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Viertes Kapitel.

Caracas – Besteigung des Silla-Gebirges. – Wanderungen in die Ebenen nach San Fernando de Apure. – Der Kuhbaum. – Die Llanos. – Der Zitteraal. – Die Wasserfahrt auf dem Apure. – Stromfahrt auf dem Orinoco. – Schildkrötenfang. – Die Wasserfälle von Atures und Maypures. – Rio Negro. – Rückfahrt auf dem Cassiguiare in den Orinoco. – Die Höhle von Ataruipe. – Angostura.


Der Aufenthalt Humboldt's in Caracas dauerte zwei Monate; eine ernste und düstere Stadt erschien ihm beim ersten Anblicke dieser Obergerichtssitz, in dessen städtischem Gebiete über 30,000 Menschen wohnten. Fast als hätte das spätere furchtbare Schicksal, welches diese Stadt 1812 betraf, wo ein Erdbeben 12,000 Einwohner unter den Trümmern ihrer Häuser begrub, schon vorahnend in Humboldt's Seele eine unheimliche Wirkung ausgeübt, so ernst betrat er diesen Boden; abendliche Nebel senkten sich von den Bergen in die Thäler herab und Humboldt glaubte sich beim ersten Anblicke auf das mit Fichten- und Eichenbäumen bewachsene Harzgebirge versetzt. – Dagegen nennt er das Thal von Caracas ein Paradies, eine Wohnstätte des ewigen Frühlings, wo eine, selbst Nachts, nicht unter 18 Grad fallende Temperatur herrscht und Pisang, Pomeranze, Kaffeestrauch, Apfelbaum und Feige neben einander üppig gedeihen. Der düstere Eindruck des ersten Anblicks von Caracas wich sehr bald aus Humboldt's Gemüth, als er die Schönheiten der Thäler erkannte, namentlich aber, als er den erfreulichen Eindruck empfand, den die Einwohner auf seine Seele machten, denn – mag die Natur noch so üppig sein, der Mensch in ihr ist immer ihre bedeutendste und interessanteste Erscheinung. Hier aber fand Humboldt statt geräuschvollen, bunten Treibens, ein wohlthuendes Familienleben, welches Offenheit, herzliche Heiterkeit und feine Sitte erzeugt, obgleich sich im Allgemeinen die Bewohner in zwei Klassen schieden, die entweder als starre Anhänger der alten Vergangenheit oder als Vertreter einer neuerungssüchtigen, fremdem Einflüsse offenen Gegenwart und reformirenden Zukunft sich darstellten.

Das nächste wissenschaftliche Interesse, welches Humboldt hatte, war die Besteigung der Silla, eines bedeutenden Gebirges, welches Niemand von den darunter wohnenden Leuten bis jetzt bis zum Gipfel bestiegen hatte, weshalb es schwer wurde, Führer dahin zu bekommen, denn die Jäger kommen so hoch nicht und Humboldts Absicht, Pflanzen zu sammeln, Steine zu brechen und Barometer- und Thermometer-Beobachtungen anzustellen, waren hier zu Lande gänzlich unbekannte Dinge, deren Nützlichkeit man nicht für werth genug hielt, einen beschwerlichen Weg darum zu unternehmen. Mit Hülfe des Gouverneurs erhielt Humboldt endlich einige Neger als Führer angewiesen. Da es gerade in der Jahreszeit war, in welcher selten zwei heitere Tage aufeinander folgen, so entschloß man sich, die Reise an einem Tage anzutreten, wo die Wolken sich gesenkt haben würden und man, nach der Erfahrung der Leute, alsdann auf eine baldige durchsichtige, klare Luft hoffen durfte. Ein solcher Tag war der 22. Januar 1800. Der Neuheit wegen halten sich noch sechzehn Personen dem Unternehmen der beiden europäischen Reisenden angeschlossen und man machte sich gegen Abend auf die Wanderung, um dem Berge fürerst so nahe als möglich zu kommen und am nächsten Morgen sogleich mit ungeschwächten Kräften die Besteigung beginnen zu können. Man gelangte in die Nähe einer Schlucht und übernachtete in einer Kaffeeplantage. Da es eine schöne, ziemlich helle Nacht war, so benutzten Humboldt und Bonpland dieselbe zu astronomischen Beobachtungen.

Am andern Morgen früh um fünf Uhr setzte man sich auf schmalen Fußwegen in Bewegung, gefolgt von Sklaven, welche die Instrumente tragen mußten. Man glaubte den Weg bis zur Silla-Höhe in etwa sechs Stunden vollenden zu können, täuschte sich aber sehr und die Beschwerlichkeiten, welche sich immer mehr darboten, wurden anfangs durch die überraschenden Naturschönheiten vergessen gemacht, die sich vor ihnen eröffneten; bald aber steigerten sich die Mühseligkeiten und Hindernisse so sehr, daß Muth und Ausdauer herausgefordert wurden und bereits einige der Begleiter des ermunternden Zuspruchs bedurften.

Das Vorgebirge der Silla, von den Hirten »Puerta de Silla« genannt, war gegen sieben Uhr erreicht; der Morgen war schön und kühl, der Himmel schien dem Unternehmen günstig, die Aussicht war malerisch; man hörte das Geräusch der Wasserfälle, ohne den Bergstrom zu sehen, der sich unter dem dichten Schatten der Erythrien und Clusien (dort gedeihender Pflanzen) und der indianischen Feigenbäume verbirgt; es gab nichts Schöneres in einem Erdstriche, der reich an Gewächsen mit großen, glänzenden und zähen Blättern ist, als dieser Blick auf die in großer Tiefe unter den Reisenden befindlichen und von beinahe blendenden Sonnenstrahlen beleuchteten Baumgipfel! –

Der Weg wurde indessen immer steiler und schwieriger die Bodenfläche war mit kurzem Grase bedeckt, welches dem Fuße keinen festen Anhalts- und Stützpunkt darbot; es war unmöglich, Fußspuren auf diesem Boden zurückzulassen. Leichte Dunststreifen zogen aus den Wäldern hervor und kündigten Nebel an; die Dünste sammelten und kräuselten sich als Wolkenlocken um die beiden Häupter der Silla, als Vorzeichen eines noch dichtern Nebels. – Die Begleiter Humboldt's verloren den Muth und machten Miene zur Rückkehr; – um so mehr aber kontrastirte mit dem Ernste der Indianer, welche einst in den Missionen von Caripe Humboldt's Führer gewesen waren, die trauliche Geschwätzigkeit der ihn jetzt begleitenden Neger-Creolen, die sich über die muthlos gewordenen Wegweiser lustig machten und namentlich einen jungen Kapuzinermönch, der zugleich Professor der Mathematik war, verspotteten. Dieser dünkte sich beim Aufbrechen der Reisegesellschaft – wie alle Europäer thun – jedem Amerikaner an Kühnheit, Kraft und Geistesfähigkeit überlegen, hatte sogar Streifen von weißem Papier mitgenommen, um, als der Erste der Bergsteiger, dieselben von Strecke zu Strecke auszuwerfen und den etwaigen Nachzüglern den Weg damit anzudeuten. Seinen Ordensbrüdern hatte er, der vorher von seiner Kühnheit und Ausdauer sehr geprahlt hatte, versprochen, in der Nacht oben auf der Silla einige Raketen zu werfen, um der ganzen Stadt Caracas das Gelingen eines Unternehmens zu verkündigen, dessen Wichtigkeit er allein nur zu begreifen fähig sei. Aber dieser Prahler verlor noch weit früher den Muth als die Creolen, und blieb Tages über auf halbem Wege in einer nahen Pflanzung zurück, um von hier aus durch ein Fernrohr zu beobachten, wie hoch Humboldt mit den Uebrigen die Silla hinangeklettert sei.

Man schlug den Weg zunächst nach der östlichen höchsten Spitze der in zwei rundliche Gipfel endenden Silla ein. Vom Fuße des Wasserfalles Chacaike bis zu einer Höhe von 6000 Fuß fand man nur Kuhweiden (Savanen) mit zwei kleinen, lilienartigen, gelbblümigen Gewächsarten, nebst einigen Brombeersträuchen. Vergebens suchte Humboldt nach einer wilden Rose – die er überhaupt (bis auf eine Species auf den Bergen Mexiko's im 19. Breitegrade, die Montezuma-Rose genannt) im tropischen Amerika nicht fand. – Die fernere Wanderung wurde nunmehr sehr durch den Nebel beschwerlich gemacht, zumal man sich beim Erklimmen der steilen und schlüpferigen Anhöhen auch der Hände bedienen mußte. – In einer Höhe von mehr als 5500 Fuß gewährte der Anblick eines ganzen Palmenwäldchens in einer Schlucht einen überraschenden Gegensatz zu den unten im Thale ausgestreuten Weiden; – nirgend traf Humboldt eine so manchfaltige Verschiedenheit der Pflanzen auf verhältnißmäßig kleinem Raume, wie hier in diesem Palmenwäldchen von Pejoal, das namentlich durch ein 10-15 Fuß hohes Staudengewächs aus der Familie der Dolden – welches die Creolen: Weihrauch ( Incienso) nannten – interessant wurde. – Während Humboldt die Pflanzen untersuchte, wurde der Himmel immer dunkler, das Thermometer sank unter 11 Grade, was in der heißen Zone schon eine empfindliche Kälte verursacht. Man stieg höher durch die Gruppen der von Humboldt so bezeichneten »Alpenpflanzen«, abermals in eine Kuhweide ( Savane) und kletterte über einen Theil der westlichen Bergkuppel, um in die Schlucht zwischen beiden Spitzen, den sogenannten Sattel, hinabzusteigen. Der ungemein kräftige Pflanzenwuchs gestattete nur mit Mühe einen Pfad zu brechen, der nur mit Beilen und Messern im dichten Baumgehölze durchschnitten und durchhauen werden konnte. – Von Zeit zu Zeit zerriß das Gewölk und man sah den östlichen Pik des Berges, aber plötzlich verfinsterte ein dichter Nebel alle fernere Aussicht. Jeder Schritt brachte neue Gefahr, an den Rand der ungeheuern Felsmauer zu gerathen und beinahe senkrecht 6000 Fuß tief in das Meer hinabzustürzen. – Man mußte Halt machen; die Neger trafen mit Lebensmitteln bald, darauf ein; man hielt eine kurze Mahlzeit, denn es fehlte an Speise und es gab nicht mehr als Oliven und etwas Brot. Selbst die Führer hatten nun allen Muth verloren, und Humboldt hatte große Mühe, sie von der Rückkehr abzuhalten.

Es war zwei Uhr Nachmittags und Humboldt hatte die Hoffnung, noch vor Sonnenuntergang die östliche Spitze zu erreichen und noch früh genug zwischen die beiden Spitzen in das Thal zum Nachtlager zu gelangen. Die Hälfte der Begleitung hatte er, mit dem Befehle zurückgeschickt, ihm am folgenden Tage, statt mit Oliven, mit Pökelfleisch und anderen erfrischenden Nahrungsmitteln entgegen zu kommen. Kaum waren diese Vorkehrungen getroffen, als sich ein heftiger Ostwind erhob und in weniger als zwei Minuten das Gewölk verscheuchte. Man erblickte die beiden nur mit Gräsern und niederen Befaria-Stauden bewachsenen Spitzen der Silla in überraschender Nähe. (Den Mangel hoher Bäume auf den. beiden Felsengipfeln der Silla hält Humboldt – da die Baumgrenze in dieser Zone noch um 2400 Fuß höher liegt – in der Unfruchtbarkeit des Bodens begründet, so wie in der Heftigkeit der Seewinde und den auf allen Gebirgen der Aequinoctialländer so häufigen Waldbränden).

Es wurde nunmehr Aufgabe, um die höchste, östliche Spitze zu erreichen, sich dem äußerst steilen, gegen die Meeresküste geneigten Abhange zu nähern; die Hindernisse, welche seither die dichtwachsende Vegetation veranlaßt hatte, verminderten sich in gleichem Grade, je näher die Reisenden an den Gipfel kamen, zuvor mußten sie aber erst hart am steilen, gefährlichen Abhange des Felsen vorbei. In drei Viertelstunden hatten sie den Gipfel der östlichen Pyramide erreicht – sie standen 8100 Fuß hoch über dem Meere. Die Aussicht, nördlich über das Meer, südlich über das fruchtbare Thal von Caracas im Umkreise von fast dreißig Meilen, war überraschend schön,

Hier erlebte Humboldt mit seinem Freunde einen gleichen Genuß, wie einst vor sieben Monaten auf dem Pik von Teneriffa; er verband die Sinnenfreude der überraschend schönen Aussicht in eine neue Landschaft mit der geistigen Thätigkeit naturwissenschaftlicher Forschung und höherer Auffassung des Einzelnen im Verhältniß zum Ganzen. – Und von der Höhe des Berges schaute er in eine Landschaft, wo die wilde Natur gebot, ohne von dem Menschen und der Civilisation beherrscht zu sein. Da stand Humboldt am Rande eines über 8000 Fuß tiefen Abgrundes, allmählich tiefer in den abendlichen Nebel gehüllt, und konnte sich nicht eher von diesem Platze losreißen, bis die Vorsicht und die Natur selbst ihn an die Rückkehr mahnten. Die steile Höhe, von der man zwar die Stadt Caracas nicht sehen konnte, da sie von der westlichen Bergspitze bedeckt wurde, aber die weite Landschaft von Dörfern und Kaffeeplantagen und der Lauf des Flusses Rio-Guayra sich dem Blicke darbot, umhüllte sich jetzt mit neuem dichten Nebel; Schwärme kleiner Bienen umgaben die kühnen Eindringlinge in diesen, seither von Menschen noch nie besuchten Regionen. Es wäre unvorsichtig gewesen, in der undurchdringlichen Nebelfülle an einem tiefen Abgrunde länger zu verweilen. Man trat, da die physikalischen Beobachtungen ohnehin schon um halb fünf Uhr von Humboldt beendet waren, den Rückweg an und zwar nach dem sogenannten »Sattel«, jener Schlucht, welche beide Bergspitzen von einander trennt. Abends zehn Uhr langte man in der Schlucht an, aber auf einem sehr beschwerlichen Wege und unter den größten Mühseligkeiten. Da man nämlich, in freudiger Stimmung über den Erfolg der Reise, den anfänglichen Plan, in dem Sattelthale zwischen beiden Bergspitzen zu übernachten, aufgab und den beim Heraufsteigen gehauenen und gebahnten Pfad wieder gefunden hatte, setzte man den Rückweg muthig fort, was den ermüdeten Führern sehr unwillkommen war, die deßhalb, als man in das Palmwäldchen von Pejoal niederstieg, die Instrumente ablegten und, Einer nach dem Andern, heimlich davon schlichen, um sich zwischen den Felsen eine Schlafstelle zu suchen. Humboldt und Bonpland mußten nun unter Durst und Ermüdung ihre Instrumente selbst tragen; da aber auf die kurze Dämmerung eine schöne mondhelle Nacht folgte und nur zeitweise Gewölk über den glänzenden Himmel zog, so konnten Ermattung und Last beide Forscher nicht abhalten, die Mondhelle und den Rückweg zu benutzen, um auch jetzt noch interessante Pflanzen zu sammeln. – Nach sechsstündigem Absteigen kamen sie endlich in dem am Fuße des Berges liegenden Meierhofe an; – von der Stadt aus hatte man sie durch Fernröhre oben auf dem Gipfel der Silla beobachtet. –

Wir haben diese Wanderung hervorgehoben, um jene muthige Ausdauer im Charakter Humboldt's zu zeigen, welche nicht vor Mühseligkeit und Gefahr zurückschreckt, sondern sich einzig und allein von dem Interesse an der Wissenschaft und Erweiterung seiner Lebensanschauungen bestimmen läßt. Deßhalb war es auch nur die Eigenthümlichkeit einer interessanten Gegend und der Drang, sich mit Gestalt und Naturreichthum derselben bekannt zu machen, welcher ihn keine ungewöhnliche Entfernung achten und berücksichtigen ließ, als er Caracas verließ, um in die weiten, von Menschen wenig betretenen Ebenen (Llanos) des Orinoco- und Amazonenstromes zu reisen. – Nicht den kürzesten Weg wählte er dahin, denn sein für Natur und tropische Landschaftsschönheilen so empfänglicher und fein organisirter Sinn wollte die Eindrücke der schönen Thäler von Apogua nicht entbehren, zumal auch sein Wissenschaftseifer ihn antrieb, merkwürdige Theile der Küsten-Gebirgskette mittelst des Barometers in ihrer Höhe zu prüfen und den Fluß Rio Apure, der die weiten Ebenen durchfließt, bis zu seiner Einmündung in den Orinocostrom hinabzufahren. Und diese Absicht führte ihn auf die Berge von Los Taquos, an die warmen Quellen von Mariara, an die üppigen Ufer des Valenciasee's und durch die weiten Viehweiden von Calabozo in den östlichen Theil der Provinz Varinas nach San Fernando de Apure am gleichnamigen Flusse Rio Apure. –

Auf diesem Wege fand Humboldt's Forschersinn eine bedeutende Ausbeute, denn was ein gewöhnlicher Wanderer vielleicht nur mit dem Gemüthe genossen, oder als ein vereinzeltes Objekt übersehen oder auch als eine fremde Erscheinung vorübergehend bewundert und als Seltenheit ausgenommen haben würde, das waren für Humboldt zusammenhängende Theile eines großen Ganzen, das sein geistiger Blick überschaute. Was er hier Ungewöhnliches fand, vermochte er oft durch seine Erfahrungen in der europäischen Natur zu deuten, was ihm dort unverständlich geblieben war, das wußte er hier in der tropischen Welt aus der Gleichheit gemeinschaftlicher Ursachen und Gesetze zu erklären. So fand sein geologisches Studium schon in der Nähe des Dorfes Antimano reiches Material; seine Unverdrossenheit in Entbehrung der Bequemlichkeit sollte sich dadurch abermals bewähren, daß er in einer Zuckerpflanzung neben fröhlich lärmenden Negern auf einer Ochsenhaut am Boden sein Nachtlager aufschlagen mußte und doch schon, bei Sonnenaufgang wieder die Berge erklimmte, und während er von der hohen Gebirgsgruppe Higuerote westlich in die Thalgründe des kleinen Dorfes San Pedro niederstieg und die hier bei der Tabakspacht angestellten spanischen Europäer laute Klagen und Verwünschungen über das unselige Land, in dem sie zu leben gezwungen seien, ausstoßen hörte, da mußte Humboldt, der von der wilden Schönheit der Gegend, dem milden Klima und fruchtbaren Boden hoch begeistert war, recht lebhaft fühlen, daß die Natur nur für Denjenigen ihre Reize enthülle, der in einem innigeren Einverständnisse mit ihr stehe. –

Sein Weg führte ihn während des Februarmonats 1800 durch die Thäler des Tuy, wo er den Zuckerpflanzungen zu Manterola, dem Goldschachte, den Getreidefeldern (auf denen die Besitzer eine zwanzigfache Erndte als mäßigen Ertrag erzielen), den berühmten Zamang-Bäumen mit ihren riesigen Zweigausbreitungen, den Colonien in Hacienda de Cura (wo er mehre Tage die Lebensweise eines wohlhabenden Landeinwohners mitmachte, nämlich alle 24 Stunden zwei Bäder, drei Mahlzeiten und drei Schlafzeiten abhielt), ferner den Baumwollenpflanzungen bei Cura und überhaupt der Landwirthschaft seine Aufmerksamkeit zuwandte und dann an den Valenciasee gelangte, wo er, mitten unter den Erzeugnissen einer fremden Natur, an die Seegestade des Waadtlandes erinnert wurde; – obgleich die Natur unter jeder Zone, in der wilden oder bebauten Landschaft, immer in eigenthümlichem Charakter erscheint, fühlt doch das Gemüth, ohne in die Vergleichung des Einzelnen einzugehen, was Sache der Wissenschaft bleibt, gar zu gern und leicht das allgemein Verwandte in der Wirkung heraus. – An diesem See stellte Humboldt interessante Untersuchungen über die Abnahme des Wassers in demselben an, die er in der Zerstörung der Wälder, der Urbarmachung des Bodens in den Ebenen und dem Anbau des Indigo, neben Trockenheit der Luft und Bodenausdünstung begründet fand und wobei er veranlaßt wurde, weitere Beobachtungen über die Menge der Ausdünstungen anzustellen, was wieder für die Landwirthschaft wichtig wurde.

In der Nähe von Mariara fand Humboldt auch den hohen Baum »Volador,« dessen geflügelte Früchte er mit Bonpland sammelte und nach Europa schickte, und die in den Gärten von Berlin, Paris und Malmaison keimten; er selbst erklärt, daß alle gegenwärtig so zahlreich in den europäischen Treibhäusern vorkommenden Stämme des Volador sämmtlich von dem einzigen Baume dieser Gattung abstammen, welcher in der Nähe von Mariara von ihm gefunden wurde.

Die Tageshitze nöthigte Humboldt, seine am 21. Februar angetretene Reise nach Neu-Valencia nur des Nachts fortzusetzen. Nach sechs Tagen hatte er auf einem schönen, von Jaguar's gefährdeten, aber an Naturabwechselungen reichen Wege sowol jene Stadt als auch die drei Meilen davon entfernt liegenden warmen Quellen von Trinchera besucht und Porto-Cabello erreicht, welches er am 1. März wieder verließ, um sich über Calabozo, in den weiten, öden Ebenen von Caracas, nach dem ersten Ziele dieser Wanderung, San Fernando de Apure zu begeben.

Auf dem Rückwege von Porto-Cabello nach den schönen Thälern von Araguay kam Humboldt an eine Meierei Barbula, wo er den berühmten Kuhbaum, an dessen merkwürdigen Eigenschaften, die das Gerücht darüber verbreitete, er bislang gezweifelt hatte, wirklich zu sehen bekam und als einen Baum kennen lernte, der in der That auf Einschnitte eine vollkommen mild schmeckende Milch ergießt, die angenehm aromatisch riecht und den Negern eine gesunde Nahrung bietet. Wir erwähnen dieses Baumes in dieser Lebensdarstellung der Persönlichkeit Humboldt's noch besonders aus dem Grunde, weil Humboldt selbst erklärt, daß unter der großen Zahl merkwürdiger Erscheinungen, die ihm auf seinen Reisen vorgekommen sind, nur wenige einen, so lebhaften Eindruck auf ihn gemacht hätten, als der Anblick dieses Kuhbaumes, der in seiner Gestalt dem Sternäpfelbaume gleicht. Für solchen Eindruck wirkt schon die ganze Reihe von Vorstellungen und Gefühlen des Menschen von frühester Jugend mit; denn Alles, was auf Milch und Getreide Bezug hat, regt in dem Menschen eine Theilnahme an, die nicht nur im Drange nach Kenntniß natürlicher Dinge begründet liegt, sondern in dem Gefühle und der Vorstellung schlummert, daß ohne Milch, von der Mutterbrust an, gleichwie ohne Mehl, das Menschengeschlecht nicht hätte bestehen können. Daher schreibt sich auch die bei alten und neueren Völkern bestehende religiöse Verehrung des Getreides und des milchgebenden Thieres. Die Vorstellung, die Milch nur als ein thierisches Erzeugniß zu kennen, muß um so lebhafter vom Anblicke eines milchgebenden Baumes betroffen werden, als man an dessen Existenz bisher gezweifelt hatte – und so mußte auch Humboldt, der eine so offene Seele für den Gesammteindruck einer neuen Erscheinung besitzt, ohne diesen durch die wissenschaftliche Zergliederung zu beeinträchtigen, den wunderbaren Baum mit Erstaunen anschauen. Deßhalb giebt er sich diesem Eindrücke in den Worten der Schilderung desselben hin: »Es sind hier – sagt er – keine prachtvollen Schatten der Wälder, kein majestätischer Lauf der Ströme und keine in ewigen Schnee gehüllte Berge, die uns mächtig ergreifen. Einige Tropfen eines Pflanzensaftes erinnern uns an die Allmacht und Fruchtbarkeit der Natur. Am dürren Abhange eines Felsen wächst ein Baum, dessen Blätter dürr und zähe sind; seine dicken, holzigen Wurzeln haben Mühe, in das Gestein einzudringen; mehre Monate des Jahres befeuchtet kein erquickender Regen sein Laub, die Aeste erscheinen abgestorben und vertrocknet; bohrt man aber den Stamm an, dann entfließt ihm eine milde und nährende Milch. Bei Sonnenaufgang ist diese vegetabilische Quelle am reichsten; es kommen alsdann von allen Seiten Neger und Eingeborene, mit großen Näpfen versehen, um die Milch zu sammeln, welche gelb wird und sich auf der Oberfläche verdichtet. Einige leeren ihre Näpfe unter dem Baume selbst aus, Andere bringen das Gesammelte ihren Kindern – man glaubt den Haushalt eines Hirten zu sehen, der die Milch seiner Herde vertheilt.«

Die Wissenschaft, welche der Wirkung der Erscheinung bald in ihren Ursachen nachforscht, entzieht derselben allerdings das Wunderbare und vielleicht auch einen Theil des Reizes bei Demjenigen, der nur zu erstaunen und nicht zu forschen vermag. In Humboldt vereinigen sich aber erster Gefühlseindruck der Natur und scharfblickender Forschersinn für die natürlichen Gründe und Gesetze jeglicher Erscheinung zu einer höheren, harmonischen Anschauung, und der erste Anblick mit seinem Eindrucke auf das Gemüth gewinnt bei ihm stets einen neuen Hintergrund, den der Blick des Naturforschers eröffnet.

Eine frühere, bereits in Caracas gehegte Absicht, die östlichen Ausläufe der Cordilleren von Neu-Granada zu besuchen, gab Humboldt auf, um seine Reise an den Orinoco nicht lange zu verzögern, denn seine Hauptabsicht war jetzt, die Verbindung des Orinoco mit dem Rio Negro und dem Amazonenstrome zu erforschen. Am 6. März verließ er mit seinem Begleiter die Thäler von Araguay, um in den Steppen seine Wanderungen fortzusetzen, deren eigenthümlicher Charakter, im Gegensatze der afrikanischen Steppen, von ihm besonders aufgefaßt wurde. Er nahm seinen Weg durch die Viehweiden, diese mit riesenhaften Gräsern bewachsenen Ebenen, in denen mancher Jaguar sich birgt und kein Schatten den Reisenden erquickte, da die Palmbäume, die er hier traf, blätterarm und halb vertrocknet waren. Humboldt beobachtete hier die Zucht der Pferde und des Hornviehes, dessen große Herden hier in der öden Gegend wohnen und für die Häfen der Nordküste einen Ausfuhrartikel abgeben. Ueber Calabozo ging die Reise mitten in die Wüsten der Llanos von Caracas.

Diese Llanos, oder baumlosen, ungeheueren Ebenen des heißen Amerikas, verdienen eine nähere Schilderung, da sie uns eine Vorstellung von den Wanderungen geben, welche Humboldt und Bonpland mit den größten Mühseligkeiten in diesen eigenthümlichen Steppen zurückgelegt haben. Wir lassen Humboldt selbst das Gemälde derselben enthüllen. – »Tagereisen von einander entfernt,« sagt er, »liegen einzelne, mit Rindsfellen gedeckte, aus Schilf und Riemen geflochtene Hütten. Zahllose Schaaren verwilderter Stiere, Pferde und Maulesel schwärmen in der Steppe umher. Tausendjährige Wälder, ein undurchdringliches Dunkel erfüllen den feuchten Erdstrich, welcher die Wüste umgränzt – mächtige Granitmassen verengen das Bett der schäumenden Flüsse. Der Wald hallt wieder von dem Donner des stürzenden Wassers, von dem Gebrüll der Jaguars, vom dumpfen Geheul der Affen. Wo der seichte Strom eine Sandbank übrig läßt, da liegen mit offenem Rachen, unbeweglich, wie Felsstücke hingestreckt, oft mit Vögeln bedeckt, die plumpen Körper der Krokodile; – den Schwanz um einen Baumast zusammengerollt, lauert am Ufer, ihrer Beute gewiß, die tigerfleckige Boaschlange. Schnell vorgestreckt ergreift sie den näherkommenden jungen Stier oder das schwächere Wildpret, und zwingt den Raub, in Geifer eingehüllt, mühsam durch den schwellenden Hals. – Wenn aber unter den senkrechten Strahlen der nie bewölkten Sonne die verkohlte Grasdecke in Staub zerfallen ist, klafft der erhärtete Boden auf, als wäre er von mächtigen Erdstößen erschüttert. Gleich rauschenden Wasserhosen wirbeln entgegengesetzte Winde Staubwolken trichterförmig hervor – ein trübes, strohfarbiges Halblicht wird von der nur scheinbar niedrigen Himmelsdecke auf die verödete Flur geworfen – der Horizont tritt plötzlich näher – er verengt die Steppe, wie das Gemüth des Wanderers. Die heiße, staubige Erde, die im nebelartig verschleierten Dunstkreise schwebt, vermehrt die erstickende Luftwärme.

Während die Thiere im eisigen Norden durch Kälte erstarren, so schlummert hier unbeweglich das Krokodil und die Boaschlange, tief vergraben im trockenen Letten. – Ueberall verkündet Dürre den Tod, überall verfolgt den Dürstenden die trugvolle Luftspiegelung des wellenschlagenden Wasserspiegels. – In dichte Staubwolken gehüllt und von Hunger und brennendem Durste geängstigt, schweifen die Pferde und Rinder umher, diese dumpf aufbrüllend, jene mit langgestrecktem Halse gegen den Wind anschnaubend, um durch die Feuchtigkeit des Luftstromes die Nähe einer nicht ganz verdampften Lache zu errathen. – – Folgt auch auf die brennende Hitze des Tages die Kühlung der gleichlangen Nacht, so können Rinder und Pferde selbst dann nicht der Ruhe sich freuen. Ungeheure Fledermäuse saugen ihnen während des Schlafes vampyrartig das Blut aus und hängen, sich auf dem Rücken fest, wo sie eiternde Wunden erzeugen, in welche eine Schaar stechender Insekten sich einnistet. – Tritt endlich nach langer Dürre die wohlthätige Regenzeit ein, so verändert sich plötzlich die Scene. Das tiefe Blau des bis dahin nie bewölkten Himmels wird lichter. Kaum erkennt man bei Nacht den schwachen Schein vom Sternenbilde des südlichen Kreuzes. Der sanfte phosphorartige Schimmer der Magellanischen Wolken erlischt; selbst die über dem Scheitel schwebenden Gestirne des Adlers und Schlangenträgers leuchten mit zitterndem Lichte. – Wie ein entlegenes Gebirge erscheint einzelnes Gewölk im Süden nebelartig breiten die Dünste sich über den Zenith aus und ferner Donner verkündet den belebenden Regen … Kaum ist die Oberfläche der Erde benetzt, so überzieht sich die duftende Steppe mit den manchfaltigsten Gräsern. Vom Lichte gereizt, entfalten krautartige Mimosen die schlummernden Blätter und begrüßen die aufgehende Sonne, neben dem Frühgesange der Vögel und den sich öffnenden Blüten der Wasserpflanzen. Pferde und Rinder werden nun im frohen Genusse des Lebens. Im hochaufschießenden Grase versteckt sich der schöngefleckte Jaguar und erhascht katzenartig im leichten Sprunge die vorüberziehenden Thiere … Bisweilen sieht man an den Ufern der Sümpfe den befeuchteten Letten sich langsam und schollenweise erheben – mit heftigem Getöse, wie beim Ausbrechen kleiner Schlammvulkane, wird die aufgewühlte Erde hoch in die Luft geschleudert; – wer des Anblickes kundig ist, flieht die Erscheinung, denn eine riesige Wasserschlange oder ein gepanzertes Krokodill steigt aus der Gruft hervor, durch den Regenguß von dem Scheintode erweckt. – Schwellen nun allmählich die Flüsse, dann zwingt die Natur dieselben Thiere, welche in der ersten Jahreshälfte auf dem wasserleeren, staubigen Boden vor Durst verschmachteten, als Amphibien zu leben; ein Theil der Steppen erscheint nun wie ein unermeßliches Binnenwasser. – Die Mutterpferde ziehen sich mit den Füllen auf die höheren Bänke zurück, welche inselförmig über den Seespiegel hervorragen. Mit jedem Tage verengt sich der trockene Raum. – Aus Mangel an Weide schwimmen die zusammengedrängten Thiere stundenlang umher und nähren sich kärglich von dem blühenden Grase, das sich über dem braungefärbten, gährenden Wasser erhebt. Viele Füllen ertrinken, viele werden von den Krokodilen erhascht, mit dem zackigen Schwänze zerschmettert und dann verschlungen; nicht selten bemerkt man Pferde und Rinder, die, dem Rachen dieser blutgierigen Eidechsen entschlüpft, noch die Spur ihrer spitzigen Zähne im Schenkel tragen.

Wie aber Tiger und Krokodile in diesen Steppen mit Pferden und Rindern kämpfen, so sehen wir auch in einzelnen Theilen dieser Wildniß ewig den Menschen gegen den Menschen gerüstet. – Mit unnatürlicher Begier trinken die Völker das Blut ihrer Feinde – andere würgen sich, scheinbar waffenlos und doch zum Morde vorbereitet, mit vergiftetem Daumennagel. – Die schwächeren Horden von Menschen vertilgen, wenn sie, das sandige Ufer betreten, sorgsam vor den stärkeren Horden mit den Händen die Spur ihres schüchternen Trittes. So bereitet der Mensch auf der untersten Stufe thierischer Rohheit (ebenso wie im Scheinglanze höherer Bildung) sich stets ein mühevolles Leben; so verfolgt den Wanderer über den weiten Erdkreis, über Land und Meer – so wie den Geschichtsforscher durch alle Jahrhunderte – das einförmige, trostlose Bild des entzweiten Geschlechts! – Darum versenkt Derjenige, welcher im ungeschlichteten Zwist der Völker nach geistiger Ruhe strebt, gern den Blick in das stille Leben der Pflanzen und in das innere Wirken der heiligen Naturkraft; oder – hingegeben dem angestammten Triebe, der seit Jahrtausenden der Menschen Brust durchglüht – blickt er ahnungsvoll auf zu den hohen Gestirnen, welche in ungestörtem Eingänge die alte, ewige Bahn vollenden.«

Die Gewässer in der Gegend von Calabozo, welche sich in den Orinoco ergießen, so wie die Sümpfe sind mit Zitteraalen (Gymnoten) angefüllt, welche die Eigenthümlichkeit besitzen, bei der Berührung starke elektrische Schläge zu versetzen und Fische damit zu tödten, auch größeren Thieren und Menschen gefährlich zu werden. Humboldt und Bonpland wollten in ihrer Wohnung Versuche mit diesen Thieren anstellen, aber wegen der übertriebenen Furcht des Volkes vor der elektrischen Wirkung derselben konnten sie drei Tage lang kein Exemplar erhalten. Des vergeblichen Wartens überdrüssig und weil der Aal, welcher ihnen endlich gebracht worden war, keine Beobachtungsresultate lieferte, beschloß Humboldt selbst auf diesen eben so gefürchteten, wie gefährlichen Fang auszugehen. Er ließ sich mit Bonpland von Indianern nach einem großen, von wohlriechenden Gewächsen umgebenen Behälter mit schlammigem Wasser in der Nähe des Dorfes Rastro de Abazo führen – es wurde aber schwer, die Zitteraale mit gewöhnlichen Fischnetzen zu fangen, da sie sich mit großer Behendigkeit, gleich den Schlangen, in den Schlamm vergruben. Die Borbascowurzel, die, in den Sumpf geworfen, alle darin befindlichen Fische betäubt, wollte man nicht anwenden. Die Indianer erklärten nunmehr, sie wollten mit Pferden fischen, und erst, als die Führer eine Menge wilder Pferde und Maulthiere, die sie zusammengetrieben hatten, in den Sumpf zu gehen zwangen, konnte sich Humboldt mit seinem Freunde einen Begriff dieser »Fischerei zu Pferde« machen. – Der durch das Stampfen der Pferde verursachte Lärm scheucht nämlich die Zitteraale aus dem Schlamme hervor und reizt sie zur Gegenwehr; sie schwimmen auf die Oberfläche des Wassers und drängen sich unter den Bauch der Pferde und Maulthiere. Ein Kampf seltsamer Art beginnt – die Indianer, mit Harpunen und langen, dünnen Bambusstäben versehen, umzingeln den Sumpf, Einige steigen auf Bäume, deren Aeste sich horizontal über das Wasser ausdehnen. Durch wildes Geschrei und Drohen mit den langen Bambusstöcken hindern sie die Pferde, an das Ufer zu kommen und zu entfliehen. – Die Zitteraale, vom Lärm erschreckt, vertheidigen sich durch wiederholte Entladungen ihrer elektrischen Organe. Es scheint eine Zeit lang, als ob sie den Sieg gegen die Pferde davon tragen würden, viele Pferde erliegen der Kraft der unsichtbaren, elektrischen Schläge (welche die Aale auf den Bauch derselben und somit auf empfindliche Lebensorgane richten), und sinken, von der Menge und Stärke der Schläge betäubt, im Wasser unter. Mit gesträubter Mähne, schnaubend, mit wilder Angst im funkelnden Auge, stehen einige Pferde wieder auf und suchen zu entfliehen, aber die Indianer treiben sie in das Wasser zurück und nur einzelne entgehen den wachsamen Blicken der am Ufer stehenden Männer. Gelangt ein solches, den Schlägen des Zitteraales entronnenes Thier an das Land, dann strauchelt es bei jedem Schritte, dehnt sich matt und erschöpft und streckt die Gliedmaßen müde auf den Sand aus.

In den ersten fünf Minuten waren schon zwei Pferde ertrunken. Der fünf Fuß lange Zitteraal drängt sich unter den Bauch der Pferde und es erfolgt eine Entladung in der ganzen Länge seines elektrischen Apparates, die dem Pferde die Unterleibsnerven, Gedärme und Herz betäubt. Das Pferd sinkt betäubt nieder und ertrinkt, weil der fortdauernde Kampf zwischen den Aalen und den übrigen Pferden sein Aufstehen verhindert.

Schon wollte Humboldt nicht mehr daran zweifeln, daß dieser Fischfang mit dem Tode aller dazu gebrauchten Pferde enden würde – aber es ließ allmählich die Wuth des ungleichen Kampfes nach, die ermüdeten Zitteraale zerstreuten sich. Sie bedürfen, so erzählten die Indianer, einer langen Ruhe und reichlicher Nahrung, um wieder an Kraft zu sammeln, was sie durch öftere Entladung ihrer elektrischen Organe verschwendet haben. Die Pferde und Maulthiere erholten sich nach und nach von ihrem Schreck, ihre Mähnen sträubten sich nicht mehr, ihre Augen funkelten nicht mehr so angstvoll. Die Indianer behaupteten, daß wenn die Pferde zwei Tage hintereinander in ein mit Zitteraalen gefülltes Sumpfwasser getrieben würden, keines derselben am zweiten Tage mehr zu Grunde gehe. – Die Zitteraale näherten sich nunmehr furchtsam dem Ufer, wo sie durch kleine, an langen Stricken befestigte Harpunen gefangen wurden. Wenn die Stricke völlig trocken waren, so fühlte man, während des Emporhebens des Fisches, keine elektrische Erschütterung, wol aber fühlte man eine solche durch die nassen Stricke hindurch. In wenigen Minuten wurden nun fünf große Zitteraale gefangen, die meistens nur leicht verwundet waren – und andere wurden gegen Abend auf ganz gleiche Weise eingefangen. Dieses war der wunderbare Kampf der Pferde und Fische, und Humboldt setzt hinzu: »Was unsichtbar die lebendige Waffe dieser Wasserbewohner ist, was durch die Berührung feuchter und ungleichartiger Theile erwacht, in allen Organen der Thiere und Pflanzen umtreibt, was die weite Himmelsdecke donnernd entflammt, was Eisen an Eisen bindet und den stillen, wiederkehrenden Gang der leitenden Nadel lenkt … Alles – wie die Farbe des getheilten Lichtstrahls – fließt aus einer Quelle, Alles schmilzt in eine ewige, allverbreitete Kraft zusammen!«

Am 27. März 1800 traf Humboldt mit seiner Begleitung in San Fernando de Apure ein, nachdem er zwei Tage vorher ohne Wegspuren die große Ebene der Caracassteppe durchwandert war, auf der das Auge bis zum Horizonte keinen auch nur fünf Zoll hohen Gegenstand erblickt. Unerwartet hatte er dort eine kleine Kapuzinergemeinde in der Oede angetroffen. Die drei Tage, welche er in San Fernando zubrachte, benutzte er zur nähern Ortsbekanntschaft mit dieser von Ueberschwemmungen oft heimgesuchten, an Unterägypten erinnernden Gegend, wo Orinoco- und Amazonenstrom durch ein eigenthümliches Wassersystem ihre natürlichen Verbindungen finden; es trat gerade die Regenzeit mit zahlreichen Gewittern ein, als deren Folge dann die Ueberschwemmungen sich einzustellen pflegen, und obgleich für Humboldt die atmosphärischen Erscheinungen dieser Zeit ein interessanter, fesselnder Gegenstand seiner Forschungen wurden, so veranlaßte ihn der Regen doch, daß er seinen Weg auf dem Apure-Flusse selbst mit seinen Begleitern in einer Piroge, d. i. einem breiten Fahrzeuge, wie es die Indianer sich bauen, fortsetzte, das von einem Steuermanne und vier Indianern bedient wurde. So schifften sie, auf einen Monat mit Lebensmitteln, sowie mit Tauschmitteln für die Indianer am Orinoco versehen, den Strom hinab, der reich an Fischen, Seekühen und Schildkröten ist und an dessen Ufern ihnen die Vögel oft als Nahrung dienten. – Alles, was nur Bemerkenswerthes während dieser Stromfahrt dem beobachtenden Humboldt aufstieß, das zeichnete er auf. Er pflegte überhaupt Alles, was ihn interessirte, an Ort und Stelle niederzuschreiben, denn was man im Angesicht der Dinge selbst, die man schildern will, schreibt, das trägt den Charakter der Wahrheit, welcher denn auch in Humboldt's Schilderungen selbst den weniger wichtigen Dingen Reiz verleiht. Und je größer und imposanter sich die Natur darstellt, um so mehr sind seine Naturgemälde dem einfachen Charakter treu geblieben, welcher ja gewöhnlich die vorzüglichste Eigenschaft der ersten Entwürfe ist.

Humboldt's Absicht war es, den Apure hinab und den Orinoco, in den ersterer mündet, stromaufwärts, und dann in dem Rio Negro weiter zu fahren. Der Schwager des Statthalters von Varinas, Don Nicolas Sotto, begleitete ihn während dieser ganzen Reise und der liebenswürdige Charakter und muntere Geist desselben ließen die Reisenden oft die Beschwerden und Gefahren dieser Schifffahrt vergessen. – Und in der That wäre diese Stromfahrt, in einem Fahrzeuge, das nichts mehr als ein ausgehöhlter Baumstamm war, für einen weniger Beherzten kein angenehmer Weg gewesen, denn Tiger, Tapire, Pekarischweine scheuten die Nähe des ankommenden Kahnes nicht im mindesten; fast wie im Urzustande des Paradieses sahen Panther, Hokko (ein schwarzgefiederter Vogel) und Krokodile von 18 bis 22 Fuß Länge den Reisenden neugierig zu, und wenn diese des Nachts fuhren, dann gingen die Tiger auf Beute aus, vom Walde her heulten die Raubthiere, der Kahn stieß oft auf Bäume, die im Strome trieben, während zu anderer Zeit sich zwischen das Pfeifen der Raubvögel das Geschrei der Papageien mischte und kleine Affen am Ufer sich belustigend unterhielten.

Wir folgen dieser Wasserfahrt auf dem Apure, welche Humboldt der Eintönigkeit der Steppen vorzog, in ihren interessantesten Einzelnheiten. – Die breite Piroge wurde, wie gesagt, von einem Steuermanne und vier Indianern bedient. Der Apure nährt viele Fische, Seekühe und Schildkröten, seine Ufer wimmeln von Vögeln. Der Fluß wurde allmählich breiter – das eine Ufer war fast sandig, unfruchtbar, das andere mit hochstämmigen Bäumen bewachsen. Humboldt befand sich in einem Lande, das von Menschen wenig gekannt, ausschließlich von den Thieren der Wildniß bewohnt wurde. Zuweilen war der Strom auf beiden Seiten mit Waldung eingefaßt, zunächst mit Gebüschen des Sonso, welche eine vier Fuß hohe Hecke bilden, dahinter eine Art von Paternosterbäumen (Blutholz). Tiger, Tapire und Pekarischweine hatten sich in den Hecken Durchgänge gebrochen, um zum Trinken an den Strom kommen zu können. – Wo das flache Ufer eine größere Breite hat und die Sansohecken entfernter vom Strome stehen, da dient das Zwischenland den Krokodilen zum Aufenthalte, und man sah nicht selten acht bis zehn auf dem Sande gelagert, in unbeweglicher Stellung mit rechtwinklig geöffneten Kinnladen hingestreckt. – Und doch hatte die Stromfahrt erst begonnen und Humboldt wußte, daß noch viele Hunderte von Krokodilen im Schlamme der Savanen liegen würden! – Zudem versicherten ihm die rudernden Indianer, daß selten ein Jahr hingehe, wo nicht zwei oder drei erwachsene Personen, meist Weiber, die am Strome Wasser schöpfen wollten, den Krokodilen zur Beute würden. – »In diesen Einöden« – sagt Humboldt – »wo der Mensch mit der Natur im steten Kampfe lebt, ist das Tagesgespräch vielseitig auf die Mittel gerichtet, durch die man sich gegen die Nachstellungen eines Tigers, einer Boa und eines Krokodiles schützen mag; Jedermann rüstet sich so zu sagen gegen die drohenden Gefahren.« – Das Krokodil läßt seinen Raub fahren, wenn man ihm die Augen mit den Fingern drückt; hiermit hatte sich noch kürzlich ein junges Mädchen zu San Fernando aus dem Rachen des Thieres gerettet und nur den abgebissenen Vorderarm, eingebüßt. Das Krokodil am Apure ist im Angriffe schnell und stürmisch, erregt im Laufen einen dumpfen Ton, der vom Aneinanderschlagen seiner Hautschuppen herzurühren scheint. – Sie laufen allerdings gerade aus, aber können sich auch recht gut umdrehen. Humboldt sah oft Junge, die sich in den Schwanz bissen. Nur beim Schwimmen stromaufwärts wird ihnen das Umdrehen schwer und der große Hund, welcher Humboldt begleitete, entkam einem Krokodile dadurch, daß er sich schnell stromaufwärts umwendete.

In der Nähe von Joval, einer immer wilder werdenden Gegend, sah Humboldt einen sehr großen Tiger, in den Schatten eines Zamang hingestreckt, eine seiner Tatzen auf ein eben erst gefangenes Chiguire (von der Größe unserer Schweine) ausgekrallt. Die Zamures (eine Art Geier) hatten sich um ihn versammelt, um die Ueberreste seines Mahles zu verzehren; sie näherten sich ihm wol auf zwei Fuß, aber die mindeste Bewegung schreckte sie zurück. Als der Kahn der Reisenden herankam, verbarg sich das Thier hinter den Sansogebüschen; die Geier wollten diesen Augenblick benutzen, um das Chiguire zu verschlingen, aber der Tiger sprang, ungeachtet der Nähe des Kahns, mitten unter sie und trug seine Beute in den Wald. – Weiter unten am Strome traf man eine ganze Heerde von Chiguires an, aus welcher der Tiger wahrscheinlich seine Beute geholt hatte; sie schienen die Menschen nicht zu fürchten, liefen aber beim Anblick des großen Hundes, welcher die Reisenden begleitete, auseinander, jedoch so langsam, daß man zwei davon einfangen konnte.

Die Nacht brachte Humboldt mit seiner Begleitung wie gewöhnlich unter freiem Himmel zu. Am anderen Morgen (1. April) kamen sie unterhalb des Joval an einem flachen Eilande vorüber, von unzähligen Flamingos, Löffelreihern, Fischreihern und Wasserhühnern bevölkert. Unterhalb Vuelto del Cochino roto brachten die Reisenden die nächste Nacht am unfruchtbaren Gestade zu, und die dichte Waldung war so unzugänglich, daß man kaum trockenes Holz erhalten konnte, was die Indianer zu einem Feuer gebrauchen wollten, um sich dadurch gegen die Angriffe der Tiger zu schützen. – Die Nacht war still und heiter bei schönem Mondschein. Die Krokodile lagen am Ufer ausgestreckt, so daß sie das Feuer schauen konnten, dessen Glanz sie ebenso anzuziehen scheint, wie die Fische und Krebse. Die Indianer fanden im Sande die Tritte von drei Tigern, worunter noch zwei sehr junge; wie Humboldt vermuthete, war es ein weibliches Thier gewesen, welches seine Jungen zum Tränken an den Strom geführt hatte.

Da alle Bäume in der Nähe mangelten, die man zu einer Schutzstätte hätte benutzen können, so steckte man die Ruder in die Erde, um daran die Hängematten zu befestigen. – Es herrschte eine tiefe Stille, die Luft war feucht und mild, der Mond schien friedlich, nur bisweilen hörte man das Schnarchen der Süßwasser-Delphine. Da, um 11 Uhr Nachts, entstand in dem nahen Walde ein solcher Lärm, daß es unmöglich wurde zu schlafen. Wildes Thiergeschrei durchtobte die Nacht. Von der Menge der gleichzeitig ertönenden Stimmen unterschieden die Indianer, welche die Reisenden begleiteten, nur die vereinzelt hörbaren, wie das einförmig jammernde Geheul der Brüllaffen-, die feinen Flötentöne des kleinen Sapajou, das schnarrende Murren des gestreiften Nachtaffen, die Seufzer der Alouaten, das abgesetzte Geschrei des großen Tigers, des Jaguars, des ungemähnten, amerikanischen Löwen, des Bisamschweins, des Pekari (Nabelschweins), des Faulthiers und einer Schaar Papagaien, Orteliden, des Hokko oder Höckerhuhns, des Parragua und anderer fasanenartiger und Hühner-Vögel. Bisweilen kam das Geschrei der Tiger von der Höhe der Bäume herab und war dann stets von den klagenden Pfeifentönen der Affen begleitet. Der Lärm, den die Waldthiere des Nachts machen, scheint von einem Streite zu entstehen; der Jaguar verfolgt die Nabelschweine und Tapire, die, dicht an einander gedrängt, das baumartige Strauchwerk durchbrechen, welches ihre Flucht behindert; die Affen, von dem Kampfe erschreckt, mischen von den Gipfeln der Bäume herab ihr Geschrei in das der größeren Thiere, erwecken die gesellig horstenden Vogelgeschlechter und so geräth nach und nach die ganze Thierwelt in nächtige Aufregung.

Sobald die Jaguars dem Waldrande nahe kamen, fing Humboldt's Hund an zu heulen und verkroch sich unter die Hängematte; die Sicherheit indessen, welche die Indianer verriethen, flößte auch Humboldt und Bonpland in dieser unheimlichen Nacht Muth ein, und jene behaupteten, daß alle Tiger das Feuer scheuen und einen Menschen, der auf seiner Hängematte liegt, niemals angreifen.

Am andern Morgen (2. April) ging Humboldt wieder auf sein Schiff, während der Strom von Meerschweinen in langen Reihen durchzogen wurde. – Um Mittag hielt man in einer öden Gegend an. Humboldt erzählt hier: »Während das Fahrzeug an das Ufer gezogen wurde, hatte ich mich von der Gesellschaft getrennt und ging längs dem Ufer hin, um eine Krokodilsgruppe in der Nähe zu beobachten. Die Thiere schliefen an der Sonne und so gelagert, daß ihre mit breiten Blättern besetzten Schwänze sich gegeneinander stützten. Kleine schneeweiße Reiher spazierten ihnen auf Kopf und Rücken, wie über Baumstämme, hin. Ich hatte immer nur gegen das Ufer geschaut, als ich beim Aufheben der im Sande vorkommenden Glimmerblättchen die frischen Fußstapfen eines Tigers wahrnahm – und wirklich erblickte ich auf achtzig Fuß Entfernung einen furchtbar großen Jaguar unter dem dichten Laubwerke eines Ceibabaumes ausgestreckt. – Es giebt Zufälle im Leben, gegen die man vergeblich seine Vernunft zu stählen sucht. Ich erschrack heftig, blieb jedoch meiner selbst hinlänglich mächtig, um, ohne zu laufen, weiter vorwärts zu schreiten und jede Bewegung der Arme zu vermeiden. Ich glaubte zu bemerken, daß der Jaguar seine ganze Aufmerksamkeit auf eine schwimmende Heerde Capybaras (Flußschweine) richtete. Nun schlug ich meinen Rückweg unter einem bedeutenden Bogenkreise gegen das Ufer zu ein, indem ich meine Schritte jetzt beschleunigte. Wie manchmal war ich versucht, zurück zu sehen, ob ich nicht verfolgt ward. – Zum Glücke that ich es erst spät – der Jaguar war unbeweglich geblieben. Die Thiere sind in diesen Landschaften so wohl genährt, daß sie nur selten den Menschen angreifen. Ich kam athemlos bei dem Fahrzeuge an. – Die Indianer, denen ich mein Abenteuer erzählte, blieben ziemlich gleichgültig; – nachdem jedoch die Flinten geladen waren, begleiteten sie mich und Bonpland nach dem Ceibabaume, wo der Tiger sich gelagert hatte. Wir trafen ihn nicht mehr und hielten es nicht für gerathen, ihm in das Gehölz zu folgen.«

Die folgende Nacht brachte Humboldt mit seinen Gefährten abermals am Ufer, der Insel Conserva gegenüber, zu. Die angezündeten Feuer lockten wiederum die Krokodile herbei, und ein weiblicher Jaguar näherte sich dem Flusse, um sein Junges zum Tränken zu führen. Am 4. April brachte man zuletzt auf dem Apure-Strome zu. Die Insekten fingen an, furchtbar zu quälen, namentlich die Zancudos, deren Rüssel so lang ist, daß er durch Hängematte und Kleider durchzudringen vermag.

Am andern Tage lief Humboldts Fahrzeug, nach glücklicher Vermeidung der durch den Wassermangel des Stromes entstandenen Untiefen, freudig in die weite Stromfährte des langersehnten Orinoco ein, der sich mit fußhohen, schäumenden Wellen wie ein See vor ihnen ausdehnte. Die Schönheit dieser wilden Natur erfreute Humboldt ebenso wie die Sage der Indianer über dieses Wasser. Fast wäre Humboldt durch die Ungeschicklichkeit des Steuermannes während eines heftigen Windstoßes mit dem Fahrzeuge untergesunken, und schon überschwemmte das Wasser seine Papiere und Effekten; nur ein Zufall rettete ihn und die Reisegefährten, und als sie beim Einbruche der Nacht auf einer unfruchtbaren Insel mitten im Strome bivouakirten und, auf großen Schildkrötenschalen sitzend, im Mondscheine ihr Abendessen einnahmen, da trat das Bild der Gefahr noch einmal vor Humboldt's Seele. Er befand sich erst drei Tage lang auf dem Orinoco, und es lagen noch drei Monate einer Schifffahrt vor ihm, die noch mit weit größeren Gefahren drohte. »Es giebt« – sagt er bei Erinnerung dieser Stunde selbst – »Momente des Lebens, in denen ohne Verzagtheit die Zukunft sehr ungewiß erscheint; man überläßt sich dann um so mehr dem traurigen Nachdenken, wenn man, der Gefahr entgangen, das Bedürfniß starker Rührung empfindet.«

Und während er so dachte und in schwüler Nacht auf Thierhäuten am Boden lag, da schwammen die Jaguars durch den Strom und umstrichen seine Ruhestätte.

Die Insel, auf welcher man zunächst landete, war ihres Schildkrötenfanges wegen sehr berühmt im Lande und die Mission Uruana betrachtete sie als ihr Eigenthum. Es befand sich daselbst eine Gesellschaft von verschiedenen Indianerstämmen, welche, über dreihundert Personen stark, unter Hütten von Palmblättern, jeder Stamm vom andern gesondert, gelagert waren. Auch etliche weiße Menschen, Krämerleute aus Angostura, waren dabei, die den Eingeborenen das Oel der Schildkröteneier abkaufen wollten. – Humboldt und seine Begleiter erschienen dem Missionär auf dieser Insel sehr verdächtig und ihr Reisezweck in hohem Grade geheimnißvoll. – »Wer wird es glauben,« sagte er, »daß Ihr Euer Vaterland verlassen habt, um Euch hier von Mosquitos verzehren zu lassen und Länder zu messen, die nicht Euer sind?« – Humboldt konnte dieses Mißtrauen nur durch Empfehlungen eines Pater Guardian der Franziskaner und die Gegenwart des Schwagers vom Statthalter von Varinas, der, wie bereits mitgetheilt wurde, diese Orinocofahrt mitmachte, beseitigen.

Der Aufenthalt auf dieser Insel wurde indessen für die Reisenden dadurch interessant, daß sie die Weise des Schildkrötenfanges kennen lernten. Die große Arrau-Schildkröte legt ihre Eier zur Zeit des kleinsten Wasserstandes, und zwar immer des Nachts, und beginnt damit gleich nach Sonnenuntergang; sie gräbt eine zwei Fuß tiefe und drei Fuß breite Grube, zu deren Befestigung sie, wie behauptet wird, den Ufersand mit ihrem Harn befeuchten soll. Der Drang zum Eierlegen ist so stark, daß einige Schildkröten sich der Löcher bedienen, die von anderen gegraben, aber noch nicht wieder zugeschüttet wurden, wo sie dann auf die erste vorhandene Eierschicht noch eine zweite legen. Die Zahl dieser am Ufer arbeitenden Schildkröten ist so groß, daß manche noch des Morgens bei ihrer unvollendeten Arbeit überrascht werden.

Obgleich sie sich hastig bewegen, sind sie doch leicht mit der Hand zu fangen. Die Eiersammler untersuchen mit einer langen Stange die Lage und Ausdehnung der Eierschichten; wenn dieselbe senkrecht in den Boden eingedrückt wird, so verräth der plötzlich aufhörende Widerstand, daß man auf lockeres Erdreich gekommen ist, wo Schildkröteneier liegen, die übrigens mit einer großen Regelmäßigkeit von den Thieren gelegt werden. – Nach der Zahl der hier lebenden Indianerstämme hat man den Boden in gewisse Gebiete eingetheilt, denn bei einer Tiefe von drei Fuß erstrecken sich die Eierlagen noch in eine Entfernung vom Ufer, die oft an 120 Fuß beträgt. – Haben die Indianer nun mit der Stange den Boden geprüft, dann graben sie mit den Händen die Erde auf, heben die Eier heraus, legen sie in Holztröge, die mit Wasser gefüllt sind, zerbrechen sie darin und setzen sie so lange der Einwirkung der Sonne aus, bis der gelbe, obere, ölige Theil sich verdichtet. Dieses Oel wird dann besonders abgekocht und erscheint, wenn nicht schon Eier mit jungen Schildkröten-Embryonen dazwischen waren, durchaus klar und reinschmeckend. Ein Raum von 120 Fuß Länge am Ufer und 30 Fuß Breite giebt circa 100 Schiffskrüge voll Oel (1000-1200 Kubikzoll) und zu einem Schiffskruge sind 5000 Eier erforderlich. Da aber eine Schildkröte höchstens 100-110 Eier legt, und davon wol ein Drittel zu Grunde geht, ehe die Menschen daran kommen, so müssen 330,000 Schildkröten dazu beitragen, um die erforderlichen 33 Millionen Eier zu produciren, welche die obige Menge Oel liefern.

Der Orinoco – obgleich hier noch etwa 194 Meilen von seiner Mündung – hatte bereits eine Breite von vier Seemeilen, und schon in der Gegend des Gestades von Pararuma wollte der Steuermann sich nicht weiter wagen. Humboldt erhielt für Geld von einem Missionär ein anderes Schiff geliehen und ging am 10. April Morgens unter Segel. Welche Beschwerlichkeiten hier ertragen werden mußten, kann man sich vorstellen, wenn man einen Blick auf das Indianerschiff selbst wirft, welches Humboldt mit seinen Gefährten bestiegen hatte. Auf dem Hintertheile war eine Art Laube für vier Personen errichtet, aber des Windes wegen so niedrig, daß man auf harten Baumästen ausgestreckt liegen und dabei die Beine noch aus dem Dache hervorragen lassen oder gebückt sitzen mußte, um Raum zu gewinnen. Auf dem Vordertheile saßen paarweise die nackten Indianer, die zum eintönigen Rudertakte eben so eintönige und traurige Gesänge mischten; dazu war das Schiff mit den eingesammelten Affen und Vögeln gefüllt, die neben den Instrumenten den Mittelpunkt bildeten, um den sich die Hängematten befanden, während außerhalb die Feuer unterhalten wurden, welche die Jaguars verscheuchen sollten. Die Instrumente mußten jede Nacht das Lager der Reisenden theilen, und um ein Instrument zu gebrauchen, war man genöthigt zu landen und auszupacken. Dazu denke man sich die drückende Hitze und die lästigen Mosquito's, um sich die Lage der Reisenden vorzustellen, wie der Eine durch ein übergehängtes Tuch, ein Anderer durch Rauch mit den Insekten kämpfte. Humboldt sagt selbst in Erinnerung dieser Tage, daß nur durch natürliche Munterkeit, wechselseitiges Wohlwollen und mit einem lebhaften Gefühle für die Pracht der Natur solche Beschwerden zu erdulden seien.

Ein auffallendes Steigen des Stromes gab Humboldt Gelegenheit, über die verschiedenen Wasserstände Untersuchungen anzustellen. Bei der Fahrt stromaufwärts passirte das Schiff die Mündungen mehrerer in den Orinoco sich ergießender Flüsse, namentlich auch des größeren Meta, der an Länge, Breite und Wassermenge der Donau gleicht. Man fuhr an der Stadt Atures vorüber, wo Humboldt außer den Missionen die großen Wasserfälle besuchte, deren Eindruck auf ihn tief und nachhaltig war.

Wo der Orinoco sich plötzlich gegen Norden wendet, durchbricht er einen Theil der Gebirgskette selbst; hier liegen die großen Wasserfälle von Atures und Maypuros. Es ist hier das Strombett überall durch kolossale Felsmassen verengt. – Der Strom fließt schäumend an den östlichen Bergabhängen hin. Eine weite Grasflur dehnt sich zwischen beiden Hügelketten aus; die Felsen Kari und Camosi, welche wie Bergschlösser aus dem alten Strombett der Bucht hervorragen, welche einst der Orinoco gleich einem See ausfüllte, gewähren einen malerischen Anblick. Der nördlichste Ausgang dieser Wasserfälle ist durch die natürlichen Bilder von Sonne und Mond charakteristisch und in der Sprache der Eingeborenen auch so genannt. Der Felsen Kari nämlich hat seine Benennung von einem fernleuchtenden weißen Flecke, in welchem die Indianer eine auffallende Aehnlichkeit mit der Mondscheibe zu erkennen glauben. Humboldt hat zwar die steile Wand dieser Felsen nicht selbst erklimmen können, hält aber jenen weißen Fleck für einen mächtigen Quarzknoten im grauschwarzen Granite. Dem Karifelsen gegenüber, auf dem basaltähnlichen Zwillingsberge der Insel Quivitari zeigten die Indianer mit geheimnißvoller Bewunderung eine ähnliche Scheibe, Camosi, die sie als Bild der Sonne verehren. – Vielleicht hat die geographische Lage beider Felsen viel zu ihrer Benennung beigetragen, denn der Kari steht gegen Westen, der Camosi aber gegen Osten. – Die Wasserfälle von Maypuros bestehen nicht (wie der 140 Fuß hohe Fall des Niagara) in dem einmaligen Herabstürzen einer großen Wassermasse, nicht aus engen Pässen, durch welche sich etwa mit beschleunigter Geschwindigkeit der Strom durchdrängt (wie z. B. im Amazonenflusse das Pongo von Manseriche), sondern sie erscheinen als eine unzählige Menge kleiner Kaskaden, die staffelförmig auf einander folgen und von einem wahrhaften Archipelagus kleiner Inseln und Klippen gebildet werden, welche das 8000 Fuß breite Bett des Flusses so sehr verengen, daß oft kaum 20 Fuß breites Fahrwasser übrig bleibt. Jede Klippe oder Staffel ist 2-3 Fuß, die verrufensten und gefährlichsten aber (Purimarimi und Manimi) neun Fuß hoch – dennoch aber wagen die Indianer den Strom durch die Wasserfälle hinab im leichten Kahne zu fahren und – geht die Fahrt stromaufwärts – dann schwimmen sie voran, schlingen oft unter großen Mühen ein Seil um eine aus dem Strudel emporragende Felsspitze und ziehen damit das Fahrzeug, welches dabei meist mit Wasser gefüllt oder umgestürzt wird, aufwärts. Oft zerschellt das Schiff an den Klippen und die Schiffer suchen dann ihren blutenden Körper aus dem Strudel zu retten und das Ufer zu erreichen. – Da der eigentliche Fall des Wassers nach Humboldt's Barometermessungen nur etwa 28-30 Fuß beträgt, so ist das furchtbare Getöse und das wilde Aufschäumen des Wassers nicht Folge des Sturzes, sondern der Gegenströmung, welche von der Form und Lage der Felsenmassen verursacht wird.

Da Humboldt über den Felsen Manimi (eine von den neun Fuß hohen Staffeln des Wasserfalles) zum Flußbette hinabstieg, genoß er den schönsten Anblick über eine meilenlange schäumende Fläche, aus welcher eisenschwarze Felsmassen hervorragten. Jeder Stein, jede aus dem Wasser emporschauende Insel zeigte sich mit üppigen, hohen Waldbäumen geschmückt. Ein dichter Nebel schwebte über diesen kämpfenden Wassern. Durch die dampfende Schaumwolke drang der Gipfel der hohen Palmen – und als die glühende Abendsonne sich im feuchten Dufte brach, da begann ein optischer Zauber, indem prächtig gefärbte Regenbogen entstanden und schwanden, wie ätherische Bilder. Auf die nackten Felsen, welche hervorragen, hat das sie umspülende Wasser während der langen Regenzeit Dammerde angehäuft, auf welcher nunmehr, wie Blumenbeete auf ödem Gestein, manchfaltige Kräuter, namentlich silberblättrige Mimosen und Samenthau-Arten blühen. In blauer Ferne ruht das Auge auf der Gebirgskette Cunavami, einem langen, plötzlich in einen abgestumpften Kegel endenden Bergrücken, der bei untergehender Sonne in röthlichem Feuer glüht.

Es war Humboldt auffallend, daß das Getöse des wilden Stromes bei Nacht dreimal stärker, als bei Tage gehört wurde (was übrigens auch bei allen europäischen Wasserfällen sich zeigt). Indessen in einer Einöde, wo die Stille des Tages durch nichts unterbrochen wird und der Nachtruhe völlig gleich ist, muß eine andere Ursache gesucht werden, und Humboldt glaubt, daß der aufsteigende ungleich warme Luftstrom am Tage die Schallwellen nicht so gut fortleite, wie die nächtige, kalte Luft, wegen der viel gleichartigeren, elastischeren Luftschichten.

Humboldt wagte es mit seinem Freunde Bonpland, die untere, letzte Hälfte des Wasserfalles von Atures mit dem beladenen Kahne zu passiren. Die beiden muthigen Reisenden stiegen zuvor mehrere Male auf die Klippen, welche die einzelnen Inseln im Strudel wie Dämme verbinden, aus; bald stürzten die Fluten über diese Dämme weg, bald fielen sie dumpf ertönend in ihre Becken hinein oder bahnten sich durch unterirdische Kanäle ihren Weg weiter, während auf der trockenen Klippe das rothgelbe Klippenhuhn nistet. Die beiden Reisenden krochen in das Innere einer unter solchem Felsdamme liegenden Höhle, deren feuchte Wände mit Conferven und leuchtendem Byssus bedeckt waren, und über sie weg rauschte der Fluß mit furchtbarem Getöse. Da die Indianer sie mitten im Wasserfalle verlassen hatten, um mit dem Kahne eine schmale Insel zu umschiffen und sie dann an der unteren Spitze derselben wieder in den Kahn aufzunehmen, so mußten sie hier, auf die Indianer wartend, anderthalb Stunden lang in fürchterlichem Gewitterregen auf dieser Klippe ausharren. Schon brach die Nacht herein, vergebens suchten sie Schutz gegen den Regen zwischen den geklüfteten Granitmassen. Kleine Affen, welche sie schon seit Monaten in geflochtenen Behältern auf ihren Wanderungen bei sich trugen, lockten durch ihr Geschrei die Krokodile herbei und widerlegten damit die Behauptung der Indianer, daß nämlich kein Krokodil jemals in den Katarakten gesehen worden sei, eine Behauptung, auf die vertrauend es Humboldt und Bonpland sogar mehrere Male gewagt hatten, sich im Flusse zu baden.

Der Regen des Gewitters nahm zu; sie warteten durchnäßt und vom Donner des Wassersturzes betäubt mit zunehmender Besorgniß auf das Eintreffen der Indianer mit dem Kahne. Endlich erschienen diese nach großen Umwegen, auf denen sie ein zugängliches Fahrwasser gesucht hatten.

Fünf Tage hielt sich Humboldt in dieser Gegend auf; dann richtete er sich gegen San Fernando de Atabapo, um von hier den Fluß Cassiquiare zu erreichen, welcher den Orinocostrom und den Rio Negro eigenthümlich verbindet. – Es war nämlich in dem Oertchen Atabapo ein neuer Reiseplan nothwendig geworden, wozu der Vorsteher einer hiesigen Mission gerathen hatte. Man beschloß auf dessen Vorstellung den Fluß Atabapo zunächst hinauf zu fahren und alsdann den Flüssen Temi und Tuamini zu folgen. – Humboldt sah sich hier plötzlich in ein ganz neues Land und an das Gestade eines Flusses versetzt, dessen Namen er noch nie hatte aussprechen hören. Er fuhr geradeswegs in Einöden hinein, wo die Menschen kaum eine Spur des Daseins zurückgelassen. Indianer, welche auf Menschenjagd ausgingen, wohnten in diesen Einöden und belästigten die Missionen, welche in der Nähe lagen. In diesem wilden Theile von Amerika glaubte Humboldt sich in jene Zeiten versetzt, wo die Erde allmählich bevölkert ward, und es war ihm, als wäre er ein Zeuge der ersten Bildung menschlicher Gesellschaften. Die Menschen, die er kennen lernte, kannten keinen andern Kultus, als den der Naturkräfte.

Der katholische Missionär von San Fernando de Atabapo hatte, als Humboldt anlangte, seine Indianer an das Gestade des Guaviareflusses auf einen feindlichen Streifzug geführt, der eigentlich nur eine Menschenjagd war und sowol mit den Gesetzen der Kirche als der spanischen Regierung in Widerspruch stand. In einer indianischen Hütte traf man auf diesem unchristlichen Streifzuge eine Mutter mit drei Kindern an, wovon zwei noch minderjährig waren. Sie konnte den eindringenden Menschenjägern und christlichen Unterdrückern nicht widerstehen, denn der Mann befand sich auf dem Fischfange. Die Mutter suchte mit ihren Kindern zu entfliehen, sie hatte aber kaum die Savane erreicht, als sie von den Menschenjägern der Mission eingeholt und mit ihren Kindern geknebelt an das Ufer geschleppt wurde. Der Missionär hatte, in seinem Fahrzeuge sitzend, den Erfolg der Jagd, ohne deren Gefahren selbst zu theilen, abgewartet. Hätte die Mutter heftigen Widerstand geleistet, so würde sie von den Häschern getödtet worden sein, denn es ist ja Alles erlaubt, wo es sich bei den Missionen um »Seeleneroberung« handelt. – Man sucht deßhalb vorzugsweise Kinder einzufangen, um sie als Sklaven der Christen zu erziehen.

Die Mutter wurde mit ihren Kindern nach San Fernando gebracht – man hoffte, sie würde den Weg zu Lande in ihre Heimat nicht finden. Aber das Mutterherz sehnte sich auch nach denjenigen Kindern, welche am Tage des Ueberfalls den Vater begleitet hatten. In der Verzweiflung machte sie mit ihren geraubten Kindern mehrere Fluchtversuche, wurde aber wieder eingeholt, unbarmherzig mit Peitschenhieben gezüchtigt und endlich von den zwei minderjährigen Kindern getrennt. Sie wurde den Atabapofluß hinauf in die Missionen am Rio Negro geführt. Locker gebunden, ihr Schicksal noch nicht kennend, saß sie im Vordertheil des Fahrzeuges. Es gelang ihr, die Banden zu sprengen, sie stürzte sich in das Wasser und schwamm dem linken Ufer des Flusses zu – die Strömung trieb sie an eine Felsenwand – hier versteckte sie sich in ein Gebüsch. – Aber der Missionsvorsteher ließ seine indianischen Leute gleichfalls landen; das unglückliche Weib wurde zurückgebracht, am Abend mit Peitschenhieben grausam gezüchtigt, man band ihr die Hände auf den Rücken und schleppte sie in die christliche Mission von Gavita. Es war zur Regenzeit, die Nacht sehr finster. – In dieser Gegend sind, wegen der Unwegsamkeit der Wälder, die Flüsse die einzigen Verbindungsstraßen zwischen Dorf und Dorf. Die Mutterliebe trieb das gefangene Weib an, das scheinbar Unmögliche zu wagen; sie fühlte nur den einen Drang, ihre Kinder zu befreien und sie den anderen in der Heimat wieder zuzuführen.

Sie war unbewacht; da ihre Arme bluteten, hatten die indianischen Leute des Missionairs aus Mitleid ihre Banden heimlich gelockert; – mit den Zähnen zerbiß sie dieselben vollends – sie war am frühen Morgen verschwunden und wurde nach vier Tagen in der Nähe von San Fernando gesehen, wo ihre Kinder in der Mission gefangen waren. Sie hatte die Wälder in einer Jahreszeit durcheilt, wo der Himmel beständig mit Wolken bedeckt ist und die Flüsse überschwemmt waren; sie hatte oft schwimmen, oft das stachelichte Schlinggewächs des Bodens blutend durchbrechen müssen und dabei sich nur von großen, schwarzen Ameisen genährt. – Der christliche Missionair lohnte ihren grenzenlosen Muth verzweifelnder Mutterliebe damit, daß er sie nach der Wiedereinfangung nach einer Mission am Ober-Orinoco bringen ließ, wo sie, ohne Hoffnung, ihre geliebten Kinder je wieder zu sehen, jede Nahrung verschmähend, sich den Tod gab.

Humboldt betrachtete den Felsen am westlichen Ufer des Atabapo, wo das Weib sich zu retten gesucht hatte, mit Rührung; – man nennt ihn den »Felsen der Mutter« bis auf den heutigen Tag. »Wenn der Mensch« – ruft Humboldt – in diesen Einöden kaum irgend eine Spur seines Daseins zurückläßt, so wird vom Namen dieses Felsens, eines unvergänglichen Denkmals der Natur – das Gedächtniß der sittlichen Verkehrtheit unseres Geschlechtes, die Erinnerung des Kontrastes von der Tugend der wilden – und der Barbarei der gesitteten Menschen aufbewahrt. Hier lebt das Gedächtniß eines Opfers der Bigotterie und Rohheit elender Menschen, die sich Diener einer Religion nannten, welche Nächstenliebe zu einem ihrer ersten Gebote macht!«

Am 6. Mai erreichte Humboldt den Rio Negro, ein wegen seiner Krümmungen berüchtigtes Flüßchen, nachdem er sechs und dreißig Tage in dem schmalen und beweglichen Kahne eingeschlossen gewesen war, wo das Aufstehen eines Einzelnen vom Sitze das Umschlagen des Kahnes herbeigeführt haben würde, hätte man nicht vorher die Ruderer benachrichtigt, damit sie durch Anlegen an die andere Seite des Fahrzeuges die Gefahr des Ueberschlagens und Ertrinkens zu verhindern suchten. Hatte Humboldt auch viel von Insektenstichen leiden müssen, so war er doch vom ungesunden Klima, von den Wasserfällen und Brandungen nicht gefährdet; deßhalb, an der Landenge zwischen dem Orinoco- und Amazonenstrome angelangt, blickte er auf die erduldeten Gefahren mit Vergnügen zurück, da er die Zuversicht empfand, seinen wichtigsten Reisezweck erfüllt zu wissen, der darin bestand, den Lauf jenes Armes des Orinocostromes, welcher sich in den Rio Negro ergießt, astronomisch zu bestimmen und damit das Dasein desselben zu bewahrheiten, das ein halbes Jahrhundert lang bald behauptet und bald geläugnet worden war. Die bisher vorhandenen Landkarten waren so mangelhaft, daß Humboldt's Gegenwart in diesen Gegenden für die genaue Bestimmung der Oerter und die Berichtigung der Kartenfehler von der größten wissenschaftlichen Bedeutung wurde.

Was Humboldt bei dem ersten Anblicke dieser, dem Aequator so nahen Landschaft empfand, das geben wir am treuesten mit seinen eigenen Worten wieder. – »In diesen inneren Gegenden Amerikas« – sagt er – »gewöhnt man sich beinahe, den Menschen als etwas in der Ordnung der Natur Außerwesentliches zu betrachten. Die Erde ist mit Gewächsen überladen, deren freier Entwickelung kein Hinderniß entgegensteht. Eine unermeßliche Lage Dammerde bezeugt die ununterbrochene Wirksamkeit organischer Kräfte; die Krokodile und die Boaschlangen sind die Beherrscher der Ströme, der Jaguar, das Pekari, Tapire und Affen durchziehen ohne Furcht und Gefahr die Wälder, in denen sie, wie auf einem alterthümlichen Erbgute, angesiedelt sind. – Dieser Anblick einer belebten Natur, worin der Mensch Nichts ist – hat etwas Befremdendes und Trauriges in sich. Auf dem Oceane selbst und in den Sandwüsten Afrika's mag man sich nur mit Mühe daran gewöhnen, obgleich dort, wo Nichts vorhanden ist, das an unsere Felder, Waldungen und Flüsse erinnert, die weite Einöde, welche man durchwandert, viel weniger auffallend erscheint. – Aber hier, in einem fruchtbaren, mit unvergänglichem Grün geschmückten Lande sucht man vergeblich Spuren menschlicher Wirksamkeit, man glaubt sich in eine völlig verschiedene Welt versetzt. – Und diese, Eindrücke sind, um so stärker, je länger sie dauern.«

Die katholischen Missionen, welche hier zerstreut liegen, besuchte Humboldt auf seinen Wegen; so unter anderen Maroa, und das noch südlicher gelegene Fort St. Carlos, der südlichste Militärgrenzposten der Spanier und kaum zwei Breitegrade vom Aequator entfernt. Hier befand sich Humboldt auf dem Zwischengebiete, von wo er ebenso schnell den Amazonenfluß hinab an die brasilianische Küste hätte fahren können, wie er auf dem Flusse Cassiquiare und dem Orinoco zurück die Nordküste von Caracas, wieder zu erreichen vermochte. Den letztern Weg wählte Humboldt für seine Forschungszwecke.

Die Fahrt auf dem Flusse Cassiquiare ward durch die Mosquito's sehr belästigt, die im gleichen Maße zunahmen, als sich Humboldt vom Rio Negro (den schwarzen Wassern) entfernte; nur elende christliche Ansiedelungen traf er am östlichen und fast ganz unbewohnten westlichen Ufer, und die Menschen, die er kennen lernte, verzehrten die hier heimischen Ameisen mit demselben Wohlgefallen, wie die Neuholländer ihre Spinnen. – Eine noch schrecklichere sittliche Rohheit fand er in dem hier verbreiteten Gebrauche, Menschenfleisch zu essen, und noch wenige Jahre vor Humboldt's Ankunft hatte ein hier geborner Alkade eine seiner Frauen aufgegessen, nachdem er sie zuvor mit größter Sorgfalt gemästet hatte. Die Vorwürfe der Europäer gegen diese Indianer über ihre abscheuliche Sitte blieben durchaus erfolglos, und Humboldt sagt selbst, daß es sich damit eben so verhalte, wie bei uns, in unserm gesitteten Europa, wenn uns ein Bramin vom Ganges über unsern Genuß des Thierfleisches Vorwürfe machen wollte. Ueberhaupt reiste Humboldt hier zwischen Indianerstämmen, die sich gegenseitig als ganz verschiedene Wesen betrachten und sich mit demselben Rechte glauben tödten zu dürfen, wie im Walde den wilden Jaguar. Obgleich Humboldt an den Anblick einer üppigen tropischen Natur bereits gewöhnt war, so fühlte er sich dennoch überrascht, als er auf diesem reißenden, breiten und viele Unbequemlichkeiten darbietenden Flusse Cassiquiare weiter fuhr und vergebliche Landungsversuche machte, weil alle Ufergegenden undurchdringlich mit Laub- und Schlinggewächsen überwuchert waren; mit von Insektenstichen dick angeschwollenen Händen mußte er nebst seinen Begleitern mittelst der, Axt einen Platz zum Lager zurichten, weil Regen und Nebel ihn nicht auf dem Kahne bleiben ließen – und wie man auf hohem Meere oft über Mangel an genießbarem Wasser zu klagen hat, empfand Humboldt hier mitten in üppiger Waldung den Mangel an Brennmaterial, da das saftreiche Holz nicht zünden wollte.

Diese Fahrt auf dem Cassiquiare nennt Humboldt die beschwerlichste seiner ganzen amerikanischen Reise.

Endlich unter mancherlei Entbehrungen, die aber der wissenschaftliche Drang, die berühmte Gabeltheilung des Orinoco zu schauen, leicht überwand, erreichte Humboldt mit seinen Begleitern am 21. Mai 1800, drei Meilen unterhalb der Mission Esmeralda, das Strombett des Orinocostromes wieder. – Diese Gabeltheilung des gewaltigen Wassers nennt er großartig, und seine Reisebeschwerlichkeiten waren – im Anblicke dieser hohen Granitfelsen, bis zur Höhe von 7800 Fuß, wo die beiden Arme des Stromes sich trennen, – nicht weiter anzuschlagen, da ein so imposantes Ziel die Reiseausdauer belohnte und namentlich die Wissenschaft bereicherte. Denn hier sammelte Humboldt reiche Materialien und lehrreiche Aufschlüsse zu einer vergleichenden Hydrographie (Lehre von den Gewässern), wie er auch die Geschichte seiner Entdeckungen, überhaupt die Geschichte der Geographie mit wichtigen Beiträgen vermehrte; – hier erörterte er die physikalischen Verhältnisse des Bodens, faßte die gleichen Erscheinungen der alten Welt und dieser mittelamerikanischen Bodenzustände zusammen und eröffnete der Wissenschaft bedeutungsvolle Blicke in die Uebereinstimmung der Naturbildungen und die waltenden Gesetze des Erdkörpers in Anordnung seiner Wasseradern.

In der Mission Esmeralda lernte Humboldt das hier bereitete, berüchtigte Gift – Curare genannt – kennen, welches zum Kriege, zur Jagd und merkwürdiger Weise auch als innerliches Heilmittel gegen Unterleibskrankheiten angewandt wird und neben dem Ticunasgifte am Amazonenstrome, wie dem Upasgifte von Java, das tödtlichste aller bekannten Gifte ist. Dieses Curaregift bereiten die Indianer aus den Früchten einer gleichnamigen Pflanze, die sie unter gewissen festlichen Feierlichkeiten, wie bei uns etwa die Weinlese, sammeln und woraus ein Mann, »Giftherr« genannt, den tödtenden Stoff bereitet. Es war dieser Stoff für Humboldt ein neuer, interessanter Gegenstand zu näheren Untersuchungen, aus denen sich ergab, daß das Gift, durch eine Wunde unmittelbar dem Blute beigemischt, tödtet, während es eingenommen ein vortreffliches magenstärkendes Mittel ist. Der Bereiter des Giftes zerrieb in Humboldt's Gegenwart unvorsichtig mit einem, ohne es zu wissen, verwundeten Finger ein Weniges von diesem Stoffe und stürzte betäubt zu Boden, wurde jedoch durch Einreiben von salzsaurem Natron gerettet. – Humboldt dagegen wäre beinahe ein Opfer dieses Giftes geworden, indem sich aus einem schlecht verschlossenen Gefäße dasselbe in seine Wäsche ergossen hatte, und er eben beim Anziehen eines Strumpfes das Gift in demselben bemerkte, das ihn getödtet haben würde, da seine Fußzehen von Insekten blutig zerstochen waren.

Nachdem Bonpland sich Pfeile mit diesem Gifte zur Jagd auf Vögel bereitet hatte und mit Humboldt ein Zuschauer des sehr merkwürdigen, mit Tanz und Völlerei begleiteten »Curarefestes« gewesen war, setzten beide Naturforscher ihre Reise fort. – Humboldt hatte die Verbindung des Orinoco mit dem Amazonenstrome tatsächlich bewiesen; mit dieser wissenschaftlichen Errungenschaft, (theils durch sein Vordringen bis zu den Katarakten, theils aus Erkundigungen von Kriegsleuten aus San Carlos, welche eine Expedition zur Entdeckung der Quellen des Orinoco unternommen hatten, gewonnen,) trennte sich Humboldt von einer Gegend, die vor ihm völlig unbekannt und für ältere Reisebeschreiber nur ein Land der Mährchen gewesen war. Die Entdeckung der Orinocoquellen selbst war einem spätern Naturforscher, dem Reisenden Schomburgk aufbewahrt, der diese Gegenden im Auftrage der geographischen Gesellschaft zu London besuchte.

Von der Mission Esmeralda reiste Humboldt mit seinem Gefährten am 23. Mai 1800 – stromabwärts auf dem Orinoco fahrend – weiter und, ohne eigentlich krank zu sein, befanden sie sich doch in Folge der überstandenen Strapazen, durch schlechte Nahrung und Insektenqual gesteigert, in einem Zustande völliger Ermattung und Schwäche. Ihre Stimmung fand auf dem Strome selbst wenig Aufheiterung, da sie keinem lebenden Wesen begegneten; nur unabsehbare Ebenen und mitunter hohe Berge erblickten und das Gefühl der Verlassenheit um so tiefer empfanden, als Felseninschriften und rohe Sculpturen auf den Granitmassen an ein früheres Leben kultivirter Menschen in diesen Gegenden erinnerten und deutliche Denkmale untergegangener Kultur eines frühzeitig hier gelebt habenden und ausgestorbenen Volksstammes waren. – Obwol erschöpft und mehr niedergeschlagen, aber dennoch keinen interessanten Gegenstand der Natur unbeachtet lassend, erreichte Humboldt die Ueberfahrt durch die großen Wasserfälle von Mahpura, wozu zwei Tage erforderlich waren, – landete am 31. Mai am östlichen Ufer des Stromes bei Puerto de la Expedicion, um die Höhle von Ataruipe, den Kirchhof eines ganzen, untergegangenen Volkes, zu sehen. Die, am südlichen Eingänge des Wasserfalles von Atures gelegene, weit und breit verrufene Höhle von Ataruipe ist von einer ernsten, erhabenen Natur umgeben. Mühsam, nicht ohne Gefahr des Hinabfallens, erklomm Humboldt mit seinem Freunde eine nackte, steile Granitwand, und der Fuß würde auf der glatten Fläche nicht gehaftet haben, wenn nicht große Feldspath-Krystalle zolllang aus dem Gestein hervorgeragt hätten. Aber auf der Kuppe desselben wurden sie durch eine weite Aussicht belohnt; – vor ihnen lag eine schimmernde Flut, aus welcher waldgeschmückte Hügel auftauchten; unermeßliche Grasfluren eröffneten sich westlich jenseits des Flusses, in unmittelbarer Nähe aber war Alles öde und eng, im tief ausgefurchten Thale schwebte einsam der Geier und der krächzende Ziegenmelker. Der hintere Theil dieses Felsenthales zeigte sich mit dichtem Laubholze bewachsen, und in diesem tief schattigen Orte öffnete sich die verrufene Höhle – das Grab eines untergegangenen Volksstammes. – Die Reisenden konnten an 600 wohlerhaltene Skelette auffinden, die in viereckigen, aus den Stielen der Palmblätter geflochtenen Körben lagen; keine Rippe, kein Hand- oder Fußknochen fehlte. Daneben standen bis an 3 Fuß hohe und 5½ Fuß breite Urnen aus halbgebranntem Thone mit Henkeln in Krokodil- und Schlangenformen geziert, welche die Knochen von ganzen Familien zu enthalten schienen. Die meisten Skelette verriethen, daß sie nicht viel über hundert Jahr alt sein konnten, und es herrscht in der Gegend die Sage, daß die tapfern Aturer, von menschenfressenden Karaiben bedrängt, sich auf die Klippen dieser Wasserfälle geflüchtet hätten und hier untergegangen seien. Nachdem Humboldt mehrere Schädel und ein vollständiges Mannsskelet eingepackt hatte, verließ er mit einbrechender Nacht die Höhle und trennte sich in ernster Stimmung von dieser geheimnißvollen Grabstätte. – Es war eine heitere und kühle Nacht; die Mondscheibe, mit farbigen Ringen umgeben, stand hoch über dem Scheitel und erleuchtete den Nebelsaum, der wolkenartig den schäumenden Fluß bedeckte. Zahllose Insekten strahlten ein röthliches Phosphorlicht aus über den mit Kräutern bewachsenen Boden, daß er wie von lebendigem Feuer erglühte. Rankende Bignonien, duftende Vanillen und gelbblühende Banisterien schmückten den Eingang der Höhle – – hoch über dem Grabe rauschten die Gipfel der Palmen! – – – –

Leider sind die mitgenommenen Schädel und Gerippe nicht mit nach Europa gekommen, denn, wie wir später erfahren werden, ging diese erste Sendung der eingesammelten Gegenstände, etwa ein Drittheil der amerikanischen Gesammtausbeute, durch einen Schiffbruch verloren.

So hatte denn Humboldt mit seinem Freunde auf der Rückfahrt zum Zweitenmale gewagt, die gefährlichen Wasserfälle von Atures auf dem leichten Kahne zu durchschiffen – die manchfaltigen Landschaftsgemälde, welche die meilenlange Reihe der Wasserfälle darbot, machten die Stromfahrt eben so schön als gefährlich. Die Bekanntschaft mit den zu Uruana wohnenden Otomaken, welche Erde essen, bot Humboldt ein neues merkwürdiges Bild menschlichen Lebens dar, da es auffallend ist, daß Menschen ein Wohlgefallen an Kalk- oder schmutziger Thonerde finden können, während sie inmitten der schönsten und fruchtbarsten Gegenden leben; wie es auch nicht minder bemerkenswerth ist, daß diese rohe Völkerschaft, unberührt von den Verlockungen des in ihrer Nähe heimischen Tabaks, sich lieber dem Gebrauche des Trunkenheit und Wahnsinn hervorrufenden Niopopulvers (aus den Hülsen einer Mimosenpflanze bereitet) hingibt.

Nach einer Fahrt von fünf und siebenzig Tagen, wobei die Reisenden 375 geographische Meilen auf den fünf großen Flüssen: Apure, Orinoco, Atabapo, Rio Negro und Cassiquiare, in einem leichten Fahrzeuge, unter glühendheißem Himmel, täglichen Gefahren und furchtbaren Insektenqualen zurückgelegt hatten, trafen sie endlich Mitte Juni 1800 in Angostura, der Hauptstadt von der Provinz Guyana, ein. Die erlittenen Mühseligkeiten schwanden schnell aus ihrem Gedächtnisse, als sie den freundlichsten Empfang bei dem Provinz-Statthalter fanden; aber die übernommenen Körperkräfte zeigten sich doch zu sehr geschwächt, um einer Nervenkrankheit länger zu widerstehen. Ueber einen ganzen Monat wurde Humboldt dieser Kränklichkeit wegen in Angostura zurückgehalten und Bonpland's Zustand so bedenklich, daß er eben nur die Kraft behielt, sich selbst ärztlich behandeln und allmählich seine Genesung herbeiführen zu können.

Neue Pläne riefen aber nunmehr Humboldt und seinen Freund zu neuer Reisethätigkeit auf.


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