Heinrich von Kleist
Die Familie Schroffenstein
Heinrich von Kleist

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Zweite Szene

Rossitz. Ein Zimmer im Schlosse.
Rupert, Santing und Eustache treten auf

Rupert. Erschlagen, sagst du?

Eustache.                                 Ja, so spricht das Volk.

Rupert.
Das Volk – ein Volk von Weibern wohl?

Eustache.                                                           Mir hats
Ein Mann bekräftigt.

Rupert.                              Hats ein Mann gehört?

Santing.
Ich habs gehört, Herr, und ein Mann, ein Wandrer,
Der her aus Warwand kam, hats mitgebracht.

Rupert.
Was hat er mitgebracht?

Santing.                                   Daß dein Johann
Erschlagen sei.

Eustache.                  Nicht doch, Santing, er sagte
Nichts von Johann, vom Herold sagt' er das.

Rupert.
Wer von euch beiden ist das Weib?

Santing.                                                     Ich sage,
Johann; und ists der Herold, wohl, so steckt
Die Frau ins Panzerhemd, mich in den Weibsrock.

Rupert.
Mit eignen Ohren will ichs hören. Bringt
Den Mann zu mir.

Santing.                       Ich zweifle, daß er noch
Im Ort.

Eustache (sieht ihn an). Er ist im Hause.

Rupert.                                                     Einerlei.
Bringt ihn.

(Santing und Eustache ab.)

Rupert (pfeift; zwei Diener erscheinen).
                  Ruft gleich den Grafen Ottokar!

Ein Diener.
Es soll geschehn, Herr. (Bleibt stehen,)

Rupert.                                  Nun? was willst du?

Der Diener.                                                             Herr,
Wir haben eine Klingel hier gekauft,
Und bitten dich, wenn du uns brauchst, so klingle.
(Er setzt die Klingel auf den Tisch.)

Rupert.
's ist gut.

Der Diener.     Wir bitten dich darum, denn wenn
Du pfeifst, so springt der Hund jedwedes Mal
Aus seinem Ofenloch, und denkt, es gelte ihm.

Rupert. – 's ist gut.

(Diener ab. Eustache und ein Wanderer treten auf)

Eustache.                 Hier ist der Mann. – Hör es nun selbst,
Ob ich dir falsch berichtet.

Rupert.                                       Wer bist du, mein Sohn?

Der Wanderer.
Bin Hans Franz Flanz von Namen, Untertan
Aus deiner Herrschaft, komm vom Wandern in
Die Heimat heut zurück.

Rupert.                                    Du warst in Warwand;
Was sahst du da?

Der Wanderer.           Sie haben deinen Herold
Erschlagen.

Rupert.               Wer tat es?

Der Wanderer.                     Herr, die Namen gingen
Auf keine Eselshaut. Es waren an
Die Hundert über einen, alle Graf
Sylvesters Leute.

Rupert.                        War Sylvester selbst dabei?

Der Wanderer.
Er tat, als wüßt ers nicht, und ließ sich bei
Der Tat nicht sehen. Nachher, als die Stücken
Des Herolds auf dem Hofe lagen, kam er
Herunter.

Rupert.           Und was sagt' er da?

Der Wanderer.                                Er schalt und schimpfte
Die Täter tüchtig aus, es glaubt' ihm aber keiner.
Denn 's dauerte nicht lang, so nannt er seine
Getreuen Untertanen sie.

Rupert (nach einer Pause).
O listig ist die Schlange – 's ist nur gut,
Daß wir das wissen, denn so ist sies nicht
Für uns.

Eustache (zum Wanderer). Hat denn der Herold ihn beleidigt?

Rupert.
Beleidigen! Ein Herold? Der die Zange
Nur höchstens ist, womit ich ihn gekniffen.

Eustache.
So läßt sichs fast nicht denken, daß die Tat
Von ihm gestiftet; denn warum sollt er
So zwecklos dich noch mehr erbittern wollen?

Rupert.
Er setzet die Erfindungskraft vielleicht
Der Rache auf die Probe – nun wir wollen
Doch einen Henker noch zu Rate ziehen.

(Santing und ein zweiter Wanderer treten auf)

Santing.
Hier ist der Wandrer, Herr, er kann dir sagen,
Ob ich ein Weib, ob nicht.

Rupert (wendet sich).                 Es ist doch nicht
Die Höll in seinem Dienst –

Zweiter Wanderer.                       Ja, Herr, Johann
So heißt der Rittersmann, den sie in Warwand
Erschlagen. –

Rupert (dreht sich zu ihm, schnell). Und also wohl den Herold nicht?

Zweiter Wanderer.
Herr, das geschah früher.

Rupert (nach einer Pause).     Tretet ab – bleib du, Santing.

(Die Wanderer und Eustache ab.)

Rupert.
Du siehst die Sache ist ein Märchen. Kannst
Du selbst nicht an die Quelle gehn nach Warwand,
So glaub ichs keinem.

Santing.                               Herr, du hättst den Mann
Doch hören sollen. In dem Hause war,
Wo ich ihn traf, ein andrer noch, der ihm
Ganz fremd, und der die Nachricht mit den Worten
Fast sagt', als hätt er sie von ihm gelernt.

Rupert.
Der Herold, seis – das wollt ich glauben – doch
Johann! Wie käm denn der nach Warwand?

Santing.                                                                  Wie
Die Männer sprachen, hat er Agnes,
Sylvesters Tochter, morden wollen.

Rupert.                                                     Morden!
Ein Mädchen! Sind sie toll? Der Junge ist
Verliebt in alles, was in Weiberröcken.

Santing.
Er soll den Dolch auf sie gezückt schon haben,
Da kommt Jeronimus, und haut ihn nieder.

Rupert.
Jeronimus – wenns überhaupt geschehn,
Daß ers getan, ist glaublich, denn ich weiß,
Der graue Geck freit um die Tochter. – Glaubs
Trotz allem nicht, bis dus aus Warwand bringst.

Santing.
So reit ich hin – und kehr ich heut am Tage
Nach Rossitz nicht zurück, so ists ein Zeichen
Von meinem Tode auch.

Rupert.                                     Auf jeden Fall
Will ich den dritten sprechen, der dirs sagte.

Santing.
Herr, der liegt krank im Haus.

Rupert.                                             So führe mich zu ihm.

(Beide ab; Jeronimus und Eustache treten im Gespräch von der andern Seite auf)

Eustache.
Um Gotteswillen, Ritter –

Jeronimus.                                   Ihm den Mörder
Zu senden, der ihm hinterrücks die Tochter
Durchbohren soll, die Schuldlosreine, die
Mit ihrem Leben nichts verbrach, als dieses
Nur, daß just dieser Vater ihr es gab.

Eustache.
Du hörst mich nicht. –

Jeronimus.                          Was seid ihr besser denn
Als die Beklagten, wenn die Rache so
Unwürdig niedrig ist, als die Beleidigung?

Eustache.
Ich sag dir ja –

Jeronimus.                 Ist das die Weis in diesem
Zweideutig bösen Zwist dem Rechtgefühl
Der Nachbarn schleunig anzuweisen, wo
Die gute Sache sei? Nein, wahrlich, nein,
Ich weiß es nicht, und soll ichs jetzt entscheiden,
Gleich zu Sylvester wend ich mich, nicht euch.

Eustache.
So laß mich doch ein Wort nur sprechen – sind
Wir denn die Stifter dieser Tat?

Jeronimus.                                         Ihr nicht
Die Stifter? Nun, das nenn ich spaßhaft! Er,
Der Mörder, hat es selbst gestanden. –

Eustache.                                                       Wer
Hat es gestanden?

Jeronimus.                    Wer fragst du? Johann.

Eustache.
O welch ein Scheusal ist der Lügner. – Ich
Erstaun, Jeronimus, und wage kaum
Zu sagen, was ich von dir denke. Denn
Ein jedes unbestochnes Urteil müßte
Schnell frei uns sprechen.

Jeronimus.                                 Schnell? Da hast du unrecht.
Als ich Sylvester hörte, hab ich schnell
Im Geist entschieden, denn sehr würdig wies
Die Schuld er von sich, die man auf ihn bürdet.

Eustache.
Ists möglich, du nimmst ihn in Schutz?

Jeronimus.                                                     Haut mir
Die Hand ab, wenn ich sie meineidig hebe;
Unschuldig ist Sylvester!

Eustache.                                  Soll ich dir
Mehr glauben, als den Tätern, die es selbst
Gestanden?

Jeronimus.         Nun, das nenn ich wieder spaßhaft;
Denn glauben soll ich doch von euch, daß ihr
Unschuldig, ob es gleich Johann gestanden.

Eustache.
Nun über jedwedes Geständnis geht
Mein innerstes Gefühl doch. –

Jeronimus.                                       Gerad so spricht Sylvester,
Doch mit dem Unterschied, daß ichs ihm glaube.

Eustache.
Wenn jene Tat wie diese ist beschaffen –

Jeronimus.
Für jene, für Sylvesters Unschuld, steh ich.

Eustache.
Und nicht für unsre?

Jeronimus.                       Reinigt euch.

Eustache.                                                – Was hat
Der Knabe denn gestanden?

Jeronimus.                                   Sag mir erst,
Was hat der Mörder ausgesagt, den man
Gefoltert – wörtlich will ichs wissen.

Eustache.                                                     Ach,
Jeronimus, soll ich mich wahr dir zeigen,
Ich weiß es nicht. Denn frag ich, heißt es stets:
Er hats gestanden; will ichs wörtlich wissen,
So hat, vor dem Geräusch ein jeder nur,
Selbst Rupert nur ein Wort gehört: Sylvester.

Jeronimus.
Selbst Rupert? Ei, wenns nur dies Wort bedurfte
So wußte ers wohl schon vorher, nicht wahr?
So halb und halb?

Eustache.                       Gewiß hat ers vorher
Geahndet. –

Jeronimus.          Wirklich? Nun so war auch wohl
Dies Wort nicht nötig, und ihr hättet euch
Mit einem Blick genügt.

Eustache.                                 Ach, mir hats nie
Genügt – doch muß die Flagge wehn wohin
Der Wind. – Ich werde nie den Unglückstag
Vergessen – und es knüpft, du wirst es sehn,
Sich eine Zukunft noch von Unglück an.
– Nun sag mir nur, was hat Johann bekannt?

Jeronimus.
Johann? Dasselbe. Er hat euren Namen
Genannt.

Eustache.       Und weiter nichts?

Jeronimus.                                     Das wäre schon
Wenn nicht Sylvester edel wär, genug.

Eustache.
So glaubt ers also nicht?

Jeronimus.                              Er ist der einzge
In seinem Warwand fast, der euch entschuldigt.


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