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Das ist eine wunderliche Nacht; der Mondschein in den gothischen Bogen des Dohmes erscheint und verschwindet wie Geister – an der Laterne des Thurmes klettert ein Nachtwandler herum, mit einem Säuglinge im Arme, es ist der Klökner; sein Weib schaut aus der Luke, händeringend, aber stumm wie das Grab, daß der schlafende Wandler, der sicher, wie der sorglose Mensch, die gefährlichsten Stellen zurüklegt, nicht beim Rufe seines Namens erwachend und schwindelnd mit dem Knaben in das tiefe Grab hinunterstürze. – Gegenüber in der Vorstadt bricht ein Dieb in einen Pallast; aber es ist mein Revier nicht, und ich bin zum Stummsein verdammt; so mag er einbrechen! – Ganz in der Ferne ist leise kaum vernehmbare Musik, wie wenn Mücken summen, oder Koch zur Nacht auf der Mundharmonika phantasirt; und oben am Horizont auf dem Eisspiegel der Wiese drehen sich leicht und lustig Schlittschuhläufer, und tanzen den Baseler Todtentanz zu der Trauermusik. –
Alles ist kalt und starr und rauh, und von dem Naturtorso sind die Glieder abgefallen, und er streckt nur noch seine versteinerten Stümpfe ohne die Kränze von Blüthen und Blättern gegen den Himmel. Die Nacht ist still und fast schrecklich und der kalte Tod steht in ihr, wie ein unsichtbarer Geist, der das überwundene Leben festhält. Dann und wann stürzt ein erfrorner Rabe von dem Kirchendache, und ein Bettler ohne Dach und Fach kämpft mit dem Schlummer, der ihn so süß und lockend, in die Arme des Todes legen will, wie den leichtsinnigen Fischer die Nixe mit Gesang in die Wellen einladet. –
Soll ich den Tod betrügen um das Bettlerleben? Beim Teufel ich weiß es ja nicht was besser ist – Sein oder Nichtsein! – O die dort in dem nachgeahmten Süden in ihren Schlafkammern, und dem gemahlten Frühling an den Wänden, wenn draußen der wirkliche erstarret ist, werfen die Frage nicht auf, und sie bereiten sich selbst die Natur, wie ein leckeres Gericht auf ihren Tafeln, zu und genießen sie gern nippend und in unterbrochenen Pausen, damit sie im Geschmack bleiben. Aber dieser Vogelfreie ruht der alten Mutter noch unmittelbar an der Brust, die eigensinnig und launisch, wie jede Alte, bald ihre Kinder erwärmt und bald sie erdrückt. – Doch nein, du Mutter bist ewig treu und unveränderlich, und bietest den Kindern Früchte in dem grünen Laube, das sie beschattet, und Flammen und die Erinnerung an dich, wenn du schlummerst; aber die Brüder haben den Joseph verstoßen, und verschließen tückisch die Gaben, die du ihm, wie den andern Kindern reichst. – O die Brüder sind es nicht werth, daß Joseph unter ihnen wandle! – Er mag entschlummern!
Da ist das Gesicht schon starr und kalt, und der Schlaf hat die Bildsäule seinem Bruder in die Arme gelegt; ich will sie hier aufrichten, daß sie wie ein Schreckbild, wenn die Sonne aufgeht, in den Tag schaue. – O mörderischer Tod, der Bettler hatte noch eine Erinnerung an das Leben und die Liebe – die braune Locke seines Weibes hier unter den Lumpen auf der Brust; du hättest ihn nicht würgen sollen, – und doch –
Der Traum der Liebe.
Die Liebe ist nicht schön – es ist nur der Traum der Liebe der entzückt. Höre mein Gebet, ernster Jüngling! Siehst du an meiner Brust die Geliebte, o so brich sie schnell die Rose, und wirf den weißen Schleier über das blühende Gesicht. Die weiße Rose des Todes ist schöner als ihre Schwester, denn sie erinnert an das Leben und macht es wünschenswerth und theuer. Ueber dem Grabhügel der Geliebten schwebt ihre Gestalt ewig jugendlich und bekränzt und nimmer entstellt die Wirklichkeit ihre Züge, und berührt sie nicht daß sie erkalte und die Umarmung sich ende. Entführe sie schnell die Geliebte, Jüngling, denn die Entflohene kehrt wieder in meinen Träumen und Gesängen, sie windet den Kranz meiner Lieder und entschwebt in meinen Tönen zum Himmel. Nur die Lebende stirbt, die Todte bleibt bei mir, und ewig ist unsre Liebe und unsre Umarmung! –
Horch! – Tanzmusik und Todtengesang – das schüttelt lustig seine Schellen! Rüstig, immer zu; wer den andern übertäubt, führt die Braut heim. Schade nur, ich sehe zwei Bräute, eine weiße und eine rothe – zwei Hochzeiten, zu der einen im untern Stockwerk heulen die Klageweiber ihre Weise; einen Stock höher pfeifen und geigen die Musikanten, und die Decke über dem Todtenkämmerlein und dem Sarge bebt und dröhnt vom Tanze.
Erklärt mir doch den nächtlichen Spuk!
Leonore reitet vorüber – die weiße Braut hier in der stillen Hochzeitskammer, liebte den Jüngling der droben walzt; und, das ist Lebensweise, sie liebte, er vergaß, sie erblaßte, und er entglühte für eine rothe Rose, die er heute heimführt, indem man diese wegträgt. –
Das ist die alte Mutter der weißen Braut, am Sarge – sie weint nicht; denn sie ist blind – auch die weiße weint nicht und schlummert und träumt sehr süß. –
Da stürmt der Hochzeitszug noch tanzend die Stiegen herab – und der Jüngling steht zwischen zwei Bräuten. Er erblaßt doch ein wenig. Still! Die blinde Mutter erkennt ihn am Gange. – Sie führt ihn zum Brautbette der schlummernden Braut.
»Sie hat sich früher niedergelegt zur Hochzeitnacht, als du, erweck sie nicht, sie schläft so süß, aber deiner hat sie gedacht bis zum Schlummer. Das ist dein Bild auf ihrem Herzen. – O zieh die Hand nicht so erschrocken zurük von der kalten Brust; die Nacht ist die längste wo der Frost am bittersten ist, und sie liegt einsam im Brautbett', ohne den Bräutigam.« –
Sieh! Da hat der Schrecken die rothe Rose auch erblaßt und der Jüngling steht zwischen den zwei weißen Bräuten. – Fort, fort, das ist Weltlauf. O wenn ich doch blasen und singen dürfte.
Jezt schwebt die Leiche hin durch die Gassen, und der Laternenschein still hinterdrein an den Wänden, wie wenn der vorüberwandelnde Tod sich dem schlummernden Leben nicht verrathen wollte. Der gefrorene Boden knirscht unter den Fußtritten der Leichenträger – das ist der heimliche tückische Brautgesang! – Und sie bergen sie in ihr Kämmerlein.
Aber nah dabei singen und brausen noch Jünglinge, und verschwenden das Leben, und die Liebe und die Poesie in einem kurzen raschen Rausche, der am Morgen verflogen ist – wo ihre Thaten, ihre Träume, ihre Hoffnungen, ihre Wünsche, und alles um sie her nüchtern geworden und erkaltet ist. –
Im Nonnenkloster der heiligen Ursula war noch spät in der Nacht ein unruhiges Treiben. die Klocke schlug dann und wann leise und dumpf an, wie wenn man träumend stürmen hört, und an den Kirchenfenstern, deren Bogen über die Mauer herabschaueten, flog oft ein ungewöhnlicher aber schnell wieder verlöschender Lichtglanz auf. Ich ging einsam um die Mauer herum, die wie ein geweiheter Zauberkreis die heiligen Jungfrauen umschließt. – Plözlich stieß ich auf jemand im Mantel – was ich von ihm erfuhr, gehört in die folgende Winternacht; was ich that, noch in diese. –
Der Pförtner an der äussern Mauer war ein alter tiefsinniger Menschenhasser, der mir herzlich zugethan war, als einem Gegenstande, den er mit seinem Zorne nach Belieben überschütten konnte. Ich besuchte ihn oft zur Nacht um seiner Galle Luft zu machen; auch jezt ging ich zu ihm. Er saß in seiner Hütte bei einer Lampe, in der Gesellschaft eines schwarzen Vogels dem er eine Kappe über den Kopf gezogen hatte, und mit ihm in Unterredung war.
»Kennst du das Wesen – sprach der Pförtner – dessen Antliz tückisch lacht, wenn die vorgehaltene Larve Thränen vergießt, das Gott nennt, wenn es den Teufel denkt, das im Innern, wie der Apfel am todten Meere, giftigen Staub enthält, indeß die Schaale blühend roth zum Genuß einladet, das durch das künstlich gewundene Sprachrohr melodische Töne von sich giebt indem es Aufruhr hineinruft, das wie die Sphynx nur freundlich lächelt, um zu zerreissen, und wie die Schlange bloß deshalb so innig umarmt, um den tödlichen Stachel in die Brust zu drücken? – Wer ist das Wesen, Schwarzer?«
»Mensch!« krächzte das Thier auf eine unangenehme Weise.
»Der Schwarze spricht weiter kein Wort – sagte der Pförtner – aber er beantwortet deshalb doch jede meiner Fragen auf das treffendste. – Geh schlafen, Schwarzer!«
Der Vogel rief noch dreimal Mensch aus, und sezte sich dann, wie wenn er tiefsinnig nachdächte, in eine finstere Ecke – er schlummerte aber nur.
»Sie spielen Begrabens im Kloster – fuhr der Alte fort – willst du nicht zuschauen? Eine keusche Urselinerinn ist heute Mutter worden; – in der Legende wäre 's freilich als ein Wunder aufgezeichnet; aber, so sehr haben sie Gott in die Karte geschauet, daß sie heutiges Tages an kein Wunder mehr glauben. Die heilige Jungfrau wird diese Nacht lebendig eingescharrt. – Ich lasse dich ein; sieh's zum Zeitvertreibe an!« –
Er nahm den Schlüssel, die Angel pfiffen, und ich ging über Gräber durch den Kreuzgang. Fackelglanz flog oft rasch über die Monumente, auf denen steinerne Jungfrauen betend schlummerten, mit künstlich abgeformten Gesichtern, indeß drunten die Originale schon die Masken abgeworfen hatten. –
Ich stellte mich hinter einen Pfeiler, drunten war eine offene gemauerte Gruft – ein einsames Entkleidungskämmerchen für den abgehenden Menschen – im Kämmerchen brannte eine blasse Todtenlampe und auf einem hervorragenden Steine befand sich ein Brod, ein Krug Wasser, ein Kruzifix und ein Gebetbuch. In der über die Gruft gebaueten Kirche herrschte tiefe Stille unter den Heiligen, die von den Wänden herabschaueten, nur wenn dann und wann ein Windstoß durch das Orgelwerk fuhr, heulte eine Pfeife unangenehm.
Der Zug ward endlich durch die Säulen sichtbar – viele schweigende Jungfrauen und in der Mitte die wandelnde Braut des Todes. Der ganze Akt hätte für einen poetisch weichlich gestimmten Zuschauer etwas Schauder erregendes, eben durch die fast mechanisch schrekliche Weise auf die er vollzogen wurde, gehabt, so wie denn die tragische Muse, je weniger Händeringens sie macht, um so mehr erschüttert. Mein Gemüth indeß (das einem mit Vorsatz widersinnig gestimmten Saitenspiele gleicht, auf dem daher niemals in einer reinen Tonart gespielt werden kann, wenn nicht anders der Teufel einmal ein Konzert darauf ankündigt) wurde wenig ergriffen und es kam im Grunde nichts weiter als ein toller Lauf durch die Skala zuwege, der ohngefähr durch die folgenden Töne ging und in einer Disharmonie stehen blieb:
Lauf durch die Skala.
»Das Leben läuft an dem Menschen vorüber, aber so flüchtig, daß er es vergeblich anruft ihm einen Augenblick Stand zu halten, um sich mit ihm zu besprechen, was es will, und warum es ihn anschaut. Da fliehen die Masken vorüber, die Empfindungen, eine verzerrter wie die andere. Freude steh mir Rede – ruft der Mensch – weshalb du mir zulächelst! Die Larve lächelt und entflieht. Schmerz laß dir fest ins Auge schauen, warum erscheinst du mir! Auch er ist schon vorüber. – Zorn, warum blickst du mich an – ich frage es, und du bist verschwunden.
Und die Larven drehen sich im tollen raschen Tanze um mich her – um mich der ich Mensch heiße – und ich taumle mitten im Kreise umher, schwindelnd von dem Anblicke und mich vergeblich bemühend eine der Masken zu umarmen und ihr die Larve vom wahren Antlize wegzureißen; aber sie tanzen und tanzen nur – und ich – was soll ich denn im Kreise? Wer bin ich denn, wenn die Larven verschwinden sollten? Gebt mir einen Spiegel ihr Fastnachtsspieler, daß ich mich selbst einmal erblicke – es wird mir überdrüssig nur immer eure wechselnden Gesichter anzuschauen. Ihr schüttelt – wie? steht kein Ich im Spiegel wenn ich davor trete – bin ich nur der Gedanke eines Gedanken, der Traum eines Traumes – könnt ihr mir nicht zu meinem Leibe verhelfen, und schüttelt ihr nun immer Eure Schellen, wenn ich denke es sind die meinigen? – Hu! Das ist ja schrecklich einsam hier im Ich, wenn ich euch zuhalte ihr Masken, und ich mich selbst anschauen will – alles verhallender Schall ohne den verschwundenen Ton – nirgends Gegenstand, und ich sehe doch – – das ist wohl das Nichts das ich sehe! – Weg, weg vom Ich – tanzt nur wieder fort ihr Larven!«
Jezt steigt die Nonne in die Gruft hinab. O endet doch das Spiel daß ich's erfahre ob's eigentlich auf Scherz oder auf Ernst hinausläuft. Folgt doch noch auf dem lezten Wege der Braut des Todes eine Maske – es ist der Wahnsinn. Die Larve lächelt heimlich – ob dahinter das wahre Antliz schaudert, oder verzückt ist – wer sagt es mir?
Zwar mauern sie, der Braut zur Gesellschaft, eine Schlange ein – den Hunger – die sich ihr bald um die Brust schlingen, und bis zum Ich fortnagen wird. Wenn dann die lezte Maske auch verschwindet, und das Ich mit sich allein ist – wird es sich wohl die Zeit vertreiben? –
Nun klopfen die Hämmer der Freimaurer dumpf durch das Gewölbe, und ein Stein nach dem andern fügt sich in das Gewölbe der Gruft. Jezt erblicke ich nur noch durch eine kleine Lücke beim Lampenschein das heimliche Lächeln der Begrabenen – jezt blos ein wenig sich durchstehlenden Schimmer – nun ist alles verdeckt, und die lebenden Todten singen zur guten Nacht ein ernstes miserere über dem Haupte der Begrabenen. –
Den Pförtner fand ich als ich zurückkehrte, wie gewöhnlich mit seiner alten finstern Maske beisammen. – »Hassest du jezt die Menschen?« fragte er.
»Ich bin fast mit mir allein – sagte ich – und hasse oder liebe eben so wenig als möglich! Ich versuche zu denken, daß ich nichts denke, und da bringe ich's zulezt wohl so weit auf mich selbst zu kommen!« –
»Nimm den Wurm mit – fuhr der Alte fort, und hob die Decke über einem schlummernden Kinde – ich mag ihn nicht bei mir behalten, denn ich habe noch Anfälle von Menschenliebe, wo ich ihn leicht im Wahnsinn ersticken könnte!«
Ich nahm den Knaben in die Arme, und das noch träumende Leben versöhnte mich wieder mit dem erwachten.
»Sie haben mir das Kind übergeben es fortzuschaffen – sprach der Pförtner – denn sie dulden nichts Männliches unter sich die frommen Jungfrauen, ausser in den Gemählden, für die Einbildungskraft; die Mutter des Knaben sahest du eben begraben, such jezt seinen Vater auf, oder schleudre den Bürger in die Welt, es hat keine Gefahr mit der Menschenbrut, sie geht nicht unter.«
»Ich kenne den Vater!« antwortete ich, und ging aus der Hütte. Draußen stand der Unbekannte im Mantel und hielt mich fest. – »Die Braut ist begraben – dies ist dein Sohn!« mit diesen Worten legte ich ihm den Knaben in die Arme, und er drükte ihn stumm ans Herz.