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9.
Der letzte Fluchtversuch. – Zaklika's und August's des Starken Tod

Als Zaklika, aufgeschreckt durch den Schuß und das Geräusch, welches sich darnach vernehmen ließ, ins Zimmer der Cosel eilte, fand er sie bleich und regungslos auf dem Fußboden liegen, noch immer die rauchende Pistole mit der Hand krampfhaft umspannend. Er errieth sofort, was sich zugetragen hatte. Auch die Leute der Gräfin waren auf den Schuß herbeigeeilt, um zu sehen, was es gebe.

Es hatten also mehrere Personen diesen Schuß gehört, da aber der König selbst keinerlei Erwähnung von dem Abenteuer machte, hielten es Alle für gerathen, darüber zu schweigen.

Es bedurfte geraumer Zeit, bis sich Gräfin Cosel von den Erschütterungen dieses Tages wieder erholen konnte. Nun blieb ihr kein Zweifel mehr darüber, daß sie jede Hoffnung aufgeben müsse und daß ihr Schicksal für immer entschieden sei. Es war gewiß nicht zu verwundern, daß nach all dem Erlebten während ihrer langen Gefangenschaft ihr in gewissen Augenblicken die klare Vernunft abhanden kam, daß sie sich zu Handlungen hinreißen ließ, die nur der Wahnwitz ihr eingeben konnte.

Obgleich die Gräfin sich äußerlich den Anschein gab, als habe sie sich endgiltig in ihr Schicksal gefügt, gab sie sich doch noch lange Zeit hindurch der Hoffnung hin, daß es ihr gelingen werde, durch eine glückliche Flucht ihre Freiheit wieder zu erlangen. Ein Jahr nach den Ereignissen, die wir eben erzählt haben, gelang es der Gräfin, nachdem sie sich von Zaklika mit einer beträchtlichen Summe Geldes hatte versehen lassen, einige Personen aus ihrer Umgebung zu gewinnen, und ohne Raimund ein Wort davon zu sagen, unternahm sie neuerdings ganz allein einen Fluchtversuch. In dem Momente aber, wo sie von der rückwärtigen Mauer ihres Gefängnisses an einem langen Seile sich herunterließ, hatte eine der Schildwachen ein verdächtiges Geräusch gehört und Lärm gemacht, und abermals gelang es den Wächtern, bevor es der Gräfin noch geglückt war, aus dem Schlosse zu entkommen, sich der Gefangenen zu bemächtigen. Diese wurde wieder in ihr Gefängniß zurückgeführt, dessen Wachposten sofort verdoppelt wurden. Trotzdem gestattete man Allen, welche nach Stolpen kamen und darnach verlangten, Gräfin Cosel zu sehen, den Zutritt, und selbst der Aufenthalt in ihrem Gärtchen wurde der Gräfin nicht untersagt.

Zaklika verhielt sich inzwischen in Stolpen sehr zurückgezogen, um nach keiner Seite hin einen Verdacht aufkommen zu lassen. Da er bei dem letzten Fluchtversuch der Gräfin sich in keiner Weise betheiligt hatte, blieb er natürlich auch ganz unbehelligt. Gräfin Cosel gab ihm wohl dann und wann irgend einen Auftrag, den der junge Pole stets pünktlich besorgte, allein sie schien vorläufig nicht zu wünschen, daß er sich irgendwie damit befasse, ihr zur Flucht zu verhelfen.

Die Nachrichten, welche vom Hofe bis zu der Gräfin drangen, interessirten diese natürlich sehr und verursachten ihr auch manche bittere Stunde. So wurde sie wieder recht deutlich an ihr trauriges Schicksal gemahnt, als sie die Ankunft des Königs Friedrich Wilhelm von Preußen und seines Sohnes Friedrich (nachmals Friedrich der Große) erfuhr, die zu vierwöchentlichem Aufenthalte nach Dresden gekommen waren. Von den denkwürdigen Festen, welche den Fürsten zu Ehren veranstaltet wurden, reden zu hören, das war für Gräfin Cosel geradezu eine Marter. Namentlich war auch der Carneval dieses Jahr mit einem Aufwand von Pracht gefeiert worden, welcher alles früher Gesehene weit hinter sich ließ.

Einige Tage nach seiner Ankunft in Dresden schrieb Friedrich an Seckendorf, den damaligen kaiserlichen Gesandten in Berlin: »Die Prachtliebe und der Glanz dieses Hofes sind derart, daß sie am Hofe Ludwig's XIV. wohl schwerlich übertroffen werden. Was die Sittenverderbniß anlangt, die hier herrscht, so kann ich wohl sagen, daß ich nie in meinem Leben Aehnliches gesehen habe.«

Die überaus glänzenden Feste zu Ehren der hohen Gäste begannen am 13. Januar und dauerten einen vollen Monat fort. Flemming empfing den Besuch des Königs von Preußen und seines Sohnes auf seiner Besitzung Elsterwerda, wo er eine glänzende Maskerade veranstaltete, welche von den hohen Gästen mit einem Fest zu Ehren ihrer Wirthe erwidert wurde. Von da an brachte jeder Tag neue Festivitäten und Vergnügungen aller Art, Schauspiele, Opern, Maskeraden etc. Die auf dem großen Platze veranstalteten Carroussels und Ringstechen gaben König August Gelegenheit, vor seinen Gästen seine große Gewandtheit in derlei ritterlichen Hebungen und Spielen zu zeigen. In reichem polnischen Costüme machte er die Honneurs seines Hauses und führte den Preußenkönig und dessen Sohn auf seinen prachtvollen Schlössern umher, wo er wieder Jagden veranstaltete, um die gehörige Abwechslung in das Programm der Vergnügungen zu bringen.

Die reizende Orselska hatte dem Prinzen, welcher einst »Friedrich der Große« genannt werden sollte, ein wenig den Kopf verdreht und der König, der dies merkte, wollte sich rächen und spielte ihm dafür allerlei Streiche. Kein Wunder daher, daß sich der Prinz in seinen Briefen sehr abfällig über König August äußert; so heißt es in einem derselben: »Der König von Polen ist unter allen Monarchen Europas der unaufrichtigste und derjenige, welcher mir die größte Antipathie einflößt. Er kennt weder Treu noch Glauben; Andere zu hintergehen, das ist sein einziger Zweck bei all seinem Handeln. Er hat stets nur sein eigenes Interesse im Auge und sucht überall Zwietracht zu säen. Er hat mir einmal übel mitgespielt, aber er wird mich nicht mehr daran kriegen.«

Trotz dieses strengen Urtheiles über ihren Wirth wurden die beiden preußischen Gäste, welche nicht minder als Meister in der Kunst der Verstellung galten, nicht müde, dem König August Schmeicheleien und Lobsprüche zu sagen.

Bei einem der großen Maskenfeste, die zu Ehren der Gäste veranstaltet wurden, machten der König von Polen und die Fürstin von Teschen die Wirthe; der König von Preußen erschien hierbei als Pantalon und Prinz Friedrich als norwegischer Bauer. König August war an diesem Abend mit ausgesuchter Pracht gekleidet; unter den Edelsteinen, mit welchen sein Costüm übersäet war, blitzte auch ein Diamant vom reinsten Wasser im Gewichte von zweihundert Karat, welchen er erst vor Kurzem gekauft hatte ... Im Verkehr mit seinen hohen Gästen war er stets von der ausgesuchtesten Höflichkeit und Zuvorkommenheit.

Nach seinem vierwöchentlichen Aufenthalte am Dresdener Hofe schrieb König Friedrich Wilhelm vertraulich an Seckendorf: »Ich bin noch immer in Dresden. Ich springe und tanze hier unaufhörlich herum und bin viel mehr ermüdet, als wenn ich täglich zwei Hirsche jagen würde. Ich kehre ganz übersättigt von all den Lustbarkeiten, die ich hier mitgemacht, nach Berlin zurück. Man lebt hier gewiß recht flott, aber Gott ist mein Zeuge, daß ich kein Vergnügen an einer solchen Existenz finde und daß ich unberührt von all dem, was ich hier erlebt, wieder von hier gehe.«

Der Vergnügungen war aber auch kein Ende.

Am meisten Aufsehen erregte das während der ganzen Zeit der Anwesenheit der preußischen Gäste bei Mühlberg am Ufer der Elbe etablirte große Lager, welches sogar von allerlei Poeten besungen wurde, obgleich man insgeheim auch nicht wenig darüber spöttelte.

Dieses Lager hatte einen Umfang von drei Meilen. Eine große Menge von Bauern war herbeigeholt worden, um den Platz für dasselbe zu planiren und vom Gestrüpp und Gehölz zu befreien. Zwanzigtausend Mann Infanterie und zehntausend Mann polnische und sächsische Cavallerie waren da zusammengezogen, sämmtliche Truppen neu equipirt und nach französischem Reglement einexercirt. Die besten Reiter waren darunter, die Reitergarden, die Grenadiere zu Pferd, die Spahis und die Kosaken; von der Infanterie waren besonders die sogenannten »Janitscharen« und das Bataillon Rutowski-Grenadiere bemerkenswerth; erstere trugen nämlich golddurchwirkte Uniformen und das Rutowski'sche Grenadierbataillon war aus lauter veritablen Riesen gebildet. Selbstverständlich zog dieses Bataillon die besondere Aufmerksamkeit des Preußenkönigs auf sich.

König August hatte sein Hauptquartier nächst Zeitheyn in einem riesigen, in aller Eile aus Holz aufgeführten, zwei Stock hohen Gebäude mit großen Souterrains aufgeschlagen, welches außen mit bemalter Leinwand, von sechs eigens hierzu aus Italien berufenen Decorationsmalern hergestellt, bedeckt war. Auf großen Flaggen prangte die Inschrift: » Otia Martis.” Ueberdies waren für den König und seine Gäste noch zwei große Zelte aufgeschlagen worden.

Außer dem König von Preußen und seinem Sohne empfing August hier noch eine Menge fremder Gäste; fünfzehn Gesandte, neunundsechzig Grafen und achtunddreißig Barone hatten sich da zusammengefunden. Der Marschall von Sachsen war ebenfalls aus Paris herbeigekommen, um an diesen Belustigungen theilzunehmen.

Man beschäftigte sich indessen in diesem Lager viel mehr mit Musik und mit anderen Dingen als mit Exercitien und militärischen Manövern. Hier war es auch, wo bei einem Festmahl jener famose Kuchen von sechzehn Ellen Länge und sieben Ellen Breite servirt wurde, der auf einem von acht Pferden gezogenen Wagen herbeigebracht worden war, und der von einem Zimmermann tranchirt werden mußte. August selbst war es, von welchem alle diese extravaganten Ideen ausgingen, und er überwachte dabei stets persönlich die genaue Ausführung seiner Anordnungen. Der famose Zucchi schrieb später zum ewigen Gedächtniß für die Nachwelt die Geschichte der Wunderdinge, welche man in Mühlberg erlebt; König, der Hofpoet, besang sie; Friedrich der Große aber machte sich in rücksichtslosester Weise darüber lustig.

Ueberall hin drang die Kunde von diesen Herrlichkeiten und natürlich auch in das Stolpener Schloß, wo Gräfin Cosel einsam und vergessen weilte, und bei den detaillirten Schilderungen erwachte wieder die bittere Erinnerung an die eigene glanzvolle Vergangenheit.

Zu manchen Stunden erweckte die Gleichgiltigkeit und Grausamkeit August's den brennenden Wunsch in ihr, sich dem Gefängniß, das mehr und mehr wie die Mauern einer Gruft auf ihr lastete, zu entziehen, und gleichzeitig durchglühte sie heftigster Rachedurst; dann kamen wieder Tage, wo Verzweiflung über ihr Unglück sich der Gefangenen bemächtigte und sie in Wehklagen ausbrach. Diesen schmerzvollen Krisen folgte stets eine Periode völliger Erschlaffung.

Mehr als einmal schon war sie beim Anblick Zaklika's im Begriff gewesen, ihm zuzurufen: »Rette mich, Deine Zeit ist nun gekommen!«

Raimund seinerseits wartete seit langer Zeit auf diese Aufforderung. Während seines so langen Aufenthaltes in Stolpen hatte er genügend Gelegenheit, sowohl die Menschen als auch die gesummten Oertlichkeiten daselbst und in der Umgebung genau kennen zu lernen. Nach jedem mißglückten Fluchtversuche überlegte er wieder von neuem alle Mittel und Wege, welche ihm bei günstiger Gelegenheit ein Gelingen seiner Pläne verbürgen konnten. Dies und nichts anderes war der Gegenstand, der unaufhörlich seine Gedanken in Anspruch nahm.

Eines Tages, als man der Gräfin wieder eine Zeitung gebracht hatte, in welcher die jüngst zu Ehren des Königs von Preußen und seines Sohnes in Dresden stattgehabten Festlichkeiten genau beschrieben waren, gerieth die Gräfin darüber in eine unsagbare Wuth, zerknitterte das Blatt in ihren Händen, warf es zu Boden und trat es mit Füßen.

In diesem Augenblicke trat Zaklika bei ihr ein. Als sie ihn erblickte, beruhigte sie sich etwas, wurde sehr nachdenklich und begann mit großen Schritten das Zimmer zu durchmessen.

»Hast Du noch immer Lust, Dein Leben für mich aufs Spiel zu setzen?« fragte sie plötzlich mit halbunterdrückter Stimme.

»Jederzeit!« antwortete Zaklika kurz.

»Weißt Du ein Mittel, um mich zu retten?«

»Ich werde mein Möglichstes thun, um ein solches ausfindig zu machen.«

»Es ist mir leid um Dich,« fuhr Gräfin Cosel fort, »und ich fürchte sehr für Dein Leben; was mich betrifft, so bin ich entschlossen, um jeden Preis ein Ende zu machen. Ich muß von hier loskommen – ich muß, hörst Du?«

Raimund schwieg, in Gedanken versunken.

»Bedarfst Du viel Zeit hierzu?« fragte sie weiter.

»Das kann ich jetzt nicht sagen,« antwortete Raimund, »man muß diesmal die Sache so angreifen, daß sie unfehlbar gelingt.«

Nach diesen Worten entfernte er sich und ging, ohne sich im Schlosse weiter aufzuhalten, nach dem Park, um da ungestört zu überlegen. Er hatte sich schon seit geraumer Zeit verschiedene Pläne ausgedacht, alle schienen sie ihm vorzüglich zu sein, allein jeder derselben hatte doch irgend einen schwachen Punkt, an dem die Flucht scheitern konnte.

Alle die vorhergegangenen Unternehmungen waren lediglich daran gescheitert, daß man die Flucht zu früh entdeckt hatte. Man mußte es also so einrichten, daß dies sich nicht wiederholen könne und überdies mußte man etwaige Verfolger auf eine falsche Fährte zu lenken suchen. Unglücklicherweise hatte Zaklika niemanden zur Verfügung, auf den er dabei mit Sicherheit rechnen konnte. Nur einige seiner wendischen Freunde, treue und ihm ergebene Leute, konnten ihn einigermaßen unterstützen. Allein, wenn er auch auf deren Verschwiegenheit bauen konnte, so war er doch nicht in eben solchem Maße ihrer Klugheit und Geschicklichkeit sicher.

Nach der Ueberzeugung Zaklika's mußte man zur Ausführung des Unternehmens eine Zeit wählen, wo niemand daran denken konnte, daß man eine Flucht wagen würde – nämlich eine der Tagesstunden.

Am Schloßthor war die Controle der Ein- und Ausgehenden keine sehr genaue. Man ließ stets anstandslos die Hausirer und auch andere Leute, welche zur Gräfin oder zum Commandanten wollten, passiren und bekümmerte sich überhaupt nicht allzusehr um die Besucher. Zaklika dachte sich also, daß die Gräfin an einem trüben, regnerischen Tage, als Mann verkleidet und in seinen Uniformmantel gehüllt, leicht unerkannt das Thor passiren könnte. Er selbst müßte dann wenige Minuten später ebenfalls in einem solchen Mantel ihr folgen, sie einholen und in den Park geleiten, wo Haulik mit Reitpferden ihrer harren sollte.

Mehrere Tage hindurch überlegte Raimund diesen Plan noch nach jeder Richtung hin, kam aber immer wieder zu der Ueberzeugung, daß er der sicherste sei; er begab sich dann zur Gräfin, welcher er denselben mittheilte und die ihn ganz ausgezeichnet und glücklich ersonnen fand.

»Wir werden den ersten Regentag, der kommt, ausnützen,« sagte sie, »denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Ich bin zum Aeußersten entschlossen und werde mich nötigenfalls bis zum letzten Blutstropfen Vertheidigen. Du wirst wohl ebenso denken, wie ich und Dich nicht ohne Gegenwehr fangen lassen.«

»Ich hoffe, daß es nicht zum Aeußersten kommen wird,« sagte der Pole.

Die Gräfin schwieg, obgleich sie nicht ganz so zuversichtlich zu sein schien wie ihr treuer Rathgeber. Nach dieser Unterredung zählte man noch einige sehr schöne Tage. Zaklika kam täglich zur Gräfin – er hatte sich hierzu längst die Erlaubniß erwirkt – und half ihr alles zur Flucht vorbereiten. In der Voraussicht, daß er nicht wieder nach Stolpen zurückkehren werde, hatte er unter der Hand in aller Stille sein Häuschen und alles, was er zu Geld machen konnte, verkauft.

Endlich – es war an einem Donnerstag – begann sich der bis dahin so reine Himmel mit Wolken zu bedecken. Zaklika ging mehreremale, in seinen Mantel gehüllt, ab und zu, um die wachehaltenden Soldaten daran zu gewöhnen, damit sie ihn unbekümmert passiren ließen. Alles ging vortrefflich. Am folgenden Tage begann sich schon zeitlich Regen einzustellen, der ununterbrochen den ganzen Tag über andauerte. Gegen Abend war alles bereit. Die Dienerinnen der Gräfin hatten die Erlaubniß erhalten, in die Stadt zu gehen und trotz des wenig einladenden Wetters mit Freuden die Gelegenheit ergriffen, dem langweiligen Felsenschlosse auf einige Stunden den Rücken zu kehren.

In einen Soldatenmantel gehüllt, den Kopf bedeckt mit einer Mütze, deren Schirm bis über die Augen ging und das Gesicht beschattete, schritt die Gräfin herzhaft durch das erste Thor, das von Sanct Donat, ohne von irgend jemanden beachtet zu werden; beim zweiten Thore warf ihr zwar die Schildwache einen prüfenden Blick zu, belästigte sie aber nicht weiter.

Wenige Minuten nachher kam Zaklika in demselben Costüm und passirte ohne Hinderniß das erste Thor. Beim zweiten indessen brummte der die Wache haltende Soldat in seinen Bart:

»Zum Henker, wie viele seid Ihr denn eigentlich? Kaum ist der Erste vorüber und nun kommt schon wieder Einer!«

Zaklika schlug den Mantel zurück und zeigte dem Manne sein Gesicht.

»Der Teufel mag wissen, wer Du bist!« antwortete der mürrische Soldat, »ich für meinen Theil weiß nur so viel, daß ein Mann hineinging und jetzt zwei herauskommen.«

»Zwei? Was meinst Du denn damit?«

»Ach was, ich bin ja doch nicht blind!«

Zaklika wollte nun, ohne sich weiter um die Wache zu kümmern, seinen Weg fortsetzen, allein der Mann pflanzte sich vor ihm auf.

»Aber was willst Du denn, Kamerad? Alle Welt kennt mich ja hier!« rief Zaklika lachend.

»Mach' das mit dem Commandanten ab, ich lasse Dich einmal nicht passiren!«

Darob entspann sich nun ein heftiger Wortwechsel, bis endlich der Officier von der Wache herbeilief, um sich zu erkundigen, was es da gebe. Zaklika beklagte sich in höflicher Weise bei demselben, daß man ihn, nachdem er nun schon so oft aus- und einging, heute zum erstenmale anhalten wolle. Der Officier gab ihn sofort wieder frei und einige Augenblicke später war er in dem Gebüsch des Parkes verschwunden.

Der Soldat brummte.

»Was hast Du nur mit ihm?« fragte der Officier ungeduldig.

»Ich zähle genau diejenigen, welche hier eintreten und ebenso diejenigen, welche hinausgehen,« antwortete der Soldat eifrig. »Ein Mann in einem Mantel ist nun vorhin hinein und ihrer zwei sind nacheinander herausgekommen. Der Erste gefiel mir schon gar nicht recht, er sah nicht aus wie ein Soldat – wie, wenn es Gräfin Cosel gewesen wäre!« fügte er lachend hinzu.

»Welche Narrheiten gehen Dir im Kopf herum!« sagte der Officier achselzuckend, aber doch innerlich etwas unruhig geworden. Er überlegte einen Augenblick und entfernte sich dann in der Richtung gegen den Johannesthurm. Hier erfuhr er vom Koch, daß die Dienerinnen der Gräfin nicht zu Hause seien, sondern die Erlaubniß erhalten hätten, nach der Stadt zu gehen; er stieg nun die Treppe hinan, kam in den zweiten Stock, öffnete die Thür der Gräfin, fand aber das Zimmer finster und leer, ein zweites ebenfalls und auch im dritten Stock war niemand zu finden. Der Officier verlor völlig den Kopf ob dieser Entdeckung und lief eilig zum Commandanten, um ihm hiervon Meldung zu machen. Dieser erschrak nicht wenig und war mit zwei Sätzen in dem Thurme. Man durchsuchte nun jeden Winkel, man rief – keine Spur von der Gefangenen. Man konnte nicht länger mehr im Zweifel sein: Gräfin Cosel war entflohen. Es begann bereits zu dunkeln und war inzwischen eine Menge Zeit verflossen, bis man endlich Lärm schlug. Der Commandant theilte die Garnison rasch in zwei Colonnen, stellte sich selbst an die Spitze der einen und nun ging es an die Verfolgung der Flüchtigen.

Die Gräfin hatte eiligen Schrittes die Richtung nach jener Stelle des Parkes genommen, wo, wie sie wußte, die Pferde bereit stehen sollten, allein unglücklicherweise verirrte sie sich. Zaklika traf an dem bestimmten Orte ein, ohne sie zu finden. In voller Verzweiflung begann er nun zu suchen, da er es nicht wagen konnte, zu rufen, denn bereits hörte man Alarm im Schlosse. Nachdem er so eine kostbare Zeit verloren hatte, fand er sie endlich ganz entmuthigt und zitternd an einem Baumstamm gelehnt; er nahm sie bei der Hand und führte sie eilig zu den Pferden. Nun gewann auch die Gräfin ihre Geistesgegenwart wieder und schwang sich in den Sattel. Eben wollte Zaklika desgleichen thun, als die Soldaten herbeiliefen und die Flüchtigen umringten.

Raimund konnte sich nicht festnehmen lassen, ohne sich zu vertheidigen und das Aeußerste zu wagen. Er schrie der Gräfin zu, sich schnell davon zu machen, und stürzte mit der Pistole in der Hand den Soldaten entgegen. Nach einigen gewechselten Schüssen fiel aber der arme Zaklika, von einer Kugel in die Stirn getroffen, todt nieder. Im nämlichen Augenblicke hatte einer der Soldaten die Zügel des Pferdes der Gräfin erfaßt: diese aber streckte ihn mit einem Pistolenschuß zu Boden. Doch die Zahl der Verfolger wuchs von Secunde zu Secunde. Zwei Leichen und ein tödtlich Verwundeter lagen bereits umher, als der Commandant auf dem Kampfplatze erschien.

»Bedenket doch, Frau Gräfin!« rief er ihr zu, »wie viele Unglückliche schon Euere nutzlosen Fluchtversuche mit dem Leben bezahlen mußten!«

Die Gräfin antwortete nicht. Sie sprang vom Pferde, beugte sich über den Körper des treuen Raimund und drückte mit ihren bleichen Lippen einen Kuß auf seine blutüberströmte Stirne. Die Hand des Unglücklichen lag krampfhaft geballt auf seiner Brust, an jener Stelle, wo das Säckchen mit dem kostbaren Document sich befand, zu dessen Hüter die Gräfin ihn bestellt hatte. Die Cosel nahm dasselbe rasch an sich, und ließ sich dann, ohne ein Wort zu sprechen, in das Schloß zurückbringen. Sie versank in ein dumpfes Brüten, aus welchem sie erst nach langer Zeit wieder einigermaßen sich herauszureißen vermochte. Sie trennte sich von da an nie mehr von ihrer Bibel und besuchte selbst ihr Gärtchen, an dem ihr Herz so sehr gehangen, nicht mehr. Sie hatte angeordnet, daß Zaklika ein anständiges Begräbniß erhielt, dessen Kosten sie selbst bestritt.

Gräfin Cosel zählte nun bereits neunundvierzig Jahre und nach dem Urtheile ihrer Zeitgenossen hatte auch bis jetzt noch ihre Schönheit sowohl der Zeit, als den Leiden, welche sie durchgemacht, siegreich widerstanden. Ihre Züge hatten nichts von der früheren Anmuth eingebüßt und ihre schwarzen Augen strahlten noch immer in demselben Glanze, wie ehedem – – –

August II. aber war inzwischen dem Ende seiner Laufbahn nahegerückt, er strengte sich bis zu seinem Tode nach Kräften an, seinem Vorbild, Louis XIV., getreulich nachzuahmen. Unausgesetzt war er mit Zurüstungen zu prachtvollen festen, mit luxuriöser Ausstattung seiner alten und der Erbauung neuer Schlösser beschäftigt.

Dresden, eine ursprünglich fast ganz aus Holz erbaute und unansehnliche Stadt, hatte unter der Regierung August's eine vollständig veränderte Physiognomie angenommen. Auf dem alten Platze war ein neues Rathhaus erbaut worden; Flemming, Vitzthum, Wackerbart und Sulkowski hatten sich prächtige Paläste errichten lassen; der König hatte für Flemming außerdem das sogenannte »japanesische«, ehemals »holländische« Palais angekauft. Man legte überall Gärten an, baute Kasernen u. s. w. Der frühere Zwinger hatte einem riesigen Palast weichen müssen. Die schönen Pomeranzenbäume, welche heute noch im Sommer den Garten des Zwingers schmücken, wurden damals eingeführt. Ihre Geschichte ist eine ganz merkwürdige. Im Jahre 1731 hatte der König eine wissenschaftliche Expedition nach Afrika entsendet. Als Ballast hatte man daselbst vierhundert oben abgeschnittene Bäume in das Schiff gebracht, welche man später von Tischlern verarbeiten lassen wollte. Da sie meist mit den Wurzeln ausgehoben worden waren, versuchte man es, sie in die Heimat zu verpflanzen, und die Mehrzahl derselben faßte in der That frische Wurzeln und begann wieder zu grünen.

In der Umgebung von Dresden waren eine Menge neuer Schlösser erstanden, so z. B. Morizburg, Hubertsburg, Pillnitz etc.

In dem eben erwähnten Jahre wurde in Dresden auch mit ungeheuerem Erfolge die italienische Oper » Cleofida, o Alessandro nelle Indie« aufgeführt, in welcher die schöne und berühmte Sängerin Faustine siebenmal auftrat. Nach der siebenten Vorstellung hielt es der Gemahl der Künstlerin für gerathen, seine Frau unter dem Vorwande, daß sie ihr Talent noch besser ausbilden müsse, schleunig nach Italien zurückzuführen ...

So bescheiden auch die guten Sachsen in ihren Wünschen nach politischen Rechten waren, gestattete König August diesen seinen Unterthanen niemals, sich irgend welchen Träumen von einer Freiheit, wie er sie in Polen zu seinem großen Mißvergnügen vorfand und dulden mußte, hinzugeben. Um jedoch den Schein zu wahren, war dem sächsischen Landtage gestattet worden, sich in diesem Jahre (1731) zu versammeln. Der Landtag wurde im August mit großem Pomp eröffnet, und die polnischen Würdenträger Lubomirski, Sapieha, Czartoryski, dann der Vicekanzler Lipski waren Zeugen der vollkommenen Ruhe und Ordnung, mit welcher sich die Berathungen nach den von oben gegebenen Weisungen abwickelten.

Im Herbst reiste der König nach Polen und wurde von einer großen Anzahl polnischer Würdenträger in Lowitz empfangen. Er schlug seine Residenz in Willanow auf und wohnte daselbst dem Hubertusfeste bei. Im folgenden Jahre, nachdem der Carneval in Dresden in gewohnter luxuriöser Art gefeiert worden, nahm der König neuerdings in Polen Aufenthalt.

Dabei wurde unausgesetzt auf die Verschönerung der Hauptstadt Dresden Bedacht genommen; man baute unter Anderem ein großes Invalidenhaus nach dem Muster des Pariser Invalidenhotels. Auch die königliche Residenz Willanow wurde gründlich restaurirt; die Polen erhielten Gelegenheit, hier ein für damalige Begriffe riesiges Lager zu sehen, gleich jenem, das in Mühlberg zur Zeit der Anwesenheit des Preußenkönigs errichtet worden war.

Das Verhältniß August's zu den polnischen Notabeln wollte sich indessen nicht bessern. Der Reichstag wurde aufgelöst. Der polnische Adel konnte sich nicht in die Intentionen des Königs finden und dieser seinerseits konnte jene nicht recht leiden.

König August alterte nun doch zusehends, obgleich er noch immer für jung gelten wollte. Schon im Jahre 1697 war er, als er vor der Fürstin Lubomirska eine Probe seiner Geschicklichkeit im Sattel ablegen wollte, vom Pferde gestürzt und hatte sich dabei in gefährlicher Weise den Fuß verstaucht. Die Aerzte riethen ihm dringend, sich sehr zu schonen, was aber von ihm nicht beachtet wurde. Im Jahre 1727 mußte ihm eine Zehe amputirt werden, da dieselbe vom Brand ergriffen worden war; die Operation, von dem berühmten Chirurgen Weiß ausgeführt, gelang vortrefflich, aber trotzdem konnte sich der König von da ab nur mühsam aufrecht halten, und wenn er mit jemandem stehend sprach, setzte er stets den einen Fuß auf einen Schemel.

Im letzten Jahre seines Lebens wohnte er, seiner Gewohnheit getreu, nochmals der Leipziger Messe bei, dann eröffnete er in Dresden in eigener Person den Carneval, und als der Tag des Zusammentrittes des neuen polnischen Reichstages herannahte, trat er die Reise nach Warschau an.

In Folge der Kälte, die er auf dieser Reise auszustehen hatte, dann aber auch eines Fehltrittes beim Aussteigen aus seinem Wagen stellte sich neuerdings der Brand ein und drei Tage später – es war am 1. Februar 1733 – hatte August II. zu leben aufgehört. Trotz seines ausschweifenden Lebenswandels hatte er ein Alter von dreiundsechzig Jahren erreicht.

Im Verlaufe dieser Erzählung war wohl vollauf Gelegenheit geboten, sich ein Bild über den Charakter August's des Starken zu machen, trotzdem wollen wir hier noch anführen, was Graf Schulenburg, hierzu angeregt durch Voltaire, über seinen ehemaligen Gebieter schrieb: »Es unterliegt keinem Zweifel, daß König August II. von Polen einer der am besten unterrichteten Herrscher seiner Zeit war. Er hatte ein sehr richtiges Urtheil, besaß große Ausdauer und viel Geschick und Energie. Er war auch sehr arbeitsam und so beharrlich in seinen Unternehmungen, daß er als einfacher Bürger es zu etwas hätte bringen müssen ... Wer nicht Gelegenheit hatte, ihn genauer zu beobachten, würde sicher nicht geglaubt haben, daß es möglich sei, sich so zu verstellen und so zu heucheln, wie er es that. Er besaß eine sehr rasche Auffassungsgabe und liebte es, stets nach seinen eigenen Anschauungen zu handeln ... In militärischen Dingen war er übrigens sehr versirt. Auf seinem Pferde sitzend, wußte er rasch seinen Plan zu entwerfen, wobei er große strategische Kenntnisse verrieth und stets die richtigsten Dispositionen traf. Namentlich in artilleristischer Beziehung war er so gut beschlagen als irgend Einer, der diese Waffengattung zu seinem Specialstudium gemacht hat.«

Der einzige legitime Sohn August's war sowohl in der protestantischen als der katholischen Lehre erzogen worden, um es ihm leichter zu ermöglichen, später nach Bedürfniß sich der einen oder der anderen Religion zuzuwenden; nach einer mehrjährigen Reise außerhalb Sachsens wendete er sich, von dem Jesuiten Salerno bekehrt, definitiv dem Katholicismus zu. Am Hofe Ludwig's XIV. fand man den sächsischen Prinzen etwas zu schüchtern und sittsam, dabei aber ziemlich begabt. Im Jahre 1717 wurde sein Uebertritt zum Katholicismus öffentlich proclamirt und bald darauf vermählte er sich mit der Prinzessin Marie Josefine von Oesterreich. Er kehrte erst nach siebenjähriger Abwesenheit nach Dresden zurück.

August III. war in Charakter und Lebensweise ganz das Gegentheil seines Vaters; er war fromm, liebte Prunklosigkeit und Einfachheit, war aber durchaus kein Freund der Arbeit. Am liebsten jagte er. Man hielt ihn zwar für geistreich und mit gesundem Urtheil begabt, allein seine Abneigung gegen jede beharrliche und angestrengte Thätigkeit ließ diese Eigenschaften nicht zur Geltung gelangen.

Die Herrschaft Sulkowski's und Brühl's machte sich schon in den letzten Jahren der Regierung August's II. bemerkbar; während indessen alles darauf hinzudeuten schien, daß der erstgenannte dieser beiden Hof- und Staatsmänner dem anderen den Rang ablaufen werde, trat gerade das Gegentheil ein.


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