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Zehntes Kapitel

Schon während er zur Gendarmeriestation hinüberjagte, um den Fund abzuliefern, machte Bassow sich einen Plan für sein Tun. Für die nächsten Schritte wenigstens auf dem in Dunkel gehüllten Wege. Was Polizei und Gericht bereits durchforscht hatten, schob er beiseite. Dort noch etwas Neues auszufinden, erschien unwahrscheinlich. Sein Forschen mußte beginnen, wo jene – freiwillig oder gezwungen – aufgehört hatten. Wo war ein fester Punkt, von dem er ausgehen konnte?

Die Figur der Krankenpflegerin, die auf dem Schloßhofe von Garchim unvermutet vor ihm aufgetaucht war, erschien plötzlich wieder vor seiner Seele. Sie hatte gesagt, sein Vetter habe das Schriftstück von ihr zu erhalten gewünscht, das nun in den Händen von dessen Witwe war. Er pries den Zufall im stillen als ein Glück, daß die Krankenpflegerin ihm ihre Karte eingehändigt hatte, und im eiligen Reiten zog er die Brieftasche hervor, in der sie liegen mußte. Ja, da war sie! Seine peinliche Ordnungsliebe versagte auch diesmal nicht. »Barbara Zinsmeister, geprüfte Krankenpflegerin« stand auf der Karte, darunter die Adresse eines Hauses weit im Norden von Berlin, an der Chausseestraße. Der Entschluß, dort hinzufahren, war gleich gefaßt.

Auf der Gendarmeriestation erregte der neue Fund Aufregung und Freude. Bassow blickte jetzt bereits mit nachlassender Teilnahme darauf. Seine Gedanken strebten zu andern Zielen, und sobald als möglich schwang er sich wieder aufs Pferd, um heimzureiten.

Er war so voller Aufregung und Eile, seine Tatkraft zu erweisen, daß er am liebsten gleich mit dem nächsten Zuge nach Berlin gefahren wäre. Doch war er nach genauerer Ueberlegung vernünftig genug, erst ein Telegramm für Barbara Zinsmeister aufzugeben und anzufragen, ob sie auch dort sei. Er hatte die Rückantwort bezahlt, und so war mittags bald nach dem Essen die gewünschte Nachricht in seinen Händen. Barbara Zinsmeister telegraphierte: »Bin hier. Stehe hohem Herrn zu Diensten.«

Um halb acht Uhr war er in Berlin, fuhr in ein Hotel nahe bei der Ankunftsstation und nahm sich kaum Zeit, eilig ein wenig zu Abend zu essen. Dann brachte ein Automobil ihn rasch nach der Chausseestraße hinaus. Eine hohe Mietskaserne mit abgeblättertem, gelbgrauem Putz wies die Nummer auf, die Bassow suchte, und ein mangelhaft, nur durch ein paar bescheidene Lämpchen erleuchtetes Treppenhaus, in dem der Kohlgeruch von den Mahlzeiten der Mieter die Luft verdarb, nahm den Aussteigenden auf. Die Pflegerin wohnte hoch oben im vierten Stock; sie hatte, wohl dem erwarteten Besuch zu Ehren, auf einen kleinen Tisch neben ihrer Zimmertür eine brennende Kerze gestellt, so daß er gleich die wohlbekannte Visitenkarte bemerkte, die den Eingang bezeichnete. Beim Geräusch seiner Schritte öffnete sich die Tür schon, bevor er geklopft hatte, und vor ihm erschien das flache Gesicht mit der kleinen Nase, auch hier im Hause von dem scheinbar niemals abgelegten, schwarzen Kopftuch umgeben.

»Der Herr Baron geben mir persönlich die Ehre, – wenn ich bitten darf, Herr Baron. Dies ist meine bescheidene Wohnung.«

Bescheiden war das Zimmer in der Tat, das Bassow, eintretend, mit raschem Blick überflog. Ein Tisch, ein Bett, ein Schrank, ein paar Stühle aus billigem, braun gebeiztem Holz bildeten das ganze Mobiliar. Nur ein Kruzifix und mehrere daneben hängende bunt ornamentierte Papptafeln mit Bibelsprüchen in gotischen Buchstaben wiesen auf den besonderen Charakter der Bewohnerin hin.

Sie sprach auch hier wieder zuerst, indem sie einen Stuhl an den Tisch heranrückte, auf dem eine Petroleumlampe mit halb grüner, halb weißer Glaskuppel stand. »Wenn ich den Herrn Baron bitten darf, – ich hatte gedacht, – als ich heute mittag das Telegramm bekam, – der Herr Baron wären von einer Krankheit befallen worden, worauf jeder von uns in jedem Augenblick vorbereitet sein muß. Aber natürlich habe ich mich geirrt.«

Bassow setzte sich mit freundlichem Lachen und schob die Lampe ein wenig weiter von sich ab. »Ja, Schwester Barbara, den Gefallen konnte ich Ihnen wirklich noch nicht tun. Ich habe augenblicklich gerade durchaus keine Zeit, um krank zu sein. Es ist eine ganz andere Sache, die mich zu Ihnen führt, aber ich bemerke gleich, daß ich Ihre Zeit nicht umsonst in Anspruch nehmen werde.«

»Ach, Herr Baron, ich suche keinen irdischen Gewinn, den doch nur Motten und Rost fressen.«

»Nun, leben müssen wir alle, Schwester Barbara, und von der Luft allein lebt man leider nicht.«

»Leider – nein.«

»Also hören Sie mich an. Sie waren doch vor einiger Zeit in Garchim und brachten der Witwe meines dort ermordeten Vetters ein Schriftstück, das er selbst bei Lebzeiten, wie Sie mir sagten, von Ihnen zu erhalten gewünscht hatte.«

»Ach – habe ich das gesagt?«

»Ja, gewiß. Und ich nehme an, Sie haben damals die Frau Baronin gesprochen und ihr das Papier eingehändigt.«

»Hat sie das – wenn ich fragen darf – haben das die Frau Baronin dem Herrn Baron mitgeteilt?«

»Ich will ganz aufrichtig gegen Sie sein, Schwester Barbara. Nein, sie hat es mir nicht mitgeteilt. Aus dem einfachen Grunde, weil ich sie nicht gefragt habe. Sie aber möchte ich darum fragen, und ich hoffe, Sie werden ebenso wahr gegen mich sein, wie ich gegen Sie. Dazu berechtigt mich schon Ihr frommer Beruf.«

»Gewiß, Herr Baron, gewiß. Der Wahrheit sollen wir überall die Ehre geben. Ich weiß nur nicht, – wenn ich mir überlege –«

»Dabei ist doch weiter nichts zu überlegen. Haben Sie der Frau Baronin das Papier ausgehändigt oder nicht? Ja oder nein.«

»Ja – ich glaube – ja, sie hat das Papier dortbehalten.«

»Und ich denke, – Sie sagten mir damals, mein verstorbener Vetter hätte Ihnen eine Belohnung in Geld für dieses Schriftstück versprochen gehabt, – ich denke, seine Witwe hat im Sinne ihres verstorbenen Mannes gehandelt und Ihnen ausgezahlt, was er Ihnen zugedacht hatte.«

»Ich weiß nicht – ich kann es wirklich nicht sagen – ich habe ein so schlechtes Gedächtnis für irdische Dinge.«

»Können Sie dem Gedächtnis nicht nachhelfen? Schreiben Sie die Ausgaben und Einnahmen für Ihr Leben nicht an?«

»Allerdings, Herr Baron – ja, das ist wirklich so. Man soll doch Ordnung halten in allen Dingen.«

»Nun, da sehen Sie einmal nach diesen Aufzeichnungen.«

»Ja, das könnte ich tun – wenn der Herr Baron es nun einmal wünschen – ich muß nur suchen – ja, da ist das Buch.«

Sie hatte die Schublade des Tisches, an dem sie saßen, aufgezogen und ein abgegriffenes, blaues Oktavheft hervorgeholt. In diesem begann sie mit Umständlichkeit in ihrer langsamen, zaudernden Art umherzusuchen, um endlich auf einem Blatte Halt zu machen und zu sagen: »Ja, die Frau Baronin hat mir wirklich etwas geschenkt. Nicht etwa, daß ich es verlangt hätte, das liegt mir fern – aber sie hat mir fünfundzwanzig Mark als Belohnung angeboten, und ich habe mich für berechtigt gehalten, sie anzunehmen.«

»Ich hoffe. Sie werden auch von mir ein Geschenk annehmen. Wenn Sie mir genaue, zuverlässige Mitteilung über den Inhalt jenes Schriftstückes machen können, gehört Ihnen dieser Hundertmarkschein.«

Er hatte einen blauen Schein hervorgezogen und ihn verlockend im Lichte der Lampe ausgebreitet. Als nächste Wirkung zeigte sich ein aufgeregtes Zucken in der nahe dabei auf dem Tisch ruhenden Hand der Barbara Zinsmeister; auch bekamen ihre blassen Augen einen dunkleren Glanz. Aber sie sagte: »Das wäre ja viel zu viel für mich, Herr Baron, auch wenn ich dem Herrn Baron wirklich die gewünschte Mitteilung machen könnte.«

»Nun also die Hauptfrage: kennen Sie das Schriftstück und seinen Inhalt?«

Mit ihrem ständigen Widerstreben gegen die deutliche, bestimmte Aussage zauderte sie auch jetzt noch ein wenig, als wenn sie sich die Sache zuvor genauer überlegen müßte. Dann aber gab sie langsam zu: »Ja, Herr Baron – ich glaube, daß ich das ruhig sagen darf. Denn mir war die Schrift ja doch gerade deshalb übergeben worden, damit ich den Inhalt kennen lernen sollte.«

»Gut. Und nun meine zweite Hauptfrage: handelt sich's in dem Schriftstück um meinen Vetter, den ermordeten Baron Bassow?«

Diesmal antwortete sie überraschend schnell. »Nein, Herr Baron, um den verstorbenen Herrn Baron handelt sich's in keiner Weise darin. Er wird in der Schrift überhaupt mit keinem Wort erwähnt.«

Bassow fühlte sich sehr enttäuscht; mit Mühe zwang er sich äußerlich zur Ruhe. »Ja, wie stimmt denn das mit Ihrer früheren Mitteilung, er hätte gern das Schriftstück haben wollen?«

»Ja, Herr Baron, ich weiß das wirklich nicht. Aber es lag ihm viel daran – offenbar sehr viel. Weil ich ihm das Schriftstück nicht gleich geben konnte, war er sehr ungehalten damals. Ich hatte nämlich eine so lange auswärtige Pflege gehabt, daß ich meine Wohnung hier aufgegeben und alle meine Sachen mitgenommen hatte – und sie waren noch unterwegs – mit Fracht, weil das billiger ist. Ja, ihm lag viel daran.« Ihre Augen hefteten sich wieder auf den Hundertmarkschein, als wenn sie fürchtete, daß er in die Tasche des Besuchers zurückkehren könnte.

»Aber zum Teufel – Pardon, das Fluchen ist hier wohl nicht erlaubt – sagen Sie mir doch endlich um alles in der Welt, von wem das Schriftstück denn eigentlich handelt?«

»Das – ach Herr Baron, ich verstehe mich so schlecht aufs Erzählen – ich glaube, das würden der Herr Baron selbst am besten sehen.«

»Ja, wenn ich's in Händen hätte, natürlich! Aber die Frau Baronin will ich, wie schon gesagt, nicht fragen, und –«

»Das wäre wohl eigentlich nicht nötig.«

»Wieso?«

Schwester Barbara hatte wieder ungewöhnlich rasch gesprochen, jetzt aber zauderte sie dafür wieder um so länger und rieb sich in Verlegenheit oder Unentschlossenheit die Hände an ihrem Kleide. Schließlich sagte sie dann doch: »Es gibt ja noch ein anderes Exemplar.«

»Ein zweites Exemplar existiert noch?« fragte Bassow überrascht die Schwester Barbara. »Und haben Sie das in Händen?«

»Es ist ja doch nichts Unrechtes, was ich getan habe, nicht wahr? Ich habe mir nämlich eine Abschrift davon gemacht – damals, ehe ich das andere zu der Frau Baronin getragen habe. Das Schriftstück mußte doch eine besondere Bedeutung haben, sagte ich mir, und ich dachte: besser ist besser.« Sie holte ein Papier aus der Schublade hervor.

»Der Hundertmarkschein ist Ihr Eigentum. Ich danke Ihnen, Schwester Barbara.«

Sie trat ganz nahe an den Tisch, magnetisch angezogen von dem blauen Schein; aber sie zierte sich noch ein wenig. »Ach, Herr Baron, das ist ja viel zu viel. Ich weiß gar nicht, ob Ihnen die Schrift irgendwie dienen kann. Sie war doch nun einmal geisteskrank.«

»Geisteskrank – wer?«

»Das heißt, nicht eigentlich geisteskrank. Sie war in keiner Anstalt und konnte frei herumgehen. Es genügte, daß eine Pflegerin bei ihr war, und so bin ich denn zu ihr gekommen.«

»Sie sprechen von der Verfasserin dieser Aufzeichnungen, nicht wahr? Sagen Sie mir nun endlich, um wen sich's handelt, und wie sie hieß.«

»Ja, das will ich gern tun, Herr Baron,« sagte Schwester Barbara und schob, während Bassow einen ersten, flüchtigen Blick auf die auseinandergefalteten Papiere warf, den Hundertmarkschein behutsam in ihre Kleidertasche. »Sie hieß Eugenie Neubeck und war die Tochter von einem reichen Knopffabrikanten in Augsburg. Das heißt, ihr Vater war schon lange tot, und sie selbst war ja damals auch nicht mehr jung. Sie sagte zu mir, sie wäre achtundvierzig, aber wie sie starb, kam es heraus, daß sie acht Jahre zu wenig angegeben hatte. Aber das ist ja auch einerlei. Und sie lebte seit ihrer Jugend in Augsburg, und so hat sie dort auch den Herrn von Breitenbach kennen gelernt.«

Ueberrascht schaute Bassow sie an. »Breitenbach, – meinen jetzigen Gutsnachbar? Um den handelt sich's? Wie kam er nach Augsburg?«

Seit Schwester Barbara im Besitz des Geldes war, hatte ihr Wesen viel von seiner zaudernden Langsamkeit verloren. Sie gab in einer scheinbar gleichgültigen, aber nicht mehr so stockenden Weise die gewünschte Auskunft. »Ja, derselbe. Wenn er nämlich Erich mit Vornamen heißt. Er hatte damals ein Gut in der Nähe von Augsburg, kam aber häufig in die Stadt. Und so hat sie denn seine Bekanntschaft gemacht.«

»Und – sagen Sie mir – in welchen Beziehungen standen die beiden zueinander?«

»Das kann ich dem Herrn Baron so ganz genau nicht sagen. Ich weiß nur, daß das Fräulein Neubeck so gut wie keinen andern Gedanken hatte, als ihn. So wütend sie damals auch war. Aber wenn ich es aussprechen dürfte, so würde ich sagen, daß die Liebe zu ihm sie verrückt gemacht hatte, – wenn man von Verrücktheit bei ihr sprechen wollte.«

»Sie scheinen sie nicht dafür angesehen zu haben. Das kann von Wichtigkeit sein. Halten Sie für zuverlässig und glaubhaft, was hier aufgezeichnet steht?«

»Der Herr Baron fragen mich zu viel. Sie war zuweilen klar, zuweilen verwirrt. Und das Gericht hat sie ja nicht für glaubhaft gehalten.«

»Das Gericht? Ist es zwischen den beiden zu einer Verhandlung vor Gericht gekommen?«

»Ja, gewiß. Das war es doch gerade, was das Fräulein so furchtbar aufregte, und weshalb sie auch das hier niedergeschrieben hat. Es ist ja keine Kleinigkeit, so als Lügnerin vor der Welt dazustehen, und eine hübsche Summe Geld war es auch.«

»Handelte sich's um Geld?«

»Natürlich; sie behauptete doch, sie hätte ihm das Geld gegeben, geliehen oder geschenkt, wenn er sie heiraten würde, – und wie er da nun den Eid leistete, daß er das Geld niemals bekommen hätte –«

»Das hat er getan?«

»Freilich. Da hat es ihr einen furchtbaren Stoß gegeben, und sie ist so geworden, wie sie bis an ihr Ende geblieben ist. Lange hat es ja nicht mehr gedauert; ich bin nur noch fünf Monate bei ihr gewesen, dann ist sie gestorben.«

»Und ist er, – ist Herr von Breitenbach noch einmal bei ihr gewesen?«

»O nein! Es war eine bittere Feindschaft zwischen ihnen. Und so traurig es für mich ist, es aussprechen zu müssen: Das Fräulein ist mit einem Fluch auf den Lippen gegen ihn hinübergegangen. Gott verzeih ihr die Sünde!«

»Und wie lange ist das alles her, Schwester Barbara?«

»Ach, schon lange, Herr Baron. Das muß ich erst einmal nachrechnen, – ja, über acht Jahre muß es jetzt her sein.«

Bassow überlegte noch einen Augenblick. Dann machte er sich auf den Weg, während Barbara mit ihrer Lampe oben am Treppengeländer stand und einen Lichtschein hinuntersandte in das kohlduftende Treppenhaus. Durcheinanderschießende Gedanken bedrängten ihn, die Papiere brannten ihm auf der Brust. Er hielt seine Hand auf sie gepreßt, während er im Automobil, das ihn erwartet hatte, zurückfuhr zum Hotel. Hier ging er gleich auf sein Zimmer, ließ eine Flasche Wein kommen, rückte sich den Tisch unter die Glühlichter des Kronleuchters.

»Der Wahrheit die Ehre in Ewigkeit – Amen,« so begann die Schrift, um dann fortzufahren:

»Ich weiß, daß ich nicht lange mehr leben werde. Gott hat es gewollt, – hat es gewollt, – hat es gewollt. O, wenn ich doch alle Leute zu mir hereinrufen könnte, die behaupten, es gäbe keine gebrochenen Herzen mehr. Wenn ich mir doch die Brust aufreißen könnte und ihnen zeigen, wie das Herz in ihr aussieht – zerbrochen, zertreten, zerrissen, – rissen, – rissen, – rissen, – Amen.

Dies ist mein Testament, aber ich vermache nur einem etwas in ihm, und ich vermache nur eins. Meinen Fluch!!! Meinen dreimal bekreuzigten, dreimal gesegneten Fluch. Dir gehört er in Ewigkeit, Dir, Erich von Breitenbach. Denn Du bist ein Hund, ein Raubtier, ein Hund! Ich weiß, was ich weiß, und ich lade Dich auf den jüngsten Tag vor den Richterstuhl des Allmächtigen und Ewigen. Weil die Gerichte der Erde von Toren und Blinden verwaltet werden, die nicht sehen können, was Wahrheit und Irrtum ist. Und ich werde vor ihn hintreten in meinem weißen, – weißen, – weißen Sterbekleid, und werde meine Hand erheben gegen Dich und werde sagen: da steht er, der größte Verbrecher von allen. Vergib den Mördern, Herr, aber vergib diesem nicht. Er ist gekommen und hat mir seine Not geklagt und hat mich gebeten, ich soll ihm helfen. Und ich habe geholfen und habe ihm gegeben, mehr als ich hätte geben dürfen. Er aber hat mich geküßt, – o, wie diese Küsse noch heute auf meinen Lippen brennen, – wie sie brennen, brennen, brennen in Ewigkeit! Sie sind aus der Hölle gewesen, diese Küsse, darum brennen sie so! Und er hat mir gesagt, er will kommen und mich heiraten, wenn die Rosen blühen. Aber die Rosen haben geblüht und sind verwelkt, und er ist nicht gekommen. Und ich vermache ihm darum diesen dreimal gesegneten Fluch. Amen.

Und nun kommt das Aergste, – hör' es. Allmächtiger! Meineid, Meineid im fürchterlichsten Grad! Ich habe die Stelle bei William Shakespeare wieder und wieder gelesen, und das Buch ist abgegriffen von meinen Händen, und das Blatt ist vergilbt von meinen Tränen. Meineid, Meineid im fürchterlichsten Grad! Wie ich gesehen habe, daß er mir sein Wort nicht hält und mir auch nicht zurückgibt, was mir gehört, da habe ich versucht, mir durch irdische Gerichte mein Recht zu holen. Er aber ist hingegangen, – dieser Wortbrüchige, dieser Verräter, dieser Hund! – und hat geschworen, – geschworen, – geschworen! Daß ich ihm niemals das Geld gegeben hätte, das ich zurückforderte. Und sie haben ihm geglaubt und haben mich abgewiesen. Ich aber sage und werde sagen bis an meinen Tod: es war Meineid, – Meineid, – Meineid im fürchterlichsten Grade!

Erich von Breitenbach, Dir vermache ich meinen Fluch, meinen hundertfachen, hundertmal bekreuzigten Fluch! Gott möge seine Hand von Dir abziehen und möge Dich dem Teufel überantworten, zu dem Du gehörst, und er möge Dich martern, – martern, martern mit glühenden Spießen in Ewigkeit! Amen.«

Bassow sprang empor; es duldete ihn jetzt nicht mehr auf seinem Sitz. Mit großen, gleichmäßigen Schritten begann er im Zimmer auf und nieder zu gehen, den Kopf gesenkt und seine Blicke unverwandt auf den Teppich des Fußbodens gerichtet. Das alles, was er eben gelesen und gedacht hatte, stand ja nur indirekt in Beziehung zu seinen eigenen Forschungen und Zielen. Aber da war etwas anderes, Bedeutsameres. Der verstorbene Vetter hatte sich Mühe gegeben, diese Aufzeichnungen der Toten in seinen Besitz zu bringen, hatte die Krankenpflegerin aufgesucht und ihr Geld geboten. Das war's! Weshalb dieser Wunsch, ein Schriftstück zu besitzen, das Breitenbach kompromittierte? Ihn, der vor der Welt immer sein Freund geschienen hatte.

Vielleicht war es in Breitenbachs Auftrag geschehen, um die gefährlichen Aufzeichnungen aus der Welt zu schaffen. Vielleicht, – wenn die Freundschaft zwischen den beiden Männern echt gewesen war. Aber nun meinte Bassow die Worte der Baronin wieder zu vernehmen, die sie von ihres ermordeten Mannes Werbung um die jetzige Braut Breitenbachs gesagt hatte. Mit besonderem Ausdruck hatte sie diese Worte gesprochen, ihn aufgefordert, über sie nachzudenken. Es war gewesen, als wenn sie den Schlüssel des ganzen Geheimnisses darin gesucht und vermeintlich gefunden hätte. Und wenn der Vetter sich nicht in Breitenbachs Auftrag bemüht hatte, dann waren die beiden auch keine Freunde gewesen. Gegen einen Freund sucht man kein Belastungsmaterial. Wenn aber an Stelle der Freundschaft vielleicht gar bittere Feindschaft heimlich geherrscht hatte zwischen den beiden Rivalen um die Liebe derselben Frau, wenn der Verstorbene diese Aufzeichnungen als eine Waffe gegen Breitenbach hatte benutzen wollen, dann –

Bassow blieb stehen, von einem jähen Erschrecken vor seinen eigenen Gedanken für einen Augenblick an die Stelle gebannt. War es denn möglich? Durften seine Gedanken diesen dunklen Weg gehen? Er machte eine Bewegung, als wenn er sie von sich abschütteln müßte, doch sie kamen wieder und blieben. Da war der Abend, an dem die beiden Männer nach Breitenbachs eigener Aussage noch miteinander zusammengewesen waren, der letzte in seines Vetters Leben. Sie hatten sich an diesem Abend – zufällig, wie Breitenbach behauptete, – auf der Heimfahrt im Eisenbahncoupé getroffen, waren im Gespräch gegangen auf einem Wege, der in der Nähe des toten Sees vorüberführte, und am toten See war der Vetter ermordet worden. Ein wunderbarer Zufall hatte seinen Hilfeschrei zum Schlosse, zu den Ohren seiner Frau hinüberdringen lassen. Es war Breitenbachscher Grund und Boden, auf dem er gestorben war. Der einsam Grübelnde legte die Hand vor die Augen, als wenn er wilde Phantasiegebilde fortscheuchen müßte. Doch ließ er sie gleich wieder sinken und hob den Kopf, laut, mit fester Stimme dabei sagend: »Nein, ich will den Dingen ins Auge sehen. Ich will die Spur verfolgen, die sich mir bietet. Wenn ich schwach genug gewesen bin, den Glauben an eine Schuld von ihr – von ihr! – mir einflüstern zu lassen, so will ich nun auch Mut genug haben, um nicht Halt zu machen vor diesem Verdachte, weil er auf einen Edelmann fällt.«


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