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Ich setze meine Feder an den österreichischen Leichnam, weil ich immer noch glaube, daß er Leben atmet.
Preußen: Freizügigkeit mit Maulkorb. Österreich: Isolierzelle, in der man schreien darf.
Ich kenne eine Bureaukratie, die auf Eingebungen weniger hält als auf Eingaben.
In Deutschland bilden zwei einen Verein. Stirbt der eine, so erhebt sich der andere zum Zeichen der Trauer von seinem Platze.
Ich sah bei strömendem Regen einen Spritzwagen durch die Straßen ziehen. Wozu die Spritze, da es doch ohnedies regnet? fragte ich. Weil vorn die Staubwalze geht, bekam ich zur Antwort.
Um Verwechselungen vorzubeugen, unterscheidet der Wiener »ißt« und »is«.
Die Hamburger Betten haben eine hohe Kante. Man ist sicher, daß man bei stürmischer See nicht hinausfällt. Ein sinnentrückter Brauch, in dem das Volk die Tradition der Kajüte bewahrt. Die Seekrankheit pflanzt sich auf dem Lande durch Tischlergenerationen fort, und nichts ist beim Aufstehen schmerzhafter, als die Erinnerung, daß die Hamburger ein Volk von Seefahrern sind.
An dem deutschen Kaffee habe ich eine übertriebene Nachgiebigkeit gegenüber der Milch beobachtet. Er erbleicht, wenn sie nur in seine Nähe kommt. Das könnte auch ein Bild von der Beziehung der Geschlechter in diesem Lande sein.
Drei Stufen der Zivilisation gibt es: Die erste: Wenn in einem Anstandsort überhaupt keine Tafel angebracht ist. Die zweite: Wenn eine Tafel angebracht ist, auf der die Weisung sieht, daß die Kleider vor dem Verlassen der Anstalt in Ordnung zu bringen sind. Die dritte: Wenn der Weisung noch die Begründung folgt, daß es aus Schicklichkeitsrücksichten zu geschehen habe. Auf dieser höchsten Stufe der Zivilisation stehen wir.
In dieser Stadt gibt es Menschen und Einrichtungen, Kutscher, Wirtshäuser und dergleichen, von denen man nicht versteht, warum sie eigentlich so beliebt sind. Nach einigem Nachdenken kommt man aber darauf', daß sie ihre Beliebtheit ihrer Popularität verdanken.
Hierzulande gibt es unpünktliche Eisenbahnen, die sich nicht daran gewöhnen können, ihre Verspätungen einzuhalten.
Wir Menschen sind immer mehr auf die Maschine angewiesen, und in Wien funktioniert nicht einmal die Maschine. Alles steht, nichts geht. Wird ein neues Restaurant eröffnet, so ist's, als ob es sich um die Erschaffung des ersten Restaurants handelte. Alles steht erwartungsvoll. Aber das Restaurant geht nicht. Nichts geht hier und niemand. Ich habe noch nie einen Berliner stehen sehen. Sonst würde es sich wohl herausstellen, daß sein Materialwert geringer ist als der des Wieners. Dieser aber darf nicht gehen, sonst fiele er um. Alles steht und wartet: Kellner, Fiaker, Regierungen. Alles wartet auf das Ende – wünsch einen schönen Weltuntergang, Euer Gnaden! – und verlangt dafür noch Trinkgeld. Der Ruf unseres Lebens: Wir können warten. Wenn ein Minister fällt, wir können warten. Wenn ein Roß fällt, wir können warten. Wir stehen und sehen aufs Dach, weil ein anderer hinaufsieht. Der Kaffeesieder stellt sich vor unsern Tisch, der Restaurateur, der Direktor, der Geschäftsführer stehen uns mit Grüßen zu Diensten. Eine Hofequipage staut den Verkehr. Wir können aufwarten. Der Berliner geht. Der Wiener steht in allen Lagen. Er geht nicht einmal unter. Ein Kutscher muß die Schreie eines homerischen Helden ausstoßen, um einen Passanten zu warnen, und man merkt, daß die Leute, wenn sie doch einmal gehen müssen, es nicht gelernt haben. Aber wie gesagt, stehen können sie vorzüglich. Gehen – nur mit der Burgmusik und hinter einem Erzherzog. Wien hat lauter »Wahrzeichen«, und jeder Wiener fühlt sich als solches; der jüngste Steffel sieht sich gern »stehn«. Das könnte sehr schön sein, sehr stolz, eigenberechtigt. Wenn nämlich ein Goethe stünde. Wenn aber ein Trottel den Weg verstellt, kommt ein Goethe nicht vorwärts.
Jeder Wiener ist eine Sehenswürdigkeit, jeder Berliner ein Verkehrsmittel.
Ich halte eine glatte Abwicklung der äußeren Lebensnotwendigkeiten für ein tieferes Kulturproblem als den Schutz der Karlskirche. Ich glaube zuversichtlich, daß Karlskirchen nur entstehen können, wenn wir allen innern Besitz, alles Gedankenrecht und alle produktiven Kräfte des Nervenlebens unversehrt erhalten und nicht im Widerstand der Instrumente verbrauchen lassen.
Die Straßen Wiens sind mit Kultur gepflastert. Die Straßen anderer Städte mit Asphalt.
In Berlin geht man auf Papiermaché, in Wien beißt man auf Granit.
In Berlin wächst kein Gras. In Wien verdorrt es.
Der Österreicher hat wohl deshalb das Gefühl, daß ihm nichts geschehen kann, weil ihn das Bewußtsein, auf dem Aussterbeetat geboren zu sein, vor Überraschungen behütet.
Ich muß den Ästheten eine niederschmetternde Mitteilung machen: Alt-Wien war einmal neu.
Das Reich ist im Stil seiner Häuser gebaut: unbewohnbar, aber schön. Man hat für Loggien gesorgt, aber man kann mit Stolz sagen, daß man die Aborte vergessen hat. Wir haben es fein: bei uns stinkt's in der Loggia.
Das österreichische Leben hat eine Entschädigung: Die schöne Leich.
Mir träumte neulich, die Völker Europas wahrten ihre heiligsten Güter gegen die schwarzgelbe Gefahr.
Was Berlin von Wien auf den ersten Blick unterscheidet, ist die Beobachtung, daß man dort eine täuschende Wirkung mit dem wertlosesten Material erzielt, während hier zum Kitsch nur echtes verwendet wird.
Made in Austria – aha, von altem Käse die Rede. Österreich ist »gut durch«. Aber bald werden die Kellner bedauern, nicht mehr dienen zu können.
Die österreichische Überzeugung, daß dir nix g‘schehen kann, geht bis zu der Entschlossenheit eines Mannes, der auf Unfall versichert ist und sich deshalb ein Bein bricht.
Österreich hat durch seine politischen Blamagen erreicht, daß man in der großen Welt auf Österreich aufmerksam wurde und es endlich einmal nicht mehr mit Australien verwechselt.
Einen Brief absenden heißt in Österreich einen Brief aufgeben.
Der Wiener Volkscharakter hat zwei Triebfedern des Stillstandes, die, scheinbar einander entgegenstrebend, schließlich doch eine Einheit ergeben: Der Schiebidennetean-Wille paart sich mit der Stehtenettafür-Skepsis, und es entspringt die Lekmimoasch-Absage.
Dein Kampf gegen das Welsche scheint eine heimliche Sympathie für das Kauderwelsche zugrunde zu liegen.
Die Mission der Ämter ist es, die Erhebungen zu pflegen, die eben dadurch zu entstehen pflegen.
»Der Wiener geht nicht unter.« Hoffnung oder Drohung? Vielleicht nur eine Höflichkeit, für »Unkraut verdirbt nicht«.
Ich glaube nicht, daß der Wiener ein Kenner von Lyrik ist, wenn er behauptet, eine Mehlspeise sei ein Gedicht, das auf der Zunge zergeht.
Wenn ich manche Leute zurückgrüße, so geschieht es nur, um ihnen ihren Gruß zurückzugeben.