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Ben Hafi erschien auf den Glockenschlag und begann:
In diesem traurigen Zustande, Beherrscher der Kinder des Propheten, fand am folgenden Tage eine vorüberziehende Karawane unsern Abdallah.
Ein junger Mann, der seine Kameele den Kaufleuten verdungen hatte, war der Erste, der ihn wahrnahm. Er eilte mit seinen Treibern auf ihn zu und richtete ihn behutsam auf.
Der menschenfreundliche Blick des jungen Mannes, seine milde, ungekünstelte Zusprache wirkten auf die erstarrten Lebensgeister Abdallahs. Der Anblick eines guten menschlichen Geschöpfes durchdrang sein Herz mit der süßesten Wehmuth.
Er beantwortete die Fragen, die man über seinen Zustand an ihn that, mit Dem, was ihm wirklich widerfahren war, ohne doch seines Bruders zu erwähnen und ohne sich zu erkennen zu geben. Der junge Mann ließ ihm Speise reichen, setzte ihn auf ein Thier –
Khalife. Ehe du weiter gehest: wie heißt der junge Mann?
Ben Hafi. Mazar, Herr! –
Er setzte ihn, wie gesagt, auf ein Thier, und in einigen Wochen kamen sie in Meliopour, der Hauptstadt des Reiches Karnateks, an.
Der junge Mann führte Abdallah, unweit der Stadt, nach seiner Heimath, wo die Triften seiner Kameele lagen. Hier übte nun Mazar die Gastfreiheit gegen Abdallah aus, ohne weiter nach seinen Umständen und Angelegenheiten zu fragen. Auch trat bald ein vertrauliches Verhältniß zwischen Wirth und Gast ein, Abdallah genoß abermals der stillen Ruhe und erheiterte sich an dem sanften Widerscheine des beschränkten Glücks einer durch Liebe, Vertrauen und Einfalt verbundenen Familie.
Hier verglich er nun seinen vormaligen Zustand mit der Lage dieser durch Beschränktheit Glücklichen; seinen Kampf, seine Anstrengungen, das zweideutige Gute zu bewirken, mit der gleichmüthigen, ruhigen Erfüllung der natürlichern und reinern Pflichten dieses Paars, ihres sichern Erfolgs, und seufzte über das Schicksal, das ihm das Loos seines unheilbaren Unglücks zugeworfen hatte, eine Zeitlang Günstling, Freund und Großvizir eines Sultans zu sein.
Großvizir. Es nicht mehr zu sein! Ben Hafi! Es nicht mehr zu sein!
Khalife. Warum nicht, es gewesen zu sein, Vizir! Die Zeit kann kommen, wenn auch nicht in diesem Leben, daß du, wie dieser Abdallah, darüber seufzest. Ein Vizir muß, wie sein Herr, du weißt es am besten, gar viele Dinge thun, die der Mensch entweder sehr schwer oder vielleicht gar nicht an Ort und Stelle verantworten kann. Und da der Kleine mit dem Größten in jener Welt auf einer und derselben Linie steht, dort gar keine Rangordnung mehr gilt, so wird vielleicht Mancher von uns wünschen, hier klein gewesen zu sein, um dort, wo man nach einem andern, aber einem gerechten Maße mißt, groß zu werden.
Vizir, je weniger des Gepäcks, je leichter die Reise.
Tritt uns einst der Engel des Todes vor die Augen, so glaube ich immer, dieser gute Kameelhirte da wird ihn unerschrockener nahen sehen, als ich und du. Auch wollte ich das beste Kleinod meines Schatzes wetten, er ist besser mit seiner Heerde umgegangen, als ich und du mit der uns anvertrauten.
Ben Hafi. So dachte Abdallah.
Das Loos dieser Menschen, tugendhaft zu sein ohne Anstrengung und ohne es zu wissen, daß sie es seien; die das Schicksal von der Verkettung der Gesellschaft und dadurch von ihren Thorheiten, Lastern und Verbrechen schied, schien ihm jetzt allein beneidenswerth. Und für so thöricht ihn auch dein Großvizir halten mag, so wünschte er doch nun aufrichtig, er wäre wie sie geboren worden und nie Vizir gewesen.
Großvizir. Der Geist mag bei diesem Wunsche das Seinige wohl auch gethan haben, und darum beweiset sein Beispiel nichts.
Khalife. Vizir! Ist dieser Abdallah wohl weiser, als Locman, der Sklave aus Nubien?
Wer ist weiser als Locman, von dem der Prophet durch Gott spricht: »Wir haben Locman die Weisheit gegeben!«
Sieh eines Tages, zur Stunde der Mittagsruhe, traten leise die Engel in Locmans Kammer, ohne sich von ihm sehen zu lassen. Locman, der eine Stimme hörte, ohne Jemand zu sehen, beantwortete den Gruß der Engel nicht. Da sagten die Engel zu ihm:
»Wir sind die Boten Gottes! Dein Schöpfer ist auch unser Schöpfer, er hat uns zu dir gesandt, dir zu verkündigen, daß er dich zu einem Herrscher, zu seinem Stellvertreter auf Erden machen will!«
Locman antwortete den Engeln:
»Ist Das, was ihr mir verkündiget, ein fest bestimmter Rathschluß Gottes, so muß sein Wille hier, wie in allen Dingen geschehen. Und geschieht es, so hoffe ich, daß er mir auch die nöthige Hülfe und Gnade verleihen wird, seinen Befehl mit Treue zu vollziehen. Verstattet mir aber der Herr die Freiheit der Wahl, so wünschte ich lieber, in der Lage zu verbleiben, in welcher ich mich jetzt befinde. Doch sein Wille geschehe; die einzige Gnade, um die ich ihn zu bitten wage, ist: daß er seinen Diener vor aller Beleidigung gegen ihn schütze und bewahre; denn auch die kleinste würde ihm alle Herrlichkeit der Erde zur schwersten Bürde machen.«
Diese Antwort Locmans war Gott so angenehm, daß er ihm auf der Stelle die Gabe der Weisheit in einem so hohen Grade verlieh, daß er fähig ward, alle Menschen durch seine Sprüche, Meinungen und Parabeln zu unterrichten, und jede derselben ist mehr werth als die irdischen Schätze der Welt.
Vizir, dieses sage ich dir und frage noch einmal: »Bist du weiser als Locman, der Sklave aus Nubien, von dem der Prophet und Gott durch den Propheten im Buche der Bücher zu reden gewürdigt hat?«
Der Großvizir verbeugte sich tief, berührte mit seiner linken Hand den Fußteppich des Khalifen, schlug dann seine beiden Hände demüthig über seiner Brust zusammen, ohne doch von Locmans Weisheit überzeugt zu werden; denn er dachte in seinem Herzen:
»Locman hatte nicht empfunden, was es heißt, Khalife oder Großvizir zu sein!«
Ben Hafi. Herr der Gläubigen, so fühlte nun Abdallah und fühlte sich glücklicher, wenn er die Kameele auf die Weide oder zum Wasser führte, als er sich selbst damals fühlte, da er noch in Sicherheit und Vertrauen die Unterthanen des Sultans von Giuzurat beherrschte.
Aber noch sollte er die Folgen seines Wagestücks tiefer empfinden, noch sollten die Pfeile, die er im Wahn selbst zugespitzt und vergiftet hatte, viel schmerzlicher in seine Seele dringen.
Das junge blühende Weib des Kameelhirten Mazars saß eines Morgens unter dem Schatten der Pappeln vor der Flur des Hauses und stillte ihren Säugling.
Die reinste, innigste mütterliche Zärtlichkeit regnete aus ihren Blicken, aus ihrem holden, seligen Lächeln um ihren Mund auf den Säugling nieder. Jede Bewegung seiner Händchen, jedes Lallen seiner Lippen, jedes stumme Anblicken schien ein Genuß für sie, den kein Glück der Erde aufwiegt. Bei jeder seiner Aeußerungen drückte sie ihr Entzücken in einzelnen süßen Tönen oder der melodischen Strophe eines einschlummernden Liedes aus. Abdallah, der gegen ihr über saß, versank in ein so sanftes, wohlthätiges Gefühl, wie er noch nie empfunden hatte. Er pries sich und die ganze Menschheit selig, welcher Augenblicke zu Theil wurden, deren Genuß alles Leiden übertrifft, für jedes Leiden belohnt und dessen Anblick schon das erhabenste, reinste Glück ist, womit die Natur ihre Söhne und Töchter auf Erden belohnt.
Sein Herz fühlte die seligste Ruhe bei der Betrachtung des glücklichen Schicksals der einfachen, ruhigen Bestimmung des Säuglings, der an dem freundlichen, nährenden Busen der zärtlichen Mutter einem Stande entgegen reifte, der schon jetzt sein Glück und seine Tugend auf die Zukunft zu verbürgen schien.
Das junge Weib trug den eingeschlummerten Säugling, mit der behutsamsten Sorgfalt, nach der nahen Wohnung: er sah ihr nach, sanft erglühten seine Wangen, und in seinen Augen schimmerte seliges Entzücken, als plötzlich die Erscheinung des Geistes sein Angesicht mit Todesblässe deckte und seine Augen mit starrem Entsetzen füllte.
Der Geist sprach:
»Du siehst, ich vergesse meine Pflicht nicht; ich erfülle sie, und zerflögst du auch in Staub vor meinem Angesichte.
Dich täuscht der Anblick dieser zärtlichen Mutter und des unschuldigen Säuglings; wen würde er nicht täuschen? Doch Jeden mag diese süße Täuschung verblenden, dich darf sie es nicht; denn hast du mich nicht gedungen, dich vor aller Täuschung zu warnen?
»In diesem Augenblicke war und ist dieses junge, blühende Weib, was sie dir schien. Auch würde sie und der Knabe die glücklichsten Wesen unter den Sterblichen sein, bliebe nur sie, was sie jetzt ist.
»Hier auf dieser Stelle wird dieser Säugling, nach einem Mondenjahr, in eben dieser Sekunde, in welcher er dich an dem Busen seiner Mutter entzückte, der Fraß der ungeheuren Schlange Anaconda werden, bei deren Name schon alle lebende Wesen erstarren.
»Sagst du nun diese meine Weissagung der Mutter, so wird auch sie jetzt erstarren, wie du vor meiner Erscheinung erstarrest, und doch wird sie den Tag und die Sekunde vergessen; denn zu jener Zeit wird sie die Ehe schon gebrochen haben, und ein einziger lüsterner Blick des Mannes, den sie jetzt hasset, in einem für die Töchter des Staubs gefährlichen Augenblick, wird das Leben dieses geliebten Kindes und dieses blühenden Hauses vernichten!«
Dieses schreckliche Erwachen aus dem schönsten und reinsten menschlichen Gefühle war der qualvollste Augenblick des Lebens Abdallahs.
Mit einer Stimme voll Wuth und Schmerz rief er dem finstern Geiste entgegen:
»Würger meines Glücks! Geist der Verzweiflung« –
Geist. Du hast meinen Namen genannt; dieses mußte ich dir werden, und in dem Augenblicke, da dieses Wort aus deiner bebenden Seele flog, schlug die Zeit an die Keule des tiefsinnenden, ewig wachenden Schicksals.
Nun muß ich das Maß deines Leidens durch Enthüllung deiner Thorheit füllen, damit geschehe, was der Tiefsinnende gesprochen hat.
Abdallah. Ich entfliehe dir!
Geist. Fliehe nur; du fliehest auf eben die Stelle, welche mein Auge gewählt hat.
Was verbirgt dich mir? Nicht die Erde, nicht die Luft, nicht das Meer – Du schwebest in den Banden des Schicksals und ich mit dir.
Fliehe, ich bin dir nah!
Abdallah floh. Die Verzweiflung trieb ihn vor dem Geiste her, der sausend hinter ihm her schwebte. Sein Gewand rauschte wie fallender Hagel auf die dürre Saat.
Als Abdallah die Klippe an dem Meere keuchend erstiegen hatte, stand der Geist vor ihm, in seiner kalten, feierlichen, zermalmenden Erhabenheit, und sprach:
»Hier stehe und vernimm, was du durch die Verbindung mit mir gewonnen hast; dann folge deinem Wahnsinn und erfülle den herabgefallnen Spruch des Tiefsinnenden und Fernesehenden.«
Abdallah. Deine Gewalt fesselt mich, meine Glieder erstarren – Frost zieht durch meine Glieder, mein Herz ächzet – sprich, daß ich schnell sterbe. Es ist der Schauder des nahen Todes, der von dir zu mir übergeht.
Geist. Lebe oder stirb, wenn du gehört hast, was dein gedungener Sklave dir sagen muß.
Alles, was du von mir gefordert hast, habe ich treu erfüllt, weil es die mich zwingende Nothwendigkeit gebot; aber eben Das, was du von mir gefordert hast, was ich aus Zwang erfüllen mußte, zerschlug dich, dein Haus, vernichtete deine, deines Herrn Tugend und trieb zur Reife das Elend, das nun dein Vaterland fühlt, das es in der Zukunft noch schrecklicher fühlen wird.
Meine Erscheinungen und Warnungen sollten dich hindern, das Böse zu thun; sie thaten es – aber sie nahmen dir dafür die Kraft, das Gute zu wirken, das du noch wirken konntest. Dadurch ward alles gegenwärtige, das mit schnellen Schritten herbei stürzende künftige Elend deines Vaterlandes dein Werk, und alles Bösen, das geschehen ist und noch geschehen wird, deß klagen dich der Sultan und sein Volk allein an.
Ich sollte dir den bunten Zauberschleier der Täuschung, in den euch das Schicksal einhüllt, um euch das Böse, das aus eurem Wirken entspringt, zu verbergen und das ferne Gute schöner zu verklären, vor deinen Sinnen wegziehen; die Begeisterung, wodurch ihr allein aufhört, Söhne dieser drückenden, euch nie genügenden Erde zu sein, in deiner Seele mit meinem kalten Athem verkälten – ich that es, ich tödtete den Geist deines höhern Daseins auf deinen Befehl, und dein Beben, deine Furcht, deine Todesangst bei dieser und jeder meiner Erscheinungen beweisen, was du dadurch gewonnen hast.
Erfahre nun alle die Folgen deiner Thorheit; ich zähle sie dir langsam zu, denn Der, welcher mir und dir gebietet, will, daß sie schwer auf dein Haupt fallen sollen.
Du wolltest ein Wesen einer andern Welt, es sollte deine Schritte in dieser hier leiten. Ich erschien dir und war dir ein Wesen, wie ich es sein mußte, durch nichts mit dir verwandt, das eben so kalt auf deine Freude wie auf dein Leiden blickte. Was konnte ich dir, was konntest du mir sein und werden, da deine Bedürfnisse mir fremde sind und du die meinen, gehüllt in Fleisch, nicht ahnen kannst?
Von dem Augenblick an, da du in mein Angesicht geblickt hast, mußte das Gefühl erkalten, das dich durch Liebe und Kummer an die durch Liebe und Kummer mit dir verwandten Sterblichen knüpfte. Dieses Gefühl allein reizt eure Kräfte, euren Brüdern diesen zu erleichtern und sie durch jene glücklicher zu machen.
Dieser Trieb erstarb in dir. Der Mann, der durch seine Thätigkeit Glück befördern sollte, hielt sich an das traurige, unnütze Geschäft, Unglück abzuwenden. So wardst du der Sklave deines Sklaven, wardst durch mich unter deinen Brüdern, was ich dir war – als Mensch ein einzelnes, abgerißnes, zitterndes, bebendes Wesen, das sich und Keinem mehr traute, das entweder zu der kalten Gleichgültigkeit und der noch kältern Selbstsucht übergehen, wie es eigentlich deine Rolle zu erfordern schien, oder endlich dahin gelangen mußte, wohin du dich gebracht fühlst.
Abdallah. Tödte mich, nur laß mir die Täuschung: ich sei um eines edeln Zwecks gefallen.
Geist. Dein Leben und dein Tod sind beide außer meiner Macht; und geböte ich darüber, warum sollte ich dich tödten, da mir dein Sein oder Nichtsein gleichgültig ist?
Stütze deinen bebenden Leib an den Stamm der jungen Cypresse, die sich aus dem Risse des Felsen herausdrängt, damit du nicht hin sinkest, bevor du vernommen hast, was du hören mußt.
Verblendet von der kühnsten und der glänzendsten Schwärmerei, wolltest du durch den kalten Verstand allein das zweideutige Spiel des menschlichen Lebens befördern, dein Wirken sollte auf ihn allein gegründet sein und jede seiner Folgen fest von ihm bestimmt werden.
Gleich einem Wesen erhabenerer und besondrer Art, wolltest du dich mit kaltem Stolze in die Mitte des bloß von Leidenschaften und Begierden, durch den Durst nach Genuß und Glück, durch die Schläge des Schicksals und die Pein der Leiden zu seinem dunkeln Zwecke getriebenen Menschengeschlechts hinsetzen, die euch unsichtbaren Zügel mit den Händen des Fleisches fassen und die Sterblichen ohne alles Unheil leiten, da doch dieses nur ihre Kraft und ihren Werth entwickelt.
Der in ewiger Täuschung wandernde und träumende Mensch lechzte nach der kalten, trostlosen und erstarrenden Wahrheit; Thor, was wärt ihr ohne diese Täuschung, die Zauderquelle eures Daseins, ohne die Begeisterung, den idealischen Sinn, durch die ihr allein hervorgebracht habt, was Großes und Herrliches durch euch geschehen ist!
Da du mich riefst, verschwanden diese deine Seele tragenden Flügel. Da du mich riefst, war schon in dir das Zutrauen an dich und deine Brüder verloschen – schon damals hattest du deiner Kraft entsagt, mein Anblick löste sie völlig auf.
Abdallah. Grausames Wesen, um mich langsamer zu tödten, vergißt du meines Zwecks.
Geist. Indem ich dir zeige, daß er Wahnsinn war?
Was kümmert Giuzurat dem Zweck; deines Wirkens bedurfte es. Tröste nun die Unglücklichen damit und sage ihnen: ich wollte und suchte euer Gutes.
Meine Erscheinung benahm dir Alles, was dir in deiner Lage zu deinem Zwecke nöthig war; zu einem klügern wolltest du mich nicht nützen.
Da ich dir deinen Fall und Ebu Amru's Steigen weissagte, weissagte ich dir Das, was ich in deinem, durch die mit mir eingegangene Verbindung erzeugten künftigen Betragen las; was deine daraus keimende Zagheit, Furcht, Laune und Unthätigkeit erzeugen mußten. In deinem von mir so gestimmten, von den herzuströmenden Ereignissen betäubten Herzen sah ich schon das Zukünftige.
Ebu Amru würde emporgestiegen sein; aber ausgerüstet mit Muth und Kraft, hättest du ihn mit That bekämpft und durch deine wirkende Tugend Ereignisse hervorgebracht, denen endlich die feige List Ebu Amru's, die Bosheit aller deiner Feinde und die stille Tücke deines eifersüchtigen, mehr von dir als deinen Feinden gereizten Herren unterliegen sollten.
Doch du wolltest von nun an ohne alle Täuschung, ohne den Einspruch des Herzens, ohne Vorliebe und Neigung, nach den kalten Regeln des Verstandes handeln, wolltest mehr als Mensch sein, wolltest es nicht mehr dadurch sein, wodurch allein ihr glücklich werden könnt.
Du suchtest da das Glück, wo es nie Blüthe getrieben hat, nie treiben wird.
Hättest du deinen Bruder, auf die Bitte deines Vaters, und nach dem Wunsche des Sultans, zum Statthalter gemacht, das ohne meine Erscheinung geschehen wäre, so hättest du ihm den Mord Khaleds erspart, und der Schmerz würde deinen Vater nicht so früh erwürgt haben.
Dein Bruder mußte den Spruch des Schicksals erfüllen; aber er sollte dir zugleich Gelegenheit geben, deinen Muth, deine Vaterlandsliebe und die Stärke deines Geistes zu zeigen.
Deine Weisheit sollte den kühnen Verräther mehr besiegen, als Khaleds Schwert, und die schöne That für das Vaterland sollte dein Glück, das Glück des Sultans, der Giuzurater gründen und den gefährlichen, verborgenen Theilnehmer des Mords und Verraths deines Bruders, Ebu Amru, zerschmettern.
Dann erst konnte aus dem Sultan der Mann werden, den du einst in ihm geträumet hast. Du entsagtest dir selbst, fühle nun, was du gewonnen hast.
Abdallah. Zweizüngiger! Warst du es nicht, der meine Kraft durch seine Weissagung, deren Erfüllung ich bebend sah, auflöste?
Geist. Ich weissagte dir, was geschehen würde – es ist geschehen und mußte geschehen; aber an dir lag es, ob es dein Mitwirken hindern oder befördern sollte.
Du riefst mich, ich bedurfte deiner nicht, und ich erfüllte die mir aufgezwungene Pflicht, da ich dich vor jeder Täuschung warnte. Warum ließ sich der Sohn des Staubs mit einem Wesen ein, das durch nichts mit ihm verwandt ist? Ich sagte dir jedes Ereigniß voraus, gleichgültig, ob du dabei gewannst oder verlorst.
Freilich tödtete meine Erscheinung das aufkeimende Vertrauen in des Sultans Brust, da du dich gegen ihn erklären und ihm dein Herz ohne allen Rückhalt öffnen wolltest? Eure jugendliche Verbindung wollte euch wieder umschließen; aber mußtest du nicht durch meine Erscheinung erstarren? Solltest du nicht deine Einwilligung zur Erhebung Ebu Amru's geben? Sollte nicht die erste warme Sekunde den Verrath deines Bruders zum Gedeihen bringen?
Nun wüthet er gleichwohl in Verbindung mit Ebu Amru in Baglana, aber die Schätze, die er dir geraubt hat, und die Räuber, die ihn tödten sollten, brachten das Unternehmen zu schnellerer Reife. Ich warnte dich, den Mörder zu retten, doch du folgtest der Neigung deines Herzens und zogst das Elend über dein Vaterland.
Warnte ich dich nicht, als du auf dem Wege zum Gefängnisse warst, den Verbrecher zu befreien? Hast du nicht durch diesen Schritt dein Schicksal dort entwickelt? Entsprang nicht aus diesem Schritte das gefährliche Bekenntniß deiner Verbindung mit mir? Ward nicht Alles durch diese That entschieden?
Schon fließt das Blut der Unschuldigen, schon breitet sich die Verwüstung aus, und der Sultan, der dir ein Mensch zu sein schien, da er nichts, als ein durch deine Sprüche und die Gewohnheit deines Umgangs aufgewundener Herrscher war, wird der Sklave der Verräther und klagt nicht sie als die Ursache seines und der Giuzurater Unglücks an, sondern dich. Deine vorigen Thaten, deine Tugend, die er einst für untrüglich hielt, sind ihm durch die Enthüllung deines Verhältnisses mit mir so verdächtig geworden, daß er von diesem Augenblicke an keine Tugend mehr glaubte, in diesem Sinne herrschte, Ebu Amru herrschen ließ und alle das Unglück beförderte, das seinen Thron umspann, da ich auf deinen Ruf erschien und du so schnell in Trübsinn, Mißmuth und Unthätigkeit versankst.
Abdallah ächzte unter der Last dieser Vorstellungen, und der Geist rief:
Alle Täuschungen sollten vor deinen Sinnen verschwinden. Ich, dein und der Nothwendigkeit Sklave, vollende nun deinen Willen.
Er berührte leise seine Augen.
Durch diese leise Berührung zog nun der Geist den letzten Schleier der Täuschung vor den Sinnen Abdallahs weg. Und Himmel und Erde und Licht und Luft und Raum schienen ihm ein fürchterliches, düstres Leere – gefüllt mit gestaltlosen Wesen – ein blutgefärbtes Nichts, in dem ein grausendes, neblichtes Etwas schwimmt – das sich trennet – verbindet – sich selbst verschlingt – sich dann wieder selbst erzeugt. Die Sonne, das Maß der Zeit der Sterblichen, hing gleich einer Scheibe geronnenen Bluts in dem Nebel, und ihr schaudervoller Widerschein zuckte durch das düstre Gewühl – so drang plötzlich und ohne Theile die ganze Schöpfung auf den Bebenden ein und füllte zuckend, strebend, kämpfend, wirbelnd, sich auflösend und wieder schaffend seine Seele. Nichts war jetzt mehr außer ihm – er ward Alles selbst – und das verworrene, ungeheure Gewühl dehnte sein Haupt ins Ungeheure aus – er konnte sich nicht mehr von ihm trennen – sich nicht mehr von ihm unterscheiden – und jetzt schwebte er wirbelnd in dem ungeheuern All, das mit ihm ohne Stütze und Haltung dahin sauste.
Der Geist rief durch das Gewühle:
Nun siehst du Das, was außer dir ist, wie es euch ohne den wohlthätigen Schleier der Täuschung erscheinen würde. Ich zog ihn weg; du hast deinen Wunsch erreicht, meine Pflicht ist erfüllt.
Abdallah. Ist Das todt, wodurch ich war? Ist Alles todt? – Bin ich im rauschenden Meere? Stoße mich tiefer hinunter – ich kann nicht ertragen, was ich bin – mein Haupt dehnt sich immer mehr aus – o zersprenge es! Vernichte mich!
Geist. Thu es selbst! Ich halte dich nicht ab, ich rathe dir nicht. Du nanntest mich den Geist der Verzweiflung, und der mußte ich dir werden.
An dem Fuße des Felsen rauschet das Meer – du stehst auf seiner äußersten Spitze –
Ich sehe deinen Sturz von dem Felsen mit eben der Ruhe an, wie den Fall des Blatts, das der Wind hinunter trägt.
Abdallah wankte betäubt gegen die äußerste Spitze des Felsen und stürzte in die sausende Fluth.
Khalife. Ach, grausamer Ben Hafi, und der Unglückliche endet sein Leben so? Es wäre schrecklich; aber wenn ihn nichts anders von diesem furchtbaren Verfolger retten kann, was bleibt ihm übrig? Gott erbarme sich seiner!
»Sage, ich flehe um Rettung zu dem Herrn der Menschen, zu dem Könige der Menschen, zu dem Gott der Menschen, daß er mich bewahre vor der Bosheit des Flüstrers, der sich schlau entfernt, wenn er böse Gedanken dem Herzen des Menschen zugelispelt hat!«
Großvizir. Fürchte nichts, Herr! Ben Hafi wird schon Mittel finden, den Thoren wieder aus der Fluth zu ziehen.
Khalife. Ich werde ihm herzlich dafür danken! Doch, Vizir, Thor, so viel du willst, er ist unglücklich, und dieser frostige, gefährliche Geist mag reden, was ihm beliebt, mein tiefes Mitleiden hat er und meine Achtung noch oben drein. Ich würde gewiß meine Thränen über sein Schicksal nicht zurückhalten, wenn ich nicht auf Hülfe rechnete. Gott ist den Unglücklichen nah!
Uebrigens hat Ben Hafi bewiesen, was er uns beweisen wollte, und was das eigentlich war, davon wollen wir am Ende reden. So viel erinnere ich mich noch, daß wir, um Gutes zu thun, weder mit uns, noch mit Andern rechnen müssen. Was ich sonst noch darüber denke, laß ich gern dunkel vor mir schweben, damit es mir im Fall der Noch recht helle werde.
Friede sei mit dir und euch!