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buchschmuck

Der Wald rauscht

Der Wald rauschte ... In diesem Walde stand stets ein Rauschen – gleichmässig, gedehnt, wie der Wiederhall von fernem Läuten, ruhig und dunkel, wie ein stilles Lied ohne Worte, wie eine unklare Erinnerung an Vergangenes. In ihm stand stets ein Rauschen, weil es ein alter dichter Nadelwald war, den die Säge und das Beil eines Holzfällers noch nicht berührt hatte. Hohe hundertjährige Fichten mit roten mächtigen Stämmen standen wie ein düsteres Heer, die grünen Wipfel oben fest aneinandergeschlossen.

Unten war es still und roch nach Harz; durch die Decke der Fichtennadeln, mit denen der Boden bestreut war, hatten sich helle Farren Bahn gebrochen, in wunderlichen Wedeln sich üppig ausgebreitet und standen unbeweglich da, ohne ein Blatt zu rühren. In feuchten Winkeln reckte sich in hohen Halmen grünes Gras empor; weisser Honigklee beugte den schweren Kopf wie in stiller Erschöpfung nieder. Oben aber zog ohne Ende und Unterbrechung das Waldesrauschen dahin, wie dumpfe Seufzer des alten Forstes. Jetzt aber wurden diese Seufzer immer tiefer und stärker. Ich ritt einen Waldweg entlang und obwohl ich den Himmel nicht sah, fühlte ich aus der Art, wie sich der Wald verdüsterte, dass über ihm sich leise eine schwere Wolke erhob. Es war nicht mehr früh. Zwischen den Stämmen durch drang noch hie und da ein schräger Strahl der untergehenden Sonne, im Dickicht aber verbreitete sich schon die nebelige Dunkelheit. Gegen Abend zog ein Gewitter herauf. Für heute musste ich jeden Gedanken an die Jagd aufgeben; es war höchste Zeit, vor dem Unwetter noch in ein Nachtquartier zu kommen. Mein Pferd stampfte mit den Hufen auf die entblössten Wurzeln, schnaubte und spitzte die Ohren, dem laut tönenden Waldecho lauschend. Es beschleunigte selbst den Schritt zu dem bekannten Häuschen des Waldhüters. Ein Hund bellte. Zwischen den sich lichtenden Stämmen schimmern Wände aus Lehm. Eine kleine blaue Rauchwolke schwebt unter herabhängendem Grün; ein schiefes Häuschen mit einem zottigen Dache hat unter der Wand der roten Stämme Zuflucht gesucht; es scheint in die Erde hineinzuwachsen, da die schlanken und stolzen Fichten hoch über ihm ihre Gipfel schaukeln. Mitten in der Lichtung steht eng aneinander geschmiegt ein Häuflein junger Eichen. Hier wohnen gewöhnlich die Begleiter meiner Jagdausflüge – die Waldhüter Sachar und Maxim. Jetzt aber sind sie anscheinend beide nicht zu Hause, da auf das Gebell des grossen Schäferhundes niemand erscheint. Bloss der alte Grossvater mit dem kahlen Kopfe und dem grauen Schnurrbart sitzt auf der Bank und flechtet einen Bastschuh. Sein Bart hängt fast bis zum Gürtel, die Augen schauen trübe, als ob er sich fortwährend an etwas erinnere, dessen er sich nicht entsinnen kann.

– Guten Abend, Grossvater! Ist jemand zu Hause?

– Eh! – schüttelt der Grossvater den Kopf. – Weder Sachar, noch Maxim ist da und Motrja ist auch in den Wald nach der Kuh gegangen ... Die Kuh hat sich verlaufen, – vielleicht haben sie die Bären zerrissen ... So ist es ... niemand ist da!

– Na, hat nichts zu sagen. Ich bleibe bei dir und warte.

– Warte, warte, – nickte der Grossvater und während ich das Pferd an einer Eiche anbinde, schaut er mich mit schwachen und trüben Augen an. Dem alten Grossvater geht es schon schlecht: die Augen sehen nicht und die Hände zittern.

– Wer bist du denn, Bursche? – fragt er, als ich mich auf die Bank neben ihn setze.

Diese Frage höre ich bei jedem meiner Besuche.

– Eh, ich weiss jetzt, weiss schon, – sagt der Alte und nimmt den Bastschuh wieder auf. – Der alte Kopf ist wie ein Sieb, behält nichts. Die schon längst gestorben sind, deren erinnere ich mich, – oh, erinnere mich gut! Die neuen Menschen aber vergesse ich immer ... Bin zu lange auf der Welt schon ...

– Seit wann lebst du in diesem Walde, Grossvater?

– Eh, sehr lange! Als der Franzose in unser Land kam, war ich schon hier.

– Du hast viel in deinem Leben gesehen. Du hast manches zu erzählen, meine ich.

Der Grossvater sieht mich verwundert an.

– Was soll ich denn gesehen haben, Bursche? Ich habe den Wald gesehen ... Der Wald rauscht, rauscht am Tage und in der Nacht, rauscht im Winter und im Sommer ... und ich habe, wie jener Baum, mein Leben im Walde verlebt und nichts gesehen ... Es ist schon Zeit ins Grab zu steigen, wenn ich aber manchmal nachdenke, kann ich selbst nicht begreifen, ob ich auf der Welt gelebt habe oder nicht ... Eh, so ist es! Vielleicht habe ich auch gar nicht gelebt ...

Der Rand einer dunklen Wolke stieg hinter den dichten Wipfeln über der Waldlichtung hervor; die Zweige der die Lichtung umschliessenden Fichten bewegten sich unter dem Windstoss hin und her und das Waldesrauschen zog in einem tiefen, verstärkten Accord dahin.

– Der Sturm naht, – sagte der Alte nach einem Augenblick. Das weiss ich. Oh – oh, in der Nacht wird der Sturm losheulen, wird die Fichten brechen, sie mit den Wurzeln herausreissen! ... Der Waldgeist wird spielen ... – fügte er leiser hinzu.

– Woher weisst du es denn, Grossvater?

– Eh, das weiss ich! Ich verstehe gut, wie der Baum spricht ... Der Baum fürchtet sich auch, Bursche ... Die Espe, der verfluchte Baum, der murmelt fortwährend etwas, – kein Wind ist da, sie aber zittert doch. Die Fichte im Walde spielt, klirrt am hellen Tage, kaum regt sich aber ein Wind, da summt sie und stöhnt auf. Das hat noch nichts zu sagen ... Höre aber jetzt ... Obwohl meine Augen schlecht sehen, hört doch das Ohr: die Eiche rauscht, die Eiche hat es schon auf der Lichtung erfasst ... Das deutet auf Sturm.

Thatsächlich schwenkte das Häuflein niedriger stämmiger Eichen, die mitten in der Lichtung standen und von der hohen Wand des Waldes beschützt waren, die starken Zweige und von ihnen herüber flog ein dumpfes Rauschen, das von dem lauten Geläute der Fichten zu unterscheiden war.

– Eh! hörst du, Bursche? – sagte der Grossvater mit einem kindlich verschmitzten Lächeln. – Ich kenne es schon: wenn es die Eiche so gepackt hat, da kommt der Geist in der Nacht, wird sie brechen wollen ... Aber nein, er wird sie nicht brechen! Die Eiche ist ein starker Baum, sie ist sogar dem Geiste über an Kraft ... so ist es!

– Was für einem Geist, Grossvater? Du sagst ja selbst: der Sturm rüttelt.

Der Grossvater schüttelte den Kopf mit einem schelmischen Ausdruck.

– Eh, ich weiss es schon! ... Jetzt, erzählt man, giebt es Menschen, die schon an nichts mehr glauben. So ist es geworden! Ich aber habe ihn gesehen – so wie ich dich jetzt sehe oder noch besser, denn jetzt sind meine Augen alt, damals waren sie aber jung. Oh, wie meine Augen in der Jugend gut sahen! ...

– Wie hast du ihn denn gesehen, Grossvater, erzähle es einmal!

– Ja, ganz wie jetzt war es gewesen: zuerst stöhnte die Fichte im Walde ... Bald läutete, bald stöhnte sie: a-a-aeh ... o-o-o-oeh! – und hört auf, dann fängt sie von neuem an, aber öfter und klagender, weil der Geist in der Nacht viele von ihnen umreissen wird. Und dann fängt die Eiche an zu reden. Und gegen Abend wird es immer stärker, in der Nacht aber fängt er an zu wirtschaften: läuft im Walde herum, lacht und weint, dreht sich, tanzt und stürzt sich immer auf die Eiche, will sie fortwährend herausreissen ... Ich habe aber einmal im Herbst durch das Fensterchen geschaut; das gefiel ihm ganz und gar nicht: er kam zum Fenster gelaufen, hieb mit einem krummen Fichtenast darauf los; er hat mir beinahe das ganze Gesicht verstümmelt, aber ich war kein Dummkopf – ich sprang zurück. Eh, Bursche, so böse ist er! ...

– Wie sieht denn er aber aus?

– Er sieht aus wie eine alte Weide, die im Sumpfe wächst. Er ist ihr sehr ähnlich! ... Die Haare sind wie trockner Vogelleim, der auf den Bäumen wächst, auch der Bart; die Nase aber ist wie ein starker Ast und die Fratze scheckig, als ob sie mit Moos bewachsen ist ... Pfui, wie hässlich er ist! Gott bewahre einen Christen, ihm zu ähneln ... Bei Gott! Ich habe ihn noch einmal am Sumpfe gesehen, sehr nah ... Wenn du willst, komm im Winter her, da kannst du ihn selbst sehen. Geh den Berg dort hinauf, – der Berg ist mit Wald bewachsen, – und klettre hinauf auf den höchsten Baum, ganz bis zur Spitze. Von dort aus kann man ihn manchmal sehen: er geht wie eine weisse Säule über den Wald und dreht sich nur so herum, kommt vom Berge ins Thal hinab ... Er läuft, läuft und verliert sich dann im Walde. Eh! ... Wo er aber geht, da verweht er die Spuren mit weissem Schnee ... Wenn du mir altem Manne nicht glaubst, so schau nur selbst einmal nach.

Der Alte war gesprächig geworden. Es schien, das lebhafte und aufgeregte Murmeln des Waldes und das in der Luft schwebende Gewitter regten das alte Blut auf. Der Grossvater nickte mit dem Kopf, lächelte und blinzelte mit den verblichenen Augen.

Aber plötzlich schien ein Schatten über die hohe von Runzeln durchzogene Stirn zu huschen. Er stiess mich mit dem Ellbogen an und sagte geheimnisvoll:

– Weisst du, Bursche, was ich dir sagen will? ... Gewiss ist der Waldgeist ein gemeines Geschöpf, das ist ja wahr. Es ist einem Christen nicht angenehm, solch eine hässliche Fratze zu sehen ... Aber man muss die Wahrheit sagen: er thut keinem ein Leid an ... Er treibt mit den Menschen seinen Scherz, aber böses thut er einem nicht an, das kommt nicht vor.

– Ja, du hast doch selbst erzählt, Grossvater, dass er dich mit einem Ast schlagen wollte?

– Das wollte er wohl thun! Er hatte sich geärgert, weil ich ihn durchs Fenster anguckte, das war es! Wenn man sich nicht in seine Angelegenheit mischt, da thut er keinem ein Leid an. So ist er, der Waldgeist! ... Aber weisst du, dass Menschen viel schrecklichere Dinge im Walde vollbracht haben ... Es ist wahr, bei Gott!

Der Grossvater liess den Kopf sinken und sass eine Weile schweigend. Dann, als er mich anblickte, schimmerte in seinen Augen durch den trüben Schleier, der sie bedeckte, ein Fünkchen wachgewordener Erinnerung.

– Ich werde dir eine alte Waldgeschichte erzählen, Bursche ... Es ist hier, auf dieser selben Stelle geschehen, lang ist es her ... Ich entsinne mich ... wie im Traume. Wenn aber der Wald zu rauschen beginnt, dann erinnere ich mich an alles ... Willst du, so werde ich dir erzählen, ja?

– Ich will es hören, Grossvater! Erzähle nur!

– Na, da erzähle ich es dir denn! Höre also zu!

buchschmuck

Mein Vater und die Mutter sind schon lange tot, ich war noch ein kleiner Junge ... Sie haben mich allein auf der Welt gelassen ... So stand es mit mir. Da sann die Gemeinde hin und her: »was sollen wir nun mit diesem Jungen anfangen?« Na, und unser Herr, der sann auch nach ... und da kam gerade aus dem Walde der Waldhüter Roman und sagte zu der Gemeinde: »Überlasst mir diesen Jungen, ich werde ihn ernähren ... Für mich wird es im Walde vergnügter sein und er wird schon sein Stück Brot haben« ... So sprach er; die Gemeinde aber antwortete: »Da nimm ihn!« Er nahm mich mit. So blieb ich denn im Walde.

Hier hat mich Roman gross gezogen. Das war auch ein schrecklicher Mann. Gott bewahre! ... Von hohem Wüchse und hatte schwarze Augen und schwarze Haare; aus den Augen blickte eine dunkle Seele, denn sein ganzes Leben hatte dieser Mensch ganz allein im Walde verbracht: Der Bär, erzählten die Menschen, sei ihm wie der eigene Bruder und der Wolf wie sein Neffe. Jedes Tier kannte er und fürchtete sich nicht vor ihm, den Menschen aber ging er aus dem Wege und blickte sie nicht einmal an ... So war er, – bei Gott, es ist wahr! Wenn er mich anschaute, war es, als ob mir eine Katze mit dem Schwanze über den Rücken führe ... Na, er war aber doch ein guter Mensch, hat mir immer gut zu essen gegeben, das muss man sagen: die Buchweizengrütze war stets mit Speck angerührt und wenn er eine Ente erlegt hatte, gab es auch ein Stück Ente. Man muss die Wahrheit sagen – gepflegt hat er mich gut ...

So lebten wir da zu zweit. Roman ging in den Wald, mich schloss er aber in dem Häuschen ein, damit mich kein Tier zerrisse. Und später gab man ihm eine Frau, Oksana.

Der Herr gab ihm die Frau. Er rief ihn ins Dorf und sagte zu ihm: »Höre mal, Romasja, sagte er, verheirate dich!« Roman sagte vorerst dem Herrn: »Wozu, zum Teufel, brauche ich eine Frau? Was soll ich im Walde mit einem Weibe anfangen, da ich doch schon einen Jungen habe. Ich will mich nicht verheiraten,« sagte er. Er war nicht gewohnt, mit Mädchen umzugehen, das war es! Na, der Herr war aber auch schlau ... Wenn ich mich dieses Herrn erinnere, da denke ich, dass es solche jetzt nicht mehr giebt, – es giebt solche Herren nicht mehr, – sie sind ausgestorben ... Nehmen wir dich zum Beispiel: du sollst auch, erzählt man sich, feiner Herren Kind sein ... Vielleicht ist es auch wahr, aber in dir ist nichts ... von dem echten ... Du bist so ein unansehnlicher Bursche, weiter nichts. –

Na, der aber war ein echter Herr, von den früheren ... Ich will dir noch was sagen, es kommt vor, dass hunderte von Menschen einen Einzigen fürchten und wie noch dazu! ... Schau mal einen Habicht und ein Küchlein an, Bursche, beide sind aus dem Ei hervorgekrochen, der Habicht aber versucht sofort in die Höhe zu fliegen. Und wenn er im Himmelsraum seinen Schrei ausstösst, da laufen nicht bloss die Küchlein, sondern auch alte Hähne aufgeregt hin und her ... Der Habicht ist ein herrschaftlicher Vogel, das Huhn aber ein einfacher Bauer ...

Ich entsinne mich noch, ich war damals ein kleiner Junge: die Bauern fuhren dicke Baumstämme aus dem Walde, ungefähr dreissig Mann waren es. Der Herr aber reitet allein auf seinem Pferde und dreht den Schnurrbart. Das Pferd tänzelt unter ihm, er aber schaut ringsum aus. Oh-oh! da erblicken die Bauern den Herrn, laufen hin und her, lenken die Pferde abseits in den Schnee und sie selbst nehmen die Mützen ab. Später mühen sie sich schrecklich ab, die Stämme wieder aus dem Schnee herauszufahren, der Herr aber reitet davon, – siehst du, es war ihm zu eng auf dem Wege! Zieht er die Augenbrauen zusammen – da fürchten sich die Bauern schon, lacht er aber – da sind alle vergnügt; wenn sein Gesicht sich aber verdüstert – sind alle traurig. Und es kam gar nicht vor, dass jemand dem Herrn widersprach.

Na, Roman aber war doch im Walde aufgewachsen, er wusste nicht, wie man sich benehmen muss und der Herr war ihm nicht besonders böse.

– Ich will, – dass du dich verheiratest, – sagte der Herr. Wozu? Das weiss nur ich. Nimm die Oksana.

– Ich will nicht, – antwortete Roman, – ich brauche sie nicht und wenn es auch Oksana ist! Möge der Teufel sie heiraten, aber ich nicht ... So ist es!

Da befahl der Herr, Kosakenpeitschen zu bringen, man legte den Roman hin und der Herr fragte ihn noch einmal:

– Wirst du heiraten, Roman?

– Nein, – sagte er, – ich werde nicht heiraten.

– Dann gebt ihm, – sagte der Herr, – auf die Hosen, was draufgeht.

Man hat ihm nicht wenig Hiebe gegeben; obwohl Roman kräftig und stark war, bekam er die Sache satt:

– Hört auf, – sagte er, – es ist genug! Mögen sie besser alle Teufel holen, als dass ich soviel Qualen des Weibes wegen erdulden soll. Gebt sie her, ich heirate sie!

Auf dem Hofe bei dem Herrn lebte als Piqueur Opanas Schwidki. Er kam gerade von der Jagd zurück, als man Roman zur Heirat trieb. Wie er von Romans Unglück hörte, fiel er vor dem Herrn auf die Kniee. Er fiel wirklich zu seinen Füssen nieder und küsste sie ...

– Anstatt – dass Sie, gnädiger Herr, einen Menschen prügeln lassen, – sagte er, – heirate ich besser freiwillig die Oksana, ich wehre mich nicht dagegen ... Er wollte sie ohne Zwang heiraten. Solch ein Mensch war er, bei Gott! Da wurde Roman froh und vergnügt. Er stand auf, zog die Hosen zurecht und sagte:

– Das ist gut, – sagt er. – Du hättest nur ein wenig früher kommen sollen! Und der Herr ist auch immer so ... Erkundigt sich nicht genau, ob sie nicht einer freiwillig heiraten will. Sie packen da einen Menschen und hauen dann los! Ist das christlich gehandelt, sagte er. Pfui! ...

Ja, er liess zuweilen auch dem Herrn nichts durchgehen. So war Roman! Wenn er ordentlich böse geworden war, durfte sich niemand, auch der Herr nicht, an ihn heranwagen. Der Herr aber, der war schlau! Er hatte, siehst du, etwas anderes im Sinn. Er befahl, Roman wieder auf das Gras auszustrecken.

– Ich wünsche dein Glück, Dummkopf, – sagte er, du aber sträubst dich. Jetzt hausest du allein, wie ein Bär in seiner Höhle, und bei dir einzukehren, macht einem keine Freude ... Haut ihn solange, den Dummkopf, bis er selbst – »genug« ruft ... Du aber, Opanas, scher dich zu des Teufels Grossmutter ... Dich hat man nicht zu Tisch geladen, sagte er, also nimm auch von selbst keinen Platz ein. Du siehst ja, wie Roman bewirtet wird. Dir kann dasselbe passieren.

Roman aber war im Ernst böse geworden. Man bearbeitete ihn nicht schlecht, denn früher verstanden die Menschen gut, das Fell mit Peitschen zu gerben, weisst du. Er aber liegt da und sagt nicht: »genug!« Lange hat er ausgehalten, dennoch gab er später klein bei.

– Ihr Vater kann lange darauf warten, dass man eines Weibes wegen einen Christen so prügelt und ohne zu zählen. Es ist genug! Mögen eure Hände vertrocknen, ihr Teufelskerle! Der Teufel hat euch gelehrt mit der Peitsche zu arbeiten! Ich bin aber doch keine Garbe auf dem Dreschboden, dass ihr mich so verhaut. Wenn es denn so sein soll, na, dann heirate ich! ...

Der Herr aber lachte.

– Das ist gut, – sagte er. – Obwohl du jetzt zur Hochzeit nicht sitzen kannst, dafür wirst du destomehr tanzen ...

Ein lustiger Herr war er, bei Gott, ein sehr lustiger! Ja, aber später geschah mit ihm so etwas schlechtes, bewahre Gott jeden Christen davor. Wahrhaftig, ich wünsche niemand so etwas. Sogar einem Juden soll man so was nicht wünschen. Das meine ich ...

Auf diese Weise verheiratete man Roman. Er brachte seine junge Frau in das Häuschen; zuerst schimpfte er sie und warf ihr seine Hiebe vor.

– Du bist nicht soviel wert, – sagte er, – wie man mich geprügelt hat.

Wenn er aus dem Walde kam, trieb er sie sofort aus dem Hause.

– Geh fort! Ich brauche kein Weib im Hause! Pack dich ganz und gar von hier! Ich habe es nicht gern, – sagte er, – wenn ein Weib im Hause schläft. Es giebt einen schlechten Geruch, sagte er. Ja!

Na und später gewöhnte er sich daran. Oksana fegte das Haus aus und strich es weiss an, stellte das Geschirr zurecht; alles glänzte, sogar das Herz freute sich. Roman sieht: sie ist ein gutes Weib, und langsam gewöhnte er sich. Ja und er gewöhnte sich nicht bloss an sie, sondern gewann sie auch lieb, bei Gott, ich lüge nicht! Siehst du, wie die Sache mit Roman verlief. Als er sich an die Frau besser gewöhnt hatte, sagte er:

– Ich bin dem Herrn dankbar, er hat mich Gutes gelehrt. Ja und ich war nicht besonders klug: wieviel Peitschenhiebe habe ich erhalten und jetzt sehe ich, die Sache ist nicht übel. Sogar gut ist sie. So ist es.

Es verging eine Zeit, wie lange weiss ich nicht. Oksana legte sich da auf die Bank hin und begann zu stöhnen. Gegen Abend ward sie ganz krank, am Morgen aber als ich erwachte, höre ich: jemand weint kläglich mit dünner Stimme. He! – dachte ich, – Wahrscheinlich ist ein Kind geboren. Und so war es auch wirklich.

Nicht lange aber lebte das Kind auf der Welt. Es lebte nur vom Morgen bis zum Abend. Am Abend hörte es auf zu weinen ... Darüber weinte nun Oksana, Roman aber sagte:

– Na, das Kind ist nicht mehr da, wenn es aber nicht da ist, braucht man auch nicht den Popen zu rufen. Wir beerdigen es unter der Fichte.

So sprach Roman und er sagte es nicht bloss, sondern that es auch: er grub ein kleines Grab aus und beerdigte das Kind. Da steht ein alter Baumstumpf, der Blitz hat ihn getroffen ... Das ist dieselbe Fichte, unter der Roman das Kind verscharrt hat.

Weisst du Bursche, ich sage dir: auch jetzt noch, wenn die Sonne untergeht und der Abendstern über dem Walde sich erhebt, fliegt ein Vöglein herum und schreit. Ach, und kläglich schreit das Vöglein, es wird einem so weh ums Herz dabei! Das ist die ungetaufte Seele – sie fleht um die heilige Taufe! Wer gelehrt und vielbelesen ist, der kann, so erzählt man sich, ihr die Ruhe geben und sie wird aufhören zu fliegen ... Wir aber leben hier im Walde, wissen nichts. Sie fliegt herum, fleht uns an, wir aber sagen ihr bloss: Arme Seele, wir können nichts thun!« Da weint sie und fliegt fort, kehrt aber später wieder. Ach, Bursche, die arme Seele dauert einen!

Oksana genas und ging immer zu dem Grabe. Sie setzte sich dort hin und weinte so laut, dass ihre Stimme durch den ganzen Wald hallte. So klagte sie um ihr Kind und bedauerte es. Roman aber that das Kind nicht leid, mit Oksana hatte er wohl Mitleid. Wenn er aus dem Walde kam, stand er bei Oksana und sagte: – Schweig schon, du dummes Weib! Es lohnt sich nicht, darüber zu weinen! Das Kind ist gestorben, vielleicht kommt ein anderes. Und vielleicht noch ein besseres, heh! Denn das Kind konnte vielleicht nicht das Meine sein, ich weiss es ja nicht. Dies aber wird das meine sein.

Oksana hatte es jedoch nicht gern, wenn er so sprach. Sie hörte dann auf zu weinen und schimpfte auf ihn mit Worten. Na, Roman aber war ihr nicht böse. – Ja, warum schimpfst du denn? – fragte er. – Ich habe nichts schlimmes gesagt, ich habe doch bloss gesagt, ich wüsste es nicht. Ich weiss es nicht, weil du früher nicht die Meine warst und nicht im Walde lebtest, sondern in der Welt unter den Menschen. Wie soll ich es denn wissen? Jetzt lebst du im Walde und da ist es gut. Mir hat doch die Wehfrau Fedosja, als ich nach ihr ins Dorf ging, gesagt: »Wie ist es möglich, dass bei dir das Kind so bald gekommen ist, Roman?« Ich aber sagte ihr: »Wie soll ich wissen, ob es zu schnell oder nicht zu schnell gekommen ist?« ... Na du, nun höre aber auf zu heulen, sonst werde ich noch böse und schlage dich. Oksana schimpft, schimpft ihn und hört dann auf.

Sie schimpfte ihn zuweilen und schlug ihn auch auf den Rücken, aber wenn Roman selbst böse wurde, wurde sie still, – sie fürchtete sich vor ihm. Sie liebkost ihn dann, umarmt ihn, küsst ihn und schaut ihm in die Augen ... Da wird denn Roman ruhig. Denn ... siehst du Bursche ... Du weisst es wahrscheinlich nicht, aber ich alter Mann, obwohl ich nicht verheiratet war, habe es doch in meinem Leben gesehen: ein junges Weib küsst verdammt süss, sie kann jeden bösen Mann umstricken. Oh-oh! ... Ich weiss ja, wie diese Weiber sind. Oksana aber war eine so hübsche junge Frau, wie ich solche jetzt nicht mehr sehe. Jetzt, sage ich dir, giebt es auch solche Weiber nicht mehr, wie früher.

Einmal da erschallte im Walde ein Horn: Tra-ta-ta-ra-ta-ta! ... Es schallt im Walde so lustig und laut. Ich war damals ein ganz kleiner Junge und wusste nicht, was es war; ich sehe: die Vögel erheben sich von ihren Nestern, flattern mit den Flügeln und schreien. Hie und da hat ein Hase die Ohren auf den Rücken gelegt und läuft aus allen Leibeskräften. Da denke ich nun: vielleicht ist es ein unbekanntes Tier, das so schön schreit. Das ist aber kein Tier, sondern der Herr reitet auf seinem Rosse durch den Wald und bläst das Horn; dem Herrn folgen Jäger zu Ross und führen Hunde an der Koppel. Von allen Jägern ist aber der schönste Opanas Schwidki, er reitet im blauen Rock hinter dem Herrn auf einem Pferde; seine Mütze hat einen goldenen Deckel, das Pferd spielt unter ihm, das Gewehr auf dem Rücken glänzt und die Pandora hängt an einem Riemen über die Schulter. Der Herr hatte Opanas gern, weil Opanas gut die Pandora zu spielen verstand und meisterhaft Lieder sang. Ach, und schön war der Bursche Opanas, furchtbar schön! Der Herr konnte gar nicht gegen Opanas aufkommen: der Herr war schon kahlköpfig und seine Nase war rot und obwohl die Augen vergnügt dreinschauten, waren sie doch nicht so wie bei Opanas. Wenn Opanas mich zuweilen anblickte, – musste ich kleiner Junge sogar lachen und ich bin doch kein Mädchen. Man erzählte sich, dass Opanas' Vater und Grossvater Zaporoger Kosaken gewesen waren, sie waren freie Kosaken am Dnjepr und dort sind die Menschen gut genährt, schön und gewandt. Denke mal selbst nach, Bursche, es ist doch nicht einerlei – zu Ross mit der Lanze, wie ein Vogel im Felde herumzujagen oder mit dem Beil Bäume zu fällen ...

Ich lief aus der Hütte hinaus und sehe: der Herr ist angekommen, stehen geblieben und auch die Jäger halten an; Roman kam aus der Hütte heraus, hielt dem Herrn den Bügel: der Herr stieg ab. Roman verneigte sich vor ihm.

– Sei gesund! – sagt der Herr zu Roman.

– He! – antwortete Roman, – danke, ich bin gesund, was soll mir fehlen? Wie steht es aber mit Ihnen? Siehst du, Roman verstand nicht, wie es sich gehört, dem Herrn zu antworten. Das ganze Hofgesinde lachte bei seinen Worten und auch der Herr lachte.

– Na, Gott sei dank, dass du gesund bist, – sagte der Herr. – Wo ist aber dein Weib?

– Ja, wo soll denn das Weib sein? Das Weib ist im Hause ...

– Na, auch wir wollen ins Haus gehen, – sagt der Herr, – ihr Burschen aber legt inzwischen den Teppich aufs Gras und bereitet uns alles, um die Neuvermählten zum ersten Mal zu beglückwünschen.

Und da gingen sie denn ins Haus: der Herr, auch Opanas und Roman nach ihm ohne Mützen und noch Bogdan – der älteste Jäger, ein treuer Diener des Herrn. Auch solche Diener giebt es jetzt nicht mehr in der Welt, ein alter Mann war er, gegen das Gesinde streng, vor dem Herrn aber wie jener Hund da. Bogdan hatte niemand auf der Welt ausser seinem Herrn. Man erzählte sich, dass Bogdan, als ihm Vater und Mutter gestorben waren, den alten Herrn gebeten hätte, ihn als Frohnbauer ziehen zu lassen, da er sich verheiraten wolle. Der alte Herr gestattete es aber nicht und gab ihn als Diener dem jungen Herrn: hier, sagte er, ist dein Vater und Mutter und deine Frau. Da hat denn Bogdan den jungen Herrn gepflegt und gehegt, hat ihn gelehrt, sich aufs Ross zu schwingen und mit dem Gewehr zu schiessen. Als aber der junge Herr erwachsen und selbst Gutsherr wurde, folgte ihm der alte Bogdan auf Schritt und Tritt, wie ein Hund. Ach, ich werde dir die Wahrheit sagen! Den Bogdan haben viele Menschen verflucht, viele Menschenthränen fallen auf sein Haupt ... alles um des Herrn willen. Und auf ein Wort des Herrn hätte dieser Bogdan sogar den leiblichen Vater in Stücke zerrissen.

Und ich, kleiner Junge, lief ihnen auch ins Haus nach: ich war doch neugierig. Wohin der Herr ging, dahin folgte auch ich ihm.

Ich sehe, der Herr steht mitten in der Hütte, streichelt den Schnurrbart und lacht. Roman dreht sich hierselbst auf einem Fleck, knittert die Mütze in der Hand, Opanas aber hat sich mit der Schulter an die Wand gelehnt, armer Bursche, er steht, wie jene junge Eiche im Unwetter. Er ist unzufrieden, ist missmutig ... Und dann wandten sich alle drei zu Oksana. Nur der alte Bogdan setzte sich in der Ecke auf die Bank hin, liess den Kopf hängen, sass und wartete, was der Herr befehlen würde. Oksana aber stand in der Ecke beim Ofen, hatte die Augen sinken lassen und war ganz rot, wie die Mohnblume zwischen der Gerste. Wahrscheinlich fühlte sie, die arme Seele, dass ihretwegen böses geschehen werde. Ich will dir noch was sagen, Bursche: wenn schon drei Männer ein Weib anschauen, dabei kommt nie gutes heraus, – unbedingt läuft es auf eine Prügelei hinaus, wenn nicht was schlechteres geschieht. Ich weiss es ja, weil ich es selbst gesehen habe.

– Na, Romasja, – lacht der Herr, – habe ich dir nicht ein gutes Weib gefreit?

– Ja, – antwortet Roman. – Ein Weib, wie jedes andere, es geht an.

Da reckte Opanas die Schulter, hob die Augen zu Oksana auf und sagte vor sich hin:

– Ja, – sagte er, – ein Weib! Könnte auch einen anderen, als solch einen Dummkopf, erhalten haben. Roman hörte diese Worte, wandte sich zu Opanas und sagte ihm:

– Weswegen erscheine ich Ihnen, Herr Opanas, als ein Dummkopf? He, sagen Sie es mir!

– Desswegen, – sagte Opanas, – weil du nicht verstehen wirst, deine Frau zu hüten, deshalb bist ein Dummkopf ...

So sagte Opanas zu ihm! Der Herr stampfte sogar mit dem Fusse, Bogdan schüttelte den Kopf, Roman aber sann einen Augenblick nach, dann hob er den Kopf auf und blickte den Herrn an.

– Warum soll ich sie denn hüten? – sagte er zu Opanas und schaut fortwährend den Herrn an. – Hier giebt es ausser den wilden Tieren keinen Teufel, wenn nicht ab und zu unser gnädiger Herr einkehrt. Vor wem soll ich denn die Frau hüten? Sieh dich vor, Kosak, necke mich nicht, ich packe dich sonst am Schopf.

Die Sache wäre vielleicht zu einer Prügelei gekommen, aber der Herr mischte sich ein: er stampfte mit dem Fusse – und da schwiegen sie.

– Seid still, ihr Teufelskinder! – sagte er. – Wir sind doch nicht zu einer Prügelei hierher gekommen. Wir wollen die Neuvermählten beglückwünschen und dann gegen Abend geht die Jagd auf dem Sumpfe los. Mir nach!

Der Herr wandte sich um und ging aus dem Hause; unter dem Baume aber hatten die Jäger das Essen bereitet. Dem Herrn folgte Bogdan, Opanas aber hielt Roman im Hausflur an.

– Sei mir nicht böse, Bruder, – sagte der Kosak. Höre, was dir Opanas sagen wird: du hast gesehen, wie ich vor dem Herrn auf den Knieen lag, seine Stiefel küsste, er möge mir Oksana zum Weibe geben? Na, Gott mit dir, Bruder ... Dich hat der Pope getraut, es war offenbar so beschieden! Aber mein Herz wird nicht dulden, dass mein ärgster Feind jetzt sich wieder über sie und dich lustig macht. Ha-ha! niemand weiss es, was in meiner Seele vorgeht ... Besser erschiesse ich sie und ihn mit meinem Gewehr und bette Beide in die feuchte Erde, als dass sie sich in dein Bett legen.

Roman blickte den Kosaken an und fragte:

– Hast du vielleicht den Verstand verloren, Kosak? Ich habe nicht gehört, was Opanas darauf Roman leise im Hausflur sagte, ich hörte nur, wie Roman ihn auf die Schulter schlug.

– Ach, Opanas, Opanas! Was es für schlaue und böse Menschen in der Welt giebt! Und ich wusste nichts davon hier im Walde lebend. He, Herr, Herr du hast schlechtes dir zum Unglück ausgedacht! ...

– Na, – sagte Opanas zu ihm, – geh jetzt und verrate dich nicht, am meisten nimm dich vor Bogdan in Acht. Du bist kein kluger Mensch, dieser Herrenhund aber ist schlau. Sieh dich vor: trink nicht viel von dem Branntwein des Herrn und wenn er dich mit den Jägern zu dem Sumpf schickt und selbst hier bleiben will, führe die Jäger bis zu der alten Eiche und zeige ihnen den längeren Weg; du selbst aber, so sage ihnen, würdest direkt durch den Wald gehen ... und kehre unverzüglich hierher zurück.

– Gut, sagte Roman. – Ich gehe auf die Jagd und mein Gewehr lade ich nicht mit feinem Schrot, auch nicht mit Rehposten für einen Vogel, sondern mit einer guten Kugel für einen Bären ...

Damit gingen sie hinaus. Der Herr aber sass schon auf dem Teppiche, befahl die Flasche und den Becher zu reichen, schenkte den Becher mit Branntwein voll und setzte ihn Roman vor. He, der Herr hatte eine gute Flasche und einen guten Becher, der Inhalt war aber noch besser! Ein Gläschen trinkt man – das Herz freut sich, man trinkt ein zweites – da hüpft einem das Herz in der Brust, wenn aber der Mensch es nicht gewohnt ist, so liegt er nach dem dritten Gläschen unter der Bank, wenn die Frau ihn nicht auf die Bank hinlegt.

Ei, sage ich dir, der Herr war schlau! Er wollte Roman mit seinem Branntwein ganz betrunken machen, aber solch ein Branntwein war noch nicht dagewesen, der Roman umwerfen konnte. Er trank aus den Händen des Herrn einen Becher, trank einen zweiten und auch einen dritten hat er getrunken, und bloss seine Augen leuchten, wie bei einem Wolf und der schwarze Schnurrbart bewegt sich. Der Herr wurde sogar böse.

– Der Mensch säuft so viel Branntwein und blinzelt nicht mal mit den Augen! Ein anderer würde längst weinen, er aber, schaut, gute Leute, schmunzelt sogar ...

Der böse Herr wusste genau, dass ein Mensch, der vom Branntweintrinken weint, auch bald den Kopf ganz auf den Tisch sinken lässt. Diesmal aber hatte er keinen solchen Schwächling gefunden.

– Warum soll ich denn weinen? – antwortet ihm Roman. – Es wäre vielleicht nicht gut von mir. Der gnädige Herr ist zu mir gekommen, mich zu beglückwünschen und nun soll ich wie ein Weib heulen. Gott sei Dank, ich habe bisher keinen Grund zu weinen, besser ist es schon, wenn meine Feinde weinen ...

– Also du bist zufrieden, – fragt der Herr.

– Hei! Warum soll ich unzufrieden sein?

– Erinnerst du dich aber daran, wie wir dich mit Peitschenhieben verheiratet haben?

– Wie sollte ich das nicht! Ich sage auch, dass ich nicht klug war, ich wusste nicht, was bitter und was süss ist. Die Peitsche ist bitter, ich aber liebte sie mehr als das Weib. Haben Sie Dank, gnädiger Herr, dass Sie mich Dummkopf gelehrt haben Honig zu essen.

– Gut, schon gut, – sagt ihm der Herr ... Dafür leiste auch du mir einen Dienst: Du wirst mit den Jägern zu dem Sumpfe gehen, schiesse recht viel Vögel und besorge mir unbedingt einen Auerhahn.

– Wann will uns denn der gnädige Herr zum Sumpf schicken? – fragte Roman.

– Wir trinken erst noch. Opanas singt uns ein Lied und dann geht in Gottesnamen.

Roman blickte ihn an und sagte:

– Das ist nicht leicht: es ist schon spät, bis zum Sumpfe ist es weit und ausserdem rauscht im Walde der Wind, gegen Nacht bricht ein Sturm los. Wie kann ich da solch einen wachsamen Vogel erlegen? Der Herr war schon berauscht und im Rausche war er fürchterlich böse. Er hörte, wie das Gesinde unter sich flüsterte und sagte, dass Roman Recht habe, bald heule der Sturm los, und wurde ärgerlich. Er schlug mit dem Becher auf, warf einen Blick auf sie, und alle wurden still. Bloss Opanas allein erschrack nicht; er trat hervor, um auf das Gebot des Herrn zur Begleitung der Pandora Lieder zu singen, begann das Instrument zu stimmen, blickte den Herrn von der Seite an und sagte:

– Nehmt Vernunft an, gnädiger Herr! Ist es denn recht, Nachts und noch dazu bei Sturm die Menschen in den dunklen Wald zu jagen nach Vögeln?

So kühn war er! Die anderen waren, wie du weisst, die Leibeigenen des Herrn und fürchteten sich, er aber war ein freier Mann, aus einem Kosakengeschlechte. Als kleiner Junge hatte ihn ein alter Kosak, ein Pandoraspieler, aus der Ukraina mitgebracht. Dort hatten die Menschen in der Stadt Uman sich gestritten. Da haben sie dem alten Kosaken die Augen ausgestochen, die Ohren beschnitten und ihn so in die weite Welt hinausgejagt. Er wanderte nun in den Städten und Dörfern herum und kam auch in unsere Gegend mit seinem Führer, dem jungen Opanas. Der alte Herr nahm ihn zu sich, da er gute Lieder gern hatte. Der Alte starb und Opanas wuchs auf dem Hofe heran. Der neue Herr liebte ihn auch und duldete von ihm zuweilen solch ein Wort, für das einem anderen das Fell geschunden wäre.

So war es auch jetzt: er wurde zuerst böse, man dachte, er würde den Kosaken schlagen, aber er sagte nach einer Weile zu Opanas:

– Ei, Opanas, Opanas! Du bist ein kluger Bursche, scheinst aber nicht zu wissen, dass man seine Nase nie zwischen eine Thüre stecken darf, wenn sie nicht gequetscht werden soll ...

Schau, solch ein Rätsel hat er dem Kosaken aufgegeben! Der Kosak aber erriet es sofort, und er antwortete dem Herrn mit einem Liede. Ei, wenn der Herr das Lied verstanden hätte, vielleicht würde seine Frau, die Herrin, seinetwegen keine Thränen vergossen haben.

– Danke dir, Herr, für die Lehre, – sagte Opanas, – ich werde dir dafür etwas vorsingen, du aber höre zu.

Und er schlug die Saiten der Pandora. Dann hob er den Kopf, blickte den Himmel an, wie dort der Adler eilte, wie dort der Wind die dunklen Wolken dahinjagte. Er spitzte das Ohr und lauschte, wie die hohen Fichten rauschen ... Und wieder schlug er die Seiten der Pandora.

He, Bursche, dir war es nicht vergönnt zu hören, wie Opanas Schwidki spielte, jetzt aber wirst du so was nicht mehr hören! Schau, die Pandora ist ja kein schweres Instrument, aber wie gut redet sie bei einem, der sie versteht. Er liess bloss die Hand über die Saiten gleiten und sie sagte alles, was er wollte! Wie der dunkle Forst im Sturme rauscht und wie der Wind in der öden Steppe im Grase klirrt, auch wie das vertrocknete Gras auf dem hohen Grabeshügel des Kosaken flüstert.

Nein, Bursche, ihr werdet nie mehr ein echtes Spiel hören! Hierher kommen jetzt allerhand Menschen, solche, die nicht allein in Polesje gewesen sind, sondern auch in anderen Gegenden und in der ganzen Ukraina: in Tschigiriu, und in Poltawa, in Kijew und Tscherkassy. Die erzählen, dass es keine Pandoraspieler mehr giebt, man höre sie nicht mehr auf den Jahrmärkten und Kirmessen. In der Hütte an der Wand habe ich noch eine alte Pandora hängen. Mir hat Opanas das Spiel gezeigt und von mir hat niemand das Spiel gelernt. Wenn ich sterbe, – und das kommt bald, – so wird man vielleicht in der ganzen Welt nirgends das Klirren der Pandora vernehmen. Ja, so ist es!

Und Opanas stimmte mit leiser Stimme ein Lied an. Opanas' Stimme war nicht laut, aber traurig und sinnend, – sie strömte einem ins Herz hinein. Das Lied aber hatte der Kosak anscheinend selbst für den Herrn ersonnen. Ich habe es nie mehr gehört und als ich in späterer Zeit in Opanas drang, er möge es mir singen, ging er nie darauf ein. – Der, für den dieses Lied gesungen ward, lebt schon lange nicht mehr in der Welt, sagte er.

In diesem Liede sagte der Kosak dem Herrn die ganze Wahrheit, was mit dem Herrn geschehen würde und der Herr weinte, die Thränen flossen ihm sogar längs des Schnurrbarts, aber er schien kein einziges Wort von dem Liede zu verstehen. Ach, ich entsinne mich nicht des Liedes, nur wenig ist mir im Gedächtnis geblieben. Der Kosak sang von dem Herrn, von Iwan ...

Oh, Herr, oh Iwan! ...
Ein kluger Herr ist er, weiss vieles ...
Er weiss, dass der Habicht im Luftmeer fliegt
und die Krähen besiegt ...
Oh Herr, oh Iwan! ...
Das aber weiss er nicht,
wie's vorkommt in der Welt, –
Dass die Kräh bei ihrem Nest
den Habicht schlägt ...

Schau, Bursche, mir ist, als ob ich auch jetzt dieses Lied höre und jene Menschen sehe: der Kosak steht da mit der Pandora, der Herr sitzt auf dem Teppich, hat den Kopf sinken lassen und weint; das Gesinde steht ringsum gedrängt, stösst einander mit dem Ellbogen an; der alte Bogdan schüttelt den Kopf ...

Und der Wald rauscht, ganz wie jetzt und leise und sinnend klingt die Pandora, der Kosak aber singt, wie die Herrin über den Herrn, den Iwan weint:

»Es weint die Herrin, weint in einem fort,
Und über dem Herrn krächzt die schwarze Krähe.

Ach, der Herr hat das Lied nicht begriffen, er wischte sich die Thränen ab und sagte:

– Na, mache dich auf den Weg, Roman! Burschen, steigt auf die Rosse! Auch du, Opanas, reite mit, – ich habe genug von deinen Liedern gehört! ... Ein gutes Lied, aber es kommt nie vor in der Welt, wovon darin gesungen wird.

Des Kosaken Herz war vom Liede weich geworden und seine Augen verträumt.

– Ach, Herr, Herr, sagt Opanas, – bei uns sagen die alten Leute: im Märchen stecke Wahrheit und auch im Liede. Im Märchen ist die Wahrheit nur wie Eisen: sie ist lange in der Welt, von Hand zu Hand gewandert, ist verrostet ... Im Liede aber ist die Wahrheit wie Gold, nie frisst sie der Rost ... So reden die alten Leute!

Der Herr winkte mit der Hand ab.

– Na, vielleicht ist es so in eurer Gegend, bei uns ist es nicht so ... Geh, geh, Opanas, – ich bin es überdrüssig geworden, dich zu hören.

Der Kosak stand eine Weile, dann aber fiel er plötzlich vor dem Herrn zur Erde.

– Folge meinem Rate, Herr! Steig auf das Pferd und reite zu deiner Herrin, – mein Herz ahnt Schlimmes.

Da wurde der Herr böse, stiess den Kosaken mit dem Fusse fort, wie einen Hund.

– Geh weg von mir! Du scheinst kein Kosak zu sein, sondern ein Weib! Geh fort oder sonst ergeht dirs noch schlimmer ... Und warum steht ihr da, ihr Gesindel? Bin ich etwa nicht euer Herr mehr? Ich werde euch zeigen, was eure Väter von meinen Vätern nicht gesehen haben! ...

Opanas stand auf, wie eine dunkle Gewitterwolke und tauschte mit Roman einen Blick aus. Roman aber steht seitwärts, hat sich aufs Gewehr gestützt, als ob nichts geschehen sei.

Der Kosak schlug die Pandora gegen einen Baum, – sie sprang in tausend Stücke entzwei – und ein Stöhnen ging durch den Wald.

– Mögen die Teufel in jener Welt den Menschen belehren, – sagte er, – der einen vernünftigen Rat nicht befolgt ... Du scheinst einen treuen Diener nicht zu brauchen, Herr!

Der Herr kam nicht dazu ihm zu antworten; Opanas schwang sich in den Sattel und ritt fort. Auch die Jäger bestiegen die Pferde. Roman warf das Gewehr über die Schulter und ging ebenfalls, nur als er am Häuschen vorbeikam, rief er Oksana zu:

– Leg den Jungen schlafen, Oksana! Es ist Zeit, dass er sich hinlegt. Und auch dem Herrn mache das Bett zurecht.

Und so verschwanden alle bald im Walde den Weg da hinunter; und der Herr ging in das Haus, nur das Ross des Herrn blieb draussen, es war am Baume angebunden. Es fing schon an dunkel zu werden, im Walde tönte das Rauschen fort und ein feiner Regen sickerte herab, ganz wie jetzt, ganz genau ... Oksana legte mich auf dem Heuboden schlafen, bekreuzte mich zur Nacht ... Ich hörte, wie Oksana weint.

Ach, ich verstand ja damals nicht, was um mich vorging, ich war noch ein Knabe! Ich rollte mich auf dem Heu zusammen, lauschte, wie der Sturm im Wald sein Lied anstimmte und fing an einzuschlafen. He! Plötzlich höre ich, wie jemand um das Häuschen herumgeht, an den Baum herantritt und das Pferd des Herrn losbindet. Das Pferd schnaubte, schlug mit der Hufe auf und jagte in den Wald hinein, – dann verstummte auch das Pferdegetrampel ... Nun höre ich, wie wieder jemand schnell über den Weg reitet dem Häuschen zu. Er ritt dicht heran, sprang vom Sattel hinunter und lief ans Fenster.

– Herr, Herr! – klingt es, wie die Stimme des alten Bogdan. – O, Herr, öffnet schnell! Der böse Kosak hat schlimmes im Sinne, er scheint dein Pferd in den Wald losgelassen zu haben.

Der Alte vermochte nicht zu Ende zu reden, jemand hatte ihn von hinten gefasst. Ich erschrak, horchte – irgend etwas fiel dumpf hin ...

Der Herr hatte die Thüre geöffnet, sprang mit dem Gewehr heraus, aber im Hausflur ergriff ihn Roman, packte ihn am Schopf und warf ihn zur Erde ... Da sieht der Herr, dass sein Ende naht und er sagt:

– Oh, lass mich los, Romasja! So vergiltst du mir das Gute?

Roman aber antwortete:

– Ich denke an das Gute, das du mir und meiner Frau erwiesen hast, Herr. Ich will es dir jetzt heimzahlen ...

Der Herr aber sagte wieder:

– Beschütze mich, Opanas, mein treuer Diener! Ich habe dich doch gern gehabt, wie meinen leiblichen Sohn.

Opanas aber antwortete ihm:

– Du hast deinen treuen Diener wie einen Hund verjagt. Du hast mich gern gehabt, wie der Stock den Rücken liebt, jetzt aber liebst du mich, wie der Rücken den Stock ... Ich habe dich gebeten und habe gefleht – du hast mich nicht erhört ...

Da begann der Herr auch Oksana zu bitten:

– Beschütze du mich, Oksana, du hast ein gutes Herz ...

Oksana kam hinausgelaufen und schlug die Hände zusammen:

– Ich habe dich angefleht, Herr, zu deinen Füssen gelegen: habe Erbarmen mit mir, entehre mich verheiratete Frau nicht. Du hast kein Mitleid mit mir gehabt und jetzt bittest du mich ... oh wie traurig steht es mit mir, was soll ich nun thun?

– Lasst mich los, – schreit der Herr von neuem, – ihr werdet meinetwegen in Sibirien umkommen ...

– Sei unsertwegen nicht besorgt, Herr, – sagt Opanas: – Roman wird eher als deine Jäger am Sumpfe sein und ich bin, dank deiner Gnade, allein in der Welt, über mein Schicksal brauche ich nicht lange nachzudenken. Ich nehme das Gewehr über die Schulter und gehe in den Wald ... Sammele flinke Burschen um mich und wir werden ein freies Leben führen ... Aus dem Walde werden wir in der Nacht auf den Weg hinausgehen und wenn wir in ein Dorf kommen, gehen wir direkt auf den Gutshof. He, Roman, hebe den Herrn auf, tragen wir seine Gnaden in den Regen hinaus.

Da leistete der Herr Widerstand und schrie, Roman aber murmelte etwas vor sich hin und der Kosak machte sich lustig über den Herrn. So gingen sie denn hinaus.

Ich aber erschrak, stürzte in das Häuschen zur Oksana hin. Oksana sass auf der Bank, bleich, wie die Wand ...

Und im Walde rast schon ein wahrer Sturm: der Forst schreit mit verschiedenen Stimmen, der Wind heult und ab und zu rollt der Donner. Ich sitze mit Oksana auf der Ofenbank und plötzlich höre ich, wie jemand im Walde stöhnt. Ach und so kläglich stöhnte er, dass es mir auch jetzt noch, wenn ich daran denke, schwer ums Herz wird; es sind aber doch viele Jahre seitdem vergangen ...

– Oksana, – sage ich, – Täubchen, wer stöhnt da im Walde?

Sie aber nahm mich auf die Arme und wiegte mich.

– Schlaf, mein Junge, – sagte sie, – das hat nichts zu bedeuten! Das scheint nur so ... der Wald rauscht ...

Und der Wald rauschte thatsächlich, – ach, rauschte gewaltig!

Wir sassen noch einige Zeit, da höre ich: es hallt im Walde wie ein Flintenschuss.

– Oksana, mein Täubchen, – sagte ich, wer schiesst denn da mit dem Gewehr?

Und sie, die arme Seele, wiegte mich in einem fort und sagte dabei:

– Schweig, sei still, mein Junge, Gottesdonner hallt im Walde.

Und immerfort weint sie, presst mich fest an ihre Brust, und wiegt mich ein: »Der Wald rauscht, der Wald rauscht, mein Junge, der Wald rauscht« ...

Ich lag auf ihren Armen und bin dann eingeschlafen ...

Am Morgen aber erwachte ich und sehe: die Sonne leuchtet, und Oksana schläft angekleidet allein im Zimmer. Ich erinnerte mich an gestern und denke: ich habe es nur geträumt.

Ich habe es aber nicht geträumt, – oh, nicht geträumt, – es war in Wirklichkeit geschehen. Ich lief aus der Hütte hinaus und in den Wald, im Walde aber zwitscherten die Vögel und der Tau glänzte auf den Blättern. Ich kam ins Gebüsch und dort lagen der Herr und der Jäger nebeneinander. Der Herr ruhig und bleich, der Jäger aber weiss, wie eine Taube und streng, ganz als ob er lebte. Und auf der Brust des Herrn und des Jägers war Blut.

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– Nun und was geschah mit den anderen, – fragte ich, als ich sah, dass der Grossvater seinen Kopf sinken liess und verstummte.

– He! Alles kam so, wie der Kosak Opanas gesagt hatte. Er lebte lange im Walde, ging mit allerlei Burschen auf die grossen Fahrwege und auf die Gutshöfe. Dem Kosaken war schon solch ein Geschick beschieden: die Väter waren Wegelagerer und das ist auch sein Schicksal geworden. Er kam oft zu uns, in dieses selbe Häuschen, meistens aber, wenn Roman nicht zu Hause war.

Er kam her, blieb ein wenig, sang ein Lied und spielte zuweilen die Pandora. Wenn er mit seinen Kameraden kam, – bewirteten ihn Oksana und Roman stets. Ach, Bursche, man muss die Wahrheit sagen, ohne Sünde ging es da nicht zu. Bald kehren Maxim und Sachar aus dem Walde zurück, – schau dir die beiden an: ich sage ihnen nichts, aber wer Roman und Opanas kennt, der sieht es sofort, wem sie ähneln, obwohl sie nicht die Söhne, sondern Enkel jener Leute sind ... Schau, Bursche, was für Geschichten, soweit ich mich erinnere, in diesem Walde vorgekommen sind ... Und der Wald rauscht so stark, – es naht ein Sturm! ...

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Die letzten Worte seiner Erzählung sprach der Alte müde vor sich hin. Offenbar war seine Erregung vergangen und jetzt that sich die Erschlaffung kund: seine Zunge stotterte, der Kopf zitterte, die Augen thränten. – Der Abend war hereingebrochen, im Walde war es dunkel geworden, wie ein stürmisches Meer umwogte der Forst das Häuschen; die dunklen Wipfel bewegten sich hin und her, wie Wellenkämme in schrecklichem Unwetter.

Das fröhliche Gebell der Hunde kündigte das Nahen der Besitzer. Beide Waldhüter kamen eilig auf das Häuschen zu und nach ihnen trieb die keuchende Motrja die beinah verirrte Kuh nach Hause. Unsere Gesellschaft war vollzählig.

Nach einigen Minuten sassen wir in der Hütte; im Ofen knisterte lustig das Feuer; Motrja bereitete das Abendbrot.

Obwohl ich Sachar und Maxim mehr als einmal gesehen hatte, blickte ich sie jetzt doch mit besonderer Aufmerksamkeit an. Sachars Gesicht war dunkel, die Augenbrauen unter der starken niedrigen Stirn zusammengewachsen, die Augen schauten düster, obwohl man die angeborene Gutmütigkeit, die der Kraft eigen ist, in seinem Gesicht entdecken konnte. Maxim sah offen, wie liebkosend, mit grauen Augen in die Welt; ab und zu schüttelte er seine krausen Haare und sein Lachen klang so besonders ansteckend.

– Hat Ihnen der Alte nicht die alte Geschichte von unserem Grossvater erzählt? – fragte Maxim.

– Ja, er hat sie mir erzählt, – antwortete ich.

– Na, er ist stets so! Wenn der Wald etwas stärker rauscht, da erinnert er sich an längstvergangenes. Jetzt wird er die ganze Nacht nicht schlafen.

– Ganz wie ein kleines Kind ist er, – fügte Motrja hinzu und füllte ihm den Teller mit Kohlsuppe. Der Alte schien nicht zu verstehen, dass von ihm die Rede sei. Er war ganz zusammengesunken. Dann und wann lächelte er sinnlos und nickte mit dem Kopf; nur wenn draussen ein Stoss des im Walde tobenden Sturmes sich an dem Häuschen brach, begann er unruhig zu werden, spitzte das Ohr und lauschte mit erschreckendem Antlitz irgendwelchen Lauten.

Bald verstummte in dem Waldhäuschen alles. Trübe leuchtete die ausgehende Fettlampe und ein Heimchen zirpte sein eintönig schrilles Lied ... Und im Walde war das Gemurmel von tausend mächtigen und dumpfen Stimmen, die einander in der Dunkelheit drohend irgend etwas zuriefen. Es schien, eine schreckliche Macht hielte dort im Dunkel einen lärmenden Rat und schickte sich an von allen Seiten dreinzuschlagen auf die klägliche im Walde verlorene Hütte. Ab und zu verstärkte sich das dumpfe Getöse, es wuchs, nahm an Kraft zu und dann zuckte die Thüre als ob jemand mit bösen Zischen sie von draussen stark drücke und im Schornstein sang der nächtliche Sturm mit kläglicher Drohung in einem das Herz ergreifenden Ton. Dann verstummte auf eine Weile der Andrang des Windes, eine unheilvolle Stille quälte das angstvolle Herz bis sich von neuem das Getöse erhob, als ob sich die alten Fichten verabredeten plötzlich ihren Platz zu verlassen und in einen unbekannten Raum auf den Schwingen des nächtlichen Orkans fortzufliegen.

Ich verfiel auf einige Minuten in einem dumpfen Schlummer, aber wie es scheint nicht lange. Der Sturm heulte im Walde weiter in allen Tönen und Tonarten. Die Fettlampe flammte von Zeit zu Zeit auf und erleuchtete die Hütte. Der Alte sass auf seiner Bank und tastete mit der Hand um sich, als ob er hoffte, irgend jemand in seiner Nähe zu finden. Man sah den Ausdruck des Schreckes und eine fast kindliche Hilflosigkeit auf dem Gesichte des armen Grossvaters.

– Oksana, mein Täubchen, – vernahm ich ein klägliches Murmeln, – wer stöhnt denn da im Walde? Er tastete unruhig mit der Hand herum und lauschte.

– He! – sagte er von neuem, – niemand stöhnt. Der Sturm rauscht im Walde ... Weiter nichts, der Wald rauscht, rauscht ...

Einige Minuten vergingen. Zu den kleinen Fenstern leuchtete oft das bläuliche Feuer des Blitzes herein. Die hohen Bäume draussen flammten in gespensterhaften Umrissen auf und verschwanden wiederum in der Dunkelheit unter dem ärgerlichen Brummen des Sturmes. Jetzt aber tötete ein grelles Licht das bleiche Leuchten der Fettlampe auf einen Augenblick und im Walde klang ein abgerissener naher Schlag. Der Alte rückte wieder unruhig auf der Bank hin und her.

– Oksana mein Täubchen, wer schiesst denn im Walde?

– Schlaf, Alter, schlaf, – liess sich vom Ofen die ruhige Stimme Motrjas vernehmen. – So ist er stets im Sturme, in der Nacht da ruft er fortwährend Oksana. Er hat vergessen, dass Oksana längst in jener Welt ist. Ach – ach!

Motrja gähnte, flüsterte ein Gebet und bald herrschte in der Hütte wieder eine Stille, die nur vom Rauschen des Waldes und dem unruhigen Murmeln des Grossvaters unterbrochen wurde:

– Der Wald rauscht, der Wald rauscht ... Oksana, mein Täubchen ...

Dann ergoss sich ein schwerer heftiger Regen und übertönte mit dem Fallen seiner Wasserströme die Windstösse und das Stöhnen des Fichtenwaldes ...


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