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Greta Garbo hat einen Vertrag mit einer Wochengage von 12 500 Dollar, 50 000 Reichsmark unterzeichnet. Sie ist in Rom heute gegen ein Eintrittsgeld von 12 Pfennig, 8 Pfennig für Kinder, zu sehen. Das ist im »Trastevere«, dem Trans-Tiber jenseits des Flusses, in den Arbeitervierteln.
Das »Trastevere« inszenierte heute seine eigene Antwort auf die Krise. Es richtete eine Festlichkeit aus. »Unser Fest«, so war in gewaltigen Lettern auf einem Transparent zu lesen, das zwischen ungeheuren faschistischen Rutenbündeln gespannt war, den Liktorenbündeln des alten Rom, dem Symbol des neuen Regimes.
Das Viertel war für die nächtliche Feier mit grünen Kränzen geschmückt. Scharen von Arbeitern hatten in den Weinkneipen bereits zu feiern begonnen. Bei einem Preis von 40 Pfennig für gewöhnlichen Rotwein und 60 Pfennig für den besten Frascati war das Feiern eine leichte Sache. Die Depression wurde rasch vergessen.
Bevor sie jedoch in Vergessenheit geriet, war noch Zeit, Untersuchungen über die allgemeine Frage anzustellen: »Wie geht es der Arbeiterschaft unter dem Faschismus in der Krise?« Diese Untersuchungen werden am besten ganz unten angestellt. Das Unterste in Rom ist das Ghetto, der ärmste Teil der Stadt.
Es beginnt bei dem Taubenbrunnen, der in den Führern mit drei Sternen versehen ist, aber vielen Besuchern zu sehr abliegt. Einen Schritt von einem offenen Fenster entfernt, hatten zwei Näherinnen schwaches Licht für ihre Arbeit. Sie rackerten sich in einer mörderischen Hitze ab.
»Wieviel verdienen Sie?« fragten wir.
Die eine der Frauen wandte uns ihr müdes Gesicht zu und lächelte.
»Manchmal mehr, manchmal weniger. Es hängt davon ab, wie angestrengt wir arbeiten. Im Durchschnitt wohl vierzig Lire im Tag.«
8 Mark täglich für eine Näherin.
In einiger Entfernung rissen ungefähr 50 Arbeiter ein Gebäude nieder. Diese Arbeit war ein Teil des römischen Fünfzehnjahrplanes zur Erneuerung der Stadt.
Ein braunärmiger junger Mann in knallrotem Leibchen, der ein buntes Tuch um den Kopf gewickelt hatte, schaufelte Ziegelbruch in einen Schubkarren.
»Wieviel verdienen Sie?« fragten wir.
»Zwanzig Lire im Tag«, antwortete er stolz.
4 Mark im Tag für Tagelöhnerarbeit.
»Ich habe so viel Arbeit, wie ich nur schaffen kann«, erzählte er weiter. »Wir arbeiten für einen Unternehmer, der für die Stadt arbeitet. Wenn wir hier fertig sind, müssen wir ein anderes Gebäude, gleich hier um die Ecke, abreißen. Eine ganze Menge Häuser sind einzureißen. Das soll ein großer, freier Platz werden, so etwas wie ein Park an der Straße.«
Wir befragten unseren Chauffeur.
»Ich verdiene fünfzig bis sechzig Lire im Tag«, erklärte er. »Ja, das sind ungefähr zehn Mark. Das ist so der Durchschnitt für uns. Die Wagen gehören uns nicht. Wir mieten sie für ungefähr fünf Mark am Tag vom Besitzer, und alles was wir über fünf Mark und die Benzinkosten einnehmen, gehört uns.«
Hier hatten wir die Vertreter dreier Arbeiterkategorien, eine Näherin, einen gewöhnlichen Arbeiter, einen Chauffeur. Was konnten sie mit ihren Löhnen kaufen?
In einem nahegelegenen Gasthaus zeigte die Speisekarte Antipasto, Vorspeisen, für 36 Pfennig, Suppe für 12 Pfennig, eine große Portion schmackhafter Nudeln für 40 Pfennig, eine noch größere Portion Spaghetti für 32 Pfennig, gekochtes Rindfleisch für 40 Pfennig, ein halbes Huhn für 60 Pfennig, Bratfisch für 60 Pfennig, ein ganzes Gedeck für 80 Pfennig.
Das war jedoch, wie der Chauffeur betonte, ein »feines« Eßlokal. »Einfaches Essen«, erklärte er, »in einem guten Lokal, das aber nicht so vornehm ist, kostet halb so viel.«
Für Mieten kann man als Grundlage annehmen 16 Reichsmark für ein Zimmer im Monat. 40 Pfennig Rindfleisch, 40 Pfennig Wein, 12 Pfennig Greta Garbo und 56 Pfennig Miete täglich – da bleibt auch dem Tagelöhner mit seinem Minimum von 4 Mark am Tage genug übrig.
Flüchtige Eindrücke liefern natürlich keinen Beweis, aber sie sind gutes Material. Diese Eindrücke wurden unten gesammelt. Da konnte es nichts schaden, sich an der Spitze zu erkundigen.
Dem Kapitalismus scheint es in Italien im Verlauf der Krise besser ergangen zu sein als sonst im Durchschnitt. Wie ist es der Arbeiterschaft ergangen?
An der Spitze der Arbeiterschaft steht in Italien Edmondo Rossoni. Diese Stellung nimmt er unbestritten ein. Außer Mussolini gibt es überhaupt keinen Menschen, der ihm etwas streitig machte. Vor 18 Jahren war er syndikalistischer Journalist und radikaler Gewerkschaftsorganisator in Amerika. Jetzt ist er der anerkannte Führer und Champion der italienischen Arbeiterklasse. Mehr noch, er ist soeben zum Unterstaatssekretär des Duce in dessen Eigenschaft als Ministerpräsident ernannt worden.
Rossoni, der Liebling der Arbeiterschaft, wurde einst als Haupt aller Arbeiterorganisationen in Italien so mächtig, daß die Menschen den Kopf zu schütteln begannen und einander zuflüsterten: »Will er ein Nebenbuhler werden?«
Sein Einfluß wuchs. Er repräsentierte »die Linke«, die Kräfte in der Partei, die für den gemeinen Mann arbeiteten. Die Menschen schüttelten noch heftiger den Kopf. Plötzlich stürzte er. Die Menschen nickten, waren aber neugierig auf die nächste Entwicklung. Vier Jahre lang war er ohne Amt.
Jetzt ist er wieder da, stärker denn je. Seine neue Stellung macht ihn zur rechten Hand des Chefs. Keine Einzelheit des letzten Wechsels innerhalb der Regierung wirbelte soviel Staub auf wie die Besetzung einer der einflußreichsten Positionen in Italien mit dem Manne, der unleugbar von allen Persönlichkeiten des Regimes am meisten dazu beigetragen hatte, die faschistische Partei arbeiterbewußt zu machen.
Mussolini hat viele Unterstaatssekretäre. Als Minister des Äußeren, als Arbeits- und Innenminister – in jedem Amt hat er einen ganzen Stab von Mitarbeitern. Als wichtigstes gilt jedoch das Unterstaatssekretariat des Ministerpräsidenten, es bringt die größte Verantwortung mit sich und größeren Einfluß als ein Ministerposten.
Die Ernennung bedeutet sehr viel für Rossoni. Für das faschistische Regime kann sie noch mehr bedeuten. Denn Rossoni war der Erfinder des »Korporationenstaates« – eine syndikalistische Idee, die logischerweise zur Entwicklung eines Systems führt, in welchem die Arbeit das Kapital beherrschen wird. Innerhalb der Arbeiterklasse hat Rossoni eine Gefolgschaft, die nur der Mussolinis vergleichbar ist. Bei den Unternehmern ist er bedeutend weniger beliebt.
Rossoni war der Mann, der die faschistische Arbeitercharte ausarbeitete, die den Arbeitern eine ganze Reihe von Rechten garantiert. Er schuf die syndikalistischen Gewerkschaften. Er wollte die gesamte italienische Arbeiterschaft in »einer großen Gewerkschaft« organisieren – die alte Idee der I.W.W., der »Industrial Workers of the World«. Er wollte eine wirksame Kampfwaffe. Das war zu viel für seine faschistischen Kollegen. Sie erzwangen eine Abänderung seines ersten Entwurfes der Arbeitercharte. Heute ist die Charte modifiziert, aber im großen ganzen ist diese allgemein anerkannte Wirtschaftsverfassung des Faschismus Rossonis Werk.
Er ist der vielseitigste von allen Anhängern des Duce. Die Stellung, die er im Augenblick einnimmt, bedeutet etwas ganz Einzigartiges in der Entwicklung aller I.W.W.'s, die seinerzeit den amerikanischen Kontinent von einer Küste bis zur anderen durchzogen. Rossoni war ein I.W.W. »Kein eingetragenes Mitglied«, wie er erklärte, »aber ihnen sehr nahestehend.« Er war ein Freund von Big Bill Haywood, dem Gründer der I.W.W.'s. Sie lernten sich kennen, als er im Jahre 1910 nach Amerika kam, um den italienischen Arbeitern das Evangelium des Syndikalismus zu predigen. Weil er außer dem Syndikalismus auch den italienischen Nationalismus predigte, zog er es vor, in seiner eigenen Organisation zu bleiben, in der Italian Syndicalist Federation. Zu deren Vertretung gründete er in New York eine syndikalistische Zeitung, organisierte er die syndikalistischen Gewerkschaften, führte ihre Kämpfe gegen die »Bosses«, reiste von einem Ende der Vereinigten Staaten zum anderen, und war fünf Jahre lang ein Arbeiterführer vom alten, derben Vorkriegsschlag.
Jetzt ist Rossoni im Zentrum der Macht, am nächsten dem persönlichen Inhaber der Macht in Italien, Mussolini, am nächsten aber auch der Hauptstütze der Macht, den Arbeitern. In seinem Vorzimmer warteten 30 Mann, begierig darauf, in direkten Kontakt mit ihm zu kommen.
Rossoni stand auf und drückte mir die Hand. Alle anderen Faschistenhäuptlinge tragen schwarze Krawatten. An Rossonis Hals flammte eine feuerrot karierte Krawatte. Ein Pfeffer-und-Salz-Anzug hing bauschig um seine korpulente Gestalt. Das krause Haar war aus seinem runden, jovialen Gesicht zurückgestrichen. Er bestätigte seinen Ruf als »Mann ohne Vorurteile«.
»Es ist achtzehn Jahre her«, sagte er auf italo-amerikanisch, »daß ich in den Staaten war. Ich spreche schlecht englisch. Aber was wollen Sie wissen? Was die Arbeiterschaft vom Faschismus gehabt hat, wie es ihr in der Krise gegangen ist?
Das will ich Ihnen sagen. Die Arbeiterschaft hat einen Anteil an der Verantwortung gewonnen. Sie hat eine geeinte Organisation gewonnen. Sie hat Verträge gewonnen, die Gesetzeskraft haben. Sie hat den Achtstunden-Tag gewonnen. Sie wird noch mehr gewinnen.
In den alten Zeiten brauchte kein Unternehmer seine Verträge mit den Arbeitern ernst zu nehmen. Heute ist jeder Arbeitskontrakt Gesetz. Heute wagt es kein Unternehmer, seinen Kontrakt zu brechen.
Und in der Krise? Sagen Sie mir doch, in welchem anderen Land finden Sie so viele Fabriken in Betrieb, so viele Arbeiter noch beschäftigt? In welchem anderen Land hat die Regierung für so viel Arbeit gesorgt?«
»Aber was für Verträge sind das? Hat die Arbeiterschaft die Freiheit, ihre Kampfrechte auszuüben? Was ist mit Streiks? Sie haben in Italien seit 1924 keinen Streik gehabt.«
»Natürlich«, rief er aus, »ist die Arbeiterschaft frei. Sie hat die Freiheit, zu kämpfen. Sie kämpft auch. Aber die Arbeiterschaft hat nicht die Freiheit, wahnwitzig zu sein. Und zu streiken, ist einfach Wahnwitz. Wozu führen Streiks? Sie fressen nur die Zeit und das Geld von Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf.
Aber wenn Sie meinen, daß die Arbeiterschaft in Italien nicht die Freiheit hat, zu kämpfen, dann sehen Sie sich einmal die Liste unserer Arbeitskonflikte an.«
Die offizielle Liste zeigt, daß es seit 1927, in welchem Jahr es 18 633 »Konflikte« gab, in jedem Jahr zu durchschnittlich etwa 3000 Auseinandersetzungen gekommen ist.
»Von allen diesen ›Kämpfen‹«, erklärte Rossoni mit Nachdruck, »wurde die überwiegende Mehrzahl zugunsten der Arbeiter entschieden. Die Unternehmer haben Angst davor, eine Auseinandersetzung vor das Arbeitsgericht gelangen zu lassen. Sie wissen, daß sie fast immer den Kürzeren ziehen. Deshalb ziehen sie es vor, im Syndikat oder im Arbeitsministerium Kompromisse zu schließen.«
Die meisten dieser Auseinandersetzungen gingen um Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Unter der faschistischen Arbeitergesetzgebung kommt jede Differenz zwischen Arbeiter und Arbeitgeber zuerst vor das Syndikat, wenn sie dort nicht bereinigt wird, vor das Arbeitsministerium, und wenn sie auch dort nicht bereinigt wird, vor das Arbeitsgericht. Nicht einer von 100 Fällen kommt bis zum Arbeitsgericht.
»Und ihre Löhne?« fragte ich. »Wie weit ist da der Abbau gegangen? Man hat mir erzählt, daß sie seit 1929 ungefähr um dreißig Prozent gesunken sind.«
»Richtig«, sagte Rossoni. »Das mußte so sein. Wirtschaftsgesetz. Sind die Preise nicht auch heruntergegangen?
Aber«, verbesserte er sich, »die Preise sind nicht genug heruntergegangen. Das ist unsere Schwierigkeit. Sie müssen noch weiter herunter gehen. Aber auch so muß die Herabsetzung der Nominallöhne, die etwa dreißig Prozent im Durchschnitt ausmacht, durch den Preissturz verringert sein, so daß die Reduktion der Reallöhne nicht annähernd so groß ist.
Ich weiß«, fügte er lächelnd hinzu, »wie die Sozialisten über uns denken – was sie von uns sagen. Ich kenne auch das wunderbare I.W.W.-Motto: ›Arbeiter der Welt, vereinigt euch, ihr habt nichts zu verlieren als eure Ketten‹.«
»Kommunistisches Manifest«, bemerkte ich.
»Macht nichts«, sagte er. »Es ist ein großartiges Motto. Aber unpraktisch. Die Praxis«, erklärte er seufzend, »ist ganz anders als die Theorie.
Sehen Sie mal das an«, unterbrach er sich plötzlich, auf den einen halben Meter hohen Haufen von Telegrammen auf seinem Schreibtisch zeigend. »Was, meinen Sie, ist das?« fragte er.
»Wahrscheinlich Glückwünsche.«
»Richtig. Tausende davon habe ich bekommen. Und aus ganz Italien. Aber die meisten sind von armen Leuten, von Arbeitern. Von hart arbeitenden Menschen in den Dörfern, in den Kleinstädten, in den Bergen.
Wissen Sie«, sagte er, sich vorneigend, »da können Sie den wahren Geist der italienischen Arbeiterschaft finden. An den kleinen Orten. Gehen Sie dorthin, und Sie werden sehen, daß die Arbeiter viel bessere Faschisten sind als die Bourgeoisie. Sie wissen, was ihnen der Faschismus gebracht hat.«
Er machte eine Pause, beugte sich wieder vor und sprach dann in sich überstürzender Hast. »Aus Amerika sind Sie also. Herrgott, wie gut ich mich noch an alles erinnere. Fünf Jahre war ich drüben. Hatte meine Zeitung ›Il Proletario‹. Und Big Bill Haywood haben Sie auch gekannt! Das war ein Kerl! Gestorben, nicht wahr? Ja, in Moskau.
Die New Yorker Uhrmacher. Die habe ich seinerzeit organisiert. Und die Konfektionsarbeiter. In Pennsylvania, in Illinois und in Texas. Aus Texas sind Sie? Ja, ja. Ich kenne Texas. Ich kenne jeden einzelnen Staat in der Union. Habe überall gearbeitet. Überall habe ich versucht, die Italiener darin zu unterrichten, Syndikalisten zu sein und Nationalisten zu sein, als Italiener und als Arbeiter zu kämpfen.
Ich erinnere mich noch an 1912 – vor zwanzig Jahren. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Manchmal kommt es einem kurz vor. 1912 gründete ich in New York die ›Italienische Arbeitskammer‹. Sie war syndikalistisch.
Und der alte Sam Gompers. Das war mal ein Kopf. Kluger Mann. Aber wen haben Sie jetzt? Was macht die A.F.L., Ihre American Federation of Labor? Und die Führer? Wohl nichts. Was?«
Der Einfluß dieses Mannes auf die Massen war leicht zu begreifen. Er hatte Feuer und posierte nicht im geringsten. Er sprach ganz spontan.
»Aber«, unterbrach ich ihn, »wie denken Sie über die Zukunft des Kapitalismus?« Das war eine Kardinalfrage. Das heilige Recht der privaten Initiative wird in Italien bei jedem Schritt betont, und die Faschisten machen es zu einer orthodoxen Regel, ihr in jedem Wirtschaftsmanifest eine Reverenz zu erweisen. »Und«, fragte ich weiter, »was halten Sie von der Definition, die besagt, der Faschismus sei so etwas wie eine Versicherung, die der Kapitalismus gegen die Arbeiterschaft aufgenommen habe: der Kapitalist bezahle unter dem Faschismus eine zehnprozentige Prämie für neunzigprozentige Sicherheit gegen die Arbeiterschaft?«
»Das ist nicht richtig«, rief er aus. »Der Faschismus ist keine Versicherung gegen die Arbeiterschaft. Der Faschismus ist ein Kontrakt mit der Arbeiterschaft. Er gibt den Arbeitern genau so viel, wie er dem Kapital gibt. Glauben Sie das nicht? Sehen Sie sich diese Telegramme an!
Und der Kapitalismus«, sagte er nachdenklich, »der Kapitalismus ist nicht das letzte Wort. Zivilisation heißt Fortschritt. Diese Krise zeigt, was für Änderungen vor sich gehen. Die Welt bewegt sich. Und sie bewegt sich auf neue Formen zu. Nein, der Kapitalismus ist nicht das letzte Wort.«
Aber von dem Thema Amerika konnte Rossoni nicht abgebracht werden.
»Ah« – er breitete die Hände aus. »Ich habe Amerika gern. Nein, ich liebe Amerika. Ich möchte zurückgehen. Vielleicht in zwei, drei Jahren. Weiß nicht, wann. Sobald mein Duce mich schickt.
Wissen Sie, für Sie alle ist es so schwer, Italien zu verstehen, weil es in der ganzen Welt keinen zweiten Mann wie Mussolini gibt. Keiner von den Außenstehenden kann begreifen, daß ihn hier alle lieben. Das ist eine geistige Angelegenheit. Genau so, wie wenn man das Woolworth-Building ansieht. Ich meine, Sie können sich das Gebäude ansehen und einen Haufen Eisenbeton sehen. Oder Sie können es ansehen und sehen, wie es emporschwebt, wie es in den Himmel dringt, und seinen Linien bis in die Unendlichkeit folgen.
Genau so ist es mit Mussolini. Außenstehende sind gegen den Faschismus, weil er eine Diktatur ist. Vielleicht wäre es nicht gut, eine Diktatur zu haben, wenn man keinen Mussolini hat. Liebt man aber seinen Diktator, so ist das etwas ganz anderes. Eine Diktatur ist gefährlich, wenn man den Diktator nicht liebt. Wenn man ihn liebt, ist die Diktatur vollkommen.
So«, rief er und sprang auf. »Jetzt habe ich eine Menge zu tun. Eines will ich Ihnen aber noch zum Schluß sagen. Sie dürfen nicht zu sehr darauf sehen, was Italien heute ist. Sie müssen darauf sehen, was Italien in der Zukunft werden wird. Uns stehen alle Möglichkeiten offen. Es gibt nichts, was wir nicht tun können.«
»Ja, und dieses Gespräch? Darf ich das veröffentlichen?« fragte ich.
»Veröffentlichen Sie es nur«, rief er laut. »Veröffentlichen Sie es.
Sehen Sie«, sagte er lächelnd. »Ich bin ein Faschist, aber ich bin ein freier Mann.«
Unten und an der Spitze erfährt man dasselbe. Und was man erfährt, spricht gegen die allgemeine Annahme, daß der Faschismus in erster Linie ein Mittel zur Unterdrückung der Arbeiterschaft sei. Er mag es einmal gewesen sein. Etliche Faschisten mögen noch heute wünschen, daß er es sei. Aber andere wünschen es wiederum nicht. Und die Tatsache, daß er das vielleicht einmal gewesen ist, beweist noch nicht, daß er es auch in Zukunft immer sein werde.
Eines ist gewiß: Mussolini hätte nicht zehn Jahre lang gegen die Arbeiterschaft regieren können. Die Unternehmer außerhalb Italiens werfen sehnsüchtige Blicke auf den Frieden, der in der italienischen Arbeitswelt herrscht. Politische Nachahmer Mussolinis außerhalb Italiens stellen sich unter dem Faschismus eine Armee vor, in welcher die Arbeiterschaft in einer Zwangsjacke steckt und sich voll Kadavergehorsam verbeugt. Die Zeit mag etwas anderes lehren.
Wenn es richtig ist, daß der Faschismus ein Versicherungssystem ist, in welchem der Kapitalist der Regierung Prämien für Sicherheit gegen die Arbeiterschaft zahlt, so hat es den Anschein, daß die Regierung hier jedenfalls die Prämien der Arbeiterschaft übergeben hat. Und wenn ein rasches Urteil überhaupt etwas taugt, dann ist Edmondo Rossoni darauf aus, die Prämien zu erhöhen.
Big Bill Haywood, der I.W.W.-Boss, riß aus dem Leavenworth-Zuchthaus aus, floh nach Rußland, trat in die Kommunistische Partei ein, hatte alle Möglichkeiten der Welt für sich, erreichte nichts und starb in einem armseligen Zimmer im Lux-Hotel, dem Hotel der ausländischen Radikalen.
George Andreytchine, der Gefährte Big Bills, entsprang gleichfalls, floh nach Rußland, trat in die Partei ein, wurde Zensor der Sowjet-Regierung, stand zu gut mit Trotzki, fiel in Ungnade, wurde aus der Partei ausgeschlossen und nach Kasakstan verbannt, bereute, kehrte in den Pferch zurück und ist heute der Moskauer Leiter der »Amtorg«, der mächtigen Sowjet-Organisation für den Handel mit Amerika.
Eine ganze Reihe anderer I.W.W.'s versuchte ihr Glück im Ausland, aber von ihnen allen ist, außer Andreytchine, Rossoni der einzige, der es zu etwas gebracht hat. Es spricht für die Schmiegsamkeit der I.W.W.-Ideologie, daß einer sich im kommunistischen Rußland anpassen und es zu einem großen Erfolg bringen konnte, und der andere im faschistischen Italien. Noch mehr spricht es aber für die Ähnlichkeiten, die heute zwischen dem kommunistischen und dem faschistischen Regime bestehen, und für die noch größere Gleichheit, die morgen bestehen mag. Italien hat eine bedeutungsvolle Zukunft vor sich.
*
Kühnheit: das war Dantons Erfolgsrezept. Heute ist Kühnheit das Erholungsrezept des Faschismus.
Von Genua stechen in diesem Herbst die beiden neuesten Luxusdampfer in See, die inmitten der Depression konstruiert und vom Stapel gelassen wurden, zu einer Zeit, da Frankreich und England aus Geldmangel die Arbeit an ihren Kandidaten für die Ehren des Atlantik abgebrochen haben. Die Gerippe des ungeheuren 73 000-Tonnen-Cunard-Liners und der 70 000-Tonnen-Super-Isle-de-France vertrocknen in ihren Docks, während Italiens 54 000-Tonnen-Conte di Savoia und 486 000-Tonnen-Rex ausfahren, um sich um das Blaue Band des Atlantik zu bewerben.
Die italienischen Boote werden um den Titel »das schnellste der Welt« zu kämpfen haben. Es wird einen aufregenden Wettbewerb geben. Beide sollen eine Geschwindigkeit von mehr als 28 Knoten entwickeln können. So viel leisten jetzt auch die Bremen und die Europa, aber es ist ein offenes Geheimnis, daß beide es auf 32 Knoten bringen können, wenn es notwendig ist. Sie haben auf Konkurrenz gewartet. Sobald die Italiener zeigen, was sie können, werden die Bremen und die Europa ihre Kraftreserven in Anspruch nehmen. Zu einem Rekord wird es auf jeden Fall kommen, aber wer immer auch den Geschwindigkeitspreis erringt, den Preis der Kühnheit trägt Italien davon.
Der Bau dieser beiden Boote kostete Italien wahrscheinlich zusammen nicht weniger als 200 Millionen Reichsmark. Es baute sie in einer Zeit, in der ein Drittel der Handelsmarine der Welt festliegt, in der die Krise die Einkünfte der Passagierschiffe auf dem Nordatlantik um mindestens 200 Millionen Reichsmark im Jahr, also etwa ein Drittel der normalen Vorkrisen-Einkünfte, verringert hat. Aber Italien baute sie in dem Glauben, daß die Krise nicht ewig dauern werde, und sobald sie vorüber ist, wird Italien in der Lage sein, den besten Teil des Reiseverkehrs an sich zu reißen.
Die großen und teuren Schiffe Rex und Savoia werden sich nur rentieren, wenn Amerika sie mit Reisenden füllt. Ihr Bau gründete sich auf das stillschweigende Zutrauen zur Erholung vor allem Amerikas. Das Geld, das die Regierung in die, mindestens die Hälfte der Baukosten ausmachenden, Subventionen für sie gesteckt hat, ist für das italienische Finanzministerium eine langfristige Investierung in der »American Tourist, Inc.«
Es ist eine der wichtigsten Investierungen Italiens. Die Ausgaben der Reisenden spielen die größte Rolle bei der Stabilerhaltung der italienischen Währung. Jeder Reisende, der Italien besucht, hat für den italienischen Staat einen Wert von etwa 800 Reichsmark in fremden Valuten. In normalen Zeiten geben gegen eine Million Reisende ungefähr 800 Millionen Reichsmark jährlich in Italien aus. Das sind 20 Prozent des italienischen Budgets und 60 bis 80 Prozent seiner passiven Handelsbilanz.
Aber der Wert der Reisenden ist unterschiedlich. Amerikaner geben in normalen Zeiten durchschnittlich je 1200 Reichsmark aus. Und die Reisenden, die direkt nach Italien kommen, geben mehr aus als die, die nach Italien erst kommen, wenn sie die Kaufläden Frankreichs passiert haben. Mit noch frisch gefüllter Brieftasche, so schätzt man, gibt jeder noch 400 Reichsmark extra aus. Die Landung eines Reisenden in Genua repräsentiert also für Italien einen Wert von 1600 Reichsmark.
Daher Italiens Anerbieten, Amerikaner auf dem Weg über das Mittelmeer nach Europa zu bringen. Das ganze Ziel der Kapitalanlage bestand darin, die Fahrtzeit New York–Genua so herunterzudrücken, daß sie bei einem Vergleich mit der Fahrzeit New York–Cherbourg günstig abschneiden könne. Die Rex und die Savoia wollen die Überfahrt in fünf Tagen machen.
Zusammen können sie rund 4000 Passagiere befördern. Wenn sie 20 Fahrten mit östlichem Kurs im Jahr machen und nur halb gefüllt sind, werden sie 40 000 amerikanische Reisende nach Italien bringen. Das bedeutet 64 Millionen Reichsmark in fremden Valuten. Selbst diese minimale Summe ist ungefähr die Hälfte des vorausgesehenen weiteren Verlustes an fremden Valuten, den die Bank von Italien in diesem Jahre wahrscheinlich erleiden wird. Sollten beide Schiffe bei jeder Überfahrt voll besetzt sein, und handelte es sich dabei ausschließlich um Reisende, die sonst überhaupt nicht nach Italien kämen, so ließe sich rund ausrechnen, daß die Rex und die Savoia Italiens Auslandszahlungen ausbalancieren könnten.
Diese Zahlungen werden jetzt lediglich aus den Reserven der Bank von Italien ausbalanciert, und das ist das zweifelhafteste Haar in Italiens Suppe. Die italienischen Behörden bleiben dabei, daß der Ausgleich auf dem Kontokorrentwege zustandekomme, aber die Ausweise der Bank von Italien bestätigen diese Behauptung nicht. Ihre Gesamtreserven an Gold und fremden Valuten betrugen im Jahre 1928 11 Milliarden Lire oder rund 2 Milliarden 200 Millionen Reichsmark, um die Mitte des Jahres 1932 waren es 7 Milliarden Lire oder 1 Milliarde 400 Millionen Reichsmark. Italien hat seit 1928 im Durchschnitt alljährlich rund 200 Millionen Reichsmark verloren. Es hat einen guten Teil seiner fremden Valuten umgelegt und seit 1928 gegen 120 Millionen Reichsmark in Gold umgewandelt, so daß sein tatsächlicher Goldbestand höher ist und heute rund 1 Milliarde 120 Millionen Reichsmark beträgt.
Aber der beständige, wenn auch langsam vor sich gehende Verlust an Gesamtreserven könnte gefährlich werden, wenn er unbegrenzt fortdauerte. Er würde schließlich dazu führen, daß Italien den Goldstandard aufgibt – eine sehr ernsthafte Angelegenheit für ein Land, dessen Einfuhr in der Hauptsache aus Rohmaterialien besteht, die in Ländern mit Goldstandard gekauft werden. Ein Aufgeben des Goldstandards würde für Italien zumindest die drohende Gefahr einer schrankenlosen Inflation bedeuten.
Drei Umstände lassen sich jedoch feststellen, welche die Ansicht bekräftigen, daß Italien in der Zukunft, soweit sie sich im voraus übersehen läßt, nicht gezwungen sein wird, vom Goldstandard abzugehen. Erstens besitzt es noch ungefähr 280 Millionen Reichsmark in fremden Valuten, was nahezu zwei weitere Jahre hindurch die Inanspruchnahme seiner Reserven im jetzigen Ausmaß gestattet, ohne daß das Gold angegriffen werden muß. Zweitens nimmt die Beanspruchung ab; sie belief sich in den ersten sechs Monaten 1932 auf nur 80 Millionen Reichsmark im Vergleich zu 100 Millionen Reichsmark in den entsprechenden Monaten des Jahres 1931.
Der dritte für Italiens Zahlungsbilanz und damit auch für die Stabilität der Lira günstige Umstand liegt in der Entwicklung seiner Handelsbilanz. Es schraubte seinen Einfuhrüberschuß, der sich 1928 auf ungefähr 1 Milliarde 440 Millionen Reichsmark belief, auf 1 Milliarde 40 Millionen Reichsmark im Jahre 1931 herab, in den ersten sechs Monaten 1932 verringerte es seine Passivität um weitere 60 Millionen Reichsmark, und es fährt fort, seine Passivbilanz um ungefähr 12 Millionen Reichsmark monatlich zu verringern.
Das alles ist nichts anderes als ein Ausdauerwettbewerb zwischen der Bank von Italien und der Depression. Wer kann es länger aushalten? Die Anzeichen sprechen dafür, daß die Bank den Sieg davontragen wird. Wenn alles andere unverändert bleibt, garantieren ihre Reserven an fremden Valuten mindestens zwei weitere Jahre der Stabilität für die Lira. Und wenn die beiden Jahre die 280 Millionen Reichsmark fremder Valuten aufgezehrt haben, werden noch immer 1 Milliarde 120 Millionen Reichsmark Gold da sein. Und sollte es schließlich notwendig werden, das Gold anzugreifen, so müßte gerade Italien von allen Ländern am besten imstande sein, auf seine 40prozentige Minimaldeckung für die Währung zu verzichten und mit größerer Leichtigkeit als viele andere Länder, die das schon tun, auf einer polizeilich kontrollierten nominellen Goldbasis beharren.
Sowohl des Prestiges halber wie aus wirtschaftlichen Gründen scheint die italienische Regierung zu einem Festhalten am Goldstandard entschlossen zu sein. Eine Untersuchung der schlimmsten Möglichkeiten bestätigt die Ansicht, daß es dazu imstande sein wird. Die Lira ist stabil.
Nicht wenig trägt zum Zustandekommen dieser Ansicht das außerordentliche und stillschweigende Vertrauen der Bevölkerung zur Lira bei, ein Vertrauen, das im letzten Grunde auf dem Vertrauen zur Regierung beruht. Für einen reisenden Beobachter ist es unmöglich, sich ein selbständiges Urteil über die Gefühle zu bilden, die eine von einer Diktatur beherrschte Bevölkerung der Diktatur gegenüber hegt. Es ist jedoch von Wert, die Meinungen anderer kompetenter Beobachter zu verzeichnen.
Von einem Dutzend Antworten auf die Frage: »Was wäre das Ergebnis einer völlig freien und geheimen Volksabstimmung: für oder wider das faschistische Regime?« drückte nicht eine einzige Zweifel daran aus, daß sich eine Mehrheit für das Regime entscheiden würde. Die Fragen wurden Amerikanern und anderen Fremden, die im Lande wohnen, und antifaschistischen Italienern vorgelegt. Die Antifaschisten, größtenteils Intellektuelle, die über die faschistischen Beschränkungen der Rede- und der Preßfreiheit aufgebracht sind, räumten ein, daß der Faschismus die Massen, nach antifaschistischen Maßstäben vielleicht mit unfairen Mitteln, aber jedenfalls mit Erfolg für sich gewonnen habe.
Diese Frage des Vertrauens ist von unendlicher Wichtigkeit für eine Beurteilung der Aussichten Italiens auf Erholung. Das öffentliche Vertrauen dokumentiert sich in drei auffallenden Tatsachen: erstens werden die inneren Anleihen Italiens auf dem heimischen Markt über pari verkauft, zweitens haben die Einlagen in den Sparkassen der Regierung jetzt die gewaltige Höhe von nahezu 8 Milliarden Reichsmark erreicht, und schließlich wurde die von der Regierung jüngst vorgenommene Konvertierungsemission von 1 Milliarde Lire oder 200 Millionen Reichsmark neunjähriger Schatzanweisungen von insgesamt 260 000 einzelnen Subskribenten mehr als vierfach überzeichnet. Diese drei Phänomene weisen auf das vollkommene Vertrauen hin, welches das Publikum auf die Lira und auf die Regierung setzt.
Auf dieses öffentliche Vertrauen von so beachtenswertem Ausmaß gründet die Regierung ihr Verhalten gegenüber der Krise. Die Regierung verhält sich der Krise gegenüber, als ob es sich um einen Krieg handelte, und finanziert ihre Operationen gegen die Krise, wie in Kriegszeiten, durch Anleihen. Durch Anleihen bei der italienischen Öffentlichkeit balancierte die Regierung ihr Budget im Jahre 1928 nach außen hin mit einem Überschuß von 36 Millionen Reichsmark aus, 1929 mit einem Überschuß von 28 Millionen Reichsmark, 1930 mit einem kleinen Defizit von 4 Millionen Reichsmark, aber im fiskalischen Jahr 1931, das mit dem 30. Juni 1932 endet, mit einem größeren Defizit von 280 Millionen Reichsmark. Sie hat sich seit 1927 insgesamt 2 Milliarden 800 Millionen Reichsmark, oder alljährlich im Durchschnitt 560 Millionen Reichsmark geborgt, und ihre innere Schuld von 17 Milliarden 2 Millionen im Jahre 1927 auf 20 Milliarden Reichsmark heute erhöht.
Als das Publikum die Konvertierungsanleihe vierfach überzeichnete, behielt die Regierung die ganze Summe von 800 Millionen ein und erklärte, sie würde 600 Millionen Reichsmark davon zur Krisenbekämpfung verwerten. Die ursprünglichen 200 Millionen Reichsmark werden zur Konvertierung der alten Anleihe verwandt. Weitere 200 Millionen Reichsmark werden zur Verringerung der Schuld des sogenannten Liquidationsinstitutes verwandt, des italienischen Gegenstücks zur American Reconstruction Finance Corporation, und der vierte Betrag von 200 Millionen wurde für öffentliche Arbeiten im Rahmen eines Arbeitsbeschaffungsprogramms bestimmt. In allen drei Fällen handelt es sich um scharfe Antidepressions-Maßnahmen.
Aber die Regierung wendet an die Krisenbekämpfung bedeutend mehr als die Anleihen, die sie von der Bevölkerung erhält. Von ihrem Gesamtbudget, das sich auf ungefähr 4 Milliarden Reichsmark beläuft, sind rund 1 Milliarde 600 Millionen für außerordentliche Ausgaben bestimmt, und diese bestehen zum größten Teil in Ausgaben für öffentliche Arbeiten, die vor allem zur Behebung der Beschäftigungslosigkeit unternommen werden, für Straßenbauten, Urbarmachung von unbebautem Land und Sumpfgelände, Subventionen und Unterstützungen für Industrie, Schiffahrtsunternehmen und Banken. Das heißt, etwa 40 Prozent der Staatseinkünfte werden zu Krisenerleichterungsmaßnahmen verwendet.
Offenbar kann dieser Prozeß nicht unbeschränkt weitergehen. Wenn die öffentlichen Schulden alljährlich in einem Ausmaß steigen, das 14 Prozent des Budgets gleichkommt, kann man mit den Hilfsmitteln der Arithmetik ausrechnen, wann der Punkt erreicht wird, an dem der Schuldendienst dem Budget gleichkommt, der Punkt, an dem die Steuern ihn nicht mehr tragen können und ein fortgesetztes Borgen physisch unmöglich werden müßte, selbst wenn das öffentliche Vertrauen grenzenlos wäre. Wenn man sich klar machen will, welcher Unterschied zwischen dieser Methode öffentlicher Finanzierung und den Methoden der Vereinigten Staaten und Englands besteht, braucht man sich nur die verzweifelten öffentlichen Debatten und die Anstrengungen der Regierungen ins Gedächtnis zu rufen, die in den angelsächsischen Ländern gemacht wurden, um das Budget ohne Borgen auszubalancieren.
Die italienische Methode hat eine dreifache Rechtfertigung: erstens betrachtet Italien die Krise als Krieg, und Kriege können in Voraussicht des Sieges durch Borgen finanziert werden. Italien glaubt an den Sieg über die Depression. Zweitens ist ein nicht genau bestimmbarer, aber sehr großer Teil der Krisenausgaben der Regierung in Industrie-, Schiffahrts- und andere Unternehmen gegangen, die, sobald die Krise einmal überwunden ist, so große Einkunftsquellen darstellen müssen, daß die Schulden wohl ebenso rasch zu tilgen sein werden, wie sie gemacht wurden.
Die letzte Rechtfertigung liegt darin, daß die italienische Regierung so vorgehen konnte und allem Anschein nach auch noch immer so vorgehen kann, weil die italienische Öffentlichkeit nicht nur Vertrauen zu ihrer Regierung hat, sondern auch zu allem, was ihre Regierung tut, den Mund halten muß und außerdem über nichts informiert wird. In Italien gibt es keine öffentlichen Debatten, die sich mit den Auseinandersetzungen über Budgetausbalancierungen in Amerika oder England vergleichen ließen. Es gibt keine offene Diskussion über die Gefahren einer unbeschränkt fortgesetzten Borgpolitik der Regierung. Es gibt keine Wahlschlacht. Es gibt keine politische Beunruhigung. Es gibt nur Vertrauen in sehr großen Mengen, schlecht informiertes, aber grenzenloses Vertrauen.
Der Faschismus ist sich dieses Vorteils bewußt. In der Landeszentrale der faschistischen Partei zu Rom sitzt der Chef aller Faschisten nach dem Duce selbst. Der Generalsekretär der faschistischen Partei, Achille Starace, sitzt aber nicht. Er steht – in schwarzen Hosen, schwarzem Seidenhemd, mit schwarzer Seidenschärpe, zwei Reihen Dekorationen und den Insignien eines Generals der faschistischen Miliz. Hinter seinem Stuhl breitet ein großer ausgestopfter Adler, um dessen Hals eine Flagge geschlungen ist, seine Schwingen aus. Auf seinem Schreibtisch liegt ein halb Dutzend Dolche, die als Papiermesser dienen, und ein kleiner Revolver mit Perlmuttergriff als Briefbeschwerer. Schrapnelle und Handgranaten erinnern an seine glänzende Kriegsvergangenheit. Der faschistische Generalsekretär, ein kleiner, aber überaus kräftiger Mann, der sich sehr aufrecht hält und weit geöffnete Augen hat, stand da, redete zwanzig Minuten lang und verbot eine Wiedergabe seiner Ausführungen mit Ausnahme einer einzigen Bemerkung:
»Der Faschismus sorgt für die politische Stabilität, die zur wirtschaftlichen Erholung unerläßlich ist.«
Die Demokratien waren bereit, die wirtschaftliche Erholung zu opfern, um eine politische Stabilität der Art zu vermeiden, wie die Faschisten sie für eine Vorbedingung wirtschaftlicher Erholung halten. Die Demokratien waren bereit, noch viel mehr zu opfern als wirtschaftliches Wohlergehen, um die Demokratie zu erhalten. Keinem Amerikaner müssen die politischen und moralischen Fragen auseinandergesetzt werden, um die es geht. Läßt man jedoch diese Fragen ganz außer Betracht und beschränkt man die Untersuchung streng auf die wirtschaftlichen Faktoren, so kann man zu ungefähr folgendem Resümee gelangen:
Die Herrschaft eines einzelnen hat der Regierung die Möglichkeit zu rascheren Entschlüssen und zur rascheren Ausführung von Entschlüssen gegeben, als unter einem parlamentarischen Regime möglich ist. Sie hat die ganze Bevölkerung, Kapital und Arbeiterschaft, so diszipliniert, daß ihre Maßnahmen ohne Fragen hingenommen werden.
Diese Maßnahmen, die zum Teil auf lange Sicht getroffen, in der Hauptsache jedoch spezifische Antikrisen-Maßnahmen sind, lassen sich etwa so zusammenfassen:
Der Staat hat das Arbeitsschlichtverfahren zwangsweise durchgeführt. Er hat frühe und radikale Lohnverringerungen herbeigeführt und Preisherabsetzungen gefördert. Er hat die Fünftage-Woche in der ganzen Industrie allgemein eingeführt. Er hat im Verhältnis zu den Nationaleinkünften mehr als alle anderen Länder für öffentliche Arbeiten zur Linderung der Beschäftigungslosigkeit ausgegeben.
Er hat die Verschmelzung der Industrie und der Schifffahrtsunternehmen zu Trusts gefördert und bis jetzt die 13 italienischen Schiffahrtslinien zu einer Über-Linie, der Italia, für den Dienst auf dem Atlantik und drei anderen für den Orient-, Mittelmeer- und Adriadienst zusammengeschmiedet, und hat die Eisen- und Stahlindustrie vertrustet.
Er hat die Banken und die Industrie direkt subventioniert und die Industrie weiterhin indirekt dadurch unterstützt, daß er seinen Einfluß bei den Banken auf eine Ausdehnung der Kredite geltend machte und Fabriken, die sonst vielleicht geschlossen hätten, in die Lage versetzte, weiter zu arbeiten. Er hat die Zahlung kleinerer Dividenden »angeregt« und durchgesetzt, als sonst vielleicht in den Exportindustrien gezahlt worden wären, und so ihre Konkurrenzkraft vermehrt. Er hat de facto die Finanzkontrolle über annähernd ein Drittel der italienischen Industrie übernommen und die Instrumente geschaffen, mittels deren die ganze Industrie vom Staat aufgesaugt, und eine neue Form von staatlich kontrolliertem Kapitalismus entwickelt werden könnte.
Er hat die Landwirtschaft durch hohe Zölle und seine berühmt gewordene »Brotkampf«-Propaganda unterstützt, die geführt wurde, um Italien vom fremden Weizen unabhängig zu machen.
Er hat die Finanzierung dieser Projekte im wesentlichen aus Italiens eigenen Mitteln vorgenommen. Die Lira wurde im Jahre 1927 mit Hilfe der 100 Millionen Dollar, 400 Millionen Reichsmark, betragenden Morgan-Anleihe stabilisiert, aber drei Viertel dieser Anleihe wurden von der italienischen Regierung zurückgekauft. Insgesamt hat Italien in den Jahren zwischen 1926 und 1930 aus dem Ausland Darlehen in einer Höhe von 1 Milliarde 600 Millionen Reichsmark für Wasserkraftwerke, Schiffahrtsunternehmen, die chemische, die Textil-, die Automobilindustrie, für staatliche und städtische Werke erhalten und muß durchschnittlich 8 Prozent dafür zahlen. Vor der die ganze Welt umfassenden Kreditpanik schätzten die internationalen Bankiers Italiens Kredit auf 2 Milliarden 400 Millionen Reichsmark. Auf Grund dieser Schätzung rechnet Italien damit, daß es nach Wiederherstellung des Vertrauens in der Welt für mindestens weitere 800 Millionen gut sein müßte.
Als zum Teil auf die genannten Maßnahmen zurückführbar kann Italien heute aufweisen: einen niedrigeren Grad der Arbeitslosigkeit; wenige Zahlungsunfähigkeiten der Banken; in sehr großem Umfang aufrecht erhaltene Tätigkeit und fortschreitende Konsolidierung der Industrie; Konsolidierung und neue Unternehmungen im Schiffahrtswesen; herabgesetzte Außenhandelspassivität; eine Weizenernte, die in diesem Jahr 6 Millionen 900 000 Tonnen bringt, also die zweithöchste im Verlauf der Geschichte ist; stabile Währung; kleine Auslandsverschuldung; absoluter politischer Friede im Inneren, und eine Bevölkerung, die anscheinend zufrieden, gesünder denn je, und von Optimismus erfüllt ist.
Die meisten der faschistischen Wirtschaftsmaßnahmen widersprechen dem Lehrsatz der freien privatkapitalistischen Wirtschaft, daß eine Gänglung des Nationaleinkommens durch die Regierung Vergeudungen und Leistungsunfähigkeit mit sich bringe. Das Geld kommt im letzten Grunde von den Steuerzahlern und aus einem pyramidenartig gestaffelten System des Borgens. Man nimmt auf Grund von Schätzungen an, daß ein Drittel des Einkommens der Italiener in Staats- und Gemeindesteuern gehe. Das ganze System bedeutet ein Umwälzen der privaten Schuldenlast auf die Schultern der Öffentlichkeit. Es birgt große Gefahren in sich. Die Finanzpolitik wird nur dann erfolgreich sein, wenn Italien seinen Krieg gegen die Depression gewinnt.
Ein zerlumpter kleiner Junge in Trastevere kam an einen Caféhaustisch heran und bot Erdnüsse feil. Wir fragten ihn: »Wie gehen die Geschäfte?«
»Ich, Herr«, gab er zur Antwort, sich reckend, bis sein Kinn nahezu den Tisch berührte, »bin ein faschistischer Römer, geboren im Schatten der St.-Peters-Kuppel. Und Sie, Herr, haben den traurigen Mut, in einer fremden Sprache zu mir zu sprechen. Die Geschäfte gehen gut. Hier sind fünfzehn Erdnüsse für Ihre dreißig Centesimi.«
Noch kein Krieg wurde ohne Selbstvertrauen gewonnen.
Die Italiener besitzen es.
*
In römischen Gesprächen wird Mussolini, über den immer gesprochen wird, selten bei Namen genannt. »Er« mit großem E und ein besonderer Ton in der Stimme, daß heißt: der Duce. Es ist nicht geradezu verboten, wie es den alten Israeliten untersagt war, den Namen Jahvehs auszusprechen, aber der gute Ton verlangt in Rom, daß man das Fürwort gebraucht.
Der Weg zu Ihm führt über den langen Corso Umberto, durch dreifache Wachen am Portal des Palazzo Venezia, über drei Treppen hinauf, an blau livrierten Lakaien vorbei, durch eine Renaissancetür, durch ein kleines Zimmer mit einem schönen alten, blau gekachelten Fußboden, blauen Plüschwänden und Gemälden aus dem sechzehnten Jahrhundert, durch ein zweites, größeres Zimmer und dann durch die große Tür, die sich leise öffnet und den Blick frei gibt auf das berühmte Bild: fünfundzwanzig Meter freien Raums zwischen dem Besucher und Ihm.
Der Weg lohnt sich für jemand, der der Frage: »Wird Europa wieder hochkommen?« nachgeht, denn Mussolini ist der einzige unbestrittene Herr eines großen kapitalistischen Staates. Er ist der einzige unter den Führern der westeuropäischen Völker, dessen Wort buchstäblich Gesetz ist. Er ist der einzige Regierungschef in Westeuropa, der versucht hat, ein neues System auszuarbeiten. Seine Ansichten über die Krise, die sein System erschüttert, aber nicht zu Fall gebracht hat, müssen ganz einzigartig sein.
Signor Mussolini brach mit der Tradition. Er hielt sich nicht an die oft berichtete Regel, daß er an seinem großen Schreibtisch, dem einzigen Möbelstück in dem riesigen Raum, sitzen bleibe und kühl zusehe, wie sein Gast über das endlose Parkett vorwärtsstolpert. Er stand vielmehr auf und kam mir ein Drittel des Weges entgegen, drückte mir warm die Hand und hieß mich mit ernstem Wohlwollen willkommen.
Das waren die beiden stärksten Eindrücke: Wohlwollen und Ernst. Keine Spur von Posieren, lediglich Ausgeglichenheit, nichts, was auf Härte hingewiesen hätte, sondern ein angenehmes, freundliches Benehmen charakterisierte den Diktator, dessen Photographien und zahllose Büsten in keiner Hinsicht ein richtiges Bild von seiner Persönlichkeit vermitteln. Er hatte einen hellen Sommeranzug an. Der schmale Halbkreis seiner Haare war grau. Er ist bedeutend kleiner, als man nach seinen Photographien denken müßte, aber trotzdem schien er selbst diesen gewaltigen Raum ganz auszufüllen.
Nur die Augen waren so, wie die Legende es erzählt. Sie waren weit geöffnet, rollten, blitzten und rollten wieder, als er meine Fragen las und, bei einer von ihnen aufblickend, mit dem Kopf nickte. »Interessant. Sehr interessant. Darauf werde ich antworten.«
Der höllische Lärm der römischen Straßen drang von draußen zu uns herein als ein Flüstern von Sirenen und Taxihörnern. Wir sprachen über die Fragen. Eine Glocke außerhalb des Fensters erklang. »Ich möchte Ihnen die Antworten schriftlich zusenden«, schloß er.
Die Antworten kamen. Mussolini hat sich in ihnen in bemerkenswerter Weise zu einem Glauben an das Prinzip des internationalen Handels als des Fundamentes der kapitalistischen Weltwirtschaft bekannt und, vielleicht ohne es zu beabsichtigen, bittere Kritik geübt an den Plänen seiner deutschen Nachahmer, der Nationalsozialisten, deren Programm nationaler Selbsterhaltung er uneingeschränkt verurteilt.
Der Hauptzweck der Fragen war, zu erfahren, was Mussolini über die Weltkrise denkt, was seiner Meinung nach zu ihrer Behebung getan werden muß, und wie weit er in Italien von dem alten klassischen System freizügiger kapitalistischer Wirtschaft zu einer Planwirtschaft übergehen will.
»Europa«, begann er, »kann erst wieder hochkommen, wenn dank dem Willen starker und entschlossener Regierungen die Verhältnisse, die der Erholung im Wege stehen, abgeändert, und andere Verhältnisse, die eine Atmosphäre wechselseitigen Mißtrauens unter den einzelnen Völkern schaffen, beseitigt werden. Heute gehen die Völker einen Weg des Wahnwitzes.
Indem sie Zollschranken errichten und Maßnahmen treffen, welche die freie Zirkulation von Menschen, Waren und Kapital verhindern, schwächen sie die Weltwirtschaft.
Wenn Italien wieder imstande sein soll, im Ausland dieselben Quantitäten zu kaufen wie im Jahre 1929, ist es offenbar unerläßlich, daß auch die anderen Länder imstande sind, von uns ebensoviel zu kaufen wie im Jahre 1929. Damit wir wieder zur Prosperität zurückkehren können, müssen andere Länder wieder prosperieren. Nur so können die Bürger dieser Staaten wieder als Reisende nach Italien kommen, und nur so werden italienische Staatsangehörige, die im Ausland leben, imstande sein, Geldsendungen nach Hause zu schicken, die im Verein mit Frachten und anderen Aktivposten dazu beitragen würden, unsere Handelsbilanz, zu deren Ausbalancierung heute gewaltige Anstrengungen gehören, wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Mein Land ist darum direkt an der wirtschaftlichen Wiedergeburt Europas und anderer Länder interessiert, weil unsere Prosperität zum Teil eine Funktion der Prosperität anderer Länder sowohl auf unserem wie auf anderen Kontinenten ist. Heute kann kein Land ohne die anderen Länder auskommen. Die Märkte sind zu sehr voneinander abhängig.
Aber viele Völker stehen unter der Herrschaft einzelner Gruppen von Sonderinteressen. Wenn diese Sonderinteressen ihre Regierungen mit Erfolg daran verhindern können, die zur Erholung notwendigen Bedingungen zu schaffen, ist es möglich, daß manche von ihnen unter Umständen dazu schreiten, einen Versuch zur Aufrichtung sich wirtschaftlich selbst erhaltender nationaler Systeme zu machen. Jede solche absurde Autarkie würde unweigerlich den Umfang der Wirtschaft reduzieren, und das würde wiederum unweigerlich zu einer Vergrößerung des Elends in der ganzen Welt führen.«
Diese ausdrückliche Stellungnahme gegen die Autarkie ist von außerordentlicher Bedeutung gerade jetzt, da der Führer des linken Flügels der Nationalsozialistischen Partei in Deutschland, Gregor Straßer, soeben mit einem detaillierten und genau umrissenen Plan hervorgetreten ist, nach dem Deutschland von der übrigen Welt abgeschnitten und das Reich zu einer sich wirtschaftlich selbst erhaltenden Einheit gemacht werden soll. Adolf Hitler hat bei seinem Schreibtisch eine Mussolini-Büste. Seine deutschen Faschisten machen Jagd auf die Juden und planen Deutschland dadurch zu retten, daß sie es von der Welt abschneiden. Mussolini vertraut führende Regierungsstellen Juden an, verurteilt die wirtschaftliche Isolierung und nennt die Wiederherstellung des internationalen Handels den ersten Schritt zur Erholung. Hitler hat zehn Jahre der Opposition, Mussolini zehn Jahre der Macht hinter sich.
»Sie haben die Ansicht ausgesprochen, daß diese Krise sich von früheren Krisen unterscheide. Worin«, fragte ich, »liegen die Unterschiede? Sind sie groß genug, um es wahrscheinlich zu machen, daß diese Krise eine andere Entwicklung nehmen und ein anderes Ende finden wird als die früheren, die sämtlich überwunden worden sind und Vorläufer erneuter Prosperitätsperioden waren?«
»Die jetzige Krise«, antwortete Mussolini, »ist zweifellos die größte sowohl dem Umfange nach wie hinsichtlich der von ihr betroffenen Anzahl von Menschen und des von ihr erfaßten Produktions-, Kredit- und Verbrauchsvolumens, aber im Verhältnis zu dem Umfang der existierenden Wirtschaftstätigkeit, dem Reichtum der betroffenen Nationen, dem Volumen der allgemein abgewickelten Geschäfte, den Quantitäten von Kredit und Geld – im Verhältnis zu alledem ist die jetzige Krise wahrscheinlich kleiner als die früheren. Überdies ist seit denjenigen früheren Krisen, die an Intensität der unseren vergleichbar sind, die Organisation der Staaten verbessert worden, so daß diese wirksamere Schritte zur Abhilfe unternehmen können als früher.
Wir dürfen auch nicht vergessen, daß die jetzige Krise gigantischer wirkt, als sie in Wirklichkeit ist, weil unsere psychologische Empfindlichkeit sehr groß ist. Weil die Welt so reich war, erscheint sie heute arm, obwohl noch immer einzelne Teile vielleicht reicher sind, als sie vor einigen Jahrzehnten waren. Es liegt auf der Hand, daß der moderne amerikanische Arbeiter, der sich den Luxus gestatten kann, im Automobil zur Arbeit zu fahren, und auch andere Dinge des Luxus genießt, von denen sich die Arbeiter, die zur Zeit der früheren Krisen lebten, nichts träumen ließen – daß dieser Arbeiter sich heute sehr betroffen fühlen wird, wenn er auf ein Niveau zurückgeworfen wird, das vor zwanzig Jahren vielleicht als Wohlstand galt. Die überaus rapide Steigerung des Lebensstandards, zu der es in der ganzen Welt während der Jahre 1921-1930 kam, hat unsere Generation in gewissem Sinne verdorben.
Heute bilden die Schäden auf dem Gebiet der Ersparnisse und des Bankkapitals eines der Hauptcharakteristika für die Krise. Kredit an Stelle von Ersparnissen, die seine Grundlage sein sollten – das hat sich als Illusion entpuppt. In Amerika glaubten manche, sie könnten dieser Illusion durch eine beträchtliche Geldexpansion Herr werden, aber so wird nur Mißtrauen auf Mißtrauen gehäuft.
Das Sparen erfordert eine stabile Währung. Geldmanöver zur Stabilisierung der Preise haben versagt und damit geendet, daß das Preisniveau und die Produktion, denen sie helfen sollten, geschädigt wurden. Stabile Währung, Glaube an die Durchführung von Verträgen und an die Kontinuität und Stabilität des Rechtes führen zu einer Vermehrung der Ersparnisse, der Hauptquelle des Kapitals.
In meinem Lande ist die Geldeinheit stabil und unerschütterlich, wird das Recht unerbittlich durchgeführt. Weil ich es für notwendig hielt, einige Unternehmen zu stützen, die stark verschuldet waren, sorgte ich für ein System der Staatshilfe, um es ihnen zu ermöglichen, daß sie ihren Zinsverpflichtungen nachkommen. Auf diese Art trug ich dazu bei, daß das Vertrauen zur Akkumulation der Ersparnisse erhalten blieb.
Vor allem ist es jedoch unerläßlich, daß die einzelnen Staaten die Macht dazu haben, sich den Monopolansprüchen einzelner Gruppen von Sonderinteressen entgegenzusetzen. Diese Gruppen beherrschen, indem sie die Konkurrenz vernichten, die Staaten nach ihrem Belieben. Sie fühlen sich durch das System der Zusammenschlüsse in anonymen Unternehmen gesichert. Jetzt kommen die Staaten dahinter, daß sie entweder die Trusts beherrschen, oder von ihnen beherrscht sein werden, und wenn die Staaten von den Trusts beherrscht sind, wird das Ergebnis allgemeine Verarmung sein.
Nun darf ich wohl, um zu zeigen, wodurch diese Krise sich von früheren unterscheidet, die Tatsache nennen, daß während der Krisen von 1890 und 1907 das Volumen der Wirtschaft sich um ungefähr sieben Prozent verringerte. Heute hat es sich um dreißig Prozent verringert. Die Gläubigerländer erhöhten und vermehrten ihre Zölle, um ihren Industrien aus dieser schweren Lage herauszuhelfen. Dann machten sie die Situation durch das Kontingentierungs-System noch unerträglicher, ohne zu bedenken, daß diese Maßnahme den Schuldnerländern die Möglichkeit nahm, Zahlungen an die Gläubiger zu leisten. So kam es zu der sich ständig steigernden Abwürgung des Wirtschaftslebens.
Die jetzige Krise ist eine Krise der Vertrauenslosigkeit und des Unter-Verbrauchs. Die Produktion auf den Kopf ist heute um ungefähr zwanzig Prozent geringer als im Jahre 1913.
Aber Italien leidet, wie Sie ganz richtig bemerken, unter der Krise nicht in dem gleichen Maße wie viele andere Länder, und der Grund dafür ist durchaus nicht mysteriös. Vor allem ist es von Bedeutung, daß die Wiederherstellung moralischer und materieller Ordnung und der Prinzipien der Disziplin und Hierarchie dem italienischen Volk eine neue Seele geschenkt haben: es findet sich mit einem zutiefst faschistischen, nationalen Verständnis in die Opfer, die zur Bekämpfung der Depression notwendig sind.
Das Prinzip der Kooperation an Stelle des Klassenkampfes, der Harmonie der Interessen an Stelle der egoistischen Kämpfe von Konkurrenten untereinander haben es meiner Regierung ermöglicht, verschiedene Maßnahmen durchzuführen, die in ihren Auswirkungen allen Klassen Hilfe brachten. So ist es notwendig gewesen, die Löhne herabzusetzen, aber nicht in dem Ausmaße, das erforderlich gewesen wäre, wenn Arbeiter und Arbeitgeber im Zustande völliger Freiheit belassen worden wären. Es ist auch zu einer Herabsetzung der Gehälter gekommen und zu einer Verminderung der Einkünfte aus bestimmten Investitionsarten, zum Beispiel aus Grundstücken. In Italien haben sich die Arbeitgeber mit den ihnen gezogenen Grenzen abgefunden und Lasten auf sich genommen, die der Arbeiterschaft zugute kommen. Die Arbeitgeber halten ehrlich die Arbeitsverträge ein, und durch das Reduzieren ihrer Kosten auf ein Minimum und durch die Steigerung der Leistungsfähigkeit ihrer Produktion haben sie es zuwege gebracht, eine größere Anzahl ihrer Konzerne in Betrieb zu erhalten, als sich vielleicht von anderen Ländern sagen läßt. Die Regierung hat zur Erleichterung der Krise mit vielen Maßnahmen beigetragen, vor allem jedoch mit unserem Programm für öffentliche Arbeiten und Landhilfe.
Da einige Ursachen der Depression im Gefüge der gesamten Weltwirtschaft liegen, konnten wir uns ihren Wirkungen natürlich nicht ganz entziehen. Wir ertragen die Wirkungen der Krise mit nationaler Disziplin, und das genügt, um uns das Ausharren zu ermöglichen, während wir auf die Wiederkehr der Prosperität warten. Wir werden dieses Ziel in einem Geist erreichen, der durch eine überaus schreckliche Erfahrung gestählt ist. Wir werden es in völliger Ordnung erreichen und voll Stolz darauf, daß wir das unsere dazu getan haben, der europäischen Welt Unordnung und Anarchie ferngehalten zu haben.«
»Wie man sieht, unterschreiben Sie nicht die Ansicht, daß die Wirtschaftsprozesse im kapitalistischen System sich völlig automatisch abspielen. Sie sind vielmehr der Meinung, daß sie zu kontrollieren sind. Aber finden Sie nicht«, fragte ich, »daß der Haupteinwand, der gegen den Privatkapitalismus zu machen ist, darin liegt, daß er ohne Plan arbeitet? Halten Sie es für möglich, das Prinzip der privaten Initiative innerhalb eines Systems der Planwirtschaft aufrecht zu erhalten?«
»Der Automatismus des kapitalistischen Systems ist eine rein theoretische Angelegenheit. Die Regierungen haben sich stets mehr oder weniger in das Wirtschaftsleben der Nationen eingemischt. Das Wesentliche ist aber, daß die Regierungen zur Intervention nahezu immer von Sonderinteressen veranlaßt wurden, die imstande waren, durch die sogenannte freie Presse, die ihnen zur Verfügung stand, und durch ihre eigenen Vertreter in einem vom Volk ›frei gewählten‹ Parlament einen sehr starken Druck auszuüben. Keine Regierung, die solchen Einflüssen unterworfen ist und von Interessengruppen im Parlament umhermanövriert wird, kann eine Wirtschaftspolitik auf nationaler Basis durchführen.
Meine Regierung kann im allgemeinen Interesse arbeiten, weil sie von Einzel- und Gruppeninteressen unabhängig ist. Sie umfaßt zwar diese Interessen, aber sie erhebt sich über sie auf die Ebene des nationalen Interesses. So kommt es, daß meine Regierung je nach dem, was sie für klug hält, intervenieren oder nicht intervenieren kann. Mit ihren Korporativ-Instrumenten kann sie den Wirtschaftsablauf im Lande kontrollieren, indem sie das Privateigentum respektiert, wenn es seine sozialen Pflichten nicht außer acht läßt, indem sie die Einzelinitiative, die im Interesse der Nation arbeitet, respektiert und sogar stärkt, indem sie aber auch an ihre Stelle Leitung durch die Regierung setzt, wenn sie konstatiert, daß die sozialen Pflichten des Besitzes verletzt werden, und daß die private Initiative das Nationalvermögen ausplündert.
Wie Sie sehen, unterscheidet sich der faschistische Korporativplan außerordentlich von jenen Plänen, die immer wieder von einander bekämpfenden Plutokraten und Demagogen vorgeschlagen werden. Diese streben nach einem Überkapitalismus, der durch eine Verstärkung der Monopolstellung mächtiger Gruppen die Nationen in näherer oder fernerer Zukunft unweigerlich in ein soziales Chaos führen muß. Wir sind gegen alle Monopolstellungen sowohl innerhalb des Staates wie auf internationalem Gebiet. Darum widersetzen wir uns den von Sozialisten und Monopolgruppen geäußerten Plänen, an der Währung und an den Preisen herumzupfuschen und die Produktion zum Nachteil der Verbraucher zu bestimmen.«
»Was für Schritte auf internationalem Gebiet halten Sie zur Herbeiführung der Erholung für notwendig?« fragte ich.
»In einer Zeit, in der die Menschen leiden und auf ernsthafte Kollektivaktionen hoffen, hat jede internationale Konferenz mit neuen Enttäuschungen geendet. Die Menschen können nicht länger warten. Die Wiederherstellung einer Atmosphäre politischen Vertrauens, die Streichung politischer Schulden, die Herabsetzung von Zöllen im Verein mit der Wiedereinführung der Bewegungsfreiheit für Menschen und Kapital – das sind die dringendsten Maßnahmen, die getroffen werden müssen.
Meine Regierung hat diese Thesen auf allen internationalen Konferenzen vertreten und ist es müde, sie zu wiederholen. Auf praktischem Gebiet habe ich in Angelegenheit der Zölle und Kontingente gearbeitet, soweit sie rechtmäßige Verteidigungsmaßnahmen darstellen. Der Grad der Zollherabsetzungen muß durch gemeinsame Zustimmung erreicht werden. Man kann nur schrittweise vorgehen, da sonst das Heilmittel schädlicher wäre als das Übel.
Solange aber die einzelnen Regierungen von monopolistischen und plutokratischen Gruppen beherrscht bleiben, die eine auf ihren eigenen Vorteil berechnete Politik des nationalistischen Egoismus stützen, wird die Durchführung der notwendigen internationalen Maßnahmen schwierig sein.«