Heinrich von Kleist
Penthesilea
Heinrich von Kleist

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Vierundzwanzigster Auftritt.

Penthesilea. – Die Leiche des Achills (mit einem rothen Teppich bedeckt). – Prothoe und Andere.

Die erste Amazone.
Seht, seht, ihr Frau'n! – Da schreitet sie heran,
Bekränzt mit Nesseln, die Entsetzliche,
Dem dürren Reif des Hag'dorns eingewebt,
An Lorbeer-Schmuckes statt, und folgt der Leiche,
Die Gräßliche, den Bogen festlich schulternd,
Als wärs der Todfeind, den sie überwunden!

Die zweite Priesterinn.
O diese Händ' – !

Die erste Priesterinn.
                              O wendet euch ihr Frauen!

Prothoe. (der Oberpriesterinn an den Busen sinkend)
O meine Mutter!

Die Oberpriesterinn. (mit Entsetzen)
                            Diana ruf' ich an:
Ich bin an dieser Gräuelthat nicht schuldig!

Die erste Amazone.
Sie stellt sich grade vor die Oberpriesterinn.

Die Zweite.
Sie winket, schaut!

Die Oberpriesterinn.
                                Hinweg, du Scheußliche!
Du Hades-Bürgerinn! Hinweg, sag' ich!
Nehmt diesen Schleier, nehmt, und deckt sie zu.
    (sie reißt sich den Schleier ab, und wirft ihn der Königinn ins Gesicht)

Die erste Amazone.
O die lebend'ge Leich'. Es rührt sie nicht – !

Die Zweite.
Sie winket immer fort –

Die Dritte.                             Winkt immer wieder –

Die Erste.
Winkt immer zu der Priestrinn Füssen nieder –

Die Zweite.
Seht, seht!

Die Oberpriesterinn.
                  Was willst du mir? hinweg, sag' ich!
Geh' zu den Raben, Schatten! Fort! Verwese!
Du blickst die Ruhe meines Lebens todt.

Die erste Amazone.
Ha! man verstand sie, seht –

Die Zweite.                                                     Jetzt ist sie ruhig.

Die Erste.
Den Peleïden sollte man, das wars,
Vor der Diana-Priestrinn Füßen legen.

Die Dritte.
Warum just vor der Diana-Priest'rinn Füssen?

Die Vierte.
Was meint sie auch damit?

Die Oberpriesterinn.                 Was soll mir das?
Was soll die Leiche hier vor mir? Laß sie
Gebirge decken, unzugängliche,
Und den Gedanken deiner That dazu!
War ich's, du – Mensch nicht mehr, wie nenn' ich dich?
Die diesen Mord dir schrecklich abgefordert? –
Wenn ein Verweis, sanft aus der Liebe Mund.
Zu solchen Gräuelnissen treibt, so sollen
Die Furien kommen, und uns Sanftmuth lehren!

Die erste Amazone.
Sie blicket immer auf die Priestrinn ein.

Die Zweite.
Grad' ihr ins Antlitz –

Die Dritte.                           Fest und unverwandt,
Als ob sie durch und durch sie blicken wollte. –

Die Oberpriesterinn.
Geh', Prothoe, ich bitte dich, geh', geh',
Ich kann sie nicht mehr sehn, entferne sie.

Prothoe. (weinend)
Weh mir!

Die Oberpriesterinn.
                Entschließe dich!

Prothoe.                                       Die That, die sie
Vollbracht hat, ist zu scheußlich; laß mich sein.

Die Oberpriesterinn.
Fass' dich. – Sie hatte eine schöne Mutter.
– Geh, biet' ihr deine Hülf' und führ' sie fort.

Prothoe.
Ich will sie nie mit Augen wiedersehn! –

Die zweite Amazone.
Seht, wie sie jetzt den schlanken Pfeil betrachtet!

Die Erste.
Wie sie ihn dreht und wendet –

Die Dritte.                                         Wie sie ihn mißt!

Die erste Priesterinn.
Das scheint der Pfeil, womit sie ihn erlegt.

Die erste Amazone.
So ist's, ihr Fraun!

Die Erste.                     Wie sie vom Blut ihn säubert!
Wie sie an seiner Flecken jeden wischt!

Die Dritte.
Was denkt sie wohl dabei?

Die Zweite.                                 Und das Gefieder,
Wie sie es trocknet, kräuselt, wie sie's lockt!
So zierlich! Alles, wie es sich gehört.
O seht doch!

Die Dritte.           Ist sie das gewohnt zu thun?

Die Erste.
That sie das sonst auch selber?

Die erste Priesterinn.                       Pfeil und Bogen,
Sie hat sie stets mit eigner Hand gereinigt.

Die Zweite.
O heilig hielt sie ihn, das muß man sagen! – –

Die zweite Amazone.
Doch jetzt den Köcher nimmt sie von der Schulter,
Und stellt den Pfeil in seinen Schafft zurück.

Die Dritte.
Nun ist sie fertig –

Die Zweite.                   Nun ist es geschehen –
Nun sieht sie wieder in die Welt hinaus – !

Mehrere Frauen.
O jammervoller Anblick! O so öde
Wie die Sandwüste, die kein Gras gebiehrt!
Lustgärten, die der Feuerstrom verwüstet,
Gekocht im Schoos der Erd' und ausgespieen,
Auf alle Blüthen ihres Busens hin,
Sind anmuthsvoller als ihr Angesicht.

Penthesilea. (ein Schauer schüttelt sie zusammen; sie läßt den Bogen fallen)

Die Oberpriesterinn.
O die Entsetzliche!

Prothoe (erschrocken)
                                Nun, was auch giebt's?

Die erste Amazone.
Der Bogen stürzt' ihr aus der Hand danieder!

Die Zweite.
Seht, wie er taumelt –

Die Vierte.                           Klirrt, und wankt, und fällt – !

Die Zweite.
Und noch einmal am Boden zuckt –

Die Dritte.                                                 Und stirbt,
Wie er der Tanaïs gebohren ward.

(Pause)

Die Oberpriesterinn. (sich plötzlich zu ihr wendend)
Du, meine große Herrscherinn, vergieb mir!
Diana ist, die Göttinn, dir zufrieden,
Besänftigt wieder hast du ihren Zorn.
Die große Stifterinn des Frauenreiches,
Die Tanaïs, das gesteh' ich jetzt, sie hat
Den Bogen würd'ger nicht geführt als du.

Die erste Amazone.
Sie schweigt –

Die Zweite.
                          Ihr Auge schwillt –

Die Dritte.                                                 Sie hebt den Finger,
Den blutigen, was will sie – Seht, o seht!

Die Zweite.
O Anblick, herzzerreißender, als Messer!

Die Erste.
Sie wischt sich eine Thräne ab.

Die Oberpriesterinn. (an Prothoes Busen zurück sinkend)
                                                    O Diana!
Welch eine Thräne!

Die erste Priesterinn.
                                  O eine Thräne, du Hochheil'ge,
Die in der Menschen Brüste schleicht,
Und alle Feuerglocken der Empfindung zieht.
Und: Jammer! rufet, daß das ganze
Geschlecht, das leicht bewegliche, hervor
Stürzt aus den Augen, und in Seen gesammelt,
Um die Ruine ihrer Seele weint.

Die Oberpriesterinn. (mit einem bittern Ausdruck)
Nun denn – wenn Prothoe ihr nicht helfen will,
So muß sie hier in ihrer Noth vergehn.

Prothoe. (drückt den heftigsten Kampf aus. Drauf, indem sie sich ihr nähert, mit einer immer von Thränen unterbrochenen, Stimme)
Willst du dich niederlassen, meine Königinn?
Willst du an meiner treuen Brust nicht ruhn?
Viel kämpftest du, an diesem Schreckenstag,
Viel, auch viel littest du – von so viel Leiden
Willst du an meiner treuen Brust nicht ruhn?

Penthesilea (sie sieht sich um, wie nach einem Sessel)

Prothoe.
Schafft einen Sitz herbei! Ihr seht, sie wills.

(Die Amazonen wälzen einen Stein herbei. Penthesilea läßt sich an Prothoes Hand darauf nieder. Hierauf setzt sich auch Prothoe)

Prothoe.
Du kennst mich doch, mein Schwesterherz?

Penthesilea. (sieht sie an, ihr Antlitz erheitert sich ein wenig)

Prothoe.                                                                 Prothoe
Bin ich, die dich so zärtlich liebt.

Penthesilea. (streichelt sanft ihre Wange)

Prothoe.                                                 O du,
Vor der mein Herz auf Knien niederfällt,
Wie rührst du mich!
    (sie küßt die Hand der Königinn)
                                  – Du bist wohl sehr ermüdet?
Ach, wie man dir dein Handwerk ansieht, Liebe!
Nun freilich – Siegen geht so rein nicht ab,
Und jede Werkstatt kleidet ihren Meister.
Doch wie, wenn du dich jetzo reinigtest,
Händ' und Gesicht? – Soll ich dir Wasser schaffen?
– – Geliebte Königinn!

Penthesilea. (sie besieht sich und nickt)

Prothoe.                                 Nun ja. Sie will's.
    (sie winkt den Amazonen; diese gehen Wasser zu schöpfen)
– Das wird dir wohlthun, das wird dich erquicken,
Und sanft, auf kühle Teppiche gestreckt,
Von schwerer Tagesarbeit wirst du ruhn.

Die erste Priesterinn.
Wenn man mit Wasser sie besprengt, gebt Acht,
Besinnt sie sich.

Die Oberpriesterinn.
                            O ganz gewiß, das hoff' ich.

Prothoe.
Du hoffst's, hochheil'ge Priesterinn? – Ich fürcht' es.

Die Oberpriesterinn. (indem sie zu überlegen scheint)
Warum? Weshalb? – Es ist nur nicht zu wagen,
Sonst müßte man die Leiche des Achills –

Penthesilea. (blickt die Oberpriesterinn blitzend an)

Prothoe.
Laßt, laßt – !

Die Oberpriesterinn.
                      Nichts, meine Königinn, nichts, nichts!
Es soll dir Alles bleiben, wie es ist. –

Prothoe.
Nimm dir den Lorbeer ab, den dornigen,
Wir alle wissen ja, daß du gesiegt.
Und auch den Hals befreie dir – So, so!
Schau! Eine Wund' und das recht tief! Du Arme!
Du hast es dir recht sauer werden lassen –
Nun dafür triumphirst du jetzo auch!
– O Artemis!

Zwei Amazonen. (bringen ein großes flaches Marmorbecken, gefüllt mit Wasser)

Prothoe.               Hier setzt das Becken her. –
Soll ich dir jetzt die jungen Scheitel netzen?
Und wirst du auch erschrecken nicht – – ? Was machst du?

Penthesilea. (läßt sich von ihrem Sitz auf Knien vor das Becken niederfallen, und begießt sich das Haupt mit Wasser)

Prothoe.
Sieh da! Du bist ja traun recht rüstig, Königinn!
– Das thut dir wohl recht wohl?

Penthesilea. (sie sieht sich um)         Ach Prothoe!
    (sie begießt sich von Neuem mit Wasser)

Meroe. (froh)
Sie spricht!

Die Oberpriesterinn.
                    Dem Himmel sei gedankt!

Prothoe.                                                         Gut, gut!

Meroe.
Sie kehrt ins Leben uns zurück!

Prothoe.                                             Vortrefflich!
Das Haupt ganz unter Wasser, Liebe! So!
Und wieder! So, so! Wie ein junger Schwan! –

Meroe.
Die Liebliche!

Die erste Priesterinn.
                          Wie sie das Köpfchen hängt!

Meroe.
Wie sie das Wasser niederträufeln läßt!

Prothoe.
– Bist du jetzt fertig?

Penthesilea.                     Ach! – Wie wunderbar.

Prothoe.
Nun denn, so komm' mir auf den Sitz zurück! –
Rasch eure Schleier mir, ihr Priesterinnen,
Daß ich ihr die durchweichten Locken trockne!
So, Phania, deinen! Terpi! helft mir, Schwestern!
Laßt uns ihr Haupt und Nacken ganz verhüllen!
So, so! – Und jetzo auf den Sitz zurück!
    (sie verhüllt die Königinn, hebt sie auf den Sitz, und drückt sie fest an ihre Brust)

Penthesilea.
Wie ist mir?

Prothoe.               Wohl denk' ich – nicht?

Penthesilea. (lispelnd)                               Zum Entzücken!

Prothoe.
Mein Schwesterherz! Mein Süsses! O mein Leben!

Penthesilea.
O sagt mir! – Bin ich in Elisium?
Bist du der ewigjungen Nymphen Eine,
Die unsre hehre Königinn bedienen,
Wenn sie von Eichen-Wipfeln still umrauscht,
In die krystallne Grotte niedersteigt?
Nahmst du die Züge bloß, mich zu erfreuen,
Die Züge meiner lieben Prothoe an?

Prothoe.
Nicht, meine beste Königinn, nicht, nicht.
Ich bin es, deine Prothoe, die dich
In Armen hält, und was du hier erblickst,
Es ist die Welt noch, die gebrechliche,
Auf die nur fern die Götter niederschaun.

Penthesilea.
So, so. Auch gut. Recht sehr gut. Es thut nichts.

Prothoe.
Wie, meine Herrscherinn?

Penthesilea.                               Ich bin vergnügt.

Prothoe.
Erkläre dich, Geliebte. Wir verstehn nicht –

Penthesilea.
Daß ich noch bin, erfreut mich. Laßt mich ruhn.

(Pause)


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