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Münzer war schon lang aus spätem Morgenschlummer erwacht und hatte sich in seinen groben Rock geworfen, als ein Finger schüchtern an die Thür klopfte, und als er öffnete, seine freundliche junge Wirthin hereintrat, ihm einen guten Morgen bot und ihn einlud, mit dem Großätti das Frühstück zu nehmen. Sie zögerte aber zu gehen und auf ihrem erröthenden Antlitz, in den Augen, die sie verschämt mit den Wimpern bedeckte, mochte Münzer wohl lesen, daß sie noch ein Anliegen auf dem jungen Herzen hatte. Sie zupfte verlegen an der Schürze und dem Brusttuch und schien keine Worte zu finden, es auszudrücken. Münzer ließ den Blick mit Wohlgefallen, fast mit Wehmuth auf ihr ruhen; er gedachte an die ferne Gattin. So schön war auch sie gewesen, so rosig frisch und blühend, ehe er sie an sein unstätes Schicksal knüpfte; nun aber war von Thränen und Kummer ihr Antlitz gebleicht, und dies Alles durch seine Schuld. Er hatte sich vermessen, irdische Liebe zu suchen, und doch war sein ganzes Herz von einer andern Liebe ausgefüllt. Er fuhr mit der Hand über die Stirn, um diese Gedanken zu verscheuchen.
»Ich hätt' eine Bitt' an Euch;« flüsterte das Mädchen endlich.
»Sprich, mein Kind!« entgegnete Münzer.
»Aber Ihr dürfe mich nicht verlachen und dürft nicht unwillig sein! – Ja, wie sag' ich's nur? Ich hab' mich die halbe Nacht darauf besonnen und hatte die Worte so hübsch im Kopf, und nun sind sie wie weggeblasen. Lugt, Herr, Ihr werdet vom Willi wissen – er bat mir gesagt – der Willi ist gar ein braver, herziger Bub, wenn Ihr ihn erst recht kennen werdet –«
»Du liebst diesen Willi?« fiel Münzer lächelnd ein.
Hedwig senkte das purpurn erglühende Antlitz noch tiefer; dann richtete sie es auf, und ein heiliges Feuer strömte aus ihren dunklen Augen. »Ja, Herr, so ist's!« sprach sie. »Ich hab ' den Willi rechtschaffen lieb, und er mag mich auch, das wird er Euch vielleicht gesagt haben! Ich glaub', Herr wie würden Beide sterben, wenn wir uns nicht kriegten! Aber damit hat's eben seinen dicken Faden, denn der Willi ist von den Gotteshausleuten, und der Großätti will's darum nicht haben. Ich ging ja mit dem Willi bis an's Ende der Welt, wenn's sein müßt! Nun hat er mir von Euch erzählt, und daß Ihr der einzige Mensch auf der Welt wäret, der uns helfen könnt', und ich sollt' Euch schön bitten, daß Ihr den Großätti ein gut Wort gebt. O Herr, thut's doch! Ich will Euch recht schön gebeten haben und Ihr verdienet wahrhaftig einen Gotteslohn an uns!«
»Armes Mädchen!« entgegnete Münzer. »Daß ich dir doch helfen könnte! Aber des Großvaters Wille ist unbeugsam.«
»Das halb' ich eben auch gleich gewußt!« seufzte Hedwig niedergeschlagen. »Aber der Willi meinte, Ihr könntet sprechen, daß sich Einem das Herz bewegte. Er meinte auch, es würde bald keine Hörigen mehr geben und alle Bauern frei sein. Er will's von Euch haben. Ist's denn wahr?«
»Wahr, wenn Alle Muth haben, wie dein Willi.«
»Auf den dürft Ihr Häuser bauen!« rief Hedwig in liebender Begeisterung. »Er ist der beste Bub im Dorfe, und Keiner nimmst mit ihm auf. Ihr solltet mal lugen, wenn er die Scheibe wirft! Die Buben sind alle neidisch auf ihn und wagen's doch nicht, mit ihm anzubinden. Was er verspricht, das hält er auch. Und er hat mir gesagt, daß er sich auch Eurer lutherischen Lehre ergeben hat.«
»Also darum?« lächelte Münzer bitter. – »Ich kann dir keinen andern Trost geben, mein liebes Kind, als daß ich dir sage: Hoffe! Und wenn Willi zum Kampfe zieht, so halt' ihn nicht zurück, sondern denke, er thut's für dich!«
»Der Eigennutz treibt sie!« sagte Münzer, als er wieder allein war. »Der Eine will dies, der Andere das. – Und sollen sie denn nicht? Sollen sie nicht das Joch abzuwerfen wünschen, das ihre liebsten Hoffnungen in Boden drückt? Kann ja doch nicht in jeder Brust die Flamme lodern, die in mir selbst rein und uneigennützig glüht.«
Riedinger empfing ihn freundlich beim Morgenimbiß und im lebhaften Gespräch verschwand die Wolke des Mißmuths bald von seiner Stirn. Zwei Männer störten endlich die Unterhaltung, der Knopf von Luibas und Kolbach, der sich nun Pfeifer nannte. Münzer zog sich mit diesem auf sein Gemach zurück, während der Knopf bei dem Alten blieb.
»Wie hast du Marie verlassen?« war die erste Frage, die Pfeifer that.
»In Sorgen und Thränen!« entgegnete Münze. »Und konnte es anders sein? Ich ward hinausgestoßen aus der Heimath, von ihrer treuen Brust vertrieben. Es war eine schwere Zeit! Sie ist vorüber, und eine schönere wird beginnen. Wäre nicht mein Werk mit meinem Leben verwachsen gewesen, so hatte sie mich niedergezogen aus der Sonnenhöhe meiner Wünsche. Ihr zur Liebe hatte ich mich gebeugt unter die Macht der Verhältnisse und wäre gegangen im Gleise der Alltagsmenschen. Aber ich rief meine Kraft wach, wenn ich wankte, und siehe, das Unglück gürtete meine Brust mit siebenfachem Erz. Die Thränen meines Weibes konnten mich nicht bezwingen; nun mag die Weit gegen mich stürmen, ich werde standhaft sein.«
Er erzählte darauf, wie er nach Nürnberg gezogen, um unter dem Schutze der freien Reichstadt seine Lehre durch den Druck zu verbreiten. »Ich wollte ein fein Spiel mit ihnen angerichtet haben,« sagte er, »wenn ich Lust gehabt hätte, Aufruhr zu machen. Das Volk sehnte sich nach meiner Predigt, ich aber antwortete: ich sei nicht gekommen, um zu predigen, sondern mich durch den Druck zu verantworten. Da das die Herren erfuhren, klangen ihnen die Ohren; denn gute Tage thun ihnen wohl, der Handwerksleute Schweiß schmeckt ihnen süß, gedeihet aber zur bittern Galle. Sie vertrieben mich aus ihrer Stadt und ließen meine Schrift verbrennen. Die Thoren, als ob sie damit auch den Geist verbrennen könnten!«
Er erzählte ferner von seinen weiteren Reisen durch die schwäbischen Lande, durch den Klettgau und Hegau, durch den Elsaß und die Schweiz, und Pfeifer dagegen berichtete von seiner Wirksamkeit in Franken, im Odenwald, in Tyrol und den Landschaften des Allgäus, von dem Bunde der Wiedertäufer, welcher wie ein großes Netz über Deutschland ausgebreitet war.
Die Sekte der Wiedertäufer war von der Brüderschaft der Zwickauer Propheten ausgegangen. Wir haben schon angedeutet, in welcher Beziehung Münzer zu Storch und seinen Genossen gestanden hatte, und wie er von den »guten Brüdern« dachte. Aber sie erschienen ihm tauglich als Werkzeuge seiner politisch-reformatorischen Zwecke, und der Erfolg zeigte, daß er sich nicht in ihnen getäuscht. Als seine Boten flogen sie nach allen Enden Deutschlands und predigten in seinem Sinne mit wahrhafter Prophetenbegeisterung. Selbst ihre Feinde rühmen ihnen nach, daß sie ein schönes sittliches Leben führten. Ich wünschte, sagt ein alter Schriftsteller, daß Alle, die sich Christen zu sein rühmen, so leben möchten. Sie beflissen sich eines unsträflichen Wandels, waren mäßig in Essen und Trinken, in Kleidung schlecht, freundlich unter einander, in der Rede kurz, im Disputiren über die Maßen eifrig, als die eher begehrten zu sterben, denn von ihrer Lehre zu weichen. Alle Unwürdigen schlossen sie streng aus ihrem Bruderkreis aus, lehrten ernstlich glauben, lieben und leiden, selbst Marter und Tod. Sie waren unermüdlich, das neue Gottesreich auszubreiten. Ihr Wahrzeichen war, das der Eine zum Andern sagte: »Der Friede Gottes sei mit dir!« und der Andere antwortete: »Amen! er sei mit dir auch!« Bald hörte man vom Thüringer Walde bis in die Thäler der Schweizer und Tyroler Alpen die Münzer'sche Predigt: die Zeit sei nahe, daß die Welt erneuert und die Gottlosen mit dem Schwert von der Erde gethan werden müßten. Der Rath zu Nürnberg schildert diese »schnellen vermessenen Köpfe, bei denen die Vernunft zu viel witzig sein wolle«; also: »Sie predigten in allen Winkeln nur die Sprüche aus altem und neuem Testament, da von Schwert, Harnisch, Kriegen und Würgen gesagt wird, und ziehen's Alles auf mörderische Kriege, Raub, Todschlag und Aufruhr, wollen ja die frömmsten Mörder sein und alle Welt allein besitzen.« Und immer zahlreicher durchzogen sie die obern Gegenden, als Münzer selbst auf jenem Schauplatz erschien. Münzer taufte nie, doch predigte er die Zweckmäßigkeit der Wiedertaufe.
Nur eine Schrift hatte Münzer zu Nürnberg in den Druck bringen können, eine heftige Vertheidigungsrede wider Luther. »Noch bist du verblendet,« schrieb er darin, »und willst doch der Welt Blindenleiter sein? Du hast die Christenheit aus deinem Augustinus mit einem falschen Glauben verwirrt, und kannst sie, da die Noth hergeht, nicht berichten. Darum heuchelst du den Fürsten. Du meinst aber, es sei gut worden, so du einen großen Namen überkommen hast. Du hast gestärket die Gewalt der gottlosen Bösewichter, auf daß sie ja auf ihrem alten Wege blieben. Darum wird dir's gehen wie einem gefangenen Fuchs. Das Volk wird frei werden, und Gott will allein Herr darüber sein.«
Münzer handelte mit vollkommener Uneigennützigkeit. Ohne Geld irrte er in der Fremde umher. Von Nürnberg vertrieben, schrieb er an einen Freund: »So Ihr's vermöget, helft mir mit einer Zehrung, es sei, was es wolle; aber wenn Ihr Euch daran ärgern solltet, will ich keinen Heller haben.« Ein so schöner Zug, daß er uns mit manchen Schatten versöhnt. In allen Widerwärtigkeiten war er unverzagt, voll Zuversicht auf sich selbst, seinen Gott und seine Sache. »Lieber Bruder Christoph,« schrieb er an einen seiner Jünger, »unsre vorgenommene Sache ist dem schönen rothen Weizenkörnlein gleich worden, weiches die vernünftigen Menschen pflegen zu lieben, wenn es in ihrer Gewalt ist; aber ist's in die Erde geworfen, so scheint es ihnen nicht anders, als wenn es nimmermehr ausgehen würde. – Es nimmt mich nicht sehr Wunder, daß ich vor der Welt sinke, ich weiß, daß im Schosse mein Name schmeckt, ehe er Aehren gewinnt; es sind aber Gerstenstacheln daran, das Gerstenbrot muß gebrochen werden, das Gesetz wird die Gottlosen umstürzen, es hilft sie ihr Geschrei gar nichts. Hab' ich vor einmal gescholten mit Füchsen, will ich nun mit Gott über sie donnern im Himmel, sie haben ihre Büberei lange genug getrieben. Es wird da kein Bedenken oder Spiegelfechten helfen, die Wahrheit muß hervor. Die Leute sind hungrig, sie müssen und wollen essen.«
Nach seiner Verweisung aus Nürnberg zog sich Münzer in die obern Lande, wo der gemeine Mann bereits in Aufstand oder Bewegung war. Er wählte nach seiner eignen Aussage diesen Weg, um die Lage der Dinge daselbst kennen zu lernen, den Aufstand zu benutzen und für sich selbst Raum zu gewinnen. Mehrere Wochen lang nahm er seinen Sitz im Klettgau, von wo aus er in die Nachbarschaft, namentlich in die Landgrafschaft Stühlingen, Ausflüge machte. Zu Basel hatte er über das Thema gepredigt: wo ungläubige Regenten, sei auch ungläubig Volk; es müsse anders werden. Im Klettgau und Hegau predigte er von der Erlösung Israel's, die Stunde sei nahe, da der Herr sein Volk heimsuchen, sein Reich der Heiligen, sein tausendjähriges Reich aufrichten und die Christenheit ein Volk von Brüdern sein werde. Er verbreitete Flugschriften gegen die Tyrannei der Herren. Auch gelehrte Männer standen ihm zu; so Konrad Grebel, Sohn eines Rathsherrn zu Zürich, Doctor Balthasar Hubmaier, der geistesfreie Prediger zu Waldshut, Franz Rebmann, der Pfarrer zu Griesen, Schappeler, der Prediger zu Memmingen, Heuglin von Lindau, der Prediger zu Sermatingen, Florian, der Pfarrer zu Eichstetten, Jakob Wehe, der Pfarrer zu Leipheim, Doktor Mantel, Pfarrer an St. Leonhard zu Stuttgart. Einer der merkwürdigsten Prädikanten, der das würtembergische Oberland durchzog, war Karsthans, ein Laie, der von dem Rathe zu Freiburg gradezu bei der Regierung zu Stuttgart als Revolutionär angegeben wurde, der das gemeine Volk unter evangelischem Schein zu einem Bundschuh aufwiegele. Als man ihn zur Rede stellte, »warum er predige, da er doch die Weihe nicht habe,« antwortete er, »er sei durch das Leiden Christi geweiht, und nicht weniger als die Bischöfe und Päpste erlöst; Gottes Wort zu verkünden, sei Niemandem verboten, und er wolle es auch ferner thun, oder das Leben verlieren, bis man ihn aus Gottes untrüglichem Worte eines Bessern belehre. Er wurde gefangen genommen und nach Tübingen zur peinlichen Frage abgeführt. Sein Haupt verfiel, wahrscheinlich nach einem Befehle des Erzherzogs Ferdinand, dem Henkerschwert.
Schon im Jahr 1523 hatte der österreichische Statthalter zu Stuttgart, Wilhelm Truchseß, an den Generalschatzmeister, Gabriel von Salamanca, geschrieben: seit dreihundert Jahren sei kein solcher Ungehorsam unter den Unterthanen gewesen, und er entspringe allein aus der verfluchten lutherischen Secte; er fürchte dabei, daß dies zur Strafe einiger hohen Herren geistlichen und weltlichen Standes geschehe, die ihrem Eigennutze das Wohl des gemeinen Wesens opfern.
So lief die verheerende Gluth unter dem Boden fort, und wo auch noch zur Zeit Ruhe herrschte, da mußte sich endlich das Wetter im Zusammenstoß entladen. Und die Regierungen trugen selbst das Feuer herbei, die unterirdischen Minen zu entzünden. »Dazu helfen nun die Obrigkeiten selbst,« schrieb Luther; »sie fangen an mit Gewalt das Licht zu dämpfen, sehen aber nicht, daß sie dadurch die Herzen nur erbittern und zum Aufruhr zwingen.«
Der unterdrückte Bundschuh war noch nicht ausgestorben. Wendel Hipler, Weigandt, der Keller zu Miltenberg, Jäcklein Rohrbach von Böckingen, Jorg Metzler von Ballenstedt und Andre knüpften die zerrissenen Fäden ihrer Vereinigung wieder an und waren ausersehen, bedeutende Rollen in dem blutigen Drama zu spielen, das sich unter ihren Augen entwickelte. –
Riedinger saß mit dem Knopf von Luibas noch im Gespräch, als ein zweiter Besuch sich meldete, der mit Befremden von dem Greise aufgenommen wurde. Die halb geistliche und halb kriegerische Tracht des rohen unhöflichen Gesellen, der ohne Umstände in das Gemach des Bauern trat, verkündete einen Reisigen aus dem Gefolge des Fürstabts. »Was ist Euer Begehr?« fragte Riedinger, dessen Stirn sich umdüstert hatte.
»Mein Gewerb ist von Sr. fürstlichen Gnaden;« antwortete jener barsch. »Ihr sollt Euch unverzüglich nach Kempten verfügen und vor dem Angesicht Sr. fürstlichen Gnaden erscheinen, wenn Ihr anders der seid, für den ich euch halte, Konrad Riedinger.«
»Der bin ich!« entgegnete der Greis. »Was aber Sr. Gnaden von mir begehrt, ist mir ein Räthsel, und Ihr werdet mir schwerlich Aufschluß geben können.«
»Ob ich Euch Aufschluß geben kann oder will, sind zweierlei Dinge!« versetzte der Klostermann trocken. »Jedenfalls rath' ich Euch, einen Stoßseufzer zu Eurem Schutzheiligen zu schicken, wenn Euer Gewissen nicht spiegelblank ist.«
»Ich danke für Euren guten Rath, den ich aber nicht bedarf,« sagte Riedinger kalt. Ich wüßte nichts Arges, dessen ich mich vor Sr. fürstlichen Gnaden zu bedenken hätte.«
»Hoho!« lachte der Knecht. »'S giebt ein altes Sprüchlein, das lautet: Hochmuth kommt vor'm Fall. Erinnert Euch daran, wenn Eurer zartes Gewissen in die Enge getrieben wird. Es sind wohl noch starrere Köpfe gebrochen worden.«
»Erspart Euch diese Bemerkungen;« erwiederte Riedinger. »Vermeldet Sr. fürstlichen Gnaden meinen Empfehl, und ich werde nicht anstehen, zu erscheinen.«
»Den mögt Ihr zugleich selbst überbringen,« sagte jener, »denn ich werde nicht früher eintreffen, als Ihr selbst. Beliebt es Euch –«
»Verstrickt also?« rief Riedinger. »Und wessen Verbrechens halber?«
»Nicht so eigentlich verstrickt!« war die Antwort. »Es ist mir nur befohlen worden, Euch alsbald mitzubringen. Ihr werdet meine Begleitung nicht verschmähen; Unterhaltung verkürzt den Weg und besser eine unwillkommene, als gar keine.«
»Auch das noch!« sagte der Greis. »Schmidt,« wandte er sich zum Knopf, »ersinne was, womit du die Hedwig beruhigst. Sie möchte sich grämen ohne Noth. Hüte mein Haus so lange, bis ich zurückkehre.« Einen bedeutungsvollen Wink, den er hinzufügte, verstand der Knopf und versprach die beste Besorgung des Auftrags. Riedinger hatte sich angekleidet und verließ mit dem Boten des Fürstabts das Haus. Die Leute im Dorf steckten die Köpfe zusammen und flüsterten sich ihre Muthmaßungen zu. Hedwig hatte die Abziehenden von ferne noch gesehn und stürzte nun schreckenbleich in's Gemach. »Was ist's mit dem Großätti?« rief sie.
»Aengstige dich nicht, Hedwigl!« beruhigte der Knopf. »Der Fürstabt hat ihn zu sich entbieten lassen einer neuen Steuer wegen, die er aufzuschreiben gedenkt. 'S ist halt das alte Lied!«
»Ihr wollt mich hintergehen!« zweifelte Hedwig. »O gewiß werfen sie ihn nieder in den finstern Thurm, den alten Mann! O sagt's doch! Nicht wahr, Ihr wollt mich hintergehen?«
»Gewiß nicht!« versicherte Schmid nicht ganz unbefangen. Die Vermuthung Hedwig's schien ihm gar nicht unwahrscheinlich, und die Sorglosigkeit, die er heuchelte, empfand sein Herz nicht. Den beiden Fremden theilte er das Vorgefallene mit und ermahnte Hedwig, ihre Anwesenheit gegen Jedermann zu verbergen, der Vorsicht wegen, wie er sagte. Hedwig aber schöpfte einen andern Verdacht daraus und ihre Seele war sorgenschwer, wenn sie auch vor den Gästen beruhigt und unbefangen zu erscheinen suchte, die ihrerseits ebenfalls trüben Gedanken nachzuhängen schienen. –
Sebastian von Breitenstein, der Fürstabt zu Kempten, ging mit schweren Schritten in seinem Prunkgemache auf und ab. Sein Haar begann schon zu grauen und seine Gestalt beugte sich unter der Last der Jahre; die hellgrauen Augen blitzten zornig unter den buschigen Brauen hervor und die Zornader auf seiner Stirn schwoll. Er war in ein prächtiges, hermelinverbrämtes Hauskleid gehüllt, so wie die ganze Umgebung mehr den wollüstigen Prunk eines morgenländischen Dynasten, als eines deutschen Kirchenfürsten Behausung gestatten mochte, zur Schau trug. Er war in lebhaftem Gespräch mit einem andern Manne begriffen, der in seiner einfach dunklen Ordenstracht der Gesellschaft Jesu seltsam gegen jenen abstach. Der Gegenstand, der hier verhandelt wurde, war von dem höchsten Interesse; das Gespräch betraf nichts weniger als die Bewegungen der Zeit und die Maßregeln, dieselben in das rechte Bett zu lenken. Sebastian von Breitenstein war auf's Heftigste erzürnt gegen seine unruhigen Bauern, welche die gnädige Last, die er ihnen aufzubürden geruht hatte, abzuwerfen strebten. »Aber sie sollen es büßen!« rief er aus. »Sie sollen's mit ihrem Blut bezahlen, oder ich will mein Haupt nicht zur Ruhe legen. Ich will Feuer in ihre Dörfer werfen, und meine Hunde sollen sich satt trinken in ihrem Blute. Wie der Zorn Gottes will ich über sie fahren, ehe sie sich nur besinnen können!«
»Nicht zu rasch, fürstliche Gnaden!« sagte der Jesuit mit feinem Lächeln. »Ihr würdet mehr verderben, denn gut machen. Habt Ihr je gehört, daß man mit Keulen um sich schlägt, wenn man sich einen bissigen Hund gegenüber befindet?«
»So meint Ihr wohl gar, ich sollte gnädig drein schauen, wenn mein Fürstenmantel mit Koth besudelt wird?« rief der Fürstabt heftig.
»Von Gnade kann jetzt nicht die Rede sein!« entgegnete der Jesuit. »Die Zeit hat sich also trübselig gewendet, daß der Bauer das Heft des Schwertes in der Hand hält! Wir müssen es durch unsere Sünden verschuldet haben, daß es also ist. Seht Euch um in den Oberlanden und meßt dann die Kräfte des Bundes, ob sie ausreichen gegen die Rebellenhaufen! Ihr seid noch nicht am schlimmsten dran, denn Eure Bauern scheuen noch die Gewalt, jagen einem Phantome nach, das sie Recht nennen; Ihr werdet wissen, wie es damit beschaffen ist – Laßt sie gewähren und seid mild und freundlich.
Schläfert sie ein durch Nachsichtigkeit und anscheinende Sorglosigkeit, bis die Zeiten sich zu Euren Gunsten ändern. Man muß sich in die Zeit schicken, so will es der jetzige Weltlauf.«
»Dreimal verflucht sei der Teufel, der in die Heerde dieser Säue gefahren ist!« zürnte der Fürstabt.
Der Jesuit lächelte über diesen Zornausbruch des geistlichen Hirten. »Das ist niemand Anderes, als der Mönch zu Wittenberg!« sagte er. »Der hat der Welt ein Licht aufgesteckt, das ihr zum Irrlicht geworden ist. Und sein Jünger und Widersacher, der Thomas Münzer, ist ein noch ärgerer Teufel und Antichrist, als er. Denn was der Mönch nicht gewollt, das thut dieser Wiedertäufer und Höllensohn. Seine Abgesandten durchstreifen das ganze Land. Erinnert Ihr Euch noch, was Ihr vor einem Jahre sagtet: »Gottlob, bis hieher ist die lutherische Ketzerei noch nicht gedrungen!« und heute predigt der Lorenz Waibel zu St. Lorenz das lutherische Evangelium. Aber tragt keine Scheu vor dem; der thut Euch keinen Schaden, denn er warnt vor Empörung und Gewalt. Viel schlimmer sind jene Prädicanten, die aus der Schule des Münzer gekommen sind. Auf offnem Feld, auf freien Wiesen, auf einem Hügel, am Waldessaum oder im Dunkel der Nacht stehen sie und verkünden das Evangelium der Armen, und alles Volk drängt sich um sie und hängt an ihrem Munde, und fast getraut sich kein Priester mehr an solchen Bauernhaufen vorüberzugehen, in die ein fremder mörderischer Geist gefahren ist. Selbst die Anhänger Luther's und Zwingli's fallen ab und wenden sich dem neuen Propheten zu, den Gott in seiner Gnade verderben möge!«
»Mit Feuer und Schwert will ich ausziehen und diese heillosen Gotteslästerer verderben!« eifere Sebastian von Braunstein. »Den Vögeln des Himmels will ich ihr Fleisch zu essen geben, daß die bethörte Rotte sich bekreuzen soll vor dem Aas ihrer Lügenprediger!«
»Ihr seid übel berathen, wenn Ihr dies Vorhaben auszuführen gedenkt!« antwortete der Jesuit kalt. »Ihr gießet nur Oel in die Flamme, wenn Ihr die Baalssöhne zu Märtyrern macht. Hätten das die Herren bedacht, wer weiß, ob nicht die ganze Tollheit in Asche zusammengesunken wäre. Der gemeine Mann glaubt erst recht an das Ketzerthum, wenn Ihr ihm die Bluttaufe gebt; laßt Ihr's aber mit Geringachtung seines Weges gehn, so wendet er sich endlich ab und schämt sich seiner Thorheit. Wo kein Widerstand ist, da ist kein Sieg, und wo kein Sieg ist, da ist keine Begeisterung. Hätte man den Mönch zu Wittenberg ruhig gewähren lassen, so wäre er nicht abgefallen von der alleinseligmachenden Kirche, deß bin ich der festen Ueberzeugung, und alle diese Fährniß wäre nicht gekommen. Drum rathe ich Euch als treuer Freund: lasset sie predigen, so viel sie mögen, und selbst wenn Euch der Teufelssohn, der Münzer, der in Eurer Landschaft sein Wesen treibt, in die Hände fallen sollte, so laßt es nicht öffentlich geschehen, sondern verfahrt säuberlich mit ihm, versteckt ihn in eine unterirdische Kammer oder macht mit ihm, was Ihr wollt, nur nicht unter den Augen des Volks.«
»Es wird doch die Zeit kommen, wo ich die Rebellen öffentlich züchtigen darf!« knirschte der Fürstabt.
»Sie wird kommen, verlaßt Euch drauf!« tröstete der Jesuit. »Keine Krankheit dauert ewig, sondern die kräftige Natur trägt den Sieg davon. Die umgekehrte Ordnung ist eine krankhafte Verirrung der Natur; sie wird wieder in's alte Gleis kommen, und der kranke Theil wird ausgeschnitten werden. Kriege sind nothwendig, wie Blitz und Krankheit, welche die Luft und den menschlichen Leib säubern. Das deutsche Reich wäre längst ein stinkender, nichtsnutziger Fettklumpen geworden, wenn ihm nicht von Zeit zu Zeit eine Ader gesprungen wäre.«
Die Ankunft Konrad Riedinger's wurde gemeldet. Eine hämische Freude blitzte in des Fürstabts Antlitz auf. Dem Jesuiten blieb dies nicht verborgen. »Soll ich errathen, war Ihr mit dem Manne beginnen wollt?« sagte er.
»Es ist nicht schwer zu errathen!« entgegnete Breitenstein. »Ihn hass' ich vor Allen, denn er verführt mir das Volk zum Ungehorsam, das ihm mit wahnsinniger Verehrung anhängt. In den Block lass' ich ihn werfen, bis mir die Landschaft sein Leben und seine Freiheit auf den Knieen abbettelt.«
»Thut es, wenn Ihr morgen auf den Trümmern Eurer Herrlichkeit ein Klagelied singen wollt! Die ganze Landschaft ist in Waffen und selbst diese Stadt hängt dem Bauernvolke an. Könnt Ihr ein Kriegsheer aus der Luft greifen, Euch zu schützen? Fragt doch den Bund, ob er geneigt und fähig ist, den Brand zu löschen, wenn er ausbrechen sollte?!«
»Verdammt!« grollte der Fürstabt und stampfte mit dem Fuße das Estrich. »Die Rolle, die Ihr mir auferlegt, steht mir nicht gut an, und doch begreif ich's nur zu wohl, daß sie die einzig rettende ist. Wohlan, so will ich mindestens dem Bauer die gefurchte Stirne zeigen, wenn er den Donner meines Zornes noch nicht hören soll!«
Riedinger trat in das fürstliche Gemach, verbeugte sich und sah den Prälaten ruhig und mit fragender Erwartung an. Breitenstein aber trat ihm mit rollenden Augen gegenüber; der stolze Anstand des Greises schien seinen Unmuth nur noch zu erhöhen, seinen Zorn zu entflammen. Riedinger ertrug diesen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. »Bist du der Rebell?« fuhr jener endlich heraus, ohne den Wink des Jesuiten zu brachten.«
»Ihr benennt mich mit einem Namen, den ich nicht verdiene!« entgegnete der Bauer ruhig.
»Ha, willst du leugnen, daß du mein Volk aufgereizt zum Ungehorsam gegen seine rechtmäßige Obrigkeit?« zürnte der Fürstabt. »O ich kenne dich noch von früher als einen widerspenstigen, heimtückischen Gesellen! Warst du nicht der Sprecher und Rädelsführer der rebellischen Versammlung zu Luibas? Schmähtest du dort nicht meinen Namen, um Haß gegen mich zu säen?«
»Nein, Herr!« antwortete Riedinger. »Wer Euch das berichtet hat, hat's unverschämt in seinen Hals gelogen. Ich verführte Niemanden zum Ungehorsam gegen Euch, vielmehr handelte ich redlich, den aufgeregten Sinn der Bauernschaft in Pflicht und Schranken zu halten. Die Versammlung zu Luibas war nicht rebellisch, sondern unserm uralten Recht und Herkommen gemäß. Wir hatten auch keinen andern Zweck, als unser gut verbrieftes Recht vor Kaiser und Reich zu vertreten, wie wir es dürfen als freie Männer. Ich schmähte auch Euren Namen nicht, sondern ich rügte nur, wo Ihr uns an unseren Freiheiten beschädigt. Dies Alles verhält sich also, wie ich's auf's Meßbuch beschwören will!«
»Ketzer, als ob ich nicht wüßte, daß du der verdammten lutherischen Secte angehörst!«
»Ihr irret wiederum!« entgegnete Riedinger. »Ich bin ein rechtgläubiger katholischer Christ!«
»Weißt da wohl, daß ich dich in den Thurm sperren lassen kann, daß dein Auge das Licht des Himmels nicht mehr sieht?« fuhr der Fürstabt fort. »Dann werden sich die Meuterer wohl zur Ruhe begeben, wenn ihnen die Seele genommen ist.«
»Ihr könnt es, weil Ihr jetzt die Gewalt, nicht weil Ihr das Recht habt!« erwiederte der Bauer. »Ich that nichts Sträfliches; darum erschien ich ohne Arg vor Euch. Ich werde tragen, was Euer Zorn über mich verhängt, obgleich es ein nutzloses Opfer sein würde. Jeder freie Mann denkt nicht anders als ich, und Ihr thut mir grauem schwachen Manne zu viel Ehre an, wenn Ihr mich die Seele der Bauernschaft nennt, welche den Namen »Meuterer« nimmer verdient. Ueberliefert mein Haupt dem Henker! Unser Recht bleibt doch lebendig!«
Breitenstein biß sich auf die Lippen; sein Blick traf den des Jesuiten, und er erinnerte sich an dessen Warnung. In milderem Tone fuhr er fort: »Ich will dein Verderben nicht, noch das meines Volkes, dem ich in wahrhafter Liebe zugethan bin. Gerechten Beschwerden abzuhelfen, war ich stets bereit«
»Wärt Ihr's gewesen, so würden wir nicht zu diesem letzten Mittel gegriffen haben;« versetzte Riedinger. »Wir haben lange der Güte gepflogen, und Ihr habt uns nicht hören wollen. Versprechungen sind wohlfeil; aber wir sind gewitzigt worden.«
»Was hofft Ihr von dem Schritt, den Ihr thun wollt?« entgegnete Breitenstein. »Der Kaiser selbst kann mich nicht in meinen Rechten schmälern. Was ich Euch nicht freiwillig zugestanden, erlangt Ihr auch nicht durch Zwang. Ihr verschwendet Geld und Mühe umsonst. Riedinger, du bist ein vernünftiger Mann. Schaue doch hell in die Verhältnisse und halte die Landschaft von so verderblichem Thun zurück.«
»Das kann ich weder, noch will ich es! « antwortete der Greis. »Die Gemeinden haben's reiflich erwägt und beschlossen, und so wird's geschehen!«
Der Fürstabt winkte heftig mit der Hand das Zeichen der Entlassung. Riedinger verließ das Gemach. Draußen wartete sein Begleiter. »Ihr geht frei aus?« fragte er zweifelnd. – »Ich denke wohl!« entgegnete der Bauer. »Ihr seht, ein gutes Gewissen läßt nicht zu Schanden werden.«
Breitenstein's Groll brach wieder aufs Heftigste aus. »Ich will diesen tölpischen Bauerntrotz brechen,« rief er, »bei meinem adligen Blute! Sie sollen als Knechte vor mir knieen, und Keiner soll mehr eine Sprache führen, wie dieser rebellische Graukopf. Die Selbstverleugnung, die ich mir heute auferlegt, sollen sie mit Millionen Thränen bezahlen!«
»Doch erst, wenn Ihr selbst kein Gläubiger mehr seid, den sie also hart pressen!« bemerkte der Jesuit. Der Fürstabt sah das höhnische Lächeln nicht, das um seine Lippen zucke. –