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Die Stunde der deutschen Erholung hat geschlagen, das Reich steht heute an der Schwelle zu seiner verheißungsvollsten Wirtschaftsperiode seit dem Krieg.
Die Politik kann die Uhr anhalten. Der Militarismus kann das Vertrauen lähmen. Wirtschaftlicher Nationalismus könnte sehr wohl Deutschland in einer selbst auferlegten Blockade einschließen. Eine absolute Prophezeiung unmittelbarer Erholung ist nicht gerechtfertigt. Aber im Augenblick spricht alles dafür, daß noch nicht dagewesene Vorbedingungen für eine Erholung existieren.
Wenn Deutschland wieder hoch kommt, kommt Europa wieder hoch. Im Verlauf der ganzen Untersuchung über die Frage: »Kann Europa sich erholen?« war kein Tatsachenmaterial so wichtig wie die Reihe von Faktoren, die heute sämtlich darauf hinweisen, daß Deutschland bereit ist, mit einer Plötzlichkeit und Schnelligkeit, welche die Welt vielleicht in Erstaunen versetzen werden, zur Prosperität zurückzukehren.
In einem Atemzug, und sei er noch so lang, sind diese Faktoren nicht einmal aufzuzählen. Vor allem zahlt Deutschland keine Reparationen mehr. Dies ist der wichtigste von allen Faktoren, denn er bestimmt psychologisch die Haltung der Nation.
Die industrielle Ausrüstung Deutschlands ist weitaus die beste in ganz Europa.
Die Kosten der Arbeit liegen für das Reich tiefer als für seine wichtigsten Rivalen und werden noch tiefer sinken.
Seinem Budget fehlt weniger zur Ausbalancierung als den Budgets der meisten anderen europäischen Länder. Seine Regierung hat in unmißverstehlicher Weise den Prinzipien des Privatkapitalismus Treue gelobt und ein wagemutiges Programm zur Anregung des privaten Unternehmungsgeistes veröffentlicht.
Seine Bankrotte haben mehr als 30 000 Konzerne zum Verschwinden gebracht, und heute, da sich nur die stärksten Firmen am Leben erhalten haben, ist die Anzahl der Bankrotte auf eine Rekordziffer der Niedrigkeit heruntergegangen.
Das Tempo der Abnahme in Wirtschaftstätigkeit und Produktion hat sich verlangsamt, bis beide nahezu stationär geworden sind. Seine Vorräte an Waren und Fabrikerzeugnissen sind so gut wie aufgebraucht und verlangen Ersatz. Seine Arbeitslosigkeit ist in diesem Jahre bei weitem nicht so rasch angewachsen wie 1931.
Das öffentliche Vertrauen, sowohl zur Wirtschaft wie zur Währung, kehrt wieder, und große Summen deutschen sowie fremden Geldes fließen auf den Markt und wieder zurück in die Reichsbank. Die Berliner Börse hat die größte Effektenhausse seit 1929 erlebt. Kurzfristige Gelder beginnen wieder langfristige Anlagen zu suchen.
Der Vorrat der Reichsbank an Gold und fremden Valuten hat abzunehmen aufgehört oder gar wieder um eine Kleinigkeit zugenommen. Obwohl der Außenhandelsüberschuß in der ersten Hälfte des Jahres 1932 abnahm, müßte die normale saisonmäßige Verbesserung in der zweiten Hälfte des Jahres die Aussichten für die Zahlungsbilanz verbessern.
Deutschland hat in diesem Jahr seine größte Ernte seit dem Krieg, es hat zum erstenmal mehr erzeugt als seinen eigenen Getreidebedarf.
Schließlich geht die politische Entwicklung im Inneren trotz allen Oberflächenzeichen, die auf das Gegenteil hinzuweisen scheinen, auf eine Stabilisierung zu, und die jetzige autoritative Regierung verspricht für den Zustand inneren Friedens zu sorgen, der für wirtschaftliche Unternehmungen notwendig ist. Die deutsche Sozialdemokratie, in der Vergangenheit der Hauptfeind des freizügigen Privatkapitalismus, ist zusammengebrochen. Hitlers Nationalsozialistische Partei, die Hauptgefahr des Privatkapitalismus in der Zukunft, ist aufgefangen. Mit einem Wort, sowohl die automatischen wirtschaftlichen wie die geleiteten politischen Kräfte des Privatkapitalismus sind in Deutschland wieder zur Herrschaft gelangt.
Weitaus der wirksamste von allen diesen Faktoren ist die Bereinigung des Reparationsproblems. Die bloße Nennung der in Frage kommenden Zahlen ist imposant. Vor nicht mehr als elf Jahren verlangte die Pariser Konferenz von Deutschland 224 Milliarden Reichsmark Reparationen, das heißt etwas mehr als die Summe, auf die damals das gesamte Nationalvermögen des Reiches geschätzt wurde. Durch die Londoner Konferenz, die Ruhrbesetzung und den Dawesplan wurde diese Summe immer weiter herabgesetzt, bis sie im Youngplan auf rund 40 Milliarden Reichsmark kam. Lausanne verringerte diese Summe auf den unbedeutenden Rest von 3 Milliarden Reichsmark, die erst dann bezahlt zu werden brauchen, wenn der Weltkreditmarkt bereit ist, den entsprechenden Betrag an deutschen Anleihen aufzunehmen.
Was für fiskalische Gewinne die deutsche Regierung aus dem Doppelprozeß der Inflation 1919-1924 und der Reparationsstreichung 1932 gezogen hat, ergibt eine Betrachtung der folgenden, selten genannten, Zahlen.
Die Vereinigten Staaten hatten im Jahre 1913 eine Staatsschuld von 4 Milliarden 900 Millionen Reichsmark. Der Krieg erhöhte unsere Schuld, bis sie im Jahre 1921 94 Milliarden 300 Millionen Reichsmark betrug. Heute macht sie 76 Milliarden Reichsmark aus, ungefähr 640 Reichsmark pro Kopf. Das ist das Siebzehnfache der Vorkriegsschuld.
England hatte im Jahre 1913 eine Staatsschuld von 14 Milliarden 120 Millionen Reichsmark. Durch den Krieg wurde die Schuld auf 152 Milliarden Reichsmark im Jahre 1919 erhöht. Die Sterlingabwertung hat sie heute auf 104 Milliarden Reichsmark, ungefähr 2400 Reichsmark pro Kopf, herabgesetzt. Das ist das Achtfache der Vorkriegsschuld.
Frankreich hatte 1913 eine Staatsschuld von 26 Milliarden Reichsmark. Der Krieg erhöhte sie auf 228 Milliarden Reichsmark im Jahre 1919. Durch die Inflation erreichte Frankreich, daß seine Schuld heute nur 56 Milliarden Reichsmark, 1360 Reichsmark pro Kopf, ausmacht. Das ist ungefähr das Doppelte der Vorkriegsschuld.
Deutschland hatte 1913 eine Staatsschuld von 20 Milliarden 800 Millionen Reichsmark. Der Krieg erhöhte sie, die Reparationen nicht eingerechnet, auf 196 Milliarden Reichsmark im Jahre 1919. Durch die Inflation reduzierte Deutschland seine Schuld auf ihre heutige Höhe von 10 Milliarden Reichsmark, 160 Reichsmark pro Kopf, und da die Reparationen nicht mehr existieren, ist dies die Effektivhöhe der Staatsschuld des Reiches. Selbst wenn die unbedeutende Summe der Lausanner Regelung, 3 Milliarden Reichsmark hinzugefügt wird, kommen nicht mehr als 13 Milliarden Reichsmark heraus. Die Youngzahlungen hätten die gesamte Staatsschuld Deutschlands ungefähr auf die Größe der französischen gebracht. In ihrer heutigen Höhe aber beträgt die Staatsschuld Deutschlands nicht ganz die Hälfte seiner Vorkriegsschuld.
Infolge des Krieges ist also die Staatsschuld Amerikas heute siebzehnmal so groß wie vor dem Krieg, die britische achtmal so groß und die französische doppelt so groß, während die deutsche nur halb so groß ist. Außerdem beträgt nach deutschen Zahlen die öffentliche Gesamtverschuldung von Reich, Staaten und Gemeinden heute rund 24 Milliarden Reichsmark, gegen 32 Milliarden Reichsmark vor dem Krieg.
Man kann sich nicht der Schlußfolgerung entziehen, daß die Lage Deutschlands hinsichtlich seiner öffentlichen Verschuldung infolge der Reparationsstreichung gewaltig besser ist als die Amerikas, Englands oder Frankreichs. Amerika, gegen das Europa die Anklage erhebt, es habe sich mit Hilfe des Krieges bereichert, beendete den Krieg mit einer Staatsschuld, die um mehr gewachsen war als die Schulden aller anderen am Krieg teilnehmenden Staaten. Wenn man nichts anderes als die Staatsschulden zugrunde legt, schnitt Deutschland am besten, Frankreich am zweitbesten ab, und die beiden Staaten, die das geringste direkte Interesse am Kampf hatten, Amerika und England, schnitten am schlechtesten ab.
Welche Schwierigkeiten die deutsche Regierung auch zur Zeit der Reparationen mit ihrem Budget gehabt haben mag, die Tatsache dieser gewaltigen günstigen Veränderung in seiner Verschuldungslage genügt heute, um der deutschen Industrie einen beträchtlichen Vorteil in dem Wettbewerb um die Märkte zu sichern, der sich im Verlauf des Rennens nach der Prosperität ergeben wird. Während 25 Prozent der amerikanischen Bundessteuern in den Schuldendienst gehen und die Verschuldung reduzieren, während 33 Prozent der englischen und 30 Prozent der französischen Steuern demselben Zweck gewidmet sind, sind nur 5 Prozent der deutschen Steuern für den Zinsendienst der kaum nennenswerten Schuld des Reiches notwendig. Eine Wirkung dieses Umstandes ist heute darin zu sehen, daß die Budgets des Reiches, der Staaten und der Gemeinden, die insgesamt 20 Milliarden Reichsmark ausmachen, in diesem Augenblick einer noch nicht dagewesenen Arbeitslosigkeit ein auf nicht mehr als 1 Milliarde Reichsmark geschätztes Gesamtdefizit aufweisen.
Aber daß Deutschland mit einem Schlag von einer jährlichen Zahlung von rund 1600 Millionen Reichsmark befreit worden ist, bedeutet fast nichts gegenüber dem psychologischen Wert, der in der Tatsache hegt, den Tribut losgeworden zu sein. Bis Lausanne war es unpatriotisch, zu prosperieren. Vor Lausanne mußte Deutschland beweisen, daß es sein Bestes tue, um die Reparationen zu zahlen, aber nicht zahlen könne. Das war eine Formel, welche die private Initiative automatisch abwürgte. Man hatte das Empfinden, daß der Gewinn, der durch eine Prosperität der Nation zu erzielen wäre, durch den moralischen Verlust, den es bedeutet, dem Feind Tribute leisten zu müssen, mehr als aufgewogen wäre. Der Pessimismus wurde zur deutschen Religion. Der Wunsch, sich der Reparationen zu entledigen, war so stark, daß er den normalen Wunsch nach Profiten unterdrückte.
Heute hat Deutschland es nicht mehr notwendig, beweisen zu wollen, daß es keine Reparationen zahlen könne. Dreizehn Jahre lang drohte der deutsche Simson den Tempel des Kapitalismus niederzureißen, wenn ihm nicht die Freiheit gegeben würde. Heute ist er frei. Aber die Gewohnheit von dreizehn Jahren ist schwer abzuschütteln, und noch immer steckt ein giftiger Rest der alten Haltung in dem Wunsch einer nicht kleinen Gruppe in Deutschland, jetzt zu beweisen, daß das Reich seine privaten Schulden an das Ausland nicht zahlen könne.
Ferner bemühen sich jetzt die Nationalsozialisten, die ihrer schlagkräftigsten Propagandaformel »Keine Tribute mehr« beraubt sind, nun die Lausanner Ergebnisse herabzusetzen, und ihre Propaganda ist durchaus imstande, dem Mann auf der Straße vorzumachen, daß 3 Milliarden Reichsmark genau so viel seien wie 40 Milliarden Reichsmark. Aber der Mann auf der Straße ist nicht entscheidend für Wirtschaftsunternehmungen. Die Wirtschaftsführer wissen recht gut, was in Lausanne de facto erreicht worden ist, und die chronischen Verfechter des deutschen Bankrottes dürften wahrscheinlich kaum Einfluß auf die Politik gewinnen. Der Vorteil, den heute eine aufrichtige Anstrengung zur Erlangung nationaler Prosperität für Deutschland bringen kann, ist unverhältnismäßig größer als die zweifelhaften Vorteile, die durch eine Zahlungseinstellung in betreff der privaten Verpflichtungen zu erreichen wären, und das verantwortliche Deutschland handelt auch dementsprechend.
Gleich nach der Befreiung von den Reparationen kommt als nächstwichtiger Faktor für die Erholung Deutschlands die Qualität seiner industriellen Ausrüstung. In den Jahren 1919 bis 1924 entledigte sich die deutsche Industrie vermittels der Inflation ihrer gesamten Schuldenlast. In den Jahren 1924 bis 1929 borgte sie sich rund 12 Milliarden Reichsmark im Ausland und verwandte den größten Teil dieser gewaltigen Summen auf die Modernisierung ihrer Ausrüstung. Heute gibt es nach der Ansicht aller sachverständigen Beobachter in der ganzen Welt, auch die Vereinigten Staaten nicht ausgenommen, kein einziges Land, das einen besseren Industrieapparat besäße. Amerikanische Stahlmänner bezeichnen die Deutschen Stahlwerke als die besten von allen mit Ausnahme ganz weniger von den neuesten Werken, die in den Vereinigten Staaten im Verlauf der Endphase der Prosperität errichtet wurden. Englische Textilfachleute sagen, daß die deutschen Fabriken moderner und leistungsfähiger seien als alles, was es in Lancashire gibt. Die deutschen öffentlichen Einrichtungen und Kraftwerke, seine Maschinenfabriken und seine chemische Industrie stehen auf dem Kontinent konkurrenzlos da.
Heute sollen diese hervorragenden Werke mit den billigsten und trotzdem am besten ausgebildeten Arbeitskräften Europas besetzt werden. Denn die deutschen Lohnreduktionen, die mit der zehnprozentigen Kürzung Brünings im Jahre 1931 einsetzten, wurden von den Wirtschaftsverordnungen Papens in radikalster Weise fortgesetzt – das Lohnniveau wird in diesem Winter um rund 30 Prozent unter dem von 1930 liegen.
Das ist ein Weltrekord der Lohnkürzungen. Die Statistiken des Internationalen Arbeitsamtes besagen, daß von 1928 bis heute die Stundenlöhne gelernter Arbeiter in den Vereinigten Staaten um 8 Prozent sanken, in England um 3 Prozent, in Italien um 10 Prozent, in Polen um 1 Prozent, während sie in Frankreich tatsächlich um 2 Prozent stiegen und in der Tschechoslowakei um 1 Prozent. Aber in Deutschland werden sie unter dem neuen Regime um 30 Prozent gesenkt sein.
In absoluten Summen bedeutet dies, daß der gelernte deutsche Arbeiter in der Stunde durchschnittlich etwa 68 Pfennig, der ungelernte Arbeiter etwa 52 Pfennig bekommen wird. Damit ist das deutsche Lohnniveau unter das Niveau aller anderen wichtigen Industrieländer in Europa gebracht. Wenn man unter den herrschenden Umständen vierzig Stunden als durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit annimmt, wird der gelernte deutsche Arbeiter in einer Automobilfabrik zum Beispiel 25 Mark 60 in der Woche verdienen, also ungefähr ebenso viel wie ein ungelernter Arbeiter der Fordschen Fabrik in Detroit an einem Tage.
Was für einen ungeheuren Vorteil dies der deutschen Industrie im Kampf um die Exportmärkte gewährt, wird klar, wenn man sich die deutsche Schätzung vor Augen hält, daß von den Gesamtkosten der Fabrikation rund 60 Prozent auf die Arbeit kommen. Bei dermaßen verbilligten Kosten müßte die deutsche Exportindustrie imstande sein, viele von den hohen Zollmauern zu übersteigen, die in den beiden letzten Jahren nationalistischer Zollpolitik aufgerichtet worden sind.
Aber um Lohnkürzungen von solcher Schärfe durchzusetzen, um das Einkommen der beschäftigten Arbeiter auf ein Niveau herunterzubringen, das ungefähr der deutschen Unterstützung für erwerbslose Arbeiter im Jahre 1929 gleichkommt, dazu mußte ein Schritt getan werden, der von noch fundamentalerer Bedeutung für die wirtschaftliche Zukunft des Reiches ist. Es war notwendig, die Stellung der Gewerkschaften zu erschüttern. Und damit deren Stellung erschüttert würde, mußte vorher die politische Macht der Sozialdemokratischen Partei erschüttert werden.
Unter dem Regime Papen brachte ein Reichswehrleutnant mit fünf Mann im Verlauf einer Stunde zuwege, was den vereinigten Kräften der Fabrikantenvereinigungen und sämtlicher Bankiers und Wirtschaftler Deutschlands ein ganzes Jahrzehnt hindurch nicht gelungen war. Das Militär warf die sozialistischen Regierungsmitglieder buchstäblich aus dem Amt heraus. Dreizehn Jahre im Amt hatten die Sozialisten weich gemacht. Es standen ihnen 60 000 Mann preußischer Polizei und eine Unmenge legaler Berechtigungen zur Verfügung, um an der Macht zu bleiben, aber sie erlagen unter dem Streich. Nicht eine einzige Gewerkschaft unternahm etwas für einen Generalstreik. Nicht ein Pieps war von der republikanischen »Eisernen Front« zu hören.
Sie retteten Deutschland vor dem Bürgerkrieg, aber sie verloren es für die organisierte Arbeiterschaft. Die Tarifverträge, die bisher Gesetzeskraft hatten und der Herabsetzung der Löhne bisher ein nicht von der Stelle zu rückendes Hindernis in den Weg legten, existieren praktisch so gut wie nicht mehr. Kanzler von Papen anullierte sie mit seiner Verordnung, die vorsieht, daß jeder Konzern, »dessen Existenz durch die Fortdauer des Tarifvertrages gefährdet ist«, die Löhne bis auf ein Niveau herabsetzen darf, das im Augenblick bei 20 Prozent unter dem vertraglichen Niveau fixiert ist.
Zum erstenmal seit dem Krieg ist eines der wesentlichsten Prinzipien der freien kapitalistischen Wirtschaft in Deutschland wiederhergestellt: das Prinzip der freien Lohnbemessung. Der Hauptgewinn der Gewerkschaften während eines ganzen Lebensalters der Kämpfe ist über Nacht weggewischt worden. Wie immer das auch vom sozialen Standpunkt aus zu werten sein mag, von der kapitalistischen Wirtschaft aus gesehen, ist es die überragend wichtigste wirtschaftliche Maßnahme, die eine deutsche Regierung in der Krise getroffen hat; im Verein mit den anderen Maßnahmen des Papenschen Wirtschaftsprogrammes, die später im einzelnen geschildert werden sollen, verspricht sie dem Reich einen großen Vorsprung in dem Rennen nach der Prosperität.
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Deutschland hat heute einen Plan. Von sämtlichen Plänen zur Bekämpfung der Krise in allen Ländern Europas ist der deutsche Entwurf der genialste. Wenn die Regierung ebenso glücklich wie erfinderisch ist, kann der deutsche Plan zur klassischen Lösung für Wirtschaftsdepressionen werden.
Er verdient die Aufmerksamkeit jedes Landes, das noch immer in der Lage ist, sich Sorgen über Arbeitslosigkeit zu machen. Es gibt noch immer mehr als 5 Millionen Erwerbslose in diesem Lande. Wenn der Plan Erfolg hat, werden 2 Millionen Männer wieder zu Beschäftigung kommen, wird die Kaufkraft der gesamten Bevölkerung erhöht werden, die Produktion sich steigern, der Export zunehmen, wird Deutschland imstande sein, seine Schulden zu zahlen, und glückliche Tage werden wieder kommen. Und doch handelt es sich um keine Inflation.
Der Plan wurde vom Finanzminister Graf Schwerin-Krosigk und Dr. Hans Luther, dem Präsidenten der Reichsbank, ausgearbeitet. Er hat bei enragierten Interventionsgegnern nicht weniger Zustimmung gefunden als bei denen, die seit jeher Anhänger des Systems der Regierungshilfe sind.
Das Papenprogramm ist buchstäblich ein Plan dazu, wie man seinen Kuchen behalten und aufessen kann. Die Regierung gibt der Industrie 2 Milliarden Steuern zurück, und doch behält die Regierung die Steuern. Trotzdem wird die Industrie das Geld bekommen. Dieser paradoxe Prozeß wird dadurch zuwege gebracht werden, daß die Banken der Industrie heute das Geld leihen, mit dem ein Jahr später Steuern zu zahlen sind.
Die wichtigsten Einzelheiten des Planes sind folgende: während des Jahres vom 1. Oktober 1932 bis zum 1. Oktober 1933 wird die Regierung den Steuerzahlern 40 Prozent bestimmter Steuern für den Zeitabschnitt 1934 bis 1939 zurückgeben. Zusammen wird das rund 1400 Millionen ausmachen. Die Steuerzahler werden ihre vollen Steuern für dieses Jahr zahlen, aber indem sie sie zahlen, werden sie von der Regierung Zertifikate erhalten, auf denen steht: »Gut in der und der Höhe für die Zahlung aller Steuern außer der Einkommensteuer im Abschnitt 1934 bis 1939.«
Diese Zertifikate sind nun – und das ist das Wichtige an dem Plan – bank- und börsenfähige Papiere. Sie werden 4 Prozent Zinsen tragen und können an der Börse gehandelt werden. Man nimmt an, daß die Banken bereit sein werden, sie zu mindestens 60 Prozent ihres Nominalwertes zu beleihen.
Ein praktisches Beispiel wird illustrieren, worauf der Plan hinausläuft. Ein Fabrikant hat 16 000 Reichsmark Steuern im Jahr oder 4000 Reichsmark im Vierteljahr zu zahlen. Am 1. Oktober geht er mit 4000 Reichsmark zum Finanzamt. Das Finanzamt nimmt seine 4000 Reichsmark und gibt ihm ein Zertifikat, das gut für die Zahlung von 1600 Reichsmark Steuern in den Jahren 1934 bis 1939 ist. Der Fabrikant bringt dieses Zertifikat seiner Bank. Die Bank nimmt das Zertifikat entgegen und leiht ihm 60 Prozent, 960 Reichsmark. Was wird er nun mit dem Geld tun?
Der ganze Plan zielt darauf ab, daß er es dazu verwendet, neue Arbeiter einzustellen, seine Produktion zu steigern und seine Kosten herabzusetzen. Denn der Plan sieht weiterhin vor, daß jeder Arbeitgeber, der im Laufe des Jahres vom 1. Oktober 1932 bis zum 1. Oktober 1933 mehr Arbeiter beschäftigt, als er in den Monaten Juni, Juli und August beschäftigt hat, für jeden neu eingestellten Arbeiter eine weitere Steuerermäßigung von 400 Reichsmark für das ganze Jahr, die vierteljährlich auszahlbar ist, erhält.
Außerdem sieht der Plan vor, daß dem Arbeitgeber, wenn er Neueinstellungen vornimmt, erlaubt wird, die Löhne herabzusetzen. Die Lohnkürzungen sind entsprechend der Anzahl der neueingestellten Arbeiter abgestuft. Wenn der Fabrikant volle 25 Prozent neueingestellter Arbeiter beschäftigt, darf er die Löhne für seine sämtlichen Arbeiter um 12 ½ Prozent kürzen.
Wenn also unser Fabrikant ursprünglich 24 Arbeiter mit Monatsbezügen von je 120 Reichsmark beschäftigt hat, kann er jetzt 30 Arbeiter mit Monatsbezügen von je 105 Reichsmark beschäftigen. Vorher machte seine monatliche Lohnsumme 2880 Reichsmark im Monat aus, die neue macht 3150 Reichsmark aus. Er hat monatlich 270 Reichsmark mehr an Löhnen zu zahlen. Aber für die sechs neueingestellten Arbeiter wird er 200 Reichsmark monatliche Steuerrückgaben erhalten, die 120 Reichsmark in bar wert sind, und 240 Reichsmark bar hat er im Monat von den Steuerrückgabe-Scheinen auf Grund seiner vierteljährlich gezahlten 4000 Reichsmark Steuern. Damit hat er 360 Reichsmark im Monat, also mehr als die volle Summe, die er dazu braucht, um seine Belegschaft um 25 Prozent zu vergrößern.
Der Betrag der Steuerrückgaben, die von der Regierung als Prämien für die Einstellung neuer Arbeiter bereitgestellt sind, beläuft sich auf 600 Millionen Reichsmark, was für die Einstellung von 1 500 000 Mann genügt.
Eine weitere raffinierte Einzelheit des Planes sieht jedoch vor, daß die Löhne nur für die zwischen der dreißigsten und der vierzigsten Stunde liegenden Arbeitsstunden gekürzt werden dürfen. Die Durchschnittszeit, die jetzt von 7 Millionen beschäftigten Industriearbeitern in Deutschland gearbeitet wird, liegt zwischen vierzig und achtundvierzig Stunden. Dieses Detail des Planes wird also darauf hinarbeiten, daß die Fabrikanten genötigt werden, vierzig Stunden in der Woche zur durchschnittlichen Arbeitszeit zu machen, und sorgt so für ein weiteres Mittel zur Verteilung der Beschäftigung auf möglichst viele Arbeiter. Praktisch wird dadurch die Einführung der Fünftage-Woche in der ganzen Industrie erzwungen werden.
Abgesehen von alledem stellt der Plan der Reichsbahn rund 200 Millionen aus Steuerbeträgen wieder zur Verfügung, welche die Eisenbahn augenblicklich für Reparaturen und Neubauten zu verwenden verpflichtet ist.
Schließlich sieht der Plan, wie schon im vorhergehenden Artikel erwähnt wurde, die über alles wichtige Genehmigung für vom Bankrott bedrohte Fabrikanten vor, die Löhne notfalls um 20 Prozent zu kürzen, wenn sie die Ursachen nachweisen können.
Die letzte Quelle, aus der das Geld kommt, muß, wie es auf den ersten Blick erscheint, die Reichsbank sein. Das ist richtig. Aber das heißt nicht, daß die Reichsbank 2 Milliarden Reichsmark neue Banknoten ausgeben muß. Die Steigerung der Geschwindigkeit des Notenumlaufs, die Steigerung der Geschäftstätigkeit und die Tatsache, daß gegen 50 Prozent der erhöhten Lohnsummen durch die Herabsetzung der existierenden Löhne abgedeckt werden – das sind Umstände, die der Regierung die Schätzung ermöglichen, daß für je 1 Million neueingestellter Arbeiter nicht mehr als 100 Millionen Reichsmark an neuen Banknoten notwendig sein werden. Da kann wohl kaum von einer Inflation die Rede sein.
Das Endziel des Planes ist die Ausweitung des inneren Marktes. Der Plan sorgt dafür, daß die Gesamtlohnsummen trotz Lohnkürzungen höher sein müssen, und in der Tat dürfte die Kaufkraft der gesamten Bevölkerung, wenn der Plan bis ins letzte ausgeschöpft werden sollte, schließlich um mindestens 1200 Millionen Reichsmark anwachsen.
Der erste Markt jedoch, den die deutsche Industrie im Rahmen des Planes suchen wird, ist der Auslandsmarkt. Logische Überlegung zwingt zu dem Schluß, daß die Ausfuhr sich steigern wird, wenn die Auslandszölle nicht noch mehr erhöht werden. Denn wenn die Industrie imstande war, den Export bei den jetzigen Preisen auf seinem jetzigen Niveau zu erhalten, müßte sie imstande sein, zu den neuen, niedrigeren Preisen mehr nach dem Ausland zu verkaufen. Der Erfolg des Planes wird zum Teil davon abhängen, in welchem Ausmaß die Umwelt fähig oder willens ist, die gesteigerten Mengen deutscher Waren aufzunehmen.
Das heißt, die deutsche Industrie wird mit Vorsprung vom Start abgehen, wenn die Welt in diesem Winter wirklich für eine wirtschaftliche Wiederbelebung reif ist. Wenn die Wiederbelebung wirklich kommt, wird das automatische Zunehmen der Steuereinkünfte der Regierung in den Jahren 1934 bis 1939 ihren Ausfall durch die Rückgabescheine mehr als wieder wettmachen. Kommt die Wiederbelebung nicht, so wird die Regierung rund 2 Milliarden neuer Steuern für die nächsten fünf Jahre zu suchen haben.
Der Plan ist in dem Sinne des »Fünfjahrplanes« der Sowjetunion ein »Einjahrplan« genannt worden. Das ist er ganz entschieden nicht, denn er umfaßt keine Regulierung der Erzeugung, und er wendet sich an den Profittrieb des Fabrikanten als die Haupttriebkraft im Privatkapitalismus. Der Plan basiert auf der Überlegung, daß der wirtschaftliche Aufschwung in der Krise nicht auf dem Wege über eine anfänglich erfolgende Steigerung der Kaufkraft auf Seiten der Konsumenten kommt – die jedoch später folgt – sondern über eine anfängliche Ausweitung der Produktion auf Seiten einiger Unternehmer, die glauben, einen Profit winken zu sehen.
Angenommen, eine Gruppe von Fabrikanten komme aus irgendwelchen Gründen zu dem Schluß, daß die Wirtschaftslage sich bessern werde. Sie stellen ein paar Arbeiter mehr ein und bestellen Materialien von anderen Fabrikanten. Die anderen Fabrikanten, durch die Aufträge ermutigt, stellen gleichfalls ein paar Arbeiter mehr ein und bestellen gleichfalls Materialien von dritten Fabrikanten. Längst bevor das Publikum mehr zu kaufen begonnen hat, ist in der Warenzirkulation innerhalb der Fabrikantenwelt das Tempo beschleunigt worden. Gleichzeitig aber hat sich der Beschäftigungsgrad gehoben, und wenn die hergestellten Waren verkaufsbereit sind, ist die Kaufkraft der ganzen Gemeinschaft mindestens in dem gleichen Maße gestiegen wie der Beschäftigungsgrad. So also wird gemäß der Theorie, die zu dem Papenplan führte, die Erholung kommen, und nicht über Versuche zur direkten Anregung des allgemeinen Konsums.
Bis jetzt hat die deutsche Industrie weder Profite winken sehen, noch hat sie an eine Erholung geglaubt. Es ist jedoch von Wichtigkeit für den Papenplan, daß er gerade auf dem Tiefstpunkt eingeleitet wird. Sollte das Niveau der Wirtschaftstätigkeit sich noch weiter senken, so wäre er von Anfang an zur Erfolglosigkeit verurteilt. Wenn die Preise überall in der Welt noch weiter fallen, hätte es nicht den geringsten Sinn, daß die deutsche Industrie die unter dem Papenplan vorausgesehene vermehrte Produktion auf den Markt bringt.
Verschiedene Betrachtungen führten die Regierung zu der Ansicht, daß der Tiefstpunkt bereits erreicht sei. Professor Ernst Wagemann, der Leiter des ausgezeichneten deutschen Instituts für Konjunkturforschung, kommt zu der Schätzung, daß die deutsche Industrie im Jahre 1932 einen Nettoverlust von 3 Milliarden Reichsmark haben wird, im Gegensatz zu einem Nettoprofit von 10 Milliarden Reichsmark im Jahre 1929. Während das Gesamteinkommen der Arbeitnehmerschaft von 50 Milliarden Reichsmark im Jahre 1928 auf 33 Milliarden Reichsmark im Jahre 1932 abgesunken ist, was eine Abnahme um 30 Prozent bedeutet, sind die gesamten Nettoeinkünfte der Arbeitgeberschaft von 25 Milliarden Reichsmark auf 10 Milliarden Reichsmark heruntergegangen, was eine Abnahme um 60 Prozent bedeutet und nach Zahlung der Steuern und Soziallasten einen Nettoverlust von 3 Milliarden Reichsmark übrig läßt.
Auch von diesem Gesichtspunkt aus erschien es notwendig, Erleichterung und Anregung in erster Linie, und zwar direkt, den Unternehmern zu bieten, und von diesem Gesichtspunkt aus erschien es gerechtfertigt, die Kostenreduzierung auf dem Wege über die Lohnreduzierung anzustreben.
Weitere Hinweise darauf, daß der Tiefstpunkt erreicht sei, fand die Regierung in der Verringerung der Anzahl von Bankrotten, die von 1128 im Januar 1932 auf 499 im August des gleichen Jahres absank – die niedrigste Zahl seit 1929. Das ist von ganz besonderer Bedeutung, zumal im Jahre 1931 die Anzahl der Bankrotte sich in der Zeit von Januar bis August beständig vermehrte. Die Anzahl der Konkursverwaltungen ist gleichfalls heruntergegangen, von 1341 im Oktober 1931 auf 461 im August 1932. Die Summe der protestierten Wechsel, die sich im September 1931 auf 12 Millionen Reichsmark belief, betrug im August 1932 nur 2 800 000 Reichsmark.
Insgesamt sind seit dem Jahre 1929 33 349 Firmen aus dem Bilde der Wirtschaft ausgeschieden – eine Zahl, die zeigt, wie zerstörerisch sich der Wirtschaftsorkan ausgewirkt hat. Aber während im Jahre 1929 im Monat durchschnittlich 219 Firmen mehr ihre Geschäfte einstellten als eröffneten, beträgt heute die Anzahl der reinen Geschäftsauflösungen nur 15 im Monat. Heute rechnet die Regierung damit, daß nach einem vierjährigen Toben des Krisenzyklons ausschließlich die widerstandsfähigsten Firmen übriggeblieben sind, und auf deren Fundamente ist der Papenplan gebaut.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie sich als Fundamente aus Sand erweisen. Der Plan kann auf verschiedenerlei Weise Schiffbruch erleiden. Wenn die Mehrzahl der Fabrikanten bei der Bankrott-These bleiben und Löhne kürzen sollte, ohne Neueinstellungen vorzunehmen, werden die Zwecke des Planes vereitelt sein. Wenn viele Fabrikanten, die Zweigwerke haben, es so machen, daß sie ein Werk schließen und die Arbeiter in einem anderen Werk neu einstellen, um die Prämien für Neueinstellungen zu bekommen, kann ein solcher Mißbrauch der Aufsicht einer überlasteten Bürokratie entgehen.
Es liegt auf der Hand, daß der Erfolg des Planes abhängt von der Bereitschaft der Fabrikanten, das Geld dem Zweck zuzuführen, dem es zugedacht war. Wenn sie die Steuergutscheine dazu verwenden, Schulden zu bezahlen oder einfach ihre Bilanz zu verbessern, so wird das vorübergehend helfen, es wird die Liquidität der Banken stärken, aber zu einer Besserung der Arbeitslosigkeit oder der Wirtschaft wird es kaum etwas beitragen.
Der klügste Teil des Planes liegt jedoch darin, daß jeder Fabrikant, der aus der Gelegenheit, auf diese Weise kostenlos Neueinstellungen vorzunehmen, Vorteile zu ziehen versäumt und so seine Kosten vergrößert, Gefahr laufen wird, von Konkurrenten, die diese Vorteile wahrnehmen, aus dem Geschäft gedrängt zu werden.
Der Plan bietet mehr Gewähr für Ausführbarkeit als jede beliebige von den zahllosen Antikrisenmaßnahmen, die in diesem Lande während der beiden letzten Jahre vorgeschlagen worden sind. Kein anderes Land war so reich an Plänen. Reichsbankpräsident Luther sagte, er habe von der Öffentlichkeit mehr als tausend detaillierte Pläne zur Behebung der Krise allein durch Währungsmaßnahmen empfangen.
Im letzten Grunde jedoch, und soweit seine Chancen nicht mit der Erholung in der ganzen Welt verknüpft sind, wird das Gelingen oder Mißlingen des Planes vom Geist der deutschen Industrie abhängen. Das ist ein unberechenbarer Faktor. Nirgends sonst in der Welt ist der Glaube, daß diese Krise das Ende aller Dinge bedeute, so weit verbreitet. Nirgends sonst haben die Kapitalisten den Defaitismus zu ihrer Religion gemacht.
Die vierzehn Jahre der Bankrottpropaganda, die ihre Wurzel in dem deutschen Wunsch hatte, sich der Reparationen zu entledigen, haben eine ganze Generation deutscher Geschäftsleute vergiftet. Dies hat im Verein mit Deutschlands russischer Nachbarschaft und dem weitverbreiteten Studium der marxistischen Wirtschaftsthesen den deutschen Geist mit einem tiefen Mißtrauen gegen den Kapitalismus durchtränkt. Das zeigen die Wahlergebnisse. Mehr als drei Viertel Deutschlands stimmten bei der letzten Reichstagswahl antikapitalistisch.
Nichtsdestoweniger hält das übrige Viertel noch immer die wirtschaftliche sowie die politische Festung. Die Regierung hat diesem Viertel jetzt den Profitanreiz und einen Grund zum Glauben an die Erholung gegeben. Es ist an der privaten Initiative, ihre These zu beweisen.
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»Das ist das Ende der Deflation. Es geht mit Deutschland wieder aufwärts. In diesem Winter werden wir zwei Millionen Arbeitslose weniger haben.« Herr Franz von Papen, deutscher Kanzler, hieb mit der Faust auf den Tisch, lächelte und fügte hinzu: »Alles, was wir jetzt brauchen, ist ein wenig Mut.«
Der letzte deutsche Kanzler, Herr Heinrich Brüning, sagte um dieselbe Zeit vor einem Jahr voraus, daß Deutschland seinen schwersten Winter seit hundert Jahren durchmachen werde. Es war auch entschieden der schwerste, so weit die Erinnerung der Lebenden zurückreicht. Der jetzige Kanzler sagt heute voraus, der kommende Winter werde leichter sein, die Erholung sei in Sicht.
Als Herr Brüning sprach, hatte Deutschland noch Reparationen zu zahlen. Heute ist es sie los und ledig, und zum erstenmal seit dem Kriege kann der Deutsche Optimist sein und doch ein guter Deutscher bleiben. Zum erstenmal seit vierzehn Jahren kann Deutschland es sich leisten, Schluß mit der Rolle des Bankrotteurs zu machen. Das ist das Entscheidende.
»Es ist natürlich ein Risiko«, sagte der Kanzler, seine Notverordnung in die Hand nehmend, welche das neue Wirtschaftsprogramm der Regierung verfügt hat. »Es ist ein Risiko, aber was ist schließlich schon jemals zustande gebracht worden, ohne daß ein Risiko eingegangen wurde? Wir wetten auf die Erholung. Wir glauben, daß die Chancen für uns sind.«
Der Einsatz der Regierung sind 2 Milliarden Reichsmark. Diese Summe setzt sie auf den Glauben, daß die Erholung auf dem Wege sei, und daß sie gegen Ende des nächsten Jahres in vollem Schwung sein werde. Gewinnt die Regierung, so heißt das, daß Deutschland bereits weit vorne liegen kann, wenn die Völker Europas anfangen, aus dem Armenhaus herauszusteigen.
Es gehörte ein gut Teil von Mut für jeden deutschen Kanzler dazu, auf die Erholung zu wetten. Herr von Papen ist offenbar völlig furchtlos, und seine Gelassenheit kommt seinem Unternehmungsgeist gleich. Unsere Unterredung war für eine Stunde angesetzt, in der der Kanzler soeben eine wichtige Rede hinter sich hatte und im Begriffe stand, nach Neudeck zu fahren, um den Präsidenten Hindenburg aufzusuchen. Kein Staatsmann in Europa hatte in diesem Augenblick mehr Sorgen als der Kanzler von Papen, aber nach seinem Benehmen zu urteilen, hätte er ein Diplomat zur Teezeit sein können – sorglos, humorvoll, gastfreundlich.
Wir saßen an einem großen Fenster der Reichskanzlei, das auf die Wilhelmstraße ging. Das Zimmer zeigte den einfachen geradlinigen Stil der neuen deutschen Architektur, der sich von dem alten Barock deutscher Regierungsgebäude ebensosehr unterscheidet wie der ehemalige Oberstleutnant von Papen von dem traditionellen mit Einglas bewaffneten Offizier. Sein Kabinett ist ein Monopol[kel]kabinett genannt worden, aber keiner seiner Minister trägt ein Einglas. Herr von Papen setzt zum Lesen eine Hornbrille auf.
Frische, Freimut, Zugänglichkeit – das waren die Eigenschaften des Kanzlers, die auf die Franzosen solchen Eindruck machten, als von Papen nach Lausanne kam. Sie waren nicht zu verkennen. Den größten Eindruck machte jedoch sein freundliches Selbstvertrauen. Von allen Staatsmännern Europas, die ich gesprochen hatte, wirkte keiner so sicher seiner selbst, seiner Regierung und der Zukunft seines Vaterlandes. Präsident Miklas war bekümmert, Präsident Masaryk beunruhigt, Ministerpräsident Mussolini ernst, Ministerpräsident Herriot abwechselnd jovial und besorgt. Kanzler von Papen war gleichmäßig heiter.
»Ich nehme nicht an«, sagte er, »daß Europa sich über Nacht erholen und plötzlich seine Fähigkeit von 1929 wieder finden wird, Waren im Werte von rund hundertsechzig Milliarden Reichsmark jährlich zu exportieren und zu importieren. Wenn Sie das unter Erholung verstehen, glaube ich nicht, daß sie sofort kommen wird. Aber schließlich wird sie kommen.
Unser Ziel ist jedoch etwas bescheidener. Worauf wir in Deutschland hinarbeiten, das ist die Wiedererlangung eines anständigen Lebensstandards für die gesamte Bevölkerung. Das ist der Zweck unseres neuen Wirtschaftsprogrammes. Mit ihm beenden wir die Deflation, welche dem Unternehmungsgeist die Luft genommen hat. Wir glauben, daß Deutschland den Tiefstpunkt erreicht hat, und daß zur Einleitung des normalen Erholungsprozesses, der uns schließlich zur Prosperität führen wird, nicht mehr notwendig ist als ein wenig Anregung.
Vor allem brauchen wir den Mut, unpopulär zu sein. Und wir brauchen Taten.«
Niemand kann leugnen, daß die Regierung Papen gehandelt hat. Ebensowenig kann geleugnet werden, daß viele ihre Taten, und seien sie noch so nützlich, unpopulär gewesen sind.
Warum das unvermeidlich war, wird klar, wenn man das Ziel der Regierung und die Zustände, denen sie sich gegenüber sieht, betrachtet. Ihr Ziel ist, wirtschaftlich gesprochen, das Land so weit wie möglich zur Wiederherstellung der freien kapitalistischen Wirtschaft zurückzuführen. Es ist sehr viel Kritik an der Sozialdemokratischen Partei geübt worden, weil es ihr im Verlauf eines Jahrzehnts, das sie an der Macht war, nicht gelang, die deutsche Industrie zu sozialisieren. Ein Sozialisieren der deutschen Industrie brachte sie nicht zuwege, aber wie weit sie auf dem Wege kam, einzelne Deutsche von den öffentlichen Finanzen leben zu lassen, wird aus einer Statistik Adolf von Bülows ersichtlich.
Von Bülow hat festgestellt, daß nicht weniger als 23 500 000 Deutsche von öffentlichen Mitteln leben. Das heißt, 36 Prozent einer Bevölkerung von 64 500 000 Menschen sind auf öffentliche Gelder angewiesen. Dazu zählen die Beamtenschaft und das Heer, sowohl Aktive wie Pensionierte, die Empfänger von Kriegsrenten, von Altersrenten und von Bezügen aus den zahllosen Abarten der Sozialversicherung und schließlich die Unterstützung empfangenden Arbeitslosen. Des Vergleiches halber sei erwähnt, daß von allen diesen lediglich die Beamtenschaft und das Heer in Amerika von öffentlichen Geldern leben würden. Und in Deutschland umfassen Beamtenschaft und Heer mit den von ihnen Abhängigen nicht mehr als 1 500 000 aus der Totalsumme der 23 500 000 von öffentlichen Mitteln lebender Menschen.
So weit ist Deutschland von dem Wege der freien kapitalistischen Wirtschaft abgewichen. Es wird natürlich nicht möglich sein, die öffentliche Unterstützung so vieler Millionen, die zugrunde gehen müßten, wenn sie jetzt ihrer Subsistenzmittel beraubt würden, schleunig oder auch nur allmählich aufzugeben. Schon der bloße Versuch, ein System zu stören, das jedem dritten Deutschen die Möglichkeit gibt, auf Staatskosten zu leben, muß sehr viele Feinde schaffen. Herr von Papen hat eine ganz einzigartige Sammlung von Feinden. Nichtsdestoweniger wäre es unrichtig, die Popularität seines Regimes nach dem Ergebnis der Reichstagsabstimmung zu beurteilen, die 512 gegen und 42 Stimmen für die Regierung brachte.
Denn in der Liste der Taten seiner Regierung – es ist eine Rekordliste für eine Regierung, die erst seit einigen Monaten im Amte ist, und insbesondere für eine Regierung, die eine gewaltige Majorität im Reichstag gegen sich hat – gibt es manches, was die Zustimmung der ganzen Nation, und nichts, was die Mißbilligung der ganzen Nation hat.
Diese Liste ist lehrreich. In der kurzen Zeit, die sie am Ruder ist, hat die Regierung Papen: die sozialistischen Regierungsmitglieder Preußens nach Hause geschickt, den Reichstag nach Hause geschickt, die Demokratie verworfen, die Monarchie hinausgeschoben, sich positiv zum Privatkapitalismus bekannt, Hitler abgelehnt, die ersten Schritte dazu getan, aus Hitlers Privatarmee eine Volksmiliz zu machen, zwei Milliarden Reichsmark auf die deutsche Erholung gesetzt, das Prinzip der freien Lohnbemessung wieder eingeführt, die Stellung der Gewerkschaften erschüttert, die Arbeitslosenunterstützung reduziert, die Regierungsausgaben herabgesetzt, die Verwaltung vereinfacht, die ersten Schritte getan, die das Aufgehen Preußens im Reich einleiten.
In der Sphäre, die ihre Beziehungen mit dem Ausland berührt, hat sie zwei Schritte von historischer Bedeutung unternommen: sie hat den Reparationen ein Ende gemacht, und sie hat die ersten Maßnahmen zur Vorbereitung der Aufrüstung ergriffen.
Das letzte ist die klare Auslegung der sorgfältig abgefaßten deutschen Abrüstungsnoten und des deutschen Anspruches auf Gleichberechtigung. Wenn Deutschland die Rüstungsgleichberechtigung anstrebte, ohne von ihr Gebrauch machen zu wollen, so wäre das ebenso, wie wenn Suffragetten das Wahlrecht forderten, aber versprächen, niemals zu wählen.
Nichtsdestoweniger macht die diplomatische Taktik es für den Augenblick notwendig, das Hauptgewicht auf die Rechte und nicht auf ihre Ausübung zu legen, und Herr von Papen gründet sein ganzes außenpolitisches Programm darauf, diese Rechte zu erhalten. Er macht die deutsche Gleichberechtigung auch zu einer Vorbedingung der Erholung.
»Es ist meine feste Überzeugung«, sagte er, »daß die Erholung Deutschlands wesentlich für die Erholung Europas ist. Und die Erholung Deutschlands hat eine fundamentale Vorbedingung: die Wiederherstellung des politischen Vertrauens in Europa. Das politische Vertrauen ist die fundamentale Notwendigkeit für die Wiederherstellung der freien Zirkulation von Kredit und Waren.
Und um das politische Vertrauen in Europa wiederherzustellen, ist es vor allem notwendig, Deutschlands politische Gleichberechtigung wiederherzustellen. Wir müssen von den Diskriminationen des Versailler Vertrages gegen Deutschland befreit werden. Wir dürfen nicht länger als Macht zweiten Ranges behandelt werden.«
»Sie meinen selbstverständlich in Sachen der Rüstung?«
»Ja, das darf aber nicht so interpretiert werden, als sollte es heißen, daß Deutschland ein Heer aufzubauen wünscht, das ebenso groß wäre wie das Frankreichs. Es heißt vielmehr, daß wir das Recht haben müssen, unsere militärischen Angelegenheiten nicht mehr und nicht minder nach eigenem Ermessen zu regeln, als Frankreich die seinen. Wir müssen einfach das moralische Inferioritätsgefühl loswerden.«
Dies ist vielleicht die einzige Forderung der Regierung Papen, die praktisch bei der ganzen Bevölkerung, mit Ausnahme der Kommunisten, einstimmigen Beifall gefunden hat. Nicht einmal die Sozialdemokraten haben es gewagt, Opposition gegen sie zu machen, wie immer auch die pazifistisch Gerichteten in ihren Reihen über ihre Wirkung auf die Friedensaussichten denken, und wie sehr sie auch an der Wirksamkeit der deutschen Aufrüstung als eines Mittels zur »Wiederherstellung des politischen Vertrauens in Europa« zweifeln mögen.
Aber in einem anderen Sinne ist die Papensche Forderung allen Ernstes darauf berechnet, die wirtschaftliche Erholung zu fördern. Wenn zum Beispiel, was durchaus wahrscheinlich ist, der erste deutsche Schritt zur Aufrüstung die Einrichtung eines Milizsystems ist, kann ein solcher Schritt sich als entscheidend erweisen für die Stabilisierung der deutschen Innenpolitik. Eine Miliz würde die Jugend Deutschlands aus ihren jetzigen militärisch organisierten politischen Kampfbünden herausnehmen. Sie würde sie dem Einfluß ihrer Parteiführer entziehen und unter den Befehl des Staates stellen. Es könnte das Ende der Nationalsozialistischen Partei bedeuten, wenn aus ihren Sturmabteilungen eine Volksmiliz rekrutiert würde. Daß dies die Aussichten für eine politische, und damit auch für eine wirtschaftliche Stabilisierung Deutschlands bessern würde, ist wohl kaum zu bezweifeln.
In dem Papenschen Erholungsprogramm vereinen sich Selbstvertrauen und Selbständigkeit. »Wir erwarten keine Hilfe vom Ausland«, erklärte der Kanzler. »Wir helfen uns selbst durch unbedingtes Vertrauen auf die Zukunft. Wenn wir unrecht haben, wenn es nicht besser wird, dann kommt es auch nicht mehr so sehr darauf an, ob es auf andere Weise schlechter wird.
Nur in einer Hinsicht brauchen wir Unterstützung vom Ausland, und in gewissem Sinne ist diese Unterstützung unerläßlich. Um die Stabilität unserer Währung aufrecht zu erhalten, müssen wir das Vertrauen unserer Gläubiger haben. Wir müssen bestrebt sein, uns jener künstlichen Restriktionen zu entledigen, denen die Abziehung von Krediten aus Deutschland unterliegt, und an ihre Stelle das aufrichtige Vertrauen unserer Gläubiger setzen, das sich darauf gründet, daß sie glauben und wissen, daß die Deutschen ehrliche Geschäftsleute sind und ihre Schulden zahlen werden, daß sie kreditwürdig sind. Das Geld muß freiwillig hier gelassen werden.«
»Aber was, wenn die Gläubiger es nicht freiwillig hier lassen wollen? Und was gedenken Sie in betreff der Herabsetzung der Zinssätze zu tun?«
»Es sollte doch offenbar sein«, antwortete er, »daß Deutschland sich trotz allen Schwierigkeiten, die einer Umwandlung von Reichsmarkbeträgen in fremde Valuten entgegenstehen, als guter Schuldner erwiesen hat, der zahlungswillig ist.
Die deutsche Regierung beabsichtigt nicht, irgendwelche Reduktionen am Kapital oder am Zinsendienst privater Schulden vorzunehmen.
Die deutsche Regierung erkennt uneingeschränkt das Prinzip der Privatwirtschaft an, daß dies eine Angelegenheit der privaten Schuldner und ihrer ausländischen Gläubiger sei. Dies hat jedoch nichts mit der Tatsache zu tun, daß die Regierung davon überzeugt ist, eine Herabsetzung des Zinsfußes sei vom Standpunkt der Volkswirtschaft aus in jenen Fällen notwendig und wünschenswert, in denen ein Schuldner, der von sich aus zahlungswillig ist, in den Bankrott getrieben würde, wenn er gezwungen wird, die ursprünglich verlangten Zinsen zu zahlen. Die Notwendigkeit einer Zinsherabsetzung entspringt durchaus keinem bösen Willen auf Seiten des Schuldners, sondern ganz einfach der wirtschaftlichen Unmöglichkeit, die jetzige Zinslast zu tragen. Durch eine Wirtschaftskatastrophe, die sich ausgewirkt hat wie ein Sturm ohne jedes Vorbild in der Weltgeschichte, ist eine beträchtliche Anzahl von Schuldnern, und zwar nicht nur in Deutschland, in solche Schwierigkeiten geraten, daß es im wirtschaftlichen Interesse der Gläubiger liegt, sich über die völlig geänderten Wirtschaftsbedingungen Rechenschaft zu geben und so rasch und so wirksam wie möglich ein Abkommen mit ihren Schuldnern zu treffen.«
Die Ähnlichkeit dieser von Herrn von Papen erteilten Antwort mit der, die Gregor Straßer, der Führer des linken Flügels von Hitlers Nationalsozialisten, auf dieselbe Frage gegeben hat, ist bemerkenswert.
»Abgesehen von Deutschland und seinen Beziehungen mit der Umwelt – welche anderen Vorbedingungen sind Ihrer Ansicht nach unerläßlich für eine europäische Erholung?«
»Vor allem müssen alle Regierungen ihre Ausgaben auf ein Ausmaß herunterschrauben, das für die Bevölkerungen tragbar ist. Wir sind jetzt dabei, das mit Hilfe unserer Verwaltungs- und Steuerreform zu tun. Wir kommen zu einem niedrigeren Niveau der öffentlichen Ausgaben, und das ist die erste Bedingung für jede Erholung.
Zweitens ist es von überragender Notwendigkeit, daß die Währungen auf einer freien Goldbasis restabilisiert werden. Wir müssen zu einer Neuverteilung des Goldes der Welt kommen.
Drittens ist es unbedingt notwendig, daß Mitteleuropa sich erholt. So lange die Donaustaaten nicht wieder auf ihren Füßen stehen, wird Europa nicht zu neuem Leben kommen. Wir müssen ihre Zentralbanken auf eine gesunde Grundlage stellen. Wir müssen es ihnen ermöglichen, ihre Währungsrestriktionen aufzuheben. Wir müssen die Zölle so weit ermäßigen, daß ein freier Warenaustausch zumindest in dem Ausmaße möglich wird, wie er vor der Kreditkrise bestand.
»Bitte«, sagte der Kanzler, »gestatten Sie mir, ausdrücklich zu betonen, daß das deutsche Volk, im Gegensatz zu all den zahlreichen falschen Darstellungen über Deutschlands Ziele in der Weltpolitik, nichts anderes will als sein unvergängliches Recht auf den Platz, der ihm auf Grund seiner Bevölkerungszahl und seines kulturellen Niveaus unter den Völkern der Erde gebührt. Um nichts mehr und um nichts weniger. Wir wollen in Frieden arbeiten, und wir wollen imstande sein, uns so zu entwickeln, wie unsere Fähigkeiten es uns gestatten. Und das ist nur dann möglich, wenn man uns nicht die wirtschaftlichen Lebensnotwendigkeiten versagt, und wenn wir von der noch immer existierenden moralischen Diffamierung des sogenannten Friedensvertrages befreit werden.«
Kanzler von Papen ist heute das politische Sturmzentrum Deutschlands. Wenn er von den politischen Parteien abhinge, hätte er die kleinste Minorität, die jemals einer Regierung in der Geschichte der Republik zuteil wurde. Aber die Kraft, die Herrn von Papen als Kanzler stützt, ist ungeteilt. Es ist die bewaffnete Macht Deutschlands. Und hinter dem Heer steht die einzige unbestrittene Autorität im Reich, der oberste Befehlshaber des alten feldgrauen Heeres und oberste Befehlshaber des neuen Reiches.
Es war ein trauriger Augenblick für die Demokratie, als Kanzler von Papen vor den letzten Reichstag hintrat und auf das Pult des Präsidenten das rote Kuvert legte, das die Verordnung zur Auflösung des Parlamentes enthielt. Es mag in der Tat das Ende der Republik gewesen sein. Das Ende Deutschlands war es ganz entschieden nicht. So lange Generalfeldmarschall von Hindenburg oberster Befehlshaber ist, ist dem Kabinett, das sich seines Vertrauens erfreut, freie Bahn zur Ausführung seines Erholungsprogrammes gesichert.
*
Aus der einen Ecke des Zimmers blickte Kaiser Wilhelm der Zweite auf uns herunter, aus der anderen sah uns Friedrich der Große an. Beide in Lebensgröße, aus blauen Kacheln – eine Art Küchenmosaik.
Die beiden Hohenzollern sahen auf den obersten Sozialisten der Nationalsozialistischen Partei herab, und nicht eine Miene in ihren königlichen Porzellangesichtern verzog sich, als sie den größten Wirtschaftler, den Führer des linken Flügels von Adolf Hitlers Braunhemden, erklären hörten, daß die Partei der Wirtschaftsrevolution, des Radikalismus stets den Prinzipien des Privateigentums, der privaten Initiative, des ehrlichen Geschäfts treu bleiben würde.
Was wird mit der Wirtschaft geschehen, wenn die Nationalsozialisten zur Macht kommen? Das ist das größte politische Fragezeichen in Deutschlands wirtschaftlicher Zukunft. Hier ist die Antwort darauf.
Es war Gregor Straßer, der sprach. Wir waren im Empfangsraum der Nationalsozialisten im Hotel Kaiserhof. Gregor Straßer ist die einzige Persönlichkeit in der Nationalsozialistischen Partei, die sich mit Hitler messen kann. Er ist der Mann, von dem am häufigsten gesagt wird, er werde nationalsozialistischer Kanzler werden, wenn Hitler einen Vertreter seiner Autorität zu bestellen wünsche. Herr Straßer steht in dem Ruf, der Führer des radikalen, antikapitalistischen Flügels der Partei zu sein. Er hielt bei der Eröffnungssitzung des Reichstages die Programmrede für die Nationalsozialisten. Er schreibt das Wirtschaftsprogramm der Partei. Er ist der Mann, von dem man erwartet, daß er mit den Kommunisten aufräumen werde, weil er kommunistischer sei als sie.
Sooft die Geschäftsleute Angst vor den Nazis bekommen, haben sie Angst vor Gregor Straßer. Sooft ausländische Bankiers besorgt fragen, ob es den Nazis mit ihrem Sozialismus wirklich ernst sei, beziehen sich ihre Fragen auf Herrn Straßer. Die Ansichten Adolf Hitlers glauben sie zu kennen. Ihn halten sie für ungefährlich. Herrn Straßers sind sie nicht sicher. In diesem großen, blonden, geraden Mann verkörpert sich für die besagten Kapitalisten in Deutschland eine dunkle Drohung.
Heute aber erklärte Herr Straßer: »Wir erkennen das Privateigentum an. Wir erkennen die private Initiative an. Wir erkennen unsere Schulden an und unsere Verpflichtung, sie zu zahlen. Wir sind gegen die Verstaatlichung der Industrie. Wir sind gegen die Verstaatlichung des Handels. Wir sind gegen Planwirtschaft im Sowjetsinne. Wir sind gegen Inflation. Wir sind für den Goldstandard. Wenn wir zur Macht kommen, wird es keine gewaltsamen Änderungen geben.«
Das Überraschendste von allem war, daß Herr Straßer erklärte: »Wir sind gegen eine unbeschränkte Autarkie. Wir haben nicht die Absicht, einen Versuch zu einer völligen wirtschaftlichen Selbsterhaltung zu machen.«
Diese Erklärungen Gregor Straßers sind von entscheidender Bedeutung für jedes Urteil über die Möglichkeiten Deutschlands, wieder hoch zu kommen.
Sie bedeuten, daß Deutschland innerhalb des kapitalistischen Systems bleiben wird. Sie bedeuten, daß Deutschland, wenn es sich erholt, sich im kapitalistischen System erholen wird. Sie bedeuten, daß Deutschland nicht sozialistisch, noch weniger kommunistisch werden wird, weder jetzt noch innerhalb der heute zu übersehenden Zukunft.
Wenn die jetzige Regierung am Ruder bleibt – diese ist sicherlich kapitalistisch. Und wenn eine andere Regierung kommen sollte, könnte man sie sich nur von drei Parteien gebildet vorstellen: den Deutschnationalen, dem Zentrum und den Nationalsozialisten. Die Sozialdemokraten kommen nicht in Betracht, vielleicht für lange Zeit nicht. Die Kommunisten sind noch niemals in Betracht gekommen.
Aber die Deutschnationalen und das Zentrum sind von Natur aus kapitalistisch, gerade sie bilden die eigentliche Feste des Kapitalismus. Und heute ergibt sich mit aller Deutlichkeit aus den Erklärungen des Herrn Straßer, daß der Kapitalismus von den Nationalsozialisten nichts zu fürchten hat.
Denn ehrlich ist Herr Straßer unbedingt. Er meinte wirklich, was er sagte. Seine Stellung innerhalb der Partei und seine Stellung vor der Öffentlichkeit gründet sich auf seinen Ruf, ein lauterer, ehrenhafter, aufrichtiger Mann zu sein. Kein Nationalsozialist wird wegen dieser Eigenschaften von der außerhalb der Partei stehenden Öffentlichkeit mehr geachtet als Herr Straßer.
»Wenn Hitler zur Macht kommt und es nicht zuwege bringt, den Sozialismus durchzuführen, oder wenn es Hitler nicht gelingt, ans Ruder zu gelangen, werden die Massen seiner Partei ihn verlassen. Sie werden sich mit den Kommunisten und den wahren Sozialisten in der Sozialdemokratischen Partei vereinen. Sie werden eine unwiderstehliche Macht bilden. Sie werden den Kapitalismus stürzen, und Gregor Straßer wird ihr Führer sein.«
Das besagt die öffentliche Meinung über Herrn Straßer. Heute jedoch riß Herr Straßer das traditionelle Wirtschaftsprogramm der Nationalsozialistischen Partei buchstäblich in Fetzen.
»Ich glaube«, sagte Herr Straßer, »daß die Weltkrise ihren Tiefpunkt hinter sich hat. Ich bin auch sicher, daß die Preise wieder anzusteigen beginnen, und daß der schlimmste Teil der Depression vorüber ist. Aber das heißt noch nicht, daß alle Länder einen Vorteil daraus ziehen werden. Im Gegenteil, mir scheint, Deutschland wird unter dem Anziehen der Rohmaterialpreise leiden müssen. Meiner Berechnung nach werden die deutschen Fabrikanten ganz einfach wegen des Anziehens der Kupfer-, Baumwoll- und anderen Preise um einige Punkte 1000 bis 1200 Millionen Reichsmark mehr zu zahlen haben.«
Das ist heute ein beliebtes Argument der Pessimisten in Deutschland. Dabei wird jedoch die fundamentale Tatsache übersehen, daß die Depression mit dem Fallen der Preise der Rohmaterialien und landwirtschaftlichen Erzeugnisse, mit dem Abnehmen der Kaufkraft bei den Produzenten dieser Güter begann. Es übersieht die Tatsache, daß eine Steigerung der Kaufkraft bei den Erzeugern der Rohmaterialien den Markt für die Produkte der Industriestaaten, also auch Deutschlands, vergrößert.
Herr Straßer erkannte diesen Einwand stillschweigend an, als wir das Papensche Erholungsprogramm besprachen. »Das Papenprogramm«, sagte er, »kann Erfolg nur dann haben, wenn die Tendenz der Weltwirtschaft in diesem Winter scharf nach oben weist. Wenn unser Ausfuhrmarkt beträchtlich vergrößert wird, so daß für die im Papenplan vorgesehene neue Produktion Platz geschaffen wird, dann gibt es eine Erholungschance.«
Im Prinzip jedoch stimmt Herr Straßer mit der Haltung seiner Partei überein, ist er gegen den Papenplan. Es ist keine leichte Sache für die Nationalsozialisten, an diesem Programm Kritik zu üben; seine Zentralidee nämlich, die Kreditausweitung, ist eine der prinzipiellen Forderungen der Nazis selbst und war das Lieblingsthema Herrn Straßers.
Die Tatsache, daß die Regierung Brüning und jetzt die Regierung Papen konsequent Stein um Stein aus dem nationalsozialistischen Programm herausgenommen haben, ist mit Ursache dafür, daß die Nazis so wütend über ihren Ausschluß von der Macht sind. Stein um Stein hat sich die Regierung angeeignet, so daß heute Papen und Hitler auf Plattformen stehen, die für außenstehende Beobachter nicht voneinander zu unterscheiden sind. Hitler ist sicherlich nicht nationalistischer als Papen, und Papen ist sicherlich nicht kapitalistischer als die Nationalsozialisten. Wir haben also hier eine Antwort auf die Frage: »Was würde geschehen, wenn die Nazis zur Macht kämen?« Die Antwort lautet: »Es ist bereits geschehen.«
Trotzdem lassen die Nazis sich nicht nehmen, daß ein Unterschied im Geiste da sei. Herr Straßer drückte dies so aus: »Das Papenprogramm kann keinen Erfolg haben, weil die Menschen, die dahinter stehen, nicht daran glauben. Es ist ungefähr so wie folgendes: ein alter Bauer hat immer natürlichen Dünger für seine Felder benutzt. Sein Sohn überredet ihn gegen seinen Willen dazu, künstliche Düngemittel zu nehmen. Er will es eigentlich gar nicht, aber er kauft irgendein chemisches Düngemittel, und weil er nicht das geringste davon versteht und auch nicht das geringste davon verstehen will, düngt er falsch, und dann sagt er zu seinem Sohn: ›Siehst du, ich habe ja gleich gesagt, daß diese neumodischen Dinger nichts taugen.‹
Genau so ist es mit dem Papenprogramm. Man hat meinen Gedanken von der Kreditausweitung aufgenommen, aber selbst glaubt man eigentlich nicht daran, man weiß nicht, wie man ihn auswerten soll, und deshalb wird er nicht funktionieren.
Wir sind gegen Kreditgewährung an Einzelpersonen ohne staatliche Kontrolle über die Verwendung, der der Kredit zugeführt wird. Wir sind für Kreditgewährung an Unternehmen, die direkt zusätzliche Arbeit schaffen, nicht um für den Export, sondern um für die Versorgung des Volkes mit den Lebensnotwendigkeiten zu arbeiten.«
Trotz der offenbaren Aufrichtigkeit Herrn Straßers war nicht um den Eindruck herumzukommen, daß die Nationalsozialisten Angst davor haben, der Papenplan könnte zu einem Erfolg führen. Denn wenn er Erfolg hat, wenn in diesem Winter ein bis zwei Millionen Erwerbslose Arbeit finden und die Wirtschaft sich erholt, ist der Abstieg der Nationalsozialisten die unvermeidliche Folge.
Wir nahmen das offizielle »Unmittelbare Wirtschaftsprogramm der Nationalsozialistischen Partei« zur Hand, das erst vor wenigen Monaten in einer ersten Auflage von 600 000 Stück als »Zwangsführer für Tribüne und Presse der Partei« herausgegeben worden ist. Es ist von Gregor Straßer gezeichnet, heute aber verleugnete Herr Straßer einen großen Teil davon, er wich von jedem einzelnen seiner grundlegenden Punkte ab, erklärte, er habe die Absicht, das Programm zurückzuziehen und umzuschreiben, und sagte, er sei soeben genötigt gewesen, den Rücktritt von Kollegen anzunehmen, die darauf bestanden hätten, doktrinär zu sein und an Ideen festzuhalten, die er jetzt als überaltert betrachte.
Am wichtigsten für die Umwelt war Herrn Straßers Erklärung über den deutschen Goldstandard. In dem offiziellen Programm ist eine ganze Seite einer Auseinandersetzung darüber gewidmet, warum es für Deutschland eine Notwendigkeit sei, vom Goldstandard abzugehen. »Heute«, sagte Herr Straßer, »würde ich das folgendermaßen verbessern: ›Der Nationalsozialismus fordert, daß Deutschland den Goldstandard nur dann aufgibt, wenn es zum Besten der Nation notwendig ist‹.«
»Das«, bemerkte ich, »könnte die Reichsbank und jede andere Notenbank der Welt unterschreiben.«
»Richtig«, sagte er. »Es ist eben so, daß ich jetzt der Ansicht bin, Deutschland kann beim Goldstandard bleiben und durch die Krise durchkommen, ohne ihn aufzugeben. Wenn wir das tun können, hat es keinen Sinn, ihn aufzugeben.«
Die nächste Frage bezog sich auf die Autarkie, auf die Forderung, Deutschland solle sich wirtschaftlich ganz und gar allein erhalten, eine Forderung, die einer der Hauptgründe dafür war, daß die Wirtschaft in Deutschland den Nationalsozialismus zu fürchten begann. In dem offiziellen Programm steht der Satz: »Es ist wünschenswert, daß wir so weit wie möglich alles, was wir konsumieren, in Deutschland erzeugen.«
Ich sprach davon, daß Mussolini mir gegenüber ausdrücklich betont hatte, er sei ein Gegner des Autarkiegedankens, und daß er immer wieder erklärt hatte, so etwas würde zu nationaler und internationaler Verarmung führen.
»Aber wie kommen Sie denn darauf, daß wir für eine absolute Autarkie sind?« fragte Herr Straßer. »Das sind wir durchaus nicht. Auch das ist ein Teil des Programms, der umgeschrieben werden muß. Wir treten lediglich dafür ein, daß hinreichende Möglichkeiten für eine Erzeugung der primitivsten und notwendigsten Waren zur Befriedigung der Lebensnotwendigkeiten innerhalb Deutschlands entwickelt werden, damit es uns ermöglicht wird, uns im Falle einer Blockade zu verteidigen.«
»Dann ist also schließlich der tiefste Grund für alle auf eine wirtschaftliche Selbsterhaltung abzielenden Bemühungen die Kriegsfurcht, nicht wahr?« fragte ich.
»Stimmt«, sagte Herr Straßer. »Kein Volk ist imstande, einen Freiheitskrieg zu führen, wenn es nicht so ausgerüstet ist, daß es sich selbst ernähren kann. So weit sind wir noch nicht. In diesem Jahr haben wir eine Rekordernte, und danach kann man nicht urteilen. Wir müssen unsere Möglichkeiten noch viel mehr entwickeln.«
Aber auch hier unterscheiden sich die Nationalsozialisten nicht wahrnehmbar von den deutschen Regierungen des letzten Jahrzehnts. In diesem Jahre hat Deutschland zum erstenmal alles Getreide erzeugt, das es für seinen eigenen Bedarf braucht, obwohl es im letzten Jahre noch 90 Millionen Scheffel (2 500 000 Tonnen) importieren mußte. Diese erstaunliche Steigerung der Getreideerzeugung in einer Zeit des Überschusses in der ganzen Welt und der niedrigsten Preise der Geschichte wurde in der Hauptsache durch einen Prohibitivzoll herbeigeführt, der den deutschen Preis für einen Scheffel Weizen auf 5,60 Mark brachte, während amerikanischer Weizen für 2 Mark lieferbar war. Die Franzosen haben dasselbe mit einem Zoll erreicht, der so phantastisch hoch ist, daß der französische Weizenpreis einmal bis auf 8,40 Mark pro Scheffel kam, während der Weizen in Amerika unter 2 Mark notierte.
Landwirtschaftshilfen trugen auch das ihrige zur Erreichung dieses Resultates bei, aber selbst wenn man den Zoll allein in Betracht zieht, werden die deutschen Verbraucher in diesem Jahr für ihren Weizen 648 Millionen Reichsmark mehr zahlen, als notwendig wäre, wenn sie ihn im Ausland kauften. Zugrunde gelegt ist ein Verbrauch von 5 Millionen Tonnen oder 180 Millionen Scheffel und eine Spanne von 3,60 Mark pro Scheffel zwischen dem deutschen Preis und dem Weltpreis. Die französischen Verbraucher andererseits werden 1120 Millionen Reichsmark extra für ihren Weizen zahlen, weil es der ihre und nicht der Weizen eines Landes ist, das sich von Natur aus zur Weizenproduktion eignet. Das ist nur ein Bruchteil des Preises, den Deutschland und Frankreich jährlich dafür zahlen müssen, daß sie nicht an die Möglichkeit eines dauernden Friedens glauben.
Die nächstwichtige Frage galt der Haltung, welche die Nationalsozialistische Partei gegenüber der Planwirtschaft einnimmt. Eine einflußreiche Gruppe der Intelligenz Deutschlands, die sich um die Veröffentlichungen Hans Zehrers und Ferdinand Frieds, des Verfassers des viel gelesenen Buches »Das Ende des Kapitalismus«, schart, betreibt eine aktive Propaganda dafür, daß Deutschland ein System der Planwirtschaft einführe, das vielleicht dem der Sowjetunion ähnlich ist, sich aber von ihm dadurch unterscheidet, daß der Grundsatz der privaten Initiative aufrechterhalten bleiben soll. Diese Gruppe hat gehofft, die Unterstützung Herrn Straßers für das Prinzip geplanter Wirtschaft zu finden.
»Das kann ich nicht unterschreiben«, sagte Herr Straßer. »Das Ganze müßte notwendigerweise zum Bolschewismus führen. Sowie Sie einmal mit dem Prinzip der staatlichen Kontrolle über Industrie und Handel beginnen, können Sie keine Grenzen mehr ziehen. Es würde unweigerlich weiterwachsen und sich ausdehnen, bis es alle Tätigkeiten umfaßt. Es würde den Körper der Nation in eine Zwangsjacke stecken. Außerdem wäre es unmöglich, die Prinzipien des Privateigentums und der privaten Initiative aufrechtzuerhalten. Ich wüßte nicht, wie es möglich sein sollte, einen im ganzen von oben geplanten Wirtschaftsprozeß zu haben und doch private Initiative von Seiten der Unternehmer aufrechtzuerhalten. Wir sind für ein gewisses Ausmaß staatlicher Kontrolle und staatlicher Leitung, aber alles von der Art des planwirtschaftlichen Systems der Sowjetunion lehnen wir ab.«
»Wieviel staatliche Kontrolle und staatliche Eigentumsrechte fordern Sie?«
»Wir fordern staatliche Leitung bei den wesentlichsten primitiven Rohmaterialien, wie Kohle, Erze, Petroleum, Kali, beim Transportwesen, wie Eisenbahnen und Schiffahrt, und bei den Banken und allem, was sich unter den Bezeichnungen Geld und Kredit zusammenfassen ließe. Aber nicht Leitung der Industrie im ganzen.«
Auch dies unterscheidet sich nicht sehr von der Auffassung der jetzigen und der letzten Regierung des Reiches. Unter deren Regime hat der Staat praktisch die Kontrolle über nahezu zwei Drittel des deutschen Bankenmechanismus erlangt. Er hat eine ausschlaggebende Stimme nicht nur bei der Eisenbahn, sondern auch in der Schiffahrt und bei der Kohlen- und Eisenerzproduktion. Es würde auch hier keiner gewaltsamen Änderung bedürfen, um die nationalsozialistischen Prinzipien einzuführen.
»Und was ist mit einem Außenhandelsmonopol?«
»Wir sind keine Freunde eines Außenhandelsmonopols, wenn darunter auch nur im entferntesten etwas Ähnliches wie der Apparat der Sowjetunion verstanden sein soll. Wir glauben lediglich, daß es zumindest für den Augenblick unbedingt notwendig ist, eine staatliche Kontrolle über den Austausch von Reichsmarkbeträgen gegen fremde Valuten auszuüben, und das würden wir mit Hilfe einer Staatsbank für fremde Valuten durchführen.«
Auch das ist eine Maßnahme, die in Deutschland seit der Kreditpanik des Juli 1931 ununterbrochen existiert. Die staatliche Kontrolle über den Austausch fremder Valuten ist so streng, daß die Reichsbank sie für praktisch unumgehbar erklärt.
»Welche Stellung nehmen Sie gegenüber den Privatschulden des Reiches an das Ausland ein? Hat die Partei ihren Standpunkt gewechselt? In Ihrem Programm heißt es: ›Wir werden mit unseren Gläubigern ein Abkommen treffen, welches die Zinsen der langfristigen Verschuldungen auf ein Niveau herabsetzt, das ungefähr dem Zinsfuß in ihren Ländern entspricht‹, und weiter: ›Wir werden ein Abkommen mit unseren Gläubigern erzielen, welches die kurzfristigen Kredite, die sich auf ungefähr 7 Milliarden Reichsmark belaufen, ausdehnt und in langfristige verwandelt, die erst nach einigen Jahren zurückzuzahlen sind.‹ Was würden Sie tun, wenn die Gläubiger solche Abkommen ablehnen?«
»Wir erkennen die Schulden an«, sagte Herr Straßer. »Wir erkennen unsere Verpflichtung an, sie zurückzuzahlen, obwohl ein großer Teil von ihnen zu dem Zweck eingegangen wurde, eine politische Schuld zu zahlen, die wir nicht anerkennen. Nichtsdestoweniger stehen wir fest auf der Plattform eines ehrlichen Geschäftsmannes, der seine Schulden bezahlt.
Wenn wir jedoch merken, daß wir sie nicht bezahlen können, werden wir es sagen. Wir werden auch versuchen, unsere Gläubiger davon zu überzeugen, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt, wenn der Zinsfuß auf ein tragbares Niveau herabgemindert wird. Es liegt auf der Hand, daß ein Gläubiger, der zehn bis zwölf Prozent Zinsen verlangt und durchgesetzt hat, mit einem großen Risiko gerechnet hat. Jetzt hat er das Risiko. Aber je höher der Zinssatz bleibt, desto höher ist auch das Risiko, daß die Zinsen nicht bezahlt werden können. Ich glaube, jeder vernünftige Gläubiger wird lieber einen herabgesetzten Zinsfuß akzeptieren als seinen Schuldner in den Bankrott gehen sehen.«
»Aber wenn Ihre Gläubiger nicht mit Ihnen übereinstimmen, werden Sie sich dann für berechtigt halten, eine willkürliche Regelung zu treffen?«
»Nun, wenn wir unsere Lage auseinandersetzen und um ein Abkommen bitten und die Gegenseite dann sagt: ›Nein, wir wollen kein Abkommen treffen‹, so ist es doch die Gegenseite, die willkürlich vorgeht. Dagegen können wir nichts tun.«
Auch das ist gar nicht so weit von der offiziellen deutschen Haltung entfernt. Die Notwendigkeit ist die Mutter der Abkommen, und wenn, beziehungsweise sobald die Zeit für ein deutsches Moratorium kommen sollte, werden die Deutschen, davon sind sie überzeugt, imstande sein, eine Regelung herbeizuführen. Im Augenblick ist die Aussicht darauf, daß Deutschland ohne ein Moratorium zurechtkommen könnte, durchaus nicht hoffnungslos. Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, zu sagen, daß die Wahrscheinlichkeit eines Moratoriums, obwohl sich im vergangenen Frühjahr fast alle Propheten darüber einig waren, daß Deutschland in diesem Herbst ein Moratorium hinsichtlich seiner Privatschulden aussprechen werde, heute viel geringer ist, als sie im Frühjahr war.
Ob ein Moratorium kommt oder nicht, das hängt jetzt in erster Linie vom Erfolg des Papenplanes ab. Wenn das Regierungsprogramm Erfolg hat, wird es nicht nur kein Moratorium geben, dann ist es sogar, wie ein hochgestellter Regierungsbeamter sagte, möglich, daß Deutschland in die Lage kommen könnte, im nächsten Frühjahr seine Währungsrestriktionen aufzuheben. Eine Wiederbelebung des Innenhandels, eine Steigerung des Außenhandelsüberschusses, eine Herabsetzung der auf Deutschlands langfristigen Anleihen lastenden Zinsen und eine Umwandlung mindestens eines Teiles der kurzfristigen Anleihen in weniger kurzfristige oder langfristige – das sind die Vorbedingungen, die es ermöglichen würden, mit den Währungsbeschränkungen Schluß zu machen. Und sobald die deutschen Währungsbeschränkungen nicht mehr existieren, wird die Welt wissen, daß der wichtigste Schritt zur europäischen Erholung getan ist.
Herr Straßer jedoch verharrte auf einem Pessimismus, der politisch angehaucht war. »Wir waren in der Vergangenheit nicht imstande, aus der Prosperität der Welt Vorteile zu ziehen«, sagte er, »weil Deutschland ununterbrochen in innerpolitische Kämpfe verwickelt war und keine fremde Macht die deutschen Regierungen als verantwortlich ansehen konnte. Heute werden wir gleichfalls nicht imstande sein, Vorteile aus der Erholung der Welt zu ziehen, weil unsere politischen Kämpfe das Land in ununterbrochenen Wirren halten und die Regierung nicht als Vertreterin des deutschen Volkes betrachtet werden kann.«
Wir waren mit dem Programm fertig. Von der offiziellen Version war nicht viel übrig geblieben. Der nationalsozialistische Radikalismus hat in direktem Verhältnis zur Annäherung der Partei an die Möglichkeit einer Verantwortungsübernahme abgenommen. Aber Herr Straßer konnte das Ganze in nuce erklären.
»Meiner Ansicht nach«, sagte er, »war einer der klügsten Aussprüche Mussolinis die Antwort, die er gab, als ihm jemand eine Sinnesänderung vorwarf und seinen Standpunkt von vor einem Jahr zitierte. ›Wann habe ich das gesagt?‹ fragte Mussolini. ›Vor einem Jahr‹, sagte der Kritiker. ›Eben‹, erwiderte ihm Mussolini.
Wir sind nicht doktrinär«, beendete Herr Straßer seine Ausführungen. »Wir passen uns den Tatsachen an. Wenn einer ertrinkt und ein anderer dazukommt und ins Wasser springen will, um ihn zu retten, was würden Sie in so einem Fall von einem Dritten denken, der den Zweiten fragt: ›Können Sie schwimmen?‹ ›Ja‹, sagt der. ›Aber können Sie crawlen?‹ ›Nein, ich schwimme Brust.‹ ›Aber bevor Sie den Mann retten wollen, müssen Sie crawlen lernen.‹ Er geht also weg, um crawlen zu lernen, und der ins Wasser Gefallene ertrinkt.
Wir Nationalsozialisten wollen versuchen, Deutschland sofort zu retten, auch wenn wir es mit dem altmodischen Brustschwimmen tun müssen. Wir sind der Ansicht, daß die Lebensrettung wichtiger ist als die Methode.«
Was die wirtschaftlichen Methoden betrifft, so sind die wichtigsten Parteien, die für die Ausübung der Macht in Deutschland in Frage kommen, praktisch so gut wie einig. Verzögert könnte die deutsche Erholung nur werden, wenn die Politik die Wirtschaft vergewaltigt.