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Drittes Kapitel.

Offenes Meer. – Der erste Schritt auf nichteuropäisches Land. – Teneriffa. – Cumana. – Erdbeben. – Abreise.


Offenes Meer! Welch ein Zauber liegt in diesem Worte für das in die Ferne strebende Gemüth, für den nach neuen Anschauungen verlangenden Geist! – Was Humboldt hierbei empfand und dachte, können wir mit seinen eigenen Worten wiedergeben. – »Wer – ruft er aus – »zu geistiger Thätigkeit erweckt, sich gern eine eigene Welt im Innern baut, den erfüllt der Schauplatz des freien, offenen Meeres mit dem erhabenen Bilde des Unermeßlichen. – Sein Auge wird vorzugsweise vom fernen Horizonte gefesselt, wo unbestimmt, wie im Dufte, Wasser und Land an einander grenzen, in den die Gestirne hinabsteigen und sich erneuern vor den Schiffenden! – Zu dem ewigen Spiel dieses Wechsels mischt sich, wie überall bei der menschlichen Freude, ein Hauch wehmüthiger Sehnsucht … Eigentümliche Vorliebe für das Meer, dankbare Erinnerung an die Eindrücke, die mir das bewegliche Element zwischen den Wendekreisen, in friedlicher, nächtlicher Ruhe oder aufgeregt im Kampfe der Naturkräfte gelassen, bestimmen mich, den individuellen Genuß des Anblicks vor dem wohlthätigen Einflusse zu nennen, welchen unbestreitbar die Berührung mit dem Weltmeere auf die Ausbildung der Intelligenz und den Charakter vieler Volksstämme, auf die Vervielfältigung der Banden, welche das ganze Menschengeschlecht umschlingen sollen, auf die Möglichkeit, zur Kenntniß der Gestaltung des Erdraumes zu gelangen, endlich auf die Vervollkommnung der Astronomie und aller mathematischen und physikalischen Wissenschaften ausgeübt hat. – Seitdem Kolumbus den Ocean zu entfesseln gesandt war, hat auch der Mensch sich geistig freier in unbekannte Regionen gewagt.«

Mit solchen Eindrücken wollen wir denn dem muthigen Piloten des Geistes über das freie, offene Meer folgen!

Die Fahrt ging rasch, die Meerströmung, von dem Golfstrome verursacht, welcher von den Azoren gegen die Meerenge von Gibraltar und die canarischen Inseln fließt, und überhaupt die Gewässer des atlantischen Meeres in einem beständigen Kreislaufe von 3,800 Meilen herumtreibt – beschäftigte die Aufmerksamkeit der reisefrohen Naturforscher. Eine in weiter Entfernung sichtbare englische Kreuzerflotte bestimmte den Kapitän des Pizarro, während der Nacht von der ersten Bahn des Weges abzuweichen, ohne die Richtung gegen den dreißigsten Breitegrad nach Süden zu verlieren. – Seeschwalben und Delphine begleiteten Humboldt bis hierher; dann am 11. Juni hatte er zuerst den überraschenden Anblick, das ganze Meer von einer ungeheuern Zahl Medusen bedeckt zu sehen, die mit großer Schnelligkeit vorüberströmten und durch den metallischen Glanz vieler derselben einen angenehmen Gegensatz zur azurnen Färbung des Oceans bildeten.

Die erste Seefahrt bringt für einen Geist wie Humboldt in jeder Viertelstunde neue Ereignisse, neue Ansichten und Lebensbereicherungen. Während der Nacht sahe er Medusen, welche im Augenblicke, wo sie beim Auffangen leicht erschüttert wurden, elektrisch aufleuchteten; – zwischen Madeira und der afrikanischen Küste gerieth er in einen wahrhaften Sternschnuppenregen, der immer heftiger wurde, je mehr das Schiff gegen Süden fuhr, eine Erscheinung, die auch im Südmeere, in Nordamerika, in vielen Gegenden Europa's u. s. w. vorkommt und später Humboldt zu besonderen Studien veranlaßt und auf eine neue Erklärung dieses als periodisch wiederkehrend erkannten Sternschnuppenregens geführt hat.

Noch einen Gruß aus Europa sollten Humboldt und sein Begleiter erhalten – eine Küchenschwalbe setzte sich so ermüdet auf ein Segel, daß sie mit der Hand gefangen werden konnte; – sie war ein letzter, verspäteter und um diese Zeit ungewöhnlicher Bote der Heimat, welchen gleichfalls die Sehnsucht über das Meer getrieben hatte.

Die neuen Eindrücke herrlicher Naturbilder steigerten sich aber in der Nähe der am Horizonte auftauchenden Inseln, bei Meeresruhe und hellem Himmel. Humboldt brachte mit seinem Freunde oft einen Theil der Nacht auf dem Verdecke zu; – dort schaueten sie die im Mondscheine beleuchteten vulkanischen Spitzen von der canarischen Insel Lancerote, über denen das schöne Sternbild des Skorpion prangte und allmählich von mitternächtigen Wolken, die hinter dem mondhellen Vulkane aufstiegen, umzogen wurde; – hier sahen sie am dämmernden, unbestimmten, in weiter Ferne verschwimmenden Ufer hin und her eilende Feuer, die wahrscheinlich Fischer, welche sich zum Geschäft rüsteten, an ihrer Küste umher trugen, und Humboldt wurde hierdurch an die sagenhaften beweglichen Lichter erinnert, welche die alten Spanier und Gefährten des Kolumbus in der merkwürdigen Nacht, welche der Entdeckung Amerikas voranging, auf der Insel Guanahani erblickt hatten. – Aber auch diesesmal war das wandelnde Feuer eine gute Vorbedeutung für Humboldt, diesen wissenschaftlichen Kolumbus der neuern Zeit! –

Die Reisenden fuhren an den kleinen Inseln der canarischen Gruppe, deren Bild, mit ihren Küsten, stumpfkegeligen Felsen und vulkanischen Erhebungen ihren Sinn erfreuete und deren Meer ihnen interessante Seegewächse darbot, vorüber und der Irrthum ihres Kapitäns, welcher einen Basaltfelsen für ein Fort ansah und einen Offizier dahin aussandte, gab ihnen Gelegenheit, die kleine Insel la Graciosa zu betreten. – Es war der erste Boden, den Humboldt außerhalb Europas betrat und was er dabei empfand, spricht er selbst in den Worten aus: »Nichts kann das Gefühl ausdrücken, welches ein Naturforscher hat, wenn er zum ersten Male einen Boden berührt, der nicht europäisch ist. Die Aufmerksamkeit heftet sich auf so viele Gegenstände, daß man Mühe hat, sich von den Eindrücken, welche man erhält, Rechenschaft zu geben. Mit jedem Schritte glaubt man ein neues Produkt zu finden und in dieser Gemüthsbewegung erkennt man diejenigen oft nicht, welche die gemeinsten in unsern botanischen Gärten und in unsern historischen Sammlungen sind.«

Den berühmten Pik Teyde auf Teneriffa, auf dessen Anblick sich Humboldt schon in der Ferne gefreut hatte, verhüllte ihm der Nebel der Atmosphäre, und da jener Felsen nicht vom ewigen Schnee bedeckt wird, so ist er überhaupt seltener in größeren Entfernungen sichtbar, wenn auch seine Zuckerhutspitze durch die weiße Farbe des Bimsteins, der ihn bedeckt, das Licht zurückwirft, und zugleich Blöcke schwarzer Lava und eine kräftige Vegetation ihn umgeben. – Nachdem Humboldt und sein Begleiter in Santa Cruz auf Teneriffa angekommen waren und vom Gouverneur auf Empfehlung des Madrider Hofes die Erlaubniß zu Exkursionen auf der Insel erhalten hatten, benutzten sie dieselbe noch an demselben Tage, nachdem sie im Hause des Obristen Armiage, Commandeurs eines Infanterieregiments, die artigste und bereitwilligste Aufnahme gefunden hatten. In dem Garten seines freundlichen Wirthes sah Humboldt zum ersten Male den bislang nur in Treibhäusern gefundenen Bananenbaum, die Papaya (den Melonenbaum) und andere tropische Gewächse im Freien wachsen. Da der englischen Blokade wegen dem Schiffe, worauf Humboldt reiste, kein längerer Aufenthalt als von 4 bis 5 Tagen gestaltet werden konnte, so mußte sich Humboldt beeilen, um mit Bonpland nach dem Hafen von Orotava zu gelangen und von hier aus einen Wegweiser nach dem Pik zu nehmen. – Auf dem Wege dahin begegneten sie einer Menge weißer Kameele, die hier als Lastthiere gebraucht werden. Vor Allem war es aber die Besteigung des berühmten Pik, worauf Humboldt's lebhaftester Wunsch gerichtet war. Ein reizender Weg führte ihn von Laguna, einer 1620 Fuß hoch über dem Meere liegenden Stadt, nach dem Hafen Orotava, und eine Landschaft von unvergleichlichem Zauber nahm ihn auf. Dattelbäume und Kokos decken die Küste, höher am Berge prangen Drachenbäume, die Abhänge tragen Reben, die hier und dort stehenden Kapellen bergen sich zwischen Orangenbäumen, Myrten und Cypressen, alle Mauern sind von Farrenkräutern und Moosen überwachsen und während oben der Vulkan an geschützten Stellen Schnee und Eis birgt, herrscht in diesen Thälern ein beständiger Frühling. So, von den Eindrücken einer paradiesischen Natur umgeben, kamen Humboldt und seine Gefährten nach Orotava und verfolgten die Richtung auf die Höhe des Vulkans.

In der That war Teneriffa wohl geeignet, als erstes tropisches Land, das Humboldt kennen lernte, die Reiselust zu steigern, das Gemüth zu erheben und heiter zu stimmen. Wenn der Naturforscher Anderson, welcher den Kapitän Cook auf seiner dritten Reise um die Welt begleitete, alle Aerzte Europas aufforderte, ihre Kranken nach Teneriffa zu schicken, um dort in der Schönheit des Naturlebens und im immergrünen Bilde der üppigsten Vegetation dem ergriffenen Gemüthe Frieden und frohe Kräftigung wieder zu geben, so hatte er nicht zu viel gesagt, denn auch Humboldt schildert diese Insel als einen bezaubernden Garten und er selbst fühlte die Wirkung dieses herrlichen Naturgemäldes mit offenen Sinnen für Schönheit, obgleich in den Augen des Geologen die Insel nur als ein Berg interessanter vulkanischer Bildung aus verschiedenen Epochen erscheint.

Von Orotava aus beginnt die eigentliche Besteigung des Pik. Am 21. Juni war Humboldt mit seinen Gefährten schon früh Morgens auf dem Wege, welcher zum Gipfel des Vulkans führt. Es war kein besonders angenehmer Tag und von Sonnenaufgang an bis 10 Uhr Morgens verdeckten Wolken die Spitze des Berges, die zu anderen Zeiten bei hellem Himmel schon von Orotava aus sichtbar gewesen wäre. (Es verhält sich mit der Reise auf den Pik von Teneriffa – sagt Humboldt – wie mit den Reisen in das Chamounithal in der Schweiz und auf den Gipfel des Aetna in Sicilien – wo man genöthigt ist, nur seinen Wegweisern zu folgen und überall nur Dasjenige sieht, was schon von anderen Reisenden gesehen und beschrieben worden ist.) – Ein schmaler und steiniger Weg führte von der Stadt Orotava durch einen schönen Kastanienwald in eine mit Gesträuch, einigen Lorbeerarten und baumartigen Heiden bedeckte Gegend; der Stamm dieser Heidepflanzen erreicht hier eine Dicke von ansehnlicher Stärke und fast das ganze Jahr hindurch prangen die Blumen daran.

Bei der Station Pino del Dornajito angekommen, hatte Humboldt eine prächtige Aussicht über das Meer und den ganzen nördlichen Theil von Teneriffa. Eine hier sprudelnde wasserreiche Quelle zeigte 15 Grade Wärme, was Humboldt überraschend war, da doch die Quellentemperatur immer der mittleren Temperatur ihres Ortes gleich ist und die vorgenommene barometrische Höhenmessung ganz mit der thermometrischen Messung übereinstimmte und angenommen werden mußte, daß die Temperatur der Quelle niedriger als die mittlere Lufttemperatur sei, zumal diese Quelle auf einem höhern Punkte des Pik zum Vorschein kam. – Von hier aus stieg Humboldt stets bergan, ohne auch nur ein einziges Thal zu erreichen und nur die kleinen, gleich Falten eines Mantels, den Vulkan umgebenden Schluchten durchschreitend. Was man auf der Insel für einzelne vulkanische Berge hält, wie Chahorra, La Urea u. s. w., erkannte Humboldt nur als kleine, an den Pik sich anlehnende und seine pyramidalische Gestalt verdeckende Berge. Durch die baumartigen Heidepflanzen stieg Humboldt aufwärts in die Region der Farrenkräuter (wo die Wurzel einer hier sehr zahlreich wachsenden Art den Einwohnern von Palma und Gomera zur Nahrung dient); darauf nahm ihn ein Gehölz von Wachholderbäumen und Tannen und endlich eine Ebene auf, welche, wie ein großes grünes Landmeer, mit Farrenkräutern bedeckt war, und durch welche er drittehalb Stunden lang wandern mußte. – Dabei hatte er eine große Hitze auszuhalten, welche der heiße, die Sonnenstrahlen rückwerfende Boden erzeugte. Die Ebene, aus Bimstein gebildet, ist mit dem schönen, oft neun Fuß hohen und wohlriechend blühenden Retemastrauche bewachsen, womit sich die hier vorüberziehenden Jäger zu schmücken pflegen und der den Ziegen des Pik, die hier wild leben, einen dunkelbraunen Pelz haben und als Leckerbissen gegessen werden, zur Nahrung dient. So wie Humboldt auf diese Bimstein-Ebene gekommen war, sah er den Charakter der bis dahin üppig vegetirenden Landschaft plötzlich verändert – mit jedem Schritte begegnete er ungeheueren, vulkanischen Produkten, Alles verkündete die stille, tiefe Einsamkeit einer traurigen Stätte von zehn Quadratmeilen, in welcher die Zerstörung herrschte. Von hier aus erschien Humboldt die ganze Insel wie ein kolossaler Haufen verbrannter Massen, um welche die Pflanzenwelt einen schmalen Saum gebildet hatte. – Durch enge und tiefe von den früheren Bergströmen alter Zeiten ausgehöhlte Schluchten gelangte Humboldt auf eine Gebirgsplatte ( El Monton de Frigo) und von da, in einer Höhe von 9312 Fuß, zu einer Station Estancia de los Ingleses (Halt der Engländer), wo er mit seinen Gefährten die erste Nacht zubringen mußte.

Eine von Felsen gebildete, gegen Wind und Witterung schützende Höhle wurde Humboldt's Nachtquartier, – die Führer zündeten ein Feuer aus zusammengetragenen trockenen Aesten an und ohne Zelt und Mäntel lagerte man sich auf einen Haufen verbrannter Steine, wobei aber Rauch, Feuer und Wind sehr lästig wurden. Man versuchte einen Windschirm mittelst zusammengebundener Tücher herzurichten, aber das Feuer erfaßte einen Theil desselben und verzehrte ihn, ehe die Reisenden es gewahr wurden. Noch nie hatte Humboldt in einer so bedeutenden Höhe eine Nacht zugebracht – er ahnte nicht, daß er bei späteren Reisen seine Ruhe in Städten auf dem Bergrücken der Cordilleren nehmen würde, die noch höher lagen als die Spitze des Pik, die er erst am andern Tage zu erreichen hoffte.

Mit zunehmender Kälte lagerten sich Wolken um den Pik, welche der Nordwind heftig davon trieb, während sich immer mehr neue anlegten und der Mond mit einer auffallend blauen Scheibe bisweilen durch Gewölk und Nachtdünste blickte. Allmählich aber hüllte sich die Vulkanspitze in dichten Nebel ein, der dann, plötzlich zerreißend, die vergrößerte Pyramide des Gipfels in drohender Nähe erscheinen ließ, während sie einen ungeheuern Schatten auf die tiefer liegenden Wolken niederwarf.

Um drei Uhr in der Nacht machte sich Humboldt mit seinen Gefährten auf den von Fichtenfackeln düster beleuchteten Weg nach dem Gipfel des Pitons. – Nach zwei Stunden erreichte man eine Ebene (Station der Eingeborenen genannt), wo die Leute zu ruhen pflegen, welche Eis und Schnee holen, um dieses in den Nachbarstädten zu verkaufen. – Es befindet sich nämlich 1732 Toisen (10,392 Fuß) hoch, in einer so gelegenen Gegend, daß die Sonnenstrahlen nicht eindringen und die im Winter sich bildenden Eis- und Schneemassen schmelzen können, eine sogenannte Eishöhle. Mit dem Beginn der Morgendämmerung verließ Humboldt nebst seinen Gefährten diese Eishöhle, und sie mühten sich ab, sich durch die gebrochene Lava einen Weg zu bahnen, wobei sie oft ihre Hände zu Hülfe nehmen mußten. – Hier überraschte sie eine neue Lufterscheinung; – in Osten nämlich glaubten sie in die Luft steigende Raketen zu sehen – selbst die Wegweiser kannten diese Erscheinung nicht, und man wollte schon Vorboten eines nahen Ausbrechens des Vulkanes darin vermuthen, als Humboldt gewahr wurde, daß jene scheinbaren, hin- und herfliegenden Funken die Abbilder von Sternen seien, die sich in den sich bewegenden Dünsten abspiegelten. – Der Weg, welchen man jetzt durch den sogenannten Malpay fortsetzte, wurde um so beschwerlicher und ermüdender, als unter den Füßen die Lavastücken nicht nur scharfe Kanten haben und tiefe mehre Fuß betragende Gruben bilden, sondern auch sehr häufig ausbrachen und wegglitten. – Trägheit und schlechter Wille der Wegweiser machten dieses Bergsteigen noch mühevoller, denn sie hatten keine Lust, über die Grenzen der Felsen hinaus zu gehen, setzten sich alle zehn Minuten zum Ausruhen hin, warfen heimlich die von Humboldt und Bonpland sorgfältig gesammelten Mineralien wieder weg, und es ergab sich nunmehr, daß noch Keiner von ihnen wirklich auf dem Gipfel dieses Vulkans gewesen war. Humboldt verfolgte aber dennoch mit Ausdauer den drei Stunden langen Weg bis zu einer kleinen Ebene, in deren Mitte sich der Piton oder Zuckerhut erhebt und wo sich die Oeffnungen des Pik befinden, welche die Eingeborenen »Nasenlöcher« nennen. Aus den Spalten derselben steigen bisweilen Dünste, die geruchlos sind und aus reinem Wasser zu bestehen scheinen.

Nun aber mußte noch der steilste Theil des Berges erklimmt werden, was nur gelang, indem man den Ueberresten eines alten, einst aus dem Krater herabgeflossenen Lavastromes folgte, der eine Art verschlackter Felsenmauer mitten in der beweglichen Asche bildete. Auf diesem Wege bestieg man den Zuckerhut, indem man mit Händen und Füßen auf den scharfen Lavakanten hinaufklomm. Nach einer halben Stunde hatte man den etwa 90 Toisen (1 = 6 Fuß) hohen Aschenkegel unter sich und es würde dieser Weg noch weit gefährlicher geworden sein, wenn der sog. Zuckerhut mit Schnee bedeckt gewesen wäre; man zeigte hier Humboldten die Stelle, wo einst Kapitän Baudin fast den Tod gefunden hätte. Dieser nämlich war kühn genug gewesen, im Jahre 1797 zur Schneezeit eine Besteigung des Vulkangipfels zu unternehmen. Als er auf die Hälfte der Höhe des Aschenkegels gekommen war, stürzte er und rollte bis auf die nächste Ebene hinab, wo zu seinem Glücke ein Lavahaufen, der mit Schnee bedeckt war, sein tieferes Hinabstürzen verhinderte. – Um 8 Uhr Morgens bei erstarrender Kälte gelangte Humboldt auf die Spitze des Zuckerhutes, der kaum Platz darbot, daß die Reisegesellschaft sich zum Ausruhen niedersetzen konnte. Den Krater selbst konnten sie nicht sehen, weil Lava und Bimstein eine Art Mauer ringsum gebildet hatten. – Eine Oeffnung auf der westlichen Seite – wahrscheinlich einst von einem Lavastrome durchbrochen, verschaffte Zugang in den Kessel des Vulkans; Humboldt, von seiner Reisebegleitung gefolgt, stieg in den Boden des Trichters hinab, dessen eiförmige Mündung wol in der Längenachse 300 – in der Querlinie 200 Fuß breit war. Die Wärme, welche hier bemerkt wurde, kam von einigen Spaltöffnungen her, aus denen sich mit eigenthümlichem Brausen Wasserdünste entwickelten, und das Innere dieses Kraters gab das Bild eines Vulkans, welcher seit Tausenden von Jahren nur durch seine Seiten Feuer ausgeworfen hat. Ohne weitere Gefahr gelangte Humboldt auf den Boden des trichterförmigen Kessels, dessen Tiefe etwa 110 Fuß betragen mochte und sich, wie bei allen erloschenen Vulkanen, seit Jahrhunderten wenig verändert zu haben schien. – Der majestätische Eindruck, den das Ganze auf Humboldt machte, hatte seinen Grund mehr in der Höhe über dem Wasserspiegel des Meeres, in der Einsamkeit dieser hohen Gegend, die wol 11,500 Fuß hoch liegen mochte, so wie in der unermeßlich weiten Aussicht, welche das Auge von dem Berggipfel genießt. – Humboldt sagt: »Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Spitzen der höchsten Berge selten so schöne Aussichten bieten, als die minder hohen Scheitel des Vesuvs, des Rigi, des Puy de Dome. – Der Pik von Teneriffa aber vereinigt durch seine schlanke Gestalt und seine örtliche Lage alle die Vortheile, welche weniger hohe Bergspitzen haben, denn man entdeckt nicht nur auf seinem Gipfel einen ungeheuren Horizont vom Meere, sondern man sieht auch die Wälder von Teneriffa und den bewohnten Theil der Küsten in derjenigen Nähe, welche geeignet ist, die schönsten Gegensätze von Form und Farbe hervorzubringen. Als wir auf dem äußeren Rande des Kraters saßen, richteten wir unsern Blick nach Nordwesten, wo die Küsten mit Dörfern und Weilern geziert sind. Zu unseren Füßen gaben Haufen von Dünsten, die beständig von den Winden getrieben wurden, das manchfaltigste Schauspiel. Eine gleichförmige Schicht von Wolken war an mehreren Stellen von kleinen Luftströmen durchbrochen worden, welche die von der Sonne erhitzte Erde zu uns heraufsendete. Stadt und Hafen Orotava mit ihren Gärten, Weinbergen und Schiffen lagen vor uns. Von der Höhe dieser einsamen Gegenden berührten unsere Blicke eine bewohnte Welt; – wir hatten den auffallenden Gegensatz, den die entblößten Seiten des Pik, jene steilen, mit Schlacken bedeckten Abhänge, seine aller Vegetation beraubten Ebenen mit dem lachenden Anblicke bebauter Gegenden machen; – wir sahen die Pflanzen nach Zonen geordnet, je nachdem die Wärme der Atmosphäre mit der Höhe der Lage abnimmt.«

Schon am Pik erkannte Humboldt ein wichtiges Gesetz für die Pflanzengeographie; – die Vegetationsgürtel, die den Berg umgeben, boten ihm, wie er später überall fand, den Anblick der aufeinanderfolgenden Zonen dar; mit zunehmender Höhe, also abnehmender Wärme, folgten auf die Pflanzen wärmerer Kreise die mehr und mehr dem Norden angehörenden und es stellte sich heraus, daß ebenso wie vom Aequator bis zu den Polen, auch vom Fuße eines tropischen Berges bis zu seiner Spitze, die klimatisch geordneten Gewächse auf einander folgen, nur in weit näher liegenden Grenzen, da 36 Meilen in der Fläche, bei gleicher Höhe, gegen die Pole hin die mittlere Temperatur um einen Grad Celsius verringern, aber eine gleiche Abnahme der Wärme schon bei 520 Fuß größerer Erhebung vom Meere stattfindet. Deßhalb kann man vom Fuße eines Berges der Tropenwelt die Pflanzen der heißen, höher hinauf die der gemäßigten und endlich noch höher die Birken und Fichten der kalten Zone antreffen. Die außerordentliche Durchsichtigkeit der Luft ließ die Reisenden von der Höhe des Pik herab nicht nur Dörfer, Weinberge und Gärten, sondern selbst die einzelnen Häuser, das Segelwerk der Schiffe und die Stämme der Bäume deutlich unterscheiden; aber, trotz der angenehmen Jahreszeit im Juni, war doch der Aufenthalt in dieser bedeutenden Höhe durch die Kälte etwas unfreundlich geworden, denn das Thermometer mit der Scala nach Celsius (100 Grade – 80 Réaumur) war bereits auf zwei Grade unter Null gefallen, und ein heftiger Westwind zwang die Reisenden, einen Schutz an der Basis des Zuckerhutes zu suchen; Gesicht und Hände froren, während die Stiefel vom heißen Boden, auf dem sie sich befanden, verbrannt wurden. Man trat den Rückweg an; der mit so großer Mühe erstiegene Zuckerhut wurde in wenigen Minuten, allerdings wegen der beweglichen Lavastücke und des schlüpfrigen Rasens mit großer Vorsicht, so schnell als möglich verlassen, man erreichte die Ebene der Retamasträucher wieder und gerieth in eine Wärme, die, 22½ Grad Celsius stark, unmittelbar nach der oben empfundenen Kälte, anfänglich erstickend erschien. Als man in die tiefere Region der Farrenkräuter und baumartigen Heidekräuter eintrat, genoß man aber eine desto behaglichere, erquickende Kühle. – Gegen Ende des Tages gelangte wieder in Orotava an.

Zu einer wichtigen Anschauung im Allgemeinen gelangte Humboldt schon hier auf der kanarischen Inselgruppe – nämlich, daß die unorganischen Formen der Natur (Gebirge und Felsmassen) sich selbst in den entlegensten Ländern der Erde ähnlich bleiben, daß aber die organischen Formen (Pflanzen und Thiere) von einander verschieden sind. – Wenn Humboldt an den Küsten dieser kanarischen Inselgruppe vorüberfuhr, so glaubte er oft früher schon gesehene Bergbildungen zu erblicken, selbst sich an die Rheinufer bei Bonn versetzt – während die Formen der Pflanzen- und Thierwelt mit dem Klima wechseln und durch die Höhe oder Tiefe des Standortes noch manchfaltiger werden. – Die Felsen, älter vielleicht, als die Ursachen des Klimas, erscheinen dieselben auf beiden Erdhälften. Diese Verschiedenheit der Pflanzen und Thiere aber, welche vom Klima und der Höhe des Bodens über der Meeresfläche abhängt, weckte in Humboldt das hohe Interesse an weiteren Nachforschungen über die geographische Verbreitung der Pflanzen und Thiere – worin er sich durch seine ferneren Untersuchungen in Amerika als den ersten wissenschaftlichen Begründer dieser Erkenntniß verdient machte. Und wie bedeutend die Einflüsse der Höhenpunkte auf diese Anordnung der Pflanzenverbreitung sind, das zeigte ihm schon die Besteigung des berühmten Pik von Teneriffa. – Da wanderte er zunächst durch die Region der baumartigen Heidekräuter, dann empfing ihn höher ein Gürtel von Farren, noch höher ein Gehölz von Wachholderbäumen und Tannen, und darüber eine Ebene mit Pfriemenkräutern von drittehalb Stunden Breite, durch welche er endlich auf den Bimsteinboden des vulkanischen Kraters gelangte, wo der schöne Retamastrauch mit seinen duftenden Blüten und die wilde hier lebende Ziege des Pik ihn willkommen hießen.

Es war zu erwarten, daß Humboldt oben am Krater eines Vulkans seine geologischen Forschungen weiter ausführen würde und er that es mit großem Erfolge, denn er sammelte hier neue Materialien für seine späteren Anschauungen und Deutungen der vulkanischen Mitwirkung zu der Erdform und den Erscheinungen des Erdbebens,

Ein Blick über das Meer und die Küsten ließen Humboldt und Bonpland erkennen, daß ihr Schiff Pizarro unter Segel sei, und es beunruhigte sie dieses sehr, da sie fürchteten, das Schiff könne ohne sie zur Abfahrt sich anschicken. Sie eilten so rasch als möglich von den Gebirgen hinweg und suchten ihr Fahrzeug zu erreichen, welches bereits lavirend auf sie gewartet hatte.

Humboldt hatte aber auf der kurzen Excursion wichtige Anschauungen für seine fernere Naturforschung gewonnen. Die kanarische Inselgruppe war ihm ein lehrreiches Buch von unendlich reichem Inhalte geworden, dessen Manchfaltigkeit auf engem Raume für einen Humboldt'schen Geist zu weiterem, allgemeineren Verständniß führen mußte. Er erkannte die wahre Aufgabe des Naturforschers und die Wichtigkeit spezieller Beobachtungen. Der Boden, worauf wir Menschen in Lust und Leid wandeln, ist der wechselvollste und in Zerstörung und Wiederaufblühen ununterbrochen thätigste – es waltet in ihm eine Kraft, welche das Formlose ordnet und gestaltet, den Planeten an seine Sonne kettet, der kalten* Masse den lebendigen Hauch der Wärme giebt, das scheinbar Fertige, was der Mensch im engsten Gesichtskreise als ein Ganzes bezeichnen muß, gewaltsam zusammenstürzt und neue Gestalten an die Stelle der alten setzt. – Was ist diese Kraft? Wie schafft, wie zerstört sie? – Das waren die nächsten großen Fragen, welche sich Humboldt aufdrängten, anderen wissenschaftliche Beantwortung er sein Leben setzen wollte. – »Was ist ein Schöpfungstag?« rief er aus – »genügt ihm eine Umdrehung der Erde um ihre Axe, oder ist er das Resultat einer Reihe von Jahrtausenden? Erhob sich, das feste Land aus dem Wasser oder sank das Wasser in die Erdtiefen nieder? War es Feuer- oder Wasserkraft, welche die Berge auftrieb, die Landflächen ebnete, Meer und Küste begrenzte? Was sind die Vulkane und wie entstanden, wie wirkten sie?

Teneriffa gab ihm, dem fragenden Humboldt, eine erste Antwort darauf – er lernte die Wahrheit seines schon früher verfolgten Prinzips der Forschung kennen, alle Einzelnheiten nur als Theile einer innig verschlungenen, durch die ganze Werkstätte der Natur sich hinziehenden Verkettung allgemeiner großer Ursachen und Wirkungen aufzufassen, hierin den Erkenntnißfaden im scheinbaren Labyrinthe der unendlichen Manchfaltigkeit zu finden, und deßhalb auch das Einzelne, scheinbar Kleinliche nicht mit Gleichgültigkeit zu übersehen, sondern vielmehr das Große im Kleinen, das Ganze im Theile erblicken zu lernen. – In diesem Geiste wurde der Vulkan auf Teneriffa für Humboldt ein Schlüssel zu großen Geheimnissen des Gesammtlebens, er erkannte die verschiedenen Mittel welche die Natur anwendet, um zu gestalten und zu zerstören, und lernte so die Geschichte des Einzelnen zum Maßstabe der Geschichte des Allgemeinen verstehen. Das Feuer der Vulkane, die er auf Teneriffa bestieg, war längst erloschen, aber seine Spuren wurden für Humboldt großartige Leitern zum Verständniß des gewaltigen Elementes, welches einst unsere Erde durchglühte, die Erdrinde durchbrach, Menschen, Thiere, Pflanzen und Städte durch Erdbeben begrub und jetzt noch in der Tiefe seine Adern fortpflanzt, um hier und dort den Boden zu erschüttern oder durch seine Sicherheitsventile, die Feuerkrater, in die Luft mit Flammen und glühender Lava zu explodiren. – Das lehrte uns Humboldt verstehen!

Wir verfolgen das Schiff, auf welchem Humboldt sich mit seinem Freunde befand, weiter über das Meer auf dem Wege nach Mittelamerika.

Unterwegs beschäftigten sich die Reisenden namentlich mit den in diesen Gegenden herrschenden Seewinden, die immer gleichmäßiger werden, je näher man der Küste Afrika's kommt; die Milde des Klimas, die hier heimische Ruhe der Natur erhöhte den Reiz dieser Schifffahrt, und als Humboldt in die nördliche Region der Inseln des grünen Vorgebirges gelangt war, ward seine Aufmerksamkeit besonders erregt durch die großen Massen schwimmender Meergewächse, welche eine außerordentlich große Fläche der Oberfläche des Oceans in kleinern oder größern, gedrängtern oder weitläufigem Trupps bedecken. Ein neues Bild der Natur begegnete ihm bald in den fliegenden Fischen, deren Anatomie und Flugeigenschaft er untersuchte. – Aber auch das menschliche Gemüth macht seine Ansprüche auf einer Fahrt durch den weiten Ocean geltend; – wohin das Auge blickt, da sieht es Wogen, Wolken oder klaren Himmel, es sehnt sich nach dem Anschauen früher gewohnter Gegenstände. Das Schiffspersonal sucht den Anblick eines fremden Menschen, es möchte einen Ton hören von fremdem Munde, aus anderer Gegend; es ist deßhalb immer ein freudiges Ereigniß, wenn ein anderes Schiff vorübersegelt, man stürmt auf das Verdeck, ruft sich zu, fragt nach Namen, Ort der Abfahrt und der Bestimmung und sieht die kaum Begrüßten wieder am Horizont verschwinden. – Die wissenschaftlichen Arbeiten Humboldt's und seiner Gefährten konnten, trotz des reichen Materials, welches jeder Tag ihrem Forschungseifer Neues und Ungewöhnliches darbot, nicht die Regungen des Gemüthes zurückdrängen – auch Humboldt freute sich, am fernen Horizonte ein Fahrzeug auftauchen zu sehen, aber es war der erste Schmerz des fühlenden Seefahrers, den er empfand, als allmählich der Mast mit den Trümmern eines verunglückten, ganz vom schwimmenden Tangen überzogenen Schiffes näher kam; wie ein mit Rasen überzogenes Grab trieb das Wrack vorüber – wo mochten die Reste Derer sein, die im zerstörenden Sturme ihr Leben in verzweifelten Kämpfen mit den Elementen aushauchten! Diese Gefühle drängten sich den Reisenden unwillkürlich auf.

Aber ein schönerer, erhabener Anblick stand Humboldt bevor – in der Nacht vom 4. – 5. Juli, unter dem 16. Breitegrade erblickte er zum ersten Male das strahlende Sternbild des südlichen Kreuzes und bei diesem ersten Anschauen des Zeichens einer neuen Welt sah er mit Rührung die Träume seiner Kindheit verwirklicht. Was er in dieser Stunde seines Lebens empfand, verräth er in seinen eigenen Worten: »Wenn man anfängt, den Blick auf geographische Karten zu werfen und die Beschreibungen der Reisenden zu lesen, so fühlt man eine Art von Vorliebe für gewisse Länder und Klimate, von welcher man sich in einem reiferen Alter nicht wohl Rechenschaft geben kann. Diese Eindrücke haben einen merkbaren Einfluß auf unsere Entschlüsse und wir suchen uns, wie instinctmäßig, mit den Gegenständen in Beziehung zu setzen, welche seit langer Zeit einen geheimen Reiz für uns hatten. Als ich einst die Sterne studirte wurde ich von einer Furcht in Bewegung gesetzt, welche Denjenigen unbekannt bleibt, die eine sitzende Lebensweise führen; – es war mir schmerzlich, der Hoffnung zu entsagen, die schönen Sternbilder zu sehen, welche in der Nähe des Südpols liegen. Ungeduldig, die Gegenden des Aequators zu durchwandern, konnte ich die Augen nicht gegen das gestirnte Gewölbe des Himmels erheben, ohne an das Kreuz des Südens zu denken und ohne mir die erhabene Stelle des Dante in's Gedächtniß zu rufen:«

Dann rechts, dem andern Pole zugekehrt,
Erblickt' ich eines Viergestirnes Schimmer,
Deß Anschau'n nur dem ersten Paar gewährt.
Der Himmel schien entzückt durch sein Geflimmer.
O! du verwais'tes Land, du öder Nord
Du siehst den Glanz des schönen Lichtes nimmer!

(Dante's Fegefeuer, I.)

Die ganze Schiffsmannschaft, namentlich Die, welche bereits die amerikanischen Colonien besucht hatten, theilte die Befriedigung, welche Humboldt beim Anblicke dieses Sternbildes empfand; in der Meereseinsamkeit grüßt man einen Stern wie einen Freund, von dem man lange getrennt war, und dem Spanier und Portugiesen macht obenein noch ein religiöses Gefühl das Sternbild lieb; – war dieses ja auch dasselbe Gestirn, welches die ersten Seefahrer des 15. Jahrhunderts, als ihnen die Sterne des heimatlichen Himmels im Norden niedersanken, als bedeutungsvolles Zeichen zum freudigen Fortschritt begrüßten.

Aber auch das beängstigende Leid der Krankheit auf einem Schiffe sollte Humboldt noch in den letzten Tagen der Fahrt kennen lernen; – ein bösartiges Fieber brach aus, das immer bedenklicher wurde, je mehr sich das Schiff den Antillen näherte; ein neunzehnjähriger Asturier, der jüngste der Schiffspassagiere, starb, und sein Tod machte auf Humboldt einen rührenden Eindruck schon der Umstände wegen, unter denen jener die Reise angetreten hatte; er wollte nämlich sein Glück suchen und eine geliebte, auf ihn hoffende Mutter unterstützen. – Humboldt befand sich, traurigen Betrachtungen hingegeben, mit Bonpland auf dem Verdecke, das Fieber im Schiffsräume wurde bösartiger – sein Auge blickte auf eine gebirgige, öde Küste, welche der Mond von Zeit zu Zeit durch düstere Wolken hindurch beleuchtete. Das sanft bewegte Meer glänzte von einem schwachen, phosphorischen Scheine, man hörte nur das eintönige Geschrei einiger großen Seevögel, welche das Ufer suchten. – eine tiefe Stille herrschte, von schmerzhaften Empfindungen war Humboldt's Seele bewegt. Da – es war Abends 8 Uhr – zog man langsam die Todtenglocke – die Matrosen warfen sich auf die Kniee, um ein kurzes Gebet zu sprechen, es galt der Leiche des Jünglings, der wenige Tage vorher noch kräftig und gesund war und welche jetzt nun den katholischen Segen über Nacht empfing, um beim Aufgange der Sonne in's Meer gesenkt zu werden.

Mit diesen trüben Empfindungen nahte sich Humboldt der Küste des Landes, das ihm in seinen Jugendträumen so lachend vor der Seele gestanden hatte, und das er, als das Ziel großer Lebenspläne und als das heitere Bild tropischer Natur aufzusuchen so freudig ausgefahren war. – Aber das Schicksal, welches seither in Humboldt's Leben – nur um zum Abwarten besserer und glücklicherer Gelegenheiten anzuregen – Täuschungen und Hindernisse hatte kommen lassen, wollte auch jetzt die auf dem Schiffe ausgebrochene Krankheit zum Motive einer folgereichen Ablenkung des Reiseplanes dienlich machen. Die noch nicht der Ansteckung verfallenen Passagiere, durch die Bösartigkeit des Schiffsfiebers beängstigt, hatten den Entschluß gefaßt, am ersten besten Landungsplätze auszusteigen und das ursprüngliche Reiseziel, Cuba und Mexiko, mit einer andern Schiffsgelegenheit zu erreichen; – man überredete den Kapitän bei Cumana, einem an der nordöstlichen Küste Venezuela's gelegenen Hafenplatze, einzulaufen und die Passagiere an's Land zu setzen. – Dieses bestimmte auch Alexander von Humboldt, einstweilen seinen Reiseplan zu ändern und die noch wenig bekannten Küsten von Venezuela und Paria zunächst zu besuchen und dann erst später nach Neu-Spanien zu gehen. – Die schönen Pflanzen, welche er einst in den Treibhäusern zu Wien und Schönbrunn bewundert hatte, konnte er ja hier in ihrer wilden Naturfreiheit üppig auf ihrem heimischen Boden wiederfinden, es lag für ihn ein unwiderstehlicher Reiz darin, in das Innere dieses Landes vorzudringen, das für die Naturwissenschaften noch ein großes Geheimniß war. – Humboldt und Bonpland stiegen in Cumana aus, ließen das Schiff, welches sie bis hierher getragen hatte, weiter segeln, und so wurde die zufällige Krankheit auf dem Schiffe die Ursache der großen Entdeckungen Humboldt's in diesen Gegenden, am Orinoco bis zu den Grenzen der portugiesischen Besitzungen am Rio-Negro – ja es kann dieser Umstand auch die zufällige Ursache der Gesundheit und des ungefährdeten Lebens geworden sein, dessen sie sich während ihres langen Aufenthaltes in diesen Aequinoktialgegenden zu erfreuen hatten, denn in Havanna, wo sie sonst ohne früheres Verlassen des Schiffes ebenfalls gelandet sein würden und nun schon längst gewesen wären, herrschte eine böse Krankheit und raffte auch viele ihrer bisherigen Reisegefährten dahin.

Die Meerfahrt von Corunna bis Cumana, welche ein und vierzig Tage gewährt hatte, war aber eine an physikalischen Beobachtungen sehr reiche für Humboldt und seinen Reisegefährten gewesen. Er hatte, mit Benutzung der ihm bereits von der Wissenschaft dargebotenen Materialien, wichtige Untersuchungen über die Temperatur der Luft angestellt. Es waren ihm, abgesehen von dem Jahreszeitenwechsel und der jedesmaligen geographischen Breite, wesentliche Unterschiede zwischen der Lufttemperatur über dem Meere und jener über dem Festlande bemerkenswerth geworden. Er fand den Ocean durchschnittlich etwas wärmer als die Atmosphäre, und erkannte, daß die Herstellung des Gleichgewichtes zwischen beiden Elementen durch die Winde und durch die Aufsaugung des Wärmestoffes während der Wasserverdunstung, wobei bekanntlich immer Wärme gebunden und damit unfühlbar wird, verhindert wird.

Eine andere interessante Untersuchung stellte Humboldt über die Bläue des Himmels an. Sein Auge ergötzte sich nicht allein an dem herrlichen Farbenübergange vom sanften Grün zum prachtvollen Gelb und Roth des Meerhimmels, er ließ nicht nur wie ein gewöhnlicher Naturfreund den augenblicklichen Eindruck beim Anblicke der Azurfarbe des hohen Gewölbes auf sich einwirken, sondern er dachte tiefer über Wirkung und Ursache der Erscheinung nach, und wurde so der erste Naturforscher, welcher auf dem Meere der Aequinoktialgegenden der Erde, wo Tag- und Nachtzeit einander gleich sind, wissenschaftliche Beobachtungen über die Farben des Himmels anstellte. – Nachdem schon 1765 Deluc auf die blaue Himmelsfarbe aufmerksam gemacht und nach den Ursachen und Bedingungen derselben gefragt hatte, erfand 1791 Saussure ein Instrument, das er »Kyanometer«, Himmelsblaumesser, nannte, um durch die daran befindlichen Farbentafeln, in steigender Reihenfolge vom tiefsten bis hellsten Blau, den jedesmaligen Grad der Himmelsbläue anzugeben. Humboldt gab auf dieser Seefahrt dem Instrumente eine große Anwendung, indem er durch die Farbe den Grad der Bläue, die Anhäufung und Natur der undurchsichtigen Dünste in der Luft ermittelte. Zu diesem Zwecke beobachtete er Farbe und Figur der auf- und untergehenden Sonnenscheibe und erkannte daran die Dauer des schönen Wetters und Ruhe oder Stärke des Windes, und als untrügliches Zeichen eines nahen Sturmes lernte er die Blässe und ungewöhnliche Verschiebung der untergehenden Sonnenscheibe kennen. Er bediente sich des Instrumentes auch zur Messung der Meerfarbe, die meistens grün ist, und er fand auch hier manchfaltige Wechsel, welche bei heiterem Himmel oft das Meer aus dem tiefsten Indigoblau in das dunkelste Grün und Schiefergrau überführten ohne irgend eine atmosphärische Einwirkung; überhaupt stellte sich heraus, daß der Ausdruck: »der Ocean spiegele den Himmel wieder« – ein rein poetischer, aber kein naturrichtiger sei, indem das Meer oft blau ist, während der Himmel fast ganz mit leichten, weißen Wolken bedeckt erscheint. – Außer diesen Beobachtungen hatte Humboldt auch manche neue Erfahrungen über die Feuchtigkeit der Luft, über Elektricität und Neigung der Magnetnadel gesammelt.

In Cumana angekommen, einer Hafenstadt, in welcher noch die Spuren eines achtzehn Monate vorher stattgehabten Erdbebens zu sehen waren, wurde Humboldt von dem Kapitän seines Schiffes zum Gouverneur der Provinz geführt, der ihn mit Freundlichkeit empfing, während die, mit ihm ebenfalls das Schiff verlassenden, fieberkranken Passagiere an das Land gebracht wurden und bei den Einwohnern eine fast rührende Theilnahme und Pflege fanden. – Nachdem Humboldt Küste, Stadt, Festung und nächste Landschaft im Allgemeinen in Augenschein genommen hatte (wo ihm die lebenden Schutzmauern aus undurchdringlich verwachsenem, stacheligem Kaktus und die Krokodile, welche in den Gräben der Festung leben und diese bewachen, eine neue, eigenthümliche Erscheinung waren), und nachdem er sich mit dem Leben der Einwohner bekannt gemacht hatte, welches viele Sonderbarkeiten darbot und eigentlich ein Amphibienleben genannt werden muß, da Kinder und Erwachsene einige Stunden täglich im Flusse Manzanares zubringen, wo sie bei Mondschein Stühle in's Wasser stellen, ihre Cigarren im Flusse rauchen und auch Humboldt Abends zu diesem Vergnügen einluden, lenkte er seine nächste Aufmerksamkeit auf den stets sein höchstes Interesse erregenden Gegenstand, nämlich den recht eigentlich vulkanischen Boden, auf dem er sich hier befand, da Cumana sehr oft von Erdbeben heimgesucht war. Er studirte die Geschichte dieser Erderschütterungen, um daraus neue Anschauungen zu schöpfen und Richtung wie Ausdehnung der Erdstöße unter ein aufzusuchendes Gesetz zu bringen, und machte dann am 9. August 1799 seine erste Ausflucht mit Bonpland nach der Halbinsel Araya, welche in früheren Zeiten durch Sklavenhandel und Perlenfischerei berühmt war, und wo er nach einer Wanderung durch einen Wald von Fackeldisteln an eine, von einer indianischen Familie bewohnten Hütte kam, in der er, gastfreundlich empfangen, übernachtete und dann zwei Tage in dieser Gegend blieb. Eine zweite Excursion unternahm Humboldt bald darauf nach den Missionen der Chaimas-Indianer, einer Landschaft von wunderbarer Pflanzen- und Thierwelt und einem fast noch im wilden Naturzustande befindlichen Volke belebt. Hier wanderte er auf quellenreichem Boden, unter Bäumen von riesenhafter Größe, von Lianen (gewaltigen Schlingpflanzen) bedeckt, in die Schluchten zu den mit Zuckerrohr, Melonenbäumen, Pisang und Mais umpflanzten Hütten der Indianer. – »Wenn ein Reisender« – sagt er bei der Schilderung seines hiesigen Aufenthaltes – »zum ersten Male die Wälder des südlichen Amerika betritt, so zeigt sich ihm die Natur in einer überraschenden Gestaltung. Seine Umgebungen sind nur wenig geeignet, ihn an die Schilderungen zu erinnern, welche berühmte Reisende von den Gestaden des Mississippi, von Florida und anderen gemäßigten Gegenden der neuen Welt entworfen haben. – Hier aber (in Centralamerika) fühlt es der Reisende auf jedem Schritte, daß er sich nicht an der Grenze, sondern im Mittelpunkte des heißen Erdstriches befindet. Er weiß nicht, was ihn mehr anzieht und seine Verwunderung am Meisten rege macht, ob die stille Ruhe der Einsamkeit oder die Schönheit der einzelnen, von einander abstechenden Formen, oder jene Kraft und Frische des Pflanzenlebens, wodurch sich das Klima der Tropenländer auszeichnet. Man möchte sagen, der mit Pflanzen überladene Boden liefert nicht Raum genug für ihre Entwickelung. Ueberall sind die Baumstämme von einem dichten, grünen Teppich umhüllt; wer mit Sorgfalt die Orchis-, Pfeffer- oder Pothospflanzen, welche ein einziger Heuschreckenbaum oder amerikanischer Feigenbaum nährt, verpflanzen wollte, der könnte damit ein großes Stück Land überdecken. Die nämlichen Schlingpflanzen, welche auf der Erde kriechen, erklimmen auch die Gipfel der Bäume und dehnen ihre Ranken bis hundert Fuß hoch, von einem zum andern hinüber.«

Wie manchfaltig und fesselnd müssen hier unter diesem großartigen Pflanzengewölbe die Eindrücke auf Humboldt gewirkt und seinen Geist mit neuen, ungewöhnlichen Bildern der Natur bereichert haben! Wir werden später, wo wir den Wanderer auf seinem Wege durch die Schluchten von Neu-Granada bis Quito begleiten, Gelegenheit finden, ihn selbst die Eindrücke der Tropengegend schildern zu hören.

Auf dem Wege nach den Missionen der Chaymas-Indianer, auf dem wir ihm gegenwärtig folgen, bewunderte er auch zum ersten Male die flaschenähnlichen, künstlichen Nester des Oriola, dieses der Drossel verwandten Singvogels, dessen etwas heiseres Geschrei die dortigen Wälder so heftig durchdringt, daß es selbst das Geräusch stürzender Waldbäche übertönt; – auf dieser Wanderung lernte er das Mönchsleben der hier befindlichen Mission kennen, deren alter Prior Humboldt's Forschungen, Beobachtungen, Instrumente und getrocknete Pflanzen als nutzlose Spielerei belächelte und behauptete, daß unter allen Ergötzlichkeiten des Lebens, den Schlaf nicht ausgenommen, keine einzige mit dem Genusse eines guten Stückes Rindfleisch zu vergleichen sei! – – –

Humboldt wanderte mit seinem Freunde Bonpland weiter nach der Cuchivanoschlucht, auf einem von Jaguars (amerikanischen Tigern) unsicher gemachten Wege, wo aus einer Schlucht selbst Flammen hervorbrachen, die Humboldt zu interessanten Betrachtungen über vulkanische Zustände und Erdbeben führten, zumal die Landeseinwohner ihm von der Zunahme der Erderschütterungen in dieser Gegend und der Provinz Neu-Andalusien überhaupt sonderbare Mittheilungen und Voraussagungen machten, die, wie wir bald erfahren werden, nur zu bald zu Thatsachen wurden. Am 12. August erreichten die Wanderer, nach längerem Bergsteigen, den Hauptort der Chaymas-Mission, das Kloster Caripe, wo Humboldt namentlich der stillen und schönen Nächte, die er hier erlebte, noch in späteren Jahren gedachte. – »Nichts,« sagte er, »ist diesem Eindrücke erhabener Ruhe zu vergleichen, den der Anblick des Sternenhimmels in dieser Einöde gewährt.« – Hier, als sein Auge beim Eintritt der Nacht die den Horizont begrenzenden Wiesengründe überschaute, diese mit Gras bewachsene, sanft wellenförmige Ebene, da glaubte er das gestirnte Gewölbe des Himmels von der Fläche des Oceans getragen zu sehen. Der Baum, unter dessen Schatten er saß, die in der Luft flatternden leuchtenden Insekten, die im Süden glänzenden Sternbilder, Alles erinnerte ihn mächtig an die Entfernung von der Heimat – und wenn mitten in dieser fremdartigen Natur aus dem Thalgrunde her plötzlich ein Kuhgeläut oder das Brüllen eines Stiers sich hören ließ, dann erwachte schnell wieder die Erinnerung an das Vaterland. – Humboldt verlebte hier eine heilige Feier des heimatlichen Andenkens, die Töne klangen ihm wie ferne Stimmen von jenseits des Meeres, die ihn an die andere Halbkugel der Erde versetzten, und in seiner Phantasie zu einer unerschöpflichen Quelle von Freude und Schmerz wurden.

Auf schönen Bergpfaden und abwechselnd sumpfigen, beschwerlichen Wegen besuchte Humboldt mit seinem Begleiter auch die andern Plätze dieser Missionen, namentlich San Antonio und Guanaguana, und so gelangte er auch an die im Caripethale gelegene Guacharo-Höhle, den Aufenthaltsort eines hier zahlreich lebenden Nachtvogels, der das Tageslicht nicht verträgt, 3½ Fuß Flügelbreite hat, ein gräßliches an den Gewölben der Höhle wiederschallendes Geschrei ausstößt und sich merkwürdiger Weise nur von Körnern nährt. Humboldt war der Erste, welcher die Nachricht von dieser Höhle nach Europa gebracht hat. In ihrem Hintergründe sollen, nach dem Glauben der Eingeborenen, sich die Geister ihrer Voreltern aufhalten und Niemand betritt sie deßhalb aus heiliger Scheu. – Nachdem Humboldt und Bonpland mit großem Fleiße ihre Zeichnungen vollendet und die gesammelten Naturgegenstände eingepackt hatten, traten sie ihren Rückweg am 22. September über beschwerliche Felsenabhänge und durch dichte Wälder und Farrenkräuter an, und machten unterwegs die erste Bekanntschaft mit den Affen, die diese Gegend bewohnen und ein melancholisches Geheul ausstoßen. Humboldt wurde dabei auf die Beobachtung geführt, daß die Affen um so trauriger und schwermüthiger in ihrer Erscheinung sich darstellen, je mehr sie dem Menschen ähnlich sehen – daß mit der Zunahme ihrer scheinbaren Verstandeskräfte auch ihre muthwillige Lustigkeit in gleichem Verhältnisse sich vermindere! –

Von der Stadt Cariaco, welche die Reisenden erreicht und wo die ungesunden Einflüsse der Oertlichkeit ein bösartiges Fieber hervorgerufen hatten, schifften sie sich schnell ein, um den Weg von 12 Seemeilen nach Cumana zurückzulegen, während Humboldt seine Studien über die Stämme der bisher kennen gelernten Indianer und ihre Sprache weiter ausführte. Sein zweiter Aufenthalt in Cumana bot der außerordentlichen Ereignisse aber mehrere dar; er wäre sogar fast das Opfer eines Mordversuches geworden, welcher von einem bis auf den Gürtel nackten Zambo, d. i. einem Mischling von Neger und Indianer, auf die beiden Naturforscher verübt wurde, als sie am 27. Oktober 1799 wie gewöhnlich am Ufer des Golfs spazieren gingen. Der Zambo traf mit dem ersten Schlage seines starken Stockes den ausweichenden Humboldt nicht, ein zweiter Schlag, den Bonpland über die Schläfe erhielt, warf diesen zu Boden, doch vermochte er sich mit Humboldt's Hülfe wieder aufzurichten und der nunmehr von beiden Freunden gemeinschaftlich fortgesetzten waffenlosen Nothwehr wollte der Zambo eben mit einem großen Messer begegnen, als zum Glück biscayanische Kaufleute zu Hülfe kamen und der fliehende Angreifer gefaßt und in's Gefängniß abgeführt wurde. – Bonpland fieberte die ganze Nacht, es erregte sein Zustand ernstliche Besorgniß, doch schwanden die üblen Symptome allmählich und nach mehreren Tagen erholte er sich wieder.

Dieses Ereigniß hielt Humboldt von der Beobachtung einer um diese Zeit eintreffenden Sonnenfinsterniß nicht ab, und seine Aufmerksamkeit wurde bald auf neue, höchst wichtige Naturerscheinungen gelenkt, deren Eintreffen ihm schon von den Indianern an der vulkanischen Cuchivanoschlucht aus dortigen volksgläubigen Naturerscheinung vorher gesagt war.

In der Zeit vom 10. Oktober an wurde er auf einen röthlichen Dunst aufmerksam, welcher jeden Abend einige Minuten lang den Himmel bedeckte; bald folgten andere merkwürdige Lufterscheinungen, der Nebel wurde dichter, die heiße Nachtluft übelriechend, die Seewinde blieben aus, der Himmel färbte sich wie Feuer und der Erdboden borst überall. So kam der vierte November heran, ein für Humboldt bedeutungsvoller Nachmittag, weil er hier zum ersten Male in seinem Leben Zeuge eines Erdbebens und Theilhaber an dessen Gefahr werden sollte. Wie neu und ergreifend diese Erscheinung für ihn wurde, wie er sich aber bald mit der Gefahr vertraut machte, das drückt er selbst in folgenden Worten aus: »Von Kindheit an haben wir die Vorstellung, daß das Wasser ein bewegliches Element, die Erde aber eine unbewegliche, träge Masse sei – es ist eine Vorstellung alltäglicher Erfahrung. Die Erscheinung eines Erdstoßes, einer Erschütterung der Erde, von der wir glaubten, daß sie auf ihren alten Fundamenten festruhe, zerstört in einem Augenblicke die langgehegte Täuschung. Es ist eine Art von Erwachen, aber ein unangenehmes, man fühlt, daß man durch die scheinbare Ruhe der Natur sich täuschen ließ; von nun an wird man bei dem leisesten Geräusche aufmerksam und zum ersten Male mißtraut man dem Boden, worauf man lange Zeit mit Zuversicht wanderte. – Wenn aber die Stöße sich wiederholen, wenn sie mehrere Tage nach einander öfters eintreten, dann verschwindet das Ungewisse schnell, der Mensch faßt neue Zuversicht und wird mit dem schwankenden Erdboden ebenso vertraut, wie der Steuermann mit dem vom Wellenschläge erschütterten Schiffe.« – Und noch nach sechszig Jahren, wo Humboldt sich dieser Erlebnisse erinnert, beweist er die Gewalt und Nachhaltigkeit jener Eindrücke auf Geist und Gemüth in den Worten: »… Es ist ein unaussprechlich tiefer und ganz eigenthümlicher Eindruck, welchen das erste Erdbeben, das wir empfinden, sei es auch von keinem unterirdischen Getöse begleitet, in uns zurückläßt. – Ein solcher Eindruck – glaube ich – ist nicht Folge der Erinnerung an die Schreckensbilder der Zerstörung, welche unserer Einbildungskraft aus Erzählungen oder Erfahrungen der Vergangenheit vorschweben. – Was uns so wunderbar ergreift, ist die Enttäuschung von dem angebornen Glauben an die Ruhe und Unbeweglichkeit des Starren, der festen Erdrinde. – Alle Zeugnisse unserer Sinne haben diesen Glauben befestigt. – Wenn nun urplötzlich der Boden erbebt, so tritt geheimnißvoll eine unbekannte Naturmacht, als ein das Starre Bewegendes, als etwas Handelndes auf. – Ein Augenblick vernichtet die Illusion des ganzen frühern Lebens. – Enttäuscht sind wir über die Ruhe der Natur; wir fühlen uns in den Bereich zerstörender, unbekannter Kräfte versetzt. – Jeder Schall, die leiseste Regung der Lüfte spannt unsere Aufmerksamkeit. Man traut gleichsam dem Boden nicht mehr, auf den man tritt. Das Ungewöhnliche der Erscheinung bringt dieselbe ängstliche Unruhe bei Thieren hervor. Schweine und Hunde sind besonders davon ergriffen; die Krokodile im Orinoco, sonst so stumm wie unsere kleinen Eidechsen, verlassen den erschütterten Boden des Flusses und laufen brüllend dem Walde zu. – Dem Menschen stellt sich das Erdbeben als etwas Allgegenwärtiges, Unbegrenztes dar. – Von einem thätigen Ausbruchkrater, von einem auf unsere Wohnung gerichteten Lavastrome kann man sich entfernen; bei dem Erdbeben glaubt man sich überall, wohin auch die Flucht gerichtet sei, über dem Herd des Verderbens. – Ein solcher Zustand des Gemüthes, aus unserer innersten Natur hervorgerufen, ist aber nicht von langer Dauer. – Folgt in einem Lande eine Reihe von schwachen Erdstößen auf einander, so verschwindet bei den Bewohnern fast jegliche Spur von Furcht. – An den regenlosen Küsten von Peru kennt man weder Hagel noch den rollenden Donner und die leuchtenden Blitze im Luftkreise. Den Wolkendonner ersetzt dort das unterirdische Getöse, welches die Erdstöße begleitet. – Vieljährige Gewohnheit und die sehr verbreitete Meinung, als seien gefahrbringende Erschütterungen nur zwei- bis dreimal in einem Jahrhundert zu befürchten, machen, daß in Lima schwache Erschütterungen des Bodens kaum mehr Aufmerksamkeit erregen, als ein Hagelwetter in der gemäßigten Zone. – Das unterirdische Getöse, wenn es von keinen fühlbaren Erdstößen begleitet ist, läßt einen besonders tiefen Eindruck selbst bei Denen zurück, die schon lange einen oft erbebenden Boden bewohnt haben. Man harret mit Bangigkeit auf Das, was nach dem unterirdischen Krachen folgen wird. –«

Die Bevölkerung von Cumana war in der größten Bestürzung, als Abends gegen 9 Uhr ein dritter Erdstoß mit unterirdischem Getöse erfolgte. Viele Personen liefen zu Humboldt und Bonpland, um sie zu befragen, ob ihre Instrumente nicht neue Erdstöße andeuteten. Es muß dieser Nachmittag für Humboldt ein großartiges Naturbild gewesen sein, wenn man sich in die Landschaft versetzt, welche er, mit seinem Talente in solchen naturgetreuen Schilderungen, davon zeichnet. – In unermeßlicher Höhe und mit ununterbrochenem Getöse donnert es über dem Haupte, während der Erdboden erbebt; das Volk fliehet aus den Häusern auf die Straßen und erfüllt die Luft mit seinem Schrei des Entsetzens. Und diesem Bilde der von Zerstörungskräften erbebenden Erde folgt ein herrlicher Sonnenuntergang auf indigoblauem Himmelsgrunde, umspielt von goldig umsäumten Wolken und prismatischen Farbenstrahlen, während tief in der Erde ein drohendes Getöse einen neuen, erschütternden Stoß begleitet. –

Wenige Nächte darauf, am 12. November, hatte Humboldt wiederum Gelegenheit, ähnlich wie auf dem Schiffe nach seiner Ausfahrt von Europa, einen starken Sternschnuppenregen zu beobachten. Damals schon ahnte er in diesen Erscheinungen eine wiederkehrende Regelmäßigkeit, und wir werden in spätern Perioden dieser Lebensbeschreibung mitzutheilen haben, wie gerade durch Humboldt's Anschauungen die neuere Zeit eine wissenschaftliche Deutung dieser Meteorerscheinungen aufgefunden hat.

Am 18. November verließ Humboldt mit seinem Reisegefährten Cumana, um eine Küstenfahrt nach Guayra zu machen und bis zum Schlusse der Regenzeit in Caracas zu verweilen, dann in die weiten Landebenen (Llanos) am Orinocostrome zu wandern, den gewaltigen Strom südlich der Katarakten, aufwärts bis zum Rio Negro, an die Grenze Brasiliens zu fahren und so über Guyana (deren Hauptstadt: Engpaß oder Angostura genannt wird) nach Cumana zurückzukehren. Es war dieses ein Weg von mehr als 500 Meilen, von denen zwei Drittheile in Kähnen zurückgelegt werden mußten, dazu war das Reiseziel ein bisher noch unbekannter Landstrich und mit den dort befindlichen Missionen wurde noch kein Handelsverkehr unterhalten. Muth und Standhaftigkeit, vom Eifer für Wissenschaft geweckt, waren auch hier Humboldt's Führer. Er ließ sich von den rückschreckenden Schilderungen der Colonisten, welche ihm die durch Boden, Thiere und wilde Menschen drohenden Gefahren und Hindernisse darstellten, nicht von seinem Reiseplane ablenken.

Den gekrümmten, mit Kokosbäumen an seinen Ufern besetzten Fluß Manzanares fuhr Humboldt mit seinem Begleiter auf einem kleinen Handelsschiffe schnell hinab und nahm von Cumana, als von einer neuen, vertrauten Heimat, Abschied. Es war ja das erste Land, welches Humboldt mit seinem Freunde unter einem Himmelsstriche berührt hatte, nach welchem von früher Jugend an seine Sehnsucht gerichtet gewesen war, und er selbst sagt, daß der Eindruck, den die Natur der indischen Landschaften hervorbringt, so groß und mächtig sei, daß man nach dem Aufenthalte einiger Monate schon Jahre lang daselbst gewohnt zu haben glaubt. – Dieser Eindruck erlaubt keinen Vergleich mit demjenigen, den etwa ein europäischer Nordländer nach kurzem Aufenthalte am Golf von Neapel empfindet, denn die Fichten und Eichen, welche auf den schwedischen Bergen wachsen, haben Familienähnlichkeit mit denen Italiens und Griechenlands – hier aber zwischen den Wendekreisen, wo Humboldt wanderte, erscheint die Natur durchaus neu und wunderbar, im freien Felde sowol, wie im Waldesdickicht erlischt beinahe jede Erinnerung an Europa.

Die Stärke dieser Eindrücke ersetzt die längere Dauer derselben, daher erklärt es sich, wie Humboldt noch jetzt im höheren Alter »eine Art unruhigen Verlangens« nach dem Wiedersehen jener Gegenden, namentlich von Cumana, in sich verspürt; dort erleuchtet die Sonne eine Landschaft nicht nur, wie bei uns, sondern sie ertheilt den Gegenständen Färbung, sie umhüllt sie, ohne der Durchsichtigkeit zu schaden, mit leichtem Dunste, welcher die Schattirungen harmonischer macht und über die Natur eine Ruhe ausbreitot, deren Bild sich noch gegenwärtig im hohen Alter im Gemüthe Humboldt's abspiegelt. Daraus erklärt sich auch Humboldt's Schmerz über seine Entfernung von Cumana, dessen Küste er vor fünf Monaten »wie ein neu entdecktes Land« betreten, wo er Anfangs mit einem gewissen Mißtrauen jedem Gebüsch, jedem feuchten oder schattigen Orte sich genähert hatte und nun mit Pflanzen, Fels, Boden und Bewohnern so vertraut geworden war. Diesen Trennungsschmerz verhehlte er nicht, als er Abends in der Ferne nur noch die Küste an den zerstreueten Lichtern der Fischer erkennen konnte.

Humboldt ankerte mit seinem Begleiter im Hafen von Neu-Barcelona, an der Mündung des an Krokodilen reichen Flusses Rio Reveri und beobachtete auf einem Hügel die Meereshöhe, um die geographische Länge des Ortes zu bestimmen. Am andern Tage ging er wieder zu Schiffe, obgleich seine Reisegefährten, aus Furcht vor dem Schwanken des kleinen Fahrzeuges auf stürmischer See, sich entschlossen, den Weg nach Caracas zu Lande und zwar durch eine wilde und feuchte Gegend zu machen. Diesen Weg nahm auch Bonpland, um eine Sammlung neuer Pflanzen zu erbeuten. – Muthig vollführte Humboldt dagegen mit einem Piloten die Seeüberfahrt nach Guayra, dessen Hafen von Haifischen belebt ist und dessen Gegend eher einer entblößten Felseninsel, als einem Festlande glich. Humboldt verweilte nur wenige Stunden, zumal das gelbe Fieber hier herrschte, und traf schon am Abend des 21. November in Caracas ein, wo die über Land gegangenen Reisegefährten nach vielem Ungemach erst vier Tage später ankamen.


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