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Achtes Kapitel

Autosexualismus

Wir glauben, die erste Gruppe der Perversionen mit der Besprechung des Autosexualismus abschließen zu sollen, schon deshalb, weil sich dadurch von selbst ein Übergang zu jener Triebabweichung ergibt, mit der die zweite große Gruppe beginnt, dem Fetischismus. Bereits Moll hat nach dem Autoerotismus Havelock Ellis' den Begriff Autosexualismus gebildet und ihn in Zusammenhang mit dem Narzißmus gebracht. Wir glauben nun, daß der Autosexualismus eine sehr verbreitete und auch praktisch keineswegs belanglose Triebabweichung ist, die bisher hauptsächlich deshalb zu wenig beachtet wurde, weil man zahlreiche in dieser Art pervertierte Personen den Gruppen der sexuellen Anästhesie und Hypästhesie zugerechnet hat.

Nun lehrt aber die Beobachtung, daß bei einer erstaunlich großen Zahl von Menschen von einer geschlechtlichen Betätigung scheinbar nicht die Rede sein kann. Man hat da die Wahl zwischen verschiedenen Annahmen. Man kann entweder der Ansicht sein, daß hier keine Libido vorliege, und daß somit das Hauptmotiv für irgendwelche Sexualakte fehle; dann müßte man die Grenzen der sexuellen Anästhesie beträchtlich weiter stecken. Oder aber man müßte meinen, daß es sich hier um eine sexuelle Askese und Abstinenz normal sexueller Personen handle, und zwar ohne daß sich bemerkenswerte Folgen ergäben. Dem widerspricht nun das, was wir über die Stauung der Libido, über die Umwandlung und Umsetzung libidinöser Regungen und dergleichen wissen. So bleibt schließlich die dritte Möglichkeit als die annehmbarste: daß jene Personen, denen der Sexualpartner fehlt, sich selbst als Sexualobjekt benützen, freiwillig oder, was wohl wesentlich häufiger ist, unfreiwillig. Kommt es zu einer dauernden Fixierung dieser Einstellung, so daß andere Möglichkeiten sexueller Betätigung gar nicht erwogen oder abgelehnt werden, dann darf, ja muß man von Autosexualismus sprechen.

Bei dieser Triebabweichung ist es besonders schwierig, überzeugende Befunde zu erheben. Denn es bedarf einer ganz eigenen seelischen Verfassung, um sich gerade in dieser Beziehung von der Umwelt zu isolieren, um auf die naturgemäße und naturbedingte Verbindung mit der Menschheit zu verzichten. Daß eine stark ausgeprägte, ja übersteigerte Schamhaftigkeit, angeboren oder erworben, hier ganz wesentlich mitspielt, ergibt sich von selbst, und darin liegt auch schon begründet, wie schwer es ist, Zugang in diese sorgfältig behüteten Geheimnisse der Psyche zu finden. Dazu kommt noch, daß, zum Teil aus demselben Grund, ärztlicher Rat verhältnismäßig selten aufgesucht wird, zumal soziale Schädigungen oder Konflikte mit den Behörden beim Autosexualismus nicht zu befürchten sind.

Will man diese Triebabweichung verstehen, so muß man beachten, daß sie im wesentlichen infantil ist. Das Kind entdeckt sich sehr bald als Sexualobjekt und verharrt dabei während eines verhältnismäßig langen Zeitraumes. Im normalen Verlauf der Dinge wird, hauptsächlich unter dem Einfluß der Erotik, diese Einstellung aufgegeben, wobei es freilich häufig genug vorkommt, daß sie später für kürzere oder auch längere Zeit oder schließlich im höheren Alter dauernd wieder aufgenommen wird. Der Autosexualismus ist eigentlich nichts anderes als die wichtigste sexuelle Rückzugslinie, der Ausweg, der es ermöglicht, die Schwierigkeiten der Objektwahl mit allen Gefahren der Enttäuschung, des Risikos, des Verlustes usw. zu vermeiden, ohne dabei auf die Sexuallust zu verzichten. Daraus ergibt sich schon, daß vor allem Personen mit Minderwertigkeitskomplexen zum Autosexualismus bestimmt sind; er ist dann gewissermaßen die leichteste und unschädlichste Lösung des Sexualproblems. Wenn wir z. B. die Potenzangst als – oft entscheidenden – Faktor bei den abwegigsten Perversionen antreffen und diese Fälle mit dem Autosexualismus vergleichen, so hat es durchaus den Anschein, als ob jene Lösung dort mißglückt und hier gelungen wäre.

Auch in einem andern Sinn hat der Autosexualismus eine geglückte Lösung zu bedeuten. Die Fälle sind nämlich keineswegs selten, in denen Frauen ihr ganzes Leben hindurch nur klitoriell erregbar bleiben. Wenn es dann – in der Ehe – bei normalem Geschlechtsverkehr nur zu einer vaginalen Reizung kommt, bleibt der Orgasmus demgemäß aus. Der Ausweg aus diesem für die Frauen manchmal sehr quälenden Zustand wird dann darin gefunden, daß der eigentliche Geschlechtsakt immer weniger sexuell betont und sexuell erlebt wird, bis er schließlich zu einer als lästig empfundenen Formsache wird, und daß gleichzeitig sich insofern ein Autosexualismus entwickelt, als durch Wiederaufnahme infantiler Behelfsmaßnahmen der Geschlechtstrieb befriedigt wird.

Es soll indessen mit alledem nicht der Eindruck erweckt werden, als ob der Autosexualismus keine Triebabweichung, sondern dem Normalen zumindest eng benachbart wäre. Denn Charakter und Persönlichkeit werden durch diese Art der Einstellung stark in Mitleidenschaft gezogen, so sehr, daß sich bereits aus ihnen gar nicht selten der Autosexualismus des betreffenden Individuums erschließen läßt. In solchen Fällen besteht der zugrunde liegende Minderwertigkeitskomplex unvermindert fort, und verschiedene Hilfsmaßnahmen werden zu seinem Ausgleich aufgeboten. Solche sind erhöhte Angriffslust, Herrschsucht, Machtwahn, Absonderungsbestrebungen usw. Anderseits kommt es vor, daß beim Autosexualismus die volle Befriedigung nicht erreicht wird, so daß libidinöse Reste übrigbleiben, die zu erotischen Tagträumen führen. Solche Personen sind dadurch in ihrer Tätigkeit gehemmt, und es hängt hier oft nur von manchmal ganz zufälligen äußeren Umständen ab, ob der Übergang in eine andere Perversion (wohl am häufigsten Fetischismus) erfolgt.

Wenn wir bereits am Eingang dieses Kapitels davon gesprochen haben, daß es gewissermaßen den Übergang zum Fetischismus bildet, so war das vor allem darin begründet, daß hierher die praktisch wichtigste aller Perversitäten gehört, die Masturbation. Die Masturbation, auch Selbstbefriedigung oder Onanie genannt, ist besonders in der Zeit der Pubertät ganz allgemein verbreitet. Und die bis in die jüngste Zeit hinein immer wiederkehrende Anschauung, daß sie beim weiblichen Geschlecht weit seltener sei als beim männlichen, läßt sich heute kaum mehr aufrechterhalten. Zweifelsohne ist sie für eine ganze Reihe von Perversionen wesenseigentümlich, in erster Linie für den Fetischismus.

Beim Autosexualismus bildet die Masturbation eigentlich den gesamten Inhalt der Perversion. Es ist dabei von sekundärer Bedeutung, ob sie rein sexuell erfolgt, also im Bereich des Physischen bleibt, oder ob sie erotischer Natur ist, also von verschiedenen Lustvorstellungen begleitet wird. Es ließe sich höchstens sagen, daß es bei jenen Formen des Autosexualismus, die ein Verharren auf infantiler Stufe oder ein Zurückkehren zu derselben darstellen, dann dort, wo – bei Frauen – der anders nicht auslösbare Orgasmus durch die Masturbation herbeigeführt wird, und schließlich bei sexuell weniger differenzierten Personen sich um die rein physische Masturbation handelt. Wo sie von Tagträumen und andern erotischen Vorstellungen begleitet wird, dort wird man zu zweifeln haben, ob es sich um Autosexualismus handelt, oder ob hier nicht eben jene Perversion vorliegt, zu der die dann ständig mit der Masturbation verknüpften Vorstellungsinhalte gehören, wie z. B. Masochismus, Fetischismus, Homosexualität usw.

Im Zusammenhang mit dem Autosexualismus ist auch eine Triebabweichung zu besprechen, die als Narzißmus Nach dem schönen Griechenknaben Narziß, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte. bezeichnet wird. Dieser Ausdruck spielt in der neueren Psychoanalyse eine große Rolle, auf die nicht näher eingegangen zu werden braucht. Hier handelt es sich um jene Fälle, bei denen der Anblick des eigenen Körpers Lustvorstellungen hervorruft, die so stark sind, daß solcherart eingestellte Personen eine andere Sexualbetätigung, bzw. andere Sexualobjekte ablehnen. Schon Iwan Bloch hat darauf hingewiesen, daß Kinder bei der Selbstbespiegelung mitunter die ersten sexuellen Erregungen haben. Rohleder hat Fälle dieser Art als Automonosexualismus beschrieben. Eine solche Beobachtung lautet (gekürzt):

Beobachtung 34. X., 25 Jahre alt, als Schüler geweckt, aber verschlossen, wenig Verkehr mit Kameraden. Weder über homosexuelle Neigungen noch über »Frauenzimmergeschichten« ist aus dieser Zeit etwas zu ermitteln, er sei bloß stets sehr eitel und akkurat gewesen. Sein liebstes sei es gewesen, sich in jenen Jahren gut zu kleiden. Er stand sehr viel vor dem Spiegel, frisierte sich zuweilen selbst Locken mit der Brennschere, bespritzte sich mit Kölnischem Wasser und dergleichen.

X. ist mittelgroß, ziemlich breit gewachsen, von starkem Knochenbau; spärlicher dünner Bart, männliche Stimme, männliches Becken, normale Genitalbildung. Kurz, kein Hinweis auf irgendwelche Umwandlung der peripheren oder sekundären Geschlechtscharaktere. Der Sexualtrieb sei bei ihm mit dem 13. Lebensjahre erwacht. Damals sei er von Kameraden auf Erektion und Ejakulation aufmerksam gemacht worden. Seither 1-2mal wöchentlich Masturbation, niemals mutuelle Onanie.

»Vom 14. Lebensjahre an erwachte in mir eine Achtung vor mir selbst, eine mächtige Eigenliebe. Ich hatte mich furchtbar lieb, pflegte mich selbst zu küssen, indem ich mich vor den Spiegel stellte und mein Spiegelbild küßte. Dabei bekam ich Erektionen; gleichzeitig war es mein höchster Genuß, mich nackend vor den größten Spiegel zu stellen und mein eigenes Glied zu beobachten, was mich manchmal, ohne daß ich es berührte, bis zur Ejakulation reizte.«

Bei einem Versuch, mit einem Mädchen Beziehungen anzuknüpfen, blieb X. völlig kalt; er hatte mit 17 Jahren nicht die geringste Neigung, ein Mädchen unzüchtig zu berühren. Es traten keine Erektionen ein, und der Koitus mißlang. Ein junger Mann und selbst der schönste Knabe können ihn ebensowenig reizen wie das schönste Mädchen. »Es war mein höchster Genuß, mich selbst nackend im Spiegel zu sehen und mich abzuküssen, meinen eigenen Penis zu erfassen und mich masturbierend im Spiegel zu beobachten. Erregt werde ich sexuell gewöhnlich durch erregende Lektüre oder im Schlaf.« Die Träume haben zum Inhalt, daß er nackt in einem großen Salon vor einem großen Spiegel steht oder in einem großen Zimmer, dessen Wände nur aus Spiegeln bestehen, »wo also mein Ebenbild nackt von allen Seiten mir zugeworfen wird. Ich beginne mit demselben zu poussieren, den Schnurrbart zu drehen, zu küssen und bekomme dabei Erektionen und Samenausfluß«. Manchmal träumt er auch, er wolle baden, sitze am Meeresstrand oder an einem Bach und sehe sein Spiegelbild; dann möchte er das Wasser oder die einzelnen Körperteile im Wasser küssen. Allmählich habe er sich selbst begattet. »Ich presse mein Glied an das im Spiegel wiedergebildete Glied oder zwischen die Oberschenkel und empfinde dabei das höchste Seligkeitsgefühl; abstoßend wirkt hierbei nur die Kälte des Spiegels. Noch günstiger wirkt aber das Reiben des Gliedes an meinem Oberschenkel. Hierbei empfinde ich besonders durch die Wärme des Oberschenkels ein Kribbeln und Jucken in der Harnröhre, und gerade darauf erfolgt der Samenerguß.« Er bereut es nicht, daß er mit keiner andern Person Geschlechtsverkehr hat; er genügt sich vollkommen. »Unwillkürlich kommt mir der Gedanke, mein Spiegelbild sei ein zweites lebendes Ich, daß ich also in zwei Personen existiere. Dieses zweite Ich, das in meiner Phantasie stets als leiblich mir vorkommt, ist das inbrünstig von mir geliebte Wesen. Dieses Bildnis, mein eigenes Ich, ist es auch, was ich im Traum im Spiegel gesehen.«

Nach Angabe einer Verwandten habe X. eine »Spiegelverrücktheit« und eine »Lichtverrücktheit«, denn Spiegel, die er von überallher zusammentrage, und Lichter seien seine Freude. Beruf, Sport, Zeichnen werden eifrig betrieben; viel rauchen, wenig trinken. X. ist sparsam, geizig. In der Kleidung sehr elegant – Lackstiefel, tadellose Wäsche usw. Überaus sorgfältige Körperpflege, starker Verbrauch von Seife, Pomade und Kölnisch Wasser. Allgemeinzustand und Gesundheit tadellos ( Rohleder).

Nun, schon dieser Fall läßt sich wohl auch so deuten, daß hier Autosexualismus homosexueller Färbung besteht. Und es ist möglich, daß dies auch für andere Fälle von Narzißmus zutrifft.

Über die Verbreitung dieser Perversion läßt sich aus eben den Gründen, die bereits beim Autosexualismus erwähnt wurden, verhältnismäßig wenig sagen, doch scheint sie jedenfalls häufiger zu sein, als aus den Literaturangaben hervorgeht. Wir möchten aber bezweifeln, ob es überhaupt notwendig ist, den Narzißmus vom Autosexualismus abzutrennen. Sehr wahrscheinlich handelt es sich hier lediglich um einen Autosexualismus mit überdurchschnittlich bewußten homosexuellen, sich auch auf Einzelheiten erstreckenden Lustvorstellungen.


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