Heinrich von Kleist
Die Familie Schroffenstein
Heinrich von Kleist

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Agnes.
Die Schreckensnacht! Entsetzlich ist der Anblick!
Ein Leichenzug mit Kerzen, wie ein Traum
Im Fieber! Weit das ganze Tal erleuchtet
Vom blutig-roten Licht der Fackeln. Jetzt
Durch dieses Heer von Geistern geh ich nicht
Zu Hause. Wenn die Höhle leer ist, wie
Du sagst –

Barnabe.              Soeben gingen die zwei Ritter
Heraus.

Agnes.            So wäre Ottokar noch hier?
Ottokar! – – Ottokar!

Ottokar (mit matter Stimme). Agnes!

Agnes.
Wo bist du? – Ein Schwert – im Busen – Heiland!
Heiland der Welt! Mein Ottokar! (Sie fällt über ihn.)

Ottokar.                                                Es ist –
Gelungen. – Flieh! (Er stirbt.)

Barnabe.                           O Jammer! Gott des Himmels!
Mein Fräulein! Sie ist sinnlos! Keine Hülfe!
Ermanne dich, mein Fräulein! – Gott! Die Fackeln!
Sie nahen! Fort, Unglückliche! Entflieh! (Ab.)

(Sylvester und Theistiner treten auf; eine Fackel folgt.)

Sylvester.
Der Zug soll halten. (Zu Theistiner.) Ist es diese Höhle?

Theistiner.
Ja, Herr, von dieser sprach Johann, und darf
Man seiner Rede traun, so finden wir
Am sichersten das Fräulein hier.

Sylvester.                                             Die Fackel vor!

Theistiner. Wenn ich nicht irre, seh ich Ottokar
Dort liegt auch Agnes!

Sylvester.                              Am Boden! Gott der Welt!
Ein Schwert im Busen meiner Agnes!

Agnes (richtet sich auf).
Wer ruft?

Sylvester.         Die Hölle ruft dich, Mörder!
(Er ersticht sie.)

Agnes.                                                             Ach! (Sie stirbt.)

(Sylvester läßt sich auf ein Knie neben der Leiche Ottokars nieder.)

Theistiner (nach einer Pause).
Mein bester Herr, verweile nicht in diesem
Verderblich dumpfen Schmerz! Erhebe dich!
Wir brauchen Kraft, und einem Kinderlosen
Zerreißt der Schreckensanblick das Gebein.

Sylvester.
Laß einen Augenblick mich ruhn. Es regt
Sich sehr gewaltig die Natur im Menschen,
Und will, daß man, gleich einem einzgen Gotte,
Ihr einzig diene, wo sie uns erscheint.
Mich hat ein großer Sturm gefaßt, er beugt
Mein wankend Leben tief zur Gruft. Wenn es
Nicht reißt, so steh ich schrecklich wieder auf,
Ist der gewaltsam erste Anfall nur
Vorüber.

Theistiner.     Doch das Zögern ist uns sehr
Gefährlich – – Komm! Ergreif den Augenblick!
Er wird so günstig niemals wiederkehren.
Gebeut die Rache und wir wettern wie
Die Würgeengel über Rossitz hin!

Sylvester.
Des Lebens Güter sind in weiter Ferne,
Wenn ein Verlust so nah, wie diese Leiche,
Und niemals ein Gewinst kann mir ersetzen,
Was mir auf dieser Nummer fehlgeschlagen.
Sie blühte wie die Ernte meines Lebens,
Die nun ein frecher Fußtritt mir zertreten,
Und darben werd ich jetzt, von fremden Müttern
Ein fremdes Kind zum Almos mir erflehen.

Theistiner.
Sylvester, hör mich! Säume länger nicht!

Sylvester.
Ja, du hast recht! es bleibt die ganze Zukunft
Der Trauer, dieser Augenblick gehört
Der Rache. Einmal doch in meinem Leben
Dürst ich nach Blut, und kostbar ist die Stimmung.
Komm schnell zum Zuge.

(Man hört draußen ein Geschrei: Holla! Herein! Holla!)

Theistiner.                                 Was bedeutet das?

(Rupert und Santing werden von Rittern Sylvesters gefangen aufgeführt.)

Ein Ritter.
Ein guter Fund, Sylvester! Diese saubern
Zwei Herren, im Gesträuche hat ein Knappe,
Der von dem Pferd gestiegen, sie gefunden.

Theistiner.
Sylvester! Hilf mir sehn, ich bitte dich!
Er ists! Leibhaftig! Rupert! Und der Santing.

Sylvester (zieht sein Schwert).
Rupert!

Theistiner.   Sein Teufel ist ein Beutelschneider,
Und führt in eigener Person den Sünder
In seiner Henker Hände.

Sylvester.                                 O gefangen!
Warum gefangen? Gott der Gerechtigkeit!
Sprich deutlich mit dem Menschen, daß ers weiß
Auch, was er soll!

Rupert (erblickt Agnes' Leiche). Mein Sohn! Mein Sohn! Ermordet!
Zu meinem Sohne laßt mich, meinem Sohne!
(Er will sich losreißen, die Ritter halten ihn.)

Sylvester.
Er trägt sein eigen schneidend Schwert im Busen.
(Er steckt ein.)
Laßt ihn zu seinem Sohne.

Rupert (stürzt über Agnes Leichnam hin). Ottokar!

Gertrude (tritt auf).
Ein Reuter flog durch Warwand, schreiend, Agnes
Sei tot gefunden in der Höhle. Ritter,
Ihr Männer! Ist es wahr? Wo ist sie? Wo?
(Sie stürzt über Ottokars Leichnam..
O heilge Mutter Gottes! O mein Kind!
Du Leben meines Lebens!

Eustache (tritt auf).                    Seid ihr Männer,
So laßt ein Weib unangerührt hindurch,
Gebeuts, Sylvester, ich, die Mutter des
Erschlagnen, will zu meines Sohnes Leiche.

Sylvester.
Der Schmerz ist frei. Geh hin zu deinem Sohn.

Eustache.
Wo ist er? – Jesus! Deine Tochter auch? –
Sie sind vermählt.

(Sylvester wendet sich. Eustache läßt sich auf ein Knie vor Agnes' Leiche nieder. Sylvius, von Johann geführt, treten auf. Der letzte mit Zeichen der Verrückung.)

Sylvius.                          Wohin führst du mich, Knabe?

Johann.
Ins Elend, Alter, denn ich bin die Torheit.
Sei nur getrost! Es ist der rechte Weg.

Sylvius.
Weh! Weh! Im Wald die Blindheit, und ihr Hüter
Der Wahnsinn! Führe heim mich, Knabe, heim!

Johann.
Ins Glück? Es geht nicht, Alter. 's ist inwendig
Verriegelt. Komm. Wir müssen vorwärts.

Sylvius.                                                                Müssen wir?
So mögen sich die Himmlischen erbarmen.
Wohlan. Ich folge dir.

Johann.                                Heißa lustig!
Wir sind am Ziele.

Sylvius.                           Am Ziele schon? Bei meinem
Erschlagnen Kindeskind? Wo ist es?

Johann.                                                       Wär ich blind,
Ich könnt es riechen, denn die Leiche stinkt schon.
Wir wollen uns dran niedersetzen, komm,
Wie Geier ums Aas.
(Er setzt sich bei Ottokars Leiche.)

Sylvius.                             Er raset. Weh! Hört denn
Kein menschlich Ohr den Jammer eines Greises,
Der blind in pfadelosen Wäldern irrt?

Johann.
Sei mir nicht bös, ich mein es gut mit dir.
Gib deine Hand, ich führe dich zu Agnes.

Sylvius.
Ist es noch weit?

Johann.                       Ein Pfeilschuß. Beuge dich.

Sylvius (indem er die Leiche betastet).
Ein Schwert – im Busen – einer Leiche. –

Johann.                                                                 Höre, Alter,
Das nenn ich schauerlich. Das Mädchen war
So gut, und o so schön.

Sylvius.                                 Das ist nicht Agnes!
– Das wäre Agnes, Knabe? Agnes' Kleid,
Nicht Agnes! Nein bei meinem ewgen Leben,
Das ist nicht Agnes!

Johann (die Leiche belastend). Ah! Der Skorpion!
's ist Ottokar!

Sylvester.               Ottokar!

Gertrude.
So wahr ich Mutter, das ist meine Tochter
Nicht. (Sie steht auf)

Sylvester.   Fackeln her! – Nein, wahrlich, nein! Das ist
Nicht Agnes!

Eustache (die herbeigeeilt). Agnes! Ottokar! Was soll
Ich glauben –? O ich Unheilsmutter! Doppelt
Die Leiche meines Sohnes! Ottokar!

Sylvester.
Dein Sohn in meiner Agnes Kleidern? Wer
Denn ist die Leiche in der Männertracht?
Ist es denn – Nein, es ist doch nicht –?

Sylvius.                                                           Sylvester!
Wo ist denn Agnes' Leiche? Führ mich zu ihr.

Sylvester.
Unglücklicher! Sie ist ja nicht ermordet?

Johann.
Das ist ein Narr. Komm, Alter, komm. Dort ist
Noch eine Leich, ich hoffe, die wirds sein.

Sylvius.
Noch eine Leiche? Knabe! Sind wir denn
In einem Beinhaus?

Johann.                            Lustig, Alter!
Sie ists! 's ist Agnes!

Sylvester (bedeckt sich das Gesicht).
                                   Agnes!

Johann.                                           Faß ihr ins Gesicht,
Es muß wie fliegender Sommer sein.
(Zu Rupert.)                                         Du Scheusal! Fort!

Rupert (richtet sich halb auf).
Bleibt fern, ich bitt euch. – Sehr gefährlich ists,
Der Ohnmacht eines Rasenden zu spotten.
Ist er in Fesseln gleich geschlagen, kann
Er euch den Speichel noch ins Antlitz spein,
Der seine Pest euch einimpft. Geht, und laßt
Die Leiche mindstens mir von Ottokar.

Johann.
Du toller Hund! Geh gleich fort! Ottokar
Ist dort – komm, Alter, glaub mir hier ist Agnes.

Sylvius.
O meine Agnes! O mein Kindeskind!

Eustache.
O meine Tochter! Welch ein Irrtum! Gott!

Rupert (sieht Agnes' Leiche genauer an, steht auf, geht schnell zur Leiche Ottokars, und wendet sich mit Bewegung des Entsetzens).
Höllisch Gesicht! Was äffst du mich?
(Er sieht die Leiche wieder an.)         Ein Teufel
Blöckt mir die Zung heraus.
(Er sieht sie wieder an und führt mit den Händen in seinen Haaren.)
                                               Ich selbst! Ich selbst!
Zweimal die Brust durchbohrt! Zweimal die Brust.

Ursula (tritt auf).
Hier ist der Kindesfinger!
(Sie wirft einen Kindesfinger in die Mitte der Bühne und verschwindet.)

Alle.
Was war das? Welche seltsame Erscheinung?

Eustache. Ein Kindesfinger?
(Sie sucht ihn auf)

Rupert.                                   Fehlte Petern nicht
Der kleine Finger an der linken Hand?

Sylvester.
Dem Peter? Dem erschlagnen Knaben? Fangt
Das Weib mir, führet mir das Weib zurück!

(Einige Ritter ab.)

Eustache.
Wenn eine Mutter kennt, was sie gebar,
So ist es Peters Finger.

Rupert.                                 Peters Finger?

Eustache.
Er ists! Er ists! An dieser Blatternarbe,
Der einzigen auf seinem ganzen Leib,
Erkenn ich es! Er ist es!

Rupert.                                   Unbegreiflich!

Ursula (wird aufgeführt).
Gnade! Gnade! Gnade!

Sylvester.
Wie kamst du, Weib, zu diesem Finger?

Ursula.                                                              Gnade!
Das Kind, dem ich ihn abgeschnitten, ist
Ermordet nicht, war ein ertrunkenes,
Das ich selbst leblos fand.

Rupert.                                       Ertrunken?

Sylvester.
Und warum schnittst du ihm den Finger ab?

Ursula.
Ich wollt ihn unter meine Schwelle legen,
Er wehrt dem Teufel. Gnade! Wenns dein Sohn ist,
Wie meine Tochter sagt, ich wußt es nicht.

Rupert.
Dich fand ich aber bei der Leiche nicht.
Ich fand zwei Reisige aus Warwand.

Ursula.
Die kamen später zu dem Kind als ich,
Ihm auch den rechten Finger abzulösen.

(Rupert bedeckt sich das Gesicht.)

Johann (tritt vor Ursula).
Was willst du, alte Hexe?

Ursula.                                       's ist abgetan, mein Püppchen.
Wenn ihr euch totschlagt, ist es ein Versehen.

Johann.
Versehen? Ein Versehen? Schade! Schade!
Die arme Agnes! Und der Ottokar!

Rupert.
Johann! Mein Knäblein! Schweige still, dein Wort
Ist schneidend wie ein Messer.

Johann.                                              Seid nicht böse.
Papa hat es nicht gern getan, Papa
Wird es nicht mehr tun. Seid nicht böse.

Rupert.
Sylvester! Dir hab ich ein Kind genommen,
Und biete einen Freund dir zum Ersatz.
(Pause.)
Sylvester! Selbst bin ich ein Kinderloser!
(Pause.)
Sylvester! Deines Kindes Blut komm über
Mich – kannst du besser nicht verzeihn, als ich?

(Sylvester reicht ihm mit abgewandtem Gesicht die Hand; Eustache und Gertrude umarmen sich.)

Johann.
Bringt Wein her! Lustig! Wein! Das ist ein Spaß zum
Totlachen! Wein! Der Teufel hatt im Schlaf die beiden
Mit Kohlen die Gesichter angeschmiert,
Nun kennen sie sich wieder. Schurken! Wein!
Wir wollen eins drauf trinken!

Ursula.                                              Gott sei Dank!
So seid ihr nun versöhnt.

Rupert.                                     Du hast den Knoten
Geschürzt, du hast ihn auch gelöst. Tritt ab.

Johann.
Geh, alte Hexe, geh. Du spielst gut aus der Tasche,
Ich bin zufrieden mit dem Kunststück. Geh.

(Der Vorhang fällt.)


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