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Das Empfinden der Natur – im Gegensatze der objektiven Beobachtung. – Natur, als Bildungsmittel des Geistes und Gemüthes. – Geschichte der physischen Weltanschauung.
Wir haben in einer übersichtlichen Skizze die Grundzüge von Humboldt's allgemeinen Anschauungen der physischen Weltordnung dargestellt. Aber, wie wir schon in der Schilderung seines äußeren Lebens andeuteten, so ist es ein wesentlicher Zug im Charakter Humboldt's, daß er nicht nur beobachtet und denkt, sondern auch empfindet und das Schöne in den Gestalten und Bewegungen eben so rein herauszufinden als wiederzuspiegeln vermag. Das Naturstudium ist ihm keine Sache des Gedächtnisses, sondern des Lebens – nicht nur allein Verstandesthätigkeit, sondern auch Gemüthsveredlung, nicht nur Kenntniß von einer Welt außer uns, sondern zugleich Bildungsmittel zur inneren Entwickelung unserer selbst.
Wie nun aber das Naturstudium. gerade ein Bildungsmittel werden soll, wie der Mensch dabei durch den Eindruck der Außenwelt auf die eigene Einbildungskraft angeregt zu werden vermag, und so endlich durch das Verstehen der großen Naturgesetze im Kleinen und so fort zum Anschauen des Ganzen gelangt, das lehrt uns Humboldt in anziehender Weise, indem er das Gebiet der von aller Phantasie absichtlich entkleideten sinnlichen, objektiven Beobachtung der Naturgegenstände verläßt und in den Kreis der Empfindungen eintritt.
Die durch die beobachtenden Sinne empfangenen Bilder des Naturlebens wirken auf das Gefühl und die Phantasie des Menschen, und eröffnen so eine innere Welt in ihm selbst; auch diese Welt unseres Innern muß der gebildete Mensch näher erforschen und kennen lernen, denn wir lernen daraus die Quelle unserer Anschauungen, unserer geistigen Thätigkeit sowol, wie unserer Gemüthskräfte kennen. – Durch die Anregung der Phantasie, welche zunächst die Wirkung der Naturgestalten angenehm empfindet und das aufgenommene Bild lebendig fortzuführen strebt, werden die meisten Menschen zur näheren Bekanntschaft mit der äußeren Natur angeregt, es entsteht der Drang in die Ferne, nach neuen, noch unbekannten Formen der Natur, die Lust an poetischer Behandlung des Naturlebens, an der künstlerischen Darstellung der Naturschönheit in der Landschaftsmalerei, an der Kultur anmuthiger oder edler Gewächs- und Thierformen.
Gerade die Natur – wie sie Humboldt darzustellen weiß – vermag eben so sehr die edelsten Genüsse darzubieten, als die höchste, geistige Entwickelung anzuregen und zur Einsicht in die tieferen Zwecke der Menschheit zu führen. Im Umgange mit der Natur, als einer wohlverstandenen, in ihren Gesetzen enthüllten Welt der Erscheinungen, wo jede Gestalt und Bewegung auf ein vernünftiges Walten hinweist, wird der Mensch edler, seiner selbst bewußter; aber es ist nicht gleichgültig, auf welche Art der Mensch zum veredelnden Genüsse der Natur gelangt. Darüber spricht sich Humboldt in der Einleitung seines »Kosmos« aus, und wir erkennen daran die Individualität seiner eigenen Natur wieder. – Er findet zunächst, daß die unterste Art des Naturgenusses beim Menschen unabhängig von der Einsicht in das Wirken der Naturkräfte, aber auch fast unabhängig von dem jedesmaligen besonderen Charakter einer uns umgebenden Gegend ist. Sehr schön sagt er: »Wo in der Ebene, einförmige gesellige Pflanzen den Boden bedecken und auf grenzenloser Ferne das Auge ruht, wo des Meeres Wellen das Ufer sanft bespülen und durch Ulven und grünenden Seetang ihren Weg bezeichnen: überall durchdringt uns das Gefühl der freien Natur, ein dumpfes Ahnen ihres Bestehens nach inneren, ewigen Gesetzen.« Wer jemals gefühlt hat, daß eine geheimnißvolle Kraft in solchen Anregungen liegt, welche den ermüdenden Geist erfrischen, erheitern und stärken, das oft schmerzlich in seinen Tiefen erschütterte oder von wilden Leidenschaften bewegte Gemüth besänftigen, der wird hierin Humboldt's klare Unmittelbarkeit bewundern, womit sich ihm die Natur erschloß. Alles Feierliche und Ernste, was wir in solchen Momenten empfinden, es beruht auf dem fast bewußtlosen Gefühle höherer Ordnung und innerer Naturgesetzmäßigkeit, es ist das große Allgemeine, welches vor unsere eigene Beschränktheit tritt, der wir zu entfliehen streben; es ist ein Naturgenuß, der allen Menschen, sowol den intelligenten wie ungebildeten, auf allen Punkten der Erde, wo Thier- und Pflanzenleben wechseln, vergönnt ist.
Aber noch einen andern, höheren, gleichfalls den Gefühlen sich offenbarenden Naturgenuß erblickt Humboldt darin, daß der Mensch nicht nur überhaupt beim Eintritte in das Freie, sondern auch von dem besondern Charakter einer Gegend ergriffen wird. Er sagt: »Solche Eindrücke sind lebendiger, bestimmter und deshalb für besondere Gemüthszustände geeignet. Bald ergreift uns die Größe der Naturmassen im wilden Kampfe der entzweiten Elemente, oder, als ein Bild des Unbeweglichen und Starren, die Oede der unermeßlichen Grasfluren und Steppen; bald fesselt uns, als ein freundlicheres Bild, der Anblick einer bebauten Flur, die erste Ansiedelung der Menschen, von schroffen Felsschichten umringt, am Rande des schäumenden Gießbaches.«
Diese beiden Stufen des Naturgenusses, namentlich die letztere, wo ein individuell bestimmter Kreis von Ideen und Gefühlen, die vom Naturgenusse erregt waren, dessen Stärke und Dauer bedingt, hat Humboldt selbst in einer wahrhaft idealen Weise empfunden, wie wir aus seinen Reisen oft erfahren konnten – und da, wo er sich seinen eigenen Erinnerungen hingiebt, verknüpfen sich in ihm alsbald die verwandten Empfindungen früherer Natureindrücke; er gedenkt des Oceans, über dessen Wellenfläche sich in milden, tropischen Nächten das ruhige, in jenen Gegenden nicht funkelnde Sternenlicht ergießt; er gedenkt der Waldthäler der Cordilleren, wo kräftig aufgetriebene Palmenstämme, gleich Säulen, das düstere Laubgewölbe durchbrochen haben; er gedenkt des Pik von Teneriffa, wo Wolkenschichten den Aschenkegel von der unteren Erdfläche trennen und plötzlich durch eine vom aufsteigenden Luftstrome entstandene Oeffnung den Blick des obenstehenden Beschauers auf die weinbekränzten Hügel von Orotava und die Gärten der Küste zu werfen gestatten. Diese großen Naturscenen wirken nicht durch die stille, schaffende Ruhe des inneren Naturlebens, sondern durch den äußeren, individuellen Charakter der Landschaft; denn selbst das Schreckliche, Unüberschaubare und unsere Fassungskraft Uebersteigende wird in solchen Gegenden ein Quell des Naturgenusses. Die Phantasie sucht das den Sinnen verhüllt Gebliebene schöpferisch zu ergänzen, und getäuscht glauben wir von der Außenwelt zu empfangen, was unser Gemüth selbst in sie hineingelegt hat. – »Wenn« – sagt Humboldt – »wir nach langer Seefahrt, fern von der Heimat, zum ersten Male ein Tropenland betreten, dann erfreut uns an schroffen Felswänden der Anblick derselben Gebirgsarten (des Thonschiefers oder des basaltartigen Mandelsteins), die wir auf europäischem Boden verließen, und deren Allverbreitung zu beweisen scheint, daß sich die alte Erdrinde unabhängig von dem äußeren Einflüsse der jetzigen Klimate gebildet. habe; über diese wohlbekannte Erdrinde ist mit den Gestalten einer fremdartigen Flora geschmückt. Da offenbart sich uns, den Bewohnern der nordischen Zone, von ungewohnten Pflanzenformen, von der überwältigenden Größe der tropischen Organismen und einer exotischen Natur umgeben, die wunderbar aneignende Kraft des menschlichen Gemüthes. Wir fühlen uns so mit allem Organischen verwandt, daß, wenn es anfangs auch scheint, als müsse die heimische Landschaft (wie ein heimischer Volksdialekt) uns zutraulicher und durch den Reiz einer eigenthümlichen Natürlichkeit uns inniger anregen, als jene fremde, üppige Pflanzenfülle, wir uns doch bald in dem Palmen-Klima der heißen Zone eingebürgert glauben. Durch den geheimnißvollen Zusammenhang aller organischen Gestaltung (und unbewußt liegt in uns das Gefühl der Nothwendigkeit dieses Zusammenhanges) erscheinen unserer Phantasie jene exotischen Formen wie erhöhet und veredelt aus denen, welche unsere Kindheit umgaben. So leiten dunkle Gefühle und die Verkettung sinnlicher Anschauungen, wie später die Thätigkeit der kombinirenden Vernunft, zu der Erkenntniß, welche alle Bildungsstufen der Menschheit durchdringt: daß ein gemeinsames, gesetzliches und darum ewiges Band die ganze lebendige Natur umschlinge.«
Aber eine andere, noch höhere Art des Naturgenusses ist endlich die, wo sich mit den Anregungen des Gemüthes noch die Ideen vereinigen, wo das Ordnungsmäßige, Gesetzliche der Natur nicht bloß geahnt, sondern vernunftgemäß erkannt wird. – Für die Ausbildung dieses Naturgenusses hat Humboldt nicht nur vielseitig mitgewirkt, sondern auch die Menschen dazu anregen und durch seine Schriften erziehen wollen; denn es ist gerade die Erkenntniß der Natur in ihrer Gesetzmäßigkeit eine Aufgabe der Civilisation, es ist ein ächt menschlicher, veredelter Genuß, dessen Bedürfniß von der zunehmenden Bildung unserer Zeit lebhaft gefühlt wird und noch einer bedeutenden Entwickelung bedarf, da selbst noch in den höheren Volksklassen, trotz gleichzeitiger gesellschaftlicher Bildung, die rohesten Irrthümer über die Natur zu Hause sind und der Naturgenuß sich nicht über die vorhin bezeichneten unteren Grade des reinen Gemüthseindruckes zu erheben pflegt. Aber in unserer Zeit, wo alle Stände sich bestreben, ihr Leben durch einen größeren Reichthum von Ideen zu verschönen, da darf auch die bessere Einsicht in das Naturleben nicht ausbleiben, und eben dadurch erhält Humboldt's »Kosmos« noch eine neue Bedeutung für das deutsche Volk, daß dieses Werk ein Bildungsmittel sein will, um das Volk zu der höchsten Stufe des Naturgenusses, der (Erkenntniß der Natur in ihrer Ordnung und Gesetzmäßigkeit, neben der individuellen Wirkung auf das Gemüth, empor zu heben.
Man pflegt zu sagen, daß die Natur durch das Erforschen ihrer inneren Kräfte und Beschaffenheiten für uns ihren Reiz verliere, das Geheimnißvolle und damit den Charakter des Erhabenen einbüße; aber, wenn auch allerdings die Phantasie dadurch in ihrem Spielraum beschränkt und der Zauber des Unbegrenzten beeinträchtigt wird, wenn auch ein irrender Philosoph einst aus der »Unwissenheit von den Naturdingen« allein die Quelle der Bewunderung und des Erhabenen entstehen lassen wollte – die Einsicht in den Zusammenhang der Erscheinungen, wenn sie in Humboldt'scher Weise aufgefaßt und erstrebt wird (und nicht, wie bei Vielen, ein rohes Anhäufen endloser Materialien ist), vermittelt die des denkenden Menschen würdige, höchste Stufe des Naturgenusses, erweitert und veredelt Geist wie Gemüth, weckt Freuden höherer Intelligenz und führt zur Anschauung, des Göttlichen. Jedes Naturgesetz läßt auf ein höheres, noch unbekanntes schließen; mit zunehmender Einsicht vermehrt sich in dem erkennenden Menschen das Gefühl von der Unermeßlichkeit, und mit Recht sagt Humboldt, daß die Behauptung: »Naturforschung störe den Naturgenuß«, nur aus Beschränkung oder sentimentaler Trübheit des Gemüthes hervorgehen könne. – »Allerdings« – fügt er hinzu – »wirken Kräfte, im eigentlichen Sinne des Wortes, nur dann magisch, wie im Dunkel einer geheimnisvollen Macht, wenn ihr Wirken außerhalb des Gebietes allgemein erkannter Naturbedingungen liegt. Der Beobachter, der durch ein Heliometer oder einen prismatischen Doppelspath den Durchmesser der Planeten bestimmt, Jahre lang die Meridianhöhe desselben Sternes mißt, zwischen dicht gedrängten Nebelflecken teleskopische Kometen erkennt, fühlt (und es ist ein Glück für den sicheren Erfolg seiner Arbeit) seine Phantasie nicht mehr angeregt, als der beschreibende Botaniker, so lange er die Kelcheinschnitte und die Staubfäden einer Blume zählt und in der Struktur eines Laubmooses die einfachen oder doppelten, die freien oder ringförmig verwachsenen Zähne der Samenkapsel untersucht; aber das Messen und Auffinden der Zahlenverhältnisse, die sorgfältigste Beobachtung des Einzelnen bereitet zu der höheren Kenntniß des Naturganzen und der Weltgesetze vor. Dem Physiker, welcher (wie Thomas Young, Arago und Fresnel) die ungleich langen Ströme der durch die Entfernung sich vernichtenden oder verstärkenden Lichtwellen mißt; dem Astronomen, der mittelst der raumdurchdringenden Kraft der Fernröhre nach den Monden des Uranus forscht, oder aufglimmende Lichtpunkte in farbige Doppelsterne zerlegt (wie Herschel, South und Struve); dem eingeweihten Blicke des Botanikers, der in der Charapflanze und fast allen vegetabilischen Zellen die kreisende Bewegung der Saftkügelchen wiederfindet – ihnen gewähren Himmelsräume und irdische Pflanzendecke gewiß einen großartigeren Anblick, als dem Beobachter, dessen Natursinn noch nicht durch Einsicht in den Zusammenhang der Erscheinungen geschärft ist.«
Alle diese Anregungen. möchte Humboldt allgemeiner, verständlicher und fruchtbringender machen, deswegen unternimmt er es noch in seinem hohen Alter, darüber zu schreiben. – Der zweite Theil seines »Kosmos« beschäftigt sich ausführlich damit.
Von der Naturbeschreibung ausgehend, sucht er die Naturgefühle, nach Verschiedenheit der Zeiten und Völkerstämme, näher darzustellen; er weist nach, wie dem frühesten Alterthume, z. B. den Hebräern und Indiern, durchaus das Naturgefühl nicht fremd, wenn auch weniger laut und lebhaft gewesen ist; wie der Grieche weder Naturbeschreibung noch Naturdichtung gekannt, und selbst die Landschaft für nichts mehr, als einen Hintergrund zu den in Leidenschaft, Heldenthat etc. dargestellten Menschengestalten gehalten hat; wie der Römer noch sparsamere Zeichen seiner Empfänglichkeit für die Natur gegeben und trotz seines Feldbaues und Landlebens diesen Natursinn unentwickelt gelassen hat in dem kalten Ernste, der nüchternen Besonnenheit und dem auf praktische Wirklichkeit gerichteten Volksleben; wie mit der allmählichen Verbreitung des Christenthums die Gefühle abstarben, welche das klassische Alterthum belebten und den Geist auf Handlung und Aeußerung menschlicher Kraft und nicht auf beschauliche Zustände richteten, und eine neue Sinnesart Raum gewann; wie mit der bürgerlichen Freiheit des Menschengeschlechts auch der Blick in die freie Natur sich erweiterte und mit dem Hange zur Einsamkeit, zum trüben Nachdenken und zur inneren Gemüthsversenkung, zugleich das Gefühl für die wunderbare Schönheit und Ordnung der Natur und die Güte des Schöpfers sich erschloß; wie das Christenthum nunmehr in den, dem Naturdienste ergebenen germanischen und celtischen Volksstämmen Einzelnen Anregung gab, den erhaltenden und zerstörenden Kräften in der Natur näher nachzuspüren, wobei diese Einzelnen Gefahr liefen, beim gemeinen Volke dem Glauben an Zauberei anheim zu fallen, wie aber im späteren Mittelalter die offene Freude an der Natur in den indogermanischen Völkern des nördlichen Europas, mit sentimentaler Romantik vermischt, deutlich hervorbrach; wie endlich in den neueren Jahrhunderten Gefühlstiefe und frischer Lebensgeist im Anschauen und Empfinden der Natur bei den Völkern sich geltend machten: – das schildert Humboldt auf eine eben so belehrende, als anregende Weise, und er redet daher derjenigen Naturdichtung das Wort, wo das Dichterische aus dem geahnten Zusammenhänge des Sinnlichen mit dem Geistigen, aus dem Gefühle der Allverbreitung, der gegenseitigen Begrenzung und der Einheit des Naturlebens hervorgeht.
Auch die Landschaftsmalerei ist in Humboldt'scher Auffassung von einflußreicher Wirkung auf die Belebung des Naturstudiums; sie kann die Liebe dafür erhöhen. Auch bei dieser Gelegenheit weist Humboldt das je nach den verschiedenen Zeiten und Völkern allmähliche Entstehen der Landschaftsmalerei nach, die als wirklich ausgebildet erst dem späteren Mittelalter angehört, und namentlich durch die Brüder von Eyck erreicht worden ist. Die Epoche der größten Landschaftsmaler war das 17. Jahrhundert; da lebten: Claude Lorrain (der idyllische Maler des Lichtes und der duftigen Ferne), Ruysdael (großartig in dunklen Waldmassen und drohendem Gewölk), Gaspard und Nikolaus Poussin (Meister in Darstellung heroischer Baumgestalten), Everdingen, Hobbema und Cuyp (von großer Naturtreue). – Diese Maler, sagt Humboldt, ahmten geistreich nach, was die Vegetation des Nordens von Europa, das südliche Italien und die iberische Halbinsel darboten. Eine höhere Stufe erkennt er aber in der Darstellung individueller Naturformen, die erst möglich werden konnte, als der geographische Gesichtskreis über die Erde durch Reisen.in fremde Klimate erweitert und der Sinn für Schönheit und Gliederung der Pflanzengestalten ausgebildeter wurde. Man malte nunmehr einzelne, individuelle Formen exotischer Pflanzen, einzelne Früchte, Zweige und Blüten ( Johann Breughel), den individuellen Charakter der heißen Zone ( Franz Post aus Harlem und Eckhout, beide den Prinzen Moritz von Nassau nach Brasilien begleitend) – und so entwickelte sich bis zur Neuzeit auch unter uns die Landschaftsmalerei mit den einfacheren Gestalten der heimatlichen Flora, aber mit der ganzen Fülle der schöpferischen Einbildungskraft und mit der ganzen Tiefe des Gemüthes, nicht minder einen Abglanz des Ganzen der Natur gewährend, weil ja auf jedem Flecke der Erde die Natur sich wiederholt, wenn auch in anderen. Verbindungen.
Wir haben hier in der Kürze auf die Ansichten Humboldt's über die Landschaftsmalerei hindeuten wollen; er fordert Naturphysiognomie der Landschaft, es soll aus dem Bilde das »dunkle Gefühl eines lokalen Naturcharakters« hervorgehen; diesen Totaleindruck aufzufassen und anschaulich wiederzugeben, bezeichnet Humboldt als die Aufgabe der Landschaftsmalerei.
Dennoch aber erklärt er diesen Eindruck des Bildes für beschränkter und minder anregend, als den unmittelbaren Anblick exotischer Pflanzengruppen in Gewächshäusern und freien Anlagen, und er unterscheidet hier den malerischen Eindruck von dem anschaulichen, botanischen Interesse – und obgleich den Pflanzungen und Gartenanlagen die vielfältigen Mittel der Landschaftsmalerei versagt sind (als da sind: Beleuchtung und Färbung, das Gebieten über Masse und Form, die geheimnißvolle, unbegrenzte Entfernung des Hintergrundes), so bieten sie doch eine Entschädigung durch die Eindrücke dar, welche überall die Wirklichkeit auf die Sinne ausübt. Humboldt ist ein großer Freund solcher »lebender Gartenlandschaften«, seine Pflanzenphysiognomie wünscht er als Mittel einer »Kunst in der Komposition von Gartenlandschaften, der Landschaftsgärtnerei« angewandt zu sehen.
Wir müssen dem forschenden Manne, dessen Lebensbild wir zeichnen wollen, nunmehr auch in ein anderes geistiges Feld folgen, dem er zeitlebens durch liebgewonnenes Studium viele Früchte abgewonnen hat; – es ist die Geschichte der physischen Weltanschauung, die Kenntniß von der allmählichen Entwickelung und Erweiterung des Begriffes vom Naturganzen. Es ist damit zugleich ein Theil der Entwickelungs-Geschichte des Menschengeistes im Allgemeinen gegeben, denn das Streben der Menschheit, Erde und Himmel zu erkennen und das Zusammengreifen der großen Naturkräfte in Leiden Räumen zu verstehen, erwachte schon in uralten Zeiten, und selbst die Anfänge einer wissenschaftlichen Behandlung dieser Gegenstände sind bis in die früheste Völkergeschichte zurückweisbar. Es war die denkende Betrachtung der Erscheinungen und Bewegungen in der Natur von jeher ein Bedürfniß der Gebildeteren zu allen Zeiten, und diese sich mehr und weiter entwickelnde Einsicht in die Natur, in den Zusammenhang der Kräfte des Weltalls, ging immer mit der Kultur des Menschengeschlechts gleichen Schritt vorwärts.
Wie alles Erkennen, so begann dieses erste Anschauen der Natur mit den vereinzelten Gegenständen und mit der Ahnung von der inneren Verknüpfung der Erscheinungen zu einem Ganzen. Erst mit zunehmender Entwickelung der Völker ging dieses Ahnen in ein Wissen von der Natur über, und die ahnende Phantasie eines Plato, Kolumbus und Kepler deutete träumerisch die Ziele an, welche später die erfahrungsmäßige Wissenschaft auf anderem Wege wiederfand. – Die allmähliche Ausbildung des Bewußtseins in der Menschheit, wodurch der Begriff von der Einheit aller Welterscheinungen, als eines in allen seinen Theilen eng verknüpften Ganzen, vermittelt und erweitert wurde, sieht Humboldt verursacht: erstens durch das selbstständige Streben der Vernunft des Menschen nach Erkenntniß von Naturgesetzen, also nach einer denkenden Betrachtung der Naturerscheinungen; – zweitens: durch die Weltbegebenheiten, welche plötzlich den Horizont der Beobachtungen erweitert haben, und drittens: durch die Erfindungen neuer Mittel, zur Erweiterung der sinnlichen Beobachtungen (z. B. Fernröhre, Mikroskope, die optisch-physikalischen Instrumente überhaupt), gleichsam neue Organe der Beobachtung, welche den Menschen sowol mit den Gegenständen dieser Erde wie mit denen der entferntesten Welträume in näheren Verkehr gebracht und die sinnliche Wahrnehmung geschärft und vervielfältigt haben.
Von diesen drei Gesichtspunkten der Entwickelungsursachen ging Humboldt bei seinen Studien der Geschichte der Naturanschauung aus. Auch hier stand ihm sein universell gebildeter Geist hülfreich bei. Die allmählich erweiterte Naturerkenntniß als Folge inneren Vernunftstrebens des Menschen verfolgte er von der ältesten Physik der alten Hellenen an; er erkannte einzelne Begebenheiten der Welt als die Mittel, welche die Erkenntniß von der Natur plötzlich erweiterten, namentlich bei den Völkern, welche einst die Küsten des Mittelmeeres bewohnten (so die Seefahrt des Coläus von Samos jenseits der Herkulessäulen, den Zug Alexanders nach Vorderindien, die Weltherrschaft der Römer, die Verbreitung des arabischen Kultus, endlich später die Entdeckung Amerikas etc.), dann aber verfolgte er namentlich die Wirkungen, welche solche Begebenheiten in dem Leben der Völker hervorgebracht haben; und auch hier faßt Humboldt die große Bedeutung der Sprachen in's Auge, welche einzeln als Kommunikationsmittel zwischen weit von einander getrennten Völkerstämmen wirken, dann aber auch durch ihre Vergleichung mit einander, durch Einsicht in den inneren Bau und die Verwandtschaftsgrade der Sprachcharaktere die Erkenntniß des Menschen und seiner Geschichte vermitteln.
Humboldt liebt es, in allen seinen zu Gesammtanschauungen führenden Forschungen immer von den Gegenständen der Beobachtungen auszugehen; so sucht er auch, um zur Erkenntniß des Weltganzen (welches meist durch naturphilosophische, nur wenig durch wirkliche Beobachtungen unterstützte Auffassungen dargestellt worden ist) zu gelangen, einen Punkt der Erde, von welchem aus er beobachtend und erfahrungsmäßig weiterschreiten könne. – Diesen eingeschränkten, der sinnlichen Beobachtung zugänglichen Erdraum findet er in dem mittelländischen Meerbecken, um welches diejenigen Völker sich einst bewegt haben, welche die Grundlage unserer späteren abendländischen Kultur geschaffen haben. Von diesem Becken des mittelländischen Meeres aus folgt er den Kulturströmen forschend nach und findet durch die Geschichte bestätigt, daß die Weltanschauung, nur in erfahrungsmäßiger Beobachtung fortschreitend sich entwickelt, aber nicht von einem, sondern von mehreren Urvölkern ausgehend; denn man erblickt im grauen Alterthume, gleichsam am äußersten Horizonte der historischen Vergangenheit, gleichzeitig mehrere leuchtende Punkte, von denen die Kultur strahlenförmig, zuweilen sich durchkreuzend, ausgegangen ist, wie in Aegypten, Babylon, Ninive, Kaschmir, Iran und China. – Humboldt sagt bei dieser Gelegenheit: »Diese Centralpunkte erinnern unwillkürlich an die größeren unter den funkelnden Sternen des Firmamentes, an die ewigen Sonnen der Himmelsräume, von denen wir wol die Stärke des Glanzes, nicht aber (einige wenige ausgenommen) die relative Entfernung von unserem Planeten kennen.«
Indem Humboldt, seiner erfahrungsmäßigen Forschungsmethode folgend, das Mittelmeer als den Punkt auffaßt, von wo aus er die Geschichte seiner physischen Weltanschauung beginnt, indem er im Mittelmeere drei geschlossene, an einander grenzende kleinere Becken: das ägäische, jonische und tyrrhenische unterscheidet und in diesen Formen des dreimal verengten Mittelmeeres einen großen Einfluß auf früheste Beschränkung und früheste Erweiterung phönizischer und griechischer Entdeckungsreisen anerkennt, und indem er die physische Gestalt der Küsten als bedeutsam für den Gang der Begebenheiten, die Richtung von Seeunternehmungen und den Wechsel der Meeresherrschaft, als kulturbefördernde Mittel, nachweist, geht er historisch den Wegen frühester Kultur des Hellenenthums nach, das seine Schifffahrtsversuche in nordöstlicher Richtung durch den Argonautenzug nach Kolchis, gegen Süden durch die Ophirfahrten und gegen Westen durch Coläus von Samos bekundet und dessen Feldzüge unter Alexander dem Großen neue Kulturwege und Erweiterungen des Ideenkreises eröffneten, indem neue große Theile des Erdbodens durch Eroberung, griechische Sprache und Literatur in den Kreis eines allgemeineren gebildeten Bewußtseins eingeführt wurden. – Das Griechenthum beförderte die Volksvermischung vom Nil bis zum Euphrat, vom Iaxartes bis zum Indus; die Erweiterung der Weltansicht, durch Beobachtung der Natur wie durch Verkehr mit alten kultivirten und gewerbtreibenden Völkern, machte Riesenfortschritte.
Nachdem Humboldt die zunehmende Weltanschauung unter den Ptolomäern, nach Auflösung des macedonischen Weltreiches, weiter verfolgte und den Verkehr Aegyptens mit fernen Ländern, die Untersuchungsreisen in Aethiopien, die fernen Strauß- und Elephantenjagden, die Menagerieen in den Königshäusern von Bruchium etc. als Anregungen zum Studium der Naturgeschichte und mitwirkend zu der wachsenden Fülle der Anschauungen (die man während dieser Epoche der Ptolomäer und der alexandrinischen Schule weniger durch Selbstbeobachtung des Einzelnen, als durch Anordnung, Vergleichung und Verständniß des längst Gesammelten zu verarbeiten suchte) erkannt hatte, wies er zugleich auf die damalige Stiftung des alexandrinischen Museums und zweier Büchersammlungen hin, als auf Erfolge praktischen Sinnes, vergleichenden Beobachtens und einer Verallgemeinerung der Naturansichten jener Zeit. Es war, wie Humboldt erklärt, das Zeitalter der »encyklopädischen Gelehrsamkeit«, einer Verbindung der Erd- und Himmelskunde, wo man astronomische und geographische Fortschritte machte, die Bewegungen der Planeten genauer kennen lernte, aber dabei in der Kenntniß von der absoluten Größe, Gestaltung, Masse und physischen Beschaffenheit der Welt auf dem alten Standpunkte stehen blieb.
In der römischen Weltherrschaft erblickt Humboldt die erste Vereinigung der drei vorhin bezeichneten Becken des Mittelmeeres zu einem Staatsverbande, im Anschlusse anderer großer Ländermassen. – Der Einfluß eines großen Staatenverbandes auf die Ansichten vom Weltall wird von Humboldt genau gewürdigt; die verschiedenen, vorher einzeln fortrollenden Kulturströme sieht er hier vereinigt; Rom war das Centrum dieses neuen großen Kreises geworden; durch den Landhandel wurde die Erdkunde gefördert, Strabo und Ptolomäus standen auf als Pfleger geographisch-physischer und mathematischer Wissenschaft; es nahmen mathematische Optik und Chemie ihren ersten Anfang, und Plinius machte den ersten Versuch einer physischen Weltbeschreibung.
Nunmehr aber trat das Christenthum auf; – Humboldt erblickt darin die Ursache des allmählich auftretenden Gefühls von der Einheit des Menschengeschlechts, die hauptsächlichste Quelle der Humanität, der »Vermenschlichung der Völker in ihren Sitten und Einrichtungen.« – Nachdem er also in der Entwickelung der Erkenntniß vom Weltganzen die vier Hauptmomente: 1. die Versuche, aus dem Becken des Mittelmeeres gegen Osten nach dem Pontus und Phasis – gegen Süden nach Ophir und den tropischen Goldländern – gegen Westen durch die Herkulessäulen in den Ocean vorzudringen; 2. den Makedonischen Feldzug unter Alexander; 3. die Zeitalter der Lagiden (Alexandriens) und 4. die Römische Weltherrschaft – als Epochen dieser Geschichte der Weltanschauung auffaßt, erkennt er aber auch einen ferneren mächtigen Einfluß in dem Einfalle der Araber, welche ein fremdartiges Element in die europäische Civilisation brachten, so wie in den sechs bis sieben Jahrhunderte später eintretenden Weltentdeckungen der Portugiesen und Spanier. – Durch beide Einflüsse wurde das physische und mathematische Naturwissen, die Kenntniß von Erd- und Himmelsräumen bedeutend gefördert und erweitert. »Von jetzt an« – sagt Humboldt – »war die Erweiterung des kosmischen Wissens nicht mehr an einzelne politische, sondern räumlich wirkende Begebenheiten geknüpft.« Die Araber, ein semitischer Urstamm, traten nicht nur der Barbarei entgegen, sondern sie leiteten auf die Quellen griechischer Philosophie zurück und eröffneten der Naturforschung neue Wege, und Humboldt, welcher so schön nachgewiesen hat, daß das Leben der Völker, außer den inneren geistigen Anlagen, durch viele äußere Bedingungen des Bodens, des Klima's und der Meeresnähe bestimmt wird, erblickt auch in der ungleichartigen Gestaltung der arabischen Halbinsel einen wichtigen Grund des großen Weltverkehrs der Araber und des dadurch vermittelten Einflusses auf die Naturkenntniß, der durch den natürlichen Hang der Araber zum Umgange mit der Natur und ihren Kräften schnell begünstigt wurde. Sie kultivirten vor Allem die Arzneimittellehre und Chemie, und in letzterer gründeten sie eine neue wissenschaftliche Epoche. – Die Wichtigkeit der Chemie spricht Humboldt darin aus, daß durch sie die erste Kenntniß von der Verschiedenheit der Stoffe und von dem Wesen ihrer sich nicht sichtbar durch Bewegung verkündenden Kräfte erlangt, also, neben der Form, auch die Mischung der Stoffe Gegenstand des Wissens wurde: – Aber auch die Kenntnisse von der Erde im Innern des Festlandes fand durch die arabische Bildung eine ebenso bedeutende Erweiterung, als Astronomie und die mathematischen Wissenschaften überhaupt.
Jetzt trat aber das Zeitalter der oceanischen Entdeckungen ein; das fünfzehnte Jahrhundert bewegte alle Geistesbestrebungen nach einem gemeinsamen Ziele, es schloß die Anschauung des Mittelalters und bereitete eine neue Zeit vor. – Die westliche Hemisphäre der Erdkugel wurde eröffnet; die erste, wirkungslose Entdeckung Amerikas im 11. Jahrhundert würde durch Kolumbus zu einer neuen Entdeckung für. das Kulturleben. – Daß mit solcher Vorliebe Humboldt bei diesem Ereignisse und dessen Folgen in allen seinen Darstellungen weilt, ist erklärlich, wenn man aus den biographischen Grundzügen seines Lebens bereits die Anlagen und Motive davon kennt; wurde er doch selbst (im Gegensätze zu Kolumbus, dem geographischen Entdecker der amerikanischen Tropenländer) der wissenschaftliche Entdecker jener Länder genannt, knüpfte er doch sein eigenes Lebenswerk unmittelbar an die, durch jene oceanischen Entdeckungen gewonnenen Resultate physischer Weltanschauung an und half den Horizont um eine neue Welt erweitern. Humboldt's Name gehört deshalb in die Reihe der Namen: Albertus Magnus, Roger Baco, Vincenz de Beauvais – (als Vorbereiter der oceanischen Charte) Kolumbus und Gama. – Es sind diese beiden letzteren Männer die Eroberer des Raumes, auf welchem Humboldt die Finsterniß aufklärte und erst eigentlich das Land für die Wissenschaft auffand. – Aber außer Amerika wurde auch das stille Meer der Weltanschauung der Menschen eröffnet, es wurde dadurch nicht, allein die Gestalt der Westküste der neuen, nicht nur die Form der Ostküste der alten Welt bestimmt, sondern, wie Humboldt darthut, die numerische Größenvergleichung der Raumfläche des Festen und Flüssigen, des Landes und Meeres auf dem Planeten von irrigen Ansichten befreit und zugleich die Bedingung vieler anderer Erscheinungen, wie Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre, wechselnder Luftdruck, die Vegetationskraft der Pflanzen, die größere oder geringere Verbreitung gewisser Thiergeschlechter etc. erklärt. So wurde den westlichen Völkern Europa's die reichste Fülle des Materials zur Begründung der physischen Erdbeschreibung in einer ohnehin vielbewegten Zeit dargeboten, wo eine zahlreiche europäische Menschenmasse in den unmittelbarsten Verkehr mit einer freien, neuen und großartigen Tropennatur in den amerikanischen Ebenen und Gebirgsländern trat. (Man vergleiche: Humboldt's kritische Untersuchungen über die historische Entwickelung der geographischen Kenntnisse von der neuen Welt und der nautischen Astronomie im 15. und 16. Jahrhundert.)
Weil der Mensch, wie Vega sagt, in der Wanderung nach fernen Ländern Land und Gestirne gleichzeitig sich ändern sieht, so ist es auch in der Verknüpfung der Anschauungen begründet, daß wichtige Entdeckungen im Erdraume auch die Ansicht des Weltraumes, oder bestimmter: des Himmelsgewölbes erweitern mußten. – Durch die Anwendung vervollkommneter Fernrohre wurden neue Himmelsräume eröffnet, es ward eine neue Welt von Ideen hervorgerufen. Was Kolumbus am Erdraum für die Menschheit eroberte, das schloß fast gleichzeitig Kopernikus im Weltall auf, und das Fernrohr erweiterte den Kreis dieses menschlichen Eindringens in das Unendliche. Kepler erkannte die großen Kräfte der Weltkörper-Bewegung, welche Kopernikus ahnte, und die große Lehre von der Gravitation (Schwerkraft, Massenanziehung), welche Newton aufstellen konnte, verwandelte endlich die physische Astronomie nunmehr in eine Mechanik des Himmels.
Wir können Humboldt in seinen Darstellungen aus der Entwickelungsgeschichte der Sternkunde von Galiläi bis Kepler und der mathematischen Epoche von Newton bis Leibnitz nicht spezieller folgen, weil hier derselbe weniger sein individuelles Forschungsgebiet betreten hat, sondern nur die Resultate der Vorgänger in seinem Geiste zusammenstellt. Mit den Entdeckungen seiner Zeitgenossen aber ist Humboldt innig verknüpft, denn er hatte an allen Fortschritten der Naturanschauung entweder einen direkt fördernden oder einen mittelbar anregenden Antheil. Deshalb ist seine Mitwirkung an der Kenntniß des Himmels- und Erdraumes, am »kosmischen Wissen« hellleuchtend hervorgetreten in den großen Lehrgebieten über Wärme, Licht, Magnetismus und über alle die bedeutenden Weltkräfte, deren näheres Verständniß ein geistiger Triumph der neuern Zeit geworden ist.
Blicken wir noch einmal auf die Grundresultate zurück, welche Humboldt in Auffassung der sich entwickelnden Naturanschauung und deren historischen Vermittelungen gewonnen und am Abend seines reichen Lebens übersichtlich zusammengestellt hat, so müssen wir auch in diesem Bilde seiner geistigen Thätigkeit die Universalität bewundern, womit er den Zusammenhang der manchfaltigsten Thatsachen aufzufinden und in ein klares Licht zu stellen wußte. Denn zu solchem Blicke über eine Entwickelungsgeschichte der Naturanschauung gehört eine Höhe des Standpunktes, von der man das Urvolksleben, das klassische Alterthum und die bis in unsere Zeit reichenden Jahrhunderte geistig zu überschauen vermag. Er ist der Ueberzeugung: »daß die geschichtliche Kenntniß der allmählichen Erweiterung des Naturwissens in beiden Sphären, der Erd- und Himmelskunde, an bestimmte Perioden, an gewisse räumliche und intellektuell wirkende Ereignisse gebunden ist, die jenen Perioden Eigenthümlichkeit und Färbung verleihen.« – Und um es schließlich noch einmal anzudeuten, so fand Humboldt ein solches Ereigniß in den Unternehmungen, welche in den Pontus führten und jenseits des Phasis ein anderes, noch unbekanntes Seeufer ahnen ließen; er sähe ein solches Ereigniß in den Expeditionen nach tropischen Gold – und Weihrauchländern, in der Durchschiffung der westlichen Meerenge und Eröffnung der großen Seestraße der Völker, auf welcher sie weiter zogen und sowol die Hesperiden, als die nördlichen Zinn- und Bernstein-Inseln, sowie die vulkanischen Azoren und endlich das neue Kolumbusland entdeckten. – Mit dieser letzteren Entdeckung einer ganzen neuen Erdhälfte, welche seither dem Völkerbewußtsein verschlossen und unbekannt gewesen war, sieht Humboldt die Reihe der Ereignisse und Begebenheiten, welche plötzlich den Horizont der Ideen erweiterten und sowol zum Forschen nach physischen Gesetzen angeregt, als das Streben nach endlicher Umfassung des Weltganzen geweckt haben, für geschlossen, und er ist der Ueberzeugung, daß von jetzt an die großen ferneren Resultate als eine Wirkung eigener innerer Kraft der Intelligenz gleichzeitig nach allen Richtungen gewonnen werden, ohne ferner der Anregung durch Ereignisse und Begebenheiten zu bedürfen. – Denn er sieht in dem allgemeinen und erfolgreichen Bemühen des neunzehnten Jahrhunderts: den Blick nicht allein auf das Neuentdeckte und Neuerrungene zu beschränken, sondern vielmehr auch alles überliefert erhaltene oder früher gesammelte Material nach Maß und Gewicht streng zu prüfen, das früher nur aus Aehnlichkeiten durch allgemeine Schlüsse Erkannte noch einmal zu sondern und das Ungewisse vom Gewissen zu trennen und alle Naturwissenschaften kritisch zu behandeln – das große Förderungsmittel, um die jedesmaligen Grenzen der einzelnen Wissenschaften kenntlich zu machen, vorgefaßte Meinung von Wahrheit zu unterscheiden und die Fortschritte der Erkenntniß auf eine wahrhaft thatsächliche Weise lebendig und praktisch in das Leben einzuführen.
So haben wir es denn versucht, sowol aus der Geschichte von Humboldts Leben, wie aus den in seinem Sinne und nach seinen Thatsachen gedeuteten Anschauungen vom Leben der Welt, ein treues und geistiges Bild von der Persönlichkeit des großen Forschers zu geben, der auf den Bildungsstand der Gegenwart einen so gewaltigen und umfassenden Einfluß geübt hat, daß Tausende seiner Zeitgenossen längst unter den wohlthätigen Folgen dieses Einflusses gelebt und sich selbst entwickelt haben, ohne es immer zu wissen; denn ein Mann, der die Welt mit klarem Auge durchblickt und seiner Mitwelt deutet, ist eine Sonne, die alle Gebiete des Lebens erleuchtet und deren wohlthätige Wirkung Jeder erfährt, der unter ihr, und wäre es auch in den engsten Grenzen des Daseins, fühlt und denkt. – Und wo wir uns der Aufklärung, der Naturfreundschaft, des Verständnisses der Welt und unseres eigenen Geschlechts als eines Gliedes der Erdschöpfung freuen, da mahnt uns das dankbare Gefühl der Erkenntniß an den Namen:
»Alexander von Humboldt!«
Leipzig, Druck von Giesecke & Devrient.