Heinrich von Kleist
Penthesilea
Heinrich von Kleist

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehnter Auftritt.

Penthesilea, Prothoe, Achilles. Gefolge von Amazonen.

Prothoe.
Penthesilea! O du Träumerinn!
In welchen fernen Glanzgefilden schweift
Dein Geist umher, mit unruhvollem Flattern,
Als ob sein eigner Sitz ihm nicht gefiele,
Indeß das Glück, gleich einem jungen Fürsten,
In deinen Busen einkehrt, und, verwundert
Die liebliche Behausung leer zu finden,
Sich wieder wendet und zum Himmel schon
Die Schritte wieder flüchtig setzen will?
Willst du den Gast nicht fesseln, O du Thörinn? –
Komm hebe dich an meine Brust.

Penthesilea.                                         Wo bin ich?

Prothoe.
– Kennst du die Stimme deiner Schwester nicht?
Führt jener Fels dich, dieser Brückenpfad,
Die ganze blüh'nde Landschaft nicht zurück?
– Sieh diese Jungfrau'n, welche dich umringen:
Wie an den Pforten einer schön'ren Welt,
Steh'n sie, und rufen dir: willkommen! zu.
– Du seufzest. Was beängstigt dich?

Penthesilea.                                               Ach Prothoe!
Welch einen Traum entsetzensvoll träumt ich –
Wie süß ist es, ich möchte Thränen weinen,
Dies mattgequälte Herz, da ich erwache,
An deinem Schwesterherzen schlagen fühlen –
– Mir war, als ob, im heftigen Getümmel,
Mich des Peliden Lanze traf: umrasselt
Von meiner erznen Rüstung, schmettr' ich nieder;
Der Boden wiederhallte meinem Sturz.
Und während das erschrockne Heer entweicht,
Umstrickt an allen Gliedern lieg' ich noch,
Da schwingt er sich vom Pferde schon herab,
Mit Schritten des Triumphes naht er mir,
Und er ergreift die Hingesunkene,
In starken Armen hebt er mich empor,
Und jeder Griff nach diesem Dolch versagt mir,
Gefangen bin ich und mit Hohngelächter
Zu seinen Zelten werd' ich abgeführt.

Prothoe.
Nicht, meine beste Königinn! Der Hohn
Ist seiner grosmuthsvollen Seele fremd.
Wär' es, was dir im Traum erschien: glaub mir,
Ein seel'ger Augenblick wär' dir beschieden,
Und in den Staub vielleicht, dir huldigend,
Sähst du den Sohn der Götter niederfallen.

Penthesilea.
Fluch mir, wenn ich die Schmach erlebte, Freundinn!
Fluch mir, empfieng' ich jemals einen Mann,
Den mir das Schwerdt nicht würdig zugeführt.

Prothoe.
Sei ruhig, meine Königinn.

Penthesilea.                               Wie! Ruhig –

Prothoe.
Liegst du an meinem treuen Busen nicht?
Welch ein Geschick auch über dich verhängt sei,
Wir tragen es, wir beide: fasse dich.

Penthesilea.
Ich war so ruhig, Prothoe, wie das Meer,
Das in der Bucht des Felsen liegt; nicht ein
Gefühl, das sich in Wellen mir erhob.
Dies Wort: sei ruhig! jagt mich plötzlich jetzt,
Wie Wind die offnen Weltgewässer, auf.
Was ist es denn, das Ruh' hier nöthig macht?
Ihr steht so seltsam um mich, so verstört –
Und sendet Blicke, bei den ew'gen Göttern,
In meinen Rücken hin, als stünd ein Unhold,
Mit wildem Antlitz dräuend, hinter mir.
– Du hörst's, es war ja nur ein Traum, es ist nicht
Wie! Oder ist es? Ist's? Wär's wirklich? Rede! –
– Wo ist denn Meroe? Megaris?
    (sie sieht sich um und erblickt den Achilles).
                                                      Entsetzlich!
Da steht der Fürchterliche hinter mir.
Jetzt meine freie Hand –
    (sie zieht den Dolch)

Prothoe.                                   Unglückliche!

Penthesilea.
O die Nichtswürdige, sie wehret mir –

Prothoe.
Achilles! Rette sie.

Penthesilea.                   O Rasende!
Er soll den Fuß auf meinen Nacken setzen.

Prothoe.
Den Fuß, Wahnsinnige –

Penthesilea.                             Hinweg, sag' ich! –

Prothoe.
So sieh ihn doch nur an, Verlorene – !
Steht er nicht ohne Waffen hinter dir?

Penthesilea.
Wie? Was?

Prothoe.             Nun ja! Bereit, wenn du's verlangst,
Selbst deinem Fesselkranz sich darzubieten.

Penthesilea
Nein, sprich.

Prothoe. Achill! Sie glaubt mir nicht. Sprich du!

Penthesilea.
Er wär' gefangen mir?

Prothoe.                               Wie sonst? Ist's nicht?

Achilles. (der währenddessen vorgetreten)
In jedem schön'ren Sinn, erhabne Königinn!
Gewillt mein ganzes Leben fürderhin,
In deiner Blicke Fesseln zu verflattern.

Penthesilea. (drückt ihre Hände vor's Gesicht)

Prothoe.
Nun denn, da hörtest du's aus seinem Mund.
– Er sank, wie du, als ihr euch traft, in Staub;
Und während du entseelt am Boden lagst,
Ward er entwaffnet – nicht?

Achilles.                                         Ich ward entwaffnet;
Man führte mich zu deinen Füssen her.
    (er beugt ein Knie vor ihr)

Penthesilea. (nach einer kurzen Pause)
Nun denn, so sei mir, frischer Lebensreiz,
Du junger, rosenwang'ger Gott, gegrüßt!
Hinweg jetzt, o mein Herz, mit diesem Blute,
Das aufgehäuft, wie seiner Ankunft harrend,
In beiden Kammern dieser Brüste liegt.
Ihr Boten, ihr geflügelten, der Lust,
Ihr Säfte meiner Jugend, macht euch auf.
Durch meine Adern fleucht, ihr jauchzenden.
Und laßt es einer rothen Fahne gleich,
Von allen Reichen dieser Wangen wehn:
Der junge Nereïdensohn ist mein!
    (sie steht auf)

Prothoe.
O meine theu're Königinn, mäß'ge dich.

Penthesilea. (indem sie vorschreitet)
Heran, ihr sieggekrönten Jungfrau'n jetzt,
Ihr Töchter Mars, vom Wirbel bis zur Sohle
Vom Staub der Schlacht noch überdeckt, heran,
Mit dem Archiverjüngling jegliche,
Den sie sich überwunden, an der Hand!
Ihr Mädchen, naht euch, mit den Rosenkörben:
Wo sind für soviel Scheitel Kränze mir;
Hinaus mir über die Gefilde, sag' ich,
Und mir die Rosen, die der Lenz verweigert,
Mit eurem Athem aus der Flur gehaucht!
An euer Amt, ihr Priest'rinnen der Diana:
Daß eures Tempels Pforten rasselnd auf,
Des glanzerfüllten, weihrauchduftenden,
Mir, wie des Paradieses Thore, fliegen!
Zuerst den Stier, den feisten, kurzgehörnten,
Mir an den Altar hin; das Eisen stürz' ihn,
Das blinkende, an heil'ger Stätte lautlos,
Daß das Gebäu erschüttere, darnieder.
Ihr Dien'rinnen, ihr rüstigen, des Tempels,
Das Blut, wo seid ihr? rasch, ihr Emsigen,
Mit Perserölen, von der Kohle zischend,
Von des Getäfels Plan hinweggewaschen!
Und all' ihr flatternden Gewänder, schürzt euch,
Ihr goldenen Pockale, füllt euch an,
Ihr Tuben, schmettert, donnert, ihr Posaunen,
Der Jubel mache, der melodische,
Den festen Bau des Firmamentes beben! –
O Prothoe! Hilf jauchzen mir, frohlocken,
Erfinde, Freundinn, Schwesterherz, erdenke,
Wie ich ein Fest jetzt göttlicher, als der
Olymp durchjubelte, verherrliche,
Das Hochzeitsfest der krieggeworbnen Bräute,
Der Inachiden und der Kinder Mars!
O Meroe, wo bist du? Megaris?

Prothoe. (mit unterdrückter Rührung)
Freud' ist und Schmerz dir, seh' ich, gleich verderblich,
Und gleich zum Wahnsinn reißt dich beides hin.
Du wähnst, wähnst dich in Themiscyra schon,
Und wenn du so die Gränzen überschwärmst,
Fühl' ich gereizt mich, dir das Wort zu nennen,
Das dir den Fittig plötzlich wieder lähmt.
Blick' um dich her, Betrogene, wo bist du?
Wo ist das Volk? Wo sind die Priesterinnen?
Asteria? Meroe? Megaris? Wo sind sie?

Penthesilea. (an ihrem Busen)
O laß mich, Prothoe! O laß dies Herz
Zwei Augenblick' in diesem Strom der Lust,
Wie ein besudelt Kind, sich untertauchen;
Mit jedem Schlag in seine üpp'gen Wellen
Wäscht sich ein Mackel mir vom Busen weg.
Die Eumeniden fliehn, die schrecklichen,
Es weht, wie Nahn der Götter um mich her,
Ich möchte gleich in ihren Chor mich mischen,
Zum Tode war ich nie so reif als jetzt.
Doch jetzt vor Allem: du vergiebst mir doch?

Prothoe.
O meine Herrscherinn!

Penthesilea.                         Ich weiß, ich weiß –
Nun, meines Blutes beß're Hälft' ist dein.
– Das Unglück, sagt man, läutert die Gemüther,
Ich, du Geliebte, ich empfand es nicht;
Erbittert hat es, Göttern mich und Menschen
In unbegriff'ner Leidenschaft empört.
Wie seltsam war, auf jedem Antlitz, mir,
Wo ich sie traf. der Freude Spur verhaßt;
Das Kind, das in der Mutter Schooße spielte,
Schien mir verschworen wider meinen Schmerz.
Wie mögt' ich Alles jetzt, was mich umringt,
Zufrieden gern und glücklich sehn! Ach, Freundinn!
Der Mensch kann groß, ein Held, im Leiden sein.
Doch göttlich ist er, wenn er selig ist!
– Doch rasch zur Sache jetzt. Es soll das Heer
Zur Rückkehr schleunig jede Anstalt treffen;
Sobald die Schaaren ruhten, Thier und Menschen,
Bricht auch der Zug mit den Gefangenen,
Nach unsern heimathlichen Fluren auf –
– Wo ist Lykaon?

Prothoe.                       Wer?

Penthesilea. (mit zärtlichem Unwillen)
                                        Wer, fragst du noch!
Er, jener blühende Arkadierheld,
Den dir das Schwerdt erwarb. Was hält ihn fern?

Prothoe. (verwirrt)
Er weilt noch in den Wäldern, meine Königinn!
Wo man die übrigen Gefangnen hält.
Vergönne, daß er, dem Gesetz gemäß,
Eh, nicht, als in der Heimath mir erscheine.

Penthesilea.
Man ruf' ihn mir! – Er weilt noch in den Wäldern!
– Zu meiner Prothoe Füssen ist sein Platz!
– – Ich bitte dich, Geliebte, ruf' ihn her,
Du stehst mir, wie ein Maienfrost, zur Seite,
Und hemmst der Freude junges Leben mir.

Prothoe. (für sich)
Die Unglückseelige! – Wohlan so geht,
Und thut, wie euch die Königinn befohlen.
    (sie winkt einer Amazone; diese geht ab)

Penthesilea.
Wer schafft mir jetzt die Rosenmädchen her?
    (sie erblickt Rosen auf dem Boden)
Sieh! Kelche finden, und wie duftende,
Auf diesem Platz sich – !
    (sie fährt sich mit der Hand über die Stirne)
                                          Ach mein böser Traum!
    (zu Prothoe)
War' denn der Diana Oberpriest'rinn hier?

Prothoe.
Nicht, daß ich wüßte, meine Königinn –

Penthesilea.
Wie kommen denn die Rosen her?

Prothoe. (rasch)                                     Sieh da!
Die Mädchen, die die Fluren plünderten,
Sie ließen einen Korb voll hier zurück.
Nun, diesen Zufall wahrlich nenn' ich günstig.
Hier, diese duft'gen Blüthen raff' ich auf.
Und winde den Pelidenkranz dir. Soll ich?
    (sie setzt sich an der Eiche nieder)

Penthesilea.
Du Liebe! Treffliche! Wie du mich rührst. –
Wohlan! Und diese Hundertblättrigen
Ich dir zum Siegerkranz Lykaons. Komm.
    (sie rafft gleichfalls einige Rosen auf, und setzt sich neben Prothoe nieder)
Musik, ihr Frau'n, Musik! Ich bin nicht ruhig.
Laßt den Gesang erschallen! Macht mich still.

Eine Jungfrau. (aus ihrem Gefolge)
Was wünschest du?

Eine Andere.                   Den Siegsgesang?

Penthesilea.                                                   – Die Hymne.

Die Jungfrau.
Es sei. – O die Betrogene! – Singt! Spielt!

Chor der Jungfraun. (mit Musik)
Ares entweicht!
Seht, wie sein weißes Gespann
Fernhin dampfend zum Orkus niedereilt!
Die Eumeniden öffnen, die scheußlichen:
Sie schließen die Thore wieder hinter ihm zu.

Eine Jungfrau.
Hymen! Wo weilst du?
Zünde die Fackel an, und leuchte! leuchte!
Hymen! wo weilst du?

Chor.
Ares entweicht! u. s. w.

Achilles. (nähert sich während des Gesanges der Prothoe heimlich)
Sprich! Wohin führt mich dies? Ich will es wissen!

Prothoe.
Noch einen Augenblick, Großherziger,
Fleh' ich dich um Geduld – du wirst es sehn.

(Wenn die Kränze gewunden sind, wechselt Penthesilea den ihrigen gegen den Kranz der Prothoe, sie umarmen sich und betrachten die Windungen. Die Musik schweigt)

Die Amazone. (kehrt zurück)

Penthesilea.
Hast du's bestellt?

Die Amazone.               Lykaon wird sogleich,
Der junge Prinz Arkadiens, erscheinen.


 << zurück weiter >>