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Zeit

Maschinelles Leben fördert, künstlerische Umgebung lähmt die innere Poesie.

Die Kunst ist dem Philister der Aufputz für des Tages Müh und Plage. Er schnappt nach den Ornamenten wie der Hund nach der Wurst.

Wir waren kompliziert, die Maschine zu bauen, und wir sind zu primitiv, uns von ihr bedienen zu lassen. Wir treiben Weltverkehr auf schmalspurigen Gehirnbahnen.

Sozialpolitik ist der verzweifelte Entschluß, an einem Krebskranken eine Hühneraugenoperation vorzunehmen.

Wenn der Dachstuhl brennt, nützt weder Beten noch den Fußboden Scheuern. Immerhin ist Beten praktischer.

Unsere Kultur besteht aus drei Schubfächern, von denen zwei sich schließen, wenn eines offen ist: Arbeit, Unterhaltung und Belehrung. Die chinesischen Jongleure bewältigen das ganze Leben mit einem Finger. Sie werden also leichtes Spiel haben. Die gelbe Hoffnung!

Humanität, Bildung und Freiheit sind kostbare Güter, die mit Blut, Verstand und Menschenwürde nicht teuer genug erkauft sind.

Was macht X? Sich zu schaffen am sausenden Webstuhl der Zeit.

Wer ist das: Sie ist blind vor dem Recht, sie schielt vor der Macht und kriegt vor der Moral die Basedowsche Krankheit. Und wegen der schönen Augen dieses Frauenzimmers opfern wir unsere Freiheit!

Die bloße Mahnung an die Richter, nach bestem Wissen und Gewissen zu urteilen, genügt nicht. Es müßten auch Vorschriften erlassen werden, wie klein das Wissen und wie groß das Gewissen sein darf.

Der Parlamentarismus ist die Kasernierung der politischen Prostitution.

Die Politik bringt die Spannungen eines Kriminalromans. Die Gestionen der Diplomatie bieten das Schauspiel, wie die Staaten von einer internationalen Verbrecherbande steckbrieflich verfolgt werden.

»Daß wir die Übel, die wir haben, lieber ertragen als zu unbekannten fliehen.« Ich verstehe aber nicht, wie die Rechtfertigung der monarchischen Staatsform bis zur Begeisterung gehen kann.

Wenn ein Wagen rollt, legt der Hund trotz längst erkannter Aussichtslosigkeit immer wieder seine prinzipielle Verwahrung ein. Das ist reiner Idealismus, während die Unentwegtheit des liberalen Politikers den Staatswagen nie ohne eigensüchtigen Zweck umbellt.

Das deutschliberale Pathos ist eine Mischung aus voraussetzungsloser Forschung und freiwilliger Feuerwehr.

Das Geheimnis des Agitators ist, sich so dumm zu machen, wie seine Zuhörer sind, damit sie glauben, sie seien so gescheit wie er.

Kinder spielen Soldaten. Das ist sinnvoll. Warum aber spielen Soldaten Kinder?

Die Mission der Presse ist, Geist zu verbreiten und zugleich die Aufnahmesfähigkeit zu zerstören.

Der Journalismus dient nur scheinbar dem Tage. In Wahrheit zerstört er die geistige Empfänglichkeit der Nachwelt.

Den Leuten ein X für ein U vormachen – wo ist die Zeitung, die diesen Druckfehler zugibt?

Ich mit meinem engen Horizont las einst ein Zeitungsblatt nicht, das diese Artikelüberschriften enthielt: Die 1869er geheimen Verhandlungen zwischen Österreich, Frankreich und Italien. – Die Reformbewegung in Persien. – Die Ernennung der kroatischen Sektionschefs. – Die Pforte gegen den Metropoliten von Monastir ... Nachdem ich dieses Zeitungsblatt nicht gelesen hatte, fühlte ich meinen Horizont etwas erweitert.

Der Friseur erzählt Neuigkeiten, wenn er bloß frisieren soll. Der Journalist ist geistreich, wenn er bloß Neuigkeiten erzählen soll. Das sind zwei, die höher hinauswollen.

Witzblätter sind ein Beweis, daß der Philister humorlos ist. Sie gehören zum Ernst des Lebens, wie der Trank zur Speise. »Geben Sie mir sämtliche Witzblätter!« befiehlt ein sorgenschwerer Dummkopf dem Kellner und plagt sich, daß ein Lächeln auf seinem Antlitz erscheine. Aus allen Winkeln des täglichen Lebens muß ihm der Humor zuströmen, den er nicht hat, und er würde selbst die Zündholzschachtel verschmähen, die nicht einen Witz auf ihrem Deckblatt führte. Ich las auf einem solchen: Handwerksbursche (der sich eine zufällig in ein Gedicht eingewickelte Wurst gekauft hat): »Sehr gut! Nun eß ich erst die Wurst für die körperliche und dann les ich das Gedicht für die geistige Nahrung!« Dergleichen freut den Philister, und er empfindet die Methode des Handwerksburschen nicht einmal als eine Anspielung.

Die Sonntagsruhe sollte wenigstens zum Nachdenken verwendet werden dürfen. Auch zum Nachdenken über die Sonntagsruhe. Daraus müßte die Erkenntnis hervorgehen, wie notwendig die vollständige Automatisierung des äußeren Lebens ist. Wer genießt heute die Sonntagsruhe? Außer den Verkäufern die Ware. Den Käufern schafft sie Unbequemlichkeit. Am Sonntag ruhen sich die Zigarren aus in den Zigarrenläden, das Obst in den Fruchtläden und der Schinken in den Delikatessengeschäften. Die haben's gut! Aber wir möchten es auch gut haben und gerade am Sonntag die Zigarren, das Obst und den Schinken nicht entbehren. Wenn die Heiligung des Sonntags in einer Enthaltung von Genußmitteln bestände, hätte die Sonntagsruhe der Genußmittel einen Sinn. Da sie bloß eine Entlastung der Verkäufer bezweckt, ist sie zwar nicht in ihrer Tendenz, aber in ihrer Konsequenz antisozial. Allerdings wäre es möglich, daß hierzulande auch die Automaten am Sonntag nicht funktionieren, weil eben Sonntagsruhe ist, und an Werktagen nicht, weil sie verdorben sind.

Wenn ein Fürst geehrt werden soll, werden die Schulen geschlossen, wird die Arbeit eingestellt und der Verkehr unterbunden.

Der Klerikalismus ist das Bekenntnis, daß der andere nicht religiös sei.

In Echternach im Luxemburgischen finden noch heute sogenannte Springprozessionen statt. Weil nämlich einst das Vieh von der Tanzkrankheit befallen war, gelobten die dortigen Bauern, anstatt der Tiere zu Ehren des heiligen Willibrord zu springen. Heute kennen weder Menschen noch Vieh mehr die Ursache der sonderbaren Zeremonie, aber jene bleiben ihr treu, und wenn sich die Macht der Gewohnheit weiter an den Echternachern bewährt, so wird vielleicht einmal wieder das Vieh es sein, das zu Ehren des heiligen Willibrord springt. Menschen sind es heute noch, an die fünfzehntausend, die um Pfingsten »drei Schritte vor, zwei Schritte zurück« springen. Die Geistlichkeit springt nicht mit, sondern schaut zu. Ganz befriedigt sie das Schauspiel nicht; denn sie sähe es noch lieber, wenn es zwei Schritte vor und drei zurückginge.

Die alte Wissenschaft versagte dem Geschlechtstrieb bei Erwachsenen ihre Anerkennung. Die neue räumt ein, daß der Säugling beim Stuhlgang schon Wollust spüre. Die alte Auffassung war besser. Denn ihr widersprachen wenigstens bestimmte Aussagen der Beteiligten.

Die neuen Seelenforscher sagen, daß alles und jedes auf geschlechtliche Ursachen zurückzuführen sei. Zum Beispiel könnte man ihre Methode als Beichtvater-Erotik erklären.

Der Momo ist ein unentbehrlicher pädagogischer Behelf im deutschen Familienleben. Erwachsene schreckt man damit, daß man ihnen droht, der Psychiater werde sie holen.

Die Irrsinnigen werden von den Psychiatern allemal daran erkannt, daß sie nach der Internierung ein aufgeregtes Benehmen zur Schau tragen.

Die Schriftgelehrten können noch immer nur von rechts nach links lesen: sie sehen das Leben als Nebel.

Eine umfassende Bildung ist eine gut dotierte Apotheke, aber es besteht keine Sicherheit, daß nicht für Schnupfen Zyankali gereicht wird.

Wenn einer für universell gebildet gilt, hat er vielleicht noch eine große Chance im Leben: daß er es am Ende doch nicht ist.

In einen hohlen Kopf geht viel Wissen.

Männer der Wissenschaft! Man sagt ihr viele nach, aber die meisten mit Unrecht.

Der Wert der Bildung offenbart sich am deutlichsten, wenn die Gebildeten zu einem Problem, das außerhalb ihrer Bildungsdomäne liegt, das Wort ergreifen.

Ob Goethe oder Schiller bei den Deutschen populärer sei, ist ein alter Streit. Und doch hat Schiller mit dem Wort »Franz heißt die Kanaille« nicht entfernt jene tiefgreifende Wirkung geübt, die dem Satz, den Goethes Götz dem Hauptmann zurufen läßt, dank seiner allgemeinen Fassung beschieden war. Da seit Jahrzehnten kaum ein Gerichtstag vergeht, ohne daß der Bericht von dem Angeklagten zu sagen wüßte, er habe an den Kläger »die bekannte Aufforderung aus Goethes Götz gerichtet«, so ist es klar, daß Goethes Nachruhm bei den Deutschen fester gegründet ist. Wie das Volk seine Geister ehrt, geht aber nicht allein daraus hervor, daß es in Goethes Werken sofort die Stelle entdeckt hat, die der deutschen Zunge am schmackhaftesten dünkt, sondern daß heute keiner mehr so ungebildet ist, die Redensart zu gebrauchen, ohne sich dabei auf Goethe zu berufen.

Die Deutschen sitzen an der Tafel einer Kultur, bei der Prahlhans Küchenmeister ist.

Ursprünglich für den Kaufmannsstand bestimmt, widmete er sich später tatsächlich der Literatur.

Die Natur mahnt zur Besinnung über ein Leben, das auf Äußerlichkeiten gestellt ist. Eine kosmische Unzufriedenheit gibt sich allenthalben kund; Sommerschnee und Winterhitze demonstrieren gegen den Materialismus, der das Dasein zum Prokrustesbett macht, Krankheiten der Seele als Bauchweh behandelt und das Antlitz der Natur entstellen möchte, wo immer er ihrer Züge gewahr wird: an der Natur, am Weibe und am Künstler. Einer Welt, die ihren Untergang ertrüge, wenn ihr nur seine kinematographische Vorführung nicht versagt bleibt, kann man mit dem Unbegreiflichen nicht bange machen. Aber unsereins nimmt ein Erdbeben als Protest gegen die Errungenschaften des Fortschritts ohne weiteres hin und zweifelt keinen Augenblick an der Möglichkeit, daß ein Übermaß menschlicher Dummheit die Elemente empören könnte.

Die Aufgabe der Religion: die Menschheit zu trösten, die zum Galgen geht; die Aufgabe der Politik: sie lebensüberdrüssig zu machen; die Aufgabe der Humanität: ihr die Galgenfrist abzukürzen und gleich die Henkersmahlzeit zu vergiften.

Die Finnen sagen: Ohne uns gäb's keinen Schinken!
Die Journalisten sagen: Ohne uns gäb's keine Kultur!
Die Maden sagen: Ohne uns gäb's keinen Leichnam!

Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können – das macht den Journalisten.

Journalisten schreiben, weil sie nichts zu sagen haben, und haben etwas zu sagen, weil sie schreiben.

Der Maler hat es mit dem Anstreicher gemeinsam, daß er sich die Hände schmutzig macht. Eben dies unterscheidet den Schriftsteller vom Journalisten.

Wenn den Ästheten die Gebärde freut, mit der einer aus der Staatskasse fünf Millionen stiehlt, und er es öffentlich ausspricht, daß die Belustigung, die der Skandal den »paar Genießern« bringt, mehr wert sei als die Schadenssumme, so muß ihm gesagt werden: Wenn die Gebärde dieser Belustigung ein Kunstwerk ist, so sind wir nobel, und es kommt uns auf eine Million mehr oder weniger, die der Staat verliert, nicht an. Wenn aber ein Leitartikel daraus wird, so erwacht unser soziales Gefühl, und wir bewilligen nicht fünf Groschen für das Gaudium. Wird nämlich ans dem Staatsbankerott ein Kunstwerk, so macht die Welt ein Geschäft dabei. Im andern Fall spüren wir's im Haushalt und verdammen die populäre Ästhetik, welche die Diebe entschuldigt, ohne die Bestohlenen zu entschädigen.

Demokratisch heißt, jedermanns Sklave sein zu dürfen.

Der Nationalismus ist ein Sprudel, in dem jeder andere Gedanke versintert.

Der Historiker ist oft nur ein rückwärts gekehrter Journalist.

Was ist ein Historiker? Einer, der zu schlecht schreibt, um an einem Tagesblatt mitarbeiten zu können.

Die Echtheit in der Kunst vom Schwindel zu unterscheiden, mag schwerfallen. Den Schwindel erkennt man höchstens daran, daß er die Echtheit übertreibt. Die Echtheit höchstens daran, daß sich das Publikum von ihr nicht hineinlegen läßt.

Heutzutag ist der Dieb vom Bestohlenen nicht zu unterscheiden: beide haben keine Wertsachen bei sich.

Ein Reichtum, der aus hundert Hintergründen fließt, erlaubt es der Presse, sich an hohen Feiertagen den Luxus der Literatur zu leisten. Wie fühlt sich diese, wenn sie als goldene Kette auf dem Annoncenbauch eines Protzen glänzen darf?

Aufgeweckte Jungen – unausgeschlafene Männer.

Eine gewisse Psychoanalyse ist die Beschäftigung geiler Rationalisten, die alles in der Welt auf sexuelle Ursachen zurückführen, mit Ausnahme ihrer Beschäftigung.

Die Psychoanalyse entlarvt den Dichter auf den ersten Blick, ihr macht man nichts vor. und sie weiß ganz genau, was des Knaben Wunderhorn eigentlich bedeutet. Es sei. Jetzt ist es aber die höchste Zeit, daß eine Seelenforschung ersteht, die, wenn einer vom Geschlecht spricht, ihm dahinterkommt, daß es eigentlich Kunst bedeutet. Für diese Retourkutsche der Symbolik biete ich mich als Lenker an! Ich wäre aber auch schon zufrieden, wenn man einem, der von Psychologie spricht, nachweisen könnte, daß sein Unterbewußtsein eigentlich etwas anderes gemeint habe.

Kinder psychoanalytischer Eltern welken früh. Als Säugling muß es zugeben, daß es beim Stuhlgang Wollustempfindungen habe. Später wird es gefragt, was ihm dazu einfällt, wenn es auf dem Weg zur Schule der Defäkation eines Pferdes beigewohnt hat. Man kann von Glück sagen, wenn so eins noch das Alter erreicht, wo der Jüngling einen Traum beichten kann, in dem er seine Mutter geschändet hat.

Sie haben die Presse, sie haben die Börse, jetzt haben sie auch das Unterbewußtsein!

Wenn dir etwas gestohlen wurde, geh nicht zur Polizei, die das nicht interessiert, und nicht zum Psychologen, den daran nur das eine interessiert, daß eigentlich du etwas gestohlen hast.

Gute Ansichten sind wertlos. Es kommt darauf an, wer sie hat.

Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten.

Die Phrase ist das gestärkte Vorhemd vor einer Normalgesinnung, die nie gewechselt wird.

Die Dorfbarbiere haben einen Apfel, den stecken sie allen Bauern ins Maul, wenn's ans Balbieren geht. Die Zeitungen haben das Feuilleton.

Ich verpflichte mich, einen Mann an den Galgen zu bringen , wenn ich auf der Straße mit ganz bestimmtem Tonfall ausrufe: »Aha, und ein farbiges Hemd hat er auch noch!« Es würde ein Schrei der Entrüstung durch die Menge gehen. Durch dieselbe Menge, auf die man jetzt mit Symphonien zu wirken sucht.

Der Philister hält es mit Recht für einen Mangel, wenn man »von sich eingenommen« ist.

Bildung ist das, was die meisten empfangen, viele weitergeben und wenige haben.

Vielwisser dürften in dem Glauben leben, daß es bei der Tischlerarbeit auf die Gewinnung von Hobelspänen ankommt.

Leute, die über den Wissensdurst getrunken haben, sind eine gesellschaftliche Plage.

Humanität ist das Waschweib der Gesellschaft, das ihre schmutzige Wäsche in Tränen auswindet.

Wie kommt es denn, daß der liberale Inhalt keine andere Sprache findet als dieses entsetzliche seit Banalitätsäonen millionenmal ausgespuckte Idiom? Daß man sich den Phönix nur noch als Versicherungsagenten vorstellen kann und den Genius der Freiheit nur noch als schäumenden Börseaner?

Die Phrase und die Sache sind eins.

Die Verzerrung der Realität im Bericht ist der wahrheitsgetreue Bericht über die Realität.

Die Welt ist taub vorn Tonfall. Ich habe die Überzeugung, daß die Ereignisse sich gar nicht mehr ereignen, sondern daß die Klischees selbsttätig fortarbeiten. Oder wenn die Ereignisse, ohne durch die Klischees abgeschreckt zu sein, sich doch ereignen sollten, so werden die Ereignisse aufhören, wenn die Klischees zertrümmert sein werden. Die Sache ist von der Sprache angefault. Die Zeit stinkt schon von der Phrase.

Was an einem einzigen Tage der letzten fünfzig Jahre gedruckt wurde, hat mehr Macht gegen die Kultur gehabt als sämtliche Werke Goethes für eine solche.

Schmerzlichstes Abbild der Zivilisation: ein Löwe, der die Gefangenschaft gewohnt war und, der Wildnis zurückgegeben, dort auf und ab geht wie vor Gitterstäben.

Es gibt keine Dankbarkeit vor der Technik. Es hat erfunden zu werden.

Adolf Loos und ich, er wörtlich, ich sprachlich, haben nichts weiter getan als gezeigt, daß zwischen einer Urne und einem Nachttopf ein Unterschied ist und daß in diesem Unterschied erst die Kultur Spielraum hat. Die andern aber, die Positiven, teilen sich in solche, die die Urne als Nachttopf und die den Nachttopf als Urne gebrauchen.

Kein Zweifel, der Lazzaroni steht über dem Verwaltungsrat. Jener stiehlt ehrlich, was er zum Leben braucht, dann pfeift er sich was. Solches Betragen liegt dem Verwaltungsrat fern. Der Lazzaroni stört mich durch sein Pfeifen. Aber meine Nervosität hat der Verwaltungsrat durch sein Dasein verschuldet.

Nichts ist verdrießlicher für den Lebemann, als um fünf Uhr früh auf dem Heimweg einem ausrückenden Touristen zu begegnen. Nun gibt es aber auch Menschen, die bei Nacht denken, und solche, die zu jeder Tagesstunde schon munter sind. Es ist nicht der richtige Humor. Seitdem mir einst ein Coupégenosse nach einstündigem Schlaf »Auf, auf!« zurief, habe ich eine Aversion gegen die muntern Naturburschen. Ich glaube, ich könnte sie, wenn sie mich mir noch eine Weile schlafen ließen, mit dem kleinen Finger umwerfen.

»Nicht wahr, Sie sind der Herr Karl Kraus?« fragte mich ein Coupégenosse, der meine Wehrlosigkeit überschätzt hatte. Ich sagte: »Nein.« Womit ich's allerdings zugegeben habe. Denn wäre ich ein anderer gewesen, so hätte ich mich ja mit dem Trottel in ein Gespräch eingelassen.

Was haben Sie gegen den X.? fragen in der Regel solche, die vom X. was haben.

»Gottvoll« ist in mancher Gegend ein Superlativ von »komisch«. Ein Berliner, der eine Moschee betrat, fand diese gottvoll.

Es gibt eine Lebensart, die so tüchtig ist, daß sie jede Bahnstation in einen Knotenpunkt verwandelt.

»Wer sein Geld liebt, aber auch sein Vaterland, muß möglichst viel Kriegsanleihe zeichnen.« Dort geht, der dicke X., von dem man allerlei unsaubere Geschichten erzählt. Was denn zum Beispiel? Nun, er soll auch sein Vaterland lieben.

Zeitgenossen leben aus zweiter Hand in den Mund.

Manche teilen meine Ansichten mit mir. Aber ich nicht mit ihnen.

»Sie tun ihm unrecht. Er ist in allem Ihrer Meinung!« – »Nur nicht darin, daß ich ihn für einen Esel halte.«

Der Bibliophile hat annähernd dieselbe Beziehung zur Literatur wie der Briefmarkensammler zur Geographie.

Aristokraten, die Schlepper für Großindustrielle sind, sollten von ihren Kammerdienern geohrfeigt werden dürfen.

Ein Psycholog weiß um die Entstehung des »Fliegenden Holländers« Bescheid: »aus einer Kinderphantasie Richard Wagners, die dem Größenwunsch des Knaben entsprang, es seinem Vater gleichzutun, sich an Stelle des Vaters zu setzen, groß zu sein wie er . . .« Da aber nach den Versicherungen der Psychologen dies der seelische Habitus aller Knaben ist – ganz abgesehen von der erotischen Eifersucht und den Inzestgedanken, die das Kind mit der Muttermilch einsaugt und die nur bei Soxhlet nicht die Oberhand behalten –, so müßte die Psychologie bloß noch die eine Frage beantworten: welche spezifischen Anlagen oder Eindrücke bei Wagner die Entstehung des »Fliegenden Holländers« vorbereitet haben. Denn Wagner ist von allen Geschlechtsgenossen der einzige, dem die Autorschaft des »Fliegenden Holländers« zugeschrieben werden kann, während die meisten andern dem Größenwunsch, es dem Vater gleichzutun, eine Karriere als Hersteller, Advokaten, Tramwaykondukteure oder Musikkritiker verdanken, und nur die, die davon geträumt haben, Heroen zu werden, Psychologen geworden sind.

Den Weg zurück ins Kinderland möchte ich, nach reiflicher Überlegung, doch lieber mit Jean Paul als mit S. Freud machen.

Der Psychoanalytiker ist ein Beichtvater, den es gelüstet, auch die Sünden der Väter abzuhören.

Die Psychoanalytiker ahnden die Sünden der Väter bis ins dritte Geschlecht, indem sie dieses heilen wollen.

Psychoanalyse: Ein Kaninchen, das von der Boa constrictor geschluckt wird, wollte nur untersuchen, wie's drin aussehe.

Krank sind die meisten. Aber nur wenige wissen, daß sie sich etwas darauf einbilden können. Das sind die Psychoanalytiker.

Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält.

Man kehrt nur dann vor fremder Bewußtseinsschwelle, wenn man's zu Hause schmutzig hat.

Ein guter Psycholog ist imstande, dich ohne weiters in seine Lage zu versetzen.

Sie greifen in unsern Traum, als ob's unsere Tasche wäre.

»Gut, daß ich Sie treffe. Sie verkehren nicht mehr mit Kohner?« – »Nein, denn ich habe nie mit ihm verkehrt, ich habe ihn nie gesehen, ich weiß nicht, daß er lebt.« – »Wie ist denn das möglich, Sie müssen Kohner gekannt haben, Sie erinnern sich vielleicht nur nicht.« – »Mein Gedächtnis ist gut, aber der Name ist mir unbekannt, ich hätte mir ihn gemerkt, da ich Kohn kenne, aber auch mit diesem nicht verkehre. Was ist's mit Kohner?« – »Er erzählt, er sei mit Ihnen täglich beisammen gewesen, Sie waren intim befreundet, nur einmal widersprach er, da er Ihre Schätzung der Dichterin L. nicht mitmachen konnte. Da haben Sie sich erhoben und ihm gesagt, daß Sie unter solchen Umständen nicht länger mit ihm verkehren können, und haben ihm am nächsten Tag das Abonnementgeld der Fackel zurückschicken lassen. Etwas muß doch an der Geschichte wahr sein!« – »Alles. Ich habe oft Abonnementgelder zurückschicken lassen. Das weiß Kohner. Ich schätze die Dichterin L. Damit dürfte Kohner nicht einverstanden sein. Ich habe ihn hinausgeworfen –« – »Nun also –« – »Aber ich habe ihn nicht gekannt.« – »Ich verstehe nicht –« – »Die Bekanntschaft bestand im Hinauswurf.« – »Wie ist das möglich?« – »Kohner nimmt mit Recht an, daß ich ihn hinausgeworfen hätte, wenn ich ihn gekannt hätte. Da, ich ihn aber nicht gekannt habe, so will er sich wenigstens den Hinauswurf sichern.« – »Warum?« – »Weil ihm das nützt.« – »Wieso?« – »Es ist eine Beziehung in den Augen der Anhänger, und es macht bei den Gegnern beliebt.« – »Sie haben ihn aber nicht hinausgeworfen?« – »Doch, metaphysisch.« – »Das verstehe ich nicht.« – »Wissen Sie, wie Gerüchte entstehen?« –»Nein.« – »Genauso entstehen die Menschen meiner Bekanntschaft.«

Daß ich gichtisch bin, will ich denen, die an meiner Gesundheit zweifeln, zugeben. Aber daß ich dann auch das kommende Gewitter spüre, das lasse ich mir nicht in Abrede stellen!

Ich kannte einen Mann, der sah aus wie das Gerücht. Das Gerücht ist grau und hat einen jugendlichen Gang, das Gerücht läuft und braucht dennoch zwanzig Jahre, um aus einem Zimmer ins andere zu kommen, wo es Dinge, die sich schon damals nicht ereignet haben, als Neuigkeiten auftischt. Das Gerücht verdichtet eine Hinrichtung, die abgesagt wurde, mit einer Frühgeburt, die nicht stattgefunden hat, pflanzt einen fremden Tonfall in das Mistbeet eigener Erfindung, hat mit eigenen Augen gehört, was niemand gesehen, und mit fremden Ohren gesehen, was niemand gehört hat. Das Gerücht hat eine profunde Stimme und eine hohe Miene. Es hat Phantasie ohne Persönlichkeit. Ist es ruhig, so sieht es aus, als ob das Problem der Entstehung der Septuaginta bereits gelöst wäre. Ist es bewegt, so muß man mit einer neuen Version über den bethlehemitischen Kindermord rechnen. Das Gerücht ist der ältere Stiefbruder der Wissenschaft und ein Schwippschwager der Information. Von den Veden bis zu den Kochbüchern ist ihm nichts Unverbürgtes fremd. Das Gerücht, welches nur tote Schriftsteller liebt, läßt auch den zeitgenössischen Autor gelten, sobald er antiquarisch zu haben ist, weil es darin einen Erstdruck mit einem Zweitdruck verwechseln kann. Das Gerücht hat den Humor, der sich aus der Distanz von den Tatsachen ergibt. Es enttäuscht den, der an Gerüchte glaubt, und spielt dem, der an Gerüchte nicht glaubt, gern einen Possen. Es sagt etwas. Verleumdet's, gehe man mit ihm nicht ins Gericht. Es taugt nicht zum Zeugen, es taugt nicht zum Angeklagten. Es leugnet sich selbst. Es weiß allerlei, es sagt noch mehr, aber es ist nicht verläßlich.

Der Vielwisser ist oft müde von dem vielen, was er wieder nicht zu denken hatte.

Wenn ein Schwätzer einen Tag lang keinen Hörer hat, wird er heiser.

Das Wort Polyhistor muß man schon sehr deutlich schreiben, damit der Setzer nicht Philister setzt. Ist dies aber einmal geschehen, so lasse man es auf sich beruhen, denn es ist noch immer die mildere Fassung. Einmal las man von einem, er sei ein bekannter Philister. Das glaubte man gern und hielt dann die Berichtigung für einen Druckfehler.

Ich kannte einen, der die Bildung in der Westentasche hatte, weil dort mehr Platz war als im Kopf.

Die Freidenker verhalten sich zum freien Denken wie d' Zillertaler zur Natur.

Die Männer dieser Zeit lassen sich in zwei deutlich unterscheidbare Gruppen einteilen: die Kragenschoner und die Hosenträger.

Der Historiker ist nicht immer ein rückwärts gekehrter Prophet, aber der Journalist ist immer einer, der nachher alles vorher gewußt hat.

Der Journalismus ist ein Terminhandel, bei dem das Getreide auch in der Idee nicht vorhanden ist, aber effektives Stroh gedroschen wird.

Steht die Kunst tagsüber im Dienste des Kaufmanns, so ist der Abend seiner Erholung an ihr gewidmet. Das ist viel verlangt von der Kunst, aber sie und der Kaufmann schaffen es.

Die Druckerschwärze ist noch nie zu der Verwendung gelangt, für die sie erschaffen ist. Sie gehört nicht ins Hirn, sondern in den Hals jener, die sie falsch verwenden.


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