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Ben Hafi erschien auf den Glockenschlag und begann:
Abdallah lebte seit der letzten Unterredung mit dem Sultan in einer düstern, melancholischen Stimmung, die, so peinlich er sie auch fühlte, gleichwohl nicht ohne allen Genuß für ihn war. Denn da er den Kummer, den man ihm machte, unschuldig zu leiden glaubte, so erhob sich sein eigner Werth vor seinem Geiste um so höher, je tiefer der Werth Derer heruntersank, die ihm diesen Kummer verursachten. Aber so sehr auch sein beleidigtes Herz, sein stolzes Bewußtsein, seine durch Verdruß erhitzte Einbildungskraft sein eignes Ich verherrlichten, so stand er doch mehr als je in Gefahr, daß sich die innere Kraft seiner Thätigkeit auflöste; oder wenigstens eine Richtung nähme, die ihn von dem glänzenden Ziel abführte, das er bisher so fest ins Auge gefaßt hatte, das er zu Zeiten schon erreicht zu haben glaubte. Schon wehten leise Ahnungen in seinem Geiste: »Ist es dieser mißtrauische, auf meine Feinde horchende Sultan wohl werth, daß ich mich ihm aufopfere und so aufopfere? Er, der nach der Versicherung des Geistes im Bunde mit meinem Feinde steht? Kann Ebu Amru Abdallahs Feind sein, ohne zugleich der Feind des Guten zu sein, das ich gewirkt habe und noch wirken kann? Muß nicht endlich der Sultan selbst durch diesen Bund diesem gefährlichen Ebu Amru ähnlich werden?«
Bestätigung dieser Furcht fand er in der erkünstelten Verstellung und Zurückhaltung des Sultans, in der er verblieben, so nah er ihm auch seine Zweifel, Furcht und Ahnung gelegt hatte. Abdallah bedachte nicht, daß er es selbst war, der zuerst der Regung seines Herzens, bei der Erscheinung des Geistes, widerstanden hatte, oder widerstehen mußte. Daß er dadurch die erwachte Wärme, die aufkeimende Vertraulichkeit verkältet und die wechselseitige Erklärung, nebst dem Einverständnis, das nothwendig darauf folgen mußte, vernichtet hatte. Er vergaß in seiner düstern Stimmung, daß der Sultan dasselbe Recht hatte, über ihn zu klagen, und bedachte nicht, daß die leisesten Klagen des Herrn durch das Gefühl des mächtigen Herrschers und den Mund Derer, denen er sie vertraut, zu furchtbaren, verwüstenden Stürmen geblasen werden können, da die Klagen des mißvergnügten Dieners entweder in der Luft verhallen, oder die Stürme noch schneller und schrecklicher zusammen treiben.
Noch fühlte, noch ahnete er nicht deutlich, daß er, seiner Kraft, seiner Erkenntniß des Guten mißtrauend, zwischen sich und die Menschen ein Wesen gestellt hatte, das durch jede neue Erscheinung die Kluft zwischen ihm und ihnen weiter aus einander sprengte.
So gestimmt, aber noch immer von dem reinen Bewußtsein, diesem Eindruck des Fingers der Gottheit in der Brust des Menschen, empor gehalten, stieg er eines Morgens auf den hohen Berg unfern der Stadt, an dessen Abendseite sein Landhaus lag. Ein Wald von Cypressen, Cedern, Pappeln, Citronen und Granatbäumen schmückte den Berg bis zu seiner Spitze. Die Gazellen lebten ruhig unter ihrem Schatten, frische, sprudelnde Quellen tränkten sie, duftende Kräuter nährten sie. – Hier verstummte nie das Chor der Sänger vor dem Tritte des Jägers. An dem Fuße des Bergs lag eine alte, prächtige, berühmte Pagode. Die von derselben ausgehende Ebene war mit Grabmälern aus der grauen Vorzeit bedeckt und lud zum Nachsinnen über Vergangenheit und Zukunft ein.
Die Luft war heiter, kühle Winde säuselten um das sorgerfüllte Haupt Abdallahs und trugen ihm die Wohlgerüche zu, die sie mit ihren sanften Fittigen von den Blumen und Kräutern des Thals abstreiften. Die Wohnungen der Menschen, jetzt noch so still wie die alten Grabmäler, die blühenden Wiesen und Gärten, Strom und Bach, glühten und glänzten in dem rosenfarbenen Schimmer der aufgegangenen Sonne.
Tiefe Stille lag vor ihm, über ihm, um ihn, und nur die Chöre der jetzt erwachenden Sänger schienen der erhabenen, neu erwachten, sich immer mehr belebenden Schöpfung entgegen zu jauchzen. Lange sah Abdallah in stillem Entzücken diesem erhabenen Schauspiele zu. Nun begann das Leben in den Wohnungen der Menschen; sein Herz erglühte, sein Geist ergötzte sich an den wohlthätigen Gedanken, die aus jenem sich empor hoben. Er fühlte in diesem Augenblick, wie glücklich alle diese neu erwachten Menschen unter ihm, durch ihn geworden seien, wie sein Wirken von dem beschränkten Umrisse, den sein Auge umspannte, bis an die entferntesten Grenzen des Reichs, alle darin Lebenden umfaßte und ihr Fortkommen, Erhalten und ihre Sicherheit beförderte. Wie sein Name unter Begleitung des Segens von allen Lippen ertönte, der Säugling ihn schon der Mutter nachlallte und der Greis seinem Enkel Glück wünschte, daß er die harten Zeiten seiner Jugend nicht gesehen und unter Abdallah nicht zu fürchten habe. Sein Geist erhob sich noch freier und kühner bei dem Gedanken: »Was ein Einziger vermöchte, der es mit den Menschen redlich meinte und ihr Glück allein zu seinem Endzweck machte.«
In dieser Sekunde sah er ganz Giuzurat durch seine Verbindung mit dem Sultan glücklich, und kühner als jemals faßte er den Entschluß: ihr von seiner Seite treu zu bleiben, auf seinen Zweck fest zu halten, nichts zu thun, das ihm zuwider wäre, und, wenn es sein müßte, sich für die Millionen aufzuopfern, die ferne und nah den glücklichen Kreis um ihn her schlössen, den er jetzt mit seinen begeisterten Augen durchmaß.
Mit bebendem Lispeln rief er in das Thal hinab: »Der laute Schrei der Zufriedenheit, der Segen der Tausende seien meine Verteidigung und mein Trost, wenn ich um ihretwillen einst als Opfer falle!«
Khalife. Höre, Ben Hafi, dein Abdallah gefällt mir, und ich möchte wohl diesen Augenblick auf einem Berge meines Reiches stehen und dieses von mir sagen können. Ich frage, wie kann wohl ein Mensch glücklicher sein, als er es nun eben sein muß, vorausgesetzt, er macht sich selbst nichts weiß, und Alles verhält sich grade so, wie du uns erzählest. In diesem Falle sage ich dir: ein Mann, der Dieses ein einziges Mal in seinem Leben, mit aller Gewißheit und Zuverlässigkeit, von sich sagen kann, ist über alles mögliche Unglück erhaben – denn selbst das Unglück, wenn ich anders jetzt keinen Unsinn sage, das dem Gescheidtesten, der ein Herz wie ich hat, in solch einem Augenblick begegnen kann – setzt seinem Glück die Krone auf. Ein rechtschaffener Mann, meine ich, der immer glücklich war, ist es nur noch halb und gleicht der Ceder, die der Sturm noch nicht geschüttelt hat.
»Ich schwöre bei diesem Lande! Du Apostel wohnest in diesem Lande! (Mecca) und bei Dem, den er geschaffen hat, wahrlich, wir haben den Menschen im Elend erschaffen. Glaubt ihr, daß ihn keines erreichen soll? Er sagt: ich habe die Fülle der Reichthümer verschwendet. Glaubt ihr, daß ihn Keiner sieht? Haben wir ihm nicht gegeben zwei Augen und eine Zunge und zwei Lippen, und ihm zwei Straßen gezeigt, die Straße des Guten und die Straße des Bösen. Und doch versucht er nicht, die Klippe zu ersteigen. Wer soll ihn verständigen, was die Klippe sei? Die Gefangenen zu befreien, den Weisen zu nähren in den Tagen des Hungers und den Armen, der auf der Erde liegt, dieses ist die Klippe. Wer dieses thut und glaubt und Andern empfiehlt die Geduld und Mitleid und selbst geduldig und mitleidig ist, der soll zur Rechten sitzen.«
(Zum Großvizir.) Kannst du von dir sagen, was Abdallah von sich rühmt, so sollst du mir willkommen sein, als hättest du mir die ganze Erde erobert, und ob ich es gleich am liebsten von mir selbst sagen mochte, so will ich dir doch diesen Ruhm verzeihen, weil, wie Abdallah sehr richtig spricht, die Tugend des Dieners die noch größere Tugend des Herrn beweist.
Der Großvizir verbeugte sich tief.
Ben Hafi. Kaum, Herr der Gläubigen, kaum hatte Abdallah die letzten Worte ausgesprochen, als der Geist vor ihm stand.
Abdallah sprach: Unermüdeter Verfolger! Was führt dich in diesem Augenblicke hierher! Es ist der erste glückliche, den ich lebe, seitdem ich dich gerufen habe.
Geist. So muß es auch der thörichtste sein, der, in welchem du dich am meisten täuschest, denn nur dadurch könnt ihr euch für Augenblicke glücklich machen.
Abdallah. Erstarre nicht mein Herz mit deiner Kälte! Laß nur einen Strahl seines Gefühls in dich hinüber gehen, die frostigen Züge deiner wunderbaren Schönheit zu erwärmen und zu beleben. Laß deine Schönheit, die Alles übertrifft, was Menschen je gesehen haben, nur eine Sekunde wohlthätig für mich werden. Warum trägst du die Bildung der Liebe und machst sie durch deinen frostigen, zermalmenden Ernst zu der schrecklichsten Larve, die je die zitternde Phantasie des Fieberkranken aus scheußlichen Zügen zusammengesetzt hat. Sieh in mein Angesicht, in mein Herz, um dich her – kann dir dieses, das im Thal blühende schöne Leben kein Lächeln ablocken?
Geist. Ein Lächeln! Mir? Könnte ich lächeln, deine Zumuthung würde mich dazu reizen, nicht die Dinge, worauf du hinweisest. Das blühende schöne Leben!
Ich sehe die Zeit, die mit ihrer schneidenden Sense abmähet, was du Leben nennst, was du Leben siehst. Der Tod tritt hinter ihr her und sammelt in Garben, was unter der schneidenden Sense hinfällt, wirft sie der Verwesung zu, die darüber brütet und dem unermüdeten Schnitter neue Ernte aus sich selbst erzeugt.
Nie endet die Ernte; das ewige Lied: »Alles ist eitel! Alles Trug und Tand!« saust durch den Bart des furchtbaren Schnitters.
Abdallah. Der Augenblick der That und des Wirkens ist Leben – Genuß darüber Reiz und Stärkung zu neuem Wirken. – Die Täuschung selbst ist Leben, sie treibt unsere Kräfte an, und die Zeit, die du mit der Alles niederreißenden Sense einher treten siehst, sehe auch ich; aber ich sehe auch, daß sie nur das Gereifte wegmäht. Laß mir meine Täuschung!
Geist. Dies forderst du nun vergebens. Du hast mich gedungen, sie vor deinen Augen wegzuhauchen, und ich thue meine Pflicht, muß sie thun und achte weder deiner Bitte, deiner Klagen, deines Zorns, noch deines Jammers.
Mein Ohr ist taub, wie das Ohr des ernsten Schnitters: er mäht das Leben weg und hört nicht das Wimmern und Seufzen Derer, die er mit der Sense zerschneidet.
Aber bevor ich deine jetzige Täuschung mit dem kalten Hauche der Wahrheit wegblase, will ich dir sagen, womit Ebu Amru den Sultan unterhält.
Während du hier schwärmerisch träumst, beweist er ihm: »die strenge Tugend, der du dich opferst, und zu der du ihn zwingen willst, sei oft für den Regenten nachtheiliger und gefährlicher, als die durch Verstand und Berechnung des Menschen geleitete Ausübung Dessen, was ihr Laster oder Böses thun zu nennen pflegt. Die zu strenge Tugend mache den Geist einseitig, unverträglich, erfülle ihn mit Vorurtheilen, spanne das Herz des Herrschers über seine natürlichen Kräfte; reize ihn zu übertriebenen Forderungen an die Menschen und raube ihm das feste unterscheidende Ueberschauen der Ursachen des Thuns und Wirkens der Menschen, welches weder bestimmtes Maß, noch feste Regel vertrüge. Oft verwerfe ein solcher Regent Männer um eines Fehlers oder sogenannten Lasters willen, ob sie gleich zu den ihnen aufgetragenen Geschäften die gehörigen Eigenschaften und Fähigkeiten besäßen; zöge ihnen Leute seiner Denkart vor, die aus allzu großer Strenge, Starrsinn und Ungewandtheit, welches sie mit dem Namen Pflicht und Gewissenhaftigkeit zu Tugenden stempelten, den Gang der Geschäfte schwerer machten, ihn oft bis zum Stillstehen brächten, oder so sehr übereilten, daß noch öfter hin ganz anderes Ding zum Vorschein käme, als sie hervorzubringen stiebten. Diese allzu strenge Tugend, in welcher sich ihre Verehrer nicht selten, als in einem, in sich selbst geschaffnen und gebildeten Götzen, anbeteten, mache die Herrscher und die Vizire zu moralischen Pedanten, und Jeder wisse doch, daß nichts in der Welt Pedanterei weniger vertrüge, als das Herrschen über die unzuverlässigen Menschen. Der Geist eines Herrschers und seines Vizirs müssen frei und von keinem der Vorurtheile der Sterblichen gefesselt sein. Ihre einzige und wahre Bestimmung sei, die Menschen fest zusammen zu halten, ihren Kräften freies Spiel zu verschaffen und zu lassen, ihren Nutzen und durch denselben den seinigen zu befördern. Geschähe nur dieses, so sei jedes dazu taugliche Mittel gerecht und gut.«
Zum Beispiel seiner Lehre führt er das empörende, widernatürliche Betragen Abdallahs an, der aus allzu strenger Pflicht (wenn dieses anders der wahre Beweggrund sei) die Bitte seines Vaters dem Sultan verschwiegen hätte und nun durch den Bruch seines gegebenen Wortes, durch Meineid an dem edeln Greise und seinem gleich edeln Bruder den Greis der Gefahr des Todes, den Bruder der Schmach und Schande, ohne alle Schonung, mit kaltem Blut aussetzte.
Durch diese rauhe Art zu handeln, habe eben dieser Abdallah schon längst die Menschen von sich gestoßen und durch seine übertriebene Strenge selbst den Namen des Sultans schrecklicher und furchtbarer gemacht, als dieser mit der wildesten, unsinnigsten Tyrannei hatte thun können.
Ein Herrscher müsse die Liebe und das Zutrauen seiner Unterthanen und der ihn Umgebenden durch Nachsicht, Geduld, Langmuth mit der Schwäche des Menschen gewinnen und Gott nachahmen, der das Böse und das Gute in seiner großen Haushaltung zu einem Zweck zu brauchen wüßte.
Und Ebu Amru schließt: »Ueberhaupt hätten Diejenigen, welche ihr böse nennt, mehr Fähigkeiten des Geistes, und seien geschickter, über Menschen zu herrschen, als die sogenannten Guten, weil sie besser wüßten, wie das Menschenthier eigentlich beschaffen wäre, was von ihm zu fürchten und zu hoffen sei.«
Der Großvizir horchte während dieser langen Rede sehr aufmerksam zu und wollte eben reden, als ihm der Khalife schnell das Wort nahm.
Schweige, Vizir, ich und Ben Hafi wissen, was du sagen willst: selbst mein tauber, guter Masul liest es in deinen Augen.
Ben Hafi, wärst du in Bagdad geboren und dein Lebenlang kein armer, herumschweifender, armer Narr gewesen, ich würde schwören, du habest mich von dem Augenblicke, da ich den Thron bestieg, umschwebt, wie dieser kalte, mir widerliche Geist den armen, tugendhaften Abdallah.
Großvizir. Warum nennst du ihn arm, Herr?
Khalife. Nannte ich ihn so? O, er wird es gewiß. Laß du mich nun reden und schweige! – Was dieser Ebu Amru dem Sultane von Giuzurat vorgesungen hat, sangen sie mir Alle ohne Unterlaß vor; und es muß wohl noch an andern Höfen, als dem seinen und dem meinen, gebräuchlich sein. Ob sie mich nun gleich nicht so böse und unbesorgt machen konnten, als sie wollten, so ist es ihnen doch gelungen, viele meiner festen Entschlüsse kraftlos zu machen. Denn sieh, Ben Hafi, so sehr auch Dies, was dein Ebu Amru dem Sultan von Giuzurat sagt und das sie mir gerade so, wie er, gesagt haben, die Vernunft und das Herz empört; so läßt sich doch leider, durch Beweise aus dem wirklichen Leben, so viel dafür vorbringen, daß man ihr Gesagtes wider seinen Willen nicht ganz Unsinn nennen kann. Du glaubst gar nicht, was dieses für unser Einen für eine peinliche Lage ist, wenn man die Neigung seines Herzens und seinen besten Willen einem Gespenste unterwerfen muß, das Einem bei jedem Schritt in den Weg tritt.
Ben Hafi. Welchem Gespenste, Herr?
Khalife. Dem Einverständnisse Vieler gegen einen Einzigen, der, so mächtig er auch ist, doch nicht mehr vermag als ein Einziger und Verantwortungen übernimmt, die über die Kräfte eines Wesens gehen, das wie andere geboren wird und nur fünf Sinne hat. Gott stärke mich und gehe nach meinem Willen und nach meiner Neigung mit mir ins Gericht. Ich schuf mich und die Menschen nicht, die er mit mir zu gleicher Zeit geboren werden ließ, und an dem letzten Tag, an dem Tage, an welchem er die Himmel aufrollen wird, wie der Engel Al Sijil das Buch aufrollen wird, in dem jedes Sterblichen Thun, Gedanken und Worte aufgezeichnet sind,« will ich mich vor seinen erhabenen Thron, an der Spitze meiner mit mir auferstandnen Vizire, Hofleute und Unterthanen stellen und sagen: Herr, richte mich und Diese da nach Verdienst und Recht! Ich wollte das Gute; aber ich mußte es den Händen Dieser hier anvertrauen, weil ich ein Mensch und wie sie beschänkt war; weil ich glaubte und hoffte, sie als Menschen würden für diese ihre Brüder auf Erden menschlich sorgen und sie nach deinem Willen, nach deinem und durch deinen Apostel gegebenen Gesetze behandeln!
Bei den Engeln, die von Gott gesandt werden, einer dem andern folgend, und bei denen, die schnell daher schweben, und bei denen, welche die Befehle ausstreuen, und bei denen, welche die Wahrheit von der Falschheit scheiden, und bei denen, welche die göttlichen Vermahnungen mittheilen, zum Trost oder zum Warnen! Wahrlich, was euch versprochen ward, ist unvermeidlich. Wenn dann die Steine ausgelöscht und die Himmel gespaltet und die Berge gesichtet werden sollen, und die Zeit da ist, die den Aposteln bestimmt ist, gegen ihre Genossen als Zeugen aufzutreten,« an diesem unvermeidlichen Tage werde ich mich als Zeuge und Ankläger für und wider euch, für und wider mich vor den Richter der Menschen stellen! An diesem Tage werden wir uns gewiß alle erkennen und sich Keiner mehr in dem Andern irren.
Während der Khalife die Hände über der Brust zusammen schlug und seine Augen zum Himmel empor hob, betete der taube Masul inbrünstig. Sanft lächelnd winkte ihm der Khalife zu und sagte: »Du sollst der Nächste an jenem Tage neben mir stehen und von meinem Herzen zeugen, denn nur du kennst es!«
Seufzend fuhr er leise fort: »Der Ankläger, den ich dort fürchte, ist mein edler Bruder! Sein Zeugniß wird mir fehlen!«
Ben Hafi blickte tief gerührt auf den Khalifen – sah nieder, und einige Thränen rollten in seinen Bart. Der Khalife sprach ihn in dem mildesten Tone seines Herzens an, er sah freundlich um sich und fuhr fort:
Abdallah rief mit einer Stimme, aus welcher der bitterste, peinvollste Schmerz hallte: »Der Sultan ist verloren, und alles Gute, das er noch wirken konnte!«
Der Geist erwiederte:
Dieses kann sein, wird sein, weil es wohl sein muß; darum nun will ich die Täuschung vor deinen geblendeten Sinnen weghauchen, die doch nur befördern würde, was du gerne verhindern möchtest. Greife alsdann hindurch, wenn du dazu Muth hast.
Ich ziehe den geschmückten Vorhang vor dem Schauspiel weg, das so herrlich und täuschend um dich her glänzt. Umsonst verhüllst du jetzt dein Haupt; der Ton meiner Stimme dringt in dein Herz, und wenn es mit dem Grundfelsen dieses Gebirges umwachsen wäre. Du hast mich gerufen, und ich bin von der eisernen, unwiderstehlichen Nothwendigkeit, deiner und meiner Herrscherin, sklavisch gezwungen, dem Schicksal mit dir und durch dich zu entwickeln. Die Pfeile liegen auf der Werkstätte des Schicksals, die Menschen, die dich umgeben, bringen sie zur Gluth, und du selbst schleifest ihre schneidende Spitze. Labe dich indessen an dieser Luft, die jetzt noch so wollüstig deine reizbare Haut fächelt, dein heißes Blut kühlet und es kräftiger um dein Herz bewegt. Ich sehe in dem fernen Norden einen Wirbel von dem Schneegebirge herfahren, er sauset in diese Stille, bläst sie zum wüthenden Sturme auf, von ihr genährt, rast er über die blühenden Thäler her, überfällt ein Volk im Schlummer, hinterläßt die Spuren der Verwüstung, und am Morgen erstarren die Erwachten bei dem Anblick. Die Sonne, die diese Thäler vergoldet und deinen Augen alle diese entzückenden Gemälde sichtbar macht, zieht aus den Wohlgerüchen, die deine Nase kitzeln, Stoff zu Blitzen, die an dem Bösen vorüberfahren und den Redlichen zerschmettern.
Abdallah. Wozu dieser Unsinn, der nichts anders sagt, als daß größere Wohlthaten aus kleinen Nebeln entspringen?
Geist. Tröste Den mit diesem Spruche, welchen das kleinere Uebel trifft, und handele nach diesem Gesetze, wenn du es für so weise und wohlthätig hältst. Von deinen Lippen hörte ich Unsinn, da ich deine letzten Worte vernahm und du dich mit dem schmeichelhaften Gedanken süß einschläfertest: »Der Schrei der Zufriedenheit, der Segen der Millionen, deren Glück du machtest, seien deine Sicherheit gegen deine Feinde.« Nie betrog dich die Täuschung mehr. Glück und Zufriedenheit einiger Millionen, da das Glück des Einzelnen nur aus dem Unglück des Andern entspringt!
Du hast gethan, was der Mensch vermag, und wähnest nun Alle darum glücklich, weil es der Wunsch deines Herzens ist und du dir einbildest, dein Wirken verdiene diesen Lohn. Wenn ich plötzlich den Schrei aller Unglücklichen, Verfolgten und Bedrängten in deine Ohren ertönen, alle das Elend, das in diesem dir vertrauten Reiche wüthet, alle die Bosheit, die deine Entwürfe zum Guten vergiftet und verunstaltet, alle die Ungerechtigkeit, welche Die in deinem Namen begehen, welche deine Weisheit gewählt hat, vor deinen Augen in ihren scheußlichen Gestalten aufsteigen ließe, das Bewußtsein deiner Unschuld würde vor dem schrecklichen Anblick verlöschen, dein Herz zerfallen und dein Dasein ohne einen Seufzer, ohne eine Thräne hinfließen.
Welcher Herrscher eines großen oder kleinen Reichs könnte den Blick über das aufgethürmte Scheusal von Elend und Unglück ertragen, das sie in sich fassen?
Khalife. Keiner, Ben Hafi! Ich bitte dich, laß diesen Geist schweigen, er verwildert mein Gehirn und drückt mein Herz zusammen, ob ich gleich weiß, ich sei von Gott zum Herrscher gesetzt, die Menschen für das Gute zu belohnen und für das Böse zu bestrafen, aber nicht, die ewige Anordnung der Dinge zu ändern, die allein in seiner Macht steht.
Ben Hafi. Beinahe in diesem Sinne antwortete Abdallah; aber der düstre Geist erwiederte: »Um so weniger wird er sich trösten, doch ihm verbirgt die Täuschung diesen Anblick, die dich von der Sekunde an nicht mehr blenden darf, in welcher du mich aus meiner einsamen Wohnung gerufen hast. Du hast um größrer, erhabenerer Zwecke willen diesem nur schimmernden Glücke entsagt, und ich bin ein Wesen, das Wort hält, seiner ihm aufgedrungenen Pflicht getreu bleibt, ohne sich um die Folgen zu kümmern.
»Sieh dort in jener einsamen Wohnung, die der Tamarindenbaum beschattet – dein Auge erreichte sie – stirbt ein redlicher Hausvater auf einem zerlumpten Bette, und das Geheul seiner verzweifelnden Kinder tönet durch sein schweres Röcheln, zerbricht sein Herz, bevor der ihm nahe stehende Würger des Lebens es sanfter löst.
»Einer der Richter, die du eingesetzt, hat ihn in dieses Elend gebracht, seine ganze Familie vernichtet und diese und ihre künftigen Nachkommen als Bettler auf die harte Erde hingestreut.«
Khalife. Gott stehe ihnen bei und leite sie zu mir, daß ich sie speise und tränke!
Ben Hafi. Abdallah sprach: Nenne ihn mir!
Geist. Was wird es dir nützen? Der Allmächtige selbst kann das nagende Gift nicht mehr aus einer Welt herausziehen, das mit ihrem Gange, ihrer Dauer und Erhaltung darum verschmolzen zu sein scheint, um die Erscheinungen hervorzubringen, die dich zu Zeiten entzücken, aber noch öfter empören. Darum mischt der Weise, auch wider Willen und Wissen, das Böse mit dem Guten, um mit dem Plan des Ganzen fortzugehen. Derjenige, der anders handelt, gleicht dem Manne, welcher den Ganges gegen seine Quelle zurückführen will.
Khalife. Er spricht Lästerung, so sehr er auch Geist sein mag. Gott sagt: »Eines Jeden Seele soll den Tod schmecken, und wir wollen euch mit dem Bösen und dem Guten versuchen, und dies soll eure Probe sein!«
Ben Hafi. Und der Geist fuhr fort:
Starre mich an und schüttele dein zweifelndes Haupt – der Stachel dringt tief ins Herz.
Sieh auf den in der Sonne glänzenden, durch das beblümte Grüne sich windenden Fluß! – seine leuchtende Fluth erquickt dein Auge – tauche deinen Blick mit mir hinein – sie treibt den entseelten Körper eines blühenden Jünglings nach dem Weltmeer, den seine nächsten Verwandten heimlich ermordeten, um ihn zu beerben.
Umsonst forschest du nach, und nennte ich dir sie auch; Dunkelheit deckt das Verbrechen, der Ankläger wird zu Schande, das Schweigen ist erkauft, und Der, welcher es verkauft hat, sitzt unter den Beschützern der Waisen dieses Landes.
Bemerke jenes alte Weib, die an dem Gesträuche langsam hinschleicht und die blühenden, durch ihre bezaubernden Farben anlockenden Blumen bricht! Diese schön geschmückten Kinder der Erde verbergen Gift in ihrem Kelche; sie sammelt es zu einem künftigen, gedungenen Verbrechen, dem deine Weisheit nicht zuvorkommen wird, und tritt die schmucklosen Heilkräuter, die um die schimmernden Vergifterinnen stehen, mit Füßen.
Abgerissen, stückweise, einzeln werfe ich dir hin, was ich mit einem Blick übersehe.
So weit mein Auge reicht, so weit dein Geist fleucht, der vor einem Augenblick dieses glückliche Land umschaute und durchdrang und sich ergötzte, sehe ich Thorheit und Wahnsinn und Bosheit zu Verbrechen reifen – verschwinden – und den Samen zu neuen Keimen empor wachsen.
Sei stolz auf deine Tugend! Euer Herrschen und Regieren ist nur ein Kampf mit einer ungeheuren, unwiderstehlichen Macht, die aus dem Menschen und durch den Menschen und auf den Menschen wirkt; die, weil ihr sie nicht besiegen könnt, euern Kampf zu Spiegelfechterei macht, den ihr nur so lange fruchtlos fortsetzt, als Stolz und Täuschung euch dazu Kräfte borgen.
Abdallah wollte reden: aber mit grellem, schneidendem Tone rief der Geist:
Schweige jetzt! Ich wollte dich in den Palast führen, aber schon höre ich den lauernden Mörder den Bogen spannen – die Sehne ertönt – der unschuldige Wanderer hört ihren Klang nicht. Nun zieht der Meuchelmörder behutsam den giftigen Pfeil aus dem Köcher – sein Auge mißt scharf und kalt den Weg bis zu dem Herzen des Sorglosen – des Mörders Herz schlägt nicht – die Begierde zu morden hält den Athem fest in der Brust – das Blut in seinen Adern steht still – so viel vermag die Neigung zum Bösen über die schnellen Triebräder des Lebens, wenn der Mensch die böse That vollbringen will. – Der giftige Pfeil zischt durch die Luft – mein Ohr vernimmt sein Zischen – vernimmt das Aechzen Khaleds – das Röcheln Khaleds – und mein Auge sieht das Lächeln der Zufriedenheit des verborgenen Mörders.
Der Geist verschwand.
Abdallah erblaßte, bebte, erstarrte, und als seine Glieder sich wieder lösten von der Erstarrung, sein Bewußtsein zurückkehrte und die schreckliche Ankündigung abermals durch sein Herz fuhr, stürzten Thränen aus seinen Augen, und vor seinem Gesichte breitete sich ein dicker, schwarzer Flor aus, auf dem die Bilder und Gestalten, welche der Geist in sein entstammtes Gehirn geschleudert hatte, in blutrothen Zügen schwebten und auf ihn einzudringen drohten.
Herr der Gläubigen, und wenn du diesen Abdallah durch Unglück willst geprüft sehen, so bist du nun nahe daran.
Khalife. Ben Hafi, meinetwegen mache ihn nicht unglücklich: du weißt wohl, ich wünsche, daß es Jedem auf Erden wohl ergehe. Ich habe selbst für Den Thränen und Mitleid, der sein Unglück verdient oder zu verdienen scheint; was meinst du, was ich für den Redlichen, für einen Mann, wie dein Abdallah ist, thun würde?
Ben Hafi. Ich danke dir für ihn; doch gewissenhaft gebe ich dir die Wahrheit.
Großvizir. (murmelnd dazwischen). Ich habe für Keinen Thränen und Mitleid, weder für den Bösen noch für den stolzen Thoren.
(Laut.) Herr der Gläubigen, beliebe doch zu bemerken, daß Das, was der Geist vorhin sagte, ganz genau mit meinem durch die Erfahrung bewährten Spruche übereinkommt!
Khalife. Was zögst du nicht auf ihn! Doch, was sagte er?
Großvizir. Mein Spruch ist, wie du weißt –
Khalife. O, möchtest du ihn vergessen und ich ihn nicht mehr hören.
Großvizir. Dieser sehr kluge und sehr erfahrne Geist sagt: »Euer Herrschen und Regieren ist nur ein Kampf mit einer ungeheuern, unwiderstehlichen Macht, die aus dem Menschen und durch den Menschen und auf den Menschen wirkt: die, weil ihr sie nicht besiegen könnt, euren Kampf zu Spiegelfechterei macht, den ihr nur so lange fruchtlos – fruchtlos, Herr! – fortsetzt, als Stolz und Täuschung euch Kräfte dazu borgen.«
Dieses beweist nun, daß ich in Allem Recht habe, und daß dieser Geist die Menschen, für ein Wesen einer andern Welt recht gut kennt.
Ben Hafi. Gerade so wie der Mann, der die Menschen auf ihrem abgeschundenen Felle zum Gehorsam lockt.
Großvizir. Dies ist, wie vorhin gesagt, nur eine Redensart, und wenn dein Abdallah nichts von diesem Geiste lernt, so ist alle Mühe an ihm verloren. Uebrigens freut es mich herzlich, guter Ben Hafi, daß du meinen Regierungsgrundsätzen immer näher kommst.
Ben Hafi schien nicht auf den Vizir zu hören. Der Khalife lächelte und sagte:
Vizir, du betrügst dich, wie es scheint; doch wir werden es ja erfahren. Wer weiß des Menschen Gedanken, außer Gott. – Er sagt: »Wir schufen den Menschen, und wir wissen, was seine Seele in ihm lispelt, und wir sind ihm näher, als ihm die Drosselader ist. Wenn die zwei Engel, gesandt Rechnung zu führen über den Menschen, ihren Auftrag ausrichten, und einer ihm sitzet zur Rechten und der andere zur Linken, so denkt er keinen Gedanken und spricht kein Wort, das sein schreibender Wächter nicht aufmerket.«
O Vizir! denke an die Rechnung des künftigen, unvermeidlichen Tages und sorge nicht für die Rechnung deines Nächsten!