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8.
Ein Schuß

Man schrieb 1727. Drei Jahre waren bereits seit dem unglückseligen Fluchtversuch der Gräfin mit Helm verflossen, in Schloß und Ort Stolpen hatte man jene Vorkommnisse längst wieder vergessen und alles ging ruhig seinen altgewohnten Gang.

Draußen in der Welt und am sächsischen Hofe hatte sich mittlerweile Manches geändert. Gräfin Cosel war sozusagen ohne ihr Darzuthun an ihren Feinden gerächt worden, denn fast jeder Tag brachte eine neue Trauerbotschaft in ihre Abgeschiedenheit. Ihre Gegner verschwanden Einer nach dem Anderen vom Weltschauplatz oder wenigstens vom Hofe. Neue Leute, neue Gesichter, andere Frauen, andere Günstlinge traten an ihre Stelle.

Mitten in diesem allgemeinen Zerfall blieb August der Starke allein unberührt und aufrecht. Noch immer verschwendete er das Gold mit vollen Händen, noch immer jagte er stets neuen Lustbarkeiten nach, ohne Befriedigung zu finden.

Die schöne Marie Dönhoff, welche zu befürchten anfing, daß vielleicht auch sie eines Tages das Schicksal der Cosel ereilen könnte und zu der Ueberzeugung gekommen war, daß es ihr nicht gelingen werde, das Herz des flatterhaften Königs dauernd zu fesseln, dachte schon längst daran, einen ehrenvollen Rückzug anzutreten und sich wieder zu verheiraten ... König August widersetzte sich dem nicht im Mindesten. Er amusirte sich noch immer am besten an dem turbulenten Treiben der Leipziger Messe und fand mehr Gefallen an vorübergehenden Liebeleien als an ernsteren Verbindungen, deren Bande mit der Zeit zu Fesseln werden konnten. So verliebte er sich auch in die schöne Sophie Dieskau, die Tochter des Rathes Dieskau von Czeplin, und er beeilte sich, sie an den Hofmarschall von Loß zu verheiraten, als er fand, daß sie kalt wie ein Eisblock sei. Einige Zeit darnach fand er Henriette Osterhausen auf seinem Wege, verließ sie aber ebenfalls bald wieder, da ihre willenlose Fügsamkeit ihn zu langweilen begann; diese zog sich auf einige Zeit in ein Kloster zurück, aus welchem ein polnischer Edelmann, Namens Stanislawski, sie später herausholte, um sie zu seiner Gattin zu machen.

Auf alle diese rasch vorübergehenden Liebschaften folgte die glänzende Herrschaft Anna Orselska's, einer Tochter der Henriette Duval.

Annette Orselska begleitete in goldstrotzender Hußarenuniform, geschmückt mit dem Weißen Adlerorden, den König wie einst Anna von Cosel zu allen militärischen Manövern und auf die Jagd. August schien sich an ihrer Seite förmlich zu verjüngen. Eine neue Generation kam mit ihr an den Hof; namentlich brillirte der Graf Rutowski neben seiner jungen Schwester.

Die alten Günstlinge und Würdenträger hatten zum größten Theile das Zeitliche gesegnet; Fürstenberg, welcher einst durch seine Wette die Cosel an den Dresdener Hof gebracht hatte, um später ihr erbittertster Gegner und Verfolger zu werden, lebte längst nicht mehr, und so sehr er einst bei seinem königlichen Herrn in Gunst gestanden, so schnell war er vergessen. Seine Collegen im Rathe des Königs entfernten sich allmählich von ihm, als sie fühlten, daß er in Ungnade zu fallen begann, und verdrängten ihn nach und nach aus Amt und Würden; der König wendete ihm den Rücken. Um seine vielen Mußestunden auszufüllen, wendete er sich neben der Jagd als Hauptvergnügen der Alchymie zu, warf sich dann der Bigotterie in die Arme und fand auf seinem Gute Wernsdorf Zeit genug, über die Vergänglichkeit aller Fürstengunst und die Eitelkeit weltlicher Macht und Größe nachzudenken ... So sank derjenige, welcher einst Statthalter war und mit Hilfe der Gräfin Reuß den ganzen Hof und selbst seinen Gebieter beherrschte, in das Nichts zurück. Nach dem Tode seiner Frau hatte er davon geträumt, den Cardinalshut zu erlangen. Auf einer Reise von Dresden nach Leipzig segelte er indessen so geräuschlos in ein besseres Jenseits hinüber, daß der König, der sich eben zur Messe in letzterer Stadt befand, erst viel später den Tod seines einstigen Günstlings erfuhr ... Ein rasches Emporklimmen, aber auch ein schneller und tiefer Sturz!

Auch die einflußreiche Coterie der einst bei Hofe so angesehenen Gräfin Reuß, des Fräulein Hülchen, ihrer Schwester Reichenbach, der Hofdamen von Schellendorf und von Callenberg war zersprengt, theils durch den Tod hinweggerafft, theils der Vergessenheit anheimgefallen.

Vitzthum lebte schon seit einem Jahre nicht mehr. Er war einige Jahre vorher als Gesandter nach Schweden geschickt worden. Seine Frau, die Schwester Hoym's, welche nacheinander zur Erhebung und zum Sturz der Gräfin Cosel so wesentlich mit beigetragen hatte, arbeitete unausgesetzt für ihren Mann und für sich selbst; denn so unbedeutend Vitzthum in den Staatsgeschäften war, so geschickt zeigte sich seine Gattin, Frau Rahel, wie man sie gewöhnlich nannte. Nachdem sie Watzdorf aus untergeordneten Verhältnissen zu einer mächtigen und einflußreichen Stellung emporgehoben hatte, glaubte sie es im Verein mit diesem wagen zu können, Flemming die Spitze zu bieten. Ihr Haß gegen den Feldmarschall hatte seine Ursache in allerlei Intriguen und in der Animosität, welche zwischen ihr und Frau von Prebendowska – von den Sachsen gewöhnlich »Madame Brebentau« genannt – bestand. Während der Zeit, da ihr Gemahl als Gesandter abwesend war, ließ sie sich in der Kreuzgasse in Dresden ein prächtiges Palais bauen, welches später der Gräfin Rutowski zufiel. Frau von Vitzthum galt für die reichste Person in ganz Sachsen, und all ihre Besitzthümer hatte sie selbst zusammenzuscharren gewußt.

Das Ende Vitzthums's war ein sehr tragisches. Er war im Jahre zuvor mit August dem Starken in Warschau; beim Hofstaat des Königs befand sich als Kammerherr und Adjutant auch ein Marquis de St. Gilles, ein natürlicher Sohn des Königs Victor Amadeus von Sardinien. Mit diesem, einem etwa zwanzig Jahre zählenden Jüngling, gerieth der mehr als fünfzigjährige Vitzthum im Vorsaale der königlichen Gemächer beim Kartenspiel in heftigen Streit. Man hatte ziemlich hoch gespielt und der ungestüme junge Mann verlor fortgesetzt, gerieth dadurch immer mehr in Aufregung und beschimpfte endlich seinen Partner; der daraus entstandene Wortwechsel wurde immer heftiger und artete endlich in Thätlichkeiten aus, worauf ein großer Tumult folgte. König August, der sich nach der Ursache des Scandals erkundigte und den Hergang der Sache erfuhr, gab natürlich seinem alten Günstling Recht. Er tadelte den Italiener scharf und verurtheilte ihn für sein brutales Benehmen zu drei Monaten Haft in den Festungswerken von Leipzig. Das war nun allerdings eine gnädige Strafe, denn der dortige Commandant war Graf Castelli, ein Onkel des Marquis; es wurde diesem aber überdies verboten, jemals wieder bei Hofe zu erscheinen.

Nachdem St. Gilles seine Strafe verbüßt hatte, reiste er nach Polen, und in Nadarzyn angekommen, schickte er Vitzthum seinen Cartellträger. Dem Geforderten blieb nichts anderes übrig, als die Herausforderung anzunehmen; er empfahl die strengste Geheimhaltung der Affaire, damit der König nichts davon erfahre, und ließ seinen Gegner wissen, daß er am nächsten Morgen schon zur Verfügung stehen werde. Am Abend vor dem Duell soupirte Vitzthum bei der Lubomirska in heiterster Laune und spielte darauf bis Mitternacht Piquet. Zwei Stunden später machte er sich heimlich mit seinem Secundanten, dem Grafen von Montmorency, auf den Weg nach Nadarzyn. Morgens zwischen 6 und 7 Uhr war er auf dem Platze und ließ den Marquis durch einen Officier, Namens Frenson, von seiner Anwesenheit benachrichtigen. Es war dazumal Sitte, sich zu Pferd zu schlagen. Die beiden Gegner avancirten mit großer Kaltblütigkeit gegeneinander, und als das Signal gegeben wurde, schossen Beide, der Marquis mit solcher Sicherheit, daß Vitzthum augenblicklich todt vom Sattel fiel, während die Kugel des Letzteren nur die Wange St. Gilles streifte.

St. Gilles war ob dieses Ausganges der Affaire sehr bestürzt und wußte sich nicht zu rathen; er floh nach Warschau und suchte im dortigen Theatinerkloster Zuflucht. Der König gerieth darob in heftige Wuth und befahl, ohne Rücksicht auf das klösterliche Asylrecht, den Mörder zu ergreifen. Fünfhundert Soldaten umringten das Kloster; unterdessen gelang es aber dem Italiener, als Laienbruder verkleidet, aus dem Kloster zu entkommen; er gelangte glücklich nach Leipzig und von da nach Italien.

Das Leichenbegängniß Vitzthum's gestaltete sich sehr pompös. Er wurde unter dem Geläute sämmtlicher Kirchenglocken in die Familiengruft beigesetzt ... So endete einer der ersten Günstlinge August's.

Flemming wußte sich allein noch immer zu halten; er verstand es, sich dem König fast unentbehrlich zu machen und dem Schicksal der meisten seiner Rivalen auszuweichen. Er baute Paläste, handelte mit Gütern und häufte sich immense Reichthümer an. Nachdem er Schulenburg aus dem Wege geräumt und zu verhindern gewußt hatte, daß der König das Obercommando über seine Armee dem Grafen Moriz von Sachsen übertrug, träumte er davon, für sich selbst das Herzogthum Kurland zu erlangen. Er wollte unter Anderem auch den nun achtundfünfzigjährigen König August mit einer siebzehnjährigen preußischen Prinzessin verheiraten, eine Verbindung, welche die Allianz zwischen Sachsen, Polen und Preußen zum großen Vortheile dieses letzteren wieder enger knüpfen sollte, begegnete jedoch bei diesem Plane dem entschiedenen Widerstande August's.

Löwendahl, dieser charakterlose Mensch, welcher der Gräfin Cosel seine Stellung verdankte, hielt sich noch einige Zeit hindurch, ging aber sichtlich seinem Sturze entgegen, da sein Einfluß und seine Macht von Tag zu Tag schwanden und er im ungleichen Kampfe mit dem viel gewandteren und mächtigen Flemming unfehlbar unterliegen mußte; auch seine auf so leichte Weise zusammengebrachten Reichthümer schmolzen unter seinen verschwenderischen Händen dahin.

Watzdorf endlich, dem »Bauern von Mannsfeld,« der sich bald zu dieser, bald zu jener Partei schlug, Gold zusammenraffte, wo es irgend anging, und mit Flemming allerlei Geschäfte betrieb, gelang es, am Hofe festen Fuß zu fassen, da der König seiner bedurfte. Dieser war ihm gleichwohl nicht sehr zugethan.

Am Hofe zu Dresden herrschte immer noch derselbe ungezügelte Hang nach Lustbarkeiten, dieselbe Vergnügungssucht. Die Erhebung der Orselska zur Favoritin des Königs war das Signal zu neuer Verschwendung. Ueberdies gab die Vermählung des Sohnes August's Gelegenheit zu verschiedenen Festen, wobei ein unerhörter Luxus, eine geradezu fabelhafte Pracht entfaltet wurde.

Mitten unter diesen friedlichen Zerstreuungen, deren der König unaufhörlich neue erdachte, gab es wieder Zeiten, wo sich August als großer Kriegsheld fühlte und hiervon Proben abzulegen wünschte.

In diesem Jahre genoß der König die Reize des Frühlings in Pillnitz. Seine Soldaten hatten in der Umgebung dieses Schlosses ein Lager bezogen und es wurden namentlich häufig Geschütze groben Kalibers probirt. Man sprach hier eines Tages unter Anderem auch von der Festung Königstein und von den Schießversuchen, welche an den Felsenmassen, auf denen sich dieses feste Gefängniß erhebt, angestellt worden waren. Die großen Geschütze hatten hier wunderbar gearbeitet – der Fels war beim Anprall der Kugeln wie Glas zersplittert.

»Und doch,« meinte Graf Wackerbart, der sich in der Begleitung des Königs befand, »kenne ich einen Platz und weiß ich Felsen, gegen welche, wie ich überzeugt bin, diese Geschütze nichts ausrichten würden.«

»Wo ist das? Wo sind diese Felsen?« fragte August.

Wackerbart blickte beunruhigt auf den Fragenden und schien es zu bereuen, daß er sich jene Worte hatte entschlüpfen lassen.

»Nun, wo?« fragte der König wiederum.

»In Stolpen. Die Basaltpfeiler, auf welchen das Schloß von Stolpen steht, sind so hart, daß unsere eisernen Kanonenkugeln ganz ohnmächtig dagegen wären.

»In Stolpen!« wiederholte August, dessen Antlitz sich verfinsterte. »So, also in Stolpen!«

Alles schwieg. Der König ging erregt auf und ab. Es war leicht zu bemerken, daß ihn irgend etwas lebhaft beschäftigte und daß er mit sich selbst kämpfte, um einen Entschluß zu fassen.

»In Stolpen!« wiederholte er mehrmals vor sich hin. »Man könnte ja immerhin einen Versuch machen.«

Wackerbart blickte ängstlich auf den König, der dies bemerkte und darüber aufgebracht endlich ausrief:

»Warum sollten wir nicht unsere Geschütze an jenem Basaltfelsen probiren? Schließlich werden ja einige Kanonenkugeln das Schloß nicht von seinen festen Pfeilern herabstürzen!«

Wackerbart schwieg, als erwartete er diesfalls Befehle, an die er nicht recht glauben konnte.

Sichtlich gereizt durch das sonderbare Benehmen seines Begleiters und um zu zeigen, daß er über gewisse kindische Rücksichten, die man bei ihm vorauszusetzen schien, erhaben sei, befahl nun der König laut:

»Schickt zwei Batterien nach Stolpen und richtet die Geschütze gegen die Basaltfelsen, auf denen das Schloß steht. Ich werde morgen Früh persönlich den Proben beiwohnen ... ja, morgen recht früh, denn die Tage sind jetzt sehr heiß.«

Nach den letzten Worten wendete er sich um und ging nach dem Schlosse zurück.

Die Befehle des Königs mußten, welche Hindernisse immer sich denselben entgegenstellen mochten, stets genau und auf der Stelle ausgeführt werden; es wurden denn auch sofort die nöthigen Ordres erlassen und während der Nacht die Kanonen nach Stolpen gebracht.

Zaklika schlief ruhig in seinem Häuschen, als, um Mitternacht etwa, eine ganz ungewohnte Bewegung ihn und die übrigen Bewohner des Ortes Stolpen aufschreckte. Man hörte Reiter dahingaloppiren und eine Menge Wagen durch die Straßen rasseln, dazwischen ertönten Befehle der Officiere und Rufe der Soldaten. Zaklika öffnete rasch das Fenster, um hinauszusehen, da er nicht begreifen konnte, was der Lärm zu bedeuten habe; er dachte im ersten Augenblicke sogar an irgend einen unbekannten Feind, welcher über die sächsische Grenze eingebrochen wäre, bis ihn der bekannte Dialektausruf: »Ach, Herr Jäses!« der ab und zu sich vernehmen ließ, belehrte, daß es Sachsen seien. Als er einen Officier vorübergehen sah, rief er ihn an und fragte, was denn da vorgehe.

»Der König wird morgen oder vielmehr heute Früh nach Stolpen kommen!« war die Antwort.

»Der König? ... Nach Stolpen? ...«

»Ja wohl, der König! ... Wenn Ihr Leute hier habt, so schickt mir dieselben hinaus zur Schanzarbeit; wir müssen hier Batterien bauen, denn man wird neue Kanonen an den Basaltfelsen probiren.«

Nach diesen Worten entfernte sich der Officier schleunig. Zaklika begann sich hastig in seine Kleider zu werfen. Er traute seinen Ohren gar nicht. Der König sollte nach Stolpen kommen ... und der König sollte seine Kanonen an dem Schlosse erproben wollen, wo er eine unglückliche, verlassene Frau gefangen hielt! ... Das konnte nur ein schlechter Scherz von dem Officier sein, denn so etwas däuchte ihm ja ganz unmöglich. Was müßten das für die Gräfin für schreckliche Augenblicke sein! Zaklika's Haare sträubten sich, wenn er daran dachte ... Der junge Mann beschleunigte seine Toilette, ohne recht zu wissen, was er that. Er wollte nach dem Schlosse eilen und der Gräfin zuerst von der Sache Mittheilung machen, sie vorbereiten auf diese neue Prüfung.

Der Tag begann bereits zu grauen, als Zaklika aus seinem Hause trat, um sich in das Schloß zu begeben. Hier war schon alles auf den Beinen; die Nachricht, daß der König kommen werde, hatte die ganze Garnison in Bewegung gebracht. Von der Stadt her und aus den benachbarten Dörfern sah man, wie die Soldaten friedliche Bauern mit Säbelhieben vor sich her trieben, da man ihrer zum Bau der in aller Eile aufzuwerfenden Batterien bedurfte. Von allen Seiten hörte man Jammern, Schreien, Fluchen und Schimpfen; es war ein unbeschreiblicher Tumult, ein wildes Durcheinander von Menschen und Thieren.

Nahe dem Park bei dem Orte Röhrpforta war bereits eine Batterie fertig, eine andere bei Hanewald der Vollendung nahe.

Als Zaklika zum Schloßthor kam, fand er es offen stehen; in den verschiedenen Höfen herrschte reges Leben; an allen Ecken und Enden wurde gefegt, gescheuert und aufgeräumt; der Commandant war vor lauter Befehlen und Anordnen schon ganz heiser. Beim Johannesthurm standen in einem zu dieser Stunde allerdings begreiflichen Negligé die Dienerinnen der Gräfin, vor Schreck an allen Gliedern zitternd, da sie der Meinung gewesen, daß im Schlosse Feuer ausgebrochen sei.

Gräfin Cosel selbst beugte sich aus einem der Fenster des Thurmes; sie war sehr bleich und schien ungemein aufgeregt zu sein. Mit ein paar Sätzen war Zaklika unbemerkt bis an ihr Zimmer gelangt; auf der Schwelle desselben kam sie ihm schon entgegen.

»Der König, der König!« rief sie erregt aus. »Ah, ich begreife, er kommt, um mich wieder zu sehen!«

»Madame,« entgegnete Zaklika, »der König kommt allerdings hierher, aber nur um die Kraft seiner Kanonen oder vielmehr ihrer Geschoße an den Basaltpfeilern dieses Schlosses zu erproben.«

In helles Lachen ausbrechend, entgegnete die Gräfin: »Einfältiger Mensch – Du glaubst auch an dieses Märchen? Schon eine ganze Woche lang hat mir täglich von ihm geträumt. Mein Geist umschwebte ihn und zog ihn unmerklich, aber unwiderstehlich zu mir. Er suchte nach einem Vorwand ... er will mich sehen. Der Gute weiß, daß ich ihn immer noch liebe und daß ich bereit bin, ihm zu verzeihen. Er ist heute frei und will mich nun, wie er es mir einst versprach, zu seiner Gemahlin erheben. Man soll mich rasch ankleiden, und zwar so, als ob ich zum Altar, als ob ich zur größten Festlichkeit ginge. Ich will schön sein – ich will ihm jene Anna wieder ins Gedächtniß zurückrufen, vor welcher er einst anbetend kniete! ... Der König!« rief sie einmal ums andere, »mein König, mein Gebieter!«

Sprachlos vor Erstaunen über diesen Empfang, blieb Zaklika gesenkten Hauptes an der Schwelle stehen.

»Rufe meine Dienerinnen!« fuhr die Gräfin fort; »Caroline möge meine schönsten Kleider, die ich noch besitze, aus den Koffern hervorsuchen.«

Nun nahm sie eine der herrlichen schwarzen Haarflechten, welche ihr über die Schultern fielen, in die Hand, begann sie aufzulösen und lief dabei lebhaft im Zimmer hin und her.

»Schnell, schnell, rufe meine Leute!« wiederholte sie; »er kann jeden Augenblick kommen und ich werde nicht bereit sein, ihn zu empfangen! ... Ach, mein König, mein geliebter Gebieter! ... August!«

Zaklika ging, um die Frauen der Gräfin zu rufen und setzte sich dann ganz niedergeschlagen und düster brütend auf eine Treppenstufe.

Im Schlosse hatte die Aufregung ihren Höhepunkt erreicht. Am Horizont blitzten eben die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne hervor. Man zählte die Minuten, ja die Secunden; Menschen und Thiere wurden ab und zu mit Peitschenhieben angetrieben, um die Arbeit zu beschleunigen. Man sah die Batterien förmlich aus dem Boden wachsen – aber auch die Sonne begann mehr und mehr heraufzukommen.

Ein wunderbarer Maimorgen breitete seinen Zauber über die Ebene und die sanft ansteigenden Hügel; da und dort sah man die letzten Nebelstreifen unter den Strahlen der Morgensonne sich zerstreuen. Blühende Bäume und Sträucher, vom röthlichen Hauch des erwachenden Tages übergossen, verbreiteten ihre Düfte rings in der Luft. Die ganze Natur schien unter dem Morgenkuß des leuchtenden Tagesgestirnes freudig zu erbeben und strahlte in Liebreiz und anmuthsvoller Heiterkeit, wie ein Kind, das mit einem Lächeln auf den Lippen in seiner Wiege von erquickendem Schlummer erwacht und der Mutter leuchtendes Antlitz erblickt. Inmitten dieser süßen Ruhe der Natur glich das von lebhafter Unruhe und verworrenem Geräusch erfüllte Schloß mit seiner Umgebung einem zur Erde gefallenen Wespennest, wessen Insassen verwirrt und summend ab und zu fliegen.

Endlich waren die Kanonen alle in ihren Positionen untergebracht. Die Zeit war aber auch ungemein schnell verflogen, denn es war schon vier Uhr vorüber. König August hatte gesagt, daß er mit Tagesanbruch von Pillnitz aufbrechen werde. Der Commandant schickte einen Mann auf den höchsten Thurm des Schlosses, von wo man die Straße weithin überblicken konnte, um die Ankunft des Königs zu signalisiren.

Die Artilleristen hatten ihre Geschütze schon gerichtet, so daß die Kugeln direct auf die Basaltfelsen aufschlagen mußten. Dieses so ganze unnütze Experiment erschien den Leuten als Ausfluß einer wahrhaft königlichen Laune – doch warum sollte es einem König verwehrt sein, auch den unsinnigsten seiner Wünsche zu befriedigen!

Alles war auf das Beste vorbereitet, als der Posten von der Höhe des Thurmes herab signalisirte, daß der König herannahe.

Sofort setzte sich auf der Straße nach Pillnitz zu ein langer Zug in Bewegung, voran der Bürgermeister, die verrosteten Schlüssel des Fleckens auf einem seidenen Kissen tragend, dann die übrigen Behörden und Corporationen mit wallenden Bannern; in der Kirche begann man bald darauf zur Begrüßung des Monarchen mit allen Glocken zu läuten. Die ganze Bevölkerung des Ortes war auf der Straße und dem großen Platze versammelt.

Die Staubwolke, welche man in der Ferne sah, näherte sich mehr und mehr und endlich gewahrte man einen stattlichen Reiter von martialischem Aussehen einhergaloppiren; hinter ihm erblickte man ein paar Adjutanten, ein nicht sehr zahlreiches Gefolge und einige geladene Gäste und noch mehr rückwärts endlich erschien ein zweiter Reitertrupp, welcher dem ersten zu verfolgen schien.

In den Reihen der biederen Stolpener, die ihren Gebieter zu begrüßen gekommen waren, herrschte erwartungsvolle Stille ... Endlich war der erste Reiter so nahe herangekommen, daß man an dem blauen Rocke und dem Weißen Adlerorden darauf den König in ihm zu erkennen vermochte ... Am Thore angelangt, begrüßte der Monarch nur ganz flüchtig den Bürgermeister und die sich bis zur Erde verneigenden Bürger des Ortes und setzte dann allsogleich seinen Weg zum Schlosse fort.

Beim äußeren Schloßthore harrte seiner die ganze Garnison in strammer Haltung, das Gewehr präsentirend; der Commandant näherte sich dem Kriegsherrn und stattete seinen Rapport ab. Allein der König schien nicht sehr gnädig gelaunt zu sein, denn er würdigte niemand eines Wortes, sondern wendete sofort sein Pferd wieder in der Richtung der Batterie von Röhrpforta, welche er einige Minuten schweigend betrachtete; dann ritt er an der Mauer des Schlosses herum und besah sich die bei Hanewald postirte Batterie. Dieser letzteren gegenüber befand sich der mächtigste Stock der Basaltfelsen, auf welchen sich das Schloß erhob. Von hier aus konnte man auf den Johannesthurm sehen, von dessen einem Fenster sich eine in helle Gewänder gekleidete Frauensgestalt abhob. August wagte es nicht, seine Augen dem Thurme zuzuwenden; nach kurzem Verweilen ritt er nach dem Park zu.

Inzwischen war Wackerbart, welcher in Dresden gewesen war, von dort herbeigekommen und stieß zu der Suite des Königs. August schien große Eile zu haben, denn er gab nun sofort das Signal zum Feuern; die Artilleristen näherten ihre Lunten den Geschützen, eine heftige Detonation erschütterte die Luft und einem langsam verhallenden Donnerrollen gleich wiederholte das Echo vielfach den Schall.

Ein sehr geübtes Ohr hätte im nämlichen Augenblicke, da die Geschütze krachten, auch einen sonderbaren Schrei, einen Schrei der Verzweiflung und überquellenden Schmerzes vernehmen können. König August und seine Begleiter hörten jedoch nichts dergleichen, denn ihre ganze Aufmerksamkeit war auf die Batterie und auf jene Stelle unter einer der Bastionen des Schlosses gerichtet, auf welche man gezielt hatte.

Der erste Schuß, welcher die Basaltmauer traf, verursachte in derselben bloß eine kleine Vertiefung, die Kugel aber zersprang in mehrere Stücke; der Commandant brachte dem König eines derselben, welcher es kopfschüttelnd und ohne ein Wort zu verlieren, betrachtete.

Der zweite Schuß, auf die Grundpfeiler des Schlosses, jene Basaltkolosse gerichtet, ergab dasselbe Resultat, auch diesmal ging die Kugel in Stücke. Beim dritten Schüsse aber ricochettirte eines der Stücke der zersprungenen schweren Geschützkugel im Gewichte von mehr als sechs Pfund und fiel auf eines der Häuser des Fleckens, große Verwüstung anrichtend, indem es das Dach, sowie den Plafond durchschlug und erst auf dem Grunde des Hauses liegen blieb. Als der Commandant dies gewahrte, lief er eiligst hinzu, um die schreckliche Wirkung des Projectils zu constatiren, und erstattete dem König darüber einen genauen Rapport, den dieser gelassen anhörte.

Nach dem Ausfall dieser Versuche schien es dem König doch genug des grausamen Spieles zu sein und er verzichtete darauf, die Proben mit der Batterie bei Hanewald zu wiederholen.

Auf die erste Nachricht von der Ankunft des Königs hatte Gräfin Cosel ihre Fassung verloren. Die arme Frau war der festen Ueberzeugung, daß nun die Stunde der Befreiung für sie geschlagen habe und daß August, sein Benehmen gegen sie bereuend, eigens ihretwegen nach Stolpen gekommen sei. In fieberhafter Eile und mit größter Sorgfalt kleidete sie sich mit Hilfe ihrer Dienerinnen an und betrachtete sich dann wohlgefällig im Spiegel.

»Ja ...,« sagte sie vor sich hin, »es kann ja nicht anders sein – er ist hierher gekommen, um mich wiederzusehen ... Es ist ja ganz unmöglich, daß er auf die Mauern, in denen ich gefangen bin, schießen läßt und so aus seinem Vergnügen eine neue Marter für mich macht! ... Nein, nein, das ist nicht möglich! Meine Gefangenschaft nimmt ein Ende, der Tag meines Triumphes ist endlich angebrochen!«

In höchster Aufregung lief sie von einem Fenster zum anderen, um endlich an jenem, von welchem aus man das Niederthor und die Straße nach Pillnitz überblickte, stehen zu bleiben, da sie in der Ferne Staubwolken aufwirbeln sah. Ihr Herz drohte zu zerspringen, sie weinte vor Freude und Sehnsucht. Nun begannen die Glocken zu läuten – der König kam; dann trat tiefe Stille ein. Sie preßte die Hand auf ihr pochendes Herz und wartete mit gespannter Aufmerksamkeit. Es war ihr, als hörte sie ihn auf der Treppe, als müßte er jeden Augenblick auf ihrer Schwelle erscheinen ... Lange dauerte diese unheimliche Stille – so lange, daß ihr doch mehr und mehr die Hoffnung zu schwinden begann. Da plötzlich ließ sich ein Kanonenschuß hören ... und gleich darauf ein markdurchdringender Schrei; besinnungslos war die Gräfin zu Boden gesunken. Nach wenigen Augenblicken aber sprang sie wie eine wüthende Löwin wieder auf und lief zu einem kleinen Tischchen, dessen Schublade sie hastig öffnete. Ihre zitternden Hände versagten ihr beinahe den Dienst. Sie entnahm aus der Lade eine in ein Seitentuch eingewickelte Pistole, welche sie in einem der weiten Aermel ihres Kleides verbarg.

Nun eilte sie wieder wie wahnsinnig von Fenster zu Fenster, ungeduldig umherblickend, als suche sie Jemanden. Dem ersten folgte bald noch ein Schuß, dann ein dritter, und man hörte deutlich die Kugeln am Fuße der Bastion des Thurmes aufschlagen. In stolzer Haltung, hoch aufgerichtet, stand Gräfin Cosel da; ihre Hände zitterten, ihre Augen strahlten in wildem Feuer, ihre Brust hob und senkte sich convulsivisch.

Nach dem letzten Schuß ward wieder alles ruhig. Die Gräfin aber, die Pistole in der krampfhaft geschlossenen Rechten, rührte sich nicht vom Fleck. Endlich erlahmte sie von dem langen Harren in dieser Stellung und wollte sich eben vom Fenster entfernen, als sich plötzlich Pferdegetrappel vernehmen ließ. Rasch beugte sie sich weit zum Fenster hinaus und spähte umher ... er war es ... August! Langsam ritt er ganz allein auf dem schmalen Fußpfade unterhalb der Umfassungsmauer des Schlosses daher.

Die Gräfin stieß einen Schrei der Ueberraschung aus. August hob den Kopf, blickte sie starr an, hielt sein Pferd an, legte die Hand an den Hut und grüßte. Er sah ungemein blaß aus.

Die Gräfin beugte sich noch mehr aus dem Fenster, als wollte sie sich herunterstürzen.

»O, mein König!« rief sie plötzlich, »habt Mitleid! Uebe Gnade!«

August antwortete nicht. Nun brach die Gräfin in ein wildes Lachen aus.

»Von Dir Mitleid,« schrie sie, »von Dir Erbarmen zu erwarten, Du Grausamer, Du Elender – welche Thorheit! ... Von Dir, welcher schmählich sein Wort, seinen Schwur bricht und diejenigen bestraft und verfolgt, die ihn daran erinnern! Was ist ein Menschenleben für Dich! – nichts! Cosel, die gefangene, zu Tode gehetzte Cosel, verachtet und verflucht Dich – Dich, Dein Haus und Dein Land! ... Stirb, Elender! ...«

Im selben Augenblicke erhob sie die Pistole gegen den König und drückte los.

Dumpf rollte der Wiederhall des Schusses über das Schloß und dessen Umgebung hin, gefolgt von dem höhnischen Gelächter einer Wahnwitzigen. Im nächsten Augenblicke stürzte die Gräfin ohnmächtig am Fenster zusammen.

König August blieb, als er eine Kugel an seinem Ohr vorüber pfeifen hörte, einen Augenblick wie versteinert; er verlor indessen seine Kaltblütigkeit nicht, grüßte nochmals mit einem Lächeln nach dem Fenster hinaus, gab dann seinem Pferde die Sporen und ritt im Galopp gegen Pillnitz zu davon, ohne sich in Stolpen noch irgendwie aufzuhalten, zur größten Ueberraschung des Commandanten, welcher gehofft hatte, daß der König in Stolpen das Frühstück nehmen und ihn in seiner Behausung beehren werde.


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