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V.

Lehnhardt, der ehemalige Landsknecht, den wir seit einiger Zeit aus dem Gesichte verloren, zeigte sich seinem neuen Stande vollkommen gewachsen und machte seiner Schellenmütze und dem bunten Gewande, das ihn unvergleichlich wohl kleidete, alle Ehre. Er hatte sich durch seine Späße die Gunst des Grafen gewonnen, was bei dem rauhen herrischen Charakter desselben viel sagen wollte, und stand in Folge dessen bei allen Bewohnern des Schlosses in hohem Ansehen; denn wenn man auch den begnadigten Raubgesellen heimlich haßte und beneidete, so durfte man diese Gesinnungen doch nicht kundgeben, weil Lehnhardt die Macht besaß, sich empfindlich zu rächen. Er stellte sich auch, als ob er alle die Zuvorkommenheiten, die man ihm bewies, für baare Münze annehme, obwohl er klug genug war, den eigentlichen Beweggrund einzusehen.

Lehnhardt war ein Lebensphilosoph, der, wie er sich selbst ausdrückte, das Gewürm, Mensch genannt, hinreichend kennen gelernt hatte, um zu wissen, daß kein gutes Haar an ihm war. Da ihn selbst die selige Befriedigung, für fremdes Wohl gewirkt zu haben, eine unbekannte Größe war, so konnte er sie auch nicht bei Anderen voraussetzen, und wie er selbst daher nur immer im eigenen Interesse handelte, so glaubte er, sei es bei allen Menschen der Fall. Den Augenblick benutzen, selbst aus dem Unglücke noch den besten Vortheil ziehen, Niemanden lieben als sich selbst – das waren die Grundzüge seiner Lebensklugheit, und er besaß in der That die Geschicklichkeit, diese Grundsätze praktisch auszuführen.

Menschen, wie er, haben keinen Freund; zu der Liebe, weiche die edelste Selbstaufopferung fordert, vermögen sie sich nicht zu schwingen, und die Treue halten, sie nur so lange, als sie es mit ihrem Vorheil verträglich halten. Lehnhardt hatte dies Alles schon thatsächlich bewiesen. Seinem Stande gemäß schon Parteigänger, war es ihm gleichgültig, welcher Fahne er diente, und wer ihm das Meiste bot, hatte ihn gewonnen. Obgleich ihn die Dankbarkeit an den Grafen hätte knüpfen sollen, um so mehr, als dieser ihm ein gütiger Herr war, so würde er doch nicht lange unentschieden gewesen sein, hätte sich ihm eine vortheilhafte Stellung geboten. Bis jetzt war dies noch nicht der Fall gewesen, und Lehnhardt befand sich zu behaglich, nun an einen Schicksalswechsel zu denken.

Pater Benedikt war noch immer Caplan auf dem gräflichen Schlosse, allein er fühlte mehr als je, daß der Boden schwankte, auf dem er stand. Die ketzerische Lehre breitete sich, trotz seines unermüdeten brünstigen Gebets, immer mehr aus, und wenn der Graf, wie zu fürchten stand, offen zur protestantischen Kirche übertrat, so mußte er den Staub von seinen Füßen schütteln und die Schwelle verlassen, die seine Heimath geworden war. Er vermochte nur mit Schauder an die Trennung von den Fleischtöpfen Aegyptens zu denken, und warf dann immer seufzend einen schmerzlich wehmüthigen Blick auf sein wohlgenährtes Bäuchlein, das eine beneidenswerthe Fülle und Rundung erhalten hatte. Aehnlich verhielt es sich mit seinem Antlitz, das rund und glänzend wie der Vollmond war. Die kleinen Augen lagen in Tiefen von Fett, und die Nase erhob sich wie ein Leuchtthurm über die Fleischmassen. Der Neid sagte ihm nach, daß der genossene Wein diese Zierde des menschlichen Gesichte so purpurn gefärbt. Wer aber kann Verleumdern entgehen? Pater Benedikt nahm sich's auch nicht zu Herzen, sondern genoß in philosophischer Ruhe die Freuden des Lebens, in welcher ihn nur zuweilen der Gedanke an die Zukunft störte. Wäre Luther nicht auf der Welt gewesen, in Pater Benedict hätte die Sonne den glücklichsten Menschen beschienen. Seine geistlichen Berufsgeschäfte dienten nur dazu, das ermüdende Einerlei angenehm zu unterbrechen, und sie waren nicht so umfangreich, ihm Anstrengung in kosten. Er war ein Eiferer, aber nur in Beziehung auf den rebellischen Bruder Martin, der der Feind seiner Ruhe war. Der junge Graf war seinem Unterricht entwachsen, wodurch ihm eine bedeutende Last abgenommen worden war. Der Graf selbst und die übrigen Hausgenossen hegten eine beklagenswerthe Gleichgültigkeit gegen seinen geistlichen Beistand. So ward er wider Willen auf die Ruhe hingewiesen.

Pater Benedikt würde in besseren Zeiten den Narren Lehnhardt kaum seiner Beachtung gewürdigt haben; jetzt aber hatte der anerkannte Günstling des Grafen Gnade vor seinen Augen gefunden, und er schloß sich ihm mit salbungsvoller Herablassung an. Vielleicht fühlte er auch in Wahrheit das Bedürfnis mit einem lebenden, denkenden Wesen umzugehen. Wie dem auch sei, Lehnhardt und Benedict saßen oft stundenlang in vertrauter Unterhaltung beisammen, und da das Sprechen natürlich die Zunge trocken macht, so nahm Benedict stets die Pflicht über sich, für einen frischen Labetrunk zu sorgen, der im Keller des Schlosses entsprang. Lehnhardt hatte bei diesen unschuldigen Vergnügungen so wenig Respect vor der geistlichen Würde seines Genossen, daß er nicht selten die Geißel einer scharfen Satyre über ihn schwang, und Benedict merkte es in den meisten Fällen gar nicht.

Auch heute saßen die beiden Zechgenossen beisammen. Lehnhardt hatte behaglich die Beine von sich gestreckt, die Schellenmütze saß keck auf seinem rothbehaarten Kopfe, und die unschönen Züge verzerrten sich zu einem schlauen Lächeln, das sie eben nicht anmuthiger machte. Ihm gegenüber saß Benedict, die Hände auf dem ehrwürdigen Bauche gefaltet; zwischen ihnen stand ein Krug, und zwei mit dunkelm Roth gefüllte Gläser deuteten hinlänglich auf den Inhalt desselben.

»Sage mal, Pater,« begann Lehnhardt gähnend, sein Glas gegen das Licht haltend, daß es wie Purpur strahlte, und den Wein dann mit wahrem Hochgenuß schluckend, »sagt mal, was Ihr anfangen würdet, wenn der Graf plötzlich sagte: Pfaff, scheer' dich zum Teufel! Du hast meinem Wein und meiner Küche lang genug zugesprochen, selbst an den Fasttagen, wo –«

Benedict erschrak vor dem Gedanken. »Gott und alle Heiligen mögen uns davor behüten!« rief er. »Nein, nein! So tief läßt der Herr seine Kirche nicht sinken! Das Maß der Ketzerei ist überall; es wird ihr ein Ziel gesetzt werden, und mein eifriges Gebet wird verhüten, daß ihr Saame in diese Hallen dringe!«

»Bei Gott ist kein Ding unmöglich, wißt Ihr ja!« bemerkte Lehnhardt. »Ich setze den möglichen Fall, und der Weise – oder vielmehr der Narr, sintemal der Narr der größte Philosoph ist – pflegt sich auf alle Fälle vorzusehen. Bedenkt nur dieses göttliche Maß, das Ihr schwerlich auf zehn Meilen in der Runde wiederfinden durftet – bedenkt die unterirdische Quelle, die Euch dann verschlossen wäre! Füllt der Gedanke Euer Gebein nicht mit Zittern? Wie würde dann der Umfang Eures heiligen Leibes zusammenschrumpfen und uns andern armen Menschenkindern ähnlich werden; und Eure Nase, die im Wiederschein des Weines leuchtet, würde dann traurig verglühen als Denkmal der gesunkenen Herrlichkeit!«

»Ihr wißt wahrhaftig so lebendig zu schildern,« entgegnete Benedikt unruhig, »daß ich fast die Täuschung für Wirklichkeit halte. Aber Ihr nehmt einen undenkbaren Fall an; der gnädige Graf ist ein zu treuer Sohn der heiligen römischen Kirche! Und sollten sich dennoch Symptome zeigen, so – ich weiß, daß Ihr Einfluß habt – so nehmt Euch der verfolgten Kirche an!«

»Die verfolgte Kirche sucht also schon Zuflucht bei der Narrheit!« bemerkte Lehnhardt trocken. »Wie, wenn sich nun einmal der Fall umgekehrt zutrüge?«

»So würde sie Euch liebreich in ihren Schopf nehmen!« antwortete der Mönch salbungsvoll.

»Sehr verbunden!« lachte Lehnhardt. »Ein Pröbchen habt Ihr mir bereits geliefert. Wißt Ihr noch, wie Ihr meine arme Seele mit Gewalt aus den Klauen des Satans retten wolltet? Es kostete Euch viel Mühe, und ich war Euch nicht einmal dankbar dafür.«

»Es war zur Zeit Eurer Umwandlung;« nickte Benedikt »Die Kirche war Euch eine nachsichtige Mutter. Ihr habt noch ein langes Schuldregister aus den Zeiten, deren Erinnerung Euch schmerzlich sein muß, und die ich daher nicht nennen will! Ihr könnt diese Schuld tilgen, wenn Ihr der heiligen Kirche den Dienst erweist, den ich Euch empfohlen habe.«

»Euer Ehrwürden,« entgegnete der Narr trocken, »spielen auf meine Fahrten an, die mich auf dieses Schloß brachten? O ich sag' Euch, es waren lustige Fahrten, und sündhaft können sie auch nicht gewesen sein, denn sie verschafften mir ja das große Glück Eurer Bekanntschaft.«

»Ihr seid der irdischen Gerechtigkeit entgangen,« fuhr der Pater im Predigertone fort, »aber der himmlischen werdet Ihr nicht entrinnen.«

»Ich bin vorläufig mit der erstern zufrieden;« antwortete der Narr, »die himmlische läßt schon einmal mit sich reden. Nicht wahr, Pater? Ihr bietet mir ja die Seligkeit so wohlfeil, als ob ich Euer Bruder wäre! Aber auf unsern Gegenstand zurückzukommen, wißt Ihr wohl, zu welchem Stand ich Euch rathen würde, wenn die Lutherischen Euch die Kutte ausziehen sollten? – Ihr seufzt schon wieder! – Ich würde Euch rathen, ein Narr zu werden, wie ich! Dies Kleid hält Farbe, aus wie viel bunten Lappen es auch zusammengesetzt ist; das Eurige ist schon gar häßlich verschossen. Pfaffen und Mönche werden abkommen; Narren wird's aber geben, so lange die Welt steht, oder wenigstens so lang es Wahrheit giebt. Mit dem letzten Narren wird auch die Wahrheit verstummen, denn wollte sich auch Jeder bestreben, sein eigner Narr zu sein, so würd' es doch Keiner dahin bringen, sich selbst die Wahrheit zu predigen. So werdet Ihr Euch z. B. durchaus nicht gestehen wollen, daß Euch an der heiligen römischen Kirche blutwenig gelegen ist, sondern daß Ihr nur der eignen Leibesnahrung und Nothdurft gedenkt.«

»Wie mögt Ihr so Arges von mir denken!« rief Benedikt entrüstet.«

»Ich sag' es ja: Keiner kann sein eigner Narr sein!« antwortete Lehnhardt ruhig. »Ihr habt mich Eurer Freundschaft gewürdigt, und ich halt' es für einen Liebesdienst, den ich Euch schuldig bin, wenn ich Euch zuweilen einen Spiegel vorhalte, in dem Ihr Euch beschauen mögt. Ich verlange dafür gar nicht einmal Dank. Der Graf nährt und kleidet mich doch, aber bei Euch geht die Wahrheit betteln.«

»Ich halt' Euch für einen vernünftigen Mann,« sagte Benedikt indem er einen Schluck Wein durch die Zähne gleiten ließ, »und darum hab' ich Euern Umgang jedem andern vorgezogen. Ich habe nicht auf's Kleid gesehen, sondern aufs Herz: wir sollten uns enger mit einander verbinden!«

»Habt Ihr vielleicht eine Tochter, die Ihr mir zum Weibe geben wollt?« fragte der Narr ernsthaft.

»Spötter!« zürnte der Pater. »Der Bund, den ich meine, bedarf des irdischen Bandes nicht; es ist ein Bund der Seelen!«

»Ei, sagt doch lieber: ein Bund unsres gegenseitigen Vortheils!« erwiederte Lehnhardt. »Ich liebe das Verblümte nicht, bin, wie Ihr wißt, ein Ritter der Wahrheit. Es ließe sich über die Sache sprechen – Ihr führt vortrefflichen Wein und an Seelenspeise wird's auch nicht mangeln. Wißt Ihr, daß die heilige Kirche mir eigentlich schon hochverpflichtet ist? Ja, staunt nur! Ich gab mir redliche Mühe, ihr eine Seele zu gewinnen. Ein braunes Zigeunermädchen war's, so ein Heidenkind war's, das mit meinem Ritter Wolfenzahn ein Schlaraffenleben geführt hatte. Es kam mit uns hieher und blieb zurück, als der Ritter – nun Ihr wißt ja! Ihr hättet hören sollen, mit welcher Beredtsamkeit ich das Heidenmädchen zu bekehren strebte! Aber ach! er fruchtete Alles nichts. Eines Tages fand ich den Käfig leer, und der Vogel war ausgeflogen.«

»Warum sprecht Ihr mich nicht um Hülfe an?« sagte Benedikt vorwurfsvoll.

»Weil ich mir allein das Verdienst erwerben wollte!« entgegnete Lehnhardt. »Es hätt' Euch auch nichts geholfen; denn sie zeigte nicht den geringsten Respect vor einer Kutte!«

»Ich hätte ihr die sieben Höllenstrafen vorgemalt –«

»Ich hab' ihr einen Himmel vorgemalt, und 's hat nichts genützt!«

»Die Feuertaufe hätte sie geläutert, wenn sie verstockt gegen die Lehren der Kirche gewesen wäre!«

»Ich spiegelte ihr eine Hochzeit vor, und sie blieb verstockt. Wie hätt' es Eure Feuertaufe bewirken sollen? Mädchen werden gewöhnlich schwach, wenn man von Hochzeit faselt; die braune Ricca aber war ein Muster ihres Geschlechts. Alle Wetter, sie war verdammt hübsch, sag ich Euch!«

»Also sündige Wünsche zogen dich zu der Heidin?« zürnte der Pater. »Und durch deine irdische Begierde hast du dem Himmel eine Seele entzogen!«

»Ihr seid in gewaltigem Irrthum!« entgegnete Lehnhardt. »Ricca hatte keine Anlagen zu einer Himmelsbraut. Und wenn's auch wäre! Was liegt an der einen Seele, wo die Kirche täglich Hunderte verliert?«

»Die in's ewige Verderben rennen!«

»Darüber will ich nicht streiten; schlag' auch überhaupt vor, daß wir von dem geistlichen Diskurs abwenden und uns ausschließlich an dies Element halten, das mir weit vortrefflicher dünkt, als der ganze Inhalt Eurer Gelehrsamkeit, vor der ich übrigens meine Kappe abziehe! Was unsern Pact betrifft, so versprech' ich Euch, Alles zu thun, was nicht gegen mein Gewissen läuft, das heißt, was ich vor mir selbst verantworten kann, wenn einst die Frage in mir sich aufwirft: wie hast du mit deinem Pfund gewuchert?«

Benedict hatte hiergegen nichts einzuwenden, und beruhigter sprach er mit dem ehemaligen Landsknecht um die Wette dem Kruge zu, bis der letzte Tropfen in Lehnhardt's Kehle rollte. Dieser verließ seinen gastfreundlichen Wirth in einem Zustande, der den selig lächelnden Mönch gewiß über das Fegefeuer hinüber in die Gefilde der Seligen versetzte.

Der junge Graf hatte den ganzen Stolz seines Vaters übernommen. Setzte er schon als Knabe Alles daran, seinen Launen und Einfällen zu fröhnen, so hatte sich im Laufe der Jahre dieser Charakterzug nur noch mehr in ihm befestigt. Nicht in weiblicher Obhut aufgewachsen, war das Milde ihm fremd geblieben, welches Frauenerziehung immer im Gemüthe zurückläßt. Er hatte nur des Vaters Strenge gefühlt und war mit dieser Strenge trotzig in Opposition getreten. Pater Benedict, dem die Sorge für des Knaben geistiges Wohl anvertraut war, wagte dem wilden Knaben nicht ein strafendes Antlitz zu zeigen. Er ließ ihm meist seinen Willen und rühmte dem Pater die Fortschritte seines Zöglings, während diese doch in der That gering waren.

Der Knappe Gottschalk war dafür des jungen Grafen Freund; ihm war er wirklich zugethan und fast alle seine Schritte mußte der alte Diener begleiten, der das ganze Vertrauen des Knaben und Jünglings besaß. Die Mittel, zu denen Ernst seine Zuflucht nehmen mußte, um den Vater zu täuschen, hatten seinem Wesen das Gepräge der Offenheit geraubt, das uns. aus einem Knabenantlitz so wohlthuend entgegenlacht. Es lag etwas Verstecktes in seinen Zügen, das von nicht angenehmem Eindruck war; aus seinen Augen blitzte oft Wildheit und Grausamkeit.

Ernst hatte alle ritterlichen Künste gelernt; er tummelte sein Pferd nach allen Regeln der Kunst, wußte Schwert und Lanze zu führen und traf mit Bogen und Feuergewehr auf hundert Schritte das Ziel. Gottschalk war ihm in all' diesen Dingen Lehrmeister gewesen und galt daher dem Grafen als unentbehrliche Person.

Der Graf war indessen mit der Ausbildung seines Sohnes noch nicht zufrieden. War er oft über den Knaben erzürnt gewesen, der mit einem Bauernbuben spielte, so war er's über den Jüngling noch mehr, der im Gebirge tollen Abenteuern nachjagte und sich herabließ, mit ländlichen Schönheiten Scherz zu treiben, vielleicht sogar sich so weit vergaß, ihre Spinnstuben mit seinem Besuch zu beehren. Dies Alles war des Sprößlings des alten berühmten Grafengeschlechtes nicht würdig, und Gottschalk hatte manchen scharfen Verweis zu ertragen, darüber, daß er gegen seinen Schutzbefohlenen zu nachsichtig sei. Um nun den Sinn seines Erben auf Höheres hinzulenken und seine standesmäßige Erziehung zu vollenden, hatte der Graf einen Entschluß gefaßt, der auch unmittelbar zur Ausführung kommen sollte. Am Hofe des Herzoge Johann zu Weimar sollte der Erhalter seines Geschlechts ritterliche Sitte sich aneignen.

Der Graf pflegte in seinen Beschlüssen stets selbstständig zu handeln. So hatte er auch, ohne Jemanden von seinem Plane zu unterrichten, nach Weimar geschrieben, und der Herzog hatte ihm in einer freundlichen, Antwort seine Bereitwilligkeit kund gegeben, den Sohn eines würdigen Vaters an seinen Hof zu nehmen. Nun erst schien es dem Grafen Zeit, Ernst von seiner nächsten Bestimmung zu unterrichten. Vorher jedoch wählte er einen Begleiter für ihn, und seine Wahl blieb auf Gottschalk haften, der ihm zu diesem Posten am tauglichsten erschien, wenn ihm auch seine Nachgiebigkeit gegen die Launen des jungen Herrn mit Recht mißfiel. Er wollte in dieser Beziehung den Knappen noch besonders ermahnen und befahl ihm, vor ihm zu erscheinen. »Gottschalk,« redete er den greisen Diener an, »du bist grau geworden in meinem Hause; ich habe dich immer treu erfunden, ja du hast dir Verdienste um meinen Sohn erworben, indem du ihm Unterricht gabst: so darf ich auch auf deine fernere Treue rechnen.«

»Ihr könnt Schlösser aus sie bauen!« erwiederte Gottschalk.

»Das weiß ich, mein alter Knabe« fuhr der Graf huldvoll fort, »und ich will dir zeigen, wie viel Vertrauen ich dir schenke. Mein Sohn geht nach Weimar an den Hof des Herzogs Johann; er soll dort die fernere Rittersitte lernen, die du ihm nicht lehren kannst und kein Mensch in diesen Bergen: du wirst ihn begleiten.«

Gottschalk blickte den Grafen erstaunt an. »Weiß es schon der junge Herr?« fragte er.

»Nein! Er erfährt es auch noch zeitig genug!« erwiederte der Graf. »Du schüttelst den Kopf? Ich will nicht hoffen –! Du weißt, Einwendungen vertrag' ich nicht.« – »Gottschalk,« fuhr er in einem fast weichen Tone fort, »es ist mein einziger Sohn, ich lieb' ihn – ich vertraue dir viel – widme ihm deine ganze Sorge!«

»Ich will ihn behüten wie meinen Augapfel!« betheuerte der Knappe.

»Noch Eins! Du warst bisher zu nachgiebig gegen ihn. Dadurch ist meinen Befehlen oft direct entgegengehandelt worden. Das muß in Zukunft anders sein. Sei ihm ein gehorsamer, treuergebener Diener, wo du es unbeschadet deiner Pflicht sein kannst, meine Befehle halte jedoch streng und weiche keinen Finger breit von ihnen ab, aus Gefälligkeit, Liebe oder falschem Diensteifer für meinen Sohn. Vor Allem bewahr' ihn vor jedem Umgang, der seiner unwerth ist. Es soll dir reich vergolten werden, täuschest du mein Vertrauen nicht.«

Gottschalk legte die Hand auf's Herz, zum Zeichen seiner Ergebenheit und ward freundlich entlassen. Der Knappe fürchtete die Widerspenstigkeit Ernst's und war verlegen, wie er ihm die unerwartete Neuigkeit mittheilen sollte. Gegen seine Besorgniß aber nahm sie der Jüngling mit Heiterkeit auf und freute sich auf das neue Leben, das nun beginnen werde. »Da schaut es ganz anders aus,« rief er, »als hier unter Bauern und in Wäldern. Da giebt es schöne Damen mit blitzenden Augen, bunte, rauschende Feste, Abenteuer in Menge! Gottschalk welche Tollheiten wollen wir da ausführen!«

Der ehrliche Knappe seufzte in seinem Herzen über die schwere Rolle, die der Graf ihm zugetheilt, denn er fühlte sich schon bezwungen, ehe noch ein Angriff auf seine gutherzige Nachgiebigkeit geschehen war. Der Jubel des Jüngling wurde durch den Befehl des Vaters unterbrochen, der ihn zu sich rief. Bald kam er jedoch zurück, und seiner Stimmung nach war das Ergebnis der Unterredung ein freudiges.

»Schon morgen reisen wir!« rief er Gottschalk entgegen. »Sattle die Rosse – es gilt noch einen Ritt! Muß doch Abschied nehmen von der kleinen Margareth!«

»Ich wag' es nicht!« zögerte Gottschalk. »Ich habe dem Herrn Grafen versprechen müssen –«

»So bleibst du, und ich reite allein!« trotzte der Jüngling.

»Warum nicht gar!« rief der Knappe. »Dazu überredet Ihr mich nun vollends nicht! Es ist niemals zum Guten ausgeschlagen, wenn ich Euch allein ließ. Mag's denn drum sein – das letzte Mal! Welch' schwere Verantwortung ladet Ihr auf mich!« Er ging, mit sich selber zürnend über seine Schwäche, die Rosse zu schirren, und bald flogen die beiden Reiter über die Zugbrücke in's Freie.

Als sie an der Stelle vorbeikamen, wo Kolbach 's Haus gestanden hatte, schlug Gottschalk andächtig ein Kreuz. Die Brandstätte war noch sichtbar, und in der Nachbarschaft ging die Sage, daß der Geist des verbrannten Bauern zur Nachtzeit aus dem Walde komme, dann sich auf den verkohlten Schutt setze und kläglich wimmere. Diese Sage fand um so mehr Glauben, als man von je eine gewisse Scheu vor dem finstern Manne getragen hatte.

Die Reiter waren an einer einsamen Jägerwohnung angekommen; beim nahenden Hufschlag war ein Mädchen herausgetreten und hatte den Jüngling mit lebhafter Freude begrüßt. Ernst sprang vom Rosse, umfaßte die Dirne und küßte sie. Sie blickte ihn mit hellen Augen an und ihr ganzes Wesen war Feuer und Leben. Dann zog sie ihn in das Haus.

Gottschalk band die Rosse an einen Baum und warf sich auf die Bank, die vor der Jägerhütte stand. Er war unzufrieden mit sich und schalt sich einen Schwächling, der in dem Augenblicke die Pflicht verletze, wo er sie zu halten versprochen, und der das Vertrauen seines Herrn schlecht belohne. Indessen sah er wohl ein, daß geschehene Dinge nicht zu ändern sind, und ließ sorglos die Sonne auf sich scheinen, die durch die grünen Tannen funkelte. Fröhliches Pfeifen, das sich unfern vernehmen ließ, störte ihn in seinen Betrachtungen, und bald stand der Jäger vor ihm, der mit einem pfiffigen Blick fragte, indem er auf das Haus deutete: »Besuch?«

»Wie Ihr seht!« entgegnete Gottschalk. »Doch werden wir Euch nicht mehr belästigen: Morgen ziehen wir fort.«

»Das ist schlimm für Margreth!« meinte der Jäger. »Das Mädel hat mehr von der Liebe geschmeckt, als sie sollte. Ihr versteht mich wohl? Nun, ich durft' es ihr nicht wehren. Verdank' ich nicht dem jungen Herrn die Stelle? So war's meine Pflicht und Schuldigkeit, daß ich dem Mädel Obdach gab, auf das er sein Auge geworfen, und die meinigen zudrückte, wenn er eine verliebte Schäferstunde hielt.«

»Ihr wißt Euer Gewissen gut zu füttern!« bemerkte Gottschalk. »Ich hätt' es nicht gethan, so wahr ich ein ehrlicher Kerl bin! Euer Vorgänger muß sich noch im Grabe umwenden, wenn er sieht, daß sein einziges Kind – na, es ziemt mir nicht, despectirlich von meinem Herrn hinter seinem Rücken zu reden, aber in's Gesicht hab' ich's ihm schon manchmal gesagt. Was soll nun daraus werden?«

»Dafür lass' ich Andere sorgen,« erwiederte der Jäger; »zunächst den jungen Herrn. Was soll ich mir den Kopf darüber zerbrechen?« –

Der junge Graf kehrte endlich mit Margreth zurück. Die Augen des Mädchens waren verweint, sie schluchzte noch und trocknete sich die Thränen von den Wangen. Ernst warf dem Jäger eine Börse zu: »Sorge für Margreth,« sprach er, »bis ich wiederkomme. So wahr dir dein Leben lieb ist, daß dem Mädchen kein Unheil wiederfährt.«

Der Jäger versprach hoch und theuer, für sie zu sorgen, wie für sein eignes Kind. Das Gold klang lieblich in seinen Ohren und rief ein Lächeln auf sein Gesicht. Gottschalk konnte nichts umhin, einen Blick der Verachtung auf ihn zu werfen.

»Leb' wohl, Margreth!« wandte sich Ernst zu dem von Neuem weinenden Mädchen, sie flüchtig küssend. »In einem Jahre komm' ich wieder!« Rasch schwang er sich auf sein Roß, um die Abschiedsscene so kurz als möglich zu machen.

»Vergeßt mich nicht!« schluchzte Margreth ihm nach und verhüllte mit einem tiefen Seufzer die Augen, als die Reiter ihrem Blick entschwunden waren. Der Jäger betrachtete sie mit einem hämischen Lächelns und es ist zweifelhaft, was in diesem Augenblick in seiner Seele vorging. Margreth beachtete ihn nicht; sie war ja nur mit einem Bilde beschäftigt und der Schmerz übermannte sie immer von Neuem, wenn sie bedachte, wie lange die Trennung von dem sein sollte, der das Original dieses Bildes war. –

Der junge Graf spornte sein Roß zum wilden Lauf über Stock und Stein, als ob er mit dem Schauplatz seiner verborgenen Liebessünden auch der Erinnerung daran entfliehen wollte; er pfiff ein munteres Reiterlied, lachte und scherzte, daß dem ehrlichen Gottschalk fast bange wurde. Der alte Knecht schüttelte den Kopf und war nahe daran, seinem jungen Herrn zu zürnen ob der grenzenlosen Herzlosigkeit, die er in diesem tollen Gebahren zu erkennen glaubte, als ihm noch zu rechter Zeit einfiel, daß sich oft der tiefste Seelenschmerz in das Gewand ausgelassener Freude berge, wie er sich aus seiner eigenen Jugend erinnerte. Dieser Gedanke beruhigte ihn einigermaßen über den sittlichen Charakter seines Zöglings, doch wollte er der Sache durch einige Fragen ganz auf den Grund kommen. Er trieb deshalb seinen Falben so nahe, als ihm möglich war, an das Roß seines Herrn und fragte mit weinerlicher Stimme: »Geht Euch denn der Abschied von der armen Margreth gar nicht zu Herzen?«

»Freilich wohl!« antwortete Ernst leichthin. »Ich war dem Mädchen gut, werd' oft an sie denken, an die schwarzen Augen, die wie Diamanten leuchteten; aber soll ich darum weinen, wie ein blöder Schäfer? Das wirst du mir nicht zumuthen!«

»Nun eben nicht!« entgegnete Gottschalk. »Aber Ihr nahmt gar zu kurzen Abschied von dem armen Kinde, das doch mit ganzer Seele an Euch hängt!«

»Sie weinte, und ich bin kein Freund von Thränen, weißt du!« versetzte der Jüngling. »Ich wär' am Ende selbst noch weich geworden, und das wollt' ich nicht. Margreth wird sich trösten; et wird ihr an nichts mangeln – und ich? Ich finde der Abenteuer wohl noch genug, wenn ich erst am Hofe zu Weimar bin.«

»Das will mir nicht gefallen von Euch!« sagte Gottschalk kopfschüttelnd. »Ich hab' nicht das Recht, Euch Vorwürfe zu machen, aber ich meine, Ihr habt nicht redlich an dein Mädchen gehandelt! Es geht mir in's Gewissen, daß ich bisher stillgeschwiegen zu den Heimlichkeiten!«

»Erstaunt blickte der Jüngling den Knappen an. »Was fällt dir denn ein?« rief er endlich. »Nicht redlich gehandelt! Wie hatte ich anders handeln können? Du muthest mir doch nicht zu, dies Jägermädchen zur Gräfin zu machen?«

»Ihr hättet ihr Herz nicht durch gleisende Worte berücken sollen!« brummte Gottschalk.

»Gottschalk, du wirst alt und langweilig!« entgegnete Ernst. »Bin ich Schuld, daß sie mir's mit ihren schwarzen Augen angethan, als ich sie damals im Walde fand? Du erinnerst dich dessen wohl noch! Wir ritten selbander dahin, und mein Herz dachte nicht an Liebesabenteuer. Plötzlich stutzt mein Pferd, und vor mir aus einem Busch erhebt sich Margreth, schön wie eine Waldnymphe und mit Wangen so roth, wie die Beeren, die sie eben in ihr Körbchen gepflückt. In dem Augenblick war's um mich geschehen. Ich sah ihr unverwandt in 's Antlitz, und bat sie endlich um eine Handvoll ihrer Beeren. Sie reichte mir das Körbchen, und als ich's ihr zurückgab, hatte sie mir auch schon versprochen, mich morgen an derselben Stelle zu erwarten. Wir waren Beide pünktlich und so geschah denn, was du weißt. Ihr Vater ward bald darauf im Wald erschossen gefunden; das verwaiste, obdachlose Mädchen erregte mein Mitleid. Ich verschaffte dem Rubrecht die erledigte Stelle mit dem Beding, sich der Margreth anzunehmen. Konnt' ich mehr thun? Was wäre wohl aus der Dirne geworden, hatte sich's nicht also gefügt?«

»Sie hätt' ihre Ehre nicht verloren!« murrte Gottschalk.

»Laß das Moralisiren, wenn wir gute Freunde bleiben sollen!« sagte der Jüngling ärgerlich. »Bringe dein zartes Gewissen zur Ruhe, es stört mich mit seinem Gebell!«

»Was habt Ihr über die Zukunft des Mädchens beschlossen?« fragte der Knappe.

»Kommt Zeit, kommt Rath!« antworten der Jüngling. »Es findet sich wohl ein ehrbarer Freiersmann für sie. Ich grüble nicht über Dinge, die noch im Schooße der Zukunft liegen.«

Die Antworten des jungen Grafen waren nicht geeignet, Gottschalk's Zweifel über die Charakterreinheit seines Zöglings zu zerstören, aber er fand es nicht für gut, sich noch in weitere Erörterungen einzulassen. Schweigend ritt er daher eine kleine Strecke hinter ihm her. Als sie wieder an die Trümmer des verbrannten Gehöftes Kolbach's kamen, wandte sich Ernst zu seinem Begleiter mit der Frage: ,,Erinnerst du dich noch des alten Schurken, der hier hauste?«

»Warum sollt ' ich nicht!« erwiederte Gottschalk. »Sein Bube hatt' es Euch ja angethan!«

»'S war Kinderthorheit!« antwortete der Jüngling. »Ich glaub' aber, das kleine goldgelockte Mädchen trug die größere Schuld.«

»Der Alte war ein Teufelsbanner, das weiß die ganze Welt!« behauptete Gottschalk. »Er war der verwegenste Wilderer, und selbst Hubert, der doch auch mehr konnt' als Brotessen, vermocht' ihn nicht zu fassen; das war, weil er sich unsichtbar machen konnte! Ihr habt ja den Hubert gekannt, den Vater der Margreth, es war ein wilder, kecker Gesell. – Nun, man fand ihn erschossen, die Leute raunten sich in's Ohr, von wem. Gleich darauf ging des Kolbach Hütte in Feuer auf, der Satanas hatte seinen Braten geholt.«

Ernst lächelte über den Aberglauben seines alten Dieners. »Wo die kleine Marie – so hieß in das Mädchen – wohl jetzt sein mag?«

»Freite sie nicht den Thomas Münzer?« entgegnete Gottschalk darauf; »den Antichrist, des Teufels Beichtvater und Kammerdiener? Da habt Ihr den klaren Beweis, weß Geistes Kind der alte Kolbach war!«

»Dieser Münzer ist ja ein Prediger der neuen lutherischen Lehre!« bemerkte der Jüngling.

»Zu Allstett, Gott erbarm' sich's!« seufzte Gottschalk. »Er ist ein Wolf im Schaafspelze und doch Hirt und Seelsorger einer christlichen Gemeinde. Da wird der Teufel eine reiche Ernte halten, denn sie rennen ihm blindlings in den Rachen, wie Pater Benedikt sagt.«

»Führt unser Weg nicht über Allstett?«

Gottschalk sah seinen Herrn ängstlich fragend an. »Ihr wollt doch nicht« sagte er erbleichend. »Nein, nein! eher mögt Ihr meinen alten Körper zertreten, eh' ich das zugebe! Auch führt unser Weg nicht durch das ungläubige, antichristliche Nest.«

»Laß es gut sein; es war nur ein flüchtiger Wunsch, die kleine blauäugige Marie wiederzusehen!« Gottschalk freute sich, diesmal seinem jungen Gebieter durch den Sinn gefahren zu sein; er ahnete nicht, wie wenig Antheil seine Beredtsamkeit an der Nachgiebigkeit Ernst's hatte. Es war ein gewisses Gefühl der Scham, das ihn eine Begegnung mit Münzer, dem gegenüber er eine grade nicht rühmliche Rolle gespielt hatte, fürchten ließ.

Mit dem anbrechenden Morgen des andern Tages standen die Rosse der Reisenden bereits gesattelt. Kleider und sonstige Effekten sollten aus einem Lastwagen folgen. Die hohe und niedere Dienerschaft des Schlosses hatte sich versammelt und stand entblößten Hauptes am Thorweg, an dem ein Stallknecht die Rosse am Zügel hielt.

Ernst nahm Abschied von seinem Vater. Der alte eiserne Mann hatte des Sohnes Hand gefaßt und drückte sie mit Wärme »Ernst,« sprach er, »du bist der einzige Sprößling unsres alten ehrwürdigen Hauses! Auf dir beruht die Hoffnung, daß der Stamm fortgrünen und blühen wird, der im grauen Alterthum wurzelt. Sei dessen eingedenk! Halte deinen Wappenschild rein und makellos, wie du ihn empfangen hast. Die Ahnen unsres Hauses blicken vertrauensvoll auf dich; täusche ihre Zuversicht nicht! Alles Gemeine stoße von dir, denn es ist nicht genug, einen adligen Namen zu tragen, man muß ihn auch in vollem Glanz erhalten. Verunehre das Blut, das in deinen Adern rollt, nicht durch niedrigen Umgang. Du wirst Genossen deines Standes genug finden! Blicke immer aufwärts, nie abwärts! Und nun leb' wohl, mein Sohn, und grabe diese Lehren fest in deine Brust!«

Der Graf entließ den Jüngling mit einer flüchtigen Umarmung. Im Vorgemach erwartete ihn Gottschalk, und Beide flogen die Wendeltreppe hinab, um sich auf ihre Rosse zu werfen. Eben waren sie im Begriff, dies zu thun, als Pater Benedikt mit würdevollem Schritt an der Spitze der Dienerschaft ihnen entgegentrat und sich räuspernd eine feierliche Anrede begann. Hinter ihm stand Lehnhardt und schnitt die possirlichsten Gesichter, was der jungen Grafen Unmuth in Heiterkeit verwandelte.

»Im Namen der Diener Eures glorreichen Hauses,« sprach der Mönch, »und in meinem eigenen, des geringsten Streiters der alleinseligmachenden Kirche, rufe ich in diesem wichtigen Augenblicke Segen und Heil auf Euer Haupt herab! Ihr tretet zum ersten Mal aus dem Hause, in dem Ihr heranwuchst an Geist und Körper! Ihr verlaßt die fürtreffliche Obhut Eures gnädigen Herrn Vaters und tretet selbstständig hinaus in die Welt, die so reich ist an Verführung und Lockungen zur Sünde. Wenn sie zu Euch treten mit reizenden Geberden und gleißenden Worten, die gottlosen Schalksknechte, so sprecht mit dem frommen Joseph: wie sollt' ich ein so groß Uebel thun und wider den Herrn meinen Gott sündigen? Ich habe einen lautern Samen in Euer Herz gesäet, laßt nicht den Teufel Unkraut darunter streuen. Haltet fest an der heiligen, alleinseligmachenden, römisch-katholischen Kirche und verfolgt die Söhne der Finsterniß, die abscheulichen Ketzer –«

Lehnhardt's Possenspiel, von dem der Pater in seinem Eifer nichts merkte, brachte in diesem Augenblick eine drastische Wirkung auf Ernst's Antlitz hervor Schon lange hatten seine Züge fieberisch gezuckt, nun aber brach seine Heiterkeit in lautes Lachen aus und mit einer leichten Handbewegung gegen den Pater gab er seinem Rosse die Sporen und sprengte durch die bestürzte Dienerschaft über die Zugbrücke. Gottschalk folgte.

Benedikt stand verdutzt. Alle Muskeln seines Gesichts hingen schlaff hernieder, das letzte Wort seiner erbaulichen Rede schien ihm noch in der Kehle zu stecken, und die Hand, die er im Feuer der Declamation erhoben, behauptete ihre Stellung, wie ein Meilenzeiger. Der gute Pater spielte so unbewußt eine überaus komische Rolle, die endlich auf die Dienerschaft ihre Wirkung nicht verfehlte, zumal ihm der Narr mit einem ähnlichen Schafsgesicht gegenübertrat.

Benedikt ließ endlich die Hand sinken, und der Bann seiner Zunge löste sich endlich in den Worten:

»Herr, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!«

Lehnhardt faßte den Mönch vertraulich unterm Arm und führte ihn mit sich fort. »Nun,« fragte er, »wer wird siegen, die Weisheit oder die Narrheit? Laßt Euch ein bunt Gewand machen und eine Schelmengugel, denn Eure Kutte wird fadenscheinig. Wißt Ihr nicht, daß am Hofe zu Weimar die Ketzerei ihre geheime Werkstätte hat? Ihr saht es, wie der junge Herr Euch verlachte; sein Herz hat sich bereits abgewandt der heiligen römischen Kirche. Er wird wiederkommen und Euch treiben aus dem Land, wo Milch und Honig fleußt!«

»O daß ich Euch widersprechen könnte und sagen, es sei nicht so!« seufzte der Mönch.

»Die rothen Quellen werden dann aufhören zu sprudeln,« fuhr der Narr fort, »und es wird Hunger und Trübsal über Euch kommen. Ihr werdet in's Elend wandern und Euer Fleisch kasteien müssen mit Gebet und Fasten!«

Benedict schauderte ob dieser Aussicht, und der Schalksnarr bemühte sich, das Gemälde mit immer lebhafteren Farben auszumalen Er fand einen vollständigen Reiz darin, auf diese Weise den armen Pater zu quälen. Helle Schweißtropfen standen auf der glänzenden Stirn des Mönchs, und seinen ganzen heiligen Zorn schmiedete er endlich in einen furchtbaren Fluch gegen die ganze Ketzerbrut. Dies schien sein sorgenbelastetes Herz einigermaßen zu erleichtern, wenigstens lud er seinen Günstling zu einem Becher Wein ein, welcher, wie er meinte, der beste Sorgenbrecher sei. Lehnhardt hatte dagegen nichts einzuwenden.


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