Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Bezeichnung dieser wichtigen und häufigen Perversion ist von dem Namen des französischen Schriftstellers Marquis de Sade abgeleitet, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine Reihe obszöner Romane geschrieben hat, für die eine eigenartige Mischung von Grausamkeit und Wollust kennzeichnend ist.
Als Sadismus bezeichnet man die Empfindung von sexuellem Lustgefühl bis zum Orgasmus bei Demütigungen, Züchtigungen und allerlei Grausamkeiten, die an einem Menschen oder an einem Tiere ausgeführt werden, sowie den Trieb, solche Lustgefühle durch die entsprechenden Handlungen hervorzurufen.
Um diese merkwürdige Einstellung zu verstehen, bedienen wir uns am besten wiederum der Methode, zuerst die fließenden Übergänge zum Normalen zu betrachten, die in der Tat auch hier reichlich zu finden sind. Zuerst muß darauf hingewiesen werden, daß im Verkehr der Geschlechter dem Weibe die passive, dem Manne die aktive Rolle zufällt. Daß nun beim Manne sich diese Aktivität zur Aggression steigern kann, dafür gibt es unzählige Beispiele, vor allem auch aus der Tierwelt. Denn dort ist es regelmäßig das Männchen, das dem Weibchen nachstellt; dieses flieht, triebhaft oder auch aus Verstellung, und schließlich kommt es zu einer ähnlichen Beziehung wie zwischen Raubtier und Beutetier. Die Annahme ist zweifelsohne gerechtfertigt, daß in den Frühzeiten der Menschheit zumindest der erste Koitus eines Paares auf dem Wege der Verfolgung und endlichen Überwältigung zustande gekommen ist. Dafür sprechen unter anderem Sagen wie der Raub der Sabinerinnen und Volksbräuche wie der – heute natürlich nur mehr symbolisch vollzogene – Brautraub. Es gibt außerdem auch jetzt noch primitive Stämme, bei denen die brutale Gewalt, der Raub, selbst die Wehrlosmachung des Weibes durch Keulenschläge die Liebeswerbung ersetzen. Innerhalb der Zivilisation tritt an Stelle dieser Maßnahmen die Verführung der Frau, und schon die Tatsache, daß man dabei von einer »Eroberung«, von einer »Besiegung« spricht, läßt durch die Wahl dieser Worte das – hier verborgenbleibende – sadistische Moment erkennen. Der Mann sieht sich eben auch unter normalen Verhältnissen einem Widerstand gegenüber, den zu überwinden seine Aufgabe ist, wozu ihn die Natur durch den ihm eigentümlichen aggressiven Charakter befähigt hat.
Diese Einstellung des Mannes tritt auch heute noch und auch in durchaus zivilisierten Kreisen deutlich zutage, und zwar, sozusagen in gemilderter Form, in den unter jüngeren Leuten vielfach üblichen scherzhaften Plänkeleien. Bei ihnen kommt es nicht nur zu Wortgefechten, sondern auch zu Püffen und Stößen, zu Kratzen und Kneifen. Noch deutlicher zeigen sich sadistische Züge beim Deflorationsakt, wo die schamhafte Zurückhaltung und das Sichversagen der jungen Frau den Mann zur Aggression und selbst zur Gewaltanwendung geradezu nötigen. Das Lustgefühl, das viele Männer – und auch Frauen – in eben dieser Situation erleben, führt auch keineswegs selten zur Wiederholung analoger Vorgänge in den ersten Zeiten der Ehe.
Die Erforschung der seelischen und der sozialen Entwicklungsgeschichte des Menschen hat uns gelehrt, daß in verschiedener Weise Einstellungen und Strebungen in einzelnen Menschen auftauchen und zur Macht gelangen, die seltsam fremd und rätselhaft anmuten, und deren Erklärung nur durch die Annahme möglich ist, daß sie atavistischer Natur seien. Die seelische Struktur längst verflossener Ahnen wird offenbar mitvererbt und hat selbst über Jahrtausende hinweg noch Kraft und Leben genug, hie und da wieder an die Oberfläche zu kommen. Dazu scheint es indessen einer gewissen Veränderung oder Verschiebung des normalen Seelenzustandes zu bedürfen, wie sie bei psychischen Erkrankungen oder – bei Gesunden – in Rauschzuständen vorkommt. Es ist begreiflich, daß in Zuständen und in Zeiten, in denen der Sexualtrieb vorherrscht, die Möglichkeit zur Entstehung eines solchen Rauschzustandes und somit zu einer Veränderung der normalen Psyche gegeben ist, und daß dann, in weiterer Folge, atavistische Regungen geltend werden. Daß unter diesen sich gerade die Grausamkeit befindet, läßt sich damit erklären, daß sie zu jenen Eigenschaften der Seele gehört, die mit dem Fortschreiten der Zivilisation und Kultur unterdrückt und also verdrängt werden mußten und wurden.
Wir wollen es dahingestellt sein lassen, inwieweit eine andere Form fließender Übergänge vom Normalen zum Perversen atavistischer Natur ist, möchten aber auf jeden Fall betonen, daß man aus ihrem Vorkommen allein keineswegs auf Sadismus schließen darf, sondern höchstens auf eine leichte sexuelle Hyperästhesie. Es sind das die vom Krafft-Ebing als »quasi noch physiologisch« bezeichneten Fälle, in denen im Moment der höchsten Wollust erregbare, aber sonst normale Menschen Akte wie Beißen und Kratzen ausführen, die sonst von Zorn oder Wut ausgelöst werden. Man muß sich daran erinnern, daß die Liebe und der Zorn nicht nur die beiden stärksten Affekte, sondern auch die beiden allein möglichen Formen des sogenannten sthenischen Affektes sind. Beide suchen ihren Gegenstand auf, wollen sich seiner bemächtigen und entladen sich naturgemäß in einer körperlichen Einwirkung auf denselben; beide versetzen die psychomotorische Sphäre in die heftigste Erregung und gelangen mittels dieser Erregung zu ihrer normalen Äußerung.
Von diesem Standpunkt aus ist es begreiflich, daß der Geschlechtstrieb zu Handlungen veranlassen kann, die sonst dem Zorn gemäß sind. Sexualtrieb und Zorn sind Erregungszustände, die die gesamte psychomotorische Sphäre miteinbeziehen und durch den Drang gekennzeichnet sind, gegen das den Reiz hervorrufende Objekt auf jede mögliche Weise und in heftigster Art zu reagieren. So wie die Übererregung im Zorn leicht in wahllos wütende Zerstörungssucht übergeht, so erzeugen übersteigerte geschlechtliche Erregungszustände manchmal einen Drang, sich in sinnlosen und scheinbar feindseligen Tathandlungen zu entladen. Diese stellen sich gewissermaßen als psychische Mitbewegungen dar. Es handelt sich aber nicht etwa um eine bloße und unbewußte Erregung der Muskelinnervation (obwohl das als blindes Umsichschlagen nebenbei auch vorkommt), sondern um den Willen, auf das Objekt, von dem der Reiz ausgeht, eine möglichst heftige Wirkung auszuüben. Das stärkste Mittel dazu aber ist die Zufügung von Schmerz.
Sadismus ist also nichts anderes als eine pathologische Steigerung von – andeutungsweise auch unter normalen Umständen möglichen – Begleiterscheinungen der psychischen Vita sexualis, insbesondere der männlichen, ins Maßlose und Ungeheuerliche. Dieser Zusammenhang ist natürlich nicht bewußt, sondern es wird in der Regel nur der Drang nach grausamen und gewalttätigen Handlungen am Sexualpartner empfunden und die Vorstellung solcher Akte mit wollüstigen Empfindungen verbunden, woraus sich ein mächtiger Antrieb ergibt, die vorgestellten Handlungen wirklich zu begehen. Aus diesem Unbewußtbleiben der Motive ergibt sich, daß die sadistischen Akte so häufig den Charakter von Impulshandlungen tragen.
Die bei jeder Perversion sich einstellende Frage, ob sie als angeboren oder als erworben aufzufassen ist, läßt sich gerade beim Sadismus durchaus eindeutig beantworten, und zwar dahin, daß wir es hier mit einer angeborenen Triebabweichung zu tun haben. Das ergibt sich vor allem daraus, daß das Kind zweifelsohne sadistisch ist. So wie die Biologie aufgezeigt hat, daß jeder Mensch vom ersten Embryonalzustand bis zur Geburt seine gesamte Ahnenreihe vom Einzeller an durchläuft, so hat auch die moderne Tiefenpsychologie gelehrt, daß auch die Psyche jedes einzelnen Menschen eine Entwicklung durchzumachen hat, die beim Urmenschen beginnt. Jedes einzelne Individuum muß für sich jene Höhe erreichen, auf die die heutige Menschheit im Verlauf von Jahrtausenden von Zivilisation und Kultur emporgeführt wurde. Im frühkindlichen und im kindlichen Alter werden wir also begreiflicherweise gerade jenen Instinkten, Strebungen und Einstellungen noch begegnen, die beim erwachsenen Menschen unterdrückt und verdrängt sind. Zu ihnen gehört die Grausamkeit – was ja bereits im vorhergehenden bei der Besprechung der atavistischen Natur des Sadismus betont wurde. Selbstverständlich sind solche grausame Tathandlungen im frühkindlichen Alter niemals von Sexuallust begleitet, und auch im späteren Kindesalter und in der Zeit der Pubertät sind sie nur selten mit geschlechtlichen Empfindungen verbunden. Aus der Tatsache indes, daß Akte der Grausamkeit in einer gewissen Altersstufe ganz allgemein vorkommen, läßt sich bereits schließen, daß die seelische Disposition zum Sadismus eigentlich jedem Menschen innewohnt, allerdings nur latent, also sozusagen in einem Ruhezustand. Der Sadismus entwickelt sich auf dieser Grundlage, wenn – bei vorhandener Anlage – es bei irgendeinem Anlaß dazu kommt, daß die eine oder andere grausame Handlung mit Lustgefühlen sexueller Natur erlebt wird.
Das ist indessen nichts anderes als der Anfang einer langdauernden komplizierten Entwicklung, die sehr häufig auch frühzeitig und also rechtzeitig unterbrochen wird. Denn der Sadismus gehört zu jenen Triebabweichungen, die den Perversen in wesentliche soziale Gefahren bringen, schon dadurch, daß er bei der Ausführung seiner sexuellen Strebungen und Wünsche mit den Gesetzen in Konflikt gerät. Es ist sehr interessant, historisch und ethnologisch zu betrachten, welche Wege und Mittel die verschiedenen Völker gewählt haben, um die ihnen rassenmäßig innewohnende Grausamkeit abzureagieren. Die Tierhetzen des Altertums, der Brauch, Verurteilte oder Sklaven in der Arena von Tieren zerfleischen zu lassen, die öffentlich vorgenommenen Massenhinrichtungen und der gleichfalls öffentliche, oft von unvorstellbaren Qualen begleitete Vollzug der Todesstrafe im Altertum und im Mittelalter waren solche Ventile, wie sie heutzutage z. B. in Spanien noch die Stierkämpfe sind. Die Menschen, die solchen Greuelszenen als Zuschauer beiwohnten, vermochten offenbar im Wege der Identifikation ihre grausamen Regungen hinlänglich zu befriedigen. Gewiß hat heute, besonders bei den höher kultivierten Europäern, das Bedürfnis nach Grausamkeit abgenommen; daß aber unter dem Einfluß eben derselben kulturellen Anschauungen jene Möglichkeiten der Abreaktion verschwunden sind, dürfte wohl mit einer der Gründe dafür sein, daß zumindest leichtere sadistische Akte auch heute noch und auch in diesem Kulturkreis beklagenswert häufig vorkommen.
Es ist nun sehr interessant, daß die Verbreitung des Sadismus innerhalb einer bestimmten Kulturperiode oder bei einem bestimmten Volk, einer Rasse geradezu als Maßstab dafür angesehen werden kann, welche Höhe der Kultur, aber auch der Zivilisation vorliegt. Das wird begreiflich, wenn man sich daran erinnert, wieviel unvollkommene Hemmungen und mißlungene Verdrängungen einerseits und wieviel atavistische Einschläge und Regungen anderseits den Sadismus entstehen lassen. Wenn es auch begreiflicherweise nicht möglich ist, gewissermaßen einen sadistischen Index aufzustellen, so sind doch Züge aus dem alltäglichen Leben dafür verwertbar, ebenso wie Einzelheiten aus dem Erziehungswesen – Prügelstrafe –, schließlich die schweren sadistischen Akte, die vom Gesetz geahndet werden. Auch das Schrifttum, besonders die pornographische Literatur, läßt sich in dieser Beziehung verwerten.
Wollte man nach Art der Spenglerschen historischen Parallelen und Analogien verschiedene Kulturabschnitte und Rassen sexualpsychologisch vergleichen, so ergäbe sich wahrscheinlich, daß der Sadismus in Zeiten des Niederganges und der Degeneration häufiger ist, und daß er zurücktritt, wenn ein Volk einen heldischen Aufschwung nimmt. Zum Sadismus gehören eben Barbarei und Roheit, die keineswegs etwas für die wahre wesentliche Kraft und Zielstrebigkeit eines Volkes beweisen. Als Beispiel deutlich sadistischer Epochen sei in diesem Zusammenhang bloß das Rom der späteren Cäsarenzeit und Frankreich vor der großen Revolution angeführt.
Wir werden später bei zahlreichen Beobachtungen immer wieder sehen, welche wesentliche Rolle innerhalb des Sadismus die Flagellation spielt, also das Prügeln, Schlagen und Peitschen. Es geht das so weit, daß man gewisse Formen des Sadismus sogar zu einer eigenen Gruppe vereinigt, die man als aktive Flagellomanie bezeichnet Die aktive Flagellomanie gehört, wie bereits früher erwähnt, eigentlich zum Fetischismus, wird aber aus praktischen Gründen hier besprochen.. Es ist eine beklagenswerte Tatsache, daß der Entstehung dieser Lust am Prügeln, dieser Prügelsucht, in manchen Ländern noch immer in der Weise Vorschub geleistet wird, daß dort das Prügeln und Schlagen aus der Erziehung der Kinder noch keineswegs verschwunden ist. Wiederum, so wie bei der Pädophilie, läßt sich dann kaum entscheiden, ob sich der Hang zum Prügeln bei Eltern und Erziehern wegen der leichten – und leider sogar erlaubten – Gelegenheit eingestellt hat, oder ob, was natürlich nur für in der Erziehung tätige Personen gilt, dieser Beruf deshalb ergriffen wurde, weil schon vorher eine gewisse Neigung zu solchen sadistischen Akten bestand.
Die Grausamkeit gehört ja zu den stärksten Instinkten des Menschen. Einerseits tritt sie unter allen atavistischen Eigenschaften am häufigsten und am leichtesten an die Oberfläche; anderseits können wir es als ein deutliches Zeichen dafür betrachten, wie schwer und wie mühevoll und vor allem wie unvollkommen ihre Verdrängung und Unterdrückung noch immer ist, daß der Grausamkeitstrieb stets dann ganz allgemein manifest wird, wenn sich durch äußere Umstände eine Lockerung aller Triebbeschränkungen ergibt. Beispiele hierfür sind u. a. die Schandtaten im Dreißigjährigen Krieg, die Greuel des Bolschewismus, die Scheußlichkeiten der Gestapo und der SS im Dritten Reiche und im Zweiten Weltkrieg. Auch der sogenannte Tropenkoller gehört hierher. Er kommt dadurch zustande, daß moralisch nicht sehr gefestigte Individuen in Situationen, in denen Prügeln und Quälen ihnen untergebener Menschen ungeahndet bleiben, ihren Grausamkeitsinstinkten freien Lauf lassen, womit keineswegs selten auch sexuelle Lustgefühle verbunden sind.
Wenn wir auch durchaus auf dem Standpunkt stehen, daß der Sadismus und noch mehr die sadistischen Akte sehr häufig und sehr weit verbreitet sind, so möchten wir doch sogleich betonen, daß heutzutage der Begriff Sadismus in viel zu ausgedehntem Umfange verwendet wird. So redet man vom Sadismus in der Politik, von Steuersadismus usw. In Wahrheit muß man aber festhalten, daß Grausamkeit oder grausame Handlungen allein noch keineswegs dazu berechtigen, von Sadismus zu sprechen, sondern daß das Moment der Sexuallust unbedingt vorhanden sein muß. Sadismus ist eben eine sexuelle Triebabweichung, eine Perversion. Mörder, Messerstecher, Gewalttäter, Tierquäler, kurz die ganze Schar jener Unholde und Missetäter, die ihre Grausamkeitsinstinkte nicht zu zügeln vermögen, brauchen deswegen noch gar nichts mit dem Sadismus zu tun zu haben, ja es gibt sogar genügend sichergestellte Fälle von echtem Masochismus, bei denen solche brutale Tathandlungen vorkommen. Aus psychologischen, soziologischen und juristischen Gründen erscheint es uns wichtig, mit allem Nachdruck auf der genauen Abgrenzung des Begriffes Sadismus zu bestehen.
Gerade deshalb erscheint es wichtig, an dieser Stelle nochmals zu betonen, daß die unerhörten Greueltaten, die Europa – und nicht nur Europa – in den letzten furchtbaren Jahren erleben und miterleben mußte, mit »Sadismus« verhältnismäßig wenig zu tun haben. Mit teuflischem Vorbedacht wurden viele tausend Männer, und vereinzelt sogar Frauen, auf niedrigster Stufe der Kultur und der Zivilisation stehend, in die Lage versetzt, ja dazu ermutigt, ihren atavistisch-barbarischen Instinkten freien Lauf zu lassen, und dadurch zu Quälereien an Menschen veranlaßt, die sie an Tieren nicht ausgeführt hätten. Sexuallust ist aus ihren Handlungen wohl nur ausnahmsweise erwachsen, weit eher und weit häufiger jenes Machtgefühl, das solchen, aus niedrigen sozialen Schichten herstammenden Personen im normalen Leben verwehrt war. Nicht sie trifft daher die volle Schuld, sondern jene, die solches Tun befahlen oder zumindest frei geschehen ließen.
Erinnern wir uns nun an die schematische Darstellung der Triebabweichungen, so haben wir dort zwei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten des Sadismus angenommen, die jetzt hier des näheren ausgeführt werden sollen. Ihre Betrachtung führt uns sogleich in das Wesen dieser ganzen Perversion ein. Als wesentliches Kennzeichen für den Sadismus wurde dort angegeben, daß bei ihm eine Vereinigung von Geschlechtstrieb und Machttrieb (dieser Begriff ganz allgemein genommen) vorliege, was mit den üblichen Anschauungen keineswegs in Widerspruch steht, da ja die Zufügung von Schmerz im wesentlichen nichts anderes als die deutlichste Form der Machtausübung ist. Das Hinzutreten des Machttriebs zum Geschlechtstrieb wurde durch die Aufnahme eines Koordinatenkreuzes in das Schema versinnbildlicht. Bei der einen Möglichkeit (des Sadismus) nun wurde das Sexualobjekt auf der Ordinate nach abwärts geschoben, was nichts anderes bedeutet, als daß die betreffende Person auch im wirklichen, also im sozialen Leben, tiefer steht als der Perverse. Am häufigsten beruht dieses Tieferstehen darauf, daß die Person, die gedemütigt oder der Schmerz zugefügt werden soll, jünger ist als der Perverse. Die Hauptvertreter dieser Gruppe sind die flagellomanisch eingestellten Väter (seltener Mütter) und Erzieher. Es ist weiter nicht selten, daß Untergebene, zumal dann, wenn sie gleichzeitig jünger sind, in dieser Hinsicht als Objekte benutzt werden, wie Lehrlinge, Hausangestellte, Dienstmägde, Jungknechte usw. Es ist nun sehr wichtig, daß diese Form des Sadismus verhältnismäßig – klinisch gesprochen – gutartig ist, d.h. daß sie, die ja in mancher Hinsicht dem Normalen recht nahesteht, gewöhnlich auch insofern keine schwere Triebabweichung darstellt, als mit ihr keineswegs eine dauernde und deutliche Abkehr vom normalen Sexualverkehr verbunden zu sein pflegt. Diese Art des Sadismus ist gewissermaßen ein bürgerliches Laster, und es kommt recht oft vor, daß in dieser Weise Pervertierte bei den sadistischen Akten nur schwache Lustgefühle sexueller Natur erleben, ja daß ihnen diese kaum zum Bewußtsein kommen, so daß für die Feststellung der Triebabweichung der über die Norm hinausgehende Drang zu solchen grausamen und Schmerzen bereitenden Tathandlungen von Belang ist. Immer dort, wo Schlagen und Prügeln mehr oder weniger zur Gewohnheit geworden ist, und wo eine (selbst durchgeführte) Körperstrafe in sichtlichem Mißverhältnis zu dem Anlaß steht, der sie herbeigeführt hat, ist auf Sadismus dieser Art zu schließen.
Ganz anders liegen die Dinge bei jener Möglichkeit, die die zweite Zeichnung unseres Schemas darstellt. Und zwar in der Weise, daß der Sadist auf der Ordinate nach oben verschoben ist (während das Sexualobjekt unverändert auf der Abszisse verbleibt). Denn diese Zeichnung drückt ein Über-dem-Normalmenschen-Stehen aus, das begreiflicherweise sich nur in den seltensten Fällen mit der Wirklichkeit deckt. Ein klassisches Beispiel dafür wäre etwa Nero, und auch andere Gewaltherrscher alter Zeiten können in dieser Hinsicht als Vorbilder dienen und werden auch in der Tat als solche benutzt. Um die Distanz: oben – unten zur Umwelt, zur Mitwelt zu gewinnen, muß man, und das bedarf keiner näheren Begründung, sich über sie erheben und in weiterer Folge seine eigene Persönlichkeit maßlos überwerten, bis zu Zuständen und Einstellungen, die sich durchaus als Größenwahn bezeichnen lassen. In voller Ausprägung empfindet ein Sadist dieser Gruppe seine Mitmenschen lediglich als Werkzeuge niedrigster Art, deren Existenz bloß dadurch gerechtfertigt wird, daß er sie als Mittel seiner bösen Lust verwenden kann. Die schweren Formen des Sadismus gehören hierher, also jene Perversen, die sich mit dem bloßen Prügeln und Schlagen nicht mehr begnügen, sondern ihre Opfer verwunden und selbst töten, wie die Messerstecher und Lustmörder. Die Grenze zum echten Wahn, zum Wahnsinn, erscheint dabei verwischt und durchbrochen. Schließlich sind die großen Unholde, die Massenunglücke herbeiführen, um sich an den Qualen und am Wehgeschrei der Opfer zu weiden, gleichfalls Sadisten dieser Art.
Berüchtigte Beispiele dieser Art sind der Marschall von Frankreich Gilles de Rayes, der in den Jahren 1432 bis 1440 über 800 Kinder geschändet und getötet hatte. De Rayes war nach seiner eigenen Angabe durch die Berichte Suétons über die Orgien des Tiberius und des Caracalla auf den Gedanken gekommen, Kinder in seine Schlösser zu locken, sie zu martern, zu schänden und zu töten. Die Leichen wurden verbrannt, besonders hübsche Köpfe aber zum Andenken aufgehoben. Die Gräfin Bathory-Nadasdy hat über 600 Mädchen unter entsetzlichen Martern hingeschlachtet; ob es sich hier um echten Sadismus gehandelt hat, ist indessen fraglich, es scheint eine abergläubische Wahnvorstellung mitgespielt zu haben, da die Mörderin sich im Blut ihrer Opfer badete, »um ewige Jugend zu erlangen«.
Natürlich ist diese Scheidung nicht immer und in jedem Fall durchführbar. Es gibt Mischformen, die z. B. zwar zur zweiten Gruppe gehören, bei denen aber noch genügend soziale Hemmungen vorhanden sind, um aus ihrem so ungeheuer reichhaltigen Material an Wünschen und Phantasien nur eine kleine Auswahl zu verwirklichen, wobei dann wiederum das Prügeln und Schlagen als die harmloseste und unschädlichste Art der Zufügung von Schmerz eine beträchtliche Rolle spielt. Wir werden später beim Masochismus, also bei dem polaren Gegensatz des Sadismus, verschiedentlich sehen, daß immer nur ein kleiner Prozentsatz der perversen Wünsche und Tagträume verwirklicht wird, ja daß es sogar sehr viele Masochisten gibt, die ihre Triebabweichung überhaupt nur im Geist, in der Vorstellung erleben. Das ist nun beim Sadismus immerhin seltener, und man könnte vielleicht sogar zweifeln, ob es den Sadisten möglich ist, sich völlig auf ihre Vorstellungswelt zu beschränken, da es sich bei genauerer Beobachtung doch im allgemeinen zeigt, daß zumindest Ersatzhandlungen vorgenommen werden. Ist es also dem Sadisten z. B. unmöglich, eine Frau zu quälen oder zu erniedrigen, so wird das an einem Kinde durchgeführt, und geht auch das nicht, so wird die eine oder andere Art der Tierquälerei als Ersatz genommen.
Wir möchten nun jetzt noch einiges zur Psychologie des Sadismus sagen und fassen dabei das ganze Problem nicht mechanisch, sondern wiederum dynamisch auf. Denn wir müssen ja annehmen, daß jedem Menschen ein Hang zu grausamen Handlungen innewohnt. Man könnte nun meinen, daß die Mehrzahl der Menschen durch Kultur und Zivilisation genügend Hemmungen und Bindungen erworben habe, um Wünsche sadistischer Art dauernd zu unterdrücken, so daß also ein Minus an jenen Elementen genügen würde, um das Zustandekommen des Sadismus zu erklären. Wir möchten indes bezweifeln, ob diese Begründung wirklich ausreicht, und zwar wegen der eigentlich geringfügigen Unterschiede, die zwischen der seelischen Struktur einerseits sadistisch eingestellter, anderseits durchaus normaler Personen bestehen, besonders wenn hier wie dort die Einstellung zur Umwelt so ziemlich die gleiche ist (gleiche soziale Stufe, gleicher Bildungsgang, gleiche Rasse usw.).
Es ist klar, daß psychopathische Individuen außerhalb des Rahmens dieser Betrachtung fallen. Die bei ihnen bestehenden groben psychischen Defekte genügen ja schon allein, um auch eine schwere und schwerste Perversion zu erklären. Hierher gehören die Sadisten der zweiten Gruppe unseres Schemas.
Die ungleich weiter verbreitete, in unserem Schema zuerst dargestellte Form des Sadismus hingegen als eine Perversion im engsten Sinne aufzufassen und für sie eine psychopathische Veränderung als Grundlage anzunehmen, erscheint uns schon deshalb verfehlt, weil, wie bereits erwähnt, dabei sehr häufig ein sonst durchaus normales Geschlechtsleben bestehen kann und besteht. Erinnern wir uns nun der Tatsache, daß die Psyche immer dann, wenn sie sich in einem – mehr oder weniger bewußt – als Unlust empfundenen Spannungszustand befindet, stets bestrebt ist, eben diesen auszugleichen, so werden wir leicht verstehen, daß Menschen, die aus sozialen Gründen von ihrer Umwelt unterdrückt oder gar gequält werden oder doch zumindest zu werden glauben, bei einer gewissen Primitivität des Empfindungs- und Gefühlslebens zu einer sehr kennzeichnenden Reaktion gelangen können. Während beim höher organisierten Menschen der aus einer solchen Situation erwachende Protest durch entsprechende Einsicht in seine Bedingtheit und seine Ursachen ausgeglichen wird, wird – und das sogar sehr häufig – dort der einfachere, wir möchten sagen kindliche Weg beschritten, erfahrenes Leid und Unrecht in ähnlicher Weise zu vergelten. Es ist klar, daß dabei von einer richtigen »Talion« (Wiedervergeltung) keine Rede sein kann, und daß es sich vielmehr darum handelt, ein geeignetes Objekt zu finden, an dem man seine Gefühle der Rache und des Zornes ausleben kann. Der Mann, der nach einem Ärger im Amte seine Frau beschimpft, der Vater, der nach einem beruflichen Mißerfolg seine Kinder prügelt, sind wohl die bezeichnendsten Beispiele für diese Einstellung.
Selbstverständlich darf diese Betrachtung nicht so aufgefaßt werden, als ob durch sie die Entstehung des Sadismus überhaupt, der doch eine sexuelle Triebabweichung ist, erklärt werde, wohl aber mag sie dazu dienen, die weite Verbreitung sadistischer Akte, die von einer solchen Einstellung eben nahegelegt werden, verständlicher zu machen.
Wir haben schon früher, und zwar bei der Besprechung der Hypersexualität, darauf hingewiesen, daß sich mit dieser Triebabweichung besonders häufig der Sadismus verbindet. Krafft-Ebing ist sogar der Ansicht, daß »sexuelle Hyperästhesie immer als Basis sadistischer Neigungen zu betrachten sei«. Man darf sich da nicht irremachen lassen, wenn man Fällen begegnet, bei denen die sadistischen Akte den unmöglich gewordenen Koitus ersetzen müssen. Denn es handelt sich da nicht um eine echte Impotenz, sondern nur um jene Abkehr vom normalen Geschlechtsakt, die wir bereits beim Fetischismus besprochen haben. Besonders bei sadistischen Frauen findet man dieses Verlassen der sexuellen Leitlinie.
Wie der Fetischismus ist auch der Sadismus eine vorwiegend männliche Perversion, freilich aus andern Gründen. Der Sadismus, die Triebabweichung des Kleinbürgers, des Philisters, stellt nämlich besonders geringe Ansprüche an die Phantasie und an die Fähigkeit der Abstraktion, also an jene Eigenschaften, die beim Fetischismus eine so große Rolle spielen. Dafür aber ist, wie wir bereits ausgeführt haben, der Mann auch bereits innerhalb der physiologischen Grenzen einigermaßen sadistisch eingestellt.
Der Sadismus der Frau ist zweifelsohne ein seltenes Vorkommnis. Dem scheint zu widersprechen, daß Geschichte und Sage von nicht wenigen hervorragenden Frauen zu berichten wissen, die durch Grausamkeit und Blutdurst ausgezeichnet waren. In Wirklichkeit dürfte es sich aber damit so verhalten haben, daß bei der Darstellung solcher Persönlichkeiten ein latenter Masochismus mitgespielt und die betreffenden Historiker dazu veranlaßt haben mag, solche Königinnen und Herrscherinnen ihrem – masochistisch bedingten – Idealbild entsprechend zu formen.
Es ist das ein sogar ziemlich häufiger Vorgang. Denn den bei allen Kulturvölkern verhältnismäßig sehr zahlreichen Masochisten stehen eben in Wirklichkeit viel zu wenig Sadistinnen gegenüber, so daß die Männer, die um jeden Preis, also auch um den einer gewissen Verschiebung und Verfälschung des wahren Sachverhaltes, die Rolle der Leidenden und Dienenden spielen wollen, die als Sexualobjekt in Betracht kommenden Frauen zu Sadistinnen gewissermaßen ernennen müssen, worüber später bei der Besprechung des Masochismus noch mehr zu sagen sein wird. Hier kommt es nur darauf an hervorzuheben, daß nicht wenige anscheinend ursprünglich sadistische Frauen die Rolle der – allenfalls sogar grausamen – Herrin bloß notgedrungen und jedenfalls nicht ihrem innersten Wesen folgend übernommen haben; sie wurden eben von ihrem männlichen Partner nach einem unwirklichen Idealbild umgeschaffen. Es ist bekannt, daß Prostituierte dieser Art gewöhnlich entweder durchaus normal oder sogar im entgegengesetzten Sinn, also masochistisch, eingestellt sind und ihre verschiedenen sadistischen Praktiken und Akte nur aus Erwerbsgründen ausüben.
Wenn wir jetzt zur Kasuistik des Sadismus übergehen, so beginnen wir, nach dem Vorgang Krafft-Ebings, mit der schwersten und schrecklichsten Form der gesamten Triebabweichung, mit dem Lustmord. Aus den im nachstehenden angeführten Beobachtungen geht mit aller Deutlichkeit hervor, daß der perverse Trieb beim Lustmord nicht bloß darauf abzielt, dem Opfer Schmerzen und – als ärgsten Schaden – den Tod zuzufügen, sondern daß der eigentliche Sinn der Handlung darin besteht, den Deflorationsakt, ins Monströse und Schauderhafte verzerrt, gewissermaßen nachzuahmen. Deshalb gehört zum Lustmord ganz wesentlich, daß eine scharfe, schneidende Waffe benützt wird; das Opfer muß gestochen, aufgeschlitzt, sogar zerstückelt werden. Für den Zusammenhang zwischen Defloration und Lustmord spricht ferner, daß die hauptsächlichsten Verwundungen die Bauchgegend betreffen, und in manchen Fällen verlaufen auch die tödlichen Schnitte von der Scheide aus ins Abdomen. Bei Knaben wird durch den Lustmord sogar eine künstliche Vagina geschaffen.
Verhältnismäßig häufig erfolgt die Tötung des Opfers durch Erdrosseln, also auf einfachste Weise, ohne Verwendung einer Waffe, und zwar irgendwie im Zusammenhang mit dem Koitus, also während oder nach demselben, seltener als Ersatzhandlung. Anscheinend genügt aber dieser Akt dem Lustmörder gewöhnlich nicht, so daß das Opfer nachher noch zerstückelt wird, wofür besonders die Genitalien, bei Frauen auch die inneren Geschlechtsorgane in Betracht kommen. In höchst grauenhafter Weise kann sich an eine solche Zerstückelung auch ein fetischistisches Moment anschließen, indem Teile der Leiche – und zwar wiederum besonders die Genitalien – aufgehoben, gewissermaßen gesammelt werden.
Es ist klar, daß so schwer psychopathische Individuen wie die Pervertierten dieser Gruppe auch die verschiedensten andern Triebabweichungen aufweisen können, wie z. B. Homosexualität, Pädophilie, Fetischismus. Gleichzeitig besteht, zumindest vor und während der Untat, sehr starke Hypersexualität.
Gerade beim Lustmord zeigt sich, wie berechtigt es ist, den Sadismus auch auf atavistische Strebungen zurückzuführen. Man braucht nur die Beobachtungen 117 und 118 als Beispiele dafür zu nehmen, daß hier jedenfalls Bräuche wieder lebendig werden können, die nach all dem, was uns die Ethnologie über die primitiven Völker lehrt, in Urzeiten vorkamen, damals wohl hauptsächlich auf magischer Grundlage. Es ist dabei sogar ziemlich zweifelhaft, ob man hier überhaupt von Sexuallust sprechen und also solche Fälle von Lustmord den Triebabweichungen zurechnen kann. Schwierigkeiten in der Beurteilung bieten sich auch dort, wo Notzucht an Kindern oder an Personen im Greisenalter mit der Tötung des Opfers beendet wurde, und das um so mehr, als solche Verbrecher auf Grund ihrer psychischen Degeneration gewöhnlich außerstande sind, den Sachverhalt entsprechend aufzuklären.
In der Regel bedeutet der Lustmord (und allenfalls noch die Zerstückelung des Opfers) den Pervertierten das volle sexuelle Äquivalent; es gibt aber auch Fälle, in denen an die Tötung der Koitus mit der Leiche angeschlossen wird, was man klarerweise nicht als Nekrophilie aufzufassen hat, die ja durchaus auf andere Grundlagen zurückzuführen ist.
Und nun zu den verschiedenen Beobachtungen:
Beobachtung 114. Jack, der Aufschlitzer (Jack the ripper). Am 1. Dezember 1887, 7. August, 8. September, 30. Oktober, 9. November 1888, am 1. Juni, 17. Juli, 10. November 1889 fand man in Quartieren von London Frauenleichen in eigentümlicher Weise getötet und verstümmelt, ohne des Mörders habhaft werden zu können. Es ist wahrscheinlich, daß derselbe seinen Opfern aus viehischer Wollust zuerst den Hals abschnitt, dann ihnen die Bauchhöhle öffnete, in den Eingeweiden wühlte. In zahlreichen Fällen schnitt er äußere und innere Genitalien heraus und nahm sie mit sich, offenbar um noch später an deren Anblick sich zu erregen. Andere Male begnügte er sich, dieselben an Ort und Stelle zu zerfetzen. Es ist zu vermuten, daß der Unbekannte kein sexuelles Attentat an den 11 Opfern seines perversen Sexualtriebs beging, sondern daß das Morden und Verstümmeln ihm ein Äquivalent für den sexuellen Akt war ( MacDonald; Spitka; Kiernan).
Beobachtung 115. Alton in England geht vor die Stadt spazieren. Er lockt ein Kind in ein Gebüsch, kehrt nach einer Weile zurück und geht auf sein Büro, wo er die Notiz »Killed to-day a young girl, it was fine and hot« in sein Tagebuch macht.
Man vermißt das Kind, sucht es, findet es in Stücke zerfetzt; manche Teile, darunter die Genitalien, sind nicht auffindbar. A. zeigte nicht die geringste Spur von Gemütsbewegung und gab keine Aufschlüsse über Motive und Umstände seiner schrecklichen Tat. Er war ein psychopathischer Mensch, hatte zeitweise Depressionszustände mit Lebensüberdruß. Sein Vater hatte einen Anfall von akuter Manie gehabt, ein naher Verwandter litt an Manie mit Mordtrieben. A. wurde hingerichtet ( Krafft-Ebing).
Beobachtung 116. Ein gewisser Gruyo, 41 Jahre alt, von früher unbescholtenem Lebenswandel und dreimal verheiratet gewesen, erwürgte im Laufe von 10 Jahren 6 Frauen. Sie waren fast sämtlich öffentliche Dirnen und schon ziemlich alt. Suffocatis per vaginam intestina et renes extraxit. Nonnullas miseras ante mortem stupravit, alias (si forte impotens erat) non stupravit. Er verfuhr bei seinen Greueltaten mit solcher Vorsicht, daß er 10 Jahre lang unentdeckt blieb ( Lombroso).
Es kann sogar geschehen, daß selbst Gelüste nach dem Fleisch des ermordeten Opfers auftreten, und daß Teile der Leiche verzehrt werden.
Beobachtung 117. X., Winzer, 24 Jahre alt, von Jugend auf finster, verschlossen, leutescheu, geht fort, um eine Stelle zu suchen. Er treibt sich 8 Tage in einem Wald herum, puellam apprehendit XII annorum; stupratae genitalia mutilat, cor eripit, ißt davon, trinkt das Blut und verscharrt den Leichnam. Verhaftet, leugnet er anfangs, gesteht aber endlich sein Verbrechen mit zynischer Kaltblütigkeit. Er hört sein Todesurteil gleichgültig an und wird hingerichtet. Esquirol fand bei der Sektion krankhafte Verwachsungen zwischen Hirnhäuten und Gehirn ( Georget).
Das beste Beispiel dieser Art ist der folgende Fall des Verzeni. Das Leben seiner Opfer hing von dem raschen oder verspäteten Eintreten der Ejakulation ab. Da dieser denkwürdige Fall alles bietet, was die Wissenschaft über den Zusammenhang von Wollust und Mordlust bis zur Anthropophagie kennt, so möge er, zumal da er gut beobachtet ist, ausführliche Erwähnung finden.
Beobachtung 118. Vinzenz Verzeni wurde angeklagt: 1. der versuchten Erdrosselung seiner Muhme Marianne, als dieselbe vor vier Jahren krank zu Bette lag; 2. des gleichen Verbrechens an der 27jährigen Ehefrau Arsuffi; 3. der versuchten Erdrosselung der Ehefrau Gala, indem er ihr die Kehle zudrückte, während er auf ihrem Leib kniete; 4. außerdem verdächtigt folgender Mordtaten:
Im Dezember begab sich die 14jährige Johanna Motta morgens zwischen 7 und 8 Uhr auf ein benachbartes Dorf. Da sie nicht zurückkam, ging ihr Dienstherr aus, um sie zu suchen, und fand ihren Leichnam in der Nähe des Dorfes an einem Feldweg, durch eine Unzahl von Wunden greulich verstümmelt. Die Gedärme und Genitalien waren aus dem geöffneten Leibe herausgerissen und fanden sich in der Nähe. Die Nacktheit der Leiche, Erosionen an deren Schenkeln ließen ein unsittliches Attentat vermuten, der mit Erde gefüllte Mund deutete auf Erstickung. In der Nähe der Leiche unter einem Strohhaufen fanden sich ein abgerissenes Stück der rechten Wade und Kleidungsstücke vor. Der Täter blieb unermittelt.
Am 28.August 1871 frühmorgens ging die 28jährige Ehefrau Frigeni aufs Feld. Da sie um 8 Uhr nicht zurück war, ging ihr Mann fort, sie zu holen. Er fand sie als Leiche nackt auf dem Feld, mit einer von Erdrosselung herrührenden Strangrinne am Hals, mit zahlreichen Verletzungen, aufgeschlitztem Bauch und heraushängenden Därmen.
Am 29.August, mittags, als Maria Previtali, 19 Jahre alt, übers Feld ging, wurde sie von ihrem Vetter Verzeni verfolgt, in ein Getreidefeld geschleppt, zu Boden geworfen und am Halse gewürgt. Als er sie einen Moment losließ, um zu spähen, ob niemand in der Nähe sei, erhob sich das Mädchen und erreichte durch sein flehentliches Bitten, daß V. es laufen ließ, nachdem er ihm während einiger Zeit noch die Hände zusammengepreßt hatte.
V. gestand endlich seine Taten und deren Motive ein. Ihre Begehung habe ihm ein unbeschreiblich angenehmes (wollüstiges) Gefühl verschafft, das von Erektion und Samenergießung begleitet war. Schon wenn er sein Opfer am Halse kaum berührt hatte, stellten sich sexuelle Empfindungen ein. Es sei ihm ganz gleich in bezug auf diese Empfindungen gewesen, ob die Frauen alt, jung, häßlich oder schön waren. Gewöhnlich habe schon das einfache Drosseln derselben ihn befriedigt, und dann habe er sein Opfer am Leben gelassen – in den erwähnten zwei Fällen habe geschlechtliche Befriedigung einzutreten gezögert, und da habe er zugedrückt, bis seine Opfer tot waren. Seine Befriedigung bei diesen Erdrosselungen sei größer gewesen, als wenn er onanierte. Die Hautabschürfungen an den Schenkeln der Motta seien durch seine Zähne entstanden, als er mit großem Genuß das Blut aussaugte. Ein Wadenstück derselben habe er ausgesogen und dann mitgenommen, um es daheim zu braten, es indessen unterwegs unter einem Strohhaufen verborgen, aus Furcht, daß seine Mutter hinter seine Streiche komme. Auch die Kleider und Eingeweide habe er ein Stück weit mitgenommen, weil es ihm einen Genuß gewährte, sie zu beriechen und zu betasten. Die Stärke, die er in diesen Momenten höchster Wollust besessen, sei enorm gewesen. Ein Narr sei er nie gewesen; bei der Ausführung seiner Taten habe er gar nichts mehr um sich gesehen (offenbar durch höchste sexuelle Erregung aufgehobene Wahrnehmung und instinktives Handeln). Nachher sei ihm immer sehr behaglich gewesen, ein Gefühl großer Befriedigung; Gewissensbisse habe er nie gehabt. Nie sei es ihm in den Sinn gekommen, die Geschlechtsteile der von ihm gemarterten Frauen zu berühren oder die Opfer zu schänden, es habe ihm genügt, sie zu erdrosseln und ihr Blut zu saugen. In der Tat scheinen die Angaben dieses modernen Vampirs auf Wahrheit zu beruhen. Normale geschlechtliche Triebe scheinen ihm fremd gewesen zu sein – zwei Geliebte, die er hatte, begnügte er sich zu beschauen –, es ist ihm selbst auffällig, daß er keine Gelüste ihnen gegenüber hatte, sie zu drosseln oder ihnen die Hände zu pressen, aber freilich habe er mit ihnen nicht denselben Genuß gehabt wie mit seinen Opfern. Von moralischem Sinne, Reue und dergleichen fand sich keine Spur.
V. war ganz von selbst auf seine perversen Akte gekommen, nachdem er, 12 Jahre alt, bemerkt hatte, daß ihn ein seltsames Lustgefühl überkomme, wenn er Hühner zu erwürgen hatte. Deshalb habe er auch öfters Massen davon getötet und dann vorgegeben, ein Wiesel sei in den Hühnerstall eingedrungen ( Lombroso).
Auch in der älteren juristischen und medizinischen Literatur findet man reichlich Material zu dem so traurigen und entsetzlichen Thema des Lustmords. Der große deutsche Kriminalist Feuerbach (Anfang des 19. Jahrhunderts) berichtet von einem solchen Pervertierten:
Beobachtung 119. X. puellas stupratas necavit et dissecuit. Bezüglich des Mordes eines seiner Opfer äußerte er sich folgendermaßen im Verhör: »Ich habe ihr die Brust geöffnet und mit einem Messer die fleischigen Teile des Körpers durchschnitten. Darauf habe ich mir diese Person, wie der Metzger das Vieh, zugerichtet und habe den Körper mit dem Beil voneinander gehackt, so wie ich ihn für das Loch brauchen konnte, das ich zum Einscharren auf dem Berg gemacht hatte. Ich kann sagen, daß ich während des Öffnens so gierig war, daß ich zitterte und mir ein Stück wollte herausgeschnitten und gegessen haben.«
Aus jüngster Zeit ist der Düsseldorfer Lustmörder Kürten wohl das bekannteste und grauenhafteste Beispiel für diese unheimliche und scheußliche Perversion.
Als nächste Gruppe sind jene Fälle zu besprechen, in denen die Triebabweichung darin besteht, daß eine andere Person verletzt wird, und zwar so, daß eine blutende Wunde entsteht. Das bekannteste Beispiel bietet jener Marquis de Sade, nach dem, wie bereits ausgeführt, die ganze Triebabweichung benannt wurde. Coitus venerem suam non stimulavit, nisi quam futuabat ita pungere potuit, ut sanguis flueret. Summa ei voluptas erat meretrices nudatas vulnerare et vulnera hoc modo facta obligare.
Zur Einführung in diese Art des Sadismus kann folgender Fall, als noch verhältnismäßig dem Normalen nahestehend, dienen:
Beobachtung 120. Der betreffende Sadist mußte mit der Puella ante coitum raufen, um potent zu sein, und inter actum sie beißen und kneifen, um zur Befriedigung zu gelangen. Eines Tages fügte er der Partnerin eine so starke Bißwunde in solchem Falle zu, daß das Mädchen klagbar gegen ihn auftrat ( Ferrioni).
Weit deutlicher wird die perverse Einstellung und vor allem ihr Zusammenhang mit dem Lustmord durch die nachstehende Beobachtung:
Beobachtung 121. X., 14 Jahre 5 Monate alt, tötet einen kleinen Knaben in grausamer Weise. Die Untersuchung fördert, neben zwei Fällen von Tötung, eine Reihe von Fällen zutage, in denen X. kleine Knaben grausam gepeinigt hatte. Alle diese Kinder standen im Alter von 7 bis 10 Jahren. X. lockte sie abseits, kleidete sie vollständig nackt aus, fesselte ihnen Hände und Füße, band sie an irgendeinem Gegenstand fest, knebelte ihnen den Mund mit einem Taschentuch und schlug sie dann mit einem Stock oder Riemen oder Tauende, langsam, mit minutenlangen Pausen – dabei »lächelnd«, ohne ein Wort zu sprechen. Einen der Knaben zwingt er unter Todesandrohung, zweimal das Vaterunser herzusagen und Stillschweigen zu schwören, dann lästerliche Worte nachzusprechen. In einem späteren Fall versetzt er dem Knaben Nadelstiche in die Wange, spielt mit seinen Genitalien, bringt ihm auch dort und in der Schamgegend Stiche bei, befiehlt ihm, sich auf den Bauch zu legen, tritt und springt auf ihm herum, sticht und beißt ihn endlich in die Nates. Einen andern Knaben beißt er in die Nase, bringt ihm mit einem Messer Stiche bei. Das achte seiner Opfer ist ein kleines Mädchen, das er in den Laden seiner Mutter lockt. Dort überfällt er es von rückwärts, hält ihm mit der einen Hand den Mund zu, mit der andern schneidet er ihm die Kehle durch.
Die Leiche wird in einem Winkel, mit Kohlenasche und Mist bedeckt, gefunden, das Haupt vom Rumpf getrennt, das Fleisch von den Knochen gelöst, der Körper durch zahlreiche Schnittwunden verletzt. Der größte und klaffendste Schnitt fand sich an der Innenseite des linken Schenkels, durch das Genitale bis in die Bauchhöhle dringend. Ein anderer Schnitt erstreckt sich von der Fossa iliaca schief über das Abdomen. Kleider und Wäsche waren zerschnitten und zerrissen.
Die Leiche des neunten Opfers hatte die Kehle durchschnitten, Blut war aus den Augen geflossen, das Herz war von zahlreichen Stichen durchbohrt. Eine Menge von Stichen drang in die Bauchhöhle. Das Scrotum war eröffnet, die Testikel hingen heraus, die Glans penis war abgeschnitten.
X. hatte den Knaben, ähnlich wie das Mädchen, an sich gelockt, ihm zuerst die Kehle durchschnitten, dann die Stiche beigebracht.
Über das Motiv zu seinen Handlungen ist von X. selbst nichts zu erfahren. Einmal gibt er an, er sei durch Lektüre von den Martern der Gefangenen bei den Indianern mit dieser Grausamkeit bekannt und zur Nachahmung gereizt worden. Er habe sogar einmal deswegen zu den Indianern entlaufen wollen. Wenn er sich ein Opfer ersah, so hatte er immer die Phantasie erfüllt von Vorstellungen grausamer Handlungen ( MacDonald).
Die den Opfern zugefügten Qualen weisen darauf hin, daß es sich hier nicht um einen Lustmörder handelt (trotz der Ermordung der unglücklichen Kinder), sondern um einen Sadisten allerschwersten Grades (Typus Gilles de Rayes).
Wesentlich typischer für diese Gruppe sind die nachstehenden Fälle:
Beobachtung 122. X., Arzt, von neuropathischer Konstitution, auf Alkohol schlecht reagierend, unter gewöhnlichen Verhältnissen normal koitierend, fühlte, sobald er Wein getrunken, durch einfachen Koitus seine gesteigerte Libido nicht mehr befriedigt. In diesem Zustand mußte er in die Nates der Puella stechen oder mit einer Lanzette einschneiden, Blut sehen und das Eindringen der Klinge in den lebenden Körper fühlen, um Ejakulation zu erzielen und das Gefühl vollständiger Sättigung seiner Wollust zu haben ( Tarnowsky).
Beobachtung 123. Im Juni 1896 waren zahlreiche junge Mädchen am hellen Tage auf offener Straße ad nates gestochen worden. Am 2.7. wurde man des Täters in flagranti habhaft.
Es war ein gewisser V., 20 Jahre alt, erblich schwer belastet, der mit 15 Jahren eines Tages beim Anblick der Posteriora eines Weibes in mächtige sexuelle Erregung geraten war. Von nun an war es ausschließlich dieser Körperteil beim Weib, der ihn sinnlich anzog, er war Gegenstand seiner erotischen Phantasien und seiner Pollutionsträume. Sehr bald gesellte sich der wollüstige Drang dazu, die Nates von Frauen zu schlagen, zu zwicken, zu stechen. Im Moment, wo im Traum dies geschah, kam es zur Pollution. Allmählich trieb es ihn, dies in Wirklichkeit zu tun. Zuweilen vermochte er, um den Preis heftiger Angst mit Schweißausbruch, Widerstand zu leisten. Waren aber Orgasmus und Erektion heftig, so geriet er in solche Angst und Verwirrung, daß er zustoßen mußte. In diesem Augenblick trat die Ejakulation ein, ihm wurde leicht auf der Brust, und der Kopf war wieder frei ( Magnan, Thoinot, Garnier).
Wesentlich ist hier die Verbindung von Sadismus und Partial-(Nates-)Fetischismus, die bei der aktiven Flagellomanie eine so bedeutende Rolle spielt.
Beobachtung 124. Der Mädchenstecher von Bozen.
H. hatte zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten mit einem Brot- oder Federmesser Mädchen mit Stichen in das Abdomen, am liebsten in die Pudenda verwundet und motivierte diese Attentate mit einem bis zur Wut gesteigerten Geschlechtstrieb, der nur in dem Gedanken und der Handlung des Stechens von weiblichen Personen Befriedigung fand.
Dieser Drang habe ihn oft tagelang verfolgt. Er sei dann in einen ganz verwirrten Seelenzustand geraten, der sich erst wieder löste, wenn diesem Drang durch die Tat entsprochen war. Im Moment des Stechens habe er die Befriedigung des vollbrachten Beischlafs gehabt, und diese Befriedigung sei gesteigert worden durch den Anblick des Blutes, das am Messer herunterlief.
Schon im 10. Jahre war bei ihm der Geschlechtstrieb mächtig zutage getreten. Er verfiel zuerst der Masturbation und fühlte sich davon an Körper und Geist geschwächt.
Bevor er zum »Mädchenstecher« wurde, hatte er durch Mißbrauch unreifer Mädchen, durch Manustupration von solchen, ferner durch Sodomie seine Geschlechtslust befriedigt. Allmählich war ihm der Gedanke gekommen, welch ein Genuß es sein müsse, ein junges hübsches Mädchen in die Schamgegend zu stechen und an dem Anblick des vom Messer ablaufenden Blutes sich zu weiden.
Unter seinem Besitz fanden sich Nachbildungen von Gegenständen des Kultus, von ihm selbst gemalte obszöne Bilder der Empfängnis Marias, des im Schoße der Jungfrau »geronnenen Gedanken Gottes«. Er galt als ein sonderbarer, sehr reizbarer, leutescheuer, weibersüchtiger, mürrischer, verdrossener Mensch. Scham und Reue über seine Handlungen wurden an ihm nicht wahrgenommen. Offenbar war er eine durch frühe sexuelle Exzesse impotent gewordene Persönlichkeit, die, bei fortdauernder starker Libido sexualis und durch Belastung, zu Perversion des Geschlechtslebens hinneigte ( Demme).
Beobachtung 125. Der Mädchenschneider von Augsburg. X., Weinhändler, hatte schon mit 14 Jahren sexuelle Regungen, jedoch entschiedenen Widerwillen gegen Befriedigung derselben durch Koitus, bis zu Ekel gegen das weibliche Geschlecht. Schon damals kam ihm die Idee, Mädchen zu schneiden und sich dadurch geschlechtlich zu befriedigen. Er verzichtete aber darauf, aus Mangel an Gelegenheit und Mut.
Masturbation verschmähte er; ab und zu hatte er Pollutionen, mit erotischen Träumen von geschnittenen Mädchen.
19 Jahre alt, schnitt er zum erstenmal ein Mädchen. Haec faciens Sperma eiaculavit, summa libidine affectus. Seither wurde der Impuls immer machtvoller. Er wählte nur junge und hübsche Mädchen und fragte sie meist vorher, ob sie noch ledig seien. Jeweils trat die Ejakulation und sexuelle Befriedigung ein, aber nur dann, wenn er merkte, daß er die Mädchen wirklich verwundet hatte. Nach dem Attentat fühlte er sich immer matt und übel, auch von Gewissensbissen gefoltert. Bis zum 32.Jahre verwundete er durch Schneiden, hatte aber immer Sorge, die Mädchen nicht gefährlich zu verletzen. Von da ab bis zum 36.Jahre vermochte er seinen Trieb zu beherrschen. Nun versuchte er es, sich zu befriedigen, indem er Mädchen bloß am Arm oder Hals drückte, aber es kam dabei nur zur Erektion, nicht zur Ejakulation. Nun versuchte er es, die Mädchen mit dem in seiner Scheide gelassenen Messer zu stechen, aber auch das genügte nicht. Endlich stach er mit dem offenen Messer und hatte vollen Erfolg, da er sich vorstellte, ein gestochenes Mädchen blute stärker und habe mehr Schmerz als ein geschnittenes. Im 37.Jahr wurde er erwischt und verhaftet. In seiner Behausung fand man eine Menge von Dolchen, Stockdegen, Messern. Er gab an, daß der bloße Anblick dieser Waffen, noch mehr das Anfassen derselben ihm Wollustgefühle mit heftiger Erektion verschafft habe.
Im ganzen hatte er 50 Mädchen eingestandenermaßen verletzt ( Demme.
Zwei besonders typische Fälle, bei denen es wesentlich ist, daß Bauch und Unterleib – den Genitalien benachbart – verwundet werden (Nachahmung des Deflorationsakts). Bei der nächsten Beobachtung erfolgten die Stiche in den Oberarm als den am leichtesten erreichbaren Körperteil.
Beobachtung 126. In den 60er Jahren wurde die Bevölkerung von Leipzig durch einen Mann erschreckt, welcher junge Mädchen auf der Straße mit einem Dolch anzufallen pflegte und sie am Oberarm verletzte. Endlich verhaftet, erkannte man in ihm einen Sadisten, welcher im Moment des Dolchstichs eine Ejakulation hatte, bei dem also die Verwundung der Mädchen Äquivalent für Koitus war ( Wharton).
Der nächste Fall ist besonders dadurch gekennzeichnet, daß hier das Blut – und nicht mehr die Wunde – die Hauptrolle spielt. Das ist nicht selten und kommt vor allem in leichterer Form sogar so häufig vor, daß man für diese Unterart des Sadismus einen eigenen Namen: Vampirismus geprägt hat.
Beobachtung 127. X., 26 Jahre alt, kam im Jahre 1883 zur Konsultation wegen seiner hochgradigen Neurasthenie und Hypochondrie. Patient gibt zu, seit seinem 14.Jahre onaniert zu haben, und zwar bis zum 18.Jahre weniger; seit dieser Zeit aber fehlt ihm jede Kraft, dem Triebe zu widerstehen. Bis dahin hatte er, da er ängstlich gehütet wurde und man ihn wegen seiner Kränklichkeit fast nie allein ließ, sich nie einer Frauensperson nähern können. Er hatte auch kein rechtes Verlangen nach dem ihm unbekannten Genuß.
Durch Zufall aber kam er dazu, als ein Stubenmädchen der Mutter beim Fensterwaschen eine Scheibe zerbrach und sich heftig in die Hand schnitt. Als er dabei behilflich war, die Blutung zu stillen, konnte er sich nicht enthalten, das ausströmende Blut von der Wunde aufzusaugen, wobei er in äußerst heftige erotische Erregung kam, bis zu vollständigem Orgasmus und Ejakulation.
Von nun ab suchte er auf jede mögliche Weise sich den Anblick und womöglich den Geschmack von ausfließendem frischem Blut von weiblichen Personen zu verschaffen. Am liebsten war ihm das von jungen Mädchen. Er scheute kein Opfer und keine Geldausgabe, um sich diesen Genuß zu verschaffen. Anfänglich stand ihm jenes junge Mädchen zu Diensten, das sich nach seinem Wunsche mit einer Nadel oder sogar Lanzette in die Finger stechen ließ. Als aber die Mutter es erfuhr, entließ sie das Mädchen. Nun mußte er sich an Meretrices halten, um sich Ersatz zu verschaffen, was mit Schwierigkeiten, aber doch oft genug gelang. In der Zwischenzeit betrieb er Onanie und Manustupration per feminam, was bei ihm aber nie Befriedigung, vielmehr Abspannung und Selbstvorwürfe einbrachte. Er besuchte wegen seiner nervösen Leiden viele Kurorte und war zweimal in Anstalten interniert, die er aus eigenem Antrieb aufsuchte. Es gelang, seine abnorme geschlechtliche Erregbarkeit und den Drang zur Onanie zeitweise zu bessern. Jedoch wenn er sich selbst überlassen war, verfiel er sofort wieder in seine alte Leidenschaft und scheute weder Mühe noch Geld, um seine Geschlechtslust auf die besagte abnorme Weise zu befriedigen ( Krafft-Ebing).
Auch bei Frauen findet man diese seltsame Triebabweichung:
Beobachtung 128. Ein verheirateter Mann stellt sich mit zahlreichen Schnittnarben an den Armen vor. Er gibt über den Ursprung folgendes an: Wenn er sich seiner jungen, etwas »nervösen« Frau nähern wolle, müsse er sich erst einen Schnitt am Arm beibringen. Sie sauge dann an der Wunde, worauf sich bei ihr eine hochgradige sexuelle Erregung einstelle ( Krafft-Ebing).
Hierher dürfte auch der von Brierre de Boismont mitgeteilte Fall eines französischen Kapitäns gehören, der jedesmal vor dem – sehr häufigen – Koitus seine Frau zwang, sich hirudines ad pudenda zu setzen.
Eigenartig durch seine fetischistische Note ist der nachstehende Fall:
Beobachtung 129. X., 50 Jahre, ohne Beschäftigung, schwer belastet, befriedigte seinen Geschlechtstrieb ausschließlich an Knaben von 10 bis 15 Jahren, die er zu mutueller Masturbation verführte, und denen er beim Höhepunkt die Ohrläppchen durchstach. In neuerer Zeit genügte ihm dies nicht mehr, so daß er ihnen die Ohrläppchen abschnitt ( Thoinot).
Wir kommen nun zu einer Gruppe sadistischer Akte, die zweifelsohne weit ausgedehnter ist, als sich aus den verhältnismäßig spärlichen Beobachtungen, die im nachstehenden angeführt werden, erschließen läßt. Denn während bisher, bei den Lustmördern und bei jenen Sadisten, die ihren Opfern wirkliche Wunden zufügten, das Gesetz früher oder später eingriff, das Unwesen beendete und bekanntmachte, ist es hier nur allzu häufig, daß der Perversion immer wieder und dauernd nachgelebt werden kann. Das ist darin begründet, daß als Sexualobjekte wehrlose Personen gewählt werden, nämlich einerseits Prostituierte und anderseits Kinder und solche Jugendliche, die in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zum betreffenden Pervertierten stehen, wie Zöglinge, Lehrlinge, Jungknechte, jüngeres Hauspersonal usw. Dazu kommt noch, daß hier zwar sehr häufig Schmerzen zugefügt werden, ohne daß jedoch medizinisch-juristisch mehr als eine geringgradige Körperverletzung vorläge, so daß also auch im Falle einer Entdeckung verhältnismäßig wenig zu befürchten ist.
Wir möchten bei dieser Gelegenheit mit allem Nachdruck dafür eintreten, die diesbezüglichen Gesetzesbestimmungen weitgehend zu verschärfen! Die bei Kindermißhandlungen leider noch immer übliche Rechtsprechung bleibt weit hinter jener Sühne zurück, die allein den erduldeten Schmerzen und Qualen gemäß wäre.
Bei dieser Gruppe begegnen wir ferner zum ersten Male einem Faktor, der beim Sadismus eine bedeutende Rolle spielt, der Demütigung, der Erniedrigung. Wir sind damit, wenn wir uns an das psychodynamische Schema erinnern, bei jener Form angelangt, bei der der Sadist auf der Normalebene bleibt und die Richtung nach unten dadurch gewinnt, daß ein von vornherein tiefer stehendes Sexualobjekt gewählt wird, während bei den Lustmördern und Messerstechern natürlich die andere im Schema wiedergegebene Möglichkeit des Sadismus zutrifft.
Ein typisches Beispiel für sadistische Akte an Prostituierten ist:
Beobachtung 130. X., ein verheirateter Mann, Familienvater, in sehr angesehener kaufmännischer Stellung, ging in ein Pariser Bordell und nahm sich dort zwei Mädchen. Nachdem sie sich alle drei entkleidet hatten, flagellierte er sie. Er nahm darauf Stecknadeln und stach sie in die Brusthaut der armen Puellae, bis Blut kam. Dieses Mittel führte bei ihm zur Erektion, worauf er mit einer der Prostituierten den Beischlaf vollzog ( Thoinot).
Besonders aufschlußreich und beweisend ist für diese Form des Sadismus das Material, das Wulffen in seinem Werke: Der Sexualverbrecher zusammengestellt hat. Gleich der nächste Fall wurde von der Sexuologie als so bezeichnend angesehen, daß nach ihm der Name » Dippoldismus« für diese Art der Triebabweichung geschaffen wurde.
Beobachtung 131. Dem Hauslehrer und Studenten der Rechte Dippold hatte im Frühjahr 1903 der Kommerzialrat K. bei Antritt einer Reise nach Italien seine beiden Söhne, 7 und 10 Jahre alt, anvertraut. Frau K. hatte das Engagement bewirkt. Dippold ohrfeigte die Knaben, schlug sie mit einem dicken Stock auf Knie, Schenkel, Brust, Kopf, wo er gerade hintraf, meist in der Nacht, nachdem er die Knaben geweckt hatte. Dann beschuldigte er sie, daß sie eine Selbstbefleckung begangen hätten. Diese Beschuldigung ist für sadistische Kindergeißler charakteristisch. Die Fiktion der Onanie erhöht ihre eigene Wollust. Er band die Knaben mit Händen und Füßen zuweilen an den Bettpfosten fest, häufig legte er sie auch über einen Tisch und schlug so lange, bis der Stock zerbrach. In einer Nacht zerbrach er sieben Stöcke. Vereinzelt schliefen alle drei in einem Bette, Dippold in der Mitte, angeblich um Selbstbefleckung der Knaben zu verhindern. Beim Ballspielen und beim gemeinsamen Bad waren die Knaben völlig nackt, ebenso Dippold. Zuweilen umfaßte und küßte der Sadist die Kinder; er berührte sie unzüchtig, manchmal so heftig, daß sie bluteten. Einmal wollte Dippold den Heinz sogar mit dem Messer stechen. Die Knaben mußten »Selbstbekenntnisse« niederschreiben, in denen sie sich immer der Unzucht schuldig bekennen mußten. Am Tage, da Heinz starb, wurde er, der sich sehr schwach fühlte, frühzeitig zum Aufstehen und kalten Bad gezwungen, so daß der Knabe ohnmächtig wurde. Dippold versetzte ihm einen Fußtritt und zwang beide Knaben zu Turnübungen. Da Heinz schlecht turnte, mußte sein Bruder ihm mit einem Stock auf die Hände schlagen. Heinz wurde wieder ohnmächtig. Nun brachte Dippold ihn ins Bett. Die Sachverständigen erklärten Dippold für moralisch defekt, aber zurechnungsfähig ( Wulffen).
Beobachtung 132. Colander, der »Hausvater« einer Fürsorgeanstalt, war der Freund und Schulkollege eines Pastors, er war also nicht ohne Bildung. Er sprach aber von seinem Amte stets mit Abscheu und Ekel; er betrachtete es nur als lästigen Broterwerb. Ein Züchtigungsrecht hatte er überhaupt nicht; das Züchtigen war ihm sogar ausdrücklich untersagt worden. Er entschuldigte sich vor Gericht damit, daß in andern Erziehungsanstalten ebenso verfahren werde. Die Strafen, die Colander verhängte, waren außerordentlich barbarisch und ekelerregend. Eine sterbende Schwindsüchtige wurde mit einem Tau an einen Stuhl gefesselt und mußte so ihr armes Leben aushauchen. Ein Mädchen mußte eine ganze Woche lang auf blanken Brettern schlafen. Andere wurden damit gequält, daß man ihnen den Besuch des Abortes verbot. Dadurch kam es naturgemäß zu Verunreinigungen. Viele Mädchen wurden mit einer Hundekette gefesselt und auch geschlagen. Colander umwickelte die Arme der Mädchen mit einer solchen Hundekette, ließ sie sich dann bücken, trat mit dem Fuß auf die Kettenenden, so daß die Mädchen sich nicht rühren konnten, und schlug mit einem fingerdicken Stock zu. Ein Mädchen wurde vor einen Pflug gespannt; ein andermal wurde ihr der Nachttopf über den Kopf gestülpt, so mußte sie in der Winterkälte auf dem Hofe stehen. Bei der Prügelstrafe, die Colander nicht immer selbst vollstreckte, stand er häufig lachend dabei. Auch Colanders »Mitarbeiterin« S. ist dem Leiter des Asyls in der Anwendung des Stockes und der Peitsche gegen die widerspenstigen Zöglinge nicht nachgestanden. In einem Falle zwang sie ein Mädchen, die den allgemeinen Speisesaal verunreinigt hatte, den Kot mit dem Munde aufzunehmen, nachdem vorher der Hausvater Colander das Mädchen an den Haaren zu Boden gezogen und die S. es so lange geschlagen hatte, bis es willenlos tat, was man von ihm verlangte. In einem andern Falle, wo Colander ein Mädchen veranlassen wollte, aus einem Nachtgefäß Kaffee zu trinken, soll die S. ebenfalls Beihilfe geleistet haben. Wegen dieser beiden Fälle sowie eines Falles, in dem sie ein Mädchen an einen Stuhl festgebunden und an deren Zöpfen einen Feldstein angehängt hatte, war sie unter Anklage gestellt; eine weitere Beschuldigung ging dahin, mehrere der weiblichen Insassen durch Stockhiebe in einer Weise gezüchtigt zu haben, die sich als eine schwere Körperverletzung charakterisierte.
Der Sadismus liegt in den Colander-Prozessen besonders klar zutage. Mißhandelt werden junge Mädchen, die wegen ihrer Verwahrlosung sexuell erregten Naturen ein besonderes Stimulans zu bieten pflegen, sowohl dem Mann, Colander, als seiner weiblichen Helfershelferin. Auch die Arten der Mißhandlungen – Stock, Peitsche, Kot mit dem Munde aufnehmen, aus einem Nachtgeschirr Kaffee trinken – lassen deutlich den sexuellen Ursprung bei den Verurteilten erkennen. Colander war jedenfalls ein sexuell perverser Mensch ( Wulffen).
Beobachtung 133. Zwei 16jährige Schüler der Ölsnitzer Realschule waren bei einem Oberlehrer in Pension und machten sich das Vergnügen, ihren 13jährigen Mitpensionär scheußlich zu mißhandeln. Ohrfeigen, Stockschläge auf den unbekleideten Körper, Fußtritte, enge Fesselungen der Hände mit Kupferdraht, schmerzhafte Quetschungen mit einem Kleiderspanner und der Schlipszwinge, Schläge mit einem Hammerstiel und Verletzungen mit der Spitze eines Winkelmaßes gab es täglich. Der arme Knabe durfte nicht schreien und nichts melden, mußte den Stock selbst holen und sich freiwillig über das Bett legen, um seine Strafe entgegenzunehmen. Die beiden Burschen waren unermüdlich in der Erfindung neuer Quälereien. Mit aufgehobenem Hemd mußte St. vor ihnen stehen; er wurde mit Stecknadeln bearbeitet, mußte längere Zeit und in bestimmter Weise und im bestimmten Schritt vor seinen Peinigern auf und ab marschieren, wurde an den Stuhl gefesselt, aus dem Bett herausgezogen und in dem Zimmer umhergestoßen. Für den Fall, daß St. nichts von seinen Quälereien zu Hause meldete, wurde ihm eine »Schonzeit« von 14 Tagen zugesichert. Einmal wurden St. 80 Hiebe angedroht, man ging aber auf vier herab. Die kaum glaubhaften Quälereien hielt der Knabe vom Oktober 1907 bis nach Ostern aus, bis schließlich seine Mutter das Martyrium entdeckte, denn der arme Knabe, der oft bis zu 30 Schläge mit den Händen und mit dem Stock aushalten mußte, hatte Schwielen und Striemen schmerzhafter Art. Durch das Quetschen mit dem Kleiderspanner war auch ein Fingernagel abgestorben ( Wulffen).
Wenn auch die Phantasie, mit der diese vielfachen und so verschiedenartigen Quälereien und Mißhandlungen angestellt wurden, auf Sadismus recht deutlich hinweist, so wird doch auch manches Mal nur einfache Roheit, Brutalität und Grausamkeit vorliegen, so daß unser Standpunkt, nicht wahllos von Sadismus zu sprechen, sondern dazu stets das Moment der Sexuallust zu verlangen, auch hier zu Recht besteht.
Wir haben bereits früher erwähnt, daß, im Gegensatz zum Masochismus, es beim Sadismus seltener bei Phantasien, Tagträumen und ähnlichen psychischen Vorgängen bleibt, sondern daß Ersatzhandlungen vorgenommen werden, als deren häufigste wir den Exhibitionismus auffassen. Diese Triebabweichung ist so verbreitet, daß ihre Besprechung im Anschluß an den Sadismus in einem eigenen Kapitel erfolgen wird. Gleichfalls als Ersatzhandlungen betrachten wir die häufigen sadistischen Akte an Tieren, und zwar muß da sofort betont werden, daß der Exhibitionist gewöhnlich bereits durchaus vom Normalen abgerückt ist, so daß es sich bei ihm um eine Perversion im engsten und strengsten Sinne des Wortes handelt, daß aber der Tierquäler sogar dann, wenn seine Handlungen mit deutlicher Sexuallust verbunden sind, ansonsten durchaus beim normalen Geschlechtsverkehr bleiben kann. Besonders in frühkindlichem und kindlichem Alter ist Tierquälerei bekanntlich weit verbreitet, worauf auch bereits früher, bei der Theorie des Sadismus, hingewiesen wurde.
Es ist klar, daß es innerhalb einer solchen Perversion, wie des Sadismus an Tieren, auch verschiedene Abarten geben muß. Als die leichtesten Fälle lassen sich wahrscheinlich jene bezeichnen, bei denen es den Pervertierten genügt, Tierquälereien anzusehen. Als klassisches Beispiel dafür lassen sich die in Spanien, Südfrankreich und Mexiko noch immer üblichen Stierkämpfe betrachten, die es anscheinend großen Teilen der Bevölkerung möglich machen, ihre Grausamkeitstriebe abzureagieren. Bezeichnend ist der von Hofmann in seinem Lehrbuch der gerichtlichen Medizin berichtete Fall eines Mannes in Wien, der sich nach der gerichtlichen Aussage mehrerer Prostituierten vor dem Geschlechtsakt durch Martern und Töten von Hühnern, Tauben und andern Vögeln aufzuregen pflegte und deshalb von ihnen den Spitznamen »Hendlherr« erhielt.
Wertvoll für die Bedeutung eines derartigen Falles ist die Mitteilung von Lombroso, der zwei Männer beobachtete, die, wenn sie Hühner oder Tauben drosselten oder schlachteten, Ejakulationen bekamen.
Derselbe Autor berichtet von einem bedeutenden Dichter, der beim Anblick des Zerstückelns eines geschlachteten Kalbes oder auch beim bloßen Gewahrwerden von blutigem Fleisch sexuell mächtig erregt wurde.
Ein entsetzlicher Sport soll nach Mantegazza bei entarteten Chinesen darin bestehen, Anseres zu sodomisieren und ihnen tempore ejaculationis den Hals abzusäbeln.
Mantegazza berichtet von einem Mann, der einmal zusah, wie man Hähne abschlachtete, und seit dieser Zeit eine Gier hatte, die warmen, noch dampfenden Eingeweide derselben zu durchwühlen, weil er dabei ein Wollustgefühl empfand.
Beobachtung 134. X., 37 Jahre alt, Gerber, belastet, Masturbant seit dem 9. Jahre, war eines Tages mit einem andern Jungen im Begriff, an der Böschung einer Straße, die an dieser Stelle sehr steil war, zu masturbieren, als ein schwerer vierspänniger Wagen vorbeikam. Der Kutscher schrie und hieb auf die Pferde ein, die sich anstrengten, so daß es Funken gab. X. wurde von diesem Anblick aufs höchste sexuell erregt und ejakulierte, als ein Pferd stürzte. Seither hatte ein derartiger Anblick jeweils dieselbe Wirkung, und er konnte nicht widerstehen, Zeuge solcher Szenen zu sein und sie aufzusuchen. Ging es dabei zwar mit Mühe, aber ohne äußerste Anstrengung der Tiere und ohne Prügel ab, so wurde X. nur sehr erregt, mußte aber mit Masturbation oder Koitus zur Befriedigung gelangen. Selbst nachdem er Ehemann und Vater geworden war, dauerte dieser Sadismus fort ( Féré).
Beobachtung 135. X., 42 Jahre alt, Ingenieur, verheiratet, Vater von zwei Kindern. Stammt aus neuropathischer Familie, Vater jähzornig, Säufer, Mutter hysterisch, litt an eklamptischen Anfällen.
Patient erinnert sich, in seinen Knabenjahren mit Vorliebe der Schlachtung von Haustieren zugesehen zu haben, insbesondere der von Schweinen. Es kam dabei zu ausgesprochenem Wollustgefühl und zu Ejakulation. Später suchte er Schlachthäuser auf, um sich am Anblick des ausfließenden Blutes und der Todeszuckungen der Tiere zu ergötzen. Wo er Gelegenheit dazu finden konnte, tötete er selbst ein Tier, was ihm jedesmal ein Gefühl des Geschlechtsgenusses verschaffte.
Erst um die Zeit der vollen Entwicklung kam er zur Erkenntnis seiner Abnormität. Frauen war Patient nicht geradezu abgeneigt, aber nähere Berührung mit ihnen schien ihm ein Greuel. – Auf Anraten eines Arztes heiratete er mit 25 Jahren eine ihm sympathische Frau, in der Hoffnung, seinen abnormen Zustand loszuwerden. Obwohl er seiner Frau sehr zugetan war, konnte er nur selten und nur nach langer Bemühung und Anspannung seiner Phantasie mit ihr den Koitus ausüben. Trotzdem zeugte er zwei Kinder ( Krafft-Ebing).
Beobachtung 136. Ein Herr erschien bei Prostituierten, ließ von ihnen lebendes Geflügel oder ein Kaninchen kaufen und verlangte, daß die Person das Tier martere. Er hatte es abgesehen auf Köpfen, Augenausreißen, Ausreißen der Eingeweide. Fand er eine Puella, die sich zu derlei herbeiließ und recht grausam vorging, so war er entzückt, zahlte und ging, ohne von der Person etwas weiter zu verlangen oder sie zu berühren, seiner Wege ( Pascal).
Daß bei der Zoophilie sadistische Akte häufig sind, wurde dort bereits hervorgehoben; manchmal läßt sich tatsächlich kaum feststellen, ob Sadismus oder Zoophilie vorliegt oder, in der Verbindung beider Perversionen, vorherrscht.
Es ist wohl einleuchtend, daß Tierquälerei als Ersatzhandlung hauptsächlich jenen Sadisten nahe liegt, die verhältnismäßig primitiv sind, was allerdings, wie bereits betont, gerade bei dieser Perversion keine Seltenheit darstellt. Höher organisierte, kultivierte und überkultivierte Menschen begnügen sich weit eher damit, ihrer Triebabweichung nur im Bereich ihrer Vorstellungen, ihrer Tagträume und Phantasien nachzuleben, was Krafft-Ebing mit dem Ausdruck: ideeller Sadismus bezeichnet hat.
Es gibt verschiedene Gründe für das Zustandekommen dieser Einstellung. In erster Linie einmal der Umstand, daß die ethischen Momente stark genug sind, Gewalttaten und Quälereien zu verhindern. Weiters die Einsicht in die sozialen Schädigungen, die durch wirkliche Tathandlungen heraufbeschworen werden könnten, und schließlich auch eine reizbare Schwächung des Ejakulationszentrums, bei der dann bereits eine lebhafte Phantasievorstellung genügt, um zum Orgasmus zu gelangen.
Bezeichnend in dieser Hinsicht sind folgende Fälle:
Beobachtung 137. X., ein Agent, 29 Jahre, aus schwer belasteter Familie, masturbierte vom 14. Jahre ab, koitierte seit dem 20., aber ohne sonderliche Libido und ohne Befriedigung, so daß er bald davon wieder abstand und wieder masturbierte. Von Anfang an waren diese Akte von Phantasien eines mißhandelten, zur Duldung von erniedrigenden, entehrenden Handlungen gezwungenen Mädchens begleitet.
Auch die Lektüre von Gewalttaten gegen Frauen erregte X. sinnlich. Blut mochte er jedoch nie sehen, weder an sich noch an andern.
Zu einer Verwirklichung seiner sadistischen Ideen hatte er sich nie gedrängt gefühlt, denn jede Unnatürlichkeit im sexuellen Verkehr sei ihm widerlich. Auch liebte er es nicht, feminas nudas zu sehen.
Wie er zu solchen sadistischen Ideen gekommen sei, wußte er nicht zu sagen. Er machte diese Angaben gelegentlich einer Konsultation wegen Neurasthenie ( Krafft-Ebing).
Beobachtung 138. X., Student. Kommt im Dezember 1890 zur Beobachtung. Er treibt seit früher Jugend Onanie. Nach seinen Angaben wurde er geschlechtlich erregt, als er seine Geschwister durch den Vater züchtigen sah, später Mitschüler durch den Lehrer. Als Zuschauer solcher Akte hatte er immer Wollustgefühle. Wann dies zum erstenmal auftrat, weiß er nicht genau zu sagen; etwa mit 6 Jahren sei dies schon der Fall gewesen. Er weiß auch nicht mehr genau, wann er zur Onanie kam; behauptet aber bestimmt, daß sein Sexualtrieb durch Züchtigung anderer geweckt worden sei, und daß er dadurch ganz unbewußt zur Onanie gelangte. Patient erinnert sich bestimmt, daß er vom 4. bis 8. Jahre öfters selbst auf den Podex gezüchtigt worden ist, davon aber nur Schmerz und niemals Wollust empfunden habe.
Da er aber nicht immer Gelegenheit hatte, andere züchtigen zu sehen, stellte er sich nun in seiner Phantasie vor, wie solche gezüchtigt wurden. Das erregte seine Wollust, und er onanierte dann. Wo immer er konnte, suchte er es in der Schule so einzurichten, daß er beim Züchtigen anderer zusehen konnte. Er fühlte ab und zu auch den Wunsch, selbst andere zu züchtigen. Mit 12 Jahren brachte er einen Kameraden dazu, daß dieser sich von ihm züchtigen ließ. Dabei empfand er große Wollust. – Als aber der andere ihn dann gleichfalls züchtigte, empfand er nur Schmerz.
Der Drang, andere zu züchtigen, war nie sehr stark. Patient empfand mehr Befriedigung darin, seine Phantasie in Geißelszenen schwelgen zu lassen. Sonstige sadistische Anwandlungen hatte er nie. Niemals Drang, Blut zu sehen und dergleichen ( Krafft-Ebing).
Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie weit gespannt der Rahmen der Vorstellungswelt solcher Perverser ist. Es ist klar, daß der hierzu nötige Aufwand an Phantasie gewöhnlich nicht zur Gänze aus eigenen Mitteln bestritten werden kann, und es gibt in der Tat eine ausgedehnte Literatur, die als Unterlage für diese Tagträume und Wunschvorstellungen verwendet wird. Das sadistische oder besser das für die Sadisten brauchbare Schrifttum ist keineswegs bloß pornographisch, es werden sogar historische Darstellungen bevorzugt, unter denen die Bücher über Hexenprozesse, Leibesstrafen, Foltern, über das christliche Märtyrertum usw. die Hauptrolle spielen. Das ist unerfreulich und bedenklich, denn so manches Mal ist es nur eine Frage der Zeit, bis es auf dem Boden des rein ideellen Sadismus zu Tathandlungen kommt, die sich dann gewöhnlich als schwere sadistische Akte darstellen.
Einer andern Gruppe ideeller Sadisten genügen das Denken und das Lesen nicht mehr, und wir brauchen nur an das zu erinnern, was beim Fetischismus über die Verbalerotik gesagt wurde, um klarzustellen, daß auch hier Schreiben und Zeichnen als Ersatzhandlungen auftreten. Die sadistische Korrespondenz ist in der Tat eine häufige Erscheinung. Die Durchsicht eines größeren Materials, das den sogenannten Korrespondenzzirkeln entstammt, hat denn auch ergeben, daß etwa ein Viertel der vorliegenden Briefe sadistischen Charakter trägt.
In ewiger Wiederholung werden immer dieselben Szenen ausgemalt, wobei es den sadistischen Briefschreibern regelmäßig auch darauf ankommt, die – bei den ja unbekannten Empfängerinnen solcher Briefe gewöhnlich sehr zu Unrecht vermutete – Schamhaftigkeit durch Verwendung grob obszöner Ausdrücke zu verletzen und zu zerstören. Zu diesem Zweck werden körperliche Vorgänge und Merkmale, besonders im Bereich der Genitalien, genau beschrieben. Ekelmomente wie der Defäkationsakt und dergleichen werden mit einbezogen, daneben werden die zu verhängenden Strafen und Quälereien mit größter Genauigkeit geschildert. Häufig kommt es auch vor, daß in solchen Briefen verlangt wird, die Empfängerin (weit seltener der Empfänger) solle an sich selbst gewisse Strafen oder Erniedrigungen vollziehen, bei bestimmten Gelegenheiten oder zu bestimmten Zeiten eine beschämende Tracht anlegen usw.
Die Anfertigung von Zeichnungen und Bildern spricht auch hier von einer stärkeren Ausprägung der Perversion. Denn es handelt sich da nicht um bloße Kritzeleien, sondern um mit großer Sorgfalt und mit Berücksichtigung aller Einzelheiten ausgeführte Ausdruckszeichnungen.
Aus dem Material des Wiener Instituts für Sexualforschung stammt ein Brief, in dem ein westpreußischer Agrarier bei einer Graphikerin zwei Bilder bestellt. Es handelt sich um Züchtigungsszenen. »Der Züchtigende ist ein Herr von 50 bis 60 Jahren, die Delinquentin ein 15- bis 16jähriges Mädel. Die Bestrafung erfolgt mittels Stockes. Das Mädchen steht krumm, und zwar so, daß sie die Fingerspitzen auf die Fußspitzen zu stellen versucht. Die Hacken sind dabei militärisch zusammengenommen. Das Mädel trägt allemal das Haar in Hängezöpfen oder offen, hat absolut keinen Brüsteansatz, dafür außerordentlich stark betonte Nates. Das Mädel trägt hohe schwarze Stiefel, jedoch keine sogenannten Hochschaftstiefel, hohe Absätze sind unerwünscht, statt dessen vielmehr niedrige Kinderabsätze. Die Mädels sind völlig bekleidet. Ich wahre nämlich den guten Ton grundsätzlich. Die Delinquentin kann ein Taschentuch zum Tränentrocknen in der Hand oder vor den Augen haben. Auf einem der Bilder wäre noch eine zweite Mädchengestalt anzubringen, die genau so gekleidet und genau so alt ist wie die erste. Sie sieht sich den Züchtigungsvorgang, der sich vor ihren Augen abspielt, mit höchstem Entsetzen an, weint auch eventuell. Sie ist völlig bekleidet, aber die Röcke sind so unwahrscheinlich kurz, daß der Beschauer außer den schwarzen Schuhen und Strümpfen noch die Strumpfbänder sieht und einen breiten Streifen cutis albae.«
Schließlich sei noch erwähnt, daß gerade die sadistische Verbalerotik es ermöglicht, die von uns immer hervorgehobenen Übergänge zwischen Normalem und Perversem aufzuzeigen. Es ist ein durchaus gewöhnlicher Vorgang, daß die Partner beim Geschlechtsakt sich Schimpfworte, Ekelnamen, Tiernamen und dergleichen zurufen, offenbar weil die starke Erregung der psychomotorischen Sphäre durch den bloßen Geschlechtsakt nicht genügend abreagiert werden kann, so daß ein solches Ventil der Leidenschaft benötigt wird. Das ist selbstverständlich noch normal. Menschen indessen, die gewohnheitsmäßig und vor allem auch dann, wenn von einer solchen Erregung der psychomotorischen Sphäre keine Rede sein kann, andere Personen mit lauter Stimme in dieser Art beschimpfen, erweisen dadurch bereits ihre sadistische Einstellung.
Schon aus der Beschreibung des Sadismus und den hierzu erbrachten Beispielen ergibt sich, daß diese Perversion in sozialer Hinsicht zweifellos die unerfreulichste, schädlichste und gefährlichste ist. Wir werden später beim Masochismus noch sehen, daß selbst leichtere sadistische Akte in der Familie und in der Schule bei prädisponierten Personen einen Masochismus auslösen können, und weit darüber hinaus gehen natürlich die eigentlichen Verbrechen aus sadistischer Grundlage.
Eine so weit reichende und so tief gehende Perversion wie der Sadismus ist begreiflicherweise nicht ohne Einfluß auf die Literatur geblieben. Die als Material für Tagträume und Wunschvorstellungen vielfach verwendeten Werke über Körperstrafen, Folterungen, Hinrichtungen usw. wurden bereits erwähnt. Aber auch große Dichter haben sich mit dem Sadismus beschäftigt, und es ist sehr interessant, daß weniger sadistische Männer als Frauen ihr Interesse erregt haben. Das berühmteste Beispiel ist Kleists Penthesilea. Im 22. Auftritt wird berichtet, wie Penthesilea den vorher in Liebesraserei verfolgten Achill in Stücke reißt und ihre Hunde auf ihn hetzt.
»Sie schlägt, die Rüstung ihm vom Leibe reißend, den Zahn schlägt sie in seine weiße Brust, sie und die Hunde, die wetteifernden. Oxus und Sphinx den Zahn in seine Rechte, in seine Linke sie; als ich erschien, troff Blut von Mund und Händen ihr herab.«
Und später, zu sich gekommen, spricht Penthesilea:
»Küßt' ich ihn tot. Nicht – küßt' ich ihn nicht? Zerrissen wirklich? So war das ein Versehen; Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das eine für das andre greifen.«
Das wollüstige Beißen hat schon Horaz gekannt. Noch früher, in der klassischen Heldensage, wird Omphale als Sadistin beschrieben. Und die arabischen Märchen, wie Tausendundeine Nacht, schildern ähnliche Frauengestalten. Freilich dürfte dabei, wie bereits früher erwähnt, der Masochismus der Dichter die Hauptrolle spielen. Das gilt in noch höherem Maße von verschiedenen modernen Schriftstellern, unter denen Wildenbruch und die französische Autorin Rachilde erwähnt seien. Und natürlich noch weit mehr von dem schon stark ins Pornographische hinüberreichenden Schrifttum, das zweifelsohne bloß darauf abzielt, das Bedürfnis des Leserkreises zu befriedigen. Das Urbild all dieser Autoren ist Marquis de Sade. Während aber bei ihm eine ungeheure Phantasie die seltsamsten, freilich vom Tragischen bis ins Lächerliche reichenden Begebenheiten hervorgebracht hat, findet man bei seinen Nachfolgern bloß die läppische Wiederholung stets derselben Situationen und Szenen.
Wie schon früher ausgeführt, ist der ideelle Sadismus nicht unbedenklich und nicht leicht zu nehmen, weil es stets zu einem Umschlagen in die aktive Form kommen kann. Es wäre also nur aufs wärmste zu begrüßen, wenn die gesamte halb- und ganzpornographische Literatur vom Gesetz weit schärfer verfolgt würde, als dies in den meisten Kulturstaaten leider noch immer der Fall ist.