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Die Sprengung der Brücke Tail-Nasrab war in Delhi von einem einstimmigen Jubelschrei begleitet, der sich jauchzend unzählige Male wiederholte. Die Indier hatten das Bauwerk ihrer Väter nicht geschont, als es galt, den Feinden einen Schaden zuzufügen, und dieser war auch ganz empfindlich. Die Engländer mußten eine neue Brücke konstruieren, denn die schwimmende war kaum imstande, Kavallerie, viel weniger Artillerie über den Strom zubringen.
Zeit war auf jeden Fall gewonnen worden.
Alles freute sich über die gelungene Sprengung nur das Mädchen nicht, welches in einem Gemache im Hause der Duchesse auf und ab wanderte. Als die Detonation erscholl und die Feuergarbe zum Himmel aufschlug, hatte sie nur einen flüchtigen Blick zum Fenster hinausgeworfen und dann ihren ruhelosen Gang fortgesetzt.
Ein Mann trat mit demütigem Gruß ins Zimmer.
»Endlich kommst du, Sinkolin! Ich habe dich schon seit einigen Tagen ungeduldig erwartet. Nun?«
»Es ist gelungen, Begum,« entgegnete der kleine Mann, »des Franzosen technische Kenntnis hat uns einen Triumph bereitet. Die Brücke ist verschwunden.«
»Ich spreche nicht davon. Hast du ihn gefunden?«
Sinkolin wollte etwas anderes nicht hören oder war so begeistert, daß er diese Frage ganz überhört.
»Es dürfte den Engländern schwer werden, eine feste Brücke in Kürze über den Strom zu schlagen,« fuhr er fort, »dafür wollen wir wohl sorgen.«
»Ja doch! Was weißt du von Mister Reihenfels? Was hast du, Sinkolin?«
Des Gauklers Gesicht hatte sich plötzlich verändert.
Erst vor Triumph und Freude strahlend, drückte sich jetzt Niedergeschlagenheit, ja, sogar Furcht darin aus. Er zögerte sichtlich, eine Antwort zu geben.
Das Mädchen trat schnell vor ihn hin und sah ihn ängstlich fragend an.
»Sinkolin, was ist?« flüsterte sie, wie von einer schlimmen Ahnung erfaßt. »Sprich, ich will es erfahren, ich lese Schreckliches in deinen Zügen!« rief sie jetzt hastig und schüttelte den Gaukler dabei am Arm.
Sinkolin zuckte bedächtig die Schultern.
»Begum, ich weiß nicht, ob ich es jetzt wagen darf.«
»Sprich, ich befehle es dir! Was ist mit Reihenfels?«
»Fasse dich, Begum! Dein Freund zählt nicht mehr zu den Lebenden.«
Das Mädchen taumelte zurück.
»Was – was sagst du da?« stammelte sie.
»Dein Freund ist tot! Ich sah ihn sterben, ohne ihm helfen zu können.«
Die Begum schien es noch nicht glauben oder noch nicht fassen zu können; mit geisterhaften Augen starrte sie ihren Ratgeber an. »Nein, nein, Sinkolin, es ist nicht wahr!« schrie sie dann auf. »Du sagst es nur, um mich zu erschrecken. Es ist nicht möglich, er ist nicht tot!«
»Doch, Begum! Was nützt es, dir die Wahrheit zu verhehlen? Ich sah, wie er erschossen wurde.«
Über die Lippen des Mädchens kam ein ächzender Laut. Sie warf sich auf den Diwan und verhüllte das Gesicht in den Händen, hinter denen hervor leises Schluchzen erklang. Dabei wurde ihr Körper wie vom Krampf erschüttert.
Sinkolin verweilte teilnahmslos an der Tür.
Als sie sich aufrichtete, hatte sie ihre Fassung wiedererlangt. Das Gesicht war ruhig, kein Kummer oder Schmerz war darin zu lesen, es war wie aus Marmor gemeißelt, nur das Auge blickte müde.
»Bist du noch da, Sinkolin?« sagte sie leise und wie verwundert. »Du hast lange hier gewartet!«
»Nicht doch, Begum, es war nur ein Augenblick.«
»Mich dünkte es viele Stunden. Erzähle, was du gesehen hast! Wie ist er gestorben?«
»Er ist erschossen worden.«
»Von den Unsrigen?«
»Nein, von den Engländern.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Als er aus Delhi kam, trug er die Uniform der Sepoyoffiziere, die Engländer nahmen ihn als Spion fest, und trotzdem er seinen Namen nannte und sich als Oskar Reihenfels legitimierte, zögerte Lord Canning keinen Augenblick, sondern unterschrieb sofort sein Todesurteil. Kurz vor der Sprengung ist Reihenfels an der Brücke von sechs Buranis als indischer Spion erschossen worden. Ich sah, wie er nach dem Herzen griff und dann rücklings in den Strom stürzte. ›Die Begum wird mich rächen!‹ waren seine letzten Worte.«
Das Mädchen hatte sich halb erhoben, es blickte den Sprecher mit einem furchtbaren Ausdruck an.
»Sinkolin,« flüsterte sie, »erzähle mir keine Fabel.«
»Nichts als die Wahrheit, Begum. Erkundige dich bei anderen Spionen, ob sie nicht dasselbe sagen. Ich, der ich mich, als Sepoy verkleidet, im englischen Lager aufhielt, habe alles selbst gesehen und gehört und weiß noch viel mehr.«
»Lord Canning war Reihenfels' Freund.«
»So sagte er stets und sagt es noch jetzt.«
»Und er sollte Reihenfels Tod nicht verhindert haben?«
»Er hat ihn sogar veranlaßt.«
»Hat er ihn nicht selbst nach Delhi geschickt?«
»Er tat es, gesteht es auch zu. Daß er aber seines Freundes Todesurteil unterzeichnet habe, leugnet er ab, und doch hat er es getan. O, alles ist Lug und Trug!«
»Erzähle, Sinkolin, damit ich klar sehe! Verheimliche mir nichts!«
»Wann Reihenfels als Spion verhaftet worden ist, weiß ich nicht, jedenfalls aber ist es geschehen, als er, als Sepoyoffizier verkleidet, das englische Lager betrat. Er war ja von Lord Canning selbst nach Delhi geschickt worden, um die Rettung seiner Schwester, Cannings Braut, zu versuchen. Dies alles habe ich jetzt im Lager erfahren. So glaubte er, nach erfolgter Legitimation würde man ihn sofort auf freien Fuß setzen. Lord Canning aber ist ein Schurke.
Ohne daß Reihenfels darum wußte, hat er durch Vermittlung eines Juden mit uns Unterhandlungen angeknüpft, um seine Braut zu erkaufen, den Juden mit 10 000 Pfund bestochen und uns Versprechungen gemacht. Dann bekam er Furcht, Reihenfels könnte hier von seinem heimlichen Tun erfahren, und ließ ihn einfach ermorden ...«
»Aber er hat das Todesurteil unterschrieben!« »Er leugnet es. Drüben im englischen Lager herrscht jetzt nur die Lüge. Die Ordonnanz, welche Canning das Todesurteil zur Unterschrift gebracht hat, hat sich selbst getötet, weil er fürchtete, man würde ihn durch die Folter zu einer falschen Aussage zwingen; jeder, der etwas zugunsten Reihenfels sagen will, stirbt eines unnatürlichen Todes ...«
»Halt, genug davon! Bringe mir Beweise, daß Lord Canning an Reihenfels Tode schuld ist!«
Sinkolin blickte prüfend in das Gesicht des Mädchens, das plötzlich dunkelrot geworden war, und in die wieder blitzenden Augen.
»Ich kann dir Beweise bringen. Einmal den Wechsel, den Lord Canning dem Juden gab.«
»Das ist nichts!«
»Dann das Todesurteil.«
»Ah, wie kommst du zu diesem?«
»Die sechs Soldaten, welche Reihenfels erschossen, sind, wie ihre beiden Offiziere, bei der Sprengung durch umhergeschleuderte Steine getötet worden, kurz nach der Exekution.
Ich wußte schon, daß Lord Canning leugnete, das Todesurteil unterschrieben zu haben; er eilte sofort hin, dem Offizier das Schreiben abzunehmen, ich aber kam ihm zuvor und bemächtigte mich des Papiers. Lord Canning untersuchte vergebens die Taschen des toten Offiziers.«
»Sinkolin, deine Behauptungen klingen ungeheuerlich.«
»Und doch ist alles so. War Reihenfels als Spion bei dir?«
»Nein.«
»Aber man hat in seinen Taschen Papiere gefunden, die ihn als Spion verdächtigten.«
»Woher kamen diese? Reihenfels war kein Spion!«
»Die Leute, welche ihn untersuchten, mußten sie erst in seine Taschen stecken – natürlich auf Veranlassung Lord Cannings.«
»Du häufst Schuld auf Schuld auf diesen. Du bezeichnest ihn als Verräter.«
»Ebenso, wie er Reihenfels Tod veranlaßte, hat er auch Verrat begangen, um seiner Braut habhaft zu werden. Soll ich dir den Beweis bringen, daß Lord Canning schon einmal Hochverrat begangen hat, und daß ein anderer für ihn büßen mußte? O, Begum, es ist nicht das erstemal, daß er einem anderen die Schuld zuschiebt und sich unschuldig stellt. Wie er Reihenfels hingemordet hat, so mußte schon einmal ein anderer für ihn unschuldig büßen.«
So träufelte Sinkolin Gifttropfen auf Gifttropfen in das Ohr des Mädchens, und dieses glaubte ihm.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Das Zelt zum Empfange der Begum war bereit. Flüsternd unterhielten sich die Offiziere und betrachteten den Zug, der sich aus den Toren Delhis dem englischen Lager zu bewegte.
Heute sollten sie alle das kriegerische Mädchen sehen, an dessen Existenz man jetzt nicht mehr wie früher zweifelte.
Auch Lord Canning war gespannt. Dieses Mädchen hatte ihm einmal während der Nacht einen geheimnisvollen Besuch abgestattet, sonst hatte er es noch nicht gesehen.
Aber man hatte sich getäuscht, als man glaubte, daß die Begum im Stahlpanzer auf feurigem Pferde geritten kommen würde. Es nahten sich einige Sänften, nur einige Männer waren zu Pferde, aber so verhüllt, daß man sie nicht erkennen konnte.
Der Herold versprach ihnen an der Grenze des Lagers vollkommene Sicherheit ihrer Person und geleitete sie weiter. Die Reiter sprangen ab, die Sänften wurden in das große Zelt getragen, welches sich an das Beratungszelt lehnte, dann traten die Sänftenträger heraus und hielten sich in einiger Entfernung auf.
Es war nicht nach Namen gefragt worden, wie es vorher ausgemacht worden war.
In dem Beratungszelte befanden sich Lord Canning und alle jene Offiziere, welche zum Stabe gehörten und um das Vorgefallene wußten. Man glaubte allgemein, die Begum oder ihre Räte würden Kriegsunterhandlungen betreiben wollen, nur Lord Canning ahnte etwas anderes, was ihn persönlich betraf.
Dennoch dachte er nicht daran, die Offiziere zu entfernen.
Der Zwischenvorhang ward zurückgeschlagen, und ein Weib, das Gesicht unverhüllt, betrat das Zelt. Einige der Offiziere erkannten in der völlig schwarz gekleideten Gestalt die Begum von Dschansi, man flüsterte dies Canning zu.
Das Mädchen trat an den in der Mitte stehenden Tisch, stützte sich darauf und schaute sich schweigend im Kreise der Offiziere um. Wie früher, so loderte auch jetzt eine seltsame Glut in den Augen, aber sie blickten wie drohend, die Stirn war finster gerunzelt, das ganze Gesicht hatte einen strengen Ausdruck.
Lord Canning trat auf sie zu.
»Bist du es, welche sich die Begum von Dschansi nennt, welche die Rebellen gegen uns anführt, und die gewünscht hat, eine Unterredung mit mir zu haben?«
»Ich bin die Begum von Dschansi, eure Feindin!« entgegnete des Mädchens Altstimme.
»Wo ist Lord Canning, der Generalgouverneur von Indien?«
»Er steht vor dir. Ich bin Lord Canning!«
Wie ein zuckender Blitz traf ihn der Blick des Mädchens.
»Ich wollte dich allein sprechen.«
»Für meinen Feind bin ich nur in Anwesenheit meiner Offiziere zu sprechen, nicht, weil ich ihn fürchte, sondern weil meine Offiziere wissen müssen, was ich zu unterhandeln habe.«
»So fürchtest du nicht, daß sie erfahren, was ich mit dir zu sprechen habe?«
»Nein, denn ich habe ein reines Gewissen. Willst du mich anklagen? Sprich die Anschuldigung aus, ich werde mich verteidigen. Fürchte nicht für dein Leben und für das der Deinen, ich werde mich nur durch mein Wort verteidigen.«
Die Begum machte eine geringschätzende Handbewegung und atmete tief auf.
»Ich bin hier,« begann sie dann, »um dich zu fragen, wo sich Mister Reihenfels befindet.«
Also das war es! Immer und immer wieder Reihenfels! Hatte man doch nicht gelogen, als gesagt wurde, dieser sei der Geliebte der Begum? Dann lag allerdings Grund zum Verdacht gegen ihn vor. Kam das Mädchen hierher, um Rechenschaft von den Engländern zu fordern? »Mister Reihenfels, mein Freund, ist nicht mehr,« sagte Canning niedergeschlagen. »Er ist tot!«
»Wie hat er seinen Tod gefunden?«
»Frage nicht, wenn du es schon weißt!«
»Er ist erschossen worden!«
»Ja, durch ein unglückseliges, uns völlig rätselhaftes Mißverständnis!«
»Rätselhaft? Mißverständnis?« klang es schneidend zurück. »Mister Reihenfels ist nach kriegsgerichtlichem Erkenntnis, unterzeichnet von dir, Lord Canning, als indischer Spion erschossen worden.«
»So hat sich also diese Lüge auch schon nach Delhi gefunden? – Ein sicheres Zeichen, daß es in unserem Lager von Spionen wimmelt. Nun, ich hebe meine Hand auf, sie ist rein an dem vergossenen Blute und mag verdorren, wenn ich das Urteil unterschrieben habe!«
Die Begum lächelte verächtlich.
»Wo ist die Ordonnanz, welche dir das Urteil zur Unterschrift brachte?«
»Sie ist tot.«
»Sie ist auf deinen Befehl ermordet worden.«
Lord Canning fuhr auf, ebenso die Offiziere. Das war zu viel, das durfte er sich nicht sagen lassen, wenn die Person des Mädchens auch heilig war, solange sie sich im Lager befand.
»Begum von Dschansi,« sagte er leise, »hüte dich, deine Freiheit zu mißbrauchen!« »Die Ordonnanz ist von dir oder auf deinen Befehl ermordet worden,« wiederholte die Begum, als ob sie den Hergang nicht völlig wüßte, »und ich kann beweisen, daß du mit uns, deinen Feinden, allerdings ohne mein Wissen, Unterhandlungen angeknüpft hast, um deine Braut zu retten, sie aus ihren Händen zu erhalten, du hast Reihenfels nach Delhi geschickt, aber nicht, damit er deine Pläne ausführe, sondern damit du ihn als Spion verdächtigen kannst. Du tatest es auch, aber damit du dich selbst freisprechen konntest, leugnest du, das Urteil unterschrieben zu haben.«
Canning beherrschte sich noch.
»Auch du bist von demselben Irrtum befangen,« sagte er ruhig; »ich will noch einmal versuchen, dich von demselben zu überzeugen.«
»Gib dir keine Mühe, es wird dir nicht gelingen, dich reinzuwaschen. Beantworte mir nur noch einige Fragen.«
»Ich will es der Wahrheit gemäß tun.«
»Hast du Reihenfels nach Delhi geschickt?«
»Ja.«
»Warum?«
»Er sollte versuchen, seine Schwester zu befreien.«
»Und du selbst hast ohne sein Wissen dich bemüht, dasselbe zu erreichen, hast mit deinen Feinden Unterhandlungen gepflegt?«
»Ich tat es nicht.«
Das Mädchen zog unter ihrem Mantel ein kleines Papier hervor, legte es auf den Tisch und deckte ihre Hand so darüber, daß nur eine Zeile sichtbar blieb, und zwar die Unterschrift Lord Cannings.
»Ist dies deine Unterschrift?«
Canning beugte sich darüber und konnte eine Unruhe nicht verbergen.
»Es ist mein Name, anscheinend von mir geschrieben.«
Die Begum nahm die Hand von dem Papier.
»Sieh, dies ist der Wechsel über 10 000 Pfund, den du dem Juden Sedrack ausgestellt hast, damit er Franziska Reihenfels nach Tokirha bringt. Leugne nicht, es steht alles hier.«
Sie gab ihm das Papier, Canning glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen.
»Ich habe diesen Wechsel nicht ausgestellt; meine Handschrift ist gefälscht worden,« stieß er hervor, »und zwar meisterhaft gefälscht.«
»Natürlich,« spottete das Mädchen, »ich konnte mir lebhaft denken, daß du etwas derartiges vorbringen würdest.«
»Weib,« brauste Canning jetzt auf, »beleidige mich nicht länger! Ich sage, diese Unterschrift ist gefälscht worden.«
»Ebenso wie dieses vielleicht?«
Sie hielt ihm ein anderes Schreiben hin – das Todesurteil Reihenfels, die Unterschrift Lord John Cannings tragend.
Canning wollte danach greifen, sich des Schreibens bemächtigen, aber schnell entzog es ihm das Mädchen.
»Lies es, doch in deine Hände kommt es nicht.«
Er las es; Zornesröte stieg in seinem Gesicht auf.
»Es ist nicht von mir unterschrieben, nicht von mir ausgefertigt worden. Alles ist Lug, Trug und Fälscherei. Wie kommst du zu diesem Papier?«
»Es wurde bei Kapitän Barber gefunden; einer meiner Leute untersuchte seine Taschen, noch ehe du hinzukamst und Gelegenheit fandest, dich des Urteils wieder zu bemächtigen, das dich des Mordes an Reihenfels anklagte. Ja, Lord Canning, du hast diesen ermorden lassen, weil er dir unbequem wurde. Er wußte von deiner Verräterei, die du hinter seinem Rücken getrieben, er wußte vielleicht noch mehr von dir, du fürchtetest ihn, und so hast du dich seiner entledigt, indem du ihn erst als Spion verdächtigtest und dann schnell erschießen ließest. Damit du etwaigen Vorwürfen entgingst, leugnetest du, das Urteil unterschrieben zu haben, stelltest dich unschuldig. Doch ich durchschaue dich und deine Pläne – du hast Reihenfels ermordet.«
»So ungeheuerlich auch deine Anschuldigungen sind, sie lassen mich ruhig,« entgegnete Canning kalt, »und sieh, alle diese Offiziere, an deren Treue niemand zweifelt, glauben dir ebensowenig. Mich des Verrats zu beschuldigen, ist einfach lächerlich.«
»Wie kommt es dann, daß Franziska nach Tokirha gebracht worden ist?«
»Ist sie es? Das freut mich. Schon sind meine Leute nach dort unterwegs, sie abzuholen.
Wird sie gefunden, so werde ich glücklich sein. Erklären kann ich mir nicht, was dich veranlaßt hat, sie freizugeben. Höchstens das trieb dich dazu, damit du ein Mittel hast, gegen mich als Ankläger aufzutreten. Gib dir keine Mühe mehr, es gelingt euch trotz aller Intrigen nicht, mich als Verräter hinzustellen. Was überhaupt soll ich verraten haben? Dieser gefälschte Wechsel beweist gar nichts.«
»Deine Verräterei ist hinter meinem Rücken betrieben worden, ich weiß nichts davon und gehe auf solche Sachen nicht ein.«
»Nun, es kann ja sein, daß vielleicht Pläne vorgelegt werden, die ich dem Feinde ausgehändigt haben soll. Zeige sie, man wird dir doch nicht glauben.«
»Es scheint allerdings, als ob du über jeden Verdacht erhaben daständest. Doch nicht in meinen Augen. Der Jude ist in deinen Händen, wie ich gehört habe. Führe ihn hierher, laß ihn dir gegenübertreten. Wir wollen hören, was er mit dir ausgemacht hat.«
»Das ist es ja, was ich haben wollte. Du wirst aus seinem Munde erfahren, daß ich diesen Wechsel gar nicht unterschrieben habe. Eure Intrigen waren zu fein gesponnen. Der Jude hat die Fäden selbst nicht gesehen und hat sich daher selbst in den Schlingen gefangen. Du wirst hören, daß der Jude jetzt etwas ganz anderes sagen wird.«
Ein Offizier wurde abgeschickt, Sedrack zu holen.
Die Begum war unruhig geworden, Canning hatte so sicher und überzeugend gesprochen.
Es verging einige Zeit, ehe der Offizier zurückkam – allein mit verstörtem Gesicht.
»Sedrack ist fort – verschwunden – seinen Wächtern entflohen!«
Bestürzung ergriff die Offiziere, am allermeisten Canning.
»Ah, sieh da,« ergriff die Begum spöttisch das Wort, »also auch des Juden hat man sich entledigt, ebenso wie der Ordonnanz, damit er nicht mehr gegen dich auftreten kann.«
»Keine Beleidigung mehr,« brauste Canning auf, »nun ist es genug. Nicht von mir, sondern von den Deinen oder von dir selbst werden die Ankläger beseitigt, damit es nur bei ihrer Anklage bleibt. Genug davon, sage ich, ich werde mich gar nicht mehr verantworten.«
»Das sollst du auch nicht. Mir ist es gleichgültig, ob du ein Verräter bist oder nicht, das mache mit deinen Offizieren aus. Etwas anderes will ich wissen, nämlich, ob ich dich richtig beurteilt habe. Ich will erfahren, ob man dich bei mir nur verleumdet hat oder nicht, und darnach werde ich mein Verhalten richten. Lord Canning, du bist beschuldigt, schon einmal einen Hochverrat begangen zu haben!«
»Mich wundert nichts mehr,« lächelte Canning, »wann soll dies gewesen sein?«
»Damals, als du Sekretär im geheimen Kabinett zu Akola warst.«
»Ah, also damals. Das ist mir neu. Nun, und?«
»Kennst du diese?«
Als wäre ihr ein Zeichen gegeben worden, so trat plötzlich durch den Zwischenvorhang eine weibliche Gestalt ein, ebenfalls in schwarze, indische Gewänder gekleidet.
Lord Canning erkannte sie sofort.
»Ah, das ist ja Signora Rosa Bellani, die Duchesse,« rief er, mehr höhnisch als verwundert, »so hatte ich doch recht, als ich sie für eine französische Spionin hielt! Übrigens weiß ich auch, daß sie die Schwester der Lady Carter und das Weib oder vielmehr die Lieblingsfrau Nana Sahibs ist. Madame, Sie spielen eine vielseitige und ganz erbärmliche Rolle.«
Die letzten auf englisch gesprochenen Worte verfehlten nicht ihre Wirkung. In gehässigem Feuer sprühten die Augen des Weibes auf.
»Ihre Worte beleidigen mich nicht!« entgegnete sie, sich zur Ruhe zwingend. »Ich bekenne mich offen als Feindin der Engländer.«
»Ihre Offenheit kommt allerdings etwas spät,« spottete Canning weiter. »Sie haben jahrelang sich ehrlich bemüht, Ihren wahren Charakter zu verbergen. Nun, gnädigste Begum, Königin von Indien, was soll diese ehrenwerte Dame gegen mich aussagen? Was für einen Plan hat sie in ihrem Harem ausgeheckt?«
»Spare deinen Hohn!« entgegnete die Begum. »Den Beweis, den das Weib Nana Sahibs bringen soll, gilt nicht für die Deinen, sondern allein für mich. Also du kennst sie?«
»Gewiß kenne ich sie. Leider stammt sie aus meinem Heimatlande und ist die Schwester einer Dame, die ich hoch verehre!«
»Gestehst du, die Bekanntschaft dieser Dame gemacht zu haben, als du noch Sekretär in Akola warst?«
»Ich kann das nicht gestehen, denn ich entsinne mich nicht mehr.«
»So will ich deinem Gedächtnis zu Hilfe kommen. Sie war es, deren Sänfte einst auf der Straße umstürzte, so daß sie herausfiel. Du sprangst hinzu, reichtest ihr die Hand und warst ihr behilflich.«
Canning betrachtete Isabel – wie wir sie jetzt nennen wollen – näher; er schien dabei zu überlegen.
»Ah, in der Tat!« rief er dann überrascht. »Ja, ich entsinne mich!«
»Siehst du, ich habe mich nicht getäuscht,« fuhr die Begum triumphierend fort, »ich bin auch nicht belogen worden. So bist du es gewesen, der an Ayda verraten hat, daß Sir Carter als geheimer Kurier durch Indien reiste.«
Canning wurde doch etwas verblüfft, das hatte er nicht erwartet.
»Wie? Bis in jene alten Zeiten soll meine Verräterei zurückreichen?« rief er dann wie belustigt. »Ich kann mich nicht entsinnen, darüber mit Ayda ein Wort gewechselt zu haben!«
»Ich konnte mir denken, daß du leugnen würdest. Doch dies gilt mir gleich, ich weiß, daß ich recht berichtet worden bin. Leugnest du auch, mit Ayda eine Zusammenkunft gehalten zu haben?«
»Ganz entschieden!«
Isabel streckte die Hand gegen ihn aus.
»Dieser war es, dem ich die Einladung schrieb,« sagte sie mit Betonung, »und er kam. Er verriet mir, daß Sir Frank Carter als geheimer Kurier durch Indien reise, ja, er sagte mir sogar auch, daß die Order die Unterdrückung der militärischen Macht der Radschas vorschreibe.«
Immermehr fand Canning die Anschuldigungen spaßhaft.
»So sagst du selbst, schöne Ayda, daß du, das Weib Nana Sahibs, das Geheimnis durch deine Liebe erkauft hast. Ich finde, du bist ebenso offenherzig wie – schamlos!«
»Ich tat es nur scheinbar; denn du weißt, als du erwachtest, lagst du in den Armen einer stadtbekannten Bajadere!«
»Ach was! Du enthüllst mir Sachen, von denen ich gar nichts weiß. Merkwürdig! Du bist ja über mein Vorleben besser orientiert als ich!«
Die Offiziere lachten, und nicht nur Aydas, auch der Begum Antlitz färbte sich dunkelrot.
»Ich werde dir noch andere Zeugen vorführen, die meine Aussagen bewahrheiten sollen, so zum Beispiel deinen damaligen Diener, den Kuli, der dich führte, und andere,« sagte Ayda und wollte den Zwischenvorhang zurückschlagen, doch die Begum hinderte sie daran.
»Es ist genug!« sagte sie mit dumpfer Stimme. »Wir haben uns vergeblich bemüht, diesen Mann zu überführen; es wird uns nicht gelingen!« »Gut, wenn du es einsiehst!« entgegnete Canning lächelnd.
»Freue dich noch nicht!« fuhr das Mädchen fort, richtete sich stolz auf und blickte den Lord mit drohenden Augen an. »Ich frage dich noch einmal. Ist Reihenfels erschossen worden?«
»Leider habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie er von sechs Buranis unter dem Kommando eines Offiziers ordnungsgemäß erschossen worden ist. Mit tiefer Trauer erfüllt sein Tod mein Herz, denn er war mein Freund. Wie es gekommen ist, weiß ich nicht. Es ist ein Rätsel und wird wohl auch für immer ein Rätsel bleiben, denn die, welche die Exekution ausführten, sind tot!«
»Es ist kein Rätsel für mich!« rief die Begum mit starker Stimme, und ihre Nasenflügel begannen zu beben. »Du, nur du hast seinen Tod veranlaßt!«
»Denke, was du willst! Ich kann dich doch nicht eines Besseren überzeugen!«
»Nein, das kannst du nicht! Und nun vernimm noch eins: Oskar Reihenfels war der Mann, den ich liebte!«
Eine stumme Pause trat ein. Alle blickten nach dem Mädchen, dessen Aufregung von Sekunde zu Sekunde wuchs. Eine Ahnung sagte allen, daß diese Unterredung noch einen gewaltsamen Abschluß finden würde.
»Dann tut mir sein Tod doppelt leid – deinetwegen!« entgegnete Canning ruhig.
Das Mädchen atmete tief auf.
»Ja, er war mein Geliebter! Du, du hast ihn gemordet, und von dir fordere ich ihn zurück!«
»Du verlangst Unmögliches! Könnte ich ihn lebendig machen, ich würde Jahre, die Hälfte meines Lebens dafür hingeben!«
»Das sind Redensarten! Ich verlange Reihenfels von dir zurück!«
Wie drohend war sie einen Schritt auf ihn zugetreten und streckte die Hand nach ihm aus.
»Wie kann ich ihn dir wiedergeben? Nimm Vernunft an, Begum!«
»Du hast ihn mir genommen, von dir verlange ich ihn zurück!«
»Begum, aus deinen Worten wie aus deinen Augen spricht der Wahnsinn! Du verlangst Unmögliches!«
»Wahnsinn? Hahaha! Soll man denn nicht schließlich wahnsinnig werden? Verrat, wohin man blickt, und glaubt man, endlich einen Freund gefunden zu haben, so wird er getötet, und zwar von dem, der sich seinen Freund nennt!«
»Ich bin unschuldig an seinem Blute!«
»Schweig, Verruchter!« stieß das Mädchen leidenschaftlich hervor. »Alle deine Entschuldigungen mögen dich bei den Deinen reinwaschen, bei mir helfen sie nichts. Du hast Reihenfels ermordet, und mit ihm alle, die für ihn sprechen konnten! Ich gehe jetzt, denn du kannst ihn mir doch nicht zurückgeben; aber ich werde wiederkommen und ihn nochmals von dir fordern, und immer wieder, und wehe dir, wenn du deine Schuld, die du von jetzt ab bei mir hast, nicht bezahlen kannst!«
Canning wollte antworten, doch die Begum verließ schnell das Zelt, gefolgt von Ayda.
Die Offiziere blickten den beiden spöttisch nach. Dies alles betrachteten sie als ein Theaterstück, von einem leidenschaftlichen, etwas überspannten und exzentrischen Mädchen in Szene gesetzt. Eine Bedeutung maß diesem Wortgefecht niemand bei.
Nur Canning blickte dem aufgeregten Mädchen mit Besorgnis nach. Es wäre ihm viel, viel lieber gewesen, er hätte die Begum von seiner Unschuld überzeugen können, als daß sie ihn im Zorn verließ; denn der Haß eines Weibes ist nie zu unterschätzen, selbst wenn es eine noch so untergeordnete Stellung einnimmt, und die Begum war die Höchste der Rebellen.
Daß sie ihm an seiner Ehre und an seinem Ansehen nichts schaden konnte, mußte sie gesehen haben, aber er bezweifelte nicht, daß sie zu anderen Mitteln griff. Außerdem hätte er so gern mit ihr in Ruhe gesprochen, sie über Franziska gefragt, und darüber, was ihr geheimnisvoller Besuch während der Nacht in seinem Zelt zu bedeuten gehabt hatte.
Es war zu spät. Schweigend und ohne Gruß verließen die Feinde in Sänften und auf Pferden das englische Lager. Die Begum hatte wahrscheinlich noch andere belastende Zeugen mitgebracht, die sie aber nicht gebraucht hatte, weil sie von der Schuld Cannings allein überzeugt wurde, hauptsächlich als Sedrack plötzlich verschwunden sein sollte.
Auf halbem Wege zwischen Delhi und dem Lager wurden die als Geiseln gestellten englischen Offiziere wieder eingetauscht.