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Als Hermann nächsten Sonntags, kurz nach Tische, beim Baron einsprach, um ihn nach Napoleonshöhe abzuholen, traf er eine schöne Frauensperson im Zimmer, die sich bei seinem Eintritt rasch abwendete, als ob sie erkannt zu werden scheue. Wirklich besann er sich ihrer, als derjenigen, die ihn bei seinem Einzug in Cassel über die Brücke begleitet hatte, ihn nach der Stadt London zu bescheiden. Und als der Baron sie ihm Mademoiselle Helene Willig nannte, erinnerte er sich auch wieder des Namens Lenchen, unter dem der Polizeimensch Steinbach sie so schnöde behandelt hatte. Er sah sie jetzt weniger günstig an, als damals vor der Brücke, und zog es daher vor, sie nicht zu kennen. Auch sie that desgleichen, und benahm sich fremd und spröde. Der Baron hatte Hermann mit schalkhaftem Lächeln gebeten, sich einige Augenblicke zu gedulden, und verhandelte weiter mit der hübschen Mamsell, die, wie sich jetzt ergab, Wäsche und weibliche Arbeiten übernahm. Herr Rehfeld bestellte Jabots von indischem Mousselin mit zart und sauber gestickten Käntchen.
Diese find' ich am besten bei Madame Chopinet, marchande lingère, die sich eben aus Paris hier niedergelassen hat, versetzte die Schöne, und Hermann erinnerte sich jetzt des angenehmen Organs und der weichen norddeutschen Mundart, die ihm gleich damals an seiner Führerin aufgefallen waren.
Und dann ein Paar schottisch-quadrillirte seidne Halstücher, mein Schätzchen! sagte Rehfeld.
O die hat Monsieur Nivière in seinem Magazin d'etoffes de soie in vorzüglicher Qualität, direct aus Paris.
Aus Paris? So ist's recht. Nur aus Paris! erwiderte er ironisch. Nie anders! Aber – wieviel Mühe ich Ihnen mache, mein Engel!
Hermann war sehr befremdet über die Art und Weise, wie sich der Baron benahm. Er begegnete der hübschen Person durchaus anständig, machte aber bis ins Lächerliche den Charmanten oder vielmehr den verliebten Fant, indem er sie, die sich übrigens sehr gehalten und gemessen betrug, mit lächerlichen Geberden umtänzelte, mit verschämtthuender Blödigkeit auf die Schulter oder die Wange klopfte, und – vergnügt seine Hände reibend – bald Engelchen, bald Schätzchen oder Tausendschönchen nannte. Hermann fand bald sein Ergötzen an der komischen Verliebtheit und lächelte in sich hinein, heimlich stolz auf seinen bessern Weltblick, mit dem er den so eingenommenen Baron durch einen Wink über den Charakter des reizenden Geschöpfs nicht wenig zu verblüffen dachte. Denn daß er ihn vor einer solchen Person warnen müsse, stand bei ihm fest; es war Pflicht der Nächstenliebe, wenn nicht einmal der Freundschaft.
Und nicht wahr, ich bekomm's recht bald? rief Rehfeld, als das Mädchen sich zu gehen anschickte. Ich kann's nicht erwarten, Sie wieder bei mir zu sehen, so – bedenklich es für mein Herz ist! Aber ich bin Cavalier, ich trotze der Gefahr, Elise! Basta!
Helene, Herr Baron! lächelte sie, nicht Elise.
Ach Gott, ja wohl – Helene! lachte auch er. Ich bin ein wenig verwirrt, Sie – Tausendsasa! Aber – Sie sollten wirklich lieber Elise heißen; denn Sie erinnern doch zu sehr an Elysium! Und – müssen solche untergeordnete Geschäfte –? Mein Gott! Und welchen Anfechtungen sind Sie nicht in diesem Cassel bei feinem und grobem Leinen ausgesetzt, das Ihnen durch die Hände geht! Sie – so reizend, so –! Auf Cavalierparole! Sie verdienten ein Loos würdig Ihrer hohen Liebenswürdigkeit. Ja – setzte er mit unterdrücktem Seufzer halblaut hinzu –, wer kein so alter Kerl wäre! Noch einen Augenblick, liebes Kind! Besorgen Sie denn auch –. Aber, wie soll ich mich darüber gegen eine elysische Helene ausdrücken? Warten Sie! Und nehmen Sie mir's ja nicht übel!
Er riß einen Tapetenschrank auf und nahm ein Paar leinene Unterkleider heraus, die er hoch emporhielt:
Wie nennen Sie so was mit Schicklichkeit vor Damen?
Innere Modesten! antworte sie mit unterdrücktem Lachen.
Innere Modesten! rief er erstaunt aus. Was eine Sprache nicht vermag! Man ist doch und bleibt ein rechter Pappendeckel, wenn man aus Pommern und Preußen stammt! Ja, komm' Einer nach Cassel, da kann er 'was lernen! Und – mich soll der Kuckuk, wenn ich noch einmal Unterhosen sage! Also auch zwei Paar von diesen modesten Innerlichkeiten, Helene! Aber fein! Von Paris, nicht wahr?
Von Madame Chopinet! antwortete Helene, und konnte ihr Lachen nicht mehr zurückhalten.
Nicht wahr, ich bin ein närrischer Kerl? Finden Sie, Helene, – ein närrischer Kauz? versetzte er sehr ernsthaft. Aber – Sie aber auch –! Ja, wären Sie nur nicht selbst so modest, und ich nicht so verteufelt moderat! – Aber – Adieu, adieu! Ich darf nicht daran denken! Auf Wiedersehen! Kennen Sie, lieber Doctor das schöne Lied:
Wiedersehen, Wiedersehen,
Wenn Erd' und Himmel rings vergehn,
Wiedersehn!
Helene hatte die Stubenthüre noch nicht geschlossen, als der Baron ihr nacheilend sagte:
Helene! Gehn Sie vielleicht an der Post vorüber?
Ja wohl, Herr Baron! antwortete sie sehr entgegenkommend.
Aber, Sie nehmen es doch nicht übel? Ich habe da einen Brief, dringendes Schreiben und – mein Bedienter ist aus, und wir Beide wollen eben nach Napoleonshöhe; würden Sie wol –?
Sehr gern und auf der Stelle! erwiderte sie, ergriff rasch den Brief und eilte fort.
Als Hermann sich jetzt vom Fenster umwendete, an dem er stand, erblickte er den Baron gebückt, die flachen Hände zwischen den zusammengedrückten Knien reibend, und kichernd, bis er die Hausthür zuschlagen hörte, worauf er in ein schallendes Gelächter ausbrach.
Nun, was denken Sie, lieber Doctor? fragte er.
Ich wundere mich, offen gestanden, daß ein so kluger Mann, wie Sie, einen wichtigen Brief einer so unsichern Besorgung anvertraut, sagte Hermann mit Nachdruck. Ich erlaube mir als Freund Sie aufmerksam zu machen. Darf ich Ihnen sagen, wofür ich die schöne Person halte?
Ei nun, ich denke wofür ich sie auch ansehe, antwortete er, für ein Persönchen, das auf der Wage der Tugend in der Luft schwebt und mir von der Polizei auf den Hals gehetzt ist.
Von der Polizei? rief Hermann ganz verdutzt; er, der eben zu verblüffen gedacht hatte.
Gewiß! lachte Rehfeld. Drum ist der Brief auch in keiner unsichern Besorgung, wie Sie glauben; er wird richtig auf die Polizei geliefert. Haben Sie nicht bemerkt, wie rasch das Schätzchen auch darnach griff? Sie bot sich gestern schon mit ihrem Dienste an; ich roch gleich den lockenden Speck der Falle, die mir gestellt war, bestellte sie aber auf heute, um erst mein Manoeuvre zu überlegen. Abweisen durfte ich die Falle nicht, sonst hätten sie mir eine gestellt, die ich vielleicht nicht so glücklich bemerkt hätte. Sie trauen mir einmal nicht, und – haben's auch nicht Ursache. Sehen Sie, drum benutze ich gleich die Falle, – nicht um hineinzugehen, um anzubeißen, ich bin keine Maus für so gemeinen Speck; auch wollen sie mich ja nicht moralisch verführen, sondern nur politisch aushorchen lassen; ich benutze sie, um Die zu fangen, die sie mir gestellt haben, das heißt – sie zu täuschen, sie Das erwischen zu lassen, was sie gerade erwischen sollen. Dazu dient der Brief und was ich der modesten Mamsell noch weiter unter die Hände kommen lasse. Daß der Brief pfiffig abgefaßt sein muß, daß etwas darin stehen, daß sie etwas über mich und meine Verhältnisse erfahren müssen, versteht sich von selbst. Aber es stehen auch Dinge darin, wozu sie den Schlüssel nicht haben. In der Nachschrift bestelle ich pommersche Gänsebrüste, und wenn diese ankommen, weiß ich, daß auch mein Brief angekommen ist. Ob die Polizei an mein Schreiben, ob die Mamsell an meine Verliebtheit und Blödigkeit glauben wollen, muß ich hingestellt sein lassen. Was sagen Sie dazu?
Hermann, statt, wie der Baron erwartete, in Beifall und Bewunderung solcher Klugheit auszubrechen, ließ sich sehr kleinlaut vernehmen.
Mein Gott! sagte er, Sie machen mich ganz ängstlich. Was gehört nicht dazu, um sich hier durchzuschlagen, durchzuwinden! Wie käme ich nur auf solche Vermuthungen, wie dächte ich nur bei jedem Schritt an solche Fallstricke, woher soll ich nur all' die Vorsicht nehmen!
O lieber Doctor! versetzte Rehfeld, stellen Sie sich das nicht so schlimm vor, besonders hinsichtlich Ihrer selbst! Was wollen Sie hier? Ihr Ziel liegt offen vor Ihnen, der Weg dahin auch; Sie haben muntre Füße, einen guten Blick, einen höflichen Gruß für die Begegnenden. Nehmen Sie noch ein bischen Vorsicht und Mistrauen dazu, wenn Sie einmal einen kleinen Seitenpfad einschlagen, was man die Umwege abschneiden nennt – und es kann Ihnen nicht fehlen. Sie sehen mich bedenklich an? Sie wollen jetzt Ihrer Logik Ehre machen und mir sagen! Du also, Barönchen, hast Pfiffe und Kniffe nöthig, mithin –? Nun ja, mithin! Aber sehen Sie, was die Menschen laufen! Kommen Sie, wir wollen ja auch mit hin! Sehen Sie 'mal dies geschmackvolle Guigne à Capote, das dahinfährt!
In der That war die Lindenallee, die vom Thore bis nach Napoleonshöhe, ein Stündchen Wegs, sanft emporführt, ungewöhnlich belebt. Jedermann, so schien es, wollte von der neuen Gunst des Königs seinen Antheil in Empfang nehmen. Ein leiser Wind, von einem entfernten Gewitter der letzten Nacht, fächelte unter halbbedecktem Himmel den Nachmittag. In den beiden Dörfern saßen die Menschen geputzt vor den Thüren; rechts und links erweiterten sich mehr und mehr die Ausblicke nach dem ländlichen Schlößchen Schönfeld, nach Kirchditmold und längs dem Gebirge hin. Unser Paar kam auf Reichardt zu reden, und Hermann fragte den Baron, ob er ihn schon früher gekannt habe.
So ziemlich, antwortete er. Er ist übrigens weit älter und steht an den sechzigen, so unruhig der tollköpfige Bursche noch sein kann. Er ist ein Königsberger, hatte schon so früh die Musik ergriffen, daß er im zehnten Jahre als Virtuos auf der Violine und dem Pianoforte reiste. Aber er wollte kein gewöhnlicher Musicus bleiben, sondern sich durch umfassende Bildung hervorthun, und studirte daher unter Kant und in Leipzig. Seitdem – heißt das seit mehr als dreißig Jahren – wechselte er unter drei preußischen Königen mit Musik, Staatsdienst, Schriftstellerei und Reisen. Er durchschweifte Deutschland, war wiederholt in Italien, vier mal in Paris, in England beiläufig. Im Staatsdienste hat er schon sehr früh als Secretär bei der Domänenkammer gestanden, und ward später Salinendirector in Halle. Von daher hängt es ihm, glaub' ich, noch nach, daß er seine Politik gern versalzt. Wenn eine Köchin die Suppe versalzt, gilt sie für verliebt; wofür soll man's aber von so einem alten Burschen nehmen? Ich fürchte sehr, er wird sich seine hiesige Direction auch versalzen. Seine frühern Stellungen verdarb er sich wiederholt durch seine mehrmaligen »Vertrauten Briefe« aus Paris, die er herausgab, und die ihm den Verdacht revolutionärer Sympathien zuzogen. Sie wissen ja, lieber Doctor, es gibt Männer, die gerade soviel unpolitisches Temperament als Leidenschaft für Politik haben. Dazwischen war er auch einmal Journalist in Hamburg. Als Musiker wurde er zuerst Kapellmeister an Graun's Stelle schon unter dem Alten Fritz. Eine glanzvolle Periode erlebte er dann unter dem vorigen, dem dicken König, als Director eines ausgezeichneten Orchesters. Unter dem jetzigen Könige kam er an die italienische Oper und an das Nationaltheater. Seine zahlreichen Compositionen, besonders auch der Goethe'schen Lieder, kennen Sie wol besser als ich?
So ziemlich, antwortete Hermann. Man rühmt an ihm, daß er in seinem Stil mit der Wahrheit in Glucks Declamation Schönheit und Reichthum des italienischen Gesangs und deutsche Gründlichkeit zu vereinigen strebe.
Als nach dem Unglück bei Jena die Franzosen nach Halle vordrangen, sprach der Baron weiter, ängstigte unsern alten Freund sein schriftstellerisches Gewissen; er zog sich von seinem reizenden Besitz in Giebichenstein nach Danzig, Königsberg und Memel zurück. Wie aber Jerôme alle auswärts lebenden westfälischen Unterthanen ins Land berief, kam er wieder, und erhielt statt der inzwischen besetzten Stelle eines Salinendirectors die Direction des französischen und deutschen Theaters hier in der Residenz mit einem Gehalt von 9000 Francs.
Unter dieser Mittheilung und daran geknüpften Unterhaltung hatten sie im Zuge der mitwandernden Menge den Park betreten, und gelangten rechtsab der breiten Chaussée durch Buschwerk und Gehölz steil empor, und an der Militärwacht vorüber, vor das Wirthshaus. Die Säle und Zimmer des untern Stocks leerten sich eben. Alles trieb sich auf den waldigen Steigen durch die großartigen Anlagen zu den verschiedenen Stationen der Wasserkünste hinauf. Der Baron zog es vor, den hier noch fremden jungen Freund unter die Bäume der erhöhten Esplanade zu führen, die sich nach dem nördlichen Flügel des Schlosses hinzieht, und eine herrliche Aussicht auf die tiefer gelegene Stadt und das ausgebreitete Thal, nach den östlichen und nördlichen Bergzügen darbietet. Sie lenkten um den Schloßflügel, und der majestätische Mittelbau in seinen großen Formen stand vor ihnen – mit der breiten ruhigen Treppe, den kolossalen Säulen, die am Hauptbau und den beiden Nebenflügeln die Eingangsgiebel tragen, bis zur Kuppel hinaus, die das Hauptgebäude krönt.
Selbst die beiden Wachtposten, Kürassiere zu Pferd, paßten zu dem großen Stil; während die geschäftigen Livréen zwischen den Säulen und im Innern des offenen Portals die Ruhe anschaulicher machten, die der Ausdruck des erhabenen Baues ist.
Sehen Sie, sagte Rehfeld nach einer Weile stummer Betrachtung, so imposant mußte sich das Riesenschloß hinstellen, wenn es dieser erhabenen Natur gegenüber einiges Ansehen behaupten wollte.
Sie wendeten sich um, und der ihnen nun gegenüber aufsteigende waldige Bergzug, mit dem riesigen Standbilde des Hercules auf dem Karlsgipfel des Gebirgskammes setzte den jungen Freund vollends in Erstaunen.
Gerade auf unserm Standpunkte, fuhr der Baron fort, so nahe dem Bau, so entfernt vom Berge, treten Kunst und Natur ins rechte Verhältniß; auf diese Höhe und Ferne sind auch die Maße jener Heroengestalt berechnet. Sie gehen ins Kolossale, sodaß acht Menschen Raum in der Keule haben, auf welche gestützt jener Hercules die Landschaft überherrscht. Sehen Sie, Doctor, eben brausen die Wasser aus den Grotten und Becken des achteckigen Steinbaues unter der hundert Fuß hohen Spitzsäule, die den sogenannten großen Christoph trägt. Sie stürzen sich die breite Cascadentreppe herab. Ein andermal empfangen wir sie droben und begleiten sie auf ihrem absinkenden Zug zu den verschiedenen Stationen ihrer kunstvollen Sprünge und Stürze. Jetzt kommen Sie!
Der Baron führte seinen Gast den breiten Sandweg links an den herrlichen Baumgruppen vorüber, die den gebosselten weiten Rasenplatz, diese frischgrüne Zwischenlage von Gebirg und Schloß, umgeben. Links über die hohen Waldgipfel ragte überraschend die alterthümliche Löwenburg; rechts einlenkend kamen sie an dem Bassin hin, um das sich die Menge drängte, und wanden sich bis zu der Stelle durch, wo sie zwischen den grünen Baumwänden emporschauend eben den Schleier der ankommenden Gewässer hundert Fuß hoch sich herabsenkend erblickten. Jetzt – ein Rauschen seitwärts, ein Aufschrei der Menschen, und aus einem kleinen Steinkegel im Bassin steigt ein mächtiger Wasserstrahl, sich hoch und höher kuppelnd, seine Schaumwellen abregnend, bis zu 190 Fuß empor. Die wehende Luft wiegte diese lustige Trauerweide des Springquells hin und her, und die Sonne gaukelt Farben des Regenbogens in die sprühenden Zweige.
Der Baron, bei aller Wunderlichkeit seines halb versteckten, halb vorgespiegelten Wesens, gehörte zu jenen gemüthvollen Menschen, die etwas Merkwürdiges, was sie einem lieben Angehörigen zuerst zeigen, wie ihr Geschenk empfinden, es ihm gönnen, und wenn er sich daran entzückt, es mit frischer Lust, wie etwas Neues noch einmal mitgenießen. So nickte er beifällig und erfreut, als Hermann ausrief:
Wie groß und herrlich ist das Alles! Man wird, glaube ich, seinesgleichen nicht sobald wiederfinden. Ja, es hat etwas Ueberwältigendes, die erhabenste Natur mit der Macht einer würdig nachstrebenden Kunst des Menschen im Bunde zu bewundern. Die Seele des Beschauers verliert alle Macht über sich selbst, und empfindet desto inniger das erhebende Glück, von Bewunderung hingerissen zu werden.
Herr von Rehfeld führte auf einem beruhigenden Umwege den jungen Freund dem Gasthause zu, und bot eine Erfrischung an. Hermann konnte es nicht ablehnen, soviel lieber er auch nach der gegenüber gelegenen Esplanade zurückgekehrt wäre, wo die vornehme Welt auf schattigen Bänken ruhte oder in Unterhaltung umherwandelte.
Folgen Sie mir, bat der Baron, dort ziehen sich eben doch die interessantesten Personen, die ich Ihnen namhaft machen könnte, nach dem Schlosse hin, wo heut große Tafel ist. Lassen Sie uns in den Gastzimmern die bunte Gesellschaft ein wenig mustern.
Und in der That wären auch wol so abstechende Gruppen, wie sie hier in den geräumigen Zimmern sich um die vertheilten Tische sammelten, weit und breit nicht anzutreffen gewesen. Beamte aus dem Braunschweigischen, Preußischen und Hessischen, aus dem Bisthum Osnabrück und Paderborn, aus dem Lande Halberstadt, dem Eichsfelde und der Grafschaft Rietberg-Kaunitz saßen zusammen, mischten ihre verschiedenen Dialekte über einerlei Actengeschäfte, und mährten die französischen Bureaubezeichnungen ein. Dort gesellten sich zu Scribenten, zu Commis d'ordre und andern Bureauisten auch junge Comptoiristen, Commis und Buchhalter aus dem Handels- und Gewerbstande, sprachen schlechtes Französisch und gemeines Deutsch. Zuweilen trat ein Stockfranzose hinzu, als Bekannter des Einen oder des Andern am Tische, und ein Wechselgerede entspann sich, höchst ergötzlich durch den Wetteifer des Franzosen das Deutsche zu radbrechen, wie jene ihr Französisch zerhaspelten.
Je lauter diese sich hören ließen und lustig umherblickten, desto behutsamer und zum Theil verbissen steckten an einem andern Tische Männer die Köpfe zusammen, deren fremde Physiognomien, verlebtes Aussehen und abgetragene Kleidung keine Glücklichen, sondern französische Glücksjäger bezeichneten, – Juden aus dem Elsaß, verdorbene Advocaten, weggejagte Kriegscommissare, verarmte Händler, verunglückte Lieferanten, kurz, Bodensatz der Revolution, Abschaum der kriegsbrodelnden Zeit. Mit ihren lebhaften Mienen und leidenschaftlichen Blicken mochten sie wechselseitig ihre Versuche und Hindernisse, ihre französischen Empfehlungen und deutschen Abfertigungen, oder auch ihre Aussichten und erhaltenen Zusagen austauschen. Einmal hörte man den halblauten Ausruf: Ce sacre vilain de Bulow!
In umgekehrter Ordnung hatte der Zufall um einen wohlbesetzten Tisch im anstoßenden Zimmer ein halbes Dutzend sehr vergnügter und funkelneu gekleideter Franzosen zusammengeführt, deren Lachen und prahlendes Plaudern den Nachbarn ein Aergerniß war, – jenen Altcasselanern, Händlern und Handwerkern, die zunftweise umhersaßen, die Ellbogen des Sonntagsrockes auf ihre untergelegten Taschentücher gesetzt, und mit schweigsamer Verdrossenheit nach jenen Fremdlingen schielend, die mit königlich westfälischen Patenten als Kaufleute, Modehändler, Gewerbtreibende, Zahn- und Haarkünstler den gelassenen Erwerb der Stadt zu durchkreuzen und immer mehr an sich zu reißen drohten. Und doch schienen diese guten Bürger mit ihrem zähen Sinn bereits vom Strom des neuen Luxus mitergriffen: sie saßen an diesem ganz gewöhnlichen Sonntag in ihren besten Anzügen da, einige in dem violettsammtnen sogenannten Bratenrock mit besponnenen Knöpfen zur gelben Plüschweste und zum gleichen kurzen Beinkleide, – in jenem Staate, den sie bisher, blos für hohe Kirchen- und Familienfeste, im Kleiderschranke mit eingesteckten Kienholze gegen die Motten verwahrt, neu oder unversehrt im alten Zuschnitt zu erhalten gewußt hatten.
Zwischen diesen Gruppen fehlte es nicht an Frauenspersonen, die mit ihren Männern oder Liebhabern zusammensaßen und schäkerten, oder hochgeputzt paarweise durch die Stuben und draußen um die Esplanade schwebten, kichernd und coquettirend, – Putzmacherinnen, Modehändlerinnen, Erzieherinnen, Tänzerinnen, Kammerjungfern, oder auch einzelne jener leichtherzigen, leichtfüßigen Geschöpfe, die im Gedränge des sonnigen Tages Blicke aussäen, von denen sie bis zum mondhellen Abende die verstohlene Ernte erwarten. Auch erregten diese Zugvögel die Aufmerksamkeit der jüngern und ältern Herren an den Tischen, und erweiterten die Unterhaltung, die sich eben um Equipagen, Reitpferde und andere Luxusartikel eines vornehmen Hauses bewegt hatte. Aber auch die Mode kam an die Reihe der Unterhaltung. Man stritt über Grün oder Braun eines Fracks und über die Geltung eines mit Virginie gefütterten Sammetrockes. Ob Cordelin, gedruckter Ribbs oder piqué matelassé der geschmackvollste Stoff für Westen sei, darüber war man nicht einig; auch ob zum Casimirbeinkleid hellgrau oder silbergrau oder verre d'eau den Vorzug verdiene, blieb Sache des Geschmacks, und man war nur darin einverstanden, daß ein solches Beinkleid in jeder Farbe mit Bändern getragen werden müsse, indem Schnällchen nur bei Seide anwendbar sei. Auch hinsichtlich der Filzhüte, was schmalen Rand und hohen Kopf betraf, herrschte eine merkwürdige Uebereinstimmung, vielleicht schon darum, weil auch alle die jugendlichen Häupter, denen diese Hüte aufgestülpt wurden, das Haar von der Mitte des Kopfes gegen die Stirne lang und buschig aufgebürstet trugen. Dieser Haarbusch selbst gab den bildsamsten Stoss ab, der einer liebenswürdigen Schönen gegenüber zum anmuthigen Spiel des Träumens und Schmachtens diente, oder sich nach Umständen zum Ausdruck der Verwegenheit wie der Verzweiflung aufwühlen ließ. Nur der in sich selbst beruhigte Stutzer trug ihn hoch aufgebürstet und etwas zur Seite gelegt – mit einem coup de vent, wie's der Friseur nannte.
Hermann und der Baron, von diesem Treiben doch endlich ermüdet, und um das Theater noch mitzunehmen, traten den Heimweg an. Mit einem Rückblick auf die erhabene Natur des waldigen Bergzuges verließen sie den Park, und sobald sie aus dem Bereich der Zuhörer waren, sagte Rehfeld:
Sehen Sie, mein junger Freund, das sind Hörsäle, wo Sie als angehender Weltmann zuweilen ihre kleinen Studien machen müssen. Aber auch zu den größern, ernstern finden Sie, auf mein Wort! keine belehrendere Schule, als Ihnen dies Cassel da drunten in seiner so reizenden landschaftlichen Umgebung darbietet. Solche Mischung von Menschen, Interessen, Bestrebungen ist noch nicht dagewesen. Diese Verschmelzung der verschiedensten, zum Theil zerschlagenen deutschen Provinzen zu einem französischen Staatsgebilde bietet einen Proceß dar, höchst anziehend für den Beobachter, wenn er nicht etwa den Freund des Vaterlandes zur Zerschlagung des Schmelztiegels reizt. Zu dieser Bewegung im Staatsleben kommen sodann die Spannungen in der Gesellschaft. Sie, lieber Doctor, müssen mehr Verkehr mit den verschiedenen Kreisen suchen, um einmal diese piquante Mixtur zu verkosten. Wahrhaft amüsant sind noch immer diese alten adeligen Familien, die sich bisher noch in den Ueberlieferungen des ehemaligen halbfranzösischen Hofes unter dem Landgrafen Friedrich gefielen. Freilich war ihre vererbte französische Bildung, die leichte Chaussure altfranzösischer Courtoisie, zuletzt von französischen Tanzmeistern und Kinderwärterinnen nur nothdürftig in Sohlen und Rüstern, in Riemchen und Flicken erhalten worden. In dem Jargon, mit dem sie sich besonders gegen Bediente und Handwerker auf hohen Absätzen hielten, sprach sich, der derben bürgerlichen Ehrlichkeit gegenüber, etwas abgestandener Esprit aus. Die französische Sprache war ihnen ein ziemlich vergriffen getrübtes Flacon, das schon viel erschöpfende Nasenzüge ausgehalten hatte, und gleichsam ausgerochen war. Auf jenen hohen Absätzen empfingen sie nun die vielen Parvenus des neuen Parvenu-Königs. Mit ihrer Kenntniß des altechten Hofceremoniels dachten sie den noch nicht einstudirten neuen Hof unter ihre Regie zu nehmen, und befleißigten sich einer sehr kalten und vornehmen Miene. Die Franzosen aber lachten darüber, nahmen jenen Vornehmen die besten Stellen vorweg, und kehrten gegen jene Pedanterie eine muthwillige Lebenslust heraus. Nun endlich ist man durch eine stillschweigende Transaction dahin gekommen, daß der geschmeidigere Adel mit den Franzosen theilt, und diese sich dagegen in den Abschimmer aristokratischer Familien stellen und adelige Verbindungen einfädeln. Dafür wirft unser Adel über seinen heimlichen Verdruß den neuen Mantel patriotischer Sympathien, und setzt sich einige Kenntniß der deutschen Literatur auf – oder in den Kopf, spricht gut hessisch mit Bedienten und Schuhmachern, und läßt sich sogar angelegen sein, jenen Franzosen, denen er die Hand drücken muß, etwas Deutsch beizubringen. Sie belehnen gleichsam die Fremden mit deutscher Sprache. Und wirklich finden auch einzelne französische Familien, weil sie deutsch geadelt worden, Geschmack an deutschem Hachis. Bei alledem will doch eine wechselseitige Durchdringung der gemischten Gesellschaft noch nicht zu Stande kommen; die Mischung scheidet sich gern: die Deutschen bilden den Niederschlag, und haben alle Ursach – niedergeschlagen zu sein; die Franzosen schäumen oben auf, wie sie denn niemals übermüthiger gewesen sind. Bei gesellschaftlichen Zusammenkünften auf ceremoniösen Fuß entschädigten sich beide Theile in ihren getrennten Kreisen: die Deutschen durch misachtendes Selbstgefühl bei häuslicher Oekonomie, da die Ansprüche des Hofes sie zu Grunde zu richten drohen; die Franzosen durch die anmuthlose Unsittlichkeit ihrer parties fines, verbunden mit Verschwendung, wozu ihnen das deutsche Geld gut genug ist. – In den bürgerlichen Classen unserer Gesellschaft haben Sie sich nun wol selbst ein wenig umgesehen, lieber Doctor?
Nun ja, versetzte Hermann, nur nicht mit so scharfen Blicken, wie ich sie an Ihnen bewundere, Herr Baron. Doch auch hier ist die Gesellschaft gemischt durch die nach Cassel gezogenen Familien aus den nichthessischen Provinzen. Man sagt mir, diese deutschen Fremden hätten sehr oft mehr Bildung, mehr Gewandtheit und besonders auch mehr Liberalität.
Ganz recht! fiel Rehfeld ein. Der gute Ton ist hier in Cassel unter der letzten Regierung sehr zurückgegangen. Der einsiedlerische und geizende Hofhalt hat die Menschen eng und ängstlich gemacht. Ihre sparsamen Gewohnheiten sind unfruchtbar für die gesellschaftliche Bildung. Es geht soweit, daß man den Deutschen aus andern Provinzen die Theilnahme an den Vortheilen misgönnt, die zwar mit aus jenen Provinzen herbeiströmen, die aber in Cassel nur auf Casselaner ausfließen sollten. Das entgeht dann diesen ungern Gesehenen nicht, und sie lassen es dafür nicht an Sarkasmen fehlen. In Einem Stücke stimmen aber die guten Deutschen aus so ziemlich allen Provinzen überein: sie bringen immer ihre Handwerksangelegenheiten mit in die Gesellschaft. Der Advocat dictirt Recesse, der Beamte drischt Acten, der Pfarrer spendet seine Pastoraralien, der Kaufmann packt seine Kisten aus. Und wirkt der vin chaud – wie hier der Glühwein absolut heißt –, so kommt der alte kurhessische Ton und der Stürmer, der Schläger von Jena, zum Vorschein.
Glauben Sie nicht, Herr Baron, daß man hier doch die alte und die junge Generation unterscheiden muß? fragte Hermann, und der Andere versetzte:
Gewiß, mein Freund, wie zu allen Zeiten! Jede neue Idee, jede neue Bestrebung befruchtet die eben aufblühende Generation, wirft Anker in den jugendstürmischen Herzen; wogegen das Ablebende, Durchgeprüfte mit all' seinen Widerhaken in der Seele der Alten haftet.
Wir haben vorhin die jungen Leute belauscht, fuhr Hermann fort, – mein Gott, welch' ein läppischer Sinn, welche Albernheiten der Unterhaltung!
Ja wohl! rief mit Entrüstung der Baron. Französisch zu stümpern, eine hochbesoldete Stelle oder reiche Frau zu erlangen, ein glänzendes Haus zu machen, ein Reitpferd, eine Equipage zu halten, scheint aller Idealismus zu sein, der diese von der Fremdherrschaft erniedrigte Generation zu beseelen vermag. Welch' ein sündiger Abfall dieser Jugend von dem Geiste, der aus den Schöpfungen unserer Dichter, aus den Offenbarungen unserer Denker noch vor kurzem in alten Zungen über unser Volk gekommen war! Da halte ich es denn lieber mit unsern Alten. Während diese jüngste Brut sich ins neue pariser Restaurationsleben, in fremde Sitten und französische Gewohnheiten des Luxus, des Spiels und sittlicher Leichtfertigkeit verliert, ziehen jene sich in Widerwillen und Haß gegen das Neue zurück, und befestigen sich in der Anhänglichkeit an das Alte, besonders auch an ihren alten Fürsten. Mögen sie immerhin auch für den alten Zopf zum Schwert greifen, so ist doch jedenfalls Treue und Glauben dabei, und an diese lassen sich leicht edlere, höher athmende Unternehmungen anknüpfen!