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Reihenfels trat an das Fenster, das sich in Augenhöhe befand, und spähte hindurch. Er überblickte einen freien Platz, der von alten, baufälligen und unbewohnten Häusern eingefaßt war. Delhi ist ja so reich an solchen verlassenen Stätten, in denen nur Raubvögel und Ratten nisten.
Es war vollkommen hell; es mochte später Morgen sein.
Er vernahm eine Stimme, unterschied Kommandos in englischer Sprache und hörte Gewehre klirren.
Es wurde also exerziert, dies war ein militärischer Übungsplatz. Die indischen Sepoys exerzieren nach englischen Kommandos, und die Rebellen hatten dieselben beibehalten.
»Abteilung – marsch,« hörte Reihenfels rufen, aber sonderbar war es, daß er keine Schritte vernahm.
Ja, doch, es erklangen welche, aber sie waren für Soldaten merkwürdig leicht und kurz, trippelnd.
Der Beobachter konnte den Kopf wenden, wie er wollte, die Abteilung bekam er nicht zu sehen.
Da fuhr er plötzlich zurück, um nicht gesehen zu werden; denn über den Platz ging langsam, mit gravitätischem Schritt ein Offizier in der Generalsuniform der angloindischen Armee: in rotem, goldgesticktem Waffenrock, dunkelblauer Hose mit breiten, roten Streifen, auf den Achseln Epauletten mit Goldstreifen, ein Helm mit Roßschweif und die hohen Kniestiefel mit Sporen.
Doch bald merkte Reihenfels, daß es eine Phantasieuniform war. Auf dem Rock war mehr Goldstickerei als nötig, der Roßschweif hatte eine übermäßige Länge, die silbernen Sporen glichen denen der nordamerikanischen Cowboys an Gewicht und Größe, und schließlich, was das auffälligste war, der Degen in blanker Scheide, schleppte an langem Riemen nach.
»Wahrscheinlich ein neuer Rang mit dementsprechender Uniform,« dachte Reihenfels; »die Indier lieben das Auffällige und Phantastische. Wenn mich der Kerl nur nicht sieht!«
Er brauchte keine Angst zu haben, dieser Offizier hatte für das Kellerloch kein Interesse.
Gravitätisch schritt er auf und ab, rauchte eine lange, schwarze Zigarre, deren Rauch er behaglich in Ringelchen von sich blies, und hatte überhaupt etwas Selbstbewußtes, Unnahbares an sich.
Wenn er einmal stehen blieb, so stützte er sich auf den Säbel, schlug ein Bein übers andere, setzte den an einer Schnur herabhängenden Klemmer auf die Nase, schob die zwei mittelsten Finger der linken Hand in den Brustschlitz des Waffenrocks und schaute dann mit einer unnachahmlichen Miene von Hochmut und Stolz dahin, woher die Kommandos erklangen.
Wo hatte Reihenfels dieses Gesicht nur schon einmal gesehen? Nein, nicht einmal, er kannte es sogar sehr gut. Aber wem in aller Welt gehörte es nur an? Das Haar bedeckte der Helm, das Gesicht war das eines Europäers, unbedingt das eines Germanen, sommersprossig, und unter der Nase ein kleiner, brandroter Schnurrbart, dessen Enden wie Dolchspitzen ausgedreht waren. Wurde die Hand aus dem Brustschlitz gezogen, so beschäftigte sie sich sofort mit dem Schnurrbart. Reihenfels war mit den Verhältnissen der Rebellen recht gut vertraut, er wußte, daß die fremden Offiziere Franzosen und Italiener waren, kein Deutscher befand sich darunter, und daß dieser Mann ein solcher war, darauf hätte er schwören können.
Aber ein Deutscher als General der indischen Armee in Delhi? Davon hätte er wissen müssen.
Woher kannte er nur dieses Gesicht? Reihenfels zermarterte sein Hirn vergebens.
Plötzlich tauchte vor ihm sein Diener August auf. Heiliger Himmel, das war ja –.
Ach, Unsinn, August als indischer General! Reihenfels hätte bald laut aufgelacht, so komisch kam ihm dieser Gedanke vor.
Der Offizier schritt wieder gravitätisch wie ein Storch über den Platz. Dann blieb er abermals stehen und räusperte sich. Eben hatten die Gewehre der unsichtbaren Soldaten gerasselt.
»Das war schlapp, Kapitän, ganz schlapp,« sagte der General mit schleppender, schnarrender Stimme, »und dann treten Sie gefälligst mal aus dem Schatten raus. Glauben Sie etwa, derselbe sei dazu da, daß Sie drin rumtrampeln können? Und Ihren kaffeebraunen Hottentottenteint brauchen Sie auch nicht weiter zu schonen. raus aus dem Schatten!«
Reihenfels war beim Klange dieser Stimme zusammengefahren, abermals tauchte sein Diener vor ihm auf. Torheit, es war ja eine ganz andere Stimme! So schnarrte August niemals.
Dieser General sprang mit seinen Offizieren übrigens sehr scharf um; den Kapitän, einen Hauptmann, behandelte er wie einen gewöhnlichen Soldaten.
»Zu Befehl, Exzellenz,« klang es zurück.
August eine Exzellenz, das wäre köstlich! Warum mußte Reihenfels nur immer wieder an seinen ehemaligen Diener denken, wo gar kein Grund dazu vorhanden war? »Nu hören Sie auf mit den Gewehrgriffen,« schnarrte die Exzellenz weiter, »lassen Sie die Leute ein bißchen Marschübungen vornehmen. Aufmarschieren, Sektionen bilden und so weiter, aber vergessen Sie nicht, daß Sie zu Pferde sitzen, mein Wertester, sonst lasse ich Sie hundertmal über den Platz reiten, bis Ihnen der Schweiß wie ein Wasserfall übers Gesicht rauscht und Sie den Himmel für einen Dudelsack ansehen. He, du da mit die Schmachtlocken, klappere nicht so mit die Augen! Kapitän, passen Sie auf die Leute auf, Sie sind hier nicht in der Alhambra und kokettieren mit Mirzy.«
Ehe noch Reihenfels sein Staunen über die letzten Worte bemeistern konnte, bekam er schon etwas Neues zu sehen, was ihn glauben machte, er wohne einer Maskerade bei, auf der sich Harlekins tummelten.
Ein Offizier in Kapitänsuniform kam vorübergerannt, den blanken Degen in der Hand, und seltsam, wie er sich benahm. Entweder hatte er eben einen Sonnenstich bekommen oder er war überhaupt vollständig verrückt.
Er rannte in vollem Laufe herum, schlug mit den Beinen um sich, sprang und bockte wie ein Kind, das sich einbildet, auf einem Pferde zu sitzen und zu reiten. Dabei hielt er auch die Hände, als ob er Zügel führe.
Reihenfels griff sich an die Stirn. Er wußte nicht, ob er wache oder träume. Das Staunen über diese Seltsamkeit war vorüber, aber jener Mann dort, der sich so unsinnig benahm, den kannte er. Das war niemand anders als Monsieur Giraud, der ihn in die Alhambra gelockt hatte. August hatte ihn auch als den bezeichnet, der ...
»Kapitän Duplessis,« schrie die Exzellenz, »wollen Sie Ihrem Pferde nicht immer die Sporen geben. Das ist keine Biertonne, auf der Sie sitzen, das ist königliches Eigentum und mehr wert als hundert solcher Kreaturen, wie Sie eine sein tun.«
Der Mann galoppierte wie ein Wilder auf dem Platze herum.
»In Sektionen abmarschiert,« schrie der Kapitän in heiserem Kommandotone, »rechts – schwenkt – marsch!« Leichte Tritte erschollen, sie kamen näher, und vor Reihenfels' erstaunten Augen marschierten acht Sektionen vorüber, nicht aus Soldaten, sondern aus Weibern bestehend, die aber in Männerkleidung staken und Waffen trugen.
Sie hatten kurze, blau und weiß gestreifte Höschen an, rote Jäckchen mit goldenen Knöpfen, auf den offenen Haaren Turbane, über den Schultern Flinten, und an dem Gürtel mit Patronentasche hingen Seitengewehre.
Es waren für Reihenfels keine unbekannten Gestalten. Er konnte beschwören, daß dies die Bajaderen waren, die er an jenem Abend, als er sich für den Bengalesen ausgegeben, gesehen hatte.
Das dicke Mädchen von damals erkannte er sofort wieder; aber ihre Körperfülle hatte sich schon bedeutend vermindert, überhaupt sahen alle aus, als wäre ihnen übel mitgespielt worden.
Sie marschierten stramm wie Soldaten, zuckten nicht mit den Augen, trugen die Gewehre regelrecht, und der Kapitän galoppierte dabei immer um sie herum, als säße er zu Pferde.
Es war eben eine Posse, die hier gespielt wurde.
Trotzdem war die Exzellenz nicht mit den Leistungen zufrieden.
»Is nischt, is nischt,« rief er, »zurück mit der Bande, die Beine höher heben! Braucht eure Spazierhölzer durchaus nicht zu schonen.«
In ausgelöstem Schwarm jagten die Mädchen zurück und begannen ihre Evolutionen von neuem.
Dann durften sie sich rühren, und Reihenfels merkte, daß sie wirklich erschöpft waren.
Die Exzellenz rief den Kapitän zu sich. Er stand im Schatten dicht vor dem Kellerloch, so die Aussicht versperrend. Reihenfels sah nur die schwarzen Stiefelschäfte und hörte die Stimmen.
»Nun, Kapitän,« schnarrte der General, »die Sache macht sich. Ich denke, in vier Tagen kann ich die Jungens vorstellen.«
»Zu Befehl, Exzellenz!«
»Im übrigen bin ich zufrieden mit den Leistungen, nur bilden Sie sich ja nicht ein, daß Sie daran schuld sind. Wenn ich nicht gekommen wäre, so wären die Mädels noch eine Bande wilder Kaffern.«
»Zu Befehl, Exzellenz!«
»Im übrigen bin ich wie gesagt zufrieden. Nur bei Ihnen hapert's noch hier und da. Ihre Haltung zu Pferde ist ganz miserabel, und dann muß ich mir auch ausbitten, daß Sie sich von jetzt ab nicht mehr den Schnurrbart wichsen. Hier hat niemand anders den Schnurrbart zu wichsen, als ich. Verstanden?«
»Zu Befehl, Exzellenz!«
»Wozu tragen Sie überhaupt einen Schnurrbart, he? Sie sind hier nicht in der Alhambra und können mit den Bajaderen scharwenzeln. Morgen werden Sie ohne Schnurrbart erscheinen, blankrasiert wie ein Teller, und wenn ich nur ein einziges Härchen in Ihrem schafsdämlichen Gesicht sehe, dann – na, dann wissen Sie, was ich mit Ihnen mache. Dann haue ich Sie Ihren Rindsschädel ab und lasse die Kerls damit Fangball spielen.«
»Ich möchte Exzellenz bitten –«
»Nichts haben Sie zu bitten,« donnerte ihn der General an, »nur zu gehorchen!«
»Zu Befehl, Exzellenz!«
»Morgen glattrasiert erscheinen. Verstanden?«
»Zu Befehl, Exzellenz!«
Die Exzellenz stützte sich auf den Säbel.
»Wissen Sie,« fuhr er in gemütlichem Tone fort, »wenn ich mir so Ihr Schafsgesicht ansehe, dann spüre ich immer Lust, so weit auszuholen, wie ich nur kann, und Ihnen ein paar saftige runterzuhauen. Verdient haben Sie sie doch eigentlich, nicht? Na, wird's bald?« »Zu Befehl, Exzellenz!«
»Sie sind doch ein ganz gemeiner Lump.«
»Zu Befehl, Exzellenz!«
»Und mit der Mirzy haben Sie auch unter einer Decke gespielt.«
»Zu Befehl, Exzellenz!«
»Und die Gemeinheit mit Reihenfels, das war auch Ihr Werk.«
»Zu Befehl, Exzellenz!«
»Dafür verdienten Sie doch Ohrfeigen. Was verdienten Sie dafür?«
»Ohrfeigen, Exzellenz!«
»Was sind Sie in meinen Augen?«
»Ein Lump, Exzellenz!«
»Das reicht nicht.«
»Ein ganz infamer Lump, Exzellenz!«
»Das könnte so ungefähr reichen. Lacht mal Leute!«
Die Mädchen brachen unisono in Lachen aus.
»Lauter!«
Das Lachen wurde stärker.
»Ausgelacht!« kommandierte der General. »Marsch, mit eingetreten ins Glied, ich will euch noch etwas dressieren, und zwar höchst eigenhändig.«
Der Kapitän trat mit ins Glied, und so ward für Reihenfels die Aussicht wieder frei. Er sah das halbverzweifelte Gesicht des Kapitäns, die niedergeschlagenen Augen der Mädchen und die Stiefelschäfte der Exzellenz.
»Stillgestanden!« kommandierte der General selbst. »Richt' euch – Augen geradeaus – links um – rechts um – kehrt – front! Das klappt nicht! Paßt auf! Kehrt – front – kehrt –front – kehrt – front!«
Die Kommandos kamen kurz hintereinander, daß die schwarzen, langen Haare der Mädchen um die Köpfe wirbelten. Schließlich konnten sie den Kommandos nicht folgen und drehten sich planlos im Kreise umher.
»Himmelkreuzschockschwerenot!« fluchte der General. »Das ist ja eine saubere Zucht.
Da stehen sie wie die Ochsen am Berge, oder vielmehr wie die Kühe da. Na, wollt ihr Kanaillen gleich lachen!«
Wieder erscholl das kommandierte Lachen.
»Ordnen – einzeln vorbeimarschieren – mir die Hand küssen.«
Die Mädchen zogen vorbei, voran der Kapitän, und das Schmatzen verriet Reihenfels, daß der Befehl wirklich wortgemäß ausgeführt wurde.
Dann bauten sich die Soldaten wieder auf, der General ließ Wendungen machen. Einmal, als er kehrt kommandiert hatte, führte er ein Kratzen an seinem Stiefel.
Erschrocken hob er den Fuß und machte einen Sprung vorwärts.
»Heiliges Donnerwetter, was ist denn das?«
Er bückte sich und sah den Kopf am Fenster, der Finger auf dem Munde bedeutete Schweigen.
Über das Gesicht des Generals flog es wie namenloses Erstaunen, doch gleich hatte er sich wieder gefaßt.
»Abteilung marsch!« kommandierte er und ließ seine Truppe bis an das gegenüberliegende Haus marschieren. »Halt! So, nun bleibt stehen, bis ihr schwarz werdet, und wer sich auch nur muckst, aus dem lasse ich heute abend Frikassee machen.«
Die Abteilung stand wie eine Mauer, von dem Kellerloch wohl hundert Meter entfernt.
Der General bückte sich noch tiefer und schaute Reihenfels gerade ins Gesicht.
»Nee, sind Sie's denn nur wirklich, Mister Reihenfels, oder beißt mich nur der Affe?«
staunte er. »Ich bin er schon, aber ist denn das wirklich August?«
»August Hefter, General der Amazonengarde Ihrer Majestät der Begum vom China – Dschansi wollte ich sagen. Aber wie um Gottes willen kommen Sie denn da in das Loch, da geht ja kaum mein Kopf durch?«
»Ich bin eben auf einem anderen Wege hereingekommen. Nun erkläre mir du erst. Was treibst du denn hier eigentlich? Wie kommst du hierher? Mir bleibt der Verstand bald stehen.«
»Ja, da staunen Sie wohl,« entgegnete August stolz, obgleich er sofort das Untergeordnetenverhältnis wieder annahm; »meine militärischen Talente sind eben endlich anerkannt worden, und nun bin ich auf dem besten Wege, den höchsten Gipfel des irdischen Ruhms zu erklettern.«
»Mir scheint, du exerzierst die Bajaderen ein?«
»Ist so, natürlich. Die Kerlchen exerzieren schon ganz gut, nicht? Aber Haue hat's auch genug gekostet, ehe ich die Schwefelbande so weit gebracht habe. Das war eine Rotte Korah, du meine Güte. Aber nun sagen Sie bloß mal, was Sie hier eigentlich machen?«
»Laß das noch! Du bist wirklich General?«
»Na und ob! Gucken Sie bloß mal meine Uniform an! Alles nach Maß gemacht!«
»Ich werde daraus nicht klug und habe keine Zeit, weiterzuforschen –«
»Was die Zeit anbetrifft, da machen Sie sich keine Sorge nicht. Meine Mädchen stehen wie die Puppen, bis sie umfallen, und auch dann drehen sie die Köpfe noch nicht um. Nur daß ich mich beim Sprechen bücken muß, gefällt mir nicht. Aber sprechen Sie nur ruhig weiter, können's auch ganz laut tun. Die da dürfen nischt hören, wenn ich's nicht will. He, Mister Reihenfels, haben Sie schon den Kerl gesehen, der sich Kapitän schimpft?«
»Ja.«
»Das ist der Monsieur Giraud, jetzt heißt er aber Duplessis. Wissen Sie, der damals in der Alhambra –«
»Ich weiß es. Wer hat dich hier angestellt?«
»Die Begum von Dschansi selbst. Ich kriege einen Haufen Gehalt und freies Essen und Saufen, so viel ich will, nur die Pension fehlt noch. Wissen Sie, ich soll ihr eine Amazonentruppe nach Berliner Muster ausbilden.«
»Ich glaube, ich bin in ein Narrenhaus geraten.«
»Nicht wahr? Mir kommt's nämlich auch manchmal so vor. Aber es wird eben lustig mitgemacht. Ja, woher kommen Sie denn aber nur eigentlich, mein gutester Reihenfels?«
»August, ich glaube, dich schickt mir der Himmel.«
»Das ist leicht möglich.«
»Meine Schwester ist hier gefangen.«
»Ach nee! Wo denn?«
»Wir vermuten, im Hause der Duchesse.«
»Machen Sie keinen Sums. Da bin ich ja Hausfreund geworden.«
»Du?«
August fühlte sich beleidigt, er richtete sich stolz auf.
»Warum denn nicht? Figur und Brust habe ich doch zum General und die Uniform auch, was nämlich immer die Hauptsache ist. Warum soll ich denn da nicht in dem Hause der Duchesse mit den übrigen Generälers verkehren?«
»Du treibst also wirklich keinen Scherz?«
»Ich will auf die Stelle lang hinschlagen und verenden, wenn ich nicht die Wahrheit sagen tu'.«
»Hast du nicht erfahren, ob in diesem Hause ein Mädchen gefangengehalten wird?«
»Keine Silbe nicht. Ich kann ja aber einmal heute abend so nebenbei anfragen.«
»Um Gottes willen nicht!« »Kann ich Ihnen sonst nicht irgendwie nützlich sein? Ich tue es gern für Ihnen.«
»Du bist heute abend auch in diesem Hause?«
»Allemal! Die Begum selbst hat mich dorten eingeführt. Der habe ich übrigens schon erzählt, daß Sie ganz unschuldig an der Geschichte sind, und sie glaubt's auch. Den Kerl, den Giraud, soll ich ordentlich zwiebeln, bis sie selbst mit ihm spricht.«
Reihenfels konnte das Gespräch nicht fortsetzen, so leid dies ihm auch tat; denn ein Ton erscholl, der ihm Kulwas Nahen verriet, und dieser sollte nicht merken, daß die Verbindung mit der Außenwelt hier möglich war.
»Wo bist du zu finden?« fragte Reihenfels. Schnell, ich muß mich entfernen.«
»Ich wohne in unserer alten Villa, Sie wissen schon, in welcher – gegenüber von der Duchesse! Warum denn aber plötzlich so eilig? Meine Mädels ...«
»Und deine Amazonen?«
»Auch da.«
»Auf Wiedersehen, August. Ich rechne auf deine Hilfe, wenn ich sie brauche. Vielleicht komme ich noch einmal hierher.«
Reihenfels war verschwunden, und August ging zu seinen Leuten zurück.
Als Reihenfels die Treppe hinabgestiegen war, fand er Kulwa seiner wartend.
»Du hast die Tür geöffnet? Ich sehe es dir an.«
»Ja, sie ist offen. Ich konnte sie nicht herabziehen, aber ich habe sie mit Gewalt aufgestoßen.«
»Sie ist nun entzwei?«
»Sie geht nicht mehr zu schließen.«
»Wenn es nicht gehört worden ist, so schadet es nichts.«
Reihenfels war damit zufrieden. Nun stand ihm der Weg in das Haus der Duchesse offen, und er war entschlossen, ihn zu benutzen. Er schickte Kulwa unter einem Vorwand weg und stieg wieder die Treppe hinauf, um nochmals mit August zu sprechen, wenn dies möglich war. Er wußte nun, daß August nichts weiter als die Rolle eines Possenreißers spielte, wie solche noch jetzt an indischen, überhaupt an orientalischen Höfen gehalten werden. Vielleicht war ihm dies nicht einmal bewußt, er hielt sich selbst für eine wichtige Persönlichkeit. Aber konnte er mit seinen Amazonen, die so gehorsam waren, Reihenfels nicht doch vielleicht einen großen Dienst erweisen? Es war nicht unmöglich, daß August auch im Hause der Duchesse aus- und eingehen durfte, eben als Possenreißer.
Reihenfels sah seinen Diener wieder als General einherstolzieren und die Exerzitien seiner Gardeamazonen überwachen. Der Kapitän ritt noch immer auf Schusters Rappen über den Platz und mußte seinen vermeintlichen Gaul ausschlagen lassen, daß ihm der Schweiß über die Stirn tropfte.
Was hatte August vorhin gesagt? Er hatte der Begum alles erzählt, also die Wahrheit, wie jener verrückte Kapitän dort die Zusammenkunft mit Mirja herbeigeführt, und die Begum hätte ihm geglaubt.
Dann war die Rolle, welche Giraud oder Duplessis spielen mußte, auch nur eine Strafe, aber immerhin, wie konnte die Begum wagen, einen französischen Offizier so zu beleidigen? Oder aber ihr Haß war grenzenlos! Es wurde Reihenfels nicht schwer, August wieder zu sich heranzurufen; denn derselbe hatte das Kellerloch immer in der Hoffnung im Auge behalten, sein Herr, dem er aus vollem Herzen zugetan war, möge wieder daran erscheinen.
»Kehrt – marsch – halt – stillgestanden und nicht gemuckst!« kommandierte der General beim Anblick von Reihenfels und bückte sich dann wieder, um mit ihm zu sprechen.
»Wie lange bist du denn schon General?« fragte Reihenfels. »Fünf Tage erst; und sind diese Mädels ausgebildet, was in etwa vier Tagen der Fall ist, dann bin ich wieder entlassen, dann habe ich aber auch einige Rupien in der Tasche.«
»Mich wundert, daß sie dir so gehorchen.«
»Was wollen sie denn anders machen? Erst war Giraud ihr Kommandeur, dem tanzten sie aber auf der Nase. Dann kam ich, ich konnte hauen, so viel ich wollte, und da brachte ich ihnen schnell Räson bei.«
»Sie sind bewaffnet?«
»Natürlich, wie Sie sehen.«
»So würden sie also eventuell auch im Kampf verwendet werden?«
»I, Gott bewahre, die bekommen keine Patrone in die Hand.«
»Nicht? Ich denke!«
»Nu nee! Die Seitengewehre sitzen in der Scheide fest. Na, das wäre was Schönes, wenn die Patronen hätten! Die erste schössen sie mir in den Bauch.«
»Ah, also so steht es!«
»Nu freilich, ich muß aufpassen wie ein Heftelmacher, daß sie nicht wie die Furien über mir herfallen und mir zerreißen. Es ist die reine Tierbändigerei.«
»Und der Kapitän?«
»Wenn der nur könnte wie er wollte. Ich muß auch ihn scharf in den Augen behalten.«
»Aber er hat doch einen Degen?«
»Wissen Sie was eine optische Täuschung ist, Mister Reihenfels?«
»Ja.«
»Jener Degen ist so eine. Der ist aus Pappe und darübergeklebtem Silberpapier. Hier gibt's keinen anderen Säbel als meinen, und wenn ich Lust hätte, so könnte ich den Kerlchen allen die Köpfe abhacken.«
»Also du bist hier alleiniger Machthaber?«
»Vollkommener! Ha, Mister Reihenfels, das labt, wenn man so kommandieren kann! Wer hätte gedacht, daß aus dem Strumpfwirker noch einmal ein General würde!«
»Der Kapitän tut ja gerade, als ob er auf einem Pferde säße.«
»Muß er auch, Mister Reihenfels, auf allerhöchsten Regimentsbefehl. Und das ist ja eben der Hauptjux. 'S ist eigentlich Kinderei, aber Spaß macht's doch, und die Hauptsache ist, daß ich dabei etwas profitiere.«
»Du verkehrst wirklich im Hause der Duchesse?«
»Ja doch, ich hab's Sie nun schon hundertmal gesagt.«
»Was machst du denn da?«
»Ich schlage da die große Trommel.«
»Was?«
»Na, ich führe da das große Wort, und die anderen amüsieren sich dabei köstlich. Was kann denn der Mensch anders verlangen, als sich amüsieren?«
»So kann ich also auf deine Hilfe rechnen, wenn ich sie brauche?«
»Allemal! Aber wie?«
»Höre, August! Meine Schwester Franziska, die auch du kennst, ist allem Anschein nach im Hause der Duchesse gefangen.«
»I, der Deibel soll die Kerls holen! Dann befreien wir sie ganz einfach.«
»Also mit dieser Uniform hast du nicht auch dein Herz gewechselt?«
»Mister Reihenfels, was glauben Sie denn, wer ich bin?«
»Ich dringe heute nacht in das Haus ein.«
»Dann müssen Sie aber erst einmal durch dieses Loch kommen.«
»Ist nicht nötig, ich gehe einen anderen Weg. Du bist in dem Hause gut bekannt?«
»So ziemlich.« »Ich glaube, es wird dir nicht schwerfallen, zu spionieren. Oder laß das lieber, es könnte Verdacht erregen. Hauptsache ist mir, daß du während der Zeit, in welcher ich das Haus durchsuche, alles beschäftigst, damit ich nicht gestört werde.«
»Das kann gemacht werden. Nur mit den Dienern ist es eine faule Sache. Wie soll ich die beschäftigen, wenn ich drinnen sitze und erzähle?«
»Ich weiß nicht,« antwortete Reihenfels nach einigen Überlegen, »das muß ich dir überlassen.«
»Na, werden's schon besorgen, Mister Reihenfels; Sie wissen doch, der August ist nicht auf den Kopf gefallen, und sollte es darauf ankommen, dann können Sie auf mich rechnen, auch wenn es mich mehr als meine Uniform kosten sollte. Wo ist denn der Eingang, den Sie benutzen wollen?«
»Wahrscheinlich im tiefsten Keller des Hauses. Kannst du unauffällig in diesen gehen?«
»Natürlich, mich beobachtet da drinnen niemand, ich kann hingehen, wohin ich will; nur wenn ich in der zweiten Etage herumschnobere, da wird mir die Tür vor der Nase zugeworfen.«
»Das ist wichtig für mich; ich werde wahrscheinlich dort suchen müssen. Wenn es möglich ist, halte die Kellertüren offen, sollte dieses Haus nach europäischer Art gebaut worden sein. Und nun noch eins: du sprachst davon, daß auch die Begum in dem Hause der Duchesse verkehrt?«
»Sie wohnt ja sogar drin, in der ersten Etage.«
»Und sie nimmt an den Gesellschaften teil?«
»Das nicht, ich habe sie nur am Tage mit der Duchesse und den Generälers sprechen sehen.«
Reihenfels wußte genug, er hielt es auch für angebracht, August nicht weiter in seine Pläne einzuweihen. Mit der Ermahnung, heute abend Auge und Ohr offen zu halten, trennte er sich von August.