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Ben Hafi erschien auf den Glockenschlag und begann:
Nach dem Verschwinden des Geistes, Herr der Gläubigen, stand Abdallah noch lange auf derselben Stelle. Der Frost, der von diesem Wesen zu ihm übergegangen war, schien alles Feuer seines Herzens erkaltet, alle Kraft seines Geistes erstarrt zu haben. Nur nach und nach erglühte wiederum sein Herz durch das Erinnern seiner edeln Zwecke, erwärmte seine erstarrten Geister und rüstete sie mit Muth und festem Zutrauen aus.
Nun schossen die Gedanken lange zurückgehaltener großer Entwürfe, im strahlenden Glanze der Vollendung, durch seine Seele. Vor ihnen verschwanden Eifersucht, Selbstigkeit, Treulosigkeit, Neid und Mißgunst seiner und des Guten Feinde.
Gleich einem Wesen höherer Art erhob er sich siegend über den unreinen Haufen, sein Blick übersah die Höflinge. In ihrer Nacktheit standen sie um ihn her, und ihre gefährlichen Ränke, ihre Bosheit und Heuchelei vermochten nichts mehr gegen ihn.
Khalife. Ich wünsche es von Herzen; aber ich fürchte, ich fürchte, er betrügt sich in diesen, trotz seinem Geiste. Sie sind so schlau, Ben Hafi, daß sie es sogar, dem Scheine nach, mit der Tugend halten, wenn sie auf keine andere Weise ihre Tücke mehr ausüben können. Und dann sind sie Dem erst recht gefährlich, der sie nicht kennt, wie ich sie kenne.
Großvizir. Nachfolger des Propheten, du hast ja eine schreckliche Meinung von den Hofleuten. Ich schmeichele mir indessen, daß die deinigen unschuldig daran sind; es sei denn, daß du in allem Ernste von ihnen forderst, sie sollten etwas mehr als Menschen sein, in einem gewissen Verstande gar aufhören, es zu sein, welches mir der Fall des erhabenen, wunderbaren Helden unsers guten Ben Hafi ein wenig zu sein scheint.
Khalife. Vizir, du thust ganz wohl daran, daß du dich meiner Hofleute annimmst, ich verarge dir es auch ganz und gar nicht; wer sollte es sonst thun?
Ich sage nicht, daß meine Hofleute mehr als Menschen sein sollen, denn wer kann das Unmögliche möglich machen? Ich klage nur, daß sie bloß Hofleute, und nicht im Geringsten Menschen sind; ich meine Menschen, die an dem Schicksal ihres Gleichen Antheil nehmen. Für sich selbst sind sie, beim erhabenen Propheten! Mensch genug, denn nie hat einer noch von ihnen sein eigenes liebes Ich vergessen. Ich versichre dich, der Hofmann soll noch vor mich treten, der zum Besten eines Andern gesprochen, oder ein Wagstück unternommen hätte, es sei denn, daß er ihm etwas Böses zudachte, oder selbst dabei gewann, indem er dem Andern zu helfen schien. Zu ihrem eignen Besten sah ich sie wohl Dinge wagen und ausführen, die mir klar genug bewiesen, sie seien der frechsten Kühnheit, der geschmeidigsten Gewandtheit, der tiefsten List, der feigsten, schwärzesten Bosheit, des wärmsten Eifers, des furchtlosesten Muths, der rastlosesten Thätigkeit fähig. Zugleich bemerkte ich an ihnen, Gold-, Ehr-, Rach-, Gewalt- und Herrschsucht bewirkten in ihnen eben Das, was der Enthusiasmus der Tugend in Ben Hafis, Helden bewirkt, nämlich: Selbst Das, was man besitzt, um Das zu wagen, was man nicht besitzt und heiß zu besitzen wünscht; doch mit dem Unterschied, daß sie es, wie gesagt, immer für sich selbst gethan haben.
Woran übrigens meine Hofleute schuldig sind, mag ich gar nicht wissen. Gott weiß es!
»Sage ihnen, Gott ist schneller in der Ausführung einer List, als sie. Wahrlich, seine Boten schreiben nieder, was ihr betrügerisch ersinnet.«
»Das gegenwärtige Leben gleichet dem Wasser, das wir vom Himmel herab gießen; die Früchte der Erde, von welchen Menschen und Thiere essen, mischen sich damit, und es schmücket und bekleidet die Erde mit verschiednen Pflanzen. »Die Bewohner der Erde glauben, sie hätten Macht über die Erde, aber unser Befehl kommt zu ihr bei Tag oder Nacht, und wir verunstalten sie, als habe man sie gestern abgemäht, und von dem reichen Ueberfluß, der sie schmückte, ist keine Spur zu sehen.«
Ben Hafi, der Mann, welcher so lange auf einem Throne sitzt, als ich, mag vielleicht eben so leicht die Blätter der Bäume in seinem Reiche zählen, als die verborgenen Sünden und Verbrechen seiner Diener und Hofleute. Und ich schwöre dir, dies ist ein höchst trauriger Gedanke für einen Mann, welcher auf dem Thron sitzt und es gut mit allen Menschen meint. Fahre fort, daß ich es schnell vergesse.
Ben Hafi. So schön begeistert schlief Abdallah ein und setzte schlafend den schönen Traum noch fort, den er wachend zu träumen angefangen hatte. Morgens begab er sich zu dem Sultan, um mit ihm zu berathen, wer dem in der Provinz Buglana verstorbenen Statthalter in diesem wichtigen Posten folgen sollte. Der Sultan von Giuzurat war heitern Muths, er hatte sehr gut geschlafen, denn Ebu Amru hatte ihn sehr lieblich und sanft eingeschläfert.
Khalife. Womit?
Ben Hafi. Mit dem Inhalt eines Liedes, den Groß und Klein nie ermüden anzuhören, und der in jedem Munde gefällt. Der Inhalt war der Sultan selbst.
Khalife. Ich glaube es gern. Es war eine Zeit, wo ich so begierig nach solchen Liedern war, wie der Durstige nach Wasser, der Ermüdete nach Ruhe und der Erhitzte nach Kühle. Und sieh, Ben Hafi, ob ich gleich weiß, daß Diejenigen, welche uns diese Lieder vorsingen, es sehr selten ehrlich und gut mit uns meinen, so gefällt doch noch immer ihr Gesang meinen Ohren. Darum sagt der Weise mit allem Recht: »Der gefährlichste Beschwörer ist der Schmeichler, und nur der taube Heilige hört nicht mehr auf seinen Ruf.« Unser Herz, Ben Hafi, liegt unserm Ohr viel näher, als wir glauben, und der Athem des Schmeichlers ist ein viel gefährlicherer Hauch, als der tödtende giftige Wind Samiel, der in der Wüste die Karavanen überfällt. Wenn die Wanderer, Menschen und Thiere diesen Wind wittern, so werfen sie sich auf die Erde nieder und entgehen so dem Tode; aber wenn jener sanfte Hauch unser Ohr liebkost, so richten wir uns in die Höhe auf, neigen uns zu ihm hin, genießen mit immer wachsendem Verlangen die Wollust dieses weit gefährlichern Gifts und reizen doch nur den nie zu sättigenden Hunger nach der losen Speise.
Der starke Löwe selbst schont des Schmeichlers, und sollte auch sein junger Sohn vor Hunger heulen. Der taube Masul soll euch eine seiner Fabeln davon erzählen.
Der Khalife machte Masuln einige Zeichen, dieser stand auf, stellte sich in die Mitte des Zimmers und erhob seine Stimme:
Der Löwe, sein Sohn und der Fuchs.
Nach einer schlechten, nächtlichen Jagd stieß der Löwe bei anbrechendem Tage mit seinem jungen Sohne auf einen wohlgenährten Fuchs. Schnell sah der Fuchs, für ihn sei keine Rettung mehr. Er seufzte in seinem Herzen: »Armer, deine letzte Stunde ist nun gekommen, wenn dir dein Verstand nicht aus der Gefahr hilft. Die Flucht kann dich nicht mehr retten; doch deine Feinde verschlingen dich, du magst nun vor dem Tod beben, oder ihm muthig entgegen gehen.« Hierauf ging er ganz munter auf die Schrecklichen los, ließ sich demüthig vor ihm nieder und sprach vernehmlich:
»Beherrscher aller Thiere! Wie glücklich bin ich doch, daß ich dich endlich finde. Schon lange treibt mich edle Ruhmbegierde in Wäldern und Wüsten herum, um durch dich eines ehrenvollen Todes zu sterben. Verachte mich nicht, weil ich so klein, schwach, mager und furchtsam bin: erzeige mir die Gnade und friß mich auf. Ach, besser ist es, unter den gewaltigen Zähnen eines so berühmten Helden zu sterben, als sich langsam von dem bösen, verachteten Alter auftrocknen zu lassen. Vorher gewähre mir nur eine einzige Gnade! Erlaube mir, dich einmal recht nahe betrachten und nach Herzenslust bewundern zu dürfen. – Welch ein herrlicher Bau! Welche Kraft und Gewandtheit! Wahrlich, die Stärke und die Großmuth sind dem stolzen Menschen und allen Thieren der Erde bildlich in dir dargestellt! Du bist der König der Erde, sie ward nur für dich erschaffen. Wer dich sieht, wer dich nur von fern hört, erkennt in dir ihren und seinen Herrscher und beugt sich in Demuth und Furcht vor dir. Wie fürchterlich schön die goldenen Mähnen um den vollen, kräftigen Nacken schweben! Welch ein königlicher Blick! Welcher Ausdruck des hohen Selbstgefühls, der unüberwindlichen Stärke und der hohen Großmuth in dem schönen, furchtbaren, erhabenen, ernsthaften Angesicht. Bei deiner zermalmenden Hoheit! Auf dieser großen Erde gibt es kein prächtigeres, ruhmvolleres Grab für einen armen, feigen Fuchs, als dieser schlanke Leib. Demüthig bitte ich dich, laß ihn das meine werden, damit sich mein feiges Blut mit deinem tapfern vermische. Ja, man muß dich sehen, um zu begreifen, was Elephant und Tiger, Stier und Pferd, Adler und Geier, Menschen und Affe Großes und Herrliches von dir erzählen. So du mich noch ein klein wenig willst leben lassen, will ich dir Alles gern erzählen, was sie täglich von dir sagen. Dort sehe ich einen Felsen, an dessen Fuße dir die Blätter der Bäume ein weiches Lager zubereitet haben, nicht weit davon fließt ein Bächlein, das die Gazellen zum Morgentrunk einladet.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, fing nun der Fuchs schon im Gehen an, der Großthaten aller verstorbenen und lebenden Löwen zu erzählen. Er erzählte sie alle als die Thaten seines ernsthaften Zuhörers, nannte bei jeder einen wichtigen Gewährsmann, und ob sich gleich der Löwe nichts davon bewußt war, so hörte er ihm doch aufmerksam zu. Der junge, hungrige Sohn, welcher den Schwätzer lieber gefressen hätte, als daß er den Ruhm seines Vaters anhörte, hob einigemal die Tatze auf und rüstete sich zum Schmause. Der Fuchs sah sich keck um und sagte zum Vater: »Schon ermüdet dein edler Sohn, den Ruhm seines großen Vaters anzuhören. Es ist mir leid, denn ich dachte, meine Erzählung sollte ihn zu gleichen Thaten entflammen. Nun fürchte ich, um deinetwillen, er frißt mich auf, bevor ich geendet habe.«
Der Vater blickte den Sohn grimmig an und sagte: »Laß ihn reden und friß ihn auf, wenn er genug geschwatzt hat.« – Indessen waren sie alle Drei dem Felsen nahe gekommen. Der Fuchs lagerte sich neben dem jungen Löwen und erzählte dem Vater mit noch feinern Wendungen, noch blühenderem Rednerschmucke die großen Thaten, womit sich die Bewohner der Erde von ihm unterhielten. Auf einmal hielt er inne und sprach im Klageton: »Alles das Große, was ich von dir gehört habe, finde ich bestätigt. Das Einzige nur, was die Thiere fälschlich von dir rühmen, ist deine hochgepriesene Kinderzucht. Ob du gleich deinem Sohne befohlen hast, meiner noch zu schonen, so hat er mir doch schon das Blut aus der Seite gezogen, und ich vermag aus Schmerz und Schwäche nicht, die letzte und schönste Geschichte zu vollenden.« Bei diesen Worten wandte er die blutige Seite gegen ihn.
Der grimmige Vater zerschlug dem Sohn die Hüfte, daß er fürchterlich brüllte. Der Fuchs schlich sich durch einen engen Ritz des Felsen und rief heraus:
Löwe, wenn dein Sohn vor dir herhinkt, so erinnere dich des Schmeichlers. Der Fuchs hat sich selbst den Balg zerkratzt, um durch diesen Felsen davon zu tragen, was der Balg bedeckt.
Ben Hafi. Vortrefflich!
Der Khalife streichelte freundlich Masuls Wangen und winkte Ben Hafi, fortzufahren.
Ben Hafi. Die freundliche Miene Abdallahs heiterte den Sultan noch mehr auf. Er empfing ihn als Jugendfreund und Günstling. Ihr Gespräch ward bald wärmer, inniger und vertrauter, als es seit langer Zeit gewesen war.
Abdallahs Herz dehnte sich aus, seine Augen schwammen in wonnevollem Entzücken, und strömende Begeisterung floß von seinen Lippen, Der Sultan faßte ihn bei der Hand und sah ihm freundlich bittend ins Angesicht. Auf Abdallahs Lippen schwebte Zusicherung alles Dessen, was der Sultan fordern würde. Plötzlich sah er im Grund des Saals den Geist, in seinem frostigen, zermalmenden Ernste – er deutete auf den Sultan und legte warnend den Zeigefinger auf seine Lippen.
Abdallah sah starr vor sich hin, die blühende Röthe flog von seinen Wangen, die Begeisterung verlosch in seinen Augen, das Zusichernde verschwand von den Lippen, die das innere Gefühl so schön und einladend aufgeschwellt hatte.
Der Sultan zog seine Hand aus Abdallahs Hand, sah ihn erstaunt an und versank bald in die Stimmung, die Abdallah so frostig angab.
Nach einer Pause fragte er ihn: Ahnet dir, was ich von dir begehren wollte? Und mißfällt dir, was ich von dir begehren wollte?
Abdallah. Mir ahnet nichts, und wie könnte mir mißfallen, was du von mir begehrest, da du zu befehlen hast.
Sultan. Ich war in diesem Augenblick nicht Herr, und du warst nicht Diener. Wenn ich zum Vizir rede, so befehle ich; spreche ich zu meinem Freunde, so wünsche ich und wünsche, daß ihm gefalle, was ich von ihm fordere.
Abdallah. So fordere vom Freunde! Soll dir Abdallah noch heute sagen, daß er gerne mit seinem Dasein deine Zufriedenheit erkauft?
Sultan. Ein ander Mal – wenn du wiederum bist, wie du zu mir hereintratst. – Was verwandelte dich so plötzlich? – Wahrlich, dir ahnete, was ich sagen wollte.
Abdallah. Nein.
Sultan. So kurz!
Abdallah. Zur Bestätigung der Wahrheit war dir bisher ein Wort von mir genug.
Sultan. Nun, so ist vielleicht Das, was dir widerfuhr und mir durch dich widerfuhr, eine Vermahnung, Dem reifer nachzudenken, was ich dir mittheilen wollte. Ich will ihr folgen.
Ein gleichgültiges Gespräch erfolgte. Abdallah konnte seine Wärme nicht wiederfinden, der Sultan entließ ihn endlich, und kaum war er allein, so rief er mit heftiger Stimme den Geist.
Indem er vor ihn trat, rief dieser: »Bemühe dich in Zukunft nicht. Thut es noth, so stehe ich ohne deinen Zuruf vor dir.«
Abdallah. Was bedeutete dein plötzliches Erscheinen?
Geist. Meine Pflicht zu erfüllen, den Verblendeten zu warnen. Begeistert von dem Gefühl der Freundschaft, den Liebkosungen, dem Händedruck deines Herren, hättest du ihm in diesem Augenblick gegen die Einsprache deines Verstandes bewilligt, was er im Begriff war, von dir zu fordern, als ich erschien.
Du schriebst seiner Liebe zu, was doch aus einer ganz andern Quelle floß.
Abdallah. Aus welcher? Ist der Sultan mein Freund nicht mehr? Verstellt er sich?
Geist. Freilich ist er's noch, sonst würde er dir geradezu befohlen haben, was er zu erschleichen suchte. Ob nun gleich etwas erschleichen wollen, eben kein Merkmal eines sehr zuverlässigen und männlichen Herzens ist, so beweist es doch, daß man des Freundes noch schont, des Günstlings noch achtet.
Abdallah. Und was wollte er? Nur dieses frage ich dich jetzt.
Geist. Der Sultan wollte deine freundliche Einwilligung erschleichen, einem gewissen Ebu Amru die Stelle des Kanzlers, welche sein Vater einst bekleidet hat, geben zu dürfen.
Abdallah. Und du erschienst, um mich daran zu hindern?
Geist. Um durch den Frost, den ich dir einflößte, deinen Enthusiasmus abzukühlen und durch dein plötzliches Erstarren die Bitte des Sultans in sein Herz zurückzudrängen.
Abdallah. Frostiger! Du hast mich durch deine Erscheinung um einen der schönsten Augenblicke meines Lebens gebracht.
Geist. Das kann wohl sein; aber ich that meine Pflicht, weil ich sie thun mußte.
Abdallah.. Hätte mich der Sultan um meine Stelle für diesen Ebu Amru gebeten, ich wollte sie ihm lieber abgetreten haben, als mich ihm so zu zeigen, wie ich that. Weg, ich hasse dich!
Geist. So schnell! Doch, wie du willst. Von dem Menschen, dem ich dienen muß, erwarte ich diesen Lohn. Aber kennst du diesen Ebu Amru, dem du durch Abtretung deiner Stelle das Glück von Giuzurat so leichtsinnig vertrauen wolltest? Ist sein Zweck der deinige? Haßt er dich nicht? Glaubst du, daß dem Sultan seine Gesinnungen gegen dich fremde sind? Würde er sonst da zu erschleichen gesucht haben, wo er nur befehlen konnte. Sieh, wie nun bei dir eine Begeisterung die andere austreibt; doch, ich sehe in dem Menschen die kalte Betrachtung folgen, bevor er sie gemacht hat. Mit der Abtretung deiner Stelle an ihn brauchst du gar nicht zu eilen – erhält er, was er jetzo sucht, so ist sie ihm so gewiß, wie dir dein Sturz durch ihn!
Abdallah. Mein Sturz – und durch ihn?
Geist. Durch ihn, wenn du ihm nicht als Hofmann vorzukommen suchst?
Abdallah. Geschieht dieses, so habe ich des Sultans Herz nicht mehr, und was kann ich dann noch verlieren? Von dem Augenblick, da der Sultan Abdallahs Freund nicht mehr ist, entsagt er dem Zwecke, der uns verband, und ich bin schon unglücklich.
Geist. Das kann sein; aber warum solltest du sein Herz verlieren? du hast es noch, wirst es dann noch haben, wenn selbst deine jetzige Rolle endiget. Der Sultan wird es gewiß sehr bedauern, daß er dich fallen lassen muß, er wird sogar deinen Fall beklagen.
Abdallah. Du sprichst Unsinn!
Geist. So scheint dem Menschen oft Das, was man ihm von den Künftigen sagt; doch der Weg bis dahin wird sein Lehrmeister.
Abdallah. Wie kann mich Ebu Amru um die Gunst des Sultans bringen, dessen Herz ich, wie du sagst, besitze und besitzen werde? Wie kann er mir eine Gunst rauben, die sich auf meine Liebe und Treue zu ihm, meinen Eifer für sein Glück, und noch mehr das Glück seines Volks gründet?
Geist. Vielleicht ist es eben dieses! Ebu Amru besitzt nicht des Sultans Herz, wird es nie gewinnen; aber er hat sich zum Meister eines gewissen Etwas gemacht, das oft in einem Herrscher mehr wirkt, als das Herz, wenigstens dieses nach sich zieht. Dieses Etwas ist der Schlüssel zu seiner Phantasie. Er versteht die Kunst, den Sultan dem Sultan in einem Lichte zu zeigen, worin er größer, verständiger und herrlicher erscheint, als er es wirklich ist, es je werden wird. Einen solchen Mann achtet nun eigentlich der Herrscher nicht, wie ich am Hofe Salomos gesehen habe; aber ehe er sich's versieht, wird er ihm unentbehrlich.
Abdallah. Dieses sollte ihm der kalte, ränkevolle, fühllose Ebu Amru, der keine seiner Empfindungen erwiedern kann, werden? Ist es an Dem, so ist er der Mann nicht mehr, den ich in ihm liebte, und ich verliere nichts.
Geist. Hier spricht ein Mensch aus eben dem Gefühl, aus welchem dort ein anderer handelt.
Abdallah. Du irrst geflissentlich in dieser deiner Deutung, oder du versprachst mehr, als du zu halten fähig bist. Wenn dein eiskalter Blick in das Herz des Menschen dringt, so nimmst du wahr, was jetzt das meine quält.
Geist. Ich höre seine geheimen Seufzer darüber, daß du deinen Lieblingstraum nicht austräumen kannst – doch der Mann beweist im Wachen, was er ist.
Abdallah. Zeige mir Mitgefühl, und mein Herz fließt über.
Geist. Mitgefühl! Was ist Mitgefühl? Ich höre und antworte auf Das, was ich höre – was soll, was kann ich mehr?
Abdallah. Wahrlich, Das, was mich nun durchglüht, sollte selbst ein Wesen deiner Art erwärmen können; aber du hast von dem Menschen nichts, als diese erstarrende Maske. Nur zwei Dinge wünsche ich zu erhalten, das Herz des Sultans und das Vermögen, ihn durch sein Volk und sein Volk durch ihn glücklich zu machen. Der Verlust dieses Vermögens kann nur dann für mich schrecklich werden, wenn Giuzurat und Er durch meinen Nachfolger verlieren, was sie durch mich gewannen und noch ferner gewinnen können.
Geist. Mögen sie gewinnen oder verlieren, was kümmert's mich. Und was liegt daran, ob Das, was da kommen soll, früher oder später geschieht, da es einmal geschehen soll und muß. Der, den ihr Gut nennet, fällt und macht Dem, den ihr Bös oder Thöricht nennet, Platz, und die Guten wechseln mit den Bösen, damit das Schauspiel mannigfaltiger wird und eure Kräfte nicht einschlafen. Frage Die, denen mehr daran liegt als mir, warum es so und nicht anders ist.
Entweder mußt du diesen Ebu Amru, deinen Feind und den Feind deiner Zwecke, die du schön und edel nennst, stürzen, oder ihn selbst emporheben und das Uebrige dem Sultan überlassen. Du weißt nun, woran du bist, und ich that, wozu ich verpflichtet bin.
Der Geist verschwand.
Khalife. Dieser Abdallah befindet sich für einen Großvizir und Günstling in einer so kitzlichen und mißlichen Lage, daß ich an seiner Stelle wirklich nicht wüßte, wie ich mich benehmen sollte. Laß darum nur geschwind hören, wie er sich herauszieht.
Ben Hafi. Abdallah saß lange gleich einem Leblosen auf seinem Sopha und brütete über Dem, was er vernommen hatte. Welcher Günstling, welcher Große, welcher Vizir kann ohne innern Schauder den Gedanken denken, seine Rolle laufe zu Ende? Der Gedanke der gänzlichen physischen Auflösung ist vielleicht einigen derselben weniger schrecklich, als dieser, und obgleich Abdallah ein Günstling und Vizir war, wie es auf dieser Erde wenige sind, so hatten sich doch durch die Gewohnheit beide Rollen so mit seinem Dasein vermischt, daß er jetzt nicht leicht eins ohne das andere denken konnte. Außerdem war er, wie du weißt, von einem Gefühl oder Traum begeistert, von welchem selten Vizire und Günstlinge begeistert sind, und natürlich mußte er in dieser Begeisterung immer stärker und schmerzlicher empfinden, daß, wenn ihm auch sein eigner persönlicher Verlust mit der Zeit gleichgültig werden möchte, er sich doch niemals über den Verlust Giuzurats würde trösten können. Und dieser Verlust schien ihm unvermeidlich, so bald Ebu Amru als Kanzler die Macht mit ihm theilen, oder gar sein Nachfolger in seinem Amte würde.
Er betrachtete diesen Gegenstand so lange, bis er endlich den Entschluß faßte, Alles dem Zufall zu überlassen, und zu diesem Entschlusse trug der Gedanke, man könnte den Zufall durch immer zunehmendes Verdienst um den Sultan leiten, das Seinige auch mit bei. Doch auch dieser Entschluß hielt nicht lange Stich; denn wie sollte er sich benehmen, da der Sultan nun einmal Ebu Amru zum Kanzler erheben wollte? Sollte er seinen Befehl darüber ruhig abwarten? Sollte er selbst den Sultan mit dem Antrag auf eine angenehme Art überraschen und sich dadurch zugleich den gefährlichen Mann so verpflichten, daß der Undankbare, durch feindliche Aeußerungen gegen ihn, den Sultan empören müßte?
Sein Verstand lächelte einen Augenblick diesem Entschlusse zu; aber sein Herz verwarf ihn mit Verachtung. Scham röthete seine Wange, das Selbstgefühl rauschte durch sein Blut, er stand auf und rief: »Wolltest du die Gunst des Sultans durch das Unglück Unschuldiger erkaufen? Willst du heute auf einem Seitenwege den ersten Schritt zu deiner Erniedrigung thun, um einst bei deinem Falle sagen zu müssen, du habest ihn dadurch verdient, daß du von dem Pfade abtratest, auf welchem du bisher so fest und kühn einhergegangen bist!«
Kaum hatte Abdallah diese Worte ausgesprochen, so fiel ein sanfter Lichtstrahl auf die Bilder seiner Thaten in dem erhabenen Gezelte, und die Genien und Geister bemerkten es mit Wohlgefallen.
Herr der Gläubigen, du siehst abermals hieraus, daß dies kein Vizir war, wie man sie zu sehen gewohnt ist.
Khalife. Du hast Recht, und ich sehe es mit Vergnügen. Die Miene des meinigen nennt ihn zwar einen Thoren, und im Zwitterlichte des Hofes betrachtet, mag er auch wohl diese Benennung verdienen; aber ich, Ben Hafi, betrachte den Mann in dem Lichte meines Herzens und lobe ihn und glaube, er habe jetzt eine große That gethan, so wenig sie ihn auch zu kosten schien. Denn mich däucht, es sei sehr schwer in Fällen, wobei so viel von unserm Glücke auf dem Spiel steht, sich gleich zu bleiben, besonders wenn man ohne Zeugen auf seinem Sopha sitzt. Bei großen, öffentlichen Ereignissen, oder bei Thaten, wozu man sich feierlich vorbereitet, ist es schon viel leichter. Daher mag es wohl auch kommen, daß ich oft da größer bin, wo es Keiner sieht und hört, als da, wo Alle auf mich blicken und mich gleichsam zwingen und anfeuern, mich meiner würdig zu zeigen. So ist der Mann, der geschmückt in seinem Feierkleide vor den Augen Aller in der Moschee betet, vielleicht weniger andächtig, als Der, welcher in dem Winkel seines Hauses in seinem Alltagskleid ohne Zeugen betet, weil nur sein Herz ihn dazu antreibt. Doch dieses ist Gottes Sache! Er sagt durch seinen Apostel: »darum seid ihr nicht gerecht, daß ihr euch wendet im Gebet gegen Mittag und Abend: denn Der ist gerecht, welcher glaubet an Gott, den letzten Tag, die Engel und die Schriften der Propheten; der Gold gibt um Gottes willen, seinen Verwandten, den Dürftigen, für die Erlösung der Gefangenen, und Dem, der ihn um Hülfe bittet; der beständig ist im Gebet und Almosen spendet; und Die sind gerecht, welche den Vertrag erfüllen, den sie gemacht haben, und die geduldig das Unglück ertragen und das Elend in schweren Zeiten.«
Dein Abdallah, Ben Hafi, wäre mir, so weit ich ihn jetzt kenne, zum Vizir willkommen, und es ist ein Glück für den meinigen, daß ich bisher Leute dieser Art vergebens suchte.
Ben Hafi. Doch können wir zur Ehre der Menschheit ihre Möglichkeit glauben und sogar denken, ein Vizir müßte eigentlich so sein, und ein Mensch könnte es sein.
Großvizir. Ich glaube nun einmal nicht an solche Wundermänner, an solche erhabene Tugendhelden und weiß, daß solche hochgespannte Leute für den gewöhnlichen und natürlichen Gang des menschlichen Lebens ganz und gar nichts taugen. Die Menschen können nicht zu ihnen hinauf und sie nicht zu ihnen herunter, darum kommt nichts dabei heraus, als Verwirrung und Verzerrung. Und so schaden sie am Ende immer mehr, als sie anfangs zu nutzen scheinen. Der mag freilich an sie glauben, dem darum zu thun ist, ein trocknes langweiliges Märchen auszuschmücken; aber so blendend für Manchen auch ein solcher Glaube sein mag, so gefährlich ist er zu gleicher Zeit für gewisse Personen. Denn eben dieser unselige Glaube ist es, welcher die Forderungen der nie zu befriedigenden Menschenheerde über alle Gebühr hinaus reizt, ja sogar über das Maß ihres eignen Verdienstes und Werths. Das Gift der offenen Satire ist nicht gefährlicher, als solche Gemälde von geträumten Herrschern und ihren eben so geträumten Dienern. Während nur Weisheit und Menschenliebe dem Maler den Pinsel zu führen scheinen, bereiten und mischen Galle, Mißgunst, Unzufriedenheit und Neid die Farben. Das Auge lächelt schwärmerisch, und das Herz kocht Bosheit aus. So beweist dieses wieder, wie alles Vorige meinen Spruch: Alles kommt von dem in den Menschen eingewurzelten Bösen her, und darum muß man sie mit einem eisernen Scepter beherrschen und zum Guten peitschen.
Ben Hafi. Ich wollte dem Herrn der Gläubigen erzählen, womit Ebu Amru den Sultan von Giuzurat den Abend vorher unterhalten hatte, und das vielleicht Vieles zu der ihm so schnell zugedachten Beförderung beitrug; aber du hast mir vorgegriffen, und ich kann mich, da du es so geschickt gethan hast, gleich zu einem andern Gegenstand wenden.
Khalife. Was hat mein Vizir denn eigentlich gesagt?
Ben Hafi. Er meint nur, daß Derjenige, der laut von Tugend und Gerechtigkeit spräche, eine Satire auf die Sultane und ihre Vizire mache, für welche Schmeichelei ihm die Sultane und Vizire nach eigenem Gutbefinden danken mögen. Denn entweder will er damit sagen, Tugend und Gerechtigkeit seien in politischen Verhältnissen die überflüssigsten und unnöthigsten Dinge von der Welt, oder ein Sultan und Großvizir laufe mit keinen Begleitern größere Gefahr, als mit diesen beiden. Darum sei nun eines weisen und treuen Vizirs vorzügliche Pflicht, seinen Herrn tagtäglich vor diesen höchst gefährlichen Dämonen zu warnen, weil er durch jede gute und großmüthige That die Ansprüche seines Volks auf noch beßre, noch uneigennützigere reizte, das nach seiner, durch Erfahrung bewährten Meinung, nichts weniger als Hochverrath gegen den Regenten ist. Der Regent, meint der Großvizir, habe sehr viel, ja alles Mögliche nach göttlichen und menschlichen Rechten an sein Volk zu fordern, aber Forderungen des Volks an seinen Regenten seien in keinem Rechte gegründet, weil das Volk bloß von dem guten oder bösen Willen seines Herrn abhinge und abhängen müsse. So habe ich deinen Vizir verstanden, und so will er, däucht mich, verstanden sein.
Khalife. Glaube mir, guter Ben Hafi, von allen Meinungen, die man uns von frühster Jugend an beizubringen sucht und die, so zu sagen, das Hauptstück unsrer Erziehung ausmachten, gefällt uns keine besser, als gerade diese hier, die dir nicht zu gefallen scheint. Und wenn ich nicht irre, so ist es eben diese, die uns so recht auf den Punkt unsrer eignen Schwere stellt und aus welcher alle andern Meinungen wie aus einer reichen Quelle entspringen. So viel diese Meinung nun auch in der strengern Betrachtung gegen sich haben mag, so hat sie doch in der wirklichen Ausübung viel für sich, denn sie macht das Regieren sehr leicht und faßlich und den Gang der Welt höchst einfach.
Ben Hafi. Wie das?
Khalife. Dein Erstaunen wundert mich. Weiß nicht Ein Einziger gewisser, bestimmter und schneller, was er an Millionen fordern soll, als die Millionen wissen, was sie an Einen Einzigen fordern sollen. Die Forderungen eines Einzigen (wenn er anders bei Sinnen ist) widersprechen sich sehr selten; aber der Eine Einzige soll noch geboren werden, der die Forderungen vieler Millionen, ja nur einiger Hunderte, erfüllen oder vereinigen könnte.
Großvizir. So ist es, Herr; ein scheußliches, ungeheures, sinnloses Gewühl!
Ben Hafi. Und was fordert nun der Herrscher?
Khalife. Weiter nichts, als die leicht zu erfüllende, Allen nützliche Kleinigkeit – Gehorsam!
Großvizir. Und zwar blinden, unbedingten! Denn, bei deinem erhabenen Throne! nur er hält die Reiche und Menschen zusammen. Und nur nach diesem einfachen und herrlichen Grundsatze habe ich die Unterthanen meines erhabenen Herrn eingeschult. Zieh ihnen die Haut ab, laß sie gerben, auf eine Trommel spannen, locke darauf, ich stehe dir dafür, die Geschundenen werden hinten drein marschiren.
Der Khalife horchte auf, lächelte und schien dann nachzusinnen.
Ben Hafi. Herr! du hast, wie ich jetzt vernehme, in deinem Großvizir einen Trommelschläger, dessen Musik die Himmel zerreißen und die harte Kruste der alten fühllosen Erde zersprengen könnte. Selbst um den ersten Sitz der Gläubigen möchte ich diesen Gedanken an seiner Stelle nicht gedacht haben, und hätte er auch das auf unsre Gedanken und Werke lauschende Ohr des schreibenden Engels nicht erreicht.
Khalife. Gott vergebe mir mein Lächeln! Vizir, bei dem Glanze des Ewigen! wüßte ich, daß du diese Musik in meinem Lande machtest, ich wollte dir die Haut abziehen lassen, das Recht meines Volks, das Er ihm durch seinen Apostel und mich den unwürdigen Nachfolger seines Apostels zusichert, eigenhändig mit großen goldnen Buchstaben darauf schreiben und an der Hauptpforte meines Palasts aufhängen.
Großvizir. Ereifre dich nicht, Herr, es war nur eine figürliche Redensart, womit man gewöhnlich mehr sagt, als man zu sagen Willens ist.
Khalife. Ich will es hoffen; doch Gott hat deinen Gedanken gehört, bevor du ihn mit Worten bekleidetest.
Ben Hafi. Wenigstens bezeichnet eine solche Redensart den Mann, der sie braucht. Wie weit aber diese Redensart bloß figürlich ist, darüber müßte der Herr der Gläubigen seine Unterthanen fragen.
Großvizir. Man fragt Die nicht, denen man keine Antwort verstattet.
Ben Hafi. Und was verstattet man ihnen?
Großvizir. Gehorsam! Bist du anderer Meinung, so laß sie hören und uns von dir lernen.
Ben Hafi. Mit Nichten; auch ich halte ihn für die Stütze der Gesellschaft und des Throns, der nur von Denen zusammengehalten und getragen wird, die den Gehorsam leisten sollen; aber damit sie dieses immer freudig und willig thun, es am Ende nicht müde werden, was hat Der zu leisten, der darauf sitzt? Darf ich dieses wohl ohne Gefahr des Hochverraths fragen?
Großvizir. Warum nicht!
Khalife. So antworte ihm; doch, Ben Hafi, noch lieber hörte ich's aus deinem Munde, denn ich fürchte, er möchte wiederum figürlich reden.
Ben Hafi. Du befiehlst.
Das, Herr, wofür sie so Vieles thun, und das so leicht zu spenden ist, dem Spender so wenig kostet, ihm so viel Gewinn abwirft und was gleichwohl von allen Dingen der Erde so schwer von den Herrschern, ihren Dienern und Großen zu erhalten ist – Gerechtigkeit, Sicherheit und ungehinderte Betriebsamkeit, ein Leben zu befördern, das doch nur dem Ganzen wuchert, dessen Herr du bist.
Khalife. Ich dachte Wunder, was du alles in ihrem Namen fordern würdest, und ich würde mich in mein eignes Herz schämen, wenn Einer ernstlich mit dieser Forderung vor mich träte. Welch ein erbärmlicher Regent muß der Mann sein, welcher seinem Volke nicht mehr als dieses leistet!
Ben Hafi. Herr der Gläubigen, du siehst daraus, wie bescheiden das Volk in seinen Forderungen an den Herrscher ist, und könnten sie nur diese immer erhalten, man würde selten von andern hören. Die Miene deines Großvizirs bedeutet mir, daß er anderer Meinung ist. – Doch findest du, daß diese Forderung des Volks weniger einfach ist, als deine Forderung ans Volk?
Großvizir. Gewiß ist sie es weniger. Mir ist es ganz deutlich, was ich unter Gehorsam verstehe; aber dem Volke ist es nicht so klar, was es unter Gerechtigkeit verstehet. Jeder nennt nur Das Gerechtigkeit, was ihm nützlich ist, und da sie nie anders, als mit dem Schaden Eines oder des Andern ausgeübt werden kann, so findet sich immer Einer oder der Andere, der über Unrecht schreit.
Ben Hafi. Ist er schuldig, so fürchte seine Stimme nicht, sein innerer Richter überführt ihn noch stärker, als der äußere, welcher ihm das Urtheil sprach.
Großvizir. Du hältst heute die Menschen für billiger, als sie wirklich sind. Ohne die Gerechtigkeit antasten zu wollen, die der Ruhm meines glorreichen Herrn ist, sage ich gleichwohl: daß selbst unter seiner vortrefflichen Regierung der Fall noch eintreten soll, worüber alle Stimmen einig gewesen wären. Daraus folgere ich nun, und man sage auch dagegen, was man wolle: daß die Gerechtigkeit der Menschen sich nach ihrem eigenen Vortheil, nach den Ständen modelt, in welche sie abgetheilt sind, und daß in jedem Falle die Forderung an sie, die in Gehorsam besteht, einfacher ist, als die Forderung an uns, die in der zweideutigen Gerechtigkeit besteht.
Der Gehorsam ist ein gerades, faßliches, sinnliches und festes Ding, das Alles immerfort in ebenem Gleichgewicht erhält; aber oft erfordern Umstände, Bedürfniß des Staats, auf die Zukunft berechnete, nützliche Unternehmungen, augenblickliche Gefahr, unvorgesehene Zufälle, Sicherheit des Throns und des Regenten, der darauf sitzt, daß man auch wider Willen Das verletzen muß, was man Gerechtigkeit zu nennen beliebt. Und so wie die höchste Gerechtigkeit das höchste Unrecht werden kann, so kann das höchste Unrecht oft die höchste Gerechtigkeit werden.
Gefällt dir dieser Grundsatz nicht, so klage die Menschen an, nicht mich. Die Verabsäumung desselben hat manchen sichern Staat erschüttert, so wie seine Befolgung manchen wankenden erhalten hat.
Ben Hafi. Du verdrehst die Frage, und ich begreife, warum. Ich rede nicht von den seltnen Fällen, der Noth des Staats, noch von allem Dem, was du daran gehängt hast. Und untersuchten wir auch diese einzelnen Fälle, so würden wir beinahe immer finden, daß vorhergegangene Beleidigung der Gerechtigkeit, Leidenschaften der Mächtigen, Vergehen der Richter, Nachlässigkeiten der Untergeordneten in kleinen Pflichten, welche darum die größte Wirkung haben, weil sie weniger sichtbar und auffallend sind, diese einzelnen Fälle hervorbringen, und um es mit einem Worte zu sagen, daß man nur in einem verdorbenen und tiefgesunkenen Staate sich gezwungen sehen und gezwungen glauben kann, ein Heil- und Hülfsmittel in der Verletzung dieses Heiligthums zu suchen.
Befindet sich aber ein Staat in einer so traurigen Lage, wen klagst du mit Recht an: das Volk oder Die, welche ihm vorgesetzt sind und es dahin gebracht haben?
Ich sprach nicht allein von der Gerechtigkeit, welche die Verbrechen straft, ich sprach zugleich von jener erhabenen Tochter des Himmels, der Mutter des Gewissens, die auch der unter dem Schwerte des Henkers bebende Verbrecher anerkennt.
Großvizir. Eine Tochter des Himmels mag sie wohl sein, diese deine Gerechtigkeit, und vermuthlich sieht man sie darum auf Erden nicht.
Ben Hafi. Ueberall ist sie fühl- und sichtbar. Sie zog die Bindungsfessel zum Wohl der Menschen durch alle Herzen und knüpfte sie fest an die Brust der Herrscher. Ihnen trug sie auf, durch Weisheit und Vorsicht den Verirrungen so weit vorzukommen, als menschliche Weisheit und Vorsicht es zu thun vermögen, und Jeden zu ergreifen, der sich diesem Bande entziehen will. Gleich ihr sollen sie mit fester, unbiegsamer Hand das Schwert über den Häuptern der Großen und der Kleinen halten und dabei fühlen, daß das ihrige über ihren eigenen Häuptern schwebt und dräut. Von einer Gerechtigkeit spreche ich nun, deren Ruf, so stark und donnernd er auch in dem Busen aller Menschen erschallt, freilich der Mann nicht vernehmen kann, der sein Gehör mit einer Musik betäubt, bei deren scheußlichem Laut mein Herz zerspringen möchte.
Großvizir. Ich habe nichts dagegen und kann es nicht hindern, daß mir meine erprobte Erfahrung klarer beweist: Gehorsam sei ein viel einfacher Ding.
Ben Hafi. Er schlug Wurzel in dem Herzen der Menschen von dem Augenblick, da sie sich in Gesellschaft sammelten. Die wechselseitige Noth, die häusliche Verbindung, die natürliche, kindliche und eheliche Liebe, die Furcht vor dem Schlimmem erschufen ihn ohne dein Zuthun. Wenn Der, welcher ihn durch gewaltsame und unnatürliche Mittel zu erzwingen sucht, die stillen Thränen sähe, das Winseln und Seufzen hörte – wenn er bemerkte, wie dieses in dem Busen lange eingekerkerte Leiden nach und nach in Knirschen und Verwünschung, dann in Tücke, Haß und endlich schnell wie der Blitz in thätige Rache übergeht, er würde vor der Wirkung und den Folgen seines fürchterlichen Werks erbeben, und sollte er auch den Sklaven auf ihrem abgeschundenen Felle mit eigner Faust gelockt haben.
Blicke grimmig! sollte auch dein Blick mich tödten, der Herr der Gläubigen mich mit seinem Unwillen strafen, so sage ich doch laut: Es gibt auf Erden keinen scheußlichern Sitz, als ein Thron, den Seufzen, Winseln und Klaggeheul umzischen und umsausen.
Khalife. Ich höre es nicht auf dem meinigen, Ben Haft, und hörte ich's ein einzig Mal, bei dem Allmächtigen! ich zerschlüge meinen goldnen Thron und bereitete selbst aus seinen Trümmern meinen Sarg.
Ben Hafi. Laß den armen Ben Hafi für dieses schöne Gefühl deine Hand küssen.
Khalife. Nimm sie hin, und Friede sei zwischen uns. Sieh, die Augen meines Masuls glänzen vor Freude.
Großvizir. Herr, sitze ruhig und unbekümmert auf deinem Thron.
Khalife. Wessen ist der Thron? Er, der Erhabene, der Ewige, ist Besitzer des Throns! Er sendet seinen Geist herunter, zu solchen von seinen Dienern, die ihm gefallen, daß er die Menschen warne vor dem Tage der Zusammenkunft, dem Tage, an welchem sie aus ihren Gräbern hervorgehen sollen, an dem Tage, an welchem Gott nichts, was sie betrifft, verborgen sein wird. Wem gehört das Königreich dieses Tags? Ihm allein, dem Allmächtigen! An diesem Tage soll eines Jeden Seele nach Verdienst belohnt werden, und an diesem Tage wird keine Ungerechtigkeit geschehen. Wahrlich, Gott wird schnell sein mit der Rechenschaft, er wird das trugvolle Auge erkennen und Das, was die Brust verbirgt.«
Großvizir. Dieses wird geschehen. Ich sage nur, mir ist Ben Hafis Sprache gar nichts Neues; er meint es gut, und des Guten kann man nicht zu viel thun, und kann man es auch nicht wirklich ausführen, so kann man doch nicht genug davon reden. Jeder thut, was er vermag; aber wenn man es gar zu weit treibt, so setzt man sich oft der Gefahr aus, anderer Absichten bezichtigt zu werden, als man wirklich hat. Dein Vizir weiß, Herr, was dir dein Volk schuldig ist, und nichts, auch nicht die frechsten Aeußerungen, auch nicht die spitzfindigsten Sophismen sollen mich von meinem bewahrten Spruche abbringen: Das alles kommt von dem in den Menschen eingewurzelten Bösen her, und darum muß man sie mit einem eisernen Scepter beherrschen und zum Guten, das ist zum Gehorsam, peitschen. Sollte ich ihn je ändern, so müßte mir der weise Ben Hafi vorher klar beweisen, die Menschen seien, was sie einmal nicht sind – gute, treue, ehrliche, verträgliche, zuverlässige, das allgemeine Beste besorgende, verständige Geschöpfe, die man mit bloßer Ehrlichkeit, Güte und Vernunft zusammen halten kann. Bis dahin wollen wir auf dem Wege, auf dem wir bisher uns so ziemlich leidlich befunden haben, ganz stille fortgehen. Uebrigens irrt sich Freund Ben Hafi sehr, wenn er glaubt, mein Blick zürne ihm; er zürnte den wahnsinnigen Regenten und Viziren, die er uns mit so schwarzen Farben malte, und an deren Dasein ich, mit seiner Erlaubniß, zur Ehre der Menschheit zweifele. Zweifele ich nun an den Ueberbösen, so wird er mir es auch zu gute halten, wenn ich nicht so festen Glaubens an die Ueberguten bin. So wenig ich an das Dasein solcher Ungeheuer glaube, wie er uns vormals in seiner bittern Galle aufstellte, eben so wenig glaube ich nun, daß Leute, wie sein Abdallah, dazu taugen, das Ruder eines Staats zu führen.
Khalife. Ich sehe es gerne, wenn ihr verschiedener Meinung seid und Jeder von euch in der Hitze des Streits mich Dinge hören läßt, womit man unser Einen so selten unterhält. Doch Alles hat sein Maß. Es wäre nun Zeit, daß du uns deinen Helden wiederum vorführtest.
Ben Hafi. Herr der Gläubigen, für heute ist mir's nicht möglich. Ich habe schwache Nerven, ein leises Gehör und ein kindisches Herz. Die Trommelschläge deines Vizirs donnern immer schaudervoller in meinem Gehirne. Ich sehe die Geschundenen in langem Zuge hinter ihm einhertreten und fürchte mich vor dem fürchterlichen Gesichte in meinen Träumen.
Khalife. Friede sei mit dir, und Friede sei in deinem Schlafe! Ich sehe wohl, du bist des Hofes nicht gewohnt, und darum denke ich nicht schlechter von dir. Glaubst du, ich könnte ruhig schlafen, wenn mein Vizir alles Das thäte, von dem er spricht? Weißt du denn nicht, daß es Leute gibt, die sich fürchterlicher machen, als sie in der That sind? Du reiztest seine Galle, und der Fuchs möchte gerne vor dir den Löwen spielen. Fürchte ihn darum nicht!