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An Clara.
In dem Dachstübchen eines der vornehmsten Häuser Wien's, hoch oben, wo er nur mit dem Rauche der zum Schornstein hinausflog, oder mit dem Kater, wenn der in stiller Sommernacht auf dem Dache spazieren ging, Zwiesprache halten konnte, wohnte einst ein armer junger Mensch, seines Berufes: Student. Der arme Student nahm an manchen Tagen mehr Wissenschaft zu sich, als Brocken der Nahrung, darum waren seine Wangen bleich und kummervoll anzusehen. Eines Tages begegnet ihm unten auf der prachtvollen Treppe des zweiten Stockes ein schönes, etwa zehnjähriges Kind, das sieht mit seinen wunderbar herrlichen Augen ihn an, und der Student kann eine leise, durchsichtig feine Röthe über das Engelantlitz des Mädchens dahinfliegen sehen. Schönes, wunderbares Kind!!
Tags darauf wird er durch einen Bedienten zu dem Kaufmann im zweiten Stock hinabgerufen; zitternd folgt er; unten hört' er von einem freundlich ernsten Manne die Frage an sich gerichtet, ob er seiner Tochter Unterricht ertheilen wolle; »Clara«, ertönte es von Seinen Lippen, und auf der Schwelle der Thüre steht vor ihm sein wunderbares, in holder Röthe erglühendes Kind!
Der Student erfüllte wie ich glaube, redlich seinen Beruf; was er nur an Duft für seine Rose wußte, holte er aus den Tiefen seiner Seele herbei; lange Jahre hielt er wie segnend über dem freudigen Wachsthum ihres Gemüthes seine Hände; er merkte nicht wie sie allmälig schwerer und schwerer wurden; er hatte immer herab gesehen, sie hinauf; mit Einem Male erkennt er, daß sich zwei Augen in gleicher Höhe den seinigen gegenüber befinden. Die Augen sagten ihm Alles!
War's nicht in der Mythologie als er ihr von der schönen Klitia erzählte, die sich stets nach der strahlenden Sonne wandte, daß sich da der bedeutungsvolle Mythus in glücklicherer Wechselseitigkeit an Lehrer und Schülerin wiederholte? War es nicht damals, daß sie zufällig aufblickend, fanden, daß sich beide im Arme hielten?
Ach, kalte, unheimliche Hände arbeiteten daran in das schöne Gewebe unseres Mythus ihre Dornen und Disteln einzuwirken. Dein edler Vater aber brach sich Bahn durch den Strom eigener und eingeflößter Vorurtheile. Eines Tags hieß es: Finde Du dich mit dem Staat ab, der Euere Vereinigung nur bedingt zugiebt, ich habe nichts einzuwenden – Clara! Das Leben hat schöne Momente!
Ich hielt diesen einen, unvermeidlichen Schritt für so leicht, daß ich die Reise in die Heimat in der lustigsten Stimmung, ein Komödiant, der sich ob seiner Unerkennbarkeit freut, der Sohn seinen Eltern gegenüber! unternahm. Die Lüge hat sich furchtbar gerächt.
Gewaltsam muß ich die Blätter meines Lebens zurückschlagen, um Freude, Trost und Dankbarkeit daraus zu lernen. Noch bin ich des Sturmes mächtig, der in den Blättern her und hin weht – noch ein Tag vielleicht, noch wenige Stunden und er hat mich selbst erfaßt! Kann ich wissen, was geschieht??
Der Freitag war gekommen, und Emanuel befand sich wirklich auf dem Rückweg zum Ghetto. Er hatte es richtig geahnt; aber kein Sturm sondern nur ein Paar Worte seines Vaters hatten ihn erfaßt und diesen Entschluß, wenn wir ein momentanes Auffahren aus einer Art von Verzauberung so nennen dürfen, bewirkt. Der Dorfgeher meinte nähmlich, da er die wachsende Traurigkeit seines Gefährten bemerkte, der ›Gast‹ sei besorgt, wo er am Sabbath essen würde und so lud er ihn freundlich ein, wenn er nichts Anderes im Sinne hätte mit ihm umzukehren und sein Gast wieder zu sein. Er meint noch: wer sich darüber, wenn er ihn zurückbrächte, am meisten freuen würde, das seien Channe sein Weib und besonders aber Benjamin! –
Wir wollen die Empfindungen Emanuel's während dieses Rückzuges nicht schildern, da wir kein Senkblei haben, um dieses unergründliche Meer zu erforschen.
Den ganzen Tag über war Emanuel's Gang eilig, fast stürmisch; sein Vater konnte nicht gleichen Schritt mit ihm halten, und mußte oft stöhnend unter seiner Last ausruhen, während sein Gefährte immer vorwärts strebte, als käme er nicht schnell genug an.
»Gast, Gast«, rief zuweilen der Dorfgeher ihm nach, »Ihr eilt, als jagt' Euch Einer mit der Peitsch' vorwärts; Ihr müßt fürchten, der Schabbes läuft Euch fort – vor dem Ihr doch, ich brauch Euch nicht erst zu gemahnen, fortgelaufen seid.«
»Wenn Ihr wüßtet, was mich treibt«, sagte Emanuel sich umwendend, »alle Pferde in der Welt würden nicht zureichen, um mich fortzubringen.«
»So einen Hunger habt Ihr?«, rief der ihn mißverstehende Dorfgeher, »und ist es doch nur eine Woch', daß Ihr keinen warmen Bissen gegessen habt! Was soll ich erst thun, der ich 52 solche Wochen im Jahr' hab'? Aber habt nur Geduld, mein Weib wird Euch schon aufrichten.«
Trotz seines Jammers mußte Emanuel zu diesem Troste seines Vaters lächeln. Seine Schritte nun mäßigend, ging er mit ihm immer näher der Heimat zu, die ihn schon mit ihren Lüften, Thürmen und Häusern grüßte. Bei diesem Anblicke erwachte keine Reue in ihm, wohl aber die Furcht, wie er der bevorstehenden Scene Herr werden sollte. Jetzt stand ein Entschluß in ihm fest. Das Schicksal selbst hatte über ihn entschieden.
Die Mutter stand gerade auf dem Tisch und füllte aus einem Fläschchen die siebenzackige Lampe mit Öle; Benjamin drehte zwischen den Fingern auf der Tischplatte die baumwollenen Dochte, als die beiden, Vater und Sohn eintraten. Die Mutter stieß einen lauten Schrei aus, als sie des ›Fremden‹ ansichtig wurde, und das Ölkrüglein wäre beinahe ihrer Hand entsunken. Benjamin starrte den Eintretenden wie entsetzt an.
»Nu«, rief der Dorfgeher, nachdem er die heilige Thürpfoste herzhaft geküßt, lachend, »krieg ich von keinem ein Schalem Alechem?«
Da sagte Channe tiefaufseufzend: »S'Gotts willkumm Schimme, S'Gotts willkumm! Soll ich aber leben, ich bin Dir so erschrocken, daß ich's in allen Gliedern spür'.«
Wankend stieg sie nun von ihrem hohen Standpunkt herab; in der That zitterte ihr ganzes Wesen, wie ein an allen Saiten angegriffenes Instrument.
»Warum erschrocken, Channe Leben«, rief der Dorfgeher, »Vielleicht weil ich Dir unsern ›Gast‹ wieder hab' zurückgebracht? Hast Du nichts zu essen auf Schabbes? Wir werden schon etwas für ihn zusammenklauben; ich aber hab' geglaubt, Dir eine Freud' zu machen, wenn ich Dir ihn wieder thu' bringen.«
Channe beachtete aber gar nicht die Rede ihres Mannes; sie sah nur den vor ihr beinahe leblos stehenden Emanuel an.
»Gut habt Ihr gethan, Gast«, rief sie leidenschaftlich, mit leuchtenden Blicken, »und Gott hat Euch den Gedanken eingegeben, daß Ihr wieder zurückgekommen seid. Was sag' ich aber Schabbes – die ganze Woche könnt Ihr hier bleiben bei uns, und so lang Ihr nur wollt.«
»Wenn Ihr noch Weib und Kind habt, Gast«, sagte lachend der Dorfgeher, »so thut sie nur gleich verschreiben. Sie wird Euch auch die verköstigen.«
»In die Schlafstub' Mutter Leben«, schrie nun Benjamin, »darfst Du ihn nicht gehen lassen«, und ergriff dabei Emanuels Hand, »er wird uns sonst wieder weglaufen.«
»Soll ich leben, das Kind hat Recht, Ihr dürft mir gar nicht hinüber«, sagte die Mutter sogleich.
»Diesmal entlauf ich Dir nicht geliebter Benjamin«, sprach Emanuel, und beugte sich im Übermaß seiner Gefühle zu dem Knaben nieder, den er minutenlang umfaßt hielt. –
In einem Zustande wie wir ihn unmöglich schildern können, verbrachte Emanuel die wenigen Stunden, die noch zum wirklichen Sabbath fehlten. Schon duftete und wehte der ›holde Bräutigam‹, wie ihn das schöne Lied nennt, durch die ganze Wohnung. Während der Vater sich aus dem Wochen- und Straßenstaub, der auf ihm haftete, loszumachen bestrebte, indem er sich so feierlich als möglich durch Rasiren und Anziehen auf dem Empfang des Sabbaths rüstete, lauschte Emanuel auf die herzlich innigen Gespräche des Kindes. Draußen in der Küche mühte sich indessen die Mutter am materiellen Sabbath ab, aber man sah es an ihren öfteren Besuchen in der Stube, an den flüsternden Lippen, an den leuchtenden Augen, daß sie sich ihres Gastes vergewissern, daß sie ihn nicht wieder verlieren wollte.
Abends, als Emanuel mit Vater und Brüderchen aus der Synagoge in die hellerleuchtete Sabbathstube trat, als darauf wieder von den Beiden das ›Salem Alechem‹, der Friedensgruß, ertönte, begriff er erst recht den schönen Sinn dieses holden Liedes.
Ja Friede, Friede sei mit Euch! Nach einer solchen Woche, nach solchen Plagen und bei einer solchen Hantierung seines Vaters, sprach es in ihm, mußte gerade ein solches Lied gedichtet werden. – »Friede, Friede mit dir!«
Rösele saß zwar diesmal wieder in dem bekannten Winkel, und schien ihren trüben Hochzeitsgedanken nachzuhängen, aber sie weinte nicht, und schon das dünkte unserem Emanuel ein gutes Zeichen. Auch ihr neigte sich der Gruß hin »Friede, Friede sei mit dir!«
Bei Tische kam Emanuel wieder neben sein Brüderchen Benjamin zu sitzen, der im Anschauen des wieder gewonnenen Gastes buchstäblich Essen und Trinken vergaß. Emanuel selbst rührte von den Speisen, die ihm seine Mutter in reicher Fülle auf den Teller schob, kaum an, und hatte deßhalb von Rebb Schimme manche spöttische Bemerkung zu leiden.
»Wo ist denn Euer Hunger hingekommen«, sagte er, »warum seid Ihr so gelaufen? Seid kein Narr und eßt und vor der schönen Bäuerin habt Ihr Euch nicht zu geniren.
Nachdem abgespeist und gebetet war, stimmten Vater und Sohn die Nachtgesänge an; dießmal aber begann des Dorfgehers Stimme noch früher lallend zu werden, als vor 8 Tagen. Die Woche und das ›Nichtsverdienen‹ mußten es wohl bewirkt haben. Auch Rösele hatte sich in ihre Kammer entfernt, nur Benjamins Glöckchen läutete in den Sabbath des Ghettos hinaus. Mutter und Sohn saßen sich gegenüber. Zwei Engel stritten um diese Minute.
Da begann Channe: »Noch einmal sag ich's Euch, mein lieber Gast, Ihr habt ganz recht gethan, daß Ihr seid wieder gekommen. Mein Herz ist die ganze Woche über voll Traurigkeit gewesen, ich hab' nicht gewußt, warum? und mein Leben hätt' ich drumgegeben, wäret Ihr nur auf einen Augenblick wieder erschienen. Ordentlich unglücklich hab' ich mich gefühlt, wenn mir ist eingefallen: Jetzt ist der fort, all Tag deines Lebens kriegst du ihn nicht mehr zu Gesicht. Und da kann ich Euch, mein lieber Gast nicht beschreiben, wie mir da immer war. Auf die höchsten Berge wär' ich, wie ich glaube gestiegen, um Euch nachzusehen, durch die tiefsten Wasser wäre ich geschwommen, hätt' ich nur die Farbe Eueres Kleides erblickt. Eine Närrin bin ich wohl, eine große, aber mit mir muß was vorgegangen sein, Recht habt ihr, wenn Ihr mich auslacht.«
Wahrhaftig, Emanuel lachte nicht. Tiefe Blässe bedeckte sein Antlitz. Da schlug Benjamin um diesen Augenblick sein Gebetbuch zu, und sagte: »ich will nicht mehr singen, ich laß mir's auf Morgen. Und jetzt, weil der Gast da ist, kannst Du mir das Geschichtchen verzählen, was Du mir für den Talmud hast versprochen, jetzt wär' die beste Zeit.«
Emanuel flog ein herrlicher Gedanke durch den Kopf: »Benjamin«, rief er beinahe athemlos: »ich will Dir etwas Anderes erzählen, worauf ich die ganze Woche nachgesonnen, es wird Dir gewiß sehr gut gefallen.«
Seltsam blickte ihn darauf der Knabe an, er begriff nicht die fieberhafte Hast Emanuels; er sah zu seiner Mutter auf, und da meinte er: »Wenn Du ein andermal Zeit hättest – Mutter Leben – so möchte ich – wer weiß, wann der Gast wieder kommt.«
»Erzählt, erzählt«, sagte die Mutter. »Mein Geschichtchen wird Dir nicht entgehen.«
»Stelle Dir vor, Benjamin«, begann Emanuel mit unsicherer Stimme. »Du hast vor Zeiten eine Muhme gehabt, Namens Mirjam, die hatte ein einziges Kind, das hieß Ruben. Von jeher ist dieses Kind ein Wunder von Kopf und Weisheit gewesen, es hat können mit dem größten Rabbi über Thora sprechen, daß den Leuten, die ihm zugehört, die Haare sind zu Berg gestanden. Weißt Du aber, worin die größte Freude von jenem Knaben ist bestanden? Wenn Abends ist geworden und er gewußt hat, daß der Schuldiener jetzt beim Rabbi ist, hat er eine Latte von dem hölzernen Häuschen ausgehoben, in das man wie Du weißt, die zerrissenen Bücher wirft, die, weil der Name Gottes darauf steht, nicht untergehen dürfen.
Da hat er viele, viele solcher Bücher mit sich nach Hause genommen und ganze Nächte damit zugebracht von Allem den Sinn herauszubringen, denn an dem Einen hat der Anfang gefehlt, bei Anderen das Ende, oft waren mehrere Blätter auf einmal herausgerissen. Er aber, durch seinen Kopf und Verstand hat immer gewußt, was auf dem Fehlenden gestanden ist. Hör' zu, was geschah. Eines Abends, wie er wieder in dem Häuschen war, kommt ihm vor, als würde von einer weichen Hand ihm ein Buch in die seine geschoben; er will es fallen lassen, aber es bleibt ihm wie angeschmiedet, er muß es behalten. Da trägt er das Buch nach Hause, und wie er es bei Nacht aufschlägt, sieht er, daß es nicht in heiliger Sprache, sondern in einer fremden, ihm unbekannten ist. Heftige Begierde erwacht in ihm, das Buch zu verstehen, er verachtet den Bann des Rabbi, der auf solchen Büchern liegt.
Er versteht es endlich, wieder fehlt das Ende wie bei den andern. Diesmal kann er aber den Sinn nicht herausfinden, wie er es immer anfängt. Das Buch in der Hand ist er eines Tages entschwunden, man weiß nicht wohin? Ein schönes Weib war einmal in seiner Stube erschienen, das hatte ihn mitgenommen und versprochen, von jenem Buche das Ende ihm zu schaffen. Kurz darauf hat ihn Einer in einer fernen Stadt als ›Bekehrten‹ gesehen, reitend an der Seite eines schönen Weibes, angethan mit prächtigen Kleidern. Das hat man nun der Muhme Mirjam erzählt und sie ist darüber gestorben. In jener Nacht, wo sich ihre Seele so plötzlich aus ihrem Leibe gerissen hat, da träumt es dem Sohn an der Seite jenes schönen Weibes, seine Mutter stehe vor ihm und spricht also: ›Meinst Du, Du hättest das Ende jenes Buches nicht gefunden, wärst Du bei mir, Deiner Mutter geblieben? Steh' auf und thu' Buße!‹ – So ist sie dreimal gekommen. – –
In Amsterdam ist einmal auf der Schwelle der Synagoge ein Bal Teschuba (Büßender) gelegen, über dessen Leib stiegen die Leute, es war –«
»Elije, mein Elije!« tönte es darauf von den Lippen der Mutter so laut schrillend, daß es im Hause widerhallte. Bleich, fast ohnmächtig war sie zu seinen Füßen gesunken; sie hatte das Mährchen wohl erkannt. Der Vater fuhr schlaftrunken in die Höhe, auf der Schwelle erschien Rösele, »Elije, mein Elije!« tönte es noch lange in die Nacht hinaus. Und es war Alles, Alles gut. – –
(Am Sonntag geschrieben.)
Hart an die Wohnung des Glücks baut der Unglückselige seine Hütte an. Er wandelt mitten unter den Glücklichen und sein Lächeln hat oft den Anschein, als wäre es von ihnen erborgt. Ich werde lächeln, ich werde mich freuen – kann ich aber Dein vergessen, Clara?