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An einem der nächsten Tage, als Zaklika in der großen Wirthsstube bei einem Glase warmen Bieres saß, traten drei Soldaten von der Schloßwache ein und verlangten geräuschvoll zu trinken.
Zaklika musterte die Ankömmlinge aufmerksam und glaubte in ihnen Leute zu erkennen, welche er oft im königlichen Schlosse in Dresden als Schildwachen stehen gesehen. Er täuschte sich nicht, denn Einer von den Dreien betrachtete ihn sehr scharf und rief dann an seinen Tisch herüber: »Heda, lieber Freund, mir scheint, wir sollten uns kennen! Meiner Treu, ich muß Euch schon irgendwo gesehen haben!«
»Es kommt mir ebenso vor ... Ich habe früher, bevor ich mich dem Handel zuwendete, ziemlich lange am Hofe gedient, bis mir das Brot, welches man dort ißt, nicht mehr schmecken wollte. Ich habe Euch, wie ich glaube, mehr als einmal im Schloß zu Dresden bei unserem geliebten König die Wache halten sehen.«
»Jetzt fällt mir's ein – Ihr seid ja Derjenige, welcher so geschickt Hufeisen zerbrach!« rief der Soldat aus.
»O, das war damals!« sagte Zaklika bescheiden. »Zu jener Zeit habe ich auch manchmal einen Ochsen bei den Hörnern genommen und ihn gezwungen, auf dem Fleck stehen zu bleiben ... Heute weiß ich nicht, ob ich das noch bei einem ausgewachsenen Schaf fertig brächte!«
Lachend nahm der Soldat an dem Tische Zaklika's Platz; dieser ließ zu trinken bringen und bald herrschte das beste Einvernehmen zwischen ihnen.
»Offenbar um uns unsere Sünden abbüßen zu lassen, hat man uns hier zum Wachestehen verdammt,« meinte der Soldat. »Und wozu? ... Um ein paar Unterröcke zu bewachen! Meiner Treu, ich langweile mich hier zum Sterben! Wenn man wenigstens aus Rücksicht für uns dieser Gräfin ein paar hübsche junge Mädchen zur Dienstleistung zugewiesen hätte ... aber die Haushofmeisterin hat schon ihren Fünfziger auf dem Rücken, und was die Kammerfrau betrifft, so zählt sie sicher auch ihre vierzig Sommer. Sie sind Beide so unappetitlich, daß es selbst in dieser Wildniß Keinem von uns einfällt, Einer von ihnen die Cour zu machen.«
»Und werdet Ihr lange hier bleiben?«
»Das wissen die Götter! Es ist hier nicht gerade, um fett zu werden, aber vor lauter Schlafen wächst man sich an. Nicht die mindeste Abwechslung, nicht die mindeste Beschäftigung, außer dem Wachestehen, Essen und Schlafen!«
»Könnt Ihr Euch die Zeit nicht mit Kartenspielen vertreiben?«
»Mit wem denn? ... Es ist eine Seltenheit, daß Einem von uns ein paar Groschen in der Tasche bleiben, und selbst wenn das der Fall ist, denken wir nicht mehr daran, denn wir haben schon genug gespielt und sind dessen überdrüssig!«
Mißmuthig griff der Soldat nach seinem Schoppen, um zur Bekräftigung seiner Worte einen tüchtigen Schluck zu nehmen.
Zaklika hatte da eine sehr werthvolle Bekanntschaft gemacht. Als die Soldaten sich erhoben, um in das Schloß zurückzukehren, begleitete er sie anscheinend ganz absichtslos und immerfort plaudernd bis zum Schloßthore und auf ihre Einladung in das Innere des Schlosses. Die Kameraden der Zurückkehrenden, die auf Strohbündeln herumlagen, waren durchaus nicht unangenehm überrascht von dem Besuche, sie schienen vielmehr ganz erfreut zu sein, einmal ein neues Gesicht zu sehen. Raimund lachte und plauderte ganz herzlich mit ihnen, man brachte Karten herbei, und als der Fellhändler erst einige Thaler verspielt hatte, geriethen die Soldaten in die heiterste Laune. Als er sie verließ, äußerte er den Wunsch, sich das Schloß ein wenig näher zu besehen, und anstandslos ging er dann rings um die alten Mauern herum. Der commandirende Officier war in die Stadt geritten, wo er mit der Tochter eines reichen Fleischers musicirte und sich die Zeit vertrieb, so gut es eben ging.
Zaklika, der sich noch immer leidend stellte, verschob seine Abreise von Woche zu Woche; er durchstreifte die Gegend, kaufte da und dort Häute, zeigte sich sehr mürrisch und verdrießlich über den gezwungenen Aufenthalt und that nebenbei sein Möglichstes, recht oft unter irgend einem Vorwande in das Schloß zu kommen und womöglich bis zur Gräfin vorzudringen. Dem standen indes fast unüberwindliche Schwierigkeiten im Wege. Der Theil des Schlosses, wo Gräfin Cosel gefangen gehalten wurde, lag dem von den Soldaten bewohnten entgegengesetzt. Hier wohnte niemand außer dem alten Schloßverwalter. Durch die Vermittlung der Soldaten gelangte Zaklika endlich dazu, dessen Bekanntschaft zu machen, und er gab sich redliche Mühe, dieselbe auszunutzen. Der Schloßverwalter besaß eine zahlreiche Familie und war sehr geizig. Mit Hilfe seines Geldes gelang es Zaklika nach und nach, dies oder jenes, was ihm für seine Zwecke nutzen konnte, von dem Alten zu erfahren. Wo hinaus die Fenster der Gräfin lagen, wußte er bereits, und jetzt erfuhr er auch, wohin der geheime Gang führte, dessen eiserne Eingangsthür in dem runden Eckzimmer sich befand, das zur Wohnung der Gräfin gehörte. Jene Thür oder jener Gang führte nämlich in einen großen, unbewohnten Saal, in dem allerlei alte Urkunden, Geräthe, Waffen u. s. w. aufbewahrt wurden. Zaklika zeigte eine ganz besondere Vorliebe für Alterthümer und äußerte den lebhaften Wunsch, jenen Saal und seinen Inhalt zu besichtigen, allein der alte Verwalter, welcher die Schlüssel dazu verwahrte, schien ihn nicht zu verstehen.
Als die Beiden einst bei einander saßen und das Gespräch auf die gefangene Gräfin gekommen war, suchte Zaklika den Alten mürbe zu machen und ihm Mitleid für seine Herrin einzuflößen. Forschend blickte der etwas mißtrauisch Gewordene den Fremden an.
»Gräfin Cosel,« sagte Raimund leichthin, »zählt bei Hofe noch sehr viele und einflußreiche Freunde; ja, Manche behaupten, daß sie von einem Tage zum anderen wieder zu Macht und Ansehen kommen könne. Es würde mich durchaus nicht in Erstaunen setzen, Herr Herzog« – so nannte sich der Verwalter – »wenn eines Tages jemand zu Euch käme und Euch eine bedeutende Summe anböte, um die Gräfin auf einige Minuten sehen und sprechen zu können ...«
Aufmerksam spähte er nach dem Alten, um zu sehen, welchen Eindruck seine Worte auf ihn machten; dieser strich sich unruhig seinen grauen Bart.
»Was würdet Ihr wohl in einem solchen Fall thun?« fragte Zaklika möglichst unbefangen.
»Das wäre eine gefährliche Versuchung,« meinte Herzog kopfschüttelnd. »Meiner Treu, ich würde thun, was Luther mit dem Teufel that – ich würde dem Versucher mein Tintenfaß an den Kopf werfen.«
Er brach dabei in ein gezwungenes Lachen aus.
Aus dem Schlosse herauszukommen, war nach dem, was Zaklika gesehen, offenbar nicht besonders schwierig; viel schwerer erschien es ihm, die Mittel zur weiteren Flucht zu beschaffen, ohne der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, bevor man sicheres Gebiet erreicht hatte. Nicht die geringste Sorge verursachte Raimund die Wahl des Ortes, wohin man sich zu wenden hätte. Die guten Beziehungen, welche der sächsische Hof mit den Regierungen von Oesterreich und Preußen unterhielt, schlossen von vornherein den Gedanken aus, auf den Schutz eines dieser beiden Länder zu zählen. Polen schien Zaklika noch den sichersten Zufluchtsort zu bieten, und obwohl er schon seit langer Zeit alle Beziehungen zu seinem Heimatlande abgebrochen hatte, hoffte er doch, dort noch einige alte Bekannte und entfernte Verwandte aufzufinden, welche ihn nöthigenfalls unterstützen könnten. Er zog dabei namentlich auch die Thatsache in seinen Calcul, daß, wenn August der Starke in Polen auch viele Anhänger zählte, er dort auch eine beträchtliche Anzahl Gegner hatte.
Ebenso war es keine leichte Sache, die zu seinem Unternehmen nöthigen Pferde und Menschen in Sachsen ausfindig zu machen, wo der Hof überall seine Späher hatte.
Zaklika schrieb, nachdem er mit sich über die nächsten Schritte im Reinen war, einige Zeilen an die Gräfin, worin er sie verständigte, daß er abreisen werde, um alles Nöthige für ihre Flucht vorzukehren; er befestigte das kleine Billet unbemerkt an dem grauen Faden, welchen die Gräfin vom Fenster ihres Thurmzimmers heruntergelassen hatte. Er besuchte dann noch den Schloßverwalter und ließ im Gespräche mit ihm durchschimmern, ohne ihm irgend etwas von seinem Plane zu verrathen, daß nicht fünfzig, sondern vielleicht tausend Thaler für ihn zu verdienen sein würden, wenn es sich träfe, daß man in einer wichtigen Sache seiner bedürfte.
»Mit dem netten Sümmchen von tausend Thalern,« sagte er zu dem Alten, ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfend, »könntet Ihr Euch ganz ruhig mit Euerer Familie in einem netten Häuschen jenseits des Rheins niederlassen und dort leben wie der Vogel im Hanfsamen.«
Der alte Verwalter erwiderte kein Wort, sondern lachte nur verstohlen vor sich hin, indem er zustimmend nickte.
Nachdem Zaklika noch die Soldaten im »Goldenen Hufeisen« in freigiebigster Weise regalirt hatte, verabschiedete er sich von ihnen, indem er versprach, daß er die Gegend bald wieder besuchen werde, um Häute aufzukaufen.
Das Geld, welches ihm Lehmann eingehändigt hatte, war vollauf genügend, um das geplante Unternehmen zu gutem Ende zu führen; in der Besorgniß jedoch, seine Hilfsmittel durch die Flucht ganz zu erschöpfen, entschied sich Zaklika definitiv für den Weg nach Polen als die billigste Route.
Nach der Abreise Raimund's verfiel Gräfin Cosel in einen fieberhaften Zustand. Jeden Tag lief sie unzähligemale zum Fenster ihres Thurmzimmers, in der Hoffnung, an dem dort hängenden Faden irgend eine Botschaft zu finden, welche sie zu beruhigen vermöchte. Aber die Zeit verstrich, ohne daß sie eine Nachricht erhielt, und sie verzehrte sich in Ungeduld, indem sie ganz vergaß, welche Schwierigkeiten es zu überwinden galt, um ihre Flucht zu bewerkstelligen. Die Gräfin schien zu glauben, daß der treue Pole sie sofort retten müsse, nachdem sie ihn darum gebeten hatte.
Inzwischen versuchte sie, eine der beiden Frauen, welche man ihr beigegeben hatte, an sich zu ziehen. Beide waren unfreundliche und schwer zugängliche Geschöpfe. Die Jüngere hatte indessen doch noch ein gutmüthigeres Gesicht und schien sogar ein gewisses Mitleid für die Gräfin zu empfinden. Nur mit dieser konnte sie hin und wieder ein paar Worte wechseln. Gräfin Cosel hatte ungeachtet ihrer Gefangenschaft ihr Benehmen gegen die sie bedienenden Personen in nichts geändert; sie war noch immer dieselbe hochmüthige Dame, wie da sie einst als Königin am sächsischen Hofe herrschte; sie duzte stets ihre Dienerschaft und wußte jede Vertraulichkeit fernzuhalten. Indessen zeigte, sie sich nun gegen Magdalena, die jüngere ihrer Dienerinnen, etwas freundlicher; es gelang ihr aber nur dadurch, sie zu gewinnen, indem sie sich über die ältere, die Haushofmeisterin, bei ihr beklagte und durch insgeheim gespendete kleine Geldgeschenke zwischen den beiden Frauenzimmern Eifersucht erweckte. Es dauerte indessen einen ganzen Monat, bis Magdalena einigermaßen Vertrauen zu ihr faßte.
Und Zaklika kam noch immer nicht!
Da er in Dresden sehr bekannt war, mußte er mit großer Vorsicht zu Werke gehen, um keinen Verdacht zu erregen. Sein Freund Haulik vermittelte ihm einige nützliche Bekanntschaften in Bautzen. Diesen Ort nahm er denn auch als Centrum seiner Operationen in Aussicht. Alle diese Vorbereitungen nahmen aber sehr viel Zeit in Anspruch. Der Sommer und der Herbst verflossen rasch und der Winter war herangekommen. Angesichts der schlechten Straßen und der leicht verfolgbaren Spuren bei einem Schneefall, wäre es gewagt gewesen, in dieser Jahreszeit etwas zu unternehmen. Zaklika kehrte also nach Nossen zurück, um die Gräfin zu bitten, sich bis zum Frühjahre zu gedulden. Herzog verschaffte ihm wieder eine Zusammenkunft mit derselben, während welcher die ins Vertrauen gezogene Magdalena Wache hielt, damit die Beiden nicht von Unberufenen überrascht würden. Die Unterredung währte denn auch länger als die erste und man konnte die Sache bis in die kleinste Einzelheit besprechen. Die Flucht wurde definitiv auf den Frühling vertagt; Zaklika zweifelte keinen Augenblick daran, daß Herzog, wenn man ihm eine ansehnliche Summe als Köder hinhielt, im entscheidenden Augenblicke zur Durchführung seines Planes die Hand bieten werde.
Der Winter gestaltete sich dieses Jahr besonders streng und hielt außerordentlich lange an. Nun ist es eine alte Erfahrung bei derlei Unternehmungen, wie Zaklika und die Gräfin sie planten, daß, je länger sich die Sache verzögert, die Chancen des Gelingens sich vermindern. Die Personen, welche man dabei nothgedrungen in das Geheimniß einweihen muß, gewinnen Zeit zur Ueberlegung, werden endlich ängstlich, beginnen zu plaudern und bald ist alles entdeckt und vereitelt. So ging es auch hier. Herzog ließ sich eines Tages, da er den Spirituosen etwas mehr als gewöhnlich zugesprochen hatte, in Gegenwart seiner Frau ein paar unkluge Worte entschlüpfen, welche diese neugierig machten: sie begann ihn geschickt auszuholen und erfuhr bald alles, was er selbst wußte. Diese Frau nun, welche noch habgieriger als ihr Gatte war, dachte sich, daß man am besten thäte, wenn man schon einmal dabei sei, nach zwei Seiten hin Verrath zu üben und mit beiden Händen den Lohn hiefür einzustreichen. Sie beredete also ihren Mann, scheinbar auf den Plan des Polen einzugehen, um von ihm das versprochene Geld zu erhalten, gleichzeitig aber die Behörden zu verständigen und ihnen die Flüchtlinge auszuliefern.
»Auf diese Weise,« sagte sie dem Schwankenden, »kann man ein nettes Sümmchen verdienen, sich gleichzeitig seine Stelle sichern, die Gunst des Hofes erwerben und setzt sich dabei nicht der mindesten Gefahr aus.«
Der Verwalter strich sich bei diesen Auseinandersetzungen seiner klugen Ehehälfte schweigend seinen Bart; es war an seinem Gesichte abzulesen, das ihm die Idee ganz wohl gefiel. Man mußte indessen das Frühjahr abwarten.
Gräfin Cosel, die sich durch die bestimmte Aussicht auf baldige Befreiung sehr gehoben fühlte, machte ihren beiden Dienerinnen zu Weihnachten werthvolle Geschenke, um sie sich geneigt zu machen. Magdalenen's fühlte sie sich auch schon so sicher, daß sie ihr eines Tages, ohne es eigentlich zu wollen, mehr verrieth, als gut war; sie forderte nämlich ihrer Kammerfrau das Versprechen ab, daß diese sie begleiten werde, falls sich bezüglich ihres Aufenthaltsortes im Frühjahr eine Veränderung ergeben sollte ... Diese Worte gaben der Frau sehr viel zu denken; eine unerklärliche Angst bemächtigte sich ihrer. Längere Zeit überlegte sie bei sich, was sie thun solle, endlich erwirkte sie sich unter dem Vorwande, ihrer Familie einen Besuch abstatten zu wollen, die Erlaubniß, auf einige Tage nach Dresden zu gehen. Ihre Schwester war im Hause der Dönhoff bedienstet und zu dieser begab sie sich sogleich nach ihrer Ankunft in der Stadt. Die Beiden berathschlagten nun und kamen zu dem Schlusse, daß es das Klügste sein werde, der Marschallin Bielinska das Gehörte mitzutheilen, da man sicher sein konnte, von ihr reichlich dafür belohnt zu werden.
Die Marschallin und ihre beiden Töchter erschraken natürlich nicht wenig, als wie ein Blitz aus heiterem Himmel plötzlich die Nachricht unter sie fuhr, daß die Cosel von Nossen zu entfliehen gedenke. Sogleich wurde Löwendahl davon verständigt. Dieser ordnete sofort die Festnahme der beiden der Gräfin beigegebenen Frauen, sowie die Ablösung der in Nossen liegenden Wache durch eine andere Compagnie Soldaten an. Man verdoppelte die Wachposten und der alte Schloßverwalter wurde noch am selben Tage nach Dresden abgeführt. Als Gräfin Cosel des anderen Morgens aufstand, fand sie in ihrem Vorzimmer einen ihr unbekannten Officier in Begleitung eines Beamten, welcher den Auftrag hatte, eine genaue Untersuchung einzuleiten und zugleich alle Schlösser und Thüren zu prüfen.
Diese bedrohlichen Maßnahmen brachten Gräfin Cosel sehr in Harnisch – allein, was wollte sie gegen die Gewalt ausrichten? Sie mußte alles ruhig über sich ergehen lassen. Sie wagte es nicht, sich um die Ursachen all dieser Veränderungen zu erkundigen, da sie Zaklika, über dessen Schicksal sie im höchsten Grade beunruhigt war, zu compromittiren befürchtete. Glücklicherweise hatte er in Nossen unter fremdem Namen sich aufgehalten und hatte ihn niemand gekannt; höchstens die Soldaten konnten plaudern ... Das von Zaklika erhaltene Billet hatte sie längst vernichtet, es blieb also kein Beweis irgend einer Schuld außer der Aussage Magdalenen's.
Von diesem Tage an war das Leben in Nossen für die Cosel vollends unerträglich geworden. Die neuen Dienerinnen, welche man ihr geschickt hatte, waren ganz und gar unzugänglich und verschlossen.
Als der Beamte mit seiner Untersuchung fertig war und sich zurückgezogen hatte, näherte sich der Officier, welcher ihn herbegleitet hatte, in respectvoller Haltung der Gräfin und sagte:
»Ihr werdet Euch wohl kaum mehr des unbedeutenden jungen Mannes erinnern, Frau Gräfin, welcher mehr als einmal in glücklicheren Zeiten, wenn er den Dienst bei Seiner Majestät zu versehen hatte, Euch sah und nicht vergessen konnte. Ihr könnt es mir aufs Wort glauben, Madame, daß die Aufgabe, die mir hier zutheil wurde, mir peinlich und schmerzlich ist; trotzdem machte ich keinen Schritt, mich ihr zu entziehen, in der Hoffnung, Euch so vielleicht irgend eine Kränkung ersparen zu können. Gestattet mir nun, die Bitte an Euch zu richten, Euere Lage nicht selbst zu verschlimmern!«
Die Gräfin warf ihm einen stolzen, fast abweisenden Blick zu. Nach einer Weile sagte sie: »Wenn Ihr mir beweisen wollt, daß Ihr Mitleid für mich fühlt, so sagt mir, was man in Betreff meiner entdeckt und wer mich denuncirt hat.«
»Die näheren Umstände sind mir nicht bekannt,« erwiderte der Officier; »alles, was ich weiß, ist, daß Löwendahl auf Befehl des Königs die Wache und das gesammte Personal des Schlosses gewechselt hat und daß der Schloßverwalter gefangen gesetzt und eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet wurde.«
»Und ist sonst niemand verhaftet worden?«
»Außer den zwei Frauen, welche zu Euerer Bedienung hier waren, niemand, so viel ich weiß,« antwortete der Officier; dann fügte er hinzu: »Ich werde täglich hierherkommen. Vor der Welt muß ich mich Euch gegenüber als hart und unzugänglich zeigen, Madame, aber wenn ich Euch irgendwie nützlich sein und etwas dazu beitragen kann, Euer Los zu erleichtern, so bin ich gern dazu bereit.«
Damit grüßte er und entfernte sich.
Es verstrichen einige Tage, während welcher sich die Gräfin in tödtlicher Angst um das Schicksal Zaklika's befand. Dieser weilte eben in Dresden, als sich das Gerücht verbreitete, daß ein Plan zur Befreiung der Cosel entdeckt und vereitelt worden sei. Seine erste Sorge war nun, sich zu verbergen, da er befürchten mußte, daß man nach ihm fahnde.
Es war zwar gewiß sehr unklug, sich bald darauf nach Nossen zu begeben, allein Raimund dachte sich, daß die Gräfin sehnsüchtig auf irgend ein Zeichen von ihm warte, um zu erfahren, ob er der Gefahr entgangen und frei sei.
Bis zu ihr zu gelangen, war nun aber ganz unmöglich; Tag und Nacht standen jetzt Schildwachen vor ihren Fenstern. Der arme Raimund irrte schon drei Tage, der Kälte und dem Schnee trotzend, als Bettler verkleidet, in der Umgebung des Schlosses umher und zerbrach sich vergeblich den Kopf, um ein Mittel ausfindig zu machen, der Gräfin eine Nachricht zukommen zu lassen, als er zufällig auf der Straße einem jener wandernden Krämer begegnete, die gegen die Weihnachtszeit zu mit einem kleinen Wagen von Ort zu Ort, von Haus zu Haus ziehen und ihre Waaren feilbieten.
Ein glücklicher Zufall fügte es, daß der Mann ein alter Bekannter von ihm war; er hatte ihn oft bei seinen wendischen Freunden in der Dresdener Vorstadt gesehen und ihm früher dann und wann eine Kleinigkeit für die Frau oder die Kinder Haulik's abgekauft. Beim Anblick dieses Krämers kam ihm plötzlich eine Idee.
»Ihr geht nach Nossen?« fragte er ihn.
»Ja, aber ich werde mich dort wohl nicht aufhalten.«
»Das ist sehr schade, denn Ihr würdet dort im Schlosse sicherlich gute Geschäfte machen, mein lieber Treu. Gräfin Cosel wohnt jetzt dort und obgleich sie eigentlich eine Gefangene ist, hat sie doch noch genug Geld und eine zahlreiche Dienerschaft um sich, so daß sie gewiß den Wunsch hegt, Einkäufe zu Weihnachtsgeschenken zu machen. Wenn es Euch gelingen sollte, bis zu ihr zu kommen, so würdet Ihr das schwerlich zu bereuen haben, das könnt Ihr mir aufs Wort glauben!«
Die Augen des alten Hausirers glänzten begierig.
»Ich danke,« sagte er, Raimund die Hand reichend, »der Rath ist nicht schlecht und ich werde ihn befolgen.«
»Die unglückliche Frau!« fuhr Zaklika fort; »sie ist jetzt recht unglücklich ... und doch ist ihr noch so viel geblieben, daß wir Beide damit mehr als genug hätten. Uebrigens könntet Ihr mir wohl einen kleinen Gefallen thun; wenn Ihr sie seht, so könnt Ihr eines ehemaligen Dieners von ihr erwähnen.« Dabei fuhr er sich mit der Hand über die Augen, wie um eine Thräne abzuwischen; »ja, ich habe auch einstmals in ihrem Hause gedient,« sagte er traurig vor sich hin.
»Und was soll ich ihr von Euch ausrichten?« fragte der Handelsmann theilnahmsvoll.
»O nichts, gar nichts ... oder sagt ihr, daß ihr ehemaliger Diener, der Hufeisen zerbrach, noch lebt und in der Welt umherirrt ...«
»Von Nossen werde ich direct nach Hause zurückkehren,« sagte Treu, »denn Weihnachten naht heran und dieses Fest will ich bei meiner Familie verbringen; wo werde ich Euch wieder treffen, falls ich eine Antwort zu bestellen hätte?«
»O, was das betrifft, so werden wir uns schon in der Gegend wieder sehen, wahrscheinlich wieder auf der Straße, denn ich jage hier Hasen.«
Wie jeder Kaufmann, wenn ihm ein Gewinn in Aussicht steht, ließ sich der Krämer die Sache sehr angelegen sein. Nachdem er Zaklika verlassen und in der Herberge etwas ausgeruht hatte, nahm er seinen transportablen Kramladen auf den Rücken und ging damit nach dem Schlosse. Die Wachen, welche diesfalls strenge Ordre hatten, wollten ihn nicht passiren lassen, allein der Alte ließ sich nicht so leicht abweisen und machte dabei so viel Lärm, daß der Officier herbeilief, um zu sehen, was es gebe.
Mit diesem konnte er sich viel leichter verständigen; er schickte zu der Gräfin und ließ fragen, ob sie vielleicht etwas zu kaufen wünsche. Ob diese nun hoffte, sich damit ein wenig zu zerstreuen, oder ob sie ahnte, daß der Krämer noch irgend etwas anderes als seine Waaren bringe – genug, sie ließ ihn zu sich bescheiden.
Der Waarenvorrath des armen Handelsmannes war nun allerdings nicht darnach beschaffen, um ein an den größten Luxus und die kostbarsten Dinge gewohntes Auge zu fesseln, allein für den Gefangenen ist jede Gelegenheit zur Zerstreuung erwünscht. Gleichgiltig und geringschätzig musterte Gräfin Cosel fast Stück für Stück der zum Verkauf ausgelegten Gegenstände. Als Treu sah, daß sie allein waren, erinnerte er sich des Auftrages, welchen er von Zaklika erhalten hatte; er näherte sich der Dame und sagte leise zu ihr:
»Man hat mich ersucht, Frau Gräfin, Euch zu sagen, daß Euer treuer Diener, der Hufeisen zerbrach, wohlauf ist und in der Welt herumstreift.«
Der Krämer war nicht wenig überrascht von der schnellen Veränderung, welche seine Botschaft in den Zügen der Gräfin hervorbrachte; ein heller Freudenstrahl flog über ihr Gesicht, als sie die Worte des Alten hörte.
»Wer hat Dir den Auftrag gegeben, mir das zu sagen?« fragte sie hastig.
»Der Betreffende selbst, Madame,« erwiderte Treu. »Ich traf ihn hier in der Nähe. Wenn ich nicht irre, sagte er mir, daß er hier jage.«
Die Worte des Krämers wirkten wie ein Talisman; denn plötzlich fand die Gräfin zur großen Freude des Krämers alle seine Waaren vortrefflich und nach wenigen Minuten war sein Lager fast ausverkauft. Nachdem sich die Gräfin die Worte Zaklika's nochmals hatte wiederholen lassen, bezahlte sie den ambulanten Kaufmann und entließ ihn. Dieser begab sich wieder nach dem »goldenen Hufeisen« und machte auch hier noch so gute Geschäfte, daß er beschloß, da zu übernachten. Des anderen Morgens machte er sich mir bedeutend gelichtetem Waarenvorrath und gefüllten Taschen auf den Rückweg nach Dresden. In geringer Entfernung von Nossen traf er an einer einsamen Stelle der Straße wieder auf Zaklika.
»Nun,« fragte der Pole, »habt Ihr die Gräfin gesprochen, habt Ihr meine Botschaft ausgerichtet?«
»Das ist gewiß! Uebrigens schien die Gräfin darüber sehr erfreut zu sein! ... Und was ich für famose Geschäfte sowohl im Schlosse als in der Herberge gemacht habe! Ich bin Euch sehr dankbar; Gott vergelte es Euch!«
Zaklika lag es auf der Zunge, dem Manne zu sagen, daß er zum Mindesten gleich viel Ursache habe, ihm dankbar zu sein. Indessen hielt er an sich und drückte dem Alten nur freundschaftlich die Hand, worauf dieser, ein lustiges Liedchen pfeifend, seine Straße zog.
Inzwischen nahm die Untersuchung gegen die drei Verhafteten ihren Verlauf; sie wurden strengen Verhören unterzogen. Der alte Herzog war ein zu geriebener Bursche, um sich ein Geständniß herauspressen zu lassen; auch die beiden Frauenzimmer sagten, erschreckt über die unerwarteten Folgen ihres Uebereifers, sehr reservirt aus. Nach einigen Tagen ward Herzog in Freiheit gesetzt, jedoch seines Amtes enthoben; ebenso wurden die beiden Frauen ohne jede Entschädigung entlassen.
Die Plauderei der Letzteren blieb indessen nicht ohne weitere ernsten Folgen. König August fürchtete die Gräfin zu sehr, um bei dem, was er erfahren hatte, gleichgiltig zu bleiben, er kannte sie zu genau, um nicht zu wissen, wie ernst er ihre Drohungen zu nehmen habe. Er war durch die Nachricht von dem geplanten Fluchtversuch von Nossen nicht wenig beunruhigt und gab sofort Befehl, in Stolpen einige Zimmer herzurichten und die Gräfin dorthin zu überführen. Dieses befestigte Schloß schien ihm als Gefängniß mehr Sicherheit zu bieten als Nossen.
So wollte es eine sonderbare Fügung des Schicksals, daß die unglückliche Frau in demselben alten Schlosse der Bischöfe von Meißen, das sie einige Jahre vorher mit ihrem geliebten August besucht hatte, nicht weit von dem Orte, wo die alte Hexe Mlawa ihr dazumal so düstere Prophezeihungen gemacht, die wenigen Jahre eines Glückes, welches ihr die neidischen Höflinge nicht verzeihen konnten, abbüßen sollte!
Als August die erwähnte Ordre gab, leitete ihn dabei weniger eine augenblickliche Zorneswallung über die Hartnäckigkeit der muthigen Frau, welche sich durch nichts davon abbringen ließ, auf ihrem vermeintlichen Rechte zu bestehen, als ein unbestimmtes Gefühl der Furcht für sein eigenes Leben. Von diesem Moment an war Gräfin Cosel verloren, den niemals verzieh der König Denjenigen, welche es wagten, ihm offen Trotz zu bieten oder gar ihn einschüchtern zu wollen ...
Zwei Tage vor dem Weihnachtsabend war im Schlosse zu Nossen eine ganz ungewohnte Unruhe und Bewegung zu bemerken ... Vor dem Thore harrte ein Wagen, umgeben von einer Reiterescorte, um Gräfin Cosel nach Stolpen zu bringen.
Der Officier, den wir schon kennen lernten, fand nicht den Muth, der Gräfin die Nachricht von ihrer Uebersiedlung mitzutheilen. Er fühlte tiefstes Mitleid mit ihr, denn so schmerzlich ihr auch die Gefangenschaft bisher schon gewesen sein mochte, so war dies doch nichts im Vergleiche zudem, was nun ihrer wartete.
Als Gräfin Cosel das Geräusch und Getrappel im Hofe vernahm, sprang sie unruhig von ihrem Stuhle auf, warf die alte Bibel, in welcher sie eben geblättert hatte, auf den Tisch und lief zur Thür. Es war ihr plötzlich ein beseligender Gedanke gekommen. Sie hatte schon so oft in Stunden beschaulichen Nachdenkens sich gesagt, daß August, gerührt von ihrem Unglück, eines Tages Mitleid fühlen, sein Herz der Wahrheit und Gerechtigkeit erschließen werde ... Was Wunder also, daß sie nun von der Hoffnung ergriffen ward, daß das Getöse, welches sie vernahm, für sie die Befreiung, die Erlösung bedeute!
Zitternd war sie an der Thürschwelle stehen geblieben, als diese sich öffnete und ein Mann in Amtstracht eintrat, der sie mit einer tiefen Verbeugung begrüßte. Die Gräfin wich rasch einen Schritt zurück und preßte die Hand auf ihr stürmisch pochendes Herz. Das Erscheinen eines Beamten hatte ihr bisher stets nur Schlimmes gebracht. Der Mann hielt in einer Hand ein mit dem königlichen Siegel versehenes Schriftstück, in der anderen seine Brille.
»Was wollt Ihr?« fragte die Gräfin mit zitternder Stimme. »Sprecht, was wollt Ihr hier?«
»Gräfin Cosel, ich habe von seiner Majestät den Befehl erhalten, Euch sofort nach Stolpen zu geleiten,« erwiderte der Mann des Gesetzes; »diesen Ort hat der König als Euere fernere Residenz Euch gnädigst anzuweisen geruht.«
Ein markdurchdringender Schrei entrang sich den Lippen der Gräfin; sie mußte sich gegen die Mauer lehnen, um nicht umzusinken. Im nächsten Augenblick aber gerieth sie in einen ganz unbeschreiblichen Zustand der Aufregung; sie rannte in heller Verzweiflung gegen die Thür, als wollte sie sich den Kopf zerschmettern. Auf den Schrei waren ihre zwei Dienerinnen herbeigeeilt, welche sie nun mit Gewalt festhalten wollten; allein mit übermenschlicher Anstrengung entwand sich Anna ihren Armen und ein schreckliches Wuthgeheul, ein Gemisch von unarticulirten Klagelauten und bitteren Verwünschungen entströmte ihrem Munde.
Der Beamte stand rathlos und bleich vor Schrecken dieser Scene gegenüber.
Man sah sich genöthigt, um den königlichen Befehl auszuführen, die Gräfin gewaltsam nach dem Wagen zu tragen, der ihrer wartete. Nachdem sie in Krämpfe verfallen war, wobei sie bald wild um sich schlug, bald laut schluchzte und schrie, verfiel sie endlich in einen Zustand völliger Erschöpfung.
Es war am 24. December 1716, als sich hinter der unglücklichen Frau die Thore des Schlosses Stolpen schlossen und ihre thränenerfüllten Augen die düsteren Umrisse des Thurmes Sanct Johann erblickten, der von da ab ihr Gefängniß sein sollte.