Heinrich von Kleist
Die Familie Schroffenstein
Heinrich von Kleist

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Zweite Szene

Warwand Zimmer im Schlosse. Sylvester tritt auf, öffnet ein Fenster, und bleibt mit Zeichen einer tiefen Bewegung davor stehen. Gertrude tritt auf, und nähert sich ihm mit verdecktem Gesicht.

Gertrude.
Weißt du es?

Agnes (tritt auf, noch an der Tür halblaut).
                      Mutter! Mutter!

(Gertrude sieht sich um, Agnes nähert sich ihr.)

                                                 Weißt du die
Entsetzenstat? Jerome ist erschlagen.

(Gertrude gibt ihr ein bejahendes Zeichen.)

                                                             Weiß ers?

Gertrude (wendet sich zu Sylvester).
Sylvester!

Sylvester (ohne sich umzusehen).
                 Bist du es Gertrude?

Gertrude.                                           Wenn
Ich wüßte, wie du jetzt gestimmt, viel hätt ich
Zu sagen dir.

Sylvester.               Es ist ein trüber Tag
Mit Wind und Regen, viel Bewegung draußen. –
Es zieht ein unsichtbarer Geist, gewaltig,
Nach einer Richtung alles fort, den Staub,
Die Wolken, und die Wellen. –

Gertrude.                                           Willst du mich,
Sylvester, hören?

Sylvester.                      Sehr beschäftigt mich
Dort jener Segel – siehst du ihn? Er schwankt
Gefährlich, übel ist sein Stand, er kann
Das Ufer nicht erreichen. –

Gertrude.                                     Höre mich,
Sylvester, eine Nachricht hab ich dir
Zu sagen von Jerome.

Sylvester.                             Er, er ist
Hinüber – (Er wendet sich.) ich weiß alles.

Gertrude.                                                                Weißt dus? Nun
Was sagst du?

Sylvester.                 Wenig will ich sagen. Ist
Theistin noch nicht zurück?

Gertrude.                                     So willst du nun
Den Krieg beginnen?

Sylvester.                           Kenn ich doch den Feind.

Gertrude.
Nun freilich wie die Sachen stehn, so mußt
Dus wohl. Hat er den Vetter hingerichtet,
Der schuldlos war, so wird er dich nicht schonen.
Die Zweige abzuhaun des ganzen Stammes,
Das ist sein überlegter Plan, damit
Das Mark ihm seinen Wipfel höher treibe.

Sylvester.
Den Edelen, der nicht einmal als Herold
Gekommen, der als Freund nur das Geschäft
Betrieb des Friedens, preiszugeben – ihn
Um sich an mir zu rächen, preiszugeben
Dem Volke. –

Gertrude.               Nun doch, endlich wirst du ihn
Nicht mehr verkennen?

Sylvester.                               Ihn hab ich verkannt,
Jeronimus – hab ihn der Mitschuld heute
Geziehen, der sich heut für mich geopfert.
Denn wohl geahndet hat es ihm – mich hielt
Er ab, und ging doch selbst nach Rossitz, der
Nicht sichrer war, als ich. –

Gertrude.                                       Konnt er denn anders?
Denn weil du Rupert stets mit blinder Neigung
Hast freigesprochen, ja sogar gezürnt,
Wenn man es nur gewagt ihm zu mißtraun,
So mußt er freilich zu ihm gehen. –

Sylvester.                                                 Nun,
Beruhge dich – fortan kein anderes
Gefühl als nur der Rache will ich kennen,
Und wie ich duldend, einer Wolke gleich
Ihm lange überm Haupt geschwebt, so fahr
Ich einem Blitze gleich jetzt über ihn.

Theistiner (tritt auf).
Hier bin ich wieder, Herr, von meinem Zuge,
Und bringe gleich die fünf Vasallen mit.

Sylvester (wendet sich schnell).
Wo sind sie?

Theistiner.             Unten in dem Saale. Drei,
Der Manso, Vitina, Paratzin, haben
Auf ihren Kopf ein dreißig Männer gleich
Nach Warwand mitgebracht.

Sylvester.                                       Ein dreißig Männer?
– Ein ungesprochner Wunsch ist mir erfüllt.
– Laßt mich allein ihr Weiber.
(Die Weiber ab.)                       Wenn sie so
Ergeben sich erweisen, sind sie wohl
Gestimmt, daß man sie schleunig brauchen kann?

Theistiner.
Wie den gespannten Bogen, Herr; der Mord
Jeromes hat ganz wütend sie gemacht.

Sylvester.
So wollen wir die Witterung benutzen.
Er will nach meinem Haupte greifen, will
Es – nun, so greif ich schnell nach seinem. Dreißig
Sagst du, sind eben eingerückt, ein Zwanzig
Bring ich zusammen, das ist mit dem Geiste,
Der mit uns geht, ein Heer – Theistin, was meinst du?
Noch diese Nacht will ich nach Rossitz.

Theistiner.                                                       Herr,
Gib mir ein Funfzehn von dem Trupp, spreng ich
Die Tore selbst und öffne dir den Weg.
Ich kenn das Nest als wärs ein Dachsloch – noch
Erwarten sie von uns nichts Böses, ich
Beschwörs, die sieben Bürger halten Wache
Noch, wie in Friedenszeiten.

Sylvester.                                       So bleibts dabei.
Du nimmst den Vortrab. Wenn es finster, brechen
Wir auf. Den ersten Zugang überrumpelst
Du, selber folg ich auf dem Fuße, bei
Jeromes Leiche sehen wir uns wieder.
Ich will ihm eine Totenfeier halten,
Und Rossitz soll wie Fackeln sie beleuchten.
Nun fort zu den Vasallen.

(Beide ab.)


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