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Als am andern Morgen Hermann im Vorzimmer des Generalpolizeidirectors erschien und dem Bedienten seinen Namen nannte, redete ihn ein Mann, der eben mit Schriften aus den innern Zimmern kam, in deutscher Sprache an, indem er sagte:
Herr Ritter von Bercagny ist mit einer wichtigen Depesche an Se. Majestät den König beschäftigt. Ich will Sie lieber selber melden und fragen, ob er Sie jetzt annehmen kann. Sie sind ja doch einmal da!
Hermann, von dieser Zuvorkommenheit überrascht, erkundigte sich bei dem Bedienten nach diesem artigen Beamten und erfuhr, daß es der Generalsecretär der hohen Polizei, Herr Savagner, ein Elsasser sei, und beide Sprachen mit gleicher Gewandtheit spreche. Er war klein, athletisch gebaut und von dem blühenden Aussehen der kraftvollsten Jahre.
Dieser Mann, so gefällig gegen Hermann, war inzwischen ebenso dienstbeeifert bei seinem Chef mit den Worten eingetreten:
Der junge Mann aus Halle, nach dem Sie gestern sich bei mir erkundigten, Herr Ritter, ist im Vorzimmer.
Ist er? erwiderte Bercagny. Nun ja! Ich habe ihn vorladen lassen. Er ist dem General Salha und dem Grafen Fürstenstein von diesem verdächtigen Kapellmeister Reichardt fast aufgedrungen worden. Sie, Savagner, wußten mir nichts von ihm zu sagen, hatten ihn noch nicht einmal auf Ihrer Liste; ich muß ihn nun selber sprechen, wenn ich ihn auch ein andermal lieber gehabt hätte, als im Augenblick. Ich vermuthe nämlich einen der preußischen Zwischenträger hinter ihm, den dieser fatale Kapellmeister gegen uns in Noten zu setzen denkt. Aber – der Mensch denkt, die Polizei lenkt. Wie sieht der Bursche aus, wie finden Sie ihn?
Ein sehr hübscher junger Mann, antwortete Savagner; gut gewachsen und von einnehmendem Blick, – ganz gemacht, die Tugend unserer Damen zu prüfen; doch nach preußischem Tugendbunde sieht er mir nicht aus, vorausgesetzt, daß Bart unterm Kinn wirklich ein Abzeichen der Mitglieder dieser Verschwörung ist.
Ei was! Albernheit! fiel Bercagny ein. Das ist ja eine ganz übliche Tracht, solche Ziegenbärte. Es wäre mir viel werth, könnte ich dem Kaiser zuerst etwas Genaues über die Sache berichten. Unser Gesandter in Berlin, Baron Linden, diese beeiferte Spürnase, hat doch auch die eigentliche Trüffel noch nicht gefunden. Nun, schicken Sie den Burschen herein!
Im Weggehen sagte Savagner:
Ich, Herr Ritter, würde ihn lieber für einen Träumer, für einen Ideologen nehmen. Er hat etwas Schwärmerisches im Blick.
Desto besser! rief ihm Bercagny nach. Wollen sehen, was wir mit ihm anfangen.
Im Vorzimmer sagte Savagner ungemein höflich:
Herr von Bercagny will Sie doch sehen. Sie müssen sehr gut empfohlen sein. Von unserm genialen Kapellmeister? À la bonne heure! – – À propos! Wenn Sie vielleicht von einer neuen Tondichtung desselben wissen: halten Sie damit gegen den Herrn Generaldirector nicht zurück; er ist Kenner und großer Freund der Reichardt'schen Melodien. Adieu! Wollen Sie nur durch das nächste Zimmer hindurchgehen!
Dies Empfangzimmer und das folgende Arbeitszimmer waren so reich und geschmackvoll wie bei Salha eingerichtet, trugen aber mehr das Aussehen nach einem auf Künste und Kenntnisse gerichteten Manne. Wenigstens lagen Zeitungen, Zeichnungen, Landkarten und Flugschriften umher; Modelle, Instrumente, Antiken in Nachbildungen standen theils zum Schmuck, theils zur Prüfung auf Tischen und Simsen. Hermann faßte einen hohen Begriff von dem Geschäftsmanne und suchte sich recht zusammen zu nehmen.
Legras empfing ihn vornehm artig, – ein schöner Mann über mittleres Alter. Dies war sein Familienname, zu dem er noch den Namen seiner reichen Frau, einer geborenen von Bercagny, angenommen hatte. Er sprach nur französisch, aber gewählt und – wenn er sich geltend machen wollte – mit einem leisen Hauche von Salbung, die er mit aus dem Kloster gebracht haben mochte. Er verrieth Verstand und Kenntnisse.
Ihre dem Bureau vorgelegten Papiere bezeichnen Sie als Studiosen und Doctor der Philosophie, redete er ihn an. Ich habe deshalb gewünscht, Sie persönlich zu kennen; zumal Sie des Französischen mächtig sein sollen. Solche Leute thun uns noth, wo wir jetzt so Vieles in dem neuen Königreiche zu schaffen haben, – in diesem Royaume de deux nations, möcht' ich sagen, wie man ein Dictionnaire de deux nations hat. Ueberdies interessirt mich sehr die deutsche Wissenschaft, zu der mir leider! der Schlüssel der Sprache abgeht.
Er fragte sodann nach den Studien und Absichten Hermann's, nach dem Leben der deutschen Studenten, nach den Namen einflußreicher Professoren, nach den Tendenzen der Burschenschaften und dergleichen, rasch, lebhaft, hin- und herspringend, sodaß ein junger Mann, wenn er nicht ganz gewandt und verschlagen war, sich in den Ansichten, der Denkart und Gesinnung leicht verrathen mußte. Ein so geübter Blick für die Menschen, wie Bercagny besaß, entdeckte denn auch sehr bald Hermann's schwache Seite, seinen Mangel an Weltkenntniß, seine schwärmerische, idealistische Richtung. Bercagny überlegte, wie er es am besten angreifen könnte, um einen so unbefangenen Ideologen, der ganz gewiß kein preußischer Zwischenträger sei, als westfälischen Spion zu brauchen. Er hatte sich bis jetzt vergebens nach einem für literarische Spionerie brauchbaren Menschen umgesehen.
Ich muß Ihre Einsichten, Ihre Urtheile mit Achtung anerkennen, mein Herr! sagte er. Solche junge Männer fehlen uns in Cassel. Ich überzeuge mich jeden Tag mehr, daß die deutsche Literatur einen unermeßlichen Stoff darbietet, dem nur geschickte Baumeister fehlen, um daraus ein erstaunliches Denkmal nationaler Bildung zu schaffen – monumentum aere perennius, wie es Horaz nennt. Die Begründung eines französischen Hofes inmitten Deutschlands verspricht daher die schönsten Gewinnste für Ihre Literatur; zum deutschen Gedankenstoffe bringen wir Franzosen die Anordnung, die Durchsichtigkeit, die Anwendbarkeit. Beide Literaturen würden sich viel rascher genähert und durchdrungen haben, wenn uns nicht die Kenntniß Ihrer Sprache gefehlt hätte, einer Sprache, die so ungemein schwer zu lernen und für uns fast nicht möglich zu sprechen ist. Sehen Sie, diese Sprache hat bis jetzt die deutsche Nation in Europa vereinzelt und zurückgehalten. Daß nun unsere Sprache sich ihr aufnöthigt, ist ein Gewinn für die Literatur und Bildung in Deutschland. Ein großer König, Friedrich von Preußen, hat einst die Franzosen sein Schwert fühlen lassen; aber er las nur französische Bücher, er huldigte unsern Geistern. Jetzt haben wir Deutschland besiegt, aber wir werden die deutsche Literatur anerkennen. Nur, mein Herr, bedarf es einer Vermittelung! Wir suchen eben Männer, die ein so großes Werk zur Hand nehmen können, – Männer, wie Herr Villiers in Göttingen ist. O Sie kennen gewiß seine Arbeiten! Mein König will solche Vermittelung; er sieht sie für eine selbst über die Grenzen seines Reiches hinaus reichende Aufgabe an, und unser Budget hat Mittel, sie zu fördern. Ich selbst habe die Pflicht, diesen Intentionen meines Souverains zu dienen. Nun, was sagen Sie dazu, mein junger und gelehrter Doctor? Sehen Sie, wie zur rechten Zeit Sie hierhergekommen sind, nach Cassel, und welch' eine schöne Laufbahn Ihnen winkt?
Solche Meinungen und Ansichten waren für Hermann nicht gerade neu und überraschend. Sie waren in jener elenden Zeit sehr im Schwung, und gingen theils von gefälligen Gelehrten und unterwürfigen Politikern aus, theils waren es Träume, in denen trauernde, resignirende Herzen, die an eine beste Welt glaubten, Trost und Zuflucht suchten. Hermann selbst war noch nicht über jene glückliche Jugend hinaus, in der ein schwungvolles Herz mit jedem glänzenden Gedanken ausschwärmt, ohne zu fragen, wo er ausgebrütet worden, und mit welchem Futter er sich unterhalten will. Nur von dem Franzosen kamen ihm solche Aeußerungen überraschend. Indem er sie aber als ein Anerkenntniß deutscher Denkweise und Verdienste hinnahm, faßte er schnell eine vertrauensvolle Meinung von dem vorher nicht wenig gefürchteten Manne, und erwiderte mit Lebhaftigkeit und sogar mit Wärme:
Mein Herr Director, ich bin höchst erfreut über die hohen Absichten der westfälischen Regierung und die erhabene Gesinnung des Königs. Unsere deutschen Fürsten haben uns durch besondere Gunst für Sprache und Literatur der Nation nicht verwöhnt. Wenn Friedrich der Große sich berühmte, niemals ein deutsches Buch gelesen zu haben, so hat er vielleicht bei den Franzosen unsere Literatur in Miscredit gesetzt, sie aber nicht abgeschreckt, groß und mächtig zu werden. Kein despotischer Hof eines Ludwig XIV. hat sie zur Hofmäßigkeit erzogen und ihren Stil zu einer Uniform gebildet; dafür aber paßt der schöne Ausdruck Ihrer Sprache: la Republique de lettres, auf keine Literatur besser, als für die unserige. Uebrigens können allerdings beide Literaturen durch wechselseitige Annäherung nur gewinnen. Wenn unserer Literatur etwas mehr Form nöthig thut, so könnte der französischen mehr Tiefe und Gehalt nicht schaden. Beide große Nationen, die das schimmernde Band des Rheinstroms verknüpft, sind reif und berufen, einander zu verstehen und zu ergänzen. Daß beide, wie Sie erwähnten, sich mit dem Schwert in der Faust getroffen haben, darf uns nicht irre machen. In dieser Feindseligkeit liegt eine verborgene Liebe, die durch Kampf zur Erkenntniß kommt.
An diesem letzten Gedanken hätte ein Anderer einen Schüler des Professors Steffens erkennen können; auf Bercagny schien er einen komischen Eindruck zu machen; denn Hermann sprach fortfahrend:
Lächeln Sie nicht, mein Herr Ritter! Fängt die heftigste Liebe, jene der Geschlechter, nicht damit an, daß Knabe und Mädchen sich raufen? Oder hätten Sie noch nicht beobachtet, daß die Schale mancher Früchte sich in dem Maße verbittert, als ihr verschlossener Kern reift? Ein erhabener Kaiser, unser Karl der Große, den die Franzosen ihren Charlemagne nennen, herrschte in der That schon über beide Nationen, wie Sie wissen. Er hatte schon die Vorahnung eines großen Reiches zweier Nationen, das ein Jahrtausend später durch Napoleon zu Stande kommen dürfte. Ich könnte mir denken, Napoleon habe mit großer Absicht dies gemischte Königreich Westfalen als den Herd wechselseitigen Verständnisses geschaffen.
Wie tief Sie die Sache auffassen! Wie gründlich Sie zu Werke gehen! rief Bercagny, dem jeder Andere, als Hermann, die innere Ungeduld angesehen hätte.
Das Verhältniß beider Völker zu einander liegt auch gar tief, fuhr der junge Docent fort. Und nicht blos historisch, auch metaphysisch möcht' ich sagen, – im innersten Wesen beider. Franzosen und Deutsche verhalten sich zu einander wie Muth und Gemüth. Wenn Sie unsere Sprache kennten, Herr von Bercagny, würden Sie sich freuen, wie bedeutsam im Deutschen beide Worte aus einer und derselben Wurzel treiben, – bedeutsam auf die Tugenden und Fehler beider Nationen.
Es ist zum Erstaunen, was man in Deutschland nicht Alles vernimmt! rief Bercagny mit ironischem Lächeln. Ich beklage sehr, daß soviel leidige Geschäfte mich abhalten, Sie öfter und länger bei mir zu sehen. Aber Sie dürfen dem Katheder in Göttingen nicht verloren gehen. Rechnen Sie auf meine Empfehlung beim König! Bis dahin aber sollten Sie angemessen und – lohnend beschäftigt sein.
Doch Hermann, wie er einmal angeregt war und sich fühlte, unterbrach ihn, indem er sagte:
Nur Eines noch lassen Sie mich hinzufügen, – daß mir nämlich gerade unser Westfalen als das schlagende Herz des neuen Völkerkörpers erscheint. Es liegt auf deutscher Seite, aber es pulsirt von französischer Administration.
À la bonne heure! fiel der Polizeichef ein. Auf diesem Grund und Boden bin ich schon ein wenig mehr zu Hause. Wissen Sie aber, mein vortrefflicher junger Doctor, daß Sie mir durch Ihre geistreichen Gesichtspunkte die Befehle meines Königs verflucht schwer machen? Ja, Sie! Ich soll die deutsche Literatur überwachen. – Verzeihung! Ich drücke mich falsch aus: ich soll darauf achten, wie die Literatur mit der Politik – des Volksglückes harmonire. Auch der Kaiser Napoleon sieht ein, daß die deutschen Gedanken diesseit des Rheins eine Macht sind, mit denen die französischen Waffen in gutem Einverständniß stehen müssen. Kennen Sie das erhabene Wort des Kaisers? » Denkfreiheit ist die Eroberung des Jahrhunderts«, sagt er, »und ich will Preßfreiheit in meinen Staaten haben; aber ich will wissen, was für Gedanken und Ideen in den Köpfen umgehen.«
Ei nun! lächelte Hermann. Das »Aber« ist leicht: der Kaiser soll nur eben die Presse gewähren lassen, und er wird's erfahren, was in den Köpfen umgeht.
Bercagny, einen Augenblick betroffen, versetzte dann desto lebhafter:
Sehr richtig bemerkt! Wenden Sie nur die Sätze um! Der Kaiser will die Gedanken kennen und zu dem Ende Preßfreiheit. Aber, Sie sehen ein, er selbst kann diese Gedanken doch nur erfahren durch Jene, die der Bewegung der Presse folgen. Sie, mein Herr, müssen mir in dieser Aufgabe beistehen. Endlich find' ich doch ein Talent, wie ich es lange vergebens gesucht. Ja, mein Herr! Sie gehen ganz in meine Ideen ein, nur mit Kräften, die mir abgehen.
Sie sind sehr gütig, versetzte Hermann; aber ich verstehe nicht, was Sie verlangen.
Sie sollen mir Uebersichten über den Gang der deutschen Literatur, über den Inhalt und die Tendenz jener Schriften geben, die einen Einfluß auf das Volk, eine Richtung für die Gedanken und Empfindungen der Menschen haben. Verstehen Sie mich?
Schriftliche Uebersichten? fragte Hermann bedenklich – nicht sowol aus Argwohn gegen die Absichten des Franzosen, als aus Mistrauen in sich selbst.
Schriftliche! bejahte Bercagny, – kurz gefaßt, bezeichnend, in Hauptgedanken auszüglich, mit Nachrichten über die Verfasser, ihre Stellung, ihr Bestreben, ihre u. dergl.
Sie verlangen etwas sehr Schweres! wendete Hermann ein, etwas, was meine Kräfte –
Ist es nicht unbegreiflich, wie man so kühne Gedanken und so unentschlossene Hände haben kann! rief Bercagny. Die Ausgleichung beider Nationen, wissen Sie, muß sich vor allem auch auf das Reich der Schwierigkeiten erstrecken. Die Franzosen übereilen oft alle gerechten Bedenklichkeiten, aber die Deutschen haben zuviel Unmögliches. Nehmen Sie Villiers zum Vorbild. Ha, welch' ein Mann von Geist und von Ehre! Und der in Deutschland wie in Frankreich hochgeschätzt ist. So meine ich es! Fangen Sie nur unbedenklich an! Bei Dem, was Sie mir übergeben, kann ich Ihnen am besten sagen, wie ich es wünsche. Sie machen sich verdient um Ihr Vaterland, in dem Maße, als Sie mich in Stand setzen, zu dessen Wohlfahrt an Se. Majestät zu berichten. Sie treten nun in die Jahre, wo Sie ein Vaterland haben müssen. Bisher hatten Sie nur eine Schule, eine Universität, und früher gehörten Sie zu einer Familie. Nicht wahr, so ist es? Ich lasse Ihnen eine Summe anweisen zu Ihrer ruhigen Existenz. Ueber Bücher, Journale, Correspondenz, die Sie nöthig haben, übergeben Sie mir Rechnung. Es sind die schönsten Vorarbeiten für Ihren Universitätsberuf. Ich spreche dann Ihrethalben zu seiner Zeit mit dem Staatsrathe Müller, Ihrem großen Historiker. Er hat, wissen Sie, kürzlich seinen Abschied aus dem Ministerium genommen, und behält nur die obere Leitung der höhern Schulen. Sie gehen also auf meinen Vorschlag ein?
Hermann verneigte sich, und Jener fuhr fort:
Adieu denn! Ich hoffe Sie bald wieder zu sehen und mich durch specielle Fragen zu unterrichten. Auch erhalten Sie eine schriftliche Instruktion, aus der Sie genauer sehen werden, was wir wünschen.
Hermann verneigte sich und ging. Aber er hatte das nächste Zimmer kaum erreicht, als ihm Bercagny folgte und mit freundlicher Vertraulichkeit sagte:
Ich rechne auf Ihre absolute Verschwiegenheit, vor allem Ihrer selbst wegen. Denn – es gilt ja für erst nur eine Probe, und wenn Sie wirklich nicht zufrieden mit sich selbst wären, oder Ihre Leistungen uns nicht genügten, so würden Sie, einmal als Verfasser bekannt, schadenfrohe Widersacher Ihrer Anstellung und Beförderung finden. Bedeutende Männer haben sich mir zu diesen Arbeiten empfohlen; sie gehören aber politischen Parteien an, und ich will keine politisch-gefärbten Berichte. Sie, mein Herr, sind noch – was der Lateiner integer nennt. Halten Sie sich auch ja von aller Politik entfernt, um der Reinheit Ihres Berufes willen. In heiterer Verborgenheit werden Sie dann auch aller Zudringlichkeit leichter entgehen, und wo Sie manches Buch auch einmal verwerfen müssen, sich keine Feinde machen. Seien Sie besonders vorsichtig bei Reichardt, der sich Ihrer annimmt. Der lebhafte Mann hat allerlei auswärtige Verbindungen, die ihm leicht schaden können, und spricht sich sehr unvorsichtig aus. Ich selbst schätze über Alles sein großes Talent und werde ihn gegen seine Feinde zu halten suchen. Also Verschwiegenheit! Besonders auch über meine Vorliebe für Reichardt, die ich von Polizei wegen gar nicht haben dürfte.
Er reichte seine Hand hin, in welche Hermann sein Gelöbniß niederlegte.
Kaum hatte Bercagny sich lächelnd an seinen Schreibtisch gesetzt, als auch Savagner wieder erschien und einen großversiegelten Brief mit den Worten übergab:
Eine Depesche von Sr. Majestät aus Braunschweig!
Unter dem Lesen sagte Bercagny:
Auch dort große Festlichkeiten. Vorgestern früh großes Lever, bei welchem auch Oberst von Dörnberg als Commandant der Jäger-Carabiniers den Eid in die Hand Sr. Majestät abgelegt hat.
Als er das Schreiben geendigt, fuhr er lachend fort:
Nun, wissen Sie, Savagner, den jungen Philosophen haben wir mit Haut und Haaren. Setzen Sie ihn auf die Liste unserer Kundschafter; geben Sie ihm aber einen Ehrenplatz! Und lassen Sie ihn nie das Scheltwort Mouchard hören! Er ist ein Träumer, ein Nachtwandler, und würde, beim Namen gerufen, vom Dache stürzen.
Savagner lächelte. – Mit welchem Gehalt? fragte er.
Das ist noch zu überlegen, versetzte Bercagny. Ich will auch erst Arbeiten von ihm sehen. Schicken Sie ihm einstweilen 300 Francs Vorschuß. Geld muß er bei Zeiten sehen; Geld lockt und fesselt. Ueberdies speculirt er noch zu sehr ins Blaue, und wir können nur Leute brauchen, die nebenher auch in ihre Taschen speculiren. Aber, Savagner, Sie hätten das tolle Zeug hören sollen, das er wie vom Katheder vorbrachte! Und doch hatte es Sinn, und ich bin erstaunt, daß der Mensch die närrischen Sachen so gut französisch ausdrücken konnte.
Gerade diese Gabe wird ihn uns sehr brauchbar machen! meinte Savagner; worauf Bercagny versetzte:
Ich wünsche es sehr. Der Kaiser dringt fortwährend auf Ueberwachung der deutschen Schriftsteller. Man geht offen und insgeheim damit um, der Nation einen neuen Sporn, eine politische Richtung und muthigen Aufschwung zu geben. Das wird bedenklich. Es beunruhigt den Kaiser, und er erwartet Alles von unserer Thätigkeit gerade aus Westfalen. Wir dürfen nichts vernachlässigen, und ich denke, er wird uns loben, wenn uns der junge Philosoph in aller Unschuld ein halb Dutzend dieser deutschen Federfuchser und Ideologen für das Kreuz der Ehrenlegion und ein anderes Halbdutzend zu Füsiladen liefert. – Doch jetzt lassen Sie mich allein, und fragen in einer Stunde wieder nach. Die hungerige deutsche Philosophie hat mir die beste Stunde verschlungen.