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Sechstes Kapitel

Wohl noch niemals hatte sich Bassow in solcher tiefinneren Verstörtheit und Unsicherheit befunden, wie an diesem Tage. Zuerst freilich, nachdem er die Baronin verlassen hatte, überwog der Eindruck ihrer Persönlichkeit alle andern Einflüsse und Gedanken. Ueberzeugend wie die Wahrheit selbst hatte sie vor ihm gestanden. Kein Ton, kein Wort waren unecht und berechnet erschienen. Er hatte Momente, in denen er sich sagte: »Du bist ein Lump, wenn du an dieser Frau zweifelst!« In denen es ihn trieb, wieder zu ihr hinüberzustürmen und sie anzuflehen um Vergebung.

Je mehr aber der schöne Glanz ihrer Augen, der tiefe Klang ihrer Stimme in seiner Vorstellung ermatteten, um so größere Macht gewannen die klugen Auseinandersetzungen des Juristen über ihn. Ja, niemand hatte, soweit sich's erkennen ließ, ein größeres Interesse am Tode seines Vetters gehabt, als diese Frau, deren Liebe schon längst erkaltet war. Den Raubmord konnte der Täter geschickt fingiert haben; der wahre Zweck war es dann gewesen, die Vollendung des neu geplanten Testaments zu verhindern.

So redete sich Bassow nach und nach wieder in Mißtrauen und Zorn gegen sie hinein und kämpfte damit gegen ein häßliches Mißbehagen über sein eigenes Verhalten gegen sie. Und indem er sich das alles in den dunklen Stunden einer abermals beinahe schlaflosen Nacht immer wiederholte, fand sein Mißtrauen eine seltsame Bundesgenossin an einer zweiten Frauengestalt. Ein Ereignis, das zu vergessen er seit Jahren gekämpft hatte, wachte wieder auf und bedrängte ihn aufs neue. Es war die große und nach seinem Glauben einzige Liebe seines Lebens, die mühsam unterdrückte Qualen in dieser Nacht erneuerte. Bassow hatte wenig in der großen Welt gelebt. Nur die Militärdienstzeit, ein paar Semester auf der Universität und zwei Reserveübungen bei seinem früheren Regiment in Breslau hatten das gleichmäßige Leben auf der heimischen Scholle mit bunteren Farben unterbrochen. Bei der letzten Reserveübung war es gewesen, als er sich in eine Wagnersängerin des Stadttheaters mit einer plötzlichen, stürmischen Leidenschaft verliebte. Bis dahin hatten die Frauen kaum eine Rolle in seinem Leben gespielt. Nun sah er sich fortgerissen von einem reißenden Strom. Was an Romantik im tiefsten Grunde seiner stillen, auf praktische Werte gerichteten Natur geschlummert hatte, wachte damals auf. Es war ein großes, kurzes Glück, und eine zerschmetternde Enttäuschung. Maßloses Vertrauen, grenzenlose Verehrung wurden mit frecher Treulosigkeit vergolten. Und als er bebend vor Zorn und Schmerz vor der Sängerin stand, immer noch in der unsinnigen Hoffnung, sie könne sich mit ein paar Worten rechtfertigen, da sagte sie lachend: »Zweierlei mußt du beim Theater nicht suchen: Treue und Wahrheit. Unser Beruf ist das Täuschen und Lügen, es wird jeden Abend aufs neue von uns verlangt. Da machen wir's auch im Leben wie auf der Bühne, – wir alle.« Diese Worte – mühsam nur halb vergessen – klangen mit lebensvoller Grausamkeit wieder an sein Ohr. Aber sie kamen aus einem andern Munde. Das Frauengesicht, dessen Anblick für ihn die größte Wonne und der größte Schmerz des Lebens gewesen war, hatte sich verwandelt. Er sah nur noch das Antlitz der Baronin. Und von ihren Lippen klang es ihm entgegen: »Wir alle lügen, – wir vom Theater.« Es fiel ihm ein, daß dies tief in seine Seele gepflanzte Mißtrauen gegen die Bühnenmenschen es auch gewesen war, was ihn abgehalten hatte, die Frau seines Vetters früher schon kennen zu lernen. Seine übrigen Verwandten hatten sie aus anerzogenem Vorurteil abgelehnt, er nicht. Im Gegenteil, – was an Idealismus und Romantik auf dem Grunde seines Gefühlslebens lag, war aufgewacht in der Berührung mit dem Theater. Aber niemals war er über die große Täuschung hinweggekommen, die seiner tiefeingewurzelten Wahrheitsliebe zuteil geworden war. Seit jener Stunde hatte das Theater für ihn die Lüge bedeutet.

Die ganze Bitterkeit wachte wieder in Bassow auf, und als der neue Tag angebrochen war, hatten Zorn und Mißtrauen abermals gesiegt. In der Frühe des Morgens trat er an ein Fenster seines Zimmers, das in dem einen Flügel des Schlosses lag, schaute über die lange Terrasse weg nach dem andern Flügel hin, wo die Baronin hauste, und flüsterte aufs neue sein drohendes: »Hüte dich vor mir!« Zugleich aber stand er lange Zeit am Fenster und wartete, ob nicht der Schatten einer Frauengestalt sich dort gegenüber zeigte.

Dann trat er seine Reise an, ohne ihr noch einmal begegnet zu sein. Von Stunde zu Stunde wuchs die Entfernung zwischen ihm und ihr, und als er das heimatliche Gut erreicht hatte, lagen viele Meilen zwischen ihnen. Aber es war seltsam: je größer die Entfernung sich ausgedehnt hatte, um so geringer waren Bitterkeit, Mißtrauen und Haß in ihm geworden. Im Anblick der weiten, friedlich daliegenden Welt schien seine Seele sich gesund zu baden. Es war ihm, als wenn er aus einem Krankenzimmer herausgetreten wäre in gesundes Leben, wo man die Dinge mit andern Augen sieht. Und als er nun in der altgewohnten Umgebung in gewohnter, angespannter Tätigkeit war, da kam ihm der Verdacht gegen die schöne Frau mit jedem Tage mehr wie ein wüstes Traumgebilde vor. Wo war denn ein Beweis, ein wirklicher, schlagender Beweis gegen sie für solch ein abenteuerliches Verbrechen? Er fragte sich's immer häufiger, und zugleich begann etwas Andres, das er selbst noch nicht verstand, oder sich nicht eingestehen mochte, stärker und stärker in ihm zu arbeiten. Eine bohrende, nagende Sehnsucht war es, vor der festgesetzten Zeit von zehn Tagen wieder nach Schloß Garchim zurückzukehren. Er redete sich ein, seine baldige Anwesenheit sei nötig auf der großen Besitzung, er könne die Leute bei ihrer Tätigkeit am besten beobachten, wenn er unerwartet wieder unter sie träte. Aber diese Gründe konnten das Klopfen seines Herzens nicht erklären, das er fühlte, sobald er an Garchim dachte. Und er dachte bald nichts andres mehr als das. Er arbeitete ein paar Nächte durch, um zeitiger abreisen zu können. Und als er dann wirklich zwei Tage vor dem bestimmten Termin im Zug saß, da hob ein tiefer, befreiender Atemzug seine Brust.

Er hatte sich nicht angemeldet und ging zu Fuß von der Station zum Schloß. Ueberall traf er die Leute bei fleißiger Arbeit; offenbar hatte die Herrenhand nicht gefehlt in seiner Abwesenheit. Als der Verwalter ihn überrascht begrüßte, tat er ein paar Fragen über den Stand der Arbeiten, um dann hinzuzufügen: »Ist Frau Baronin schon abgereist?« Und als die Antwort kam: »Nein, soviel ich gehört habe, will sie übermorgen fahren,« sagte Bassow mit erkünstelter Gleichgültigkeit: »Sie braucht es noch nicht zu wissen, daß ich zurück bin. Niemand soll es ihr sagen.«

Dann ging er eiliger vorwärts. Es war ein heißer, schöner Nachmittag; ein Duft von reifendem Getreide schwebte in der Sommerluft. Warme Freude beflügelte Bassows Gang, die er als Herrengefühl beim Anblick des reichen, ihm vom Schicksal zugeworfenen Besitzes deutete. So kam er zum Schloß, gab auch dort Auftrag, von seiner Ankunft vorläufig nicht zu sprechen, und betrat sein Zimmer mit einer heißen, unverstandenen Unruhe im Herzen. Sobald er sich notdürftig wieder eingerichtet hatte, ging er zum Fenster, das nach dem andern Schloßflügel hinübersah, und spähte, hinter dem Vorhang verborgen, lange nach jener Seite. Doch blieb alles ruhig und unbelebt.

Ueber dem Park lag die große, sonnige Stille des heißen Tages. Die Schwalben allein, die pfeifend hin und wider schossen, brachten leise, helle Töne in das tiefe Schweigen. Aber nun – Bassow hatte wohl eine halbe Stunde am Fenster dort gestanden – erwachte plötzlich ein anderer Klang. Musik! Die Akkorde eines von unsichtbaren Händen gespielten Flügels kamen durch den Sonnenglanz daher. Und eine Stimme gesellte sich zu diesen Tönen, weich, mild und mächtig zugleich, wie sie Bassow kaum jemals gehört hatte. Zuerst war es nur eine atemraubende Ueberraschung, die er fühlte, dann runzelte sich seine Stirn. Es konnte niemand anders als die Baronin sein, die da sang. Hier in dem Trauerhause, in dem vor so kurzer Zeit ihres ermordeten Gatten Leiche gelegen hatte, konnte sie singen! War das nicht ein Beweis für ihres Herzens Kälte?

Bassow versuchte, sich den herandrängenden Tönen zu entziehen, wandte sich ab und ging weit ins Zimmer zurück. Aber es war wie ein Zauber, der ihn faßte, der Gesang verfolgte ihn auch dort und zog ihn aufs neue ans Fenster. Sein Ohr hatte jetzt erkannt, was die Frau dort sang. Isoldens Liebestod war es, und er wußte nun: ja, das durfte sie singen, auch im Trauerhause! Das war eine Klage, so gewaltig, wie das Menschenwort allein sie niemals auszudrücken vermochte. Besiegt, versöhnt, hingerissen stand Bassow regungslos auf seinem Lauscherposten; mit Wonne trank er die Wundertöne dieser Stimme. Was ihm erst Frevel geschienen hatte, war ihm jetzt Offenbarung einer tief empfindenden, reinen Seele. Eine Frau, die so singen konnte, war keine Verbrecherin.

Erschüttert vom jähen Wechsel und Widerstreit seines Gefühls, blieb er noch eine Weile stehen, auch als der Gesang schon verklungen war. Aber dann zog es ihn hinab in den Park. Es war ihm eng und sehnsuchtsvoll ums Herz; es trieb ihn in die Freiheit, in Grün und Sonne. Und vielleicht, – aber das gestand er sich nicht ein, was hinter dieser Sehnsucht schlummerte.

So ging er hinunter und auf der Terrasse entlang. Kein menschliches Wesen war im Park zu erblicken. Die Sonne glänzte, brütete, reifte die Geschenke des gütigen Sommers. Aus dem Lichte trat Bassow hinein in die schattigen Gänge des Parkes. Dort war die Marmorbank, auf der er die Baronin am Tage der Beisetzung belauscht hatte. Jetzt war die Stelle leer; nur die Statue der Diana daneben lächelte ihn an mit ihrem versteinerten Lächeln. Er setzte sich auf die Bank und sann vor sich hin. Es war ihm wohl und weh zugleich. Plötzlich aber klopfte sein Herz mit verdoppelten Schlägen. Der leise Ton eines Fußes auf dem Kies war zu ihm gedrungen. Und nun kam eine schwarze Gestalt aus der grünen Wölbung des Laubganges hervor, ganz langsam, tief in Gedanken, den Kopf zur Erde geneigt. Im sicheren Gefühl, allein und unbeobachtet zu sein, näherte die Frau sich mit instinktiver Kenntnis des vertrauten Weges dem Platze, wo Bassow saß, und blickte nun erst auf, unmittelbar vor ihm.

Er sah, wie heißes Rot ihr ins Gesicht stieg, – ohne Frage das Rot des Zornes. Sein Klang war auch in ihrer Stimme, als sie nach einer kleinen Pause der Ueberraschung die Sprache fand. »Das ist wider die Abrede!«

Er war aufgesprungen. »Ja, ich weiß es. Aber ich bin früher zurückgekommen, um Sie noch einmal zu sprechen, und ich wußte, Sie würden meine Rückkehr nicht erwarten, wenn ich Nachricht gab. Ich möchte Sie um etwas bitten.«

»Um was?«

»Bleiben Sie noch hier! Es ist Ihr gutes Recht, und mir ist es ein furchtbar peinliches Gefühl, Sie aus Ihrem Besitz zu verdrängen. Wir werden uns einrichten, ich werde Ihnen aus dem Wege gehen und Sie in keiner Weise durch meinen Anblick belästigen. Das Schloß ist groß genug.«

Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein, mein Entschluß ist gefaßt. Ich verlasse Garchim. Wahrscheinlich kehre ich zur Bühne zurück.«

»Zum Theater?«

»Ja. Meine Natur taugt nicht für ein stilles, untätiges Privatleben. Hier hat mir die Verwaltung eines großen Hausstandes Ablenkung in genügendem Maße geboten. Das ist nun vorbei.«

»Also darum haben Sie gesungen?« sagte er langsam.

»Haben Sie mich gehört?«

»Ja, – vorhin.«

»Und Sie haben sich darüber gewundert. Sie haben gedacht: in einem Trauerhause soll man nicht singen.«

Er war betroffen, wie richtig sie sein Gefühl und seine Gedanken erkannte. Doch hob er den Kopf und sagte, ihr in die Augen blickend: »Ja, zuerst habe ich das gedacht. Aber mein Urteil hat sich gänzlich geändert, als ich hörte, was und wie Sie gesungen haben.«

Ein weicherer Ausdruck verklärte ihr Gesicht. »Das ist ein gutes Wort,« sagte sie mit freundlich verwandeltem Ton. »Ich danke Ihnen dafür. Und Sie müssen ja auch bedenken, daß die Musik mein Beruf gewesen ist und in Zukunft meine einzige Liebe sein wird.«

»Könnte sie das nicht sein, auch wenn Sie der Bühne fernblieben?«

»Hassen Sie das Theater?«

»Nein. Ich habe es einmal sogar sehr geliebt. Aber ich habe dann erkannt, daß dort die Lüge zu Hause ist.«

»Man kann auch beim Theater der Wahrheit treu bleiben. Wenn Sie mich besser kennten, würden Sie den Beweis dafür in meinem Leben finden.«

Er suchte nach einer Antwort, er hätte sie gern überredet. Im Suchen aber blieb er eine Sekunde lang stumm. Stolz erwiderte sie seinen auf sie gerichteten Blick. Und bevor eins von ihnen wieder zu sprechen begann, wurden sie gestört. Aus dem Laubgang hervor tönten Schritte, und gleich erschien auch der Diener, der zwei Briefe von großem Format in der Hand hielt.

»Was bringen Sie?« fragte die Baronin ein wenig ungeduldig. »Jetzt ist doch nicht Postzeit.«

»Nein, Frau Baronin entschuldigen, die beiden Briefe sind soeben von dem Lünziner Diener persönlich abgegeben worden.«

»Vom Diener des Herrn von Breitenbach?«

»Jawohl. Der eine ist für die Frau Baronin, der andere für den Herrn Baron.«

»Für mich?«

»Ja. Ich war auf dem Zimmer vom Herrn Baron, aber weil der Herr Baron –«

»Es ist gut. Geben Sie nur her.«

Der Diener gab jedem einen der ganz gleich gestalteten Briefe und ging. Mit einem halblauten »Gnädigste Baronin gestatten« erbrach Bassow den seinen. Was er in Händen hielt, war eine Verlobungsanzeige. Rittergutsbesitzer Erich von Breitenbach gab sich die Ehre, seine Verlobung mit Miß Edith Lowfeller aus Philadelphia mitzuteilen.

Gleichzeitig faltete Bassow das Papier wieder zusammen, um dann in äußerstem Erstaunen auf die Baronin zu blicken. Was ihn völlig kalt gelassen hatte, schien diese Frau in tiefster Seele zu bewegen. Ihre Augen glühten, ihr Atem ging rasch, ihre Hände bebten. Sie starrte nieder auf die entfaltete Anzeige, weit länger, als es nötig war, um sie zu lesen. Und auch nachdem ihre Hände mit dem Papier langsam herabgesunken waren, behielten ihre schräg zu Boden gerichteten Blicke immer noch den Ausdruck eines leidenschaftlich gespannten Suchens und Fragens.

Bassow trat einen Schritt auf sie zu. »Baronin –«

Sie aber hob die Hand, sich gegen die Störung ihrer Gedanken wehrend. Ihre Lippen bewegten sich, doch vernahm er zunächst keine Worte. Plötzlich aber warf sie den Kopf zurück und sagte laut: »Ich habe meine Absicht geändert; ich mache von meinem Rechte Gebrauch und bleibe hier.« Dann ging sie mit einem kurzen Abschiedswinken rasch an ihm vorüber und fort.

Bassow blieb allein und schaute mit einem der Bestürzung nahen Erstaunen umher, als wenn das alles ein Traum gewesen wäre. Sein Blick fiel auf die Statue der Diana, die höhnisch herabzulächeln schien. Dann ging er langsam den Weg, den die Baronin so eilig vorangeschritten war. Er mußte seine Gedanken erst ordnen, bevor er anfangen konnte, nach einer Begründung für ihr seltsames Betragen zu suchen. Welche Bedeutung hatte diese Verlobungsanzeige für sie, wie konnte des Papiers Inhalt sie so ganz ergreifen und beherrschen? Bassow wußte nichts von dem Herrn von Breitenbach, als daß er der nächste Gutsnachbar von Garchim war und ein Freund seines verstorbenen Vetters. Darin lag doch kein Grund für der Baronin fassungsloses Betragen, – denn so war es zu nennen. Und wenn, – plötzlich blieb Bassow stehen, wie festgehalten durch einen unsichtbaren Arm. Er atmete tief und schnell, seine Augen starrten auf den Boden, wie die der Baronin es vorher getan hatten. Dann begann er zu lachen, ein heiseres, häßliches Lachen, und schlug sich mit der Hand auf die Stirn. Wie war er blind, wie war er dumm gewesen, das nicht gleich zu sehen! Sie liebte diesen Mann, diesen Herrn von Breitenbach! Damit war alles erklärt. Nur die Verlobungsanzeige eines Menschen, den man liebt, kann solche Wirkung üben. Dann aber war diese Liebe auch schon in ihr gewesen, als ihr Mann noch lebte, und wenn das der Fall war – zuerst erschrak Bassow vor dem Gedanken, um sich nach und nach mit einer schmerzhaften Wollust in ihn zu vertiefen – dann war hier das eigentliche, verborgene Motiv eines Verbrechens. Hier fand er den geheimen Grund für die Möglichkeit ihres Verlangens, von den Ehefesseln frei zu sein, vor allem aber, ein abgeändertes Testament ihres Gatten zu verhindern. Daß Breitenbach sie trotzdem verschmähte und eine andere vorzog, war kein Grund, um die Liebe der Baronin zu ihm unmöglich oder auch nur unwahrscheinlich zu machen, wohl aber gab diese Liebe die Erklärung für ihr jetziges Verhalten. Sie blieb in Garchim, weil sie nahe bei Lünzin bleiben wollte, weil sie hoffte, Breitenbachs Ehe mit einer anderen doch vielleicht noch zu verhindern.

Je mehr er darüber nachdachte, um so mehr wurde für ihn diese Möglichkeit zur Gewißheit. All das langsam hingeschwundene Mißtrauen stand mit einem Male wieder vor ihm gleich einem drohenden Gespenst. Er hatte gezweifelt, er hatte vertraut, und er zweifelte nun mehr denn je zuvor. Aber warum tat ihm das Herz bei dem Zweifel so weh? Was ging es ihn an, ob die Frau, die plötzlich wieder so tief gesunken war in seinen Augen, diesen Breitenbach liebte oder nicht? Er fragte sich's, er versuchte wieder zu lachen, aber zugleich schrie etwas in ihm laut auf. Ja, es ging ihn an, es empörte ihn, es zerriß ihm das Herz! Nicht ihre Schuld mehr, ihre Liebe war es, was ihm so wehe tat. Mit einem tiefen Grausen vor sich selbst empfand er es zum ersten Male klar in diesem Augenblick: er selbst liebte diese Frau. Was er sorgsam im Dunkel gelassen hatte, woran er vorsichtig vorbeigeschlichen war, das richtete sich, von der aufzuckenden Eifersucht plötzlich grell beleuchtet, vor ihm auf in kalter Deutlichkeit: er liebte sie, deren Schuld ihm niemals wahrscheinlicher gewesen war als eben jetzt.

Taumelnd, mit unsicheren Schritten wie ein Kranker oder Trunkener ging er zurück ins Schloß. Er versperrte hinter sich die Tür seines Zimmers, schlug die Läden vor dem Fenster zu, das nach dem anderen Flügel hinübersah, und lief stöhnend auf und nieder in dem Raume wie ein gefangenes Tier. So trieb er es, er wußte selbst nicht wie lange. Ein paarmal setzte er sich an den Schreibtisch, nahm Papier her und warf einige Zeilen darauf, um es immer gleich wieder in kleine Fetzen zu zerreißen. Endlich, als die Sonne schon zu sinken anfing, war er mit sich ins reine gekommen, was er schreiben wollte. Nun war ein Brief in wenigen Augenblicken vollendet, und er las die festen, energischen Zeilen mit gedämpfter Stimme sich selber vor: »Gnädigste Baronin! Unsere heutige Unterredung ist gestört worden, bevor sie eigentlich zu Ende war. Sie hatten allerdings die Gnade, mir mitzuteilen, daß Sie Ihre Absicht geändert hätten und in Garchim bleiben würden, hinsichtlich der Gründe für diesen plötzlichen Willenswechsel überließen Sie mich aber meinen Vermutungen. Jedenfalls rechne ich mit der Tatsache. Unser Zusammen- oder vielmehr Nebeneinanderleben hier im Schlosse dürfte sich meiner Ansicht nach am besten gestalten, wenn jeder tunlichst ein Leben für sich führt. Mit vorzüglicher Hochachtung« – Bassow lachte laut auf, als er diese Worte las – »Euer Hochwohlgeboren ergebenster Kurt Freiherr v. Bassow.«

Nachdem der Brief gesiegelt war, klingelte Bassow dem Diener und übergab ihm das Schreiben, um es der Baronin hinüberzutragen. Als er wieder allein war, begann er sein unruhiges Umherwandern und Insichhineingrübeln aufs neue. Plötzlich blieb er stehen, die Arme sanken ihm schlaff am Leibe herab, seine Lippen zuckten in herber Bitterkeit, und er murmelte vor sich hin: »Für andere Menschen bedeutet die Liebe das Glück, auf meinem Leben liegt sie als Fluch!« Aber als wenn er sich seiner Weichheit schämte, hob er sich gleich darauf stolz empor, schlug mit der Hand in die Luft und sagte: »Ach was, auch damit muß ein Mann fertig werden.« Und er flüchtete sich an seinen Schreibtisch in die Arbeit.


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