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Vierzehntes Capitel.
Neue Bekanntschaften.


Nun überließ sich der junge Freund ganz dem innern Behagen, von einer Sorge frei zu sein, mit der man doch etwas zu Stande gebracht hat; denn es währte nicht lange, so schlich sich doch einige Zufriedenheit mit der ihm erst so ungenügenden Arbeit bei ihm ein. In solcher Stimmung ist ein junger Mann doppelt empfänglich für etwas Neues, was ihn beschäftigt, indem es ihn ergötzt. Er sehnte sich recht nach Menschen. Wieviel wär' es ihm werth gewesen, wenn er heut eine Abendlection mit Adelen bei der Gräfin in Aussicht gehabt hätte! Aber es war keiner der bestimmten Tage, und als er an der Wohnung der Gräfin vorüberging, stand auch die cyanenblaue Vase nicht vor dem Fenster, eine Ausnahme zu gestatten. Das junge Ehepaar Lina und Ludwig waren auf dem Land, und zu Reichardts trieb es ihn heute nicht. Die Erinnerung an seine Arbeit trat zwischen ihn und Luisen mit einem flüchtigen Misbehagen, oder wie er es sonst nennen sollte, worüber er sich keine Rechenschaft gab.

Indeß kam der Sonntag heran, und einem heitern Sonntag im Mai kann es nicht an Lustbarkeit fehlen. Hermann folgte dem Zug der Menschen, die sich geputzt nach dem Frankfurter Thor bewegten, und kaum war er auf der breiten Chaussee an der Felsenwand des Weinbergs abwärts eine Strecke gewandelt, als sich von nahe herauf eine rauschende Tanzmusik vernehmen ließ, was um ihn her die Schritte der jungen Mädchen beflügelte. Es war der Schaumburg'sche Garten, woher die Lockung kam, an der Landstraße gegen die Au hin gelegen, ein Vergnügungsplatz, der Sonntags von den anständigen Mittelclassen der Bewohner stark besucht wurde.

 

In dem damals so lustigen und üppigen Cassel war doch der Schaumburg'sche Saal und einfache Garten fast der einzige öffentliche Vergnügungsort für die mittlern Stände; wie denn überhaupt, was die Anstalten zu offenen Lustbarkeiten und die breite, behagliche Einrichtung des häuslichen Lebens betrifft, jene kriegerische Zeit bei weitem nicht so ungenügsam und verwöhnt war, als wir es während eines langen Friedens durch den Aufschwung des Luxus und durch den Wetteifer erwerbsüchtiger Hausbesitzer und Gastwirthe geworden sind. Cassel, damals noch ohne die Zubauten der letzten vier Jahrzehnde, war doch eine königliche Residenz, in der ein glänzender Hofstaat, eine zahlreiche Staatsdienerschaft, eine starke Garnison und die ungezählten berufenen und bettelhaften Abenteurer aus Frankreich untergebracht waren.

 

Der junge Freund war bisher noch nicht dazu gekommen, die Schaumburgsche Wirthschaft zu besuchen. Er fand hier die gewöhnliche Gesellschaft der Sonn- und Festtage, – hübsche Bürgerfamilien mit ihren Töchtern, Handlungsdiener, Putzmacherinnen, Employes, Subalternoffiziere und dergleichen. Heiter beobachtend, wie er umherwandelte, erfreute er sich besonders im Büffet mancher charakteristischen Erscheinung. Der Schenktisch der Wirthin war von Begehrenden in zwei Sprachen und in verschiedenen deutschen Mundarten umdrängt, und dazwischen klangen ebenso verschiedenartig die hingeworfenen Geldstücke aus den zum neuen Reiche zusammengefügten deutschen Provinzen. Zwischen den althessischen Thalern, Groschen- und Albusstücken rollten die braunschweigischen Speciesthaler und Mariengroschen sowie die preußischen Thaler und Groschen; das Reichsgeld von Conventionsthalern, Kopfstücken und Brabäntern, meist von den durchmarschirenden Truppen eingebracht, begegnete den französischen Franken und Fünffrankenstücken, und kein braunschweigischer Carlsd'or, der zum Wechseln kam, schrak vor einem goldenen Napoleon zurück. Ein Tarif hing deutsch und französisch an der Wand und stellte alle geltenden Gepräge auf den französischen Fuß des Franken. All' diese Geldsorten klangen so laut, als ob aus Eifersucht sich neben einander zu behaupten; sie rollten so lustig, als ob sie mitergriffen von den Tacten der Française, die eben im Saal angespielt wurde, sich in den fremden Sprüngen zeigen wollten. Leichtsinnig hingeworfen, flüchtig gewechselt wurde Gold und Silber von der gewandten Wirthin, ebenso gleichgültig eingestrichen und in einen irdenen Topf geworfen, der hinter ihr zwischen Flaschen und Schüsseln auf einem Simse stand. Zum Einnehmen und Ausgeben mit Händen und Augen beschäftigt, achtete sie ihrer losen Knaben, die sie »Plagen« betitelte, nur mit Scheltworten; indeß die Schelme, emporkletternd, ihre frechen kleinen Hände abwechselnd in den Geldtopf und in ihre Taschen steckten. Höchstens, wenn die geschäftige Mutter am aufmunternden Zunicken der Gäste Unrath merkte, fuhren ihre hin- und herreichenden Hände auch einmal rechts und links an die Ohren beider Rangen, die dann höhnend davonliefen.

Im schwülen Saale trat Hermann, einer Française zuzusehen, ans offene Fenster. Hier hatte man zur frischen Luft einen erquickenden Ausblick über die Landstraße hinweg ein Thälchen entlang, das mit Bleichen und Wiesenstücken nach dem Dorf Wehlheiden zog, von der baumreichen Halde des Weinbergs überragt. Am Fuße dieses Höhenzugs bemerkte der Freund einen Garten bergaufgestreckt und mit einigen kleinen Zelten besetzt, die eine anmuthige Aussicht versprachen. Er vermuthete ein Familienfest, da eine so zahlreiche Gesellschaft sich darin bewegte. Ein junger Mensch aber, der, fein und modisch gekleidet, ebenfalls die frische Luft des offenen Fensters suchte, verneinte diese Vermuthung.

Haben Sie noch nichts von der neuen Restauration Sanssouci gehört, Herr Doctor? fragte er.

Doch! erwiderte Hermann; aber ich wußte nicht, daß sie dort ist.

Nun ja, es ist auch noch ein ganz neues Ding, fuhr jener fort, – erinnert an Preußen, an die Nähe von Berlin, und wirklich hat ein Berliner, ein Herr Dufresne, früher im Finanzministerium placirt, das Unternehmen gemacht, nachdem er sich mit einer alten Bekanntschaft aus Berlin, einer Madame Witter, verheirathet hat, die vorher Garderobière beim Theater war. Unsere vornehme Welt hat die Einrichtung für sich in Beschlag genommen; es hat ihr bisher an einem solchen exquisiten Platz im Freien gefehlt. Sie müssen einmal hingehen; es wird Ihnen gefallen. Ich habe vorhin die Generalin Salha mit ihrer Tochter herauskommen sehen: wahrscheinlich haben Beide den Gesuchten, den Rechten, dort nicht gefunden. Sie kennen wol die Dame?

Der junge Mensch that diese Frage mit einem etwas verschmitzten Lächeln, als wisse er von Hermann's Besuche bei derselben. Und als dieser, in Erinnerung daran, leichthin bejahte, fuhr er fort:

Eine durchtriebene Frau, die Alles abweist, was im Verhältniß zu ihrer verlobten Tochter dem Bräutigam Vorwand geben könnte, zu brechen.

Hermann stutzte. Die abgelehnten deutschen Lectionen fielen ihm ein.

Ist die Tochter so wenig fesselnd? fragte er.

Kalt, ohne Imagination, hausbacken von Verstand und Bildung, und ökonomisch – hm! flüsterte kopfschüttelnd der Fremde; das ganze verlobte Verhältniß lahmt.

Hermann konnte sich nicht besinnen, ob er dem jungen Menschen, der ihn genau zu kennen schien, irgendwo schon begegnet sei. Es war ein Jüngling von kaum zwanzig Jahren, schmal aufgeschossen, etwas blatternarbig, mit lebhaften Augen und sehr artigen Manieren.

Sie verwundern sich wol, daß ich Sie kenne? sagte er lächelnd. Das ist ganz unbezüglich. Sie sind mir gelegentlich gezeigt und genannt worden. Nun müssen Sie mich freilich auch kennen. Ich heiße Wilke, und bin beim General, Baron von Bongars, auf dem Bureau. Es ist mir lieb, daß mich der Zufall nun näher mit Ihnen bekanntmacht. Ich bin hierher gekommen, um mit lustigen Menschen fröhlich zu sein. Es war mir Bedürfniß, mich zu freuen und ein Glas Wein darauf trinken. Wir haben nämlich gute Nachrichten aus Spanien erhalten, Die Aufstände beruhigen sich. Der General Dupont hat in Toledo die Ruhe und Ordnung hergestellt. Man war dort schon mit der neuen lieben Freiheit bis zu Scheiterhaufen und Galgen gekommen. Unter dem Vorwande, die Anhänger des Friedensfürsten aufzusuchen, hatte man die Reichen geplündert. Sehen Sie, das ist der wahre Kern der Freiheitsnuß!

Wilke sprach dies mit einem Feuer, das zugleich aus den unruhigen Augen, aber mit kalten Flammen, zu schlagen schien. Hermann empfand etwas Unheimliches in diesen Blicken, etwas Uebertriebenes in den Worten, und hörte ihm mit lächelndem Schweigen zu, als der junge Mensch fortfuhr:

Sehen Sie, es war ein Unglück, daß Spanien an das Haus Oestreich überging. Die Kräfte des Landes wurden da nur für die östreichischen Familienzwecke ausgebeutet. Die allgemeine Meinung ist, Spanien von einem französischen Prinzen beherrscht, würde den höchsten Gipfel des Glücks und des Glanzes erstiegen haben. Auf der einzigen schwachen Seite, der Grenze Frankreichs, gesichert, würde es alle Kräfte auf die Vergrößerung seiner Seemacht verwendet haben. Seine Lage gab ihm alsdann die Herrschaft zur See; die Schätze der Neuen Welt, die Colonien, die es dort angelegt hätte, setzten es in den Stand zu den riesenhaftesten Unternehmungen, durch die es sowol an Kraft als an Reichthum England und den Continent überboten hätte, und vielleicht das gesetzgebende Haupt Europas geworden wäre.

Der Freund fühlte sich unbehaglich bei dieser Erörterung. Er traute dem begeisterten Sprecher nicht. Diese zuversichtliche Staatsweisheit in einem neunzehnjährigen Munde kam ihm wie eine aufgesagte Lection, fast lächerlich vor, und doch fand er sich außer Stand, etwas Schlagendes einzuwenden. Glücklicherweise gab ein Wortwechsel im anstoßenden Zimmer Anlaß, sich der Politik ab und dorthin zu wenden.

Zwei Unteroffiziere von den Garden, ein Jäger-Carabinier und ein Grenadier stritten sich – wie ein Zuhörer dem jungen Wilke zuflüsterte – über eine Geliebte, die Zofe der Gräfin Pappenheim. Der Jäger war nicht groß, aber zierlich gewachsen, bräunlich und von heiterer Lebhaftigkeit; der Grenadier – was man einen schönen Mann nennt: groß und stattlich, nur ein wenig steif.

Allerdings ist Henriette schlank wie ein Reh, sagte der Grenadier eben, mit Stolz den Schnurrbart drehend; aber sie hält sich doch außer der Schußweite eines gelernten Jägers mit Namen Steitz.

Quälen Sie Ihren dünnen Schnurrbart nicht so, Monsieur Quensel! erwiderte der Andere. Sie wollen sagen, Sie hätten das Vöglein unter Ihrer Bärenmütze gefangen. Oho! Wer Ihnen das gesagt, hat Ihnen einen Bären aufgebunden.

Hören Sie, Steitz, – keine Beleidigungen! rief der Grenadier. Ich werde Ihnen einen schlagenden Beweis führen, den mir zwar Jette verboten hat, den ich ihr aber nun schuldig bin gegen einen Mann, der sich hier berühmt, mit ihr auf dem Fuß einer Amourschaft zu stehen. Hier!

Mit diesem aufpochenden Worte legte er, aus der Tasche gezogen und aus einem Zeitungsblatt entwickelt, eine halbe Brezel auf den Tisch. Die Umstehenden brachen in Lachen aus.

Lachen Sie nicht! rief der Soldat. Das bitt' ich mir aus! Hören Sie erst die sympathetische Bedeutung. Henriette hatte heut ihren freien Tag nicht, als ich sie gestern auf heut zu einer Promenade invitirte, und spedirte mir diese Halbe da, ich sollte sie, sagte sie, heut Schlag fünf Uhr – aha! es ist just die Zeit! unterbrach er sich, indem er seine silberne Uhr zog – Kellnerin, eine halbe Flasche Rothen! – zu meinem Wein genießen, sagte sie, und in derselben Minute wollte sie die andre Hälfte in ihren Kaffee tunken, und Jedes sollte dabei an das Andere denken. Sehen Sie, das ist die Sympathie, oder, wie sie sagte – der Seelenrapport. Nun, was Rapport ist, das wissen wir Subalternoffiziere, und Jette – o Jette ist ein Wesen –! »Und wie die Brezel; theile ich mein Herz mit dir, einziger Bastian!« setzte sie hinzu.

Er zwinkerte mit den Augen, und um es nicht merken zu lassen, daß er mit seinem prahlerischen Ton sich selbst in eine Rührung hineingesprochen, wendete er sich, über Stirne und Augen streichend, rasch an seinen Gegner.

Nun, Steitz, Sie sind ja mäuschenstill, pipen nicht einmal, und – sind ja ganz blaß geworden. Kreuz Bataillon! Sind Sie geschlagen? Aha! Sie geben klein bei! Wollen Sie Pardon?

Geschlagen – ja, gewissermaßen! versetzte der Jäger, halb wehmüthig, halb bitter. Niedergeschlagen, – allerdings, wenn ich so bedenke, was so einer Mädchenseele menschenmöglich ist! Oh – menschenmöglich, muß ich sagen. Donnerwetter! Da haben Sie die andre halbe Brezel, und just dasselbe hat sie mir dabei vorgesagt.

Er hatte seine halbe Brezel ohne Papier aus der Tasche geholt und noch härter damit auf den Tisch geschlagen.

Ist das wahr, Steitz? rief der Grenadier feierlich. Auf Parole?

Der Jäger fügte ohne Weiteres die beiden Hälften zusammen, die am scharfen Durchschnitte eine unverkennbar frühere Einheit bildeten, und – da haben Sie die gräflich-pappenheimer Brezel! lachte er.

Der Grenadier drehte verlegen an seinem Bart, während der junge Wilke mit Lächeln in feierlichem Ton sprach:

Ja, so 'ne Brezel hat doch nicht umsonst eine mysteriöse, wahrhaft ägyptische Figur. Zwei Hälften gegen einander gebogen, sind in der Mitte innig verschlungen, wie man mit verschlungenen Armen Schmollis trinkt.

Also diese Mademoiselle Henriette führt eine Doppelbüchse, um sicherer zu treffen! lachte der Jäger mit Bitterkeit. Aber, ich denke, Kamerad, das Zündkraut soll ihr fehlen! Hm?

Sagen Sie, Steitz – wendete der Grenadier ein – war die Brezel noch ganz, als Ihnen Jette –?

Nein, Quensel, sie holte die schon abgeschnittene halbe aus ihrem Arbeitsbeutel, antwortete er.

Aber mir hat sie abgeschnitten; die Brezel war noch ganz! fuhr der Andere etwas heiterer fort. Ich hatte also die Vorhand, aber Sie haben mich abgetrumpft. Einerlei.

Und als eben die Kellnerin ihm den bestellten Wein setzte, rief er aus:

»Aha! meine halbe Flasche! Zwei Gläser, Mädchen! Kommen Sie, Steitz, die zerschnittene Brezel soll unsere Kameradschaft nicht entzweien. Wir trinken die halbe Flasche zusammen, verzehren Jeder seine halbe Gebacknes, und denken dabei, wie's verabredet war, an die schlaue Jette, indem wir sie verlachen.

Beide stießen an, und Stein rief:

Aber Revange müssen wir haben.

Hören Sie, Kameraden, fiel der junge Wilke ein. Ich thue Ihnen von wegen Revange eine Proposition. Lassen Sie eine große mürbe Brezel backen und schicken Sie sie an Jette: Empfehlung von Herrn Fourier Quensel und Herrn Feldwebel Steitz, und die beiden halben wären einander begegnet, hätten sich durch Seelen- oder Hefenrapport erkannt und vermählt. Sie wünschten Mademoiselle Jette einen gesegneten Erinnerungskaffee und Verlobungskaffee – au laid.

Jetzt brachen die Umstehenden in schallendes Gelächter aus. Der drollige Witz des jungen Wilke bezog sich nämlich auf das Schild an einem eleganten Café-restaurant in der Königsstraße. Auf diesem Schilde war ein häßliches altes Männchen abgebildet, mit dem auf das Ohr berechneten Wortspiel umschrieben: Café an laid, statt au lait – Kaffee zum garstigen Männchen, statt Kaffee mit Milch.

Beide Soldaten reichten dem glücklichen Berather lachend die Hand, und dieser fuhr fort:

Und damit Sie gar keinen Zweifel übrig lassen, werthe Kameraden, so wählen Sie gleich hier eine andere Herzenssympathie. Da finden Sie ja die allerliebsten Mädchen beisammen, z. B. das charmante kleine Blondchen da! Allons! Setzen Sie sich in Rapport!

Er faßte nach einem anmuthigen Bürgermädchen, das aber seine Hand schnöde zurückwies.

Der Grenadier, in der gereizten Stimmung seines heimlichen Verdrusses, faßte das liebliche Kind ins Auge, setzte seine hohe Mütze auf, trat vor, und sprach, die flache Hand salutirend an die Mütze gelegt:

Ein Grenadier von König Jerôme's Garde weist keine Auffoderung zum Angriff von sich ab, Mademoiselle. Wie schaut's? Dürft' ich in Ihrem allerliebsten Herzen – Garnison machen?

Es ist schon Besatzung drin, Herr Grenadier! versetzte die Kleine schnippisch genug.

Wie? Was? Schon? rief der Soldat betroffen und empfindlich.

Warum schon? erwiderte die Kleine, ebenfalls verletzt. Das Schon paßt ebenso gut auf Sie: Sie haben ja die alte Brezel noch nicht verdaut, und wollen schon wieder –? Meinen Sie schon – weil ich noch zu jung wäre? Meinen Sie? Ein jedes Spätzchen hat ja sein Schätzchen. Wissen Sie Das nicht?

Ah! rief der Grenadier, das ist 'was Anderes! Das heißt man – ein Spatzenleben. Da muß ich also Kehrt machen vor der – Frischgebacknen! Nun, nichts für ungut! Adieu, Spätzchen! Kommen Sie, Steitz, ich will mir eine Wachtel suchen.

Oder ein Schwarzköpfchen! meinte der Jäger, indem Beide das Zimmer verließen.

Beim Ballet gibt's auch Nachtigallen! rief ihnen mit dünner Stimme ein Handlungsdiener nach.

Aber der traf es schlecht bei dem verstimmten Manne. Rasch umkehrend, rief der Grenadier über die Schulter:

Das sind Vögel für Comptoir-Gimpel, für Staarmatzen, die auf blaues Zuckerpapier hofiren. Suchen Sie sich dort eine Ladenjungfer, Sie Gelbschnabel!


Hermann hatte mehrmal den auf ihn gerichteten schalkhaft triumphirenden Blick des jungen Wilke bemerkt, und fürchtete dessen abermalige Annäherung. Er stahl sich aus dem Zimmer, verließ das Haus und dachte einen Spaziergang durch das Thälchen unterm Weinberg hin zu machen, als er durch die Gartenthür des neuen Sanssouci wandelnde Damen bemerkte, und eine nicht ungeschickte Harfenistin singen hörte. Er trat hinein und durchschlenderte den Garten mit der Zuversicht seiner guten Stimmung, ob er sich gleich unter den ihm fremden Familien ein wenig verloren vorkam. Der höhere Theil des Gartens war weniger besetzt und versprach einen reizenden Ausblick. Hermann wandelte von Strecke zu Strecke, bis er sich unerwartet von einer Dame angenickt sah, die in der Oeffnung eines kleinen Zeltes sitzend ein vor demselben Ball spielendes Kinderpaar überwachte. Er erkannte die Baronin von Reinhard, und näherte sich, sie zu begrüßen. Sie stellte ihn ihrem Manne vor, den er jetzt im Innern mit einem Buch in der Hand sitzend erblickte. Hermann nahm auf dessen Einladung mit einer gewissen Feierlichkeit Platz, die einem Manne galt, der durch seine Stellung als Gesandter Napoleon's und persönlich viel Imponirendes hatte. Er fühlte sich anfangs befangen, und seine Blicke hingen mit stiller Ehrerbietung an dem merkwürdigen Diplomaten, der aus einem Pfarrhause in Würtemberg einen so bedeutenden und hohen Lebensweg genommen hatte. Hermann kannte die Vorgeschichte desselben umständlich aus Luisens Munde.

 

Es war ein wechselvolles Leben gewesen. Aus dem tübinger Stifte, wo er Theologie studirt, war der junge Reinhard nach Bordeaux in das Haus eines reichen Kaufmanns als Erzieher der Kinder, und später nach Paris gekommen, wo er eine Stelle im Bureau des Ministeriums des Auswärtigen erhielt. Die Revolution, die ihn ergriff, förderte ihn. Er wurde Gesandter in Hamburg und Florenz, unter Sieyès' Directorium Minister des Auswärtigen, bis ihn Talleyrand ersetzte, und er dafür bevollmächtigter Minister bei der helvetischen Republik in Bern und dann beim niedersächsischen Kreis wurde. Hier heirathete er seine jetzige Frau in Hamburg und wurde von Napoleon, der ihn nicht leiden, aber doch nicht entbehren mochte, nach Jassy geschickt. Auf diesem unerfreulichen und gefährlichen Posten traf ihn das politische Misgeschick, daß er von den Russen aufgehoben und mit den Seinigen durch manche Länderstrecken geführt wurde. Von diesem Zuge hatte Frau von Reinhard eine Beschreibung abgefaßt, die ein lebhaftes Bild jener verwickelten und ängstlichen Zustände gab. Hermann hatte die Handschrift durch Luisen mitgetheilt erhalten. Zuletzt doch, auf geeignete Vorstellungen, in Freiheit gesetzt, war Reinhard zum Baron erhoben und nach Cassel geschickt worden, um einen Gesandtschaftsposten der delikatesten Art einzunehmen.

 

Hier saß er nun, ein Mann in Mitte der Vierzig, hoch gewachsen, mager, etwas gelb von Farbe. Rasirt, und das Haar in Taubenflügeln gepudert, in Schuhen und Strümpfen, wie er sich gewöhnlich trug, erinnerte er an einen altfranzösischen Marquis. In ruhig gehaltenem Aeußerem, den Zeigefinger in sein Buch eingeklemmt, führte er die Unterhaltung, die seine Frau deutsch angehoben, in dieser Sprache mit etwas schwerer Zunge gelassen, nicht gesucht, aber gemessen fort.

Meine Frau hat mir von Ihren schönen musikalischen Gaben erzählt, sagte er, und ich muß Sie loben, daß Sie neben Ihren philosophischen Studien, wie ich höre Sie gemacht haben, die Musik nicht fahren lassen, wie weit uns auch die Ideen von den Tönen, die Hirngespinste von den Melodien der Brust entfernen. Ich kenne das auch ein wenig, denn ich habe mich eben wohl mit Philosophie, besonders mit Kant beschäftigt, und selbst versucht, seinen erstaunlichen Gedankenbau für die Franzosen in einem leichten Umriß anschaulich darzustellen. Jetzt freilich gebe ich mich mehr an unsere Poeten hin, da ich denn neben unserm Goethe auch den deutschen Lafontaine gar nicht verschmähe.

Doch vor allem Goethe, lieber Karl, wie du da gleich mit seinem »Hermann und Dorothea« in der Hand beweisen kannst, bemerkte die Baronin.

Goethe! rief der junge Freund etwas exaltirt. Wie man doch bei solchen Namen, als ob in andere Region entrückt, tief aufathmet.

Geht's Ihnen auch so? fragte lebhaft die Dame. Ja, wol fühlt man sich hier in Cassel zuweilen niedergeschlagen, wie in der Fremde, wie in versetzter Luft, bis man solche Namen hört oder solch' ein Buch liest. Dann athmet man aus tiefster Brust eine Erquickung ein, wie manchmal – kennen Sie das auch? – wenn bei Thau- und Sturmwetter des Nachwinters eine Luftschicht, vielleicht aus den Tropenländern, weich und würzhaft bei uns niedergeht.

Wir haben Goethe'n vorigen Sommer persönlich kennen gelernt, lenkte der vorsichtige Reinhard das Gespräch ab. Wir trafen ihn in Karlsbad, wo er mich denn auch in seine Farbenlehre einweihte, die ihn so lebhaft beschäftigt. Kennen Sie ihn auch?

Nicht von Person, antwortete Hermann; aber Lafontaine kenne ich von Halle her.

Dieser Name übt schon keinen solchen Zauber aus, lächelte die Baronin. Der gehört schon mehr nach Westfalen in seinem Beiderwand von französischem Namen und deutschem Stil.

Wie sieht er denn aus, dieser fleißige Romanfabrikant, dieser – Professor? fragte der Gesandte, indem er seiner Frau freundlich mit dem Finger drohte.

Verzeihung, Excellenz! Kanonicus, antwortete Hermann, und sieht aus, als ob er sein Kanonicat um die Rippen trüge. Er hat die Taille eines mäßigen Weinfasses.

Was Sie sagen! lächelte Reinhard. Jedenfalls ein Fäßchen von der Sorte, denk' ich mir, die man am Rhein – eine Zulast nennt. Nun, schlägt ihm das Kanonicat so gut an, oder die Honorare von 4 Louisd'or per Bogen, wie man sagt?

Beides, Excellenz, und ein Drittes dazu, – die Pfründe nämlich, die er von seinen allerhöchsten Lesern bezieht, – vom preußischen Königspaare, dem das Wasser aus dieser – Fontaine besonders zusagt.

Ja wol Wasser, lächelte die Baronin, oder Sand. Aber er schüttet auch wie der Sand des Meeres Romane von sich. Drei sind auf einmal erschienen, unter aller Kritik.

 

Reinhard, von des jungen Mannes gewinnendem Aeußern und offenen Wesen angezogen, fragte nach dessen Studien und Vorhaben. Seine Gemahlin lockte durch Zwischenfragen den Sprechenden mehr und mehr heraus, da sie die Absicht ihres leicht etwas rückhaltenden Mannes merkte, den jungen Freund von Seiten seiner Brauchbarkeit kennen zu lernen.

Für's Politische sind Sie nicht, sagte sie scherzend. Ich weiß es von unserer lieben Luise Reichardt. Doch ist die Politik der Teig des Jahrhunderts, in den Alles die Arme steckt, um die neue Welt, den Stollen der Freiheit, die Brezel der Gleichheit backen zu helfen.

Hermann lachte überlaut. Am Ende werden Matzen draus, sagte er. Aber der Vergleich ist vortrefflich, gnädige Frau. Obgleich aus der Küche genommen, trifft er doch Kirche und Staat. Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, warum. Napoleon der Kaiser scheint mir die aus der Gährung der Revolution ausgeschiedene, zu ihrer Beruhigung ausgeschäumte Substanz mit der Kraft, das noch nicht revolutionäre Europa ebenwohl in Gährung zu setzen, kurz – die Hefen der Revolution, womit das Backwerk einer neuen Zukunft angerichtet wird.

Ein flüchtiges, unbestimmtes Lächeln zuckte über Reinhard's Gesicht. Er war schon etwas früher aufgestanden, anscheinend nach den Kindern zu sehen, wahrscheinlich aber nur sich zu überzeugen, daß kein Lauschender in der Nähe des Zeltes sei. Inzwischen sprach der unachtsame Hermann weiter:

In der That habe ich mich bis jetzt der Politik ziemlich fremd gehalten. Ich bin eben auf keinem politischen Feld aufgewachsen, – wenn Sie mir erlauben wollen, mich über mich selbst zu erklären. Dem häuslichen Boden waren keine politischen Bestandtheile beigemischt. Mein verehrter Vater, ein guter Preuße, liebte doch zu sehr die französische Sprache und Literatur, um Partei gegen das Franzosenthum überhaupt zu nehmen, und hielt sich daher auf der Kanzel, ich glaube auch mit Recht, in einer religiösen Neutralität über allen Zwistigkeiten der Welt. Im Kreise der Familie sprach er nie von Politik, und unter seinen Freunden galt er ein wenig für indolent. Was ich nun aus diesem Boden nicht eingesogen, trieb dann auch nicht in den verschiedenen Zweigen meiner Universitätsstudien: Philosophie, alte Literatur, unsere Poesie und Musik athmete und rauschte in den mit Buchstaben und Noten bezeichneten Blättern, die mich umgaben. Nun aber, muß ich gestehen, werde ich doch ein wenig in die politische Zeitbetrachtung gezogen, und es beschäftigt mich seit kurzem die innere Macht der deutschnationalen Ideen und ihrer Vertreter gegenüber der Waffenübermacht der Franzosen. Der Gedanke einer wechselseitigen Verständigung und Aussöhnung beider feindlichen Gewalten auf wissenschaftlichem Wege scheint mir wichtig und folgenreich. Ich spreche das aus, weil ich eben die Ehre habe, mich auf so bedeutsame Weise einem Manne von deutschem Geiste und französischer Mission gegenüber zu befinden. Was halten Ew. Excellenz von einer solchen – ist es nicht auch Politik?

Dieser treuherzigen Frage ausweichend, versetzte Reinhard freundlich:

Wenn es an Dem ist, was schon die Alten angenommen haben, daß stürmische Meereswogen sich durch Oel beruhigen lassen, so darf es ja wol auch ein Philosoph mit seiner Studirlampe einmal gegen eine welterobernde Revolution versuchen. Am Ende kann er sich ja mit dem antiken Spruch trösten: Oleum et operam perdidi. Vorab aber ist es mir lieb, Herr Doctor, in Ihnen einen Pfarrerssohn zu finden. Sie wissen vielleicht, daß auch ich einer bin, wenngleich ein misrathener. Hierüber aber tröste ich mich seit vorigem Sommer. Da traf ich bei Goethe'n mit dem berühmten Kanzelredner meines Namens in Karlsbad zusammen. Dieser dresdener Oberhofprediger ist wol ein zehn Jahre älter als ich, dabei eine schöne sittliche Natur mit ausgebildetem Geist, redlichem Wollen und praktischer Einsicht, und da sagte ich im Stillen zu mir: Der ist dir mit Fug und Recht zuvorgekommen. Was brauchte denn Deutschland nun noch einen zweiten Reinhard auf der Kanzel? – Und so bin ich wol durch höhere Fügung statt eines wandernden Apostels ein umhergeworfener Diplomat geworden. – Aber, siehe, da kommt ja schon unser Lefèvre! Er sucht uns. Monsieur Lefèvre!

Mit diesen Worten ging er einem jungen hübschen Manne entgegen, der im Reiseanzuge mit umherspähenden Blicken herankam. Während er ihm die Hand bot und insgeheim mit ihm sprach, sagte die Baronin zu Hermann:

Es ist der Legationssecretär meines Mannes, und hat den König auf der Umreise begleitet, um meinem Manne von Allem Nachricht zu geben. Ich habe zu Haus hinterlassen, wo wir sind. Mein Mann hat ihn erwartet.

Jetzt kehrte Reinhard mit den Worten zurück:

Sa Majesté va arriver ce soir! Komm', liebe Christine, wir müssen nach Hause.

Sie erhob sich und begrüßte Lefèvre, der ihre Hand küßte. Hermann empfahl sich, und Reinhard sagte mit freundlicher Handbewegung:

Bon soir, Monsieur le docteur!



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