder gar, wenn mit dem Essen der Appetit wachsen sollte – was hier nicht bloß Metapher ist –, den vollen Ertrag aus den Urschriften »unwandelbarer Treue und Verehrung« (in Prag hab ich schon eine Kollektion von Unwandelbaren) mit »allen guten Gefühlen des Herzens« einer proletarischen Jugend zu widmen, die auf der Straße etwa aus der Bibel vorliest. Auch für eine Entwendung des Buchs der Bücher hätte der Jugendgerichtshof mehr Verständnis als für dessen Fruktifizierung und den literarischen Aufschwung, der im Tagebuch eines für Österreich gefallenen edlen Dichters mit den Worten verzeichnet steht: »Mein Jugenderlebnis entwendet.«
Es ist nicht schwer, Lokalpatriot zu werden und an Wien jedes gute Haar zu lassen, wenn man das ›Prager Tagblatt‹ liest, dessen schwelgerischer Betrachtung mein Lebensrest vorbehalten bleibt. Wie jung war man, als es noch eine Neue Freie Presse gab! Doch auch das Alter hat usw. Es wird insbesondere durch den täglichen Blick auf die Prager Fülle von Druckfehlern verklärt, gegen die es zwar kein Präservativ zu geben scheint – »Ihr Schutz und Ihr Genuß« beim Lesen –, deren Gefahr aber gerade mein etwas perverser Geschmack als besondere Würze empfindet. Da ich nie vor Ankunft des ›Prager Tagblatt‹, welche leider schon um halb sieben Uhr früh erfolgt, schlafen gehe und die aufregende Lektüre mich bis zum Mittag wach hält, so benütze ich diese Zeit, an einer Sammlung der merkwürdigsten Druckfehler – aus ethno- wie psychologischem Gesichtspunkt – zu arbeiten (»Schäätze –! Schäätze –!« sag ich als Nestroyscher Zopak); ferner an einer Sammlung von Annoncen, auf deren Druck Sorgfalt verwendet wird, und sonstigen Nachrichten aus Österreich, von sprachkritischen Versuchen des ›Prager Tagblatt‹ (»Fred«!) wie seinen andern Anekdoten, und last not least an einer Schilderung des Heldenkampfes zwischen Olla und Primeros, bei dem es eine Neutralität wahrt, die an die Haltung der Schweiz hinanreicht, nur mit dem Unterschied, daß deren Kriegsgewinn geringer ist. Vorläufig sei – von einem, der manchen Prager Eindrücken ein nie zuvor verspürtes Pumpern des Herzens bei der Heimkehr verdankt – dem Erstaunen Ausdruck gegeben, daß ein feiner Stilist, der für das Blatt Wiener Theaterberichte schreibt, dort, heute, den Satz drucken läßt:
Dr. Beer, ein Wiener in Amerika, gibt der Figur die gemütliche Verwaschenheit, die sie als zuständig an der gelb-grau-grün-blauen Donau legitimiert.
Daß es Herr Dr. Beer, den ich schon spielen sah, nötig hat, daran ist nicht zu zweifeln. Was den Wiener Kritiker anlangt, auf den als einen der wenigen denkenden Angehörigen seines Berufes Wien stolz sein kann, so wäre es zwar nicht unproblematisch, doch immerhin möglich, selbst unter dem Alpdruck der Gefahr, daß sich die Spree in die Donau ergießen könnte, an Ort und Stelle einer hergebrachten Ansicht Ausdruck zu geben, die durch die überraschende Entschiedenheit einer Abwehr zunächst widerlegt erscheint. Keineswegs empfiehlt es sich, sie in einem politischen Milieu kundzutun, das allen Grund hätte, die Wiener Ausdauer mit Dankbarkeit statt mit schmunzelnder und schmonzelnder Zweifelsucht zu betrachten. Es ist gewiß nicht gut, die Leser des ›Prager Tagblatt‹, denen nur am Samstag Aussicht auf verläßlichen Schutz gewährt wird, noch mehr zu entmutigen, als es durch die Entwicklung der Dinge um Henlein ohnedies geschieht. Besser jedenfalls, das chuzpetige Herabsehen auf Wien der Redaktion selbst zu überlassen, welche den unverwaschenen Herrn Max Brod eine »Moser-Rolle« (das gibt es) als eine
vielleicht gar nicht existierende, aber jedenfalls sehr österreichisch, angenehm und schlampig anmutende Gestalt
bezeichnen läßt. Dem ›Prager Tagblatt‹, in dem zwar so manche österreichisch anmutende Annonce erscheint, pflegt ja nur selten die Schlamperei zu widerfahren, daß ein angenehmer Sprachunterricht unter »Körperpflege« gerät, und bekanntlich kann man politisch, kulturell und administrativ im dortigen öffentlichen Leben von Wesenszügen der gemischtsprachigen Monarchie auch nicht mehr so viel wahrnehmen, als unter den Fingernagel eines Prager Intellektuellen geht. Was jedoch die Farbe der Donau betrifft, will ich nicht leugnen, daß ich sie gleichfalls nie so ausgesprochen blau finden konnte, wie sie die Walzerkomponisten fanden; aber so blau wie die Gesellschaft des ›Prager Tagblatt‹ (der ich dringend widerraten möchte, sich als feste und treue Wacht an der einfarbigen Moldau aufzuspielen) habe ich sie schon in Zeiten gefunden, wo ich noch nicht gratis für den Wiener Fremdenverkehr wirkte, den das ›Prager Tagblatt‹ gegen hohe Entlohnung zu heben pflegt. Wie dem immer sei, würde ich jetzt mehr die Zufriedenheit betonen, daß die Donau, mag sie alle andern Farben spielen, doch jedenfalls nicht braun ist; ich persönlich tät's auch aus alter Sympathie für eine Bevölkerung, die an der Moldau zweifellos zuständig ist und vom Weltbürgertum des ›Prager Tagblatt‹ unberührt. Wohl muß man einer bunten Redaktion, der wie alles auch das eigene Blatt stagelgrün aufliegt, eine gewisse Ausgelassenheit zugutehalten. Vollends wenn sie es nicht unterläßt, in der gleichen Nummer dem Getändel mit dem gemütlichen Wienertum, dem man sich dort in jeder Hinsicht und hauptsächlich intellektuell überlegen fühlt, die Aufklärung über eine Prager Gemütlichkeit zu gesellen, die allerdings resoluter geartet scheint. Eine Tierfreundin will nämlich beobachtet haben, daß man sich bei Silvesterfeiern damit vergnügt, die nach altem Brauch präsentierten Ferkel, kurz bevor sie geschlachtet werden, noch beherzt anzupacken, am Schwanz zu ziehen und sonst auf allerlei Art zu quälen. Die Dame bezeichnet zwar nicht die Kreise, wo solcher Humor in seine Rechte tritt. Da aber die Beschwerde in einer anscheinend deutschen Zeitung erfolgt, so hätten die Prager Deutschen – soweit ihnen das Deutsch des ›Prager Tagblatt‹ diese Eigenschaft erhalten und sie nicht zu Kosmopoliten gemacht hat – entweder Grund zu einer Gegenbeschwerde oder zu einer gewissen Nachsicht für volkstümliche Besonderheiten. Der Wiener Autor jedoch, der sich in den Spalten des ›Prager Tagblatt‹ vielleicht etwas beengt fühlt und darum entgleisen konnte, wurde für das Opfer, das er einer unverwaschenen Denkart gebracht hat, sogleich bestraft. Man ließ ihn der gemütlichen Figur des Dr. Beer (der im Prager Theaterleben prominent wäre) eine
lamarquante Figur
anschließen und dieser wieder ein süßes Mädchen, dem die Darstellerin die uneingeschränkte
Bejahrung der Zuschauer
erspielt habe. Das ist aber nichts gegen den Genieblitz des Setzers, der letzthin eben diese Zuschauer – welche offenbar alte Leser werden sollen, bevor sie eines süßen Mädchens und eines makellosen Tagblatts habhaft werden – mit der Neubildung bedacht hat, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlug:
das Zublikum.
(Schäätze –!)
Eine Verteidigung der Donau, wie wenig muß sie, nichtwahr, dem anstehen, der gerade gegen diesen Strom dauergeschwommen ist – und doch tat er's um der echten »Schätze« willen, die er besser sah als die, die prinzipienfest mit dem Strom schwimmen, ja selbst als die bodenständigen Uferbewohner, welche doch bestimmt keine Ahnung von Raimund und Nestroy haben, von Peter Altenberg und Adolf Loos. Es sind eben (»c'est comme ça«) die Widersprüche, und da kann man halt nix machen: als schwimmen, wie man will und nicht: wie die andern wollen, daß man schwimme. Einen »Zwiespalt der Natur« bedeuten jene nicht, bloß den der Welt, die sich längst mit sich selber nicht auskennt, umsoweniger mit dem Betrachter, und wir werden zur Erklärung keinen Oerindur brauchen. Mißfallen wie Gefallen an der Gegend wird auch Zeitstoffeln, die sich erfrechten, einem die geistige Richtung vorzuschreiben, einst ein Bild hinterlassen, dessen Vielförmigkeit nicht Schuld der Darstellung gewesen. Papierne Freiheit mag, wissend oder vergessend, daß ihrer eignen Reiche Macht hundertmal härter den Gewalttäter ergriffe – geschweige die jenes Dritten, wo Gewalt gegen Wehrlosigkeit wütet –, sie mag sich vorgenommen haben, Österreich als das »Land der Kerker« zu fixieren. Das eben ist der Fluch der bösen Tat des Weltkriegs, daß Amnestien beiweitem keinen so starken Widerhall finden als Verurteilungen: bei einer Machtwelt, die der Ohnmacht die Toleranz befiehlt, aber das Wüten der Gewalt als »innere Angelegenheit« achtet; und von einer Zeit her, wo das Hiesige dasig wurde und die Umgänglichkeit der »reinen Lamperln« mißtrauenswürdig schien. Sollte sich jedoch, lange nach der bösen Tat eines Friedens, der Österreich den Hunger, aber deutschem Wahn die Nahrung brachte, das Ansehen der Dinge nicht verändert haben? Sollte nicht der Begriff eines »heiligen Verteidigungskriegs«, vor dem unnennbaren Folgeübel, das nicht bloß den Schwächsten bedroht, jetzt erst in seine Ehre eingesetzt sein? Wäre eine veränderte und so verringerte Wirklichkeit, die als Vorposten der Welt nun der ausgewachsenen Hölle gegenübersteht, nicht neuer Erkenntnis würdig? Hie und da scheint diese, von kleinem Anlaß geweckt, sich gegen die Macht propagierender Niedertracht durchzusetzen. Österreich bleibt das Land der Kerker; daß sie stark geleert wurden, macht schwachen Eindruck; doch der sinnfällig humanen Neuerung, daß dem Rest von Gefangenen das Rauchen erlaubt ist, wird in einem ausländischen Blatt, dessen staatlicher Bereich sich solcher Reform wohl noch nicht rühmen kann, ein Lob gezollt, das die Verteidigung der Donau gegen jenen Zweifel über ihre Farbe, ja den Antrieb dazu in bemerkenswerter Weise unterstützt:
Schön, daß gerade in Österreich der Entschluß solcher Reform gefaßt wurde, daß wieder einmal dieses wunderliche, kleine, machtlose und tausendfach liebenswerte Land der Welt zu Bewußtsein bringt, was für Schmach und Unglück das wäre, wenn es ans Hakenkreuz geschlagen würde.
Schön, daß gerade in der Tschechoslowakei der Entschluß zu solcher Anerkennung gefaßt wurde, daß endlich dieses nicht kleine und machtlose, aber wunderliche, trotz seinen Politikern und Journalisten liebenswerte Land sich selbst zum Bewußtsein bringt, was für Schmach und Unglück der bezeichnete Ausgang auch für Prag bedeuten würde. (Wogegen doch politisierende Schwächlinge bei der bloßen Berührung der welthistorischen Alternative, zu der es wohl nie kommen wird: Hitler oder Habsburg – in Österreich! –, einen roten Kopf zugunsten des Unsäglichen bekamen und den Autor der »Letzten Tage der Menschheit« auf diese zu verweisen wagten. Macht nichts, und wenn alle Unwandelbaren futsch – oder sagen wir fučik – sind: sein Blick ist gleichwohl nur von der Wirklichkeit zu dirigieren, und er würde sich trotz solcher Autorschaft nicht nach Moskau schicken lassen, um dort zwei Wochen einem »großen Werden« beizuwohnen, wodurch man leicht den Sinn für kleinere Themen und auch das Gedächtnis für realere Vorgänge verliert.) Die Einsicht, die in jenem Satz enthalten ist, macht dem Autor, Alfred Polgar, mehr Ehre, als ihm zu seinem sechzigsten Geburtstag erwiesen wurde – indem es ja auch zu den Wunderlichkeiten des so gewürdigten Landes gehört, geistige Werte lieber hervorzubringen als zu würdigen und einen geräuschvollen Drang nach Feuerung anderweitig zu stillen. Der Satz rechtfertigt aber auch das Prinzip des Widerspruchs, und in dem Maße, daß ein Autor, dessen Denken eben keinem äußern Diktat gehorcht, schon binnen acht Tagen eine Zeitnotwendigkeit zu erkennen vermag, weil er sich nicht durch die standhafte Dummheit zwingen lassen wird, aus seinem Herzen just die Mördergrube zu machen, in die, mit ihrer Hilfe, sein Land, ihr Land verwandelt werden soll. Denn die Anerkennung einer Reform, die mehr Gemütlichkeit bekundet als Verwaschenheit, stammt von eben deren Tadler. Mit richtiger Erkenntnis stellt nun der Autor die an der Donau zuständige Gerichtsbarkeit dem Geist einer neudeutschen entgegen, die für den Gefangenen »ein Höchstmaß an Leiden« statuiert und die da verlangt,
daß er von dem ganzen Jammer seiner Situation bis zur Hoffnungslosigkeit erfaßt werde, kurz, die den Häftling nach dem im Wiener Lied ausgesprochenen Grundsatz behandelt wissen will: »Hält er's aus, is' gut für ihn – hält er's nicht aus, wird er hin.«
Hierin ist vielleicht, aus Versehen, einer in Prag willkommenen Lesart insofern Vorschub geleistet, als könnte sich die neudeutsche Grausamkeit auf einen im altwienerischen Liede bejahten Grundsatz oder gar Rechtsgrundsatz berufen; eine Nachprüfung des Textes würde wohl ergeben, daß sein Sinn eher auf eine Ablehnung jener Probe hinausläuft, daß weniger Empfehlung als Darstellung so peinlicher Wurstigkeit – möglicherweise etwas wurstig, und peinlich genug – beabsichtigt ist; vermutlich handelt überhaupt keine Strophe von Kerkerleiden, und besser wäre vielleicht ein Hinweis auf den »im Wiener Lied bezeichneten (nicht bezogenen) Standpunkt« gewesen. Die Greuel des Strafvollzuges waren zu allen Zeiten ein internationales Übel; doch ganz bestimmt hatte das Milieu, dem das Lied entsprang, in der Gestalt des »Wächters« (der bei Nestroy zu ganz anderm Zweck die Hand erhob) nichts von der Gewalttätigkeit aufzuweisen, die das Jahrhundert einer fortgeschrittenen Technik, vor, in und nach dem Weltkrieg, auszeichnet – geschweige denn, daß es eine Stütze für die Herrenmoral freigelassener Sklaven böte. Der Annahme, das Wiener Lied habe solch fatalen Sinn zu eigen, würde ja erfreulich und überraschend die Hervorhebung der Reform widersprechen, gleich ihrer Möglichkeit, auf die eine regierende Sozialdemokratie wie auf so manches nicht verfallen ist, weshalb sie wohl auch verfallen ist. Doch man hat – selbst wenn sich das Milieu widerspräche und die Verehrung der »Letzten Tage der Menschheit« (die unwandelbarer bleiben) getäuscht wäre – man hat hier wirklich den Eindruck, als ob sich jetzt, da Bomben, Trümmer, Blut und Boden rauchen, an so unscheinbarer Wohltat ein Rest von Menschsein gegen die Schrecken der Zivilisation bewähren wollte. In Brunn mögen nun auch Köpfe rauchen, weil das jüngst erst gezeichnete Porträt eines Justizministers (der zwar von seiner Wissenschaft mehr versteht als ein Winkeladvokat des Teufels) durch einen Erlaß und dessen Belobung so arg ins Humane verzerrt wird. Prags Tagblatt aber hat Sinn für Abwechslung und findet es »intressant«, zwischen all den versteckten Herabsetzungen (deren Offenheit seine letzte und stärkste Seite beeinträchtigen könnte) auch einmal die Wahrheit über Österreich zu drucken, und eine, die selbst vom Setzer nicht entstellt wurde.
mit Kultur, Wirtschaft, Weltfrieden und garantiertem Zusammenleben von Löwe & Lamm wäre ohne Zweifel ein Ziel, aufs innigste zu wünschen, wenn es nicht leider der Fall wäre, daß den Weg dahin, unter Palmen, »niemand ungestraft wandelt«, ja daß einem diese »verhaßt gemacht« werden. Man ist aber genötigt, sowohl dem Standpunkt der Ottilie in den »Wahlverwandtschaften« wie dem des Tempelherrn im »Nathan«, die so häufig verwechselt werden, beizupflichten, weil das Ideal nicht ohne die Artikel des Grafen Coudenhove-Kalergi zu erreichen ist. (Deren einer, der Nachruf auf Dollfuß, von jeglicher Redensart frei schien, was aber wohl das Verdienst des lebendigen Toten war.) Der vorzüglichen Schauspielerin Ida Roland, die merklich noch einen Schimmer der Wolter empfangen hat, war es nicht beschieden, dem riesenhaften Vorbild auch in dem Glück des gräflichen Kunstberaters nachzustreben; vielmehr hat sie allzulange dem eigenen Wirken entsagt, um mit administrativer Tüchtigkeit der politischen, rednerischen und publizistischen Betätigung des Gatten beizustehn, dessen gutes Meinen, nehmt alles nur in allem, die Sphären Benesch und Mussolini umschließt, nicht ohne auch eine letzte Hoffnung auf Hitler. Ob sie das Format zu einer Lady Macbeth hat, wird sich zeigen; aber daß sie den Mann, der außer einem starken Hang zur Publizität frei von teuflischen Trieben ist, zu Kongressen spornt, hat schon einen tragischen Zug. Jedenfalls ist ein Theatererfolg in der Hand besser als die Ehre, vom unverwüstlichen Ullmann zur »Hausfrau Paneuropas« ernannt zu werden. Der Hausherr, nunmehr ganz auf Prag konzentriert, ließ vor kurzem dort wie hier ein Artikelchen erscheinen, nach dessen Inhalt – so im Gedankenraum der Verbindung von Kultur und Handelsverträgen – sich Paneuropa endlich als die 25malige Wiederholung von Europa herausstellt:
. . gehört zu den vielen europäischen Paradoxen . . sprachen sie europäisch . . ihr gemeinsames Bekenntnis zu Paneuropa, zur europäischen Idee, zur europäischen Kultur, zur europäischen Wirtschaft, zur europäischen Politik . . in der Mitte Europas . . erfüllt vom europäischen Geist und europäischer Tradition . . des größten Europäers Masaryk . . dem jüngsten Stern auf dem Himmel der großen europäischen Politik; einer großen europäischen Hoffnung . . neues Kapitel in der Geschichte Mitteleuropas . . für die wirtschaftliche Gesundung Mitteleuropas . . geistige Persönlichkeiten von europäischem Format . . das gemeinsame Bekenntnis zu Europa . . die wirtschaftliche Zersplitterung Europas . . eine glückliche Zukunft der Europäer . . bekennen sich zur gemeinsamen europäischen Kultur . . die tausendjährige Kultur Europas . . zwischen den drei Europäern . . bildet einen Lichtblick im Dunkel der heutigen Politik Europas . . Verständigung im Herzen Europas . . um diese europäische Verständigung eines Tages in Paris und Berlin zu krönen.
Coudenhove-Kalergi, dessen paneuropäisches Ideal nicht angetastet werden soll – wiewohl die Abschaffung der Presse noch schöner wäre und die Ruhe der Welt noch besser garantierte –, scheint sich ganz dem Glauben verschrieben zu haben, daß »Europäer« zu sein eine besondere kulturelle Ehre bedeute. Nun ist es zwar richtig und nachweisbar, daß sich mitten in Europa die Barbarei aufgetan hat; aber darum ist die Umgebung noch beiweitem nicht so europäisch, wie der edle Schwärmer anzunehmen scheint. Wäre es jedoch selbst der Fall: weshalb soll ein »Europäer«, den man ja allenfalls einem Amerikaner vorziehen mag, ein höheres Gottesgeschöpf sein als ein Bewohner anderer, wenngleich dunklerer Erdteile? Wir Afrikaner sind doch bessere Menschen und bestimmt keine so geübten Menschenfresser. Doch warum in die Ferne schweifen, wenn Asien dem Grafen Coudenhove-Kalergi so nahe liegt? Ein Japaner, der gleichfalls in der europäischen Zivilisation bewandert war, antwortete mir einst auf meine Frage, was man dort von ihr halte, kurz und bündig: »Mer lacht«. Nun, Japaneuropa ist auch nicht das Wahre. China, an dessen Vergiftung durch Opium die Kompagnie arbeitet, ist weit naturnäher; fern aller Anpassungsfähigkeit, dürfte es sowohl über den Glauben des Europäers, daß er einer sei, wie über den Stolz darauf, wenn er einer wäre, bloß lächeln, wofern ihm nicht Lehar die Laune verdüstert hat.
Man hat mir gesagt, daß Louise Rainer eine Jüdin ist; wenn das wahr ist, würde ich, wäre ich ein Deutscher von reinster arischer Abstammung, sofort Selbstmord begehen. (Viscount Castlerosse in einem Londoner Blatt.)
Auch die Ladies:
Während bisher die meisten der bereits weltberühmten Stars bloß bei dem einen oder bei dem anderen Geschlecht Begeisterung hervorrufen, wirkt die Persönlichkeit und die Schönheit Luise Rainers in gleicher Weise auf Männer und Frauen; von wie wenigen von uns kann man das behaupten! (Lady Inverclyde im ›Sunday Expreß‹)
Das alles kommt an den ›Tag‹, der gleich der ›Fackel‹ eine besondere Mission übernommen haben dürfte, englische Stimmen zu verbreiten (wiewohl hier der Ursprung nicht ganz gesichert scheint). Der Herr Viscount Castlerosse (dessen Name in keine Verbindung mit der Aufschrift gebracht werden möge) soll sich, wie man in Wien zu raten pflegt, nichts antun. Was die Erwägung des Selbstmordes von Bluboständigen betrifft, so dürften bereits an hunderttausend triftigere Gründe vorliegen. Auch die erhitzte, aber bescheidene Lady Inverclyde (deren Name einem, der mehr Beziehung zu Shakespeare als zum Englischen hat, gleichfalls erfunden klingt) wird sich hoffentlich beruhigen. Die Schauspielerin, die es ihr angetan hat, mag begabt sein, heutiges Theatermaß durchaus erfüllen und auch für die Unbilden hiesiger Analphabeten Entschädigung verdient haben – es ist weder erwünscht, daß sie, längst eines bessern belehrt, in Interviews ihre Verzauberung durch den Magier bekennt, noch daß wir erfahren, welche Verheerung sie selbst unter den Lords und Ladies angerichtet hat. Die Wirkung der Helena auf den Faust nebst Zubehör war schließlich noch stärker, nicht zu reden von der Bergner, welche doch Königinnen verzückte und sogleich, auftretend, sich Besitz und Thron erwarb: Pfeile folgen Pfeilen mich treffend; allwärts ahn' ich überquer gefiedert schwirren sie in Burg und Raum – was bleibt mir übrig, als mich selbst zu übergeben, und mir eine Vorstellung vom Niveau des englischen Theaters zu machen.
Im Bundestheatermuseum wurde heute der von Albert Bassermann übergebene Ifflandring zum erstenmal öffentlich ausgestellt. Dieses vielbesprochene Symbol deutschen Schauspielerruhmes besteht aus einem Siegelring, der als Camee das Profil August Iffands zeigt, umgeben von einem dünnen Goldrahmen und einem Brillantkranz.
Zugleich mit dem Ringe ist das Schreiben ausgestellt, das Bassermann an das Bundestheatermuseum gerichtet hat. Es lautet in der seltsamen Schreibweise des Künstlers, die dieser: »phonetische Ortographie« nennt:
». . . Der mir fon Friedrich Haase zur weitergabe an den "würdigsten" fermachte "Ifflandring" war fon mir zuerst Alexander Girardi, dann Max Pallenberg und schliesslich Alexander Moissi zugedacht.
Diese drai maister der schauschpilkunst schtarben in der folkraft ires schafens.
Dieser seltsame Umschtand liss in mir den entschluss raifen den ring kainem darschteler mer waiterzuraichen . . .«
Schon, ob Theodor Doering, der ihn vom großen Devrient überkam, recht tat, als er ihn angesichts der höchsten Burgtheaterkunst dem Nuancierer Friedrich Haase fermachte, muß dahingeschtelt bleiben. Was er – gleich der Moissi-Sammlung – im Burgtheatermuseum zu suchen hat, ist nicht erforschlich. Klarer, daß ihn Girardi wie wenige seiner Zeitgenossen verdient hätte. Nicht minder klar, daß die Burg des Symbols eines deutschen Schauspielerruhms, den sie bis zu des Jahrhunderts Neige wie kein anderes Theater gehäuft hat, nicht bedarf. Eher wäre es zur Verklärung solcher Vergangenheit ratsam, etliche Porträts aus der Ehrengalerie zu entfernen. Die Bereicherung des Museums um die zweifellos originele Bassermannsche Ortografi hingegen wird kaum von der Erinnerung ablenken können, daß Mitterwurzer ein Genie war. Nun, jedem das Saine. Wenn man aber schon so schreiben soll, wie man spricht – was in Wahrheit ein etwas abgebrauchter Unsinn ist –, so spricht man doch nicht so, und man könnte, mag's auch wahr sain, unmöglich sagen, daß jener Darschteler in der Volkraft seines Schafens schtarb und eine Lücke zurückliss, die nicht mer ausgefült wurde. Das sol fonetisch sein? Wer so zu schprechen vermöchte, wäre kaineswegs der geeignete Nachfolger Mitterwurzers. (Ich bin auch der Meinung, daß Herr Bassermann seine Glanzleistung in einer Episode der »Zaza« – Berliner »Barnaytheater« – in vierzig Jahren nicht wieder erreicht hat.) Oder sollte man hier nur zu beklagen haben, daß zu viel veröfentlicht wird, und darum warnen müssen, die Zeitung, die schon der normalen Schreibart nicht gewachsen ist, vor besondere Aufgaben zu schtelen? Möglich, daß der Setzer den Schreiber fonetisch übertrumpft hat und mit den unerläßlichsten Konsonanten und Vokalen nach Belieben schaltete; aber das käme eben davon. (Anderseits entschteht wieder die Frage, ob »Ring« statt »Rink«, »Weitergabe« statt »Waitergabe« – da man doch entschlossen ist, ihn nicht waiterzuraichen –, Druckfeler oder Inkonsekwenz sai.) Wenn sich die Nachschtrebenden derlei zum Muster nemen, wird man in den Teatern noch Schöneres zu hören krigen, als man schon krigt. Die Richtigkeit des Drucks vorausgesezt, dürfte ein origineler Schauschpiler (falls er Zeit für solche Kunst hat) eher so schreiben als schprechen. (Wiewohl ich nicht ganz sicher bin, ob ich nicht tatsächlich bei einer Lear-Aufführung in Beers Deutschem Volkstheater ähnliche Töne fernomen habe.)
Also sprach Kubinzky:
– – Die Vielen, denen aus Raummangel keine Einlaßkarte mehr gegeben werden konnte, würden ihr Fernsein sicher noch viel mehr bedauert haben, hätten sie den Ausführungen des österreichischen Regierungschefs lauschen können.
Ein Lastauto machte sich an der Grenze verdächtig.
Kriminalbeamte vermuteten, daß mit diesem Auto Devisenschmuggel betrieben wird . . . Die Durchsuchung forderte überraschender Weise keine Devisen zutage, sondern gewaltige Mengen illegaler kommunistischer Literatur – –
Unmöglich, zu erraten, welchen Titel die Meldung erhält!
Illegale Literatur als Devisenschmuggel getarnt
Offenbar hatten sie noch im letzten Moment durch die Beteuerung, sie seien bloß Devisenschmuggler, zu entkommen gehofft. Wer weiß, in wie vielen Fällen umgekehrt Devisen hinausgebracht werden konnten, weil die Grenzbehörde der Versicherung, es sei bloß illegale Literatur, Glauben schenkte. Auch munkelt man, daß Reisenden das Öffnen des Koffers erspart geblieben ist, die auf die Frage, ob sie neue Schuhe oder Tabak drin hätten, die Antwort gaben: »Nein, nur alte Wäsche, tausend Pfund und etwas illegale Literatur.«
März 1936
»Dichter der Heimat, die nicht vergessen werden sollen«
In der Reihe des über Initiative des Professors Dr. Hans Nüchtern von der Ravag veranstalteten Zyklus »Dichter der Heimat, die nicht vergessen werden sollen«, hält Doktor Franz Zehden kommenden Samstag einen Radiovortrag über den steirischen Mundartdichter Hans Fraungruber, der einen großen Teil seines Lebens in Wien zugebracht und hier gewirkt hat. Dem literarischen Leiter der Ravag, Professor Dr. Hans Nüchtern, der diese Vortragsreihe im Rahmen seines großzügigen literarischen Konzeptes geschaffen hat, ist es zu danken, daß dieser, unserer Heimat besonders dienende Zyklus ins Programm aufgenommen wurde.
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Das von Herrn Jahn geleitete Deutsche Volkstheater hat eine Rundfrage veranstaltet.
Nestroy fast einstimmig abgelehnt
Besonders auffällig ist es auch, daß 90 Prozent der Zuschriften mit aller Entschiedenheit Nestroy ablehnen, insbesondere die in dieser Saison gespielte »Verhängnisvolle Faschingsnacht«, die als »vorsintflutlich« bezeichnet wird. Abgelehnt werden auch Trauerspiele und vielfach auch Klassiker.