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II.

Der Tag war zu Ende gegangen; der Himmel breitete seinen nächtlich dunkeln Mantel über die Erde und entzündete seine Millionen Sternenlichter. Die Zweige der Bäume senkten sich unter der Last des Schnees, die sie, vom Wind bewegt, oder wenn Einer der in ihrem Schatten gehenden Männer sie mit dem Haupte berührte, wie einen feinen dichten Staubregen abschüttelten. Der Knopf von Luibas und der fremde Täufer gingen selbander durch die schweigende Nacht auf wenig gebahnten Wegen; daß aber vor Kurzem erst Andere denselben Weg gewandelt, bezeugten die frischen Fußtapfen, die alle nach einer Richtung führten.

»Solche Wege müssen wir gehen,« sagte der Knopf, »um nicht in die Witterung der geistlichen Spürnasen zu kommen; denn die lutherische Lehre ist unsern Pfaffen ein Greuel, den sie ausrotten möchten mit Stumpf und Stiel. Sie würden gerne das Holz dran wenden, uns zu verbrennen.«

»Es liegt an Euch, ob Ihr die Verfolger oder die Verfolgten sein wollt!« bemerkte der Fremde. »Sprecht nicht, sondern handelt desto mehr!«

»Hast schon Recht!« entgegnete der Schmid. »Aber lug', was Viele wollen, damit muß der Eine zufrieden sein. 'S gilt halt nichts, gegen die Gemeinde zu handeln; schlüg's zum Schaden aus, so –«

»So würde sich dein zartes Gewissen grämen!« spottete der Täufer. »Du schwimmst eben mit dem Strom. Das kostet nicht Mühe noch Arbeit. Aber ich sage dir, wie ein Meer wird es einher brausen, und wehe dem dann, der nicht gerüstet ist!«

»Ich schätze, sie sollen uns nicht wehrlos finden!« entgegnete Schmid. »Wenn der Riedinger nicht wäre, so ging der Betteltanz schon los. Ich hab' zwar 'nen Stein im Bret bei der Gemeinde, aber der Alte hat doch das Prä. Der Alte weiß sich ein Ansehen zu geben, wie kaum ein König. Und stolz ist er, wie Seine fürstlichen Gnaden selber. Hast du dir den Willi belugt, der mit dem Vogte den Spahn hatte? Das ist ein braver herzhafter Bub' und freiet um des Konrad Riedinger's Tochterkind, die schmucke Hedwig. Ader der Willi gehört dem Gotteshaus leibeigen, durch Lug und Trug des Fürstabtes, und darum ist der Alte unerbittlich und würd' es lieber sehen, wenn man die Hedwig in's Grab legte, als daß sie mit dem Willi in's Brautbett stiege. – Lug' um dich,« unterbrach er seinen Bericht, »der Weg geht hier abschüssig; halt' dich an das Wurzelwerk, das da rechts vom Rain herabhängt; du könntest ausgleiten. – Jetzt drück dich nieder; da hängt ein Ast tief über den Weg. – S 'ist doch so finster, daß man die Hand vor'n Augen nicht sieht; die Sterne können halt nicht 'reinscheinen. Bist glücklich vorüber? 'S wird bald besser gehen; wir kommen gleich an's Gewässer und dran geht's fort bis an den See. Lug', dort steigt der Nebel draus auf. Reich' mir die Hand da und thu' einen herzhaften Sprung! So! brav! Nun geht's in grader Strecke fort an dem Gestein da vorbei. Hörst's rauschen? Das ist's Gewässer. Halt' dich nur links an mich. Das Bad möchte zu frisch sein zu jetziger Jahreszeit!«

Sie waren in einer Schlucht hinabgestiegen und nun in ein schmales Felsenthal gelangt, durch welches ein Waldbach, im Munde des Volkes »das Gewässer« genannt, brausend dahin schoß. Der Pfad, der längs seines linken Ufers dahinführte, hatte kaum Raum für zwei Personen. Sie waren eine gute Strecke gegangen, als sich das Thal in einen Kessel erweiterte und eine breite Nebelfläche vor ihnen lag. Das dumpfe Wogen und Brausen verkündete, daß man an einem jener Gebirgsseen stand, die wie blitzende Edelsteine in das Grün des Hochlandes eingewoben sind. Der Knopf pfiff auf dem Finger, daß es an den Bergen wiederhallte, und auf dieses Zeichen regte sich's in dem dichten Gebüsch am Ufer des Sees plätschernd und rauschend, und eine männliche Gestalt tauchte auf, die nach »dem Worte« fragte. »Evangelium und Freiheit!« antwortete der Knopf und stieg mit seinen Gefährten in ein Boot, das, sobald sie darin Platz genommen, sich in Bewegung setzte. Von den starken Armen des Ruderers getrieben, durchschnitt es die wogende Fläche und legte in wenig Minuten am jenseitigen Ufer an. Ein heller Schein schimmerte durch die Bäume, und sie betraten eine Waldblöße, weiche von der einen Seite durch einen hohen Felsen beschützt war. Im Hintergrunde loderte ein Feuer, dessen Rauchwolken sich hoch in die scharfe Nachtluft emporwirbelten. Den Mittel- und Vordergrund füllten menschliche Gestalten, die, auf ihre Aexte gelehnt, an den Lippen des Predigers hingen, der von einem Felsblock herab seine mächtige Stimme erschallen ließ. In der vordersten Reihe, dem Prediger zunächst, stand auch Konrad Riedinger, das klare Auge fest und ernst auf den Prediger gerichtet, neben ihm Willi, ganz versunken in all' das Neue, was er hier zum ersten Male hörte. Die Ankunft der beiden Männer störte die Versammlung nicht; der Prediger schien sie nicht zu bemerken, denn seine Augen blickten wie in Verzückung nach dem blauen sternenbesäten Himmelsgezelt. Der Fremde aber hatte ihn alsbald erkannt und der Name »Münzer« drängte sich über seine Lippen.

Und wirklich war es Münzer, der seine Lehre bis in die südlichsten Marken des deutschen Vaterlandes getragen hatte. Sein Blick schien gegen sonst noch mehr vergeistigt; nur der fanatische Propheteneifer, kein milder Strahl der Menschlichkeit, sprühte aus seinen dunklen Augen; seine Rede aber war um so gewaltiger: wie ein Flammenstrom brauste sie von seinen Lippen, die halbmystischen Bilder, in denen sich die Resultate seines Denkens bargen, drängten und überstürzten sich und rissen die Zuhörer mit sich fort. Er wußte das Volk wohl zu schätzen, indem er die nüchternen Wahrheiten seiner Vernunftlehre in das theosophische Gewand der Mystik kleidete, die sich in dieser Gestalt leichter in die Herzen einschmeichelten. So riß er mit kecker Hand das Gebäude des bisherigen Christenthums nieder und baute zugleich ein anderes auf, das den Bedürfnissen des Volkes mehr entsprach, weil es vor Allem die Forderungen der Zeit berücksichtigte und sich als Heiland für die irdischen Wehen verkündigte.

»Sie haben das ächte Christenthum zu einem Deckmantel ihrer Bosheit gemacht!« fuhr Münzer eben in seiner Rede fort. »Einen Götzen haben sie mit Weihrauch beräuchert und ihn Gott genannt. Aber der wahre Gott wird sie für diese Lästerung strafen und wird ihnen die Larven vom Gesichte reißen. Das Christenthum will nicht, daß sich der Mensch über seinen Bruder erhebe, sondern Jeder soll frei sein und Keiner mehr noch minder, denn der Andere. Es predigt nicht die Knechtschaft, noch ewiges Verderben dem, der wider sie handelt. Das Christenthum besteht nicht im Glauben nach Kasteiungen, nicht in Bildern und äußerem Gepränge, es bedarf weder Tempel noch Priester; wo sich der Himmel wölbt, da ist sein Tempel, und wer sich berufen fühlt, der ist sein Priester. Es fragt nicht: was glaubest du? sondern: wie lebest du? Wer da Gott im Herzen trägt, der ist ein Christ und ein Freier; alle Andere sind Knechte und ausgeschlossen von der christlichen Freiheit. Die Wahrheit ist ein klarer Born, sprudelnd für Alle; wer ihn verachtet und beschmutzt, der ist des Todes schuldig. Jeder Mensch ist zur Freiheit berufen, die Gottlosen aber wollen die herrliche Gabe des Himmels in ihrem ärmern Bruder unterdrücken, darum müssen sie mit dem Schwerte ausgerottet werden! – Die Ernte ist reif, das Evangelium ist verkündet, wachet und handelt, daß Ihr nicht die Zeit der Ernte versäumt! Es werden Zeichen und Wunder geschehen, verkündet die heilige Schrift. Und habt ihr sie nicht mit eignen Augen gesehen? Erinnert Euch nur an das, was unter Euch selbst geschehen. Der Tod schwang seine Sense über Euch, weil Ihr zögertet, dem großem Rufe der Freiheit zu folgen! Der Himmel öffnete seinen Schooß und sendete verheerende Wetter, weil er erzürnt war über die Zaghaftigkeit der Menschen. Der Winter wurde zum Sommer, die Blüthen sproßten aus den Bäumen, wo sonst die Natur noch im starren Frost lag! Es ist ein Zeichen, daß die Welt sich umkehren wird! Die Gewaltigen werden von ihren Stühlen geworfen werden, und die Armen und Niedriggeborenen die vornehmsten Bürger des Reichs Gottes sein! Die Lüge der Pfaffen wird offenbar, ihre Herrlichkeit vergehet wie Spreu, aber die Wahrheit bleibet ewig!«

Er schwieg einige Minuten; die Männer hingen an seinem Munde und blickten mit scheuer Verehrung zu ihm auf.

»Höret mich, Brüder und Freundes« fuhr Münzer fort; »denn der Herr spricht durch meinen Mund! Die Ackerleute sollen den Pflug verlassen, die Hirten sollen ihrer Heerde nicht mehr achten, so ich rufe zum heiligen Kampfe; den Sohn sollen nicht rühren der Mutter Thränen, noch den Mann der Gattin Flehen oder der Kinder Wehgeschrei, und Alle sollen kommen, die eine Waffe zu rühren vermögen, und sollen mit ausziehen gegen die Rotte, die das heilige Land gefangen hält. Unter dem Zeichen des Kreuzes werdet ihr siegen, und aus Eurem Blut wird der Baum des Lebens ergrünen! Und nun wendet Euren Blick nach dem heiligen Lande! Nicht jenseit des Meeres liegt es, wohin die Pfaffen Eure gläubigen Väter in den Tod sandten, nicht die Sonne des Morgenlandes wird Euren Scheitel verbrennen! Unter Euch selbst ist das heilige Land, daß Eure Peiniger und Unterdrücker geschändet haben, und das Ihr wieder erobern sollt durch Euer theuerstes Herzblut! Die Heiden sind nicht die schlimmsten Feinde des Christenthums, viel gottloser sind die, so sich Eure Herren und Priester Gottes nennen, und doch voll Arglist sind und Unmilde. Schaut sie an, ob sie Euch lieben wie ihre Brüder, wie der Heiland befiehlt, ob sie Segen spenden den Armen und Trost den Verlassenen! Sie lieben Euer Gut, mit dem sie sich den Seckel füllen, aber nicht Euch, die sie verachten, wie den Auswurf der Menschheit. Fragt Ihr nach dem heiligen Lande, das es zu erobern gilt? Eure Freiheit ist es, dir in schmählichen Ketten gefangen liegt, die Ihr wieder erringen müßt oder sterben. Und der Herr spricht durch mich: du sollst ausziehen und den Gottlosen entreißen das herrlichste Gut, das ich dir gegeben habe, und ich will vor dir herziehen, und du sollst siegen in meinem Namen! – O ihr lieben Brüder! Thut Eure Augen auf und werdet sehend, die Ihr bisher mit Blindheit geschlagen waret! Für wen reifen Eure Felder, für wen sind Eure Berge voll herrlicher Weide? O nicht für Euch, die Ihr im Schweiß Eures Angesichts die Erde pflügt, besäet und hütet! Eure Herren schweigen, und Ihr preiset ihre Gnade, wenn sie Euch essen lassen mit den Hunden! Und wenn Ihr klaget, so sagen sie: Gott will es so, denn wir sind seine Auserwählten; und daß Ihr glaubet, lügen sie ein falsches Evangelium. Es ist aber aus mit ihnen! Sie haben sich selbst erhoben, darum müssen sie erniedrigt werden, denn das Evangelium weiß nichts von Aebten und Bischöfen. Die Zeit ist gekommen! Wachet auf aus dem Schlafe! Den Armen wird das Evangelium gepredigt. Das Reich der christlichen Freiheit beginnt, und ich bin ausgegangen, es zu verkünden! Im Namen Gottes! Amen!«

Münzer schwieg. Er hatte seine Hände gefaltet und blickte noch, wie in stummem Gebet, gen Himmel. Seine Worte waren offenbar von tiefergreifender Wirkung auf die Männer. »Da, da,« sagte Willi zu Riedinger mit begeisterter Freude, »das ist das recht Evangeli. Lug', lug', wie hant die alten Pfaffen gelogen und falsch gepredigt; man sollt' die Buben alle zu todt schlagen! Wie hant sie uns alle herrlich betrogen!« Der Greis antwortete nicht auf den Ungestüm des Jünglings; ein ruhig sinnender Ernst beherrschte seine Züge.

Der fremde Täufer, der mit dem Knopf von Luibas gekommen, hatte den breitgekrempten Hut tief in die Stirn gedrückt, daß er sein ganzes Gesicht beschattete. Als Münzer nun von dem improvisirten Predigtstuhl herabstieg und die Männer ihn jauchzend umringten, drängte sich auch jener an ihn, faßte seine Hand und sprach: »Willkommen im fremden Lande!« – Nun sah ihn Münzer schärfer in's Gesicht und überrascht rief er: »Ha, Kolbach!« – »Der Name ist aus dem Buch des Lebens gestrichen,« entgegnete der Andere. »Ich heiße Pfeiffer, Heinrich Pfeiffer, weil ich den Herren ein Liedlein pfeifen will, davon ihnen die Ohren gellen sollen! O ich hab' dir viel zu berichten! Ich war keiner deiner schlechtsten Boten und hab' selbst die Taufe genommen und gegeben, dem Werke der Rache zu lieb.«

Konrad Riedinger trat an Münzer heran. »Herr,« sprach er, »ich bitt', Ihr wollet mein Haus zur Herberge wählen. Ich denke so Manches über das, was Ihr gesprochen habt, und ich will's Euch mittheilen nach meinem schlichten Verstand. Wo ich irre, möget Ihr mich belehren. Ich denke, Ihr habt viel Wahres und Gutes gesagt, Manches aber will mir nicht in den alten Kopf.«

Münzer warf einen prüfenden Blick auf den Mann, aber die biedere Offenheit, die aus den ehrlichen Augen, aus seinem ganzen treuherzigen Wesen sprach, mußte auch den hartnäckigsten Argwohn niederschlagen, und Münzer war nicht der Mann, der sich durch irgend einen Schein der Gefahr einschüchtern ließ, in seinem Sinne zu wirken. Er hatte wohl bemerkt, daß seine Predigt nicht den überzeugenden, gewaltsam hinreißenden Eindruck auf den alten Mann gemacht hatte, den er bei all' seinen Zuhörern beabsichtigte; um so mehr lag ihm daran, ihn noch für sich zu gewinnen, und seine Einladung war ihm daher willkommen »Ich nehm' Euer freundlich Erbieten gern an,« sprach er, »wenn Ihr nicht in Fährlichkeit meinetwegen zu kommen fürchtet; denn ich vermuthe, der Fürstabt läßt auf mich fahnden.«

»Ich bin ein freier Mann, und kein Mensch kann mir verbieten, gastfrei zu sein;« entgegnete der Greis. »Hegt kein Bedenken, auch nicht um Eure Sicherheit. Ich laß mich lieber auf die Folterbank legen, als daß ich Euch verriethe, und im Nothfall weiß ich Weg und Steg durch's Gebirge.«

»Ich bin der Gefahren gewohnt und erschrecke nicht davor;« versetzte Münzer. »So sei's denn abgemacht!«

Münzer entließ die Versammlung mit einer kräftigen Ermahnung, festzuhalten an dem Evangelium, das er ihnen verkündigt. Dann zerstreuten sich die Männer, ein Jeder nach der Richtung, wo seine Heimath lag. Ein Theil fuhr über den See zurück, unter diesen der Knopf von Luibas und Pfeiffer. Dieser reichte Münzer noch die Hand zum Abschied. »Gute Nacht!« sagte er. »Ich suche dich morgen heim. Gewinne den alten Trotzkopf und du hast viel gewonnen.«

Riedinger schlug mit seinem Gast einen andern Weg ein. Willi gesellte sich zu ihnen, und man konnte wohl bemerken, wie er sich Mühe gab, sich dem Alten zu nähern. Dieser schien ihm jedoch sorgfältig auszuweichen, ohne grade unfreundlich gegen ihn zu sein. Münzer ging schweigend neben dem Gastfreund einher; er schien in sich gekehrt und folgte nur mechanisch dem schmalen Pfade, der sich durch Thaler und Gehölz wand und im fahlen Sternenlicht oft kaum erkennbar war.

»Ihr seid wohl weit in der Welt gewesen?« unterbrach der Greis die peinliche Stille.

»Ich habe das deutsche Vaterland nach allen Enden durchzogen;« antwortete Münzer. »Es ist so schön! Wer sich seiner nur recht erfreuen konnte!«

»Gott hat auch unser Allgäu reich gesegnet!« sagte der Bauer. »Freilich könnt Ihr gar nicht ahnen, wie es schön ist, fest wo der Schneemann seinen Sack drüber ausgeschüttet. Aber lugt mal, wenn der Frühling kommt, wenn die Wiesen im Thale grün werden, die Bäume erwachen und dann aus tausend und abertausend Knospen äugeln, und die Berge im grünen Sonntagsstaat stehen; wenn die Kühe auf die Alm steigen und die Glöckchen läuten, wenn der Senn seine Schalmei bläst und die Vögel ihre Weise in den blauen Himmel singen: da, Herr, da geht Einem das Herz auf, da bewundert der Mensch, wie Gott Alles so gar herrlich gemacht!«

»Wenn nur nicht finstre Tyrannei ihren Nebelschleier über dies schöne Bild gebreitet hätte!«

»Ihr habt all' recht! Freilich meint man, der liebe Herrgott konnte dies Alles nicht zum Vergnügen weniger Menschen geschaffen haben, sondern Alle müßten dessen theilhaftig sein! Aber wenn ich auf der Alm stehe und lug' hinaus weit, weit bis in's Welschland oder in's Reich 'nein, und die Berge und Thäler liegen so vor mir und lachen mich so freundlich an: Herr, da denk' ich nicht mehr dran, daß ich nur ein winzig Sandkorn davon besitze und mir das Sandkorn noch verkümmert wird, sondern ich träum', Alles sei mein, so weit mein Auge reicht, und ich denk' auch nicht mehr an Streit und Zwist, sondern wie Sonntag ist's unter mir, und der Herrgott selber predigt Frieden und Eintracht.«

»Ja, ja, Herr, Ihr dürft's glauben, unser Allgäu ist schön!« mischte sich der Jüngling in's Gespräch. »Ich möcht's um die Welt nicht missen, und sollt' ich auch gleich zum Kaiser werden! Freilich ist Vieles, wie's anders sein sollte! Ihr müßt wissen, Herr, ich bin ein Höriger des Stifts; Gott sei's geklagt, meine Familie ist durch List und Pfiffe dazu gebracht worden. Das verbittert mir's ganze Leben!«

»Schäm' dich, Willi!« sagte der Alte darauf. »Wer wird von sich selbst sprechen? Was kümmert's den Herrn, wer du bist und was du sein möchtest? Geschehenes ist nicht zu ändern.«

»Es muß zu ändern sein!« rief Willi heftig. »Herr, habt Ihr nicht gesagt, daß alle Menschen frei sind, und daß es weder Herren noch Lebeigene giebt, und daß die Herren, die sich's angemaßt haben, ihren Nebenmenschen zu bedrücken, herabgestoßen werden von ihrer Höhe? Dann werd' ich kein Höriger mehr sein und dann –«

»Wirst du zum Rebellen werden, Willi!« fiel der Greis ihm ernst in's Wort. »Willi, was du thust, thust du nicht um der Gemeinde Bestes willen, sondern deinetwegen; und darum kann's keinen Segen haben. Ich weiß, wohin du zielst, Willi! aber ich hab' dir schon meine aufrichtige Meinung gesagt, und da kommt kein Haar davon noch hinzu.«

»O Herr,« wandte sich Willi an Münzer. »Leget doch ein gut Wort bei dem Manne für mich ein. Ich liebe sein Hedwigl und das Hedwigl liebt mich, wir Beide sind so ganz ein Herz und eine Seele. Wir werden sterben vor Jammer, wenn wir nicht zusammenkommen.«

»Muthe dem Herrn nichts Ungebührliches zu!« entgegnete jener streng. »Und wenn der Kaiser selbst käme, so würd' ich ihm sagen: Erlaubt, in meinem Hause bin ich Herr und Kaiser! Ich hab' nur Eins gegen dich, aber 's ist mehr als gnug! Die Hedwig ist eines freien Manns Tochter, sie soll nicht eines Leibeigenen Weib werden. Wenn die Gemeinde berathet, so soll meiner Hedwig Mann nicht stumm stehen, sondern soll auch sein Wort drein geben dürfen. Das hab' ich gegen dich, Willi!«

»Aber wir thun uns gegen den Fürstabt zusammen;« beharrte der Jüngling »Wir werden all' freie Männer!«

»Die Gemeinde hat sich zusammengethan, ihr gutes Recht zu suchen;« entgegnete der Greis. »Bist du unterm Spieß weggegangen? Nein! das können nur freie Männer; thut ihr's, so seid ihr Rebellen. Und nun sprich nicht mehr davon, Willi! Es thut mir in der Seele leid, daß ich also zu dir sprechen muß?; aber du bringst mich dazu, weil du hartnäckig bist gegen meinen Willen. – Lugt, da sind wir an's Dorf kommen. Gut Nacht, Willi! Bist sonst ein braver Bub' und ich gäb' dir's Hedwigl herzlich gern, wenn du ein freier Mann warst. Vergiß des Dirndl und such' dir ein ander Rothbäckerl.«

Willi seufzte und nahm zögernd die dargebotene Hand des Greises; traurig ging er, aber nicht nach seiner Hütte, sondern hinter den Gärten ging er weg und kam an den Hofraum eines stattlichen Hauses. Dort lugte er nach einem Fensterlein und pfiff eine eigenthümliche Melodie vor sich hin. Er wartete geduldig, denn er konnte sich denken, daß die Hedwig mit dem Gast beschäftigt sei. Doch hätt' er auch bis zum Morgen warten müssen, er hätt's gethan. Er trippelte auf und ab, streichelte den zottigen Hofhund, der sich wedelnd an ihn schmiegte, und hauchte zuweilen in die Hände, wenn der Frost sie erstarren wollte.

Es war denn wirklich so, wie der Jüngling ahnte. Konrad Riedinger führte seinen Gast in seine Wohnung, die von Wohlstand und Reinlichkeit zeugte. In dem holzgetafelten Gemach herrschte die größte Ordnung und Sauberkeit; die Bänke, welche um die Wand liefen, und der große Tisch waren blank gescheuert; über dem letztern hing an der Wand ein Crucifix, die Dielen waren mit weißem Sand bestreut. Hedwig saß am Tisch und spann beim Schein des brennenden Kienspahns. Es war ein rosig frisches Mädchen; zwei volle braune Flechten fielen ihr über den Nacken und das Mieder umschloß knapp den vollen Busen. Als der Greis mit seinem Gast in's Gemach trat, flog ihm Hedwig entgegen. »Endlich seid Ihr da, Großätti!« rief sie freudig, schlug aber verschämt die Augen nieder, als sie den Fremden gewahrte.

»Ich hab' einen Gast mitgebracht;« sagte der Großvater. »Schick' zu, was das Haus vermag zu einem späten Nachtimbiß; Ihr müßt freilich vorlieb nehmen, werther Herr! – Dann richt' das Bett her im Dachstübl, wirf ein Paar Scheite in den Ofen, daß es durchwärmt.«

»Bemüht Euch doch nicht allzu sehr!« entgegnete Münzer. »Ich bedarf wenig irdischer Speise; ein Bissen trocknes Brot und klares Wasser ist mir genug. Ich hab' oft noch minder gehabt auf meinen Reisen. Der Mensch bedarf nicht mehr, um zu leben.«

Der Greis gab seiner Enkelin einen Wink, und diese verließ das Gemach. Zuerst aber eilte sie nach ihrem Kämmerlein, schob das Fenster auf und flüsterte ein: »Ich komme bald, Willi!« Willi wartete nun noch einmal so gern. Bald setzte Hedwig nun wohlschmeckenden Käse, frische goldgelbe Butter und Brot mit dem freundlichen »Gesegn's Gott!« vor den Gast, bereitete das Dachstüblein, meldete, daß Alles aufs Beste besorgt sei, und wünschte gute Nacht. Sie übergab sich aber noch nicht den Armen des Schlafs, sondern opferte dem Geliebten noch ein Stündchen. »Weißt du von dem Gaste, den Großätti mitgebracht hat?« fragte sie.

»Freilich!« antwortete der Jüngling. »Sei ja freundlich gegen ihn und thu' ihm Alles zu lieb. Wenn er uns nicht hilft, kann uns Niemand helfen.«

»Was schwatzest du doch!« entgegnete Hedwig. »Wenn uns Gott nicht hilft, wer soll uns dann helfen?«

»Verzeih' mir Gott die Sünde,« seufzte Willi, »aber ich hab' kein recht Vertrauen mehr.« »Wie viel haben wir nicht gebetet, und doch ist's nicht anders worden! Ich glaub', der Herrgott bekümmert sich nicht viel um uns arme Leut.«

»Du bist gottlos, und ich mag dich gar nicht anhören, wenn du so sprichst!« zürnte Hedwig. »Wenn uns Gott nicht hilft, so verlaß dich drauf, es soll nicht sein! Wie soll uns aber der fremde Mann helfen können?«

»O hättst du ihn reden hören!« sagte Willi. »Der spricht so ganz anders als unsre Pfaffen, und wenn man ihn anhört, da ist's, als könnt's nicht anders sein, denn die lautre Wahrheit. Was uns der Herr Pfarrer bisher vorgeschwatzt hat, ist Lug und Trug, und der Fremde weiß es ganz anders. Es giebt gar keinen Unterschied unter den Menschen, und der Hörige ist so gut als der Freie.«

»Ei, das weiß ich schon lang, daß du gut und brav bist, wenn auch ein Höriger, sonst hätt' ich dich auch nicht gemocht. Aber was hilft uns das? Und wenn du noch einmal so brav warst, ein Höriger bleibst du doch!«

»Das wird aber, nicht lange mehr dauern! Der fremde Mann hat 's laut verkündigt, daß wir bald Alle frei sein werden, wir müssen nur selber Hand anlegen. Er hat gesagt, daß es gottlos sei, wie's der Abt treibt, und daß wir ihm nicht Treu und Glauben schuldig sind. Der Mann ist von der lutherischen Lehre, und ich bin's von nun an auch.«

»Du bist von deinem Glauben abgefallen?»

»Geh', geh', was werd' ich das thun? Ich glaub' an den lieben Herrgott, aber an die Pfaffen glaub' ich nicht mehr. Sie sagen eitel Lügen, und nur in der Bibel steht lautres Gottes Wort. Der ganze Allgäu bis an den See hinunter, ja noch weiter bis in die Schwitz und Würtemberg hat das Evangelium angenommen, und die Pfaffen werden bald gar nichts mehr gelten; aber plausch' es nicht aus, denn 's ist noch Heimlichkeit. Der Großätti will sich auch von dem fremden Manne belehren lassen, und der wird's schon machen, denn 's Herz geht Einem auf, wenn er spricht. Ich will ihn nun noch recht schön bitten, daß er ein gut Wort für uns einlegt – oder bring' du es vor, du kannst ja gar beweglich bitten. Der Großätti hat mich wohl gern, aber – ich hab's ihm heute wieder vorgestellt, und er hat mir's rund abgesagt.«

»Ja, ja, was der will, bei dem bleibt's!« seufzte Hedwig.

»Gieb die Hoffnung nicht auf, Hedwig!! Lug', und wenn ich auch von dir lassen müßt, so blieb' ich dir doch treu mein Leben lang!«

»Und ich dir auch, du lieber Bub! Nun geh' heim; die Nacht ist gar viel kalt! Ich will zum Himmelsvater beten, daß er das Herz des Großätti erweicht. Er kann uns ja nicht verderben lassen wollen! Wir lieben uns so sehr, und glaub' mir, das belohnt Gott!«

Sie schieden mit einem langen Kuß. Hedwig legte sich zu Bette, faltete fromm die Hände und betete. Der Engel des Schlafs schloß sanft ihre Augen und freundliche Träume umflatterten sie. –

Der Greis unterhielt seinen Gast, während dieser sich an der frugalen Mahlzeit labte. Er hätte so gerne sein Anliegen noch heute vorgebracht, aber er erlaubte sich's nicht, weil der Gast, wie er sich sagte, der Ruhe bedürfe. So sprach er nur von den Verhältnissen des Landes, wie der Fürstabt ein gar strenger und gewaltthätiger Herr sei, der den Bauer für nichts achte. »Von uralten Zeiten her,« berichtete er, »waren wir eine freie Gebürs; wir wählten einen Schirmherrn, wo wir wollten, dem wir nur gerichtsbar und botmäßig waren, und den wir wechselten, wenn er uns nicht gefiel. Das waren die freien Leute; nun gab's noch Freizinser, die nur einen Zinspfennig auf den Altar legten und ein Schirmgeld dem Schirmherrn zahlten. Aber das gefiel den Fürstäbten nicht; den Freizinsern wurde zuerst außer dem rechten Todfall auch das Besthaupt genommen, dann fing man an, sie mit den übrigen Gotteshausleuten in eine Classe zu werfen; wer sich's gefallen ließ, war nach Jahren ein Höriger und wußte nicht, wie es gekommen. Sie durften nicht freien nach ihrer Willkür; den Freizinsern wurde die Heirath mit ganz freien Leuten verboten, weil nach altem Gesetz Kinder, mit freien Frauen erzeugt, ganz frei waren; aber die Heirath freier Zinsbauern mit Hörigen wurde befördert, weil die Kinder dann Hörige des Gotteshauses wurden. – Der Abt ließ sogar einen Brief schmieden, der eine Stiftung Karl's des Großen sein sollte, worin die geforderten Lasten als uralte Rechte des Gotteshauses verzeichnet standen. Was half's, daß die armen Leute den Betrug ahnten; in ihrer Noth konnten sie sich nur einen andern Schutz wählen, und dann schrie der Abt über Beeinträchtigung, und das Schiedsgericht, aus Edlen und Städtebürgern bestehend, entschied zu Ungunsten der Bauern. Nun erlangte er auch noch des Kaisers Gebot, daß Niemand des Gotteshauses Hörige, freie Zinsbauern oder Altarleute wider den Abt und ohne dessen Willen in Schutz nehme. Klagten unsre Väter und beriefen sich auf ihre alten Freiheitsbriefe, so wurden sie in den Block gelegt; und so wurden sie gebeugt, daß sie sich endlich dem Gotteshaus mit Leib und Gut ergaben. Freie Leute mußten die gleichen Lasten wie die Zinsbauern tragen, wenn sie ein Gut des Gotteshauses pachteten; die Leibeigenen mußten die Hälfte ihrer Verlassenschaft dem Abt verschreiben; vater- und mutterlose Waisen, ihres Erbes beraubt, waren gezwungen, sich als Hörige zu erklären. Steuern und Zinsen wurden auf das Zehnfache erhöht.«

»O barmherzige Geduld, die dies Alles ertragen konnte! rief Münzer.

»Die Bauern machten endlich einen Bund, einander bei ihren alten Briefen und Rechten zu schützen,« fuhr der Greis fort. »Sie wählten sich einen Hauptmann, Jörg Hug von Unterasried, der ihr Sprecher vor dem schwäbischen Bunde sein sollte, denn sie hatten zu ihrem Fürnehmen den Weg des Rechts gewählt. Der Fürstabt nannte Hug den Huß von Unterasried. Die Bauern aber fanden kein Recht, ja die Herren des Schwabenbundes schlugen es noch hoch an, daß sie den Fürstabt von blutiger Rache gegen die Bauern abhielten. Die Bauern wandten sich nun an den Kaiser, aber ihr Botschafter, Heinrich Schmid von Luibas, ward meuchlings niedergeworfen und kam nicht mehr zum Vorschein. Sie thaten sich nochmals zusammen, aber der Entscheid, den sie auf dem Bundestage zu Eßlingen erhielten, war so zu ihren Ungunsten, daß sie ihn verwarfen. Nun wollte sie der Bund mit Gewalt zum Gehorsam bringen. Plötzlich sahen sie sich in ihren Dörfern von Kriegsknechten überfallen; verwundet, verstümmelt sahen sie den Raub an ihrem Hab und Gut, ihre Dörfer in Flammen aufgehen!«

»Und Ihr zögert noch, das Schwert der Rache zu ergreifen?« fragte Münzer.

»Die schwere Hand der Gewaltigen zerdrückte den Bundschuh, der sich unter uns ausbreitete. Im vorigen Jahr entflammten die Köpfe auf's Neue. Vom Schwarzwald herüber leuchtete das Feuer des Aufruhrs. Da ward es dem Fürstabt bange, und er schwur mit aufgehobenen Fingern bei seinen fürstlichen Würden und Ehren, er wolle uns aller widerrechtlichen Beschwerungen entladen; thäte er es nicht bis Lichtmeß dieses Jahres, so sollten wir durch Huldigung und Eid nicht gebunden sein. Aber er vermehrte nur die Lasten und Bedrückungen. Nun haben wir uns wieder zusammengethan. Das verschreit aber schon der Abt als Aufruhr, und doch thun wir nichts, als daß wir uns auf unser gutes Recht stützen. Selbst daß wir zu gemeiner Berathung zusammenkommen, dazu sieht er scheel; es ist aber ein altes, verbrieftes Herkommen, das uns kein Mensch absprechen kann. Hat er doch gesagt, eine allgemeine Versammlung gebäre mehr Aufruhr als Gutes, und hat sich von den Gemeinden einzeln huldigen lassen, statt von allen insgesammt, wie's Recht und Brauch war. O ich könnt' Euch viel erzählen, was ich selbst Unbilliges von ihm erfahren, und wir hätten allen Fug, Aufruhr zu machen nach dem, was Ihr heute gesagt.«

»Wer das Recht hat und gebraucht es nicht, der ist dessen nicht werth.«

»Was er gethan hat, soll vergeben und vergessen sein, wenn er nur die ungerechten Auflagen von unsern Schultern nimmt. Wir wollen Gott die Rache überlassen und uns nicht vergreifen an dem Gesalbten des Herrn.«

»Das heilige Salböl ist von seinem Haupte getilgt, indem er handelte als ein Tyrann. Er hat Euch selbst Eures Eides entbunden. Gott giebt das Schwert Euch in die Hand, nicht daß es ruhen soll, sondern das Ihr die Feinde seines Namens vertilgt. Der lebendige Strom der Volksfreiheit hat seine Dämme durchbrochen, und Ihr müßt ihm folgen oder untergehen, denn er duldet nicht, daß ein müßiger Zuschauer an seinem Ufer stehe. Wer nicht für mich ist, der ist wider mich! spricht der Herr. Die Freiheit ruft – wer wollte ihr sein Ohr verschließen?«

»Es wird eine trübe Zeit hereinbrechen!« sagte der Greis gedankenvoll.

»Aus dem Tode sprießt der Sieg, aus der Nacht entringt sich der herrliche Tag. Im Bergesschooß kämpfen die Elemente, und daraus entspringt die Wunderblume, das Gold. Der Keim verwest, aber ein neues Leben entspringt der Verwesung. Ohne Kampf kann nichts Großes, nichts Herrliches entstehen, denn es gilt, das Böse zu vernichten, und das Böse ist stark und gewaltig.«

»Es mag schon sein!« entgegnete Riedinger. »Aber ich meine, wir müssen's Gott überlassen, das Alte zu stürzen, wenn es ihm nicht mehr wohlgefällig ist.«

»Gott spricht aus dem Menschen, was sein Wille ist. Wofür ward uns der Geist, wenn wir müßig die Hände in den Schopf legen wollen? Wie vor Jahrtausenden, so offenbaret er sich noch heute; denn was waren jene Propheten von Moses bis Christus Anderes als Menschen, in denen der Geist lebendig war? Der Geist schreitet ewig fort mit der Welt; was gestern gewesen ist, hat heute sein Recht verloren. Der Geist Gottes ist es, der aus mir spricht: Thut das Alte ab und ergreift das Neue, das Bessere.«

»Ihr habt mich auf das gebracht, worüber ich Euch um Belehrung bitten wollte. Ihr nanntet die menschliche Vernunft den einzigen Gott, das Geschenk den Geber. O betrachtet doch die Natur, wie Alles weise und herrlich eingerichtet ist. Wenn der Winter über die Berge zieht, da schläft der Same in der Erde; erst wenn der Schnee schmilzt und die Sonne wieder warm vom blauen Himmel scheint, da keimt und sproßt es, wächst und blüht, und trägt Frucht, wenn der Herbst kommt und die Blätter vom Baume weht. Alles kommt und geht zu seiner Zeit; wenn die Erde durstet, da regnet es, und wenn sie ruhen will, schläfert sie der Winter ein. O sagt, hätte Eure Vernunft dies Alles so weise hervorbringen können? Könnt Ihr gebieten, daß ein Gräschen wächst? Ja, könnt Ihr das Geheimnis lösen, wie aus dem kleinen Keim der mächtige Eichbaum werden kann? Ist es Euch bekannt, wie Ihr selbst entsteht, wie diese Eure Vernunft mit dem sterblichen Leib zusammenhängt?«

»Ihr sprecht von Kräften der Natur,« antwortete Münzer, »die vom Uranfang her dagewesen sind, und die sich im Menschengeiste in ihren edelsten Theilen vereinigen. Zeugung und Wachsthum ist das gröbere Element, das außer dem Menschen liegt; der Menschengeist aber ist die Seele, das allwaltende Wesen, dem jene Kräfte dienen; er ist der Gott des Weltalls!«

Der Greis schüttelte zweifelnd das Haupt; sein schlichter Verstand vermochte sich nicht in die Metaphysik des Denkers zu finden, die noch dazu über ihrer Zeit stand und erst in einem spätern Jahrhundert eine wissenschaftliche Begründung empfangen sollte. So wandte sich denn das Gespräch endlich wieder auf die materielle Seite und berührte auch Willi. »Er ist ein lebendiges Beispiel von des Stiftes Arglist,« sagte der Greis. »Sein Großvater war ein freier Mann und lebte unabhängig auf seinem Hof. Hagelschlag und Seuchen aber untergruben seinen Wohlstand; um das tägliche Brod zu haben, mußte er Lehen vom Stift empfangen, und so ward er ein Freizinser. Der Sohn des Freizinsers aber ward ein Höriger. Er freite eine freie Jungfrau. Das Stift sah ruhig zu, bis der Priester den Segen gesprochen. Da verwandelte sich das Schaf in einen Wolf. Das Sacrament ward der jungen Frau verweigert, bis sie sich der Zinsherrschaft des Stifts unterwürfe; fast vom Altar weg wurde der junge Ehemann in den Thurm geworfen, bis die verzweifelte Frau ihn mit ihrer Freiheit löste. Drum will ich's auch nicht dulden, daß die Hedwig den Willi zum Mann nehme, ein so braver Bub er auch ist.«

»Wie aber, wenn es hinfort keine Leibeigenen mehr gäbe?«

»Ich kann nicht daran glauben; die Herren sind die Stärkeren, wir würden unterliegen und den letzten Rest unsrer Freiheit einbüßen.«

»O Zaghaftigkeit, die sich zu schwach dünkt und doch voll großer herrlicher Kraft ist! Wer ist mächtiger als das Volk, wenn es einig ist? Wer will diese Mauer brechen?«

»Die Zwietracht!« entgegnete der Greis. »Wer hat den armen Konrad und den Bundschuh gestürzt? O nicht die Herren, sondern im eignen Fleisch und Blut erwuchs der Feind. Und so wird es ewig sein! Mag auch Alle der reinste Wille beseelen, so wird doch das thörigte Fleisch mächtig, und Jeder sucht den eigenen Vortheil vor dem des Ganzen. Die Herren sind einig, wenn es gilt, den armen Mann zu bedrücken; darum sind sie die Sieger.«

In Münzer's Seele stiegen trübe Gedanken auf, welche die Worte des Greises heraufbeschworen. Dieser nahm sein Schweigen für den Wunsch nach Ruhe und führte ihn in das Gastgemach, wo ein großes Himmelbett ihn freundlich einlud. Er wünschte ihm gute Nacht. Münzer stand aber noch lange am Fenster und starrte hinaus in den sternenglänzenden Himmel, der sich über die winterliche Erde spannte. »Wehe, wenn er Recht hätte!« sprach er vor sich hin. »Wenn das schöne große Werk den Keim der Zerstörung in sich trüge! O sprich zu mir, mein Gott: werd' ich die Freiheit meinem Volke erblühen sehen? – Ich werde sie sehen!« rief er nach einer kleinen Weile begeistert. »Nur muthig vorwärts! Siegen oder Sterben!« –


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